LIBRAKY
UNIVERSITY OF
CALIFORNIA
SAN DIEGO
39
Deutsche Geschichtsblätter
Monsatsschrift
für
Erforschung dentscher Vergangenheit anf landesgeschichtlicher Grundlage
unter Mitwirkung von
Prof. Bachmann-Prag, Prof. Finke-Freiburg i. B., Archivdirektor Prof. Hansen-Köln,
Prof. v. Heigel-München, Prof. Henner-Würzburg, Prof. Kossinna-Berlin,
Geh. Archivrat Krieger-Karlsruhe, Prof. Lamprecht-Leipzig,
Oberregierungsrat W. Lippert-Dresden, Archivdirektor Prof. M. Mayr-Innsbruck,
Archivdirektor Prof. Mell-Graz, Archivrat Merx-Münster i. W.,
Prof. v. Ottenthal-Wien, Prof. Osw. Redlich-Wien, Prof. v. d. Ropp-Marburg,
Prof. A. Schulte-Bonn, Geh. Archivrat Sello-Oldenburg,
Geh. Archivrat Wäschke-Zerbst, Prof. Weber-Prag, Prof. Wenck-Marburg,
Archivdirektor Witte-Neustrelitz
herausgegeben von
Dr. Armin Tille,
Archivdirektor in Weimar
ste
XV. Band Fe
Gotha 1914
Friedrich Andreas Perthes A.-G
Pudo:
Schae
Sct w
Stir.
Stra
W:
Wi
Aci
De
— -
—- ı_
Inhalt.
Aufsätze:
Bunzel, Julius (Graz): Aus innerösterreichischen Glaubenskämpfen
187—209 und
Fabricius, Wilhelm (Darmstadt): Die Siedlungs- und Bevölkerungsverhält-
nisse im ehemaligen Amt Birkenfeld. . . .
Hübner, Karl (St. Pölten): Die Brixener Diözesansynoden bis zur Bremen
Müller, Johannes (Nürnberg): Die Entstehung der Kreisverfassung Deutsch-
lands von 1383 bis ISI2 . .'. 2: 2 a
Nell, Martin (Bonn): Die Zandsknechte . ec Soi En
Ostwald, Paul (Berlin-Schmargendorf): Quellen und Literäiur zur Geschichte
des Ordenslandes Preußen . . . . . ,
Ostwald, Paul (Berlin-Schmargendorf): Zur Stadtverfassung In Linde Pr
Deutschen Ordens ‘
Pudor, Wolfgang (Berlin): Byzanz und die EN der Amalianihe
Schnepp, Peter (St. Gandolf, Kärnten): Zrwiderung auf den Aufsatz Die
Reichsritterschaft von W. Freiherrn v. Waldenfels (Bayreuth)
Schwabe, Ernst (Leipzig): Die geistige Entwicklung des gelehrten Schulwesens
im protestantischen Mitteldeutschland im XVII. Jahrhundert
Stindt, Heinrich (Gotha): Zur Beurteilung Kaiser Heinrichs VI.
Strakosch-Grafsmann, Gustav (Wien):
Sirdlungs- und Bevölkerungsverhältnisse im ehemaligen Amt
Birkenfeld von Wilhelm Fabricius (Darmstadt)
Waidenfels, W. Freiherr v. (Bayreuth): Die Reichsritterschaft f
Widmann, Hans (Salzburg): Dre Regierung des geistlichen Staates Salz-
burg im XVI. Jahrhundert .
Entgegnung auf den Aufsatz Die
Mitteilungen:
Ackerbau und Alpwirtschaft in schweizerischen Hochgebirgstälern
(Meyer v. Knonau) . . I Pa
Archive: Dreizehnter deutscher Archivtag 1913 in B real au RN Fürstlich
Schwarzburgisches Archiv in Rudolstadt (Bangert) 23— 24;
Oberschlesische Archive (Zivier) 24—25; Archivbenutzung
für Dissertationszwecke 25; Das Stadtarchiv zu Eger
(Reinhold Hofmann) 53—56; Das Stadtarchiv zu Tanger-
münde a. d. Elbe (H. H. Rosendorf) 81—84; Vierzehnter
deutscher Archivtag in Bregenz (Ankündigung) 262; Das
Gräflich Leiningische Archiv zu Westerburg (Oskar Fuchs)
261 —266 ; /nventare der evangelischen Pfarrarchive im Groß-
herzoglum Hessen 310—318.
Deutschkunde und Deutschunterricht
Seite
215— 238
5719
85 — 103
139—169
243—261
27—39
115—122
122—126
169—176
267—290
290— 305
70—78
169—176
1—23
209— 211
109— 11T
Eingegangene Bücher 56, 84, 113— 114, 137—138, 186, 213—214, 24I
bis 242, 266, 321—322.
Elementarereignisse, Sammlung der Nachrichten über
Seite
50—5I
Flurnamenverzeichnisse: (Beschorner) 111-—-113; (Fehrle) 129 — 130.
Germanen und Indogermanen (Schrader) : 39-41
German'stenverband, Deutscher: Tagung in Marburg Kissen) 109 — IlI
Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine: Ver-
sammlung 1913 in Breslau 39—46; Versammlung 1914 in
Lindau (Ankündigung) 261—262.
Geschichtliche Kartenwerke (Pirchegger, Frhr. v. Karg-Bebenburg) 51-53
Geschichtslehrervereinigung . 56
Geschichtsunterricht in Bayern (Ludwig Wolfram) 306 —- 309
Getreideversorgung der deutschen Alpenländer . 103—109
Hippolytos von Rom (Adolf Baier) TEN ; 45
Historikerversanımlung: dreizehnte 1913 in Wien ; 47—50, 81
Historische Kommissionen: Gesellschaft fur fränkische Geschichte 135
bis 137; Historische Kommission für das Großherzogtum
Hessen 184—186; Gesellschaft für rheiniısche Geschichts-
kunde 211—213.
Historisch-geographische Forschung in Deutschland während des letzten
Jabrhunderts (Curschmann) . 41
Imperialismus in England (Friedjung) ; ; 47—48
Internationaler Kongrefs der Archivare und Bibliothekare o (: Aok ndini g) 26, 134
Kaiserurkunde und Kaisergeschichte im XII. Jahrhundert (Hirsch) 45—49
Kardinalkollegium und Papsttum (Lulves) a de i A 51
Konferenz von Vertretern landesgeschichtlicher Publikationsinstitute:
Elfte 1913 in Wien 50—53
Lübeck, Der Ortsname (Fedde) . š j 239 — 241
Personalien: Nckrolog für Theodor von Kolde erdan) 130—135
Reichsritterschaft (Tille) in. g 318—321
Rückfärbung abgeblzfster Schriftzeichen: 26
Segen- und Beschwörungsformeln. 126—129
Stadtbücher (Relımc) . 42
Stadtgrundrifsforschung (Meier) . 44
Versammlungen: Tagung des Gesamtvereins und ge drekann Bande
1913 in Breslau 23—26, 39-46; Dreizehnte Versammlung
deutscher Historiker und elfte Konferenz von Vertretern landes-
geschichtlicher Publikationsinstitute 1913 in Wien 47—53, 81T;
Tagung des deutschen Germanistenverbands in Marburg 109
bis 111r; Internationaler Kongreß der Archivare und Bibliothe-
kare 1915 (Ankündigung) 26, 184; Tagung des Gesamtvereins
und des vierzehnten Archivtags in Lindau und Bregenz
(Ankündigung) 261 — 262.
Wiens Stellung in der Kunstgeschichte (Dreger).
49
ET
Z q
l= ]
Deutsche Geschichtsblätter
Monatsschrift
Erforschung dentscher Vergangenheit anf landesgeschichtlicher Grundlage
XV. Band Oktober 1913 I. Heft
Die Regierung des geistlichen Staates
Salzburg im XVI. Jahrhundert
Von
Hans Widmann (Salzburg) !)
Der Sieg des Landesfürstentums über die Stände war im Erz-
stifte Salzburg schon seit dem Erzbischofe Leonhard II. (1495—1519) ent-
schieden. War ja ohnehin der größte Teil des Volkes, die gesamte
Bauernschaft, die hauptsächlich für die Staatslasten aufzukommen hatte,
von den Landtagen ausgeschlossen. Nur in einigen dringenden Fällen
wurden Abgeordnete der Gerichte, d. h. der bäuerlichen Urbarbesitzer,
dazu berufen. Von einer Mitregierung der Stände war in Salzburg
schon zu jener Zeit kaum die Rede gewesen, als diese in anderen
Ländern die Hauptrolle spielten, um so weniger jetzt, da allerwärts
die Fürstenmacht erstarkt war. Die Landtage wurden nur noch zur
Bewilligung von Steuern einberufen. Dabei erwiesen sich die beiden
ersten Stände, Prälaten und Adel, um so williger, da sie als Privi-
legierte sich den geforderten Zahlungen zu entziehen verstanden oder
sie auf ihre Grundholden abwälzten. Nur die an Zahl wie Einfluß
geringen Vertreter des Bürgerstandes wagten gelegentlich den schüch-
ternen Versuch einer Opposition, aber immer erfolglos.
Werfen wir einen Blick auf die Zusammensetzung des Landtages.
Den ersten Stand bildeten die Prälaten. Dazu gehörte der Bischof von
Chiemsee, die Äbte von St. Peter, Michaelbeuern und Mondsee, solange
die Herrschaft Wildeneck dem Stifte verpfändet war (bis 1565), die
ı) In den Jahren 1907 und 1909 sind die ersten beiden Bände der Geschichte
Salzburgs von Hans Widmann erschienen, welche die Geschichte des Landes bis 1519
darstellen. Gegenwärtig ist der dritte Band, der bis zum Anfall des Landes an
Österreich führt und das Werk abschließt, im Druck. Der vorliegende Aufsatz ist ein
Ausschnitt daraus, und zwar im wesentlichen ein Abdruck der Seiten 120—148, aller-
dings unter Weglassung der zahlreichen Quellennachweise, wegen deren der Leser auf
das Buch selbst verwiesen wird.
1
un, Er
Pröpste von Berchtesgaden (für die im Gebicte des Erzstifts liegenden
Besitzungen) und Högelwört, die Äbtissin von Nonnberg und, seit die
Mitglieder des Domkapitels, das früher der Dompropst allein vertreten
hatte, Weltgeistliche waren (1514), dieser für seine eigene Person
und der Domdechant mit einem Kanonikus für das Kapitel. Einmal,
unter Georg von Kuenburg (1586—1587), stellte das Kapitel die For-
derung, als eigener Landstand angesehen zu werden, wie es z. B. in
Köln der Fall war, es drang aber nicht durch. Die genannten Vor-
steher der großen Klöster übten keinen bedeutenderen Einfluß aus,
bildeten also keinen Damm gegen die selbstherrischen Bestrebungen
der Landesfürsten. Das einzige Hemmnis der fürstlichen Selbst-
regierung war das Kapitel Nicht nur suchte es durch Wahlkapi-
tulationen sich Einfluß auf geistliche und weltliche Angelegenheiten,
namentlich in finanziellen Fragen zu sichern, sondern trachtete auch
mit uncrmüdlichem Eifer danach, seine Vorrechte zu erweitern und
sich nach jeder Richtung Vorteile zuzuwenden.
Das Kapitel hatte 1514 zugunsten Matthäus Langs auf sein
Wahlrecht verzichtet, wofür ihm dieser die Aufhebung des Ordens-
standes erwirkte. In dem hierüber abgeschlossenen Vertrage, der einer
Wahlkapitulation gleichzuachten ist, versprach Lang, ohne Wissen und
Willen des auf vierundzwanzig Mitglieder vermehrten Kapitcls keinen
Koadjutur aufzunehmen; dies blieb ein ständiger Punkt aller späteren
Wahlgedinge, den kein Erzbischof übertrat. In der Wahlkapitulation
für Ernst von Bayern, den das Kapitel 1540 vertragsmäßig wählen mußte,
forderte es, daß er die Wahlfreiheit durch eine päpstliche Bulle aus-
drücklich bestätigen lasse. Zudem verlangte es, daß der Gewählte
alle Kosten der Konfirmation in Rom selbst trage; das kehrte auch
immer wieder, bei Georg von Kuenburg 1586 mit dem Zusatze, das
Kapitel sei nicht einmal verpflichtet, dem Erwählten zu diesem Zwecke
ein Darlehen zu gewähren.
Zu den wichtigsten geistlichen Ämtern gehörte das Offizialat und
die Kustodie des Domes. Jenes war das oberste geistliche Gericht,
diese hatte die Sorge für den Dom, dessen bauliche Erhaltung, Para-
mente, Stiftungen und den Gottesdienst unter sich. Von Matthäus
wurde nur gefordert, daß er diese Ämter im Einverständnisse mit dem
Kapitel mit tauglichen Personen besetze; unter Michael von Kuen-
burg (1554) schon, daß er es mit Domherren tue und diesen „ziemliche“
Besoldung gäbe; unter Georg von Kuenburg, daß er die Kustodie
mit Renten ausstatte. An diesen letzteren stellte man auch die Forde-
rung, das Offizialat und. das Vikariat (die geistliche Stellvertretung des
Zu 9 u
kirchlichen Oberhirten) zu reformieren und beide Stellen Domherren
zu verleihen; für das erstere Amt sollte er zwei in geistlichen Rechten
erfahrene Beisitzer bestellen und besolden; dem Vikariat sollte auch
das Protonotariat einverleibt und die Kollation aller geistlicher Lehen
und Benefizien übertragen, — nichts zur geistlichen Gerichtsbarkeit
Gehöriges aber jemals Laien anvertraut werden. Als geistliche Ver-
waltungsstelle war 1569 im Anschlusse an die Synode das Kon-
sistorium errichtet und zum Teil mit weltlichen Räten besetzt worden.
Die Anstellung tauglicher geistlicher Personen bei dieser Behörde
wird in den Kapitulationen immer wieder gefordert. Schon bei der Wahl
zum Koadjutor (1580) wurde Georg von Kuenburg empfohlen, neben
den Ordinaripredigern drei oder vier „Doktoren der Gottesgelahrt-
heit“ sowohl zur Mitarbeit im Konsistorium als auch zur Verkündigung
des Wortes Gottes anzustellen. Auch sollte er ein Seminar errichten,
zu dem das Kapitel einen mäßigen Beitrag leistete. Die Verpflichtung
in der gleichen Kapitulation, eine Generalvisitation vorzunehmen, stimmte
so ganz zur Gedankenrichtung Georgs, daß sie vielleicht von ihm bean-
tragt wurde; eine Unmöglichkeit lag in der Forderung, jährlich in ei-
gener Person das Stift zu visitieren; das liegt bei dem so weit aus-
gedehnten Sprengel auf der Hand. Begründet mag die Forderung einer
besseren Dotierung der Stadtpfarre gewesen sein, die ein Domherr zu
versehen hatte. Obwohl dieser einen ‚Nachpfarrer“ hielt, dem die
Hauptarbeit zufiel, wollte schließlich kein Kanonikus mehr die Pfarre
übernehmen; das Kapitel überließ sie endlich dem Erzbischofe (Wolf
Dietrich). In der Kapitulation für Matthäus verwahrte sich das Kapitel
gegen die Aufnahme irgendeines Ritter-, regulären oder anderen Ordens;
wenn es hier einen bestimmten Fall im Auge hatte !), so kehrte doch
diese Bestimmung in allen folgenden Wahlgedingen wieder, obne jedoch
streng durchgeführt zu werden; gegen Stiftung kleinerer Klöster durch
spätere Erzbischöfe wurde nie eine Einwendung erhoben, aber die
Niederlassung von Jesuiten wurde dadurch verhindert.
Noch mehr als auf die geistlichen, suchte das Kapitel auf die
weltlichen Angelegenheiten Einfluß zu gewinnen. Ständige Punkte
der Kapitulationen betreffen die Mitregierung des Kapitels, vertreten
durch zwei Domherren, nach erfolgter Wahl bis zum Einlangen der
päpstlichen Bestätigung, was jenem auch nie streitig gemacht wurde,
ebensowenig wie die Regierung bei Erledigung des erzbischöflichen
ı) Den von Kaiser Friedrich IL gegründeten St. Georgs-Ritterorden zur Be-
kämpfung der Türken.
1»
2 e
Stuhles.. Sie wurde durch mehrere Domherren, die ihren Aufenthalt
in der Residenz nahmen und unter denen der Oeconomus, der Ver-
walter aller Einkünfte, den ersten Rang hatte, geführt; auch die
Befehlshaberstellen der Schlösser Salzburg und Werfen wurden in
dieser Zeit Domherren übertragen. Das Kapitel nahm für die Dauer
der Sedisvakanz alle Beamten in Pflicht und entließ sie dieser erst
nach eingetroffener Bestätigung, wie es auch erst dann dem Erz-
bischofe die Schlösser übergab. Dagegen drang es mit der Forde-
rung, die Regierung auch im Falle der Abwesenheit des Erzbischofs
auf Reichs- oder Kreistagen oder wegen einer Seuche in der Haupt-
stadt zu überkommen, nicht durch. Andere stets wiederkehrende
Forderungen waren die Erhaltung der katholischen Religion im Lande,
die Vergebung der Lehen nur an Katholiken und Landsleute, über-
haupt die Beförderung dieser vor Ausländern, die, kein politisches
Bündnis ohne Willen des Kapitels einzugehen, die Ämter mit taug-
lichen Personen zu besetzen, besonders die Stellen des Kanzlers,
Landeshauptmannes, Hofmarschalls und die der Pfleger auf den Haupt-
schlössern. In die Bestallungen der Beamten soll immer die Gehor-
samsverpflichtung gegen das Kapitel (für den Fall der Sedisvak.ınz)
aufgenommen und diesem daher stets eine Abschrift jener übergeben
werden. Georg von Kuenburg wurde auch die Erhaltung und Be-
richtigung der Landesgrenze und die Haltung zweier oder mehrerer
Hauptleute, die er auch im Hofrate gebrauchen möge, zur Pflicht ge-
macht. Auch die Anstellung von Gegenschreibern (Kontrolicuren)
bei allen zur Rechnungsablegung verpflichteten Ämtern wurde ihm
vorgeschrieben. Um dem Nepotismus der Erzbischöfe einen Damm
zu setzen, fand seit Michael (1554) die Bestimmung Aufnahme, daß der
Erzbischof die Pflegen nur auf einen Leib vergäbe, unter Johann
Jakob (1560—1586), daß er heimfallende Güter, Gülten und Zehnte
nicht an „Freunde“ (d. h. Verwandte) übertrage, sondern für das
Stift erwerbe und dabei bleiben lasse. Immer wiederholt sich seit
Lang der Auftrag, den Salzverträgen mit Bayern die möglichste Sorg-
falt zuzuwenden, den von Lang ausgestellten Revers, eine Preis-
steigerung des Salzes nur mit Einwilligung des Herzogs von Bayern
vorzunehmen, rückgängig zu machen, die Gerichtsbarkeit und die Ein-
künfte in und um Mühldorf dem Stift zu erhalten, endlich eine neue
Landesordnung zu machen.
Wie sich das Kapitel in eigentlichen Regierungshandlungen Einfluß
zu wahren versuchte, so tat es dies, und zwar mit besserem Erfolge,
in Geldangelegenheiten. Schon Ernst von Bayern wurde 1540 die Ab-
re 5 —
zahlung der im Bauernkriege gemachten Schulden anempfohlen; von
Michael wurde gefordert, daß er von der Staatsschuld jährlich
5000 Gulden tilge. Immer kehrt die Bestimmung wieder, daß der
Landesfürst ohne Einwilligung des Kapitels keine Gelder aufnähme —
eine Bestimmung, die auch stets gehalten wurde. Als Kaiser Maxi-
milian II. 1565 die verpfändeten Gebiete Gmünd, Pettau und Wildeneck
eingelöst hatte, forderte das Kapitel die Verwendung der Einlösungs-
summe zur Schuldentilgung oder deren verzinsliche Anlage mit seinem
Wissen und Willen. Georg wurde die Bildung eines „Schatzes‘ vor-
geschrieben, in den er jährlich etwas hinterlegen sollte; einen
Schlüssel zur Schatztruhe sollte das Kapitel haben, ohne dessen Ein-
willigung nichts von dem angesammelten Gelde verwendet werden
dürfe. Seit Michael ist auch die Forderung, das Stift mit keiner
„Pension“ (jährlicher Zahlung für ein abgelöstes Recht oder dgl.)
zu beschweren, ständig. Schon Ernst mußte nach einem Kapitel-
beschlusse von 1542 zwei Domherren in den Rat aufnehmen und
ihnen Ratsbesoldung zahlen und, falls er sie auch zu Kammerhand-
lungen, d. h. in der Finanzverwaltung, gebrauchen wolle, sie sich
eidlich verpflichten. Das gleiche wurde von Michael gefordert, unter
Georg aber schon die Bestellung von vier Kapitularen zu Kammer-
räten mit entsprechender Besoldung.
„Der Gewählte möge sich die Ehre und den Nutzen des Kapitels
empfohlen sein lassen‘ ist seit Michael eine stets wiederkehrende
Formel in den Kapitulationen. An beiden scheinen wirklich die
Herren nie genug gehabt zu haben. Schon von dem eben Genannten
verlangten sie, daß cr die Bischofsstühle von Seckau, Lavant und
Chiemsee stets mit Kapitularen besetze. Aber manchmal scheinen
sich diese nicht allzu eifrig darum beworben zu haben; als 1570
Lavant erledigt war, wollte es keiner annehmen. Die Forderung nach
den obersten Staatsämtern wird auch erst 1587 erhoben. Desto
unersättlicher war das Kapitel auf seinen Nutzen bedacht. Schon
Matthäus hatte ihm jährlich zur Erhöhung der Einkünfte 1000 Gulden
zugesagt und dafür die Herrschaft Windischmatrei und Schloß Kien-
burg, jedoch mit Ausnahme der landesfürstlichen Hoheit, der Wal-
dungen und der hohen Jagd übergeben. Sie wurden 1527 zur be-
sonderen Dotation des Dompropstes bestimmt. Ernst mußte noch
einmal aus den Kammergefällen 1000 Gulden dem Kapitel überweisen,
Michael ebensoviel, die er auf die Saline Hallein verschrieb;, er hatte
die Summe zwar nur für seine Lebenszeit versprochen, sie blieb aber
dem Kapitel als beständige Rente aus der genannten Quelle. Georg
an Go ua
versprach wieder 1000 Gulden als Zuschuß zu den ‚„Chorpräsenzen“
(Zahlungen für Besuch des Chors) und weitere 1000 zu den Gesamt-
einkünften. Damals forderte das Kapitel im Wahlgedinge 4000 Gulden
aus der Hinterlassenschaft des Erzbischofs, falls diese 100000 Gulden
übersteige. Außerdem mußte er versprechen, nie die Ablösung der
Herrschaft Windischmatrei zu versuchen und die Pfarre dieses Marktes
dem Kapitel einzuverleiben. Nebenbei sei erwähnt, daß er ihm eine
Mühle in Grödig und jährlich sechs Hirsche bewilligte. Außerdem
verlangten die Domherren auch die Verleihung der besten, d. h. ein-
träglichsten Pfarren und Benefizien, damit sie lieber Residenz hielten, —
die Residenzpflicht betrug aber nur 21 Wochen und 5 Tage!
Das Kapitel hatte auch die niedere Gerichtsbarkeit über alle
seine Angehörigen und Grundholden; der Domdechant hatte sie aus-
zuüben, wobei ihm ein Domurbarrichter, später Kapitelsyndikus ge-
nannt, und ein Domschreiber zur Seite standen. Über die Unter-
tanen im Lungau richtete sein Pfleger in Mauterndorf, welche Stelle
ausnahmsweise auch ein Domherr innehatte. Über diese Gerichts-
barkeit wachte es ängstlich und beabsichtigte in einem bestimmten
Falle ihretwegen bei dem Konzile in Trient Vorstellungen zu machen.
Unter Michael wurde die Gerichtsbarkeit dahin festgestellt, daß sie
sich über alle Domherren, ihre verpflichteten Kapläne, Diener und
Ehehalten, auch alle Personen des Chors, deren Verlassenschaft, Habe
und Güter erstrecke; das Kapitel verlangte Freiung von dem erz-
bischöflichen Gerichte zwischen den zwei Toren in Dom- und Schul-
hof, auch allen seinen Häusern außerhalb dieses Bezirkes. Über die
Untertanen übte es alle Rechte einer Hofmark aus: Inventur bei
Todesfällen, Vormundschaftsbestellung, Siegelung der Rechtsurkunden,
Verfügung gemeiner Urbarialstrafen. Das Kapitel genoß natürlich
Steuerfreiheit, mußte aber zugeben, daß auch seine Urbarleute der
allgemeinen Steuer unterworfen wurden; doch hatten sie Befreiung
vom Robot außer für Schloßbauten oder bei Landesnot.
Für die Stellung des Kapitels zum Erzbischofe ist der Satz in
der Wahlkapitulation von 1560 bezeichnend: kein Domherr soll vom
Erzbischofe angehalten werden, ihm gegen das Kapitel direkt oder
indirekt Hilfe zu leisten. Wir dürfen daraus wohl schließen, daß sich
der jeweilige Erzbischof eine Partei im Kapitel zu sichern suchte, wo-
gegen dieses sich vorsehen wollte. Vielleicht hängt dies auch mit der
Entstehung der Kapitulationen zusammen. Sie wurden während der
Sedisvakanz von mehreren damit beauftragten Domherren entworfen, in
einer Kapitelversammlung geprüft und, falls sie angenommen wurden,
— 7 —
von allen Mitgliedern beschworen, gesiegelt und unterschrieben, also
auch von jenem, das aus der Wahl als Erzbischof hervorging. So-
fort nach der Wahl mußte dieses die Kapitulation unter seinem
Familiensiegel bestätigen und das Versprechen abgeben, es nach Ein-
treffen der päpstlichen Bestätigung nochmals unter dem erzbischöflichen
Siegel zu tun. So hatte jeder Erzbischof selbst mitgeholfen, sich an
Verpflichtungen zu binden, deren Erfüllung ihm schwer genug fiel,
namentlich die der finanziellen. Schon Ernst machte mit der An-
weisung der versprochenen 1000 Gulden Schwierigkeiten; die Dom-
herren hätten dafür gerne eine Domäne gehabt, der Administrator
ging darauf nicht ein, sondern sicherte sie ihnen durch eine Ver-
schreibung auf den Salzaufschlag. Johann Jakob verzögerte die Be-
stätigung und Herausgabe der Kapitulation, obwohl sie Papst Pius IV.
1561 anerkannte. Noch zwei Jahre nach der Wahl hatte er sie dem
Kapitel nicht übergeben, obwohl dieses sie öfter verlangte; er pro-
testierte vielmehr dagegen, „da sie ihm bei gemeiner Landschaft ver-
weislich sein könnte“. Im Jänner 1563 drang das Kapitel wieder auf
Herausgabe, im Juli d. J. beschloß es, daß täglich zwei Domherren
beim Erzbischofe persönlich darum anhalten sollten. Aber noch
immer erhielt es das Gewünschte nicht. Im März 1564 rügte der
Erzbischof schriftlich und mündlich durch seine Räte Dr. Sebastian
Höflinger und Christoph Perner die Domherren wegen ihres ungeist-
lichen Lebens. Das Kapitel nahm den Tadel mit dem Versprechen
der Besserung hin, protestierte aber zugleich gegen die Ausdehnung
der neuen Waldordnung auf die kapitelschen Gehölze, bat um neuer-
liche Zahlung der von den Erzbischöfen Ernst und Michael zugesagten
2000 Gulden und verlangte wieder die endliche Übergabe der be-
stätigten Kapitulation. Da der Erzbischof mit der Aushändigung noch
immer zögerte, beschlossen die Domherren, dem Kammersekretär
Löscher eine Belohnung zu versprechen, wenn er die Übergabe durch-
setze. Am 23. Jänner 1566 hatte das Kapitel durch ihn endlich sein
Ziel erreicht; es ‚„verehrte‘‘ dem Sekretär dafür 20, der Kanzlei
8 Taler. Georg von Kuenburg hatte schon bei seiner Wahl zum
Koadjutor eine Kapitulation unterzeichnet. Als er wirklich gewählt
worden war, protestierte er dagegen in einem ausführlichen Schreiben
an den Nuntius Ninguarda; sein Sekretär Dr. Fickler hatte es verfaßt.
Der Inhalt ist bemerkenswert. Zunächst erfahren wir, daß Georg beim
Kapitel nur um einen achttägigen Aufschub der Bestätigung ansuchte,
der ihm abgeschlagen wurde, da im Instrumente selbst die Bestätigung
binnen fünf Tagen und nach Besitznahme des Erzstuhles neuerdings
er ARE ne
unter dem erzbischöflichen Siegel vorgeschrieben war. Der weitere
Inhalt des Schreibens erklärt eine Inskription (d. i. ein anderer
Ausdruck für Wahlkapitulation) nach kanonischem und kaiscrlichem
Rechte als unverbindlich, wie überhaupt alle Verfügungen des Ka-
pitels bei Erledigung des Stuhles, falls der zukünftige Erzbischof
sie nicht ausdrücklich bestätige; ein von diesem auf die Kapitulation
geleisteter Eid sei von selbst wirkungslos. Dem Kapitel wird ge-
radezu vorgeworfen, gegen das allgemeine Beste von den Erz-
bischöfen Gelder herausgelockt oder eigentlich erpreßt zu haben.
Beachtenswert ist die Beschuldigung, es habe sich nach dem Tode
Michaels heimlich, ohne Zustimmung der Stände und des apostolischen
Stuhles einer Summe von 60000 Gulden bemächtigt; auch lasse es
beim Tode eines Erzbischofs jedem seiner Mitglieder aus dessen
Nachlaß 1000 Gulden auszahlen. Auch ihre hergebrachte Mitregierung
bis zum Eintreffen der Konfirmationsbulle sei ein Mißbrauch. Die
Dumbherren wollen, heißt es weiter, „daß der Erzbischof gleichsam
ihr Esel sei, dem sie an Lasten aufbürden, was sie wollen, den sie
hintreiben, wohin sie wollen“. Den Geldforderungen des Kapitels
gegenüber wird bemerkt, die Einkünfte des Stiftes seien so gering,
daß sich jährlich ein Defizit von mehreren tausend Gulden zeige; über
100000 Gulden Schulden müßten verzinst werden; die Beamten ver-
langten wegen der Teuerung der Lebensmittel höhere Besoldung; alle
Kosten für Visitationen in der weitausgedehnten Diözese lasteten auf
dem Erzbischof, ebenso die für das Seminar in der Hauptstadt und
das Konsistorium. Dazu kämen die Reichssteuern für die Türken-
kriege, die Beiträge zum Reichskammergericht, zum Landsberger Bund
and zum bayerischen Kreis. Die Güter in Österreich unterlägen noch
ımmer der Doppelbesteuerung !). Bauten für die Saline, die Berg-
werke und den Uferschutz der Salzach würden immer notwendiger,
besonders seit den großen Überschwemmungen von 1562 und 1567,
ebenso Schloßbauten, namentlich neue Gefängnisse bei den Pfleg-
gerichten, wozu die Bosheit der Menschen zwänge. Gar nicht er-
wähnen wolle man die Almosen an Einheimische und Fremde, wohl
aber müsse des Aufwandes bei Reisen des Erzbischofs zu Reichs-
und Kreistagen oder seiner Gesandten zu diesen gedacht werden. —
Sollten die Kapitularen übrigens beim Papste Beschwerde führen
wollen, möge dieser den Erzbischof zuerst hören. Die Kapitularen
1) Sie warden bei der Berechnung der Reichsbedürfnisse als Teile des Erzstifts
betrachtet, aber auch von den österreichischen Landesfürsten zu dem gleichen Zwecke
besteuert,
Gs Q ae
wollten selbst den Gottesdienst nur fördern, wenn es auf Kosten des
Erzbischofs gehe. Eine weitere Vermehrung des kapitelschen Ein-
kommens sei nicht nötig. Ein einfacher Kanonikus beziehe jährlich
700 Gulden ohne das Einkommen aus den Benefizien zu rechnen;
das sei für einen Müßiggänger genug. Früher, als auch schon Grafen
und Freiherren Kanonikate innegehabt hätten, hätte ein Domherr bei
beständiger Residenz mit 400 Gulden zufrieden sein müssen. — Was
dic Zuwendungen der Erzbischöfe an ihre Verwandten betreffe, so
stche nicht fest, daß solche auch in Zukunft gewährt würden, da jenes
weder vom Erzbischofe Michael behauptet werden könne, noch gegen-
wärtig geübt werde. Übrigens raubten die Kanoniker bei einem Tod-
falle des Erzbischofs, was die Verwandten nicht nähmen. Den Schluß
bildet die Bitte um Aufhebung der Kapitulation oder Enthebung von
der Würde. Es geschah weder das eine, noch das andere: Georg
mußte sich schließlich den Bedingungen der Kapitulation fügen. Nach
seinem Tode steigerten die Domherren noch ihre Ansprüche, bis
endlich der päpstliche Stuhl 1695 alle Wahlkapitulationen aufhob.
Das Kapitel hatte dem Erzbischofe Gehorsam und Reverenz zu
geloben. Für das Bewußtsein seiner Stellung ist bezeichnend, daß
es sich weigerte, dieses gegen Ernst von Bayern öffentlich zu tun,
sondern in seiner Sitzung vom 27. September 1540 beschloß, ihm
das Gelöbnis nur im geheimen vor einigen Räten abzulegen. Dabei
wird es auch in Zukunft geblieben sein. Nur eine Aufmerksamkeit
erwies es dem Oberhirten: es reichte ihm zu Neujahr eine Ehrung
von sechs „Goldkronen‘; der Dompropst hatte ihm jährlich am
Weihnachtsabende eine solche von vier Dukaten zu geben. Be-
= merkenswert ist, daß das Kapitel noch immer das Spolienrecht aus-
übte, indem es auf die Kleider des verstorbenen Erzbischofs Ansprüche
erhob. Die Verhandlungen über die Kleiderteilung zogen sich oft
lange hin und führten manchmal zu Mißhelligkeiten.
Die Stellen im Kapitel wurden von diesem selbst vergeben. Nur
hatten der Kaiser und der Erzbischof das Recht der „ersten Bitte“
(primae preces). Letzterer hatte auch die Befugnis, die in den päpst-
lichen Monaten erledigten und dem Papste zur Besetzung vorbehaltenen
Kanonikate zu verleihen. Alle anderen vergab das Kapitel mit Stimmen-
mehrheit. Häufig kommen Bitten um Kanonikate vor, selbst von den
höchsten Herrschaften, wie dem Kaiserhause und den pfründen-
hungrigen bayerischen Herzögen, deren Prinzen jeweilig Domherrn-
stellen innehatten. Exspektanzen erteilte das Kapitel jedoch nicht.
Der Aufzunehmende mußte ein Alter von wenigstens vierzehn Jahren
ai. JO a
haben; er führte bis zur wirklichen Verleihung von Sitz und Stimme
die Bezeichnung Domizellar. Seinen Adel mußte er durch Vorlage
einer Ahnentafel und deren Beschwörung durch adelige Landsleute
erweisen; in dieser Zeit begnügte man sich noch mit acht von Vater-
und Mutterscite adeligen Ahnen, die sogar nur dem Ritterstande an-
gehören durften. Die Bestimmung des Konstanzer Konzils, wonach
an jedem Domstifte einige Stellen Graduierten vorbehalten waren,
wurde in Salzburg vielleicht einige Zcit, aber keineswegs länger als
bis 1514 eingehalten. Nur einmal wurde von der Adeisprobe cine
Ausnahme gemacht; im Statute von 1531 wurde auf Ansuchen des
Kardinals Lang die Aufnahme von Mitgliedern seiner Familie ohne
solche festgesetzt. Der Domizellar hatte zunächst sein Präscenzjahr
zu leisten, worauf er gewöhnlich seine Studien an einer Universität
begann oder fortsetzte; erst wenn er das vierundzwanzigste Lebensjahr
vollendet und das Statutengeld bezahlt hatte, erhielt er Sitz und
Stimme im Kapitel und trat in den Genuß der vollen Präbende.
Das erreichte Alter wurde in ähnlicher Weise wie der Adel erwiesen.
Auch seine Würdenträger wählte das Kapitel selbst. Die erste
Dignität war die des Dompropstes, der einst, als das Kapitel im Ordens-
stande lebte, es allein nach außen vertrat. Er genoß schon damals
eine eigene Dotation, die nach der Umgestaltung des Kapitels unter
Lang bedeutend erhöht wurde. Jeder nceugewählte Dompropst hob
von seinen und den kapitelschen Grundholden eine Weihsteuer ein;
die Hälfte der eingegangenen Summe nach Abzug der an den päpst-
lichen Stuhl zu zahlenden Annaten gebührt jedoch dem Kapitel.
Die nächste Würde war die des Dechanten. Auch er erlangt: seine
Stelle durch Wahl, hatte eigene Dotation und hob beim Antritte des
Amtes, aber nur von seinen eigenen Urbarlsuten, eine Weihst:uer
ein; ferner genoß er die doppelte Präbende eines Priester-Domherrn,
wofür er aber doppelte Residenzzeit, 244 Tage, zu halten hatte. Andere
Ämter waren das des Oblaiars, des Kustos, des Scholastikus, des
Kantors und des Spitalmeisters. Die drei ersten bestanden sciion im
alten Domkapitel und behielten ihre Amtstätigkeit bei; die des Kantors
und Spitalmeisters wurden im XVII. Jahrhundert mit der Dechantei
vereinigt. Nur ein Amt, das der Anwaltschaft, d. h. der Vermögens-
verwaltung des Kapitels, wechselte unter den einzelnen Domherren
häufig. Die Einkünfte der einzelnen Stellen lassen sich nicht genau
feststellen; nach jenem oben angeführten Schreiben Georgs von
Kuenburg an Ninguarda betrug das Einkommen eines Dombertn, ohne
andere Benefizien zu rechnen, 700 Gulden. Sie bestanden außer in
Geld auch in Naturalien, Getreide, Wein, Fischen, Wildbret. Bei nicht
stimmberechtigten Domizellaren waren sie geringer, da die Präsenz-
gelder für Chor, Gottesdienste und Kapitelsitzungen wegfielen.
Das Kapitel erhielt nach der Säkularisation Statuten von Matthäus
1527 und erneuerte 1531; später behauptete es das Recht, sich solche
selbst zu geben oder die bestehenden zu ändern. Über seine Mit-
glieder besaß es die Disziplinargerichtsbarkeit. Strafen waren Ent-
ziehung der Präsenzgelder, teilweise oder gänzliche Einstellung der
Pfründenbezüge und Ausschließung. Ein Fall der letzten, schwersten
Strafe war die Absetzung des Dechanten Trautmannsdorf 1581. Die
Versammlungen der Domherren, die Kapitel, fanden anfangs im Chor
der Domkirche statt; erst 1545 erfahren wir vom Bau einer Kapitel-
stube. In der Regel wurde alle Woche eins abgehalten. Wichtige
Angelegenheiten wurden in sogenannten Percmptorialkapiteln behandelt,
wozu alle Domherren, auch die außerhalb Salzburgs lebenden, ein-
geladen wurden und bei Strafe ohne triftigen Grund nicht ausbleiben
durften. |
Der zweite Landstand war die Ritterschaft. Sie umfaßte 1494
noch 73 Familien, war aber 1592 bereits auf 29 gesunken und hatte
nicht so bedeutende Rechte wie anderwärts. Nur wenige Adelssitze
erfreuten sich der Hofmarksgerechtigkeit, d. h. der niederen Gerichts-
barkeit, so die der Inhaber der vier Erbämter, 1494 der Nußdorf,
Thurn, Alben und Wiesbach, 1592 anstatt der ausgestorbenen zwei
letzteren der Tannhausen und Kuen-Belasi, außerdem die der Törring
(bei Tittmoning) und der Überacker zu Sieghartstein (sö. Neumarkt).
Die Vorrechte des Adels in den Nachbarländern, namentlich in
Bayern, veranlaßten die salzburgisehen Landsleute bereits am ı9. Juli
1554, drei Tage nach der Resignation Ernsts, an das Domkapitel cine
Bittschrift zu richten, ihre Wünsche in die Wahlkapitulation aufzu-
nehmen. Diese waren Gewährung der gleichen Rechte und Privilegien,
wie sie der bayerische Adel genieße; Besetzung der Hofratsstellen
mit mehr Landsleuten als Doktoren und fremden Räten; Vorbehalt
der Stellen bei Hofe, der Pflegen und der Hauptmannschaft auf Hoben-
salzburg für Landsleute; ohne Erfüllung dieser Fo:derungen würden
sie die Huldigung nicht leisten. Das Kapitel gab nur zur Antwort,
der künftige Erzbischof werde jedenfalls ihre Beschwerden bedenken.
Erzbischof Michael machte der Ritterschaft erst im Dezember das
geringe Zugeständnis, daß er das Hauptschloß immer mit einem
Landsmann besetzen und von Landslcuten erkaufte Beutellehen in
Ritterlehen umwandeln werde. Alle anderen Forderungen überging
— 12 —
er mit Stillschweigen. Nach Michaels Tode wiederholte der Adel
seine Forderungen, aber auch diesmal umsonst, obwohl sich der
Prälatenstand mit ihm verbunden hatte, der besonders Schutz vor den
Angriffen der Pfleger und Landrichter auf seine Freiheiten erbat.
Johann Jakob trennte das Bündnis und bewog den Prälatenstand ihm
die Huldigung zu leisten, worauf er sich um die Wünsche des Adels
nicht weiter kümmerte. Es ist wohl als Beweis der geringen Festig-
keit dieses zu deuten, wenn beim feierlichen Einritte des Neugewählten
auch nicht einer der Edelleute fehite und sie am 18. Februar, dem
Tage danach, gegen das Versprechen, ihre Beschwerden auf einem
künftigen Landtage abzutun, huldigten. Als aber Johann Jakob sein
Versprechen nicht hielt und durch Ausstattung seiner Verwandten mit
Ämtern die Landsleute noch mehr erbitterte, verbanden sich die
Stände nochmals und überreichten ihm eine Beschwerdeschrift mit der
Drohung, im Falle der Nichtbeachtung den Rechtsweg beim kaiser-
lichen Hofrate beschreiten zu wollen. Daraufhin bewilligte der Fürst
dem Ritterstande die Inventur (Nachlaßaufnahme) seiner Grundholden
und die Siegelung der bezüglichen Urkunden ohne Beizichung der
landesfürstlichen Gerichte, die Aufstellung von Vormündern und die
Robotfreiheit für seine Untertanen, außer sie beträfen des Landes
Nutzen und Notwendigkeit. Damit ließ sich der Adel befriedigen.
Aber noch einmal trat er 1586 mit Forderungen auf, die er am
7. Oktober, dem Tage nach Georgs Eintritt, übergab. Sie betrafen
besonders die niedere Gerichtsbarkeit. Auf Anraten des Kapitels
verweigerte ihnen der Erzbischof diese in einer Entschließung, in der
er scine Gerichtshoheit scharf betonte, wogegen er die von seinem
Vorgänger bewilligten Rechte bestätigte. Das Schreiben datiert vom
17. Jänner 1587. Bereits am 25. Jänner verschied er. Sein Nach-
folger Wolf Dietrich (1587 — 1611) machte den Forderungen aler
Stände ein Ende.
War schon die Opposition der Prälaten und des Adels gegen die
fürstliche Selbstregierung ergebnislos, so konnte sie bei den Vertretern
der sechs Städte des Landes noch weniger auf Erfolg rechnen. Wir
hören denn auch nur einmal von einem schwachen Versuche. Die
Kraft des Bürgerstandes, besonders des eigentlich allein etwas be-
deutenden in der Hauptstadt, war seit dem Durchdringen der Gegen-
reformation gebrochen. So kam es, daß die Stände sich „, gehorsamst“
auf Befehl des Fürsten versammelten und, „um untertänigen Willen
zu erzeigen“, zu allen Geldforderungen ihre Zustimmung gaben;
höchstens wagten sie ein- oder andermal ihre Meinung unter dem
u I
Titel „eines ratsamen Bedenkens‘“ zu äußern. Sie besaßen nicht ein-
mal einen eigenen Ort der Zusammenkunft, keine Beamten, kein
Archiv: erst 1543 erboten sie sich, einen eigenen Schreiber zu halten.
Allgemeine Landtage fanden überhaupt nicht allzu häufig statt; meistens
wurde nur der Ausschuß berufen, bei wichtigen Sachen der große,
sonst der kleine. Im großen, schon 1525 erwähnt, saßen 4 Prälaten,
8 Edelleute und 4 Bürger, im kleinen 2 Prälaten, 4 Edelleute‘ und
ı Bürger. Wie sollten diese gegen die juristisch gebildeten, klugen
und ganz den Intentionen ihrer Herren ergebenen erzbischöflichen
Räte aufkommen? Sie konnten nur bewilligen und Geld herbeischaffen,
sonst waren sie einflußlos. Dies muß hier um so mehr bemerkt
werden, als man Wolf Dietrich aus der Nichteinberufung der Stände
den schwersten Vorwurf gemacht, Paris Lodron wegen der Wieder-
herstellung der Landschaft allzu großes Lob gespendet hat.
Das hauptsächlichste Regierungsorgan war auch in dieser Zeit
der Hofrat. Er behielt bis 1561 seine alte Zusammensetzung aus
geistlichen und weltlichen Räten. In diesem Jahre reorganisierte ihn
Johann Jakob und bestimmte das Amtspersonal: einen Kanzler und
einen Kanzleiverwalter als dessen Stellvertreter, einen Protonotar, einen
Sekretär, einen Gerichtsschreiber, einen Taxator und Registrator, sechs
bis sieben geschworene Schreiber, von denen mehrcre der lateinischen
Sprache mächtig sein sollen, und einen „Kanzleipueben“. Als stän-
dige Beisitzer werden der Hofrichter und der Marschall genannt. Dem
Bischofe von Chiemsee, dem Abte von St. Peter und anderen Prä-
laten, dem Domdechanten und den Domherren war es freigegeben,
im Hofrate zu erscheinen und ihre Stimmen auf die an sie kommende
Umfrage abzugeben. Der Protonotar versah auch das Amt eines
Lehenspropstes. Die Taxen mußten vierteljährlich bei der Kammer
verrechnet werden; die „JIrinkgelder‘ hatte der Taxator am Schlusse
des Jahres mit Vorwissen des Fürsten an die Schreiber je nach ihrer
Geschicklichkeit und ihrem Fleiße zu verteilen. Ihm lag auch die
Versorgung der Kanzlei mit Papier, Pergament, rotem und gelbem
Wachse, Hanf- oder Seidenschnüren und Siegelkapseln ob. Der Ge-
schäftskreis des Hofrates umfaßte mannigfaltige Gegenstände: alle geist-
lichen und weltlichen Lehenssachen; das Bergwesen, wozu der Kammer-
meister und andere im Bergfache erfahrene Räte zu berufen waren;
die Verwaltung im weiteren Sinne, z. B. die Evidenzhaltung aller
Privilegien, der erblichen Handwerke, Salzschenkungen an Klöster usw.;
er hatte alle schriftlichen Mandate, Patente, Befehle zu konzipieren,
dem Erzbischofe zur Approbation vorzulegen und zu veröffentlichen.
In Angelegenheiten der fürstlichen Kammer verstärkte er sich durch
den Kammermeister und Kammerräte. In Abwesenheit des Erzbischo‘'s
war er die eigentlich regierende Behörde, konnte alle Briefe aufmachen
und beantworten, Gesandte empfangen, im Falle der Not sogar den
Landtag einberufen; in solcher Zeit durften sich die Mitglieder des
Titels „Statthalter und Räte“ bedienen. Alle Angelegenheiten wurden
durch Umfrage erledigt, die der Marschall zu tun hatte. Der Hofrat
bildete zugleich die geheime Kanzlei für alle Staats- und Kabinetts-
geschäfte, namentlich die Reichs- und Kreistagsverhandlungen. Eine
bedeutende Vermehrung seiner Agenden erhielt er 1588 durch die
Übertragung der Revision der Urteile über schwere Verbrechen (Ma-
lefiızfällce); dadurch wurde die Wirksamkeit des Landeshauptmannes, wie
sie die „Ordnung der Hauptmannschaft‘‘ Matthäus Langs 1533 bestimmt
hatte, wesentlich eingeschränkt. Ob diese Vereinigung von Verwal-
tung und Justiz gerade einen Fortschritt bedeutete, mag dahingestellt
bleiben. Übrigens fand sie auch in den Pflegen statt, denen dazu
auch militärische Angelegenheiten oblagen. Bedeutsam ist die voll-
ständige Durchführung der peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V.
von 1532 im Eiızstifte seit 1576, die fortan ausschließlich Geltung
hatte. Ihre Beobachtung wurde nochmals am 17. Juni 1585 einge-
schärft, mit dem Befehle an alle Pfleger, sie den Gerichtsbeisitzern
und Fürsprechern (Prokuratoren) öfter vorzulesen. Denn die , Bank“
oder das „Stillrecht‘‘ wurde noch immer mit Bürgern oder Bauern
besetzt, die, wie in alter Zeit, das eigentliche Urteil auszusprechen
hatten. Durch den gleichen Befehl wurde den Rechtsprechern ver-
boten, Übeltäter zu begnadigen, selbst wenn diese lange im Gefängnisse
gesessen hätten, Weiber und Kinder für sie bäten, sie den Schaden
gutmachten und die „Atzung‘“ (Gefängniskost) sowie die Gerichtskosten
bezahlten. Statt wie nach der Verfügung von 1533 beim Hauptmanne,
war jetzt seit 1561 die Erlaubnis zur Vornahme der „peinlichen Frage“
von dem Pflegerichter beim Hofrate einzuholen. War über einen
Verbrecher das Todesurteil ausgesprochen, hatte dies ein eigener
Bannrichter zu verkünden, der jedoch kein Beamter war.
Die oberste Finanzstelle war das Kammermeisteramt oder die
Hofkammer. Ihre Ausbildung erlangte sie unter Erzbischof Matthäus.
Anstatt eines Geistlichen stand seit dieser Zeit ein Laie an ihrer Spitze;
daß der Domherr Georg von Kuenburg von 1570 bis zu seiner Wahl
zum Koadjutor als Kammermeister bestellt war, bildete eine Ausnahme.
Schon seit 1536 finden sich auch Kammerräte genannt, ebenso Taxa-
toren, Registratoren und Prokuratoren oder Advokaten. Die Geschäfte
Re ER O mr eo O- o um me
— 45.5
der Kammer umfaßten das ganze Gebiet des Finanzwesens mit Aus-
nahme der Münze. Die Haupteinnahmen des Stiftes bildeten wie
früher die Bergwerksprodukte, namentlich das Salz, während die Aus-
beute an Edelmetallen nach einem ganz bedeutenden Aufschwunge unter
der Regierung Ernsts wieder sank, die Steuern, die Mauten und Zölle
und die Urbargefälle der auf fürstlichem Grund und Boden sitzenden
Bauern. Die Höhe der gesamten Einnahmen zu bestimmen, ist kaum
schätzungsweise möglich. Sie dürfte sich etwa auf 300000 Taler be-
laufen haben. Über die Ausgaben liegen nur ganz zerstreute Notizen
vor; sie dürften oft genug die Einnahmen überstiegen haben, nament-
lich weil Staats- und Hofausgaben nicht geschieden waren. Über
Stantsschulden seit Matthäus Lang vernehmen wir manches; noch
Ernst klagte über das „verderbte Stift“; aus dem S. 7 angezo-
genen Schreiben Georg von Kuenburgs an Ninguarda erfahren wir,
daß um 1580 die Schulden 100000 Gulden betrugen; Georg mußte
es als „gewesener Kammermeister‘“ wohl wissen. Daß die Auslagen
für Reich, Kreis, Landsberger Bund usw. namhafte Summen erforderten,
werden 'wir ihm auch glauben, wenn sich gleich deren jedenfalls
wechselnde Höhe nicht angeben läßt. Doch konnten sparsame Erz-
bischöfe noch etwas „erhausen‘“, wie von Michael von Kuenburg ge-
meldet wird, der nicht nur keine neuen Schulden machte, sondern von
alten sogar 74812 Gulden zurückzahlte, für 18428 Gulden jährliche
Gülten zum Stifte ankaufte und einen Schatz von 10000 Gulden
sammelte. Wenn es wahr ist, was Georg von Kuenburg in dem
Briefe an Ninguarda behauptet, daß die Domherren aus dessen Nach-
laß sich 60000 Gulden angeeignet hätten, so muß er noch viel mehr,
als angegeben wird, erspart haben. Auch Johann Jakob vermochte
für das Stift Ankäufe zu machen; so erwarb er 1575 vom Kloster
Admont die Propstei Fritz und die Urbarämter Pongau und Lungau
für 38000 Gulden.
Über die Besteuerung der Untertanen erfahren wir zwar ziemlich
viel, aber es ist nicht recht möglich, das Erträgnis der Steuer zu be-
rechnen. Schon 1526 mußte die Landschaft wegen der Stellung von
1000 Mann zu Fuß als Türkenhilfe eine allgemeine Landsteuer aus-
schreiben, die auch Geistliche und Adel traf. Die Ansätze waren von
jedem Gulden „klaren“ Vermögens für Bürger 4, für Bauern 6 Pfennige;
für Prälaten und andere Grundherren 5, für den Ritterstand 10 Pfennige
von ihren Gülten auf den Gulden. Ausländische geistliche und welt-
liche Grundherren mußten von ihren Gülten den halben Teil zurück-
lassen. Von allen Pensionen war die Hälfte, von Einkünften der
= Jo
Pfarrer und Benefiziaten !j,, von Zünften und Kirchenbarschaft alles,
was über die notwendigste Unterhaltung entbehrt werden konnte, zu
steuern. Handwerker zahlten nach den Verhältnissen ihres Gewerbes
eine Erwerbssteuer, von Besoldungen hatte jeder Mann auf den Gul-
den 15, jedes Weib 8 Pfennige zu zahlen. Die Steuer in den Städten,
Märkten und auf dem Lande war als Eidsteuer zu betrachten, „weil
der Wert des liegenden und fahrenden Vermögens von den ernannten
Steuerherren (Einnehmern) von Gericht zu Gericht durch Aussage jedes
Individualinhabers nach vorher abgelegtem Eide erhoben wurde‘.
Der Betrag von ı Gulden 40 Kreuzern von je 100 Gulden Vermögen
in den Städten, von 2 Gulden 30 Kreuzern auf dem Lande mußte
je zur Ilälfte um Lichtmeß und Pfingsten erlegt werden. Im Falle
größeren Bedarfes sollte zwar der angenommene Steuerfuß bleiben,
aber durch höhere Einschätzung der Güter oder Verdoppelung der Steuer
der Ertrag erhöht werden. Bereits 1528 trat eine solche Verdoppe-
lung ein; 1529 und 1532 hatten von je 100 Gulden Einnahme die
Prälaten 30, die Ritter 20 Gulden, die Geistlichkeit überhaupt den
fünften Pfennig zu steuern; 1538 gab es wieder eine doppelte Eid-
steuer, wovon die eine Hälfte als Reichshilfe, die andere zur Schulden-
tilgung bestimmt war. Damals wurden auch die Güter neu nach ihrem
„wahren Werte“ eingeschätzt; der Eid der Bauern sollte nicht beachtet,
sondern jedes Gut zum Verkaufswerte angeschlagen werden; nur das
an Ausländer schuldige Kapital durfte abgezogen werden, nicht das
von Inländern entlehnte. 1548 wurde die Steuer mit 5 Pfennigen
auf den Gulden Vermögen in den Städten, mit 7 auf dem Lande
ausgeschrieben. In den Jahren 1555, 1565, 1569 und 1574 wurde
die doppelte Eidsteuer eingehoben, 1545, 1548, 155I und 1552
der „gemeine Pfennig“ als Türkenhilfe und zwar ı0 Pfennige von
100 Gulden Vermögen. Dann wurde bis 1583 keine neue Steuer
verlangt. In diesem Jahre bewilligte der Landtag eine solche; die
Einschätzung wurde den Olrtsobrigkeiten übertragen. Der Steuerfuß
von 1574 wurde zugrunde gelegt, dieser verdoppelt, davon ! ab-
gezogen und die zu zahlende Summe auf 5 Jahre verteilt, so daß bis
1588 3! einer einfachen Eidsteuer eingehoben wurde. Prälaten und
Ritter blieben diesmal von der Steuer frei. |
Das Kriegswesen hatte seit Errichtung der „Landfahne‘“ durch
Frzbischof Friedrich von Schaumburg 1494 nicht viele Änderungen
erfahren. Der Übung in den Waffen ist wohl auch die Stärke der
Bauernheere und ihre verhältnismäßige Ordnung in den Jahren
1525/26 zuzuschreiben. Nach den Bauernkriegen seheint die Land-
zo 47 ==
fahne zwar nicht aufgelassen worden zu sein, wohl aber wurden die
dazu Berufenen streng beaufsichtigt. Da es aber nie zu einer eigent-
lichen kriegerischen Verwicklung kam, läßt sich über ihren militärischen
Wert kaum ein Urteil fällen. Das ritterliche Aufgebot, das Erzbischof
Matthäus noch einmal, aber mit geringem Erfolge 1525 einberief,
hatte seine Rolle ausgespielt. An dessen Stelle war das Söldner-
heer getreten. Obwohl Salzburg öfter zu den Reichskriegen Truppen
stellen mußte, warb es solche doch lieber im Auslande, als unter
seinem Landvolke. DBezeichnend ist das Verbot des Erzbischofs
Michael von 1557 an seine Untertanen, sich zum kaiserlichen Kriegs-
dienst anwerben zu lassen. Die entlassenen Söldner waren ein
schwerer Schaden für die Untertanen, die von ihnen in der unver-
schämtesten Weise belästigt wurden, weshalb man mit den strengsten
Maßregeln gegen diese „gartierenden Knechte‘ vorging. Im Notfalle
warben die Erzbischöfe auch Söldner zur Besetzung der Schlösser und
der Grenzen, so 1525 und 1526 gegen die Bauern, 1543, als ein
Einfall der Schmalkaldener befürchtet wurde, 1564, als im Gebirge
wieder Unruhen entstanden. In solchen Zeiten wurden auch die
Schlösser auf ihre Wehrfähigkeit untersucht, ausgebessert, mit Munition
und Proviant versehen und Besatzungen anstatt der gewöhnlichen un-
kriegerischen Wächter hineingelegt. Nur Büchsenmeister, später Ar-
tilleristen genannt, hatte man in geringer Anzahl immer nötig. Die
Kanonen bezog man aus berühmten Gießereien. Johann Jakob wollte
eine Geschützgießerei und Pulverstampfe errichten, und zwar in der
Riedenburg (im Südwesten des Mönchsberges), was jedoch das Ka-
pitel wegen Schädigung der Fischerei im dort gelegenen, ihm ge-
hörigen Teiche nicht zuließ. Den Besatzungen im Hochschlosse und
in Werfen standen Hauptleute vor, die in Salzburg selbst freilich wenig
Kriegserfahrung erwerben konnten. Kriegsräte werden zuerst 1543 er-
wähnt; der Domdechant, vier Edelleute und ein Bürger hatten die Aus-
rüstung der militärischen Macht zu besorgen. Die Einrichtung scheint
später eingeschlummert zu sein. Am erzbischöflichen Hofe gab es
eine Leibgarde, die dem Kapitel überflüssig schien, weshalb es in
der Wahlkapitulation nach dem Tode Johann Jakobs deren Ab-
schaffung forderte.
Die Residenz, an der Stelle der heutigen stehend, war ein Kom-
plex der verschiedenartigsten Bauten aus allen Jahrhunderten, und
mag ein ganz eigenartiges Bild gewährt haben. Matthäus Lang soll
einen Neubau geplant haben, aber die in den Bauernkriegen arg
mitgenommenen Finanzen hielten ihn wohl von der Ausführung ab.
2
= 48: a
Doch baute ei einiges, so eine große „Türnitz“, worin man dreißig
Tische aufstellen konnte. Sein Nachfolger Ernst ließ zwei Säle cin-
wölben und den hölzernen Saal, wo die Kapläne ihre Wohnung
hatten, in eine große Stube umwandeln, wo er die Ratsstube und
die Kanzlei beieinander hatte und tagsüber meist zu weilen pflegte.
Zur Versorgung des Hofhaltes erweiterte er den Getreidekasten, baute
eine Pfisterei (Bäckerei), ein Bräuhaus und eine Schmiede mit Woh-
nungen für die Bediensteten. Im sog. Aschhofe errichtete er ein
„Pfaffenhaus“, d. h. Wohnungen für die Kapläne. Ein gleichzeitiger
Chronist weiß dazu noch folgendes zu melden: Er hat auch die
grossen und hochen raigerpaumb im hof all unbhauen und andere päm
auf tächer des hofs setzen lassen, damit der hof desto weiter und ge-
raumer werde. Dem Erzbischofe Michacl wird der Bau eines hohen
Turmes zugeschrieben, wo ein Wächter jede Viertelstunde eine Glocke
anschlagen mußte. Mit dieser Glocke wurde an Fastiagen zum Essen
geläutet, während sonst Trompeter die Zeit des Mahles ankündigten.
In der Residenz richtete er eine „goldene Stube“, ein „Herzog
Albrechten-Zimmer“, einen „Truckhsessen-Zimmer“ und eine Gesinde-
küche ein; dagegen ließ er wegen der Feuersgefahr Bräuhaus und
Schmiede abbrechen. Johann Jakob dürfte in der Residenz nicht viel
verändert haben; als Sommersitz erwarb er daß Schloß Rif bei Hallein,
wo er die letzten Lebensjahre verbrachte.
Der oberste Beamte am Hofe war der Hofmarschall. Das Amt
bekleideten gewöhnlich vornehme Adelige, so in den letzten Jahren
Ernsts, unter Michael und noch unter Johann Jakob (von 1542 bis
1561) Eustach von der Alben, aus dem Geschlechte der Erbtruchsessen
des Stiftes; mit ihm erlosch dieses alte Ministerialengeschlecht. Ihm
folgte Adam von Thurn; später wurde das Amt von den Erzbischöfen
meistens einem Verwandten übertragen. Ein sehr wichtiges Amt war
das des Küchenmeisters, denn am Hofe speiste eine große Anzahl von
Leuten. Unter ihm standen die Köche, die vornehmsten als „Mund-
und Meisterköche‘‘ bezeichnet, von denen sich einzelne einer gewissen
Berühmtheit erfreuten, so daß selbst Fürsten ihnen Lehrjungen schickten,
wie Herzog Eugen von Württemberg dem ‚„Kuchelmeister‘“ Ghristoph
Frankmann aus Brabant unter Erzbischof Johann Jakob. Für den
nötigen Vorrat an Lebensmitteln hatten „Zehrgadner‘“ (Aufseher der
Vorratskammer) und Kastner zu sorgen. Nicht minder bedeutend war
das Amt des Kellermeisters. Gar mancherlei Sorten edler Weine la-
gerten in den Kellern: kräftige Österreicher (Osterweine), leichte Neckar-,
süße italienische und herbe Ungarweine. Mit den süßen, aus Italien
PaRR 2
mO m et nd
er 9 von
gesäumten Weinen wurden ausländischen Fürsten mehrfach Ceschenke
gemacht. Über die Tafelgeräte und andere Kleinodien hatte schon
seit Matthäus ein Silberkämmerer die Obsorge. Allen diesen Hof-
bediensteten waren Schreiber, später Kontrolleure, unter Wolf Dietrich
italienisch als Scalcos bezeichnet, beigegeben. In den Zehrgaden wanderte
auch alles Wildbret, dessen Verbrauch bedeutend war. Die Jagd
wurde nicht bloß zum Vergnügen betrieben, sondern bildete eine ganz
unentbehrliche Naturaleinnahme. Daher finden wir schon unter Erz-
bischof Leonhard gut besoldete Jägermeister, denen zahlreiche Beamte
und Jäger unterstanden. Die strengen Jagdgesetze, namentlich Johann
Jakobs, müssen daher vom wirtschaftlichen Standpunkte aus beurteilt
werden, obschon sich nicht leugnen läßt, daß die Überzahl des Wildes,
namentlich der Wildschweine und Hirsche, der Landwirtschaft sehr
schädlich war. Bei der Menge der streng gehaltenen Fasttage widmete
man der Fischerei große Aufmerksamkeit; vielfach wurden auch von
auswärts Dörrfische und andere Fastenspeisen bezogen. Aus der
Tatsache, daß der Biber als Fastenspeise galt, erklärt sich die Vor-
sorge für dieses, sonst als Fischschädiger gefürchtete Tier. Zufällig liegt
vom Jahre 1573 eine Zusammenstellung der Ausgaben für den Hof
vor; sie betrugen 51712 Pfund Pfennige, d. i. etwa 250 Kilogramm
Silber; an Wein wurden 3787 Eimer verbraucht, an Bier 1365 Eimer.
An den zwei Mahlzeiten des Hofes nahmen im Durschnitte täglich 264
Personen teil. Unter diesen waren stets zahlreiche Gäste, sowohl
vornehme Herren als auch Gesinde.
Der Hofhalt der Erzbischöfe war also glänzend und freigebig; das
Kapitel suchte daher den Nachfolger Johann Jakobs zu größerer Ein-
fachheit anzuhalten, aber unter diesem trat gerade das Gegenteil ein.
Alle Pracht entwickelte man beim Empfange fremder Fürsten, so des
Herzogs Albrecht von Bayern zu Fastnacht 1558, oder des Erz-
herzogs Karl von Steiermark, der 1568 mit einem großen Gefolge
(nicht weniger als 750 Pferde waren nötig) hier erschien. Nachrichten
über solche Besuche verdanken wir manchen Aufschluß über das
Leben am Hofe und in der Stadt, so besonders den über den Auf-
enthalt des Prinzen Karl von Kleve 1574. Der Begleiter des Prinzen,
Stephan Pighius, weiß kaum genug Worte zu finden, um die Aus-
stattung der Residenz zu schildern; nicht minder bewundert er die
großartige Basilika St. Ruperts und die in Gold und Edelsteinen ge-
faßten Reliquien der salzburgischen Heiligen. Bei dem Besuche
Hohensalzburgs, das er wie die Stadt Juvavia von Attila zerstört wer-
den läßt, erregt der überaus feste Bau sein Staunen; das Innere darf
2%
Di: a
nach seiner Angabe nur in Begleitung des Fürsten oder mit dessen
schriftlicher Erlaubnis betreten werden. Besonderen Gefallen fand
Pighius an der Erzstatue vom Helenenberg (Adorant im kk. Hof-
museum in Wien), die er einer Statue des -Antinous in den vati-
kanischen Sammlungen vergleicht und deren Auffindung unter Mat-
thäus Lang er mitteilt. — Auch die vorzüglichsten Gebäude der
Stadt wurden besichtigt. Die Stadt selbst scheint auf den Reisenden
keinen besonderen Eindruck gemacht zu haben, wenigstens sagt er
davon nichts. Ihr Aussehen war wohl noch recht mittelalterlich.
Starke Mauern und düstere Tore umschlossen die Häuser, die sich
eng und hochgiebelig aneinander drängten. Breite Straßen und ge-
räumige Plätze fehlten noch. Der größte Platz war der Marktplatz
(heute Ludwig-Viktor-Piatz); ihn schmückte ein Brunnen aus Marmor,
den die Bürger 1583 mit einem zierlich bemalten und vergoldeten
Eisengitter umgeben ließen. Die meisten Gassen konnten zum Zwecke
der Verhütung von Aufläufen oder Störungen öffentlicher Festlichkeiten
mit Ketten abgesperrt werden. Noch standen in der Stadt adelige
‘ Freihöfe, wie die Häuser der Domherren, der Sufiraganbischöfe und
benachbarten Klöster oder der Ministerialengeschlechter, mit besonderen
Vorrechten begabt. In der Bürgerschaft machte sich schon der Sinn
für geschmackvolle Bauten mit malerischem Außenschmuck bemerkbar.
So wurde 1566 die Schranne und das Waghaus bemalt, das Stadt-
wappen mit wilden Männern als Schildhaltern angebracht und hier
wie am Rathause die Sonnenuhr erneucrt. Das domkapitelsche Haus
des Kanonikus Nikolaus von Trautmannsdorf erschien dem Rate als
unförmlich, spießegget und in keine richtige vierung gebracht, weswegen
ihm bei einem Umbau die Baulinie bestimmt wurde. Die Straßen
waren gepflastert. Als der Rat 1569 das Pflaster umlegen ließ, trugen
der Landesfürst, das Kapitel und die meisten Adeligen willig dazu
bei; nur einige der letzteren weigerten sich, worüber die Bürger auf
dem Landtage Klage erhoben. Auf die Sauberkeit der Gassen achtete
man, besonders aber auf die Reinigung der Kamine, da vielfach die
oberen Stockwerke der Häuser aus Holz waren. Auch in sanitärer
Hinsicht wurde manches Zweckdienliche veranlaßt, besonders in den
Jahren, da eine Volksseuche das Land heimsuchte. Da wurden die
Tore noch strenger als sonst bewacht, aus seuchenverdächtigen
Gegenden kommende Wanderer oder Waren nicht eingelassen, sogar
` die wichtigen Märkte, wie die Rupertidult im Herbste, abgesagt. Erz-
bischof Ernst erließ 1547 eine strenge Medizinal- und Stadtsäuberungs-
ördnung, in der das Absperrungssystem energisch zum Ausdrucke
P~ — m-
== If —
kam. Gleichzeitig wurden Pestärzte angestellt, die für ihren schweren
Dienst entsprechend entlohnt wurden. An Ärzten und Wundärzten
fehlte es in der Stadt und den größeren Orten schon in früherer Zeit
nicht. Seit Matthäus Lang kennen wir fast lückenlos die Reihe der
erzbischöflichen Leibärzte, die auch in der Stadt ihre Praxis ausübten.
Bereits 1547 erscheint ein eigener Stadtphysikus; 1555 sind schon
zwei Apotheken bezeugt, die sich öfteren Visitationen unterziehen
mußten. Für verarmte Bürger und Bürgersfrauen sorgte das 1327
gegründete, reich mit Einkünften ausgestattete Bürgerspital, für Unter-
bringung von Wallfahrern, Dienstboten und Stadtarmen überhaupt
das 1496 gegründete Bruderhaus. I:n gleichen Jahre entstand in
Wildbad Gastein das Armenbad als Stiftung des reichen Gewerken
Strochner. In Laufen sorgte für die Kranken das alte, 1500 re-
organisierte Schifferspital.e Auch in Mauterndorf, Talgau, Bruck im
Pinzgau und an anderen Orten bestanden Bruderhäuser. Übcrail gab
es Bäder. Nicht selten wurden in Testamenten für die Armen , Seel-
bäder‘“ angeordnet, d. h. unentgeltliche Benutzung des Bades an be-
stimmten Tagen gegen einen gestifteten Betrag; so tat es Matthäus
Lang in seinem Testamente von 1539. Wohltätigkeitsanstalten wurden
auch sonst von Bürgern häufig testamentarisch bedacht. Außerdem
bestand für die Stadtarmen, die auch von den Erzbischöfen, vielleicht
nicht ganz vernunftgemäß, reichlich mit Almosen beschenkt wurden,
ein Stadtarmensäckel, der anfangs auf zufällige Einnahmen angewiesen,
später durch Vermächtnisse einen nicht unbedeutenden Fonds gewann.
Die eigentlichen Stadtarmen erhielten schon 1537 ein eigenes Zeichen,
um sie von der Masse der hereinströmenden fremden Bettler zu
unterscheiden.
Noch herrschte unter den Bürgern der Hauptstadt ein gewisser
Wohlstand, obwohl die Gegenreformation viele der reicheren ver-
trieben hatte. Die Lebenslust äußerte sich auch hie und da etwas
zu laut, weshalb nicht selten bürgerliche Strafen über Trunkenbolde,
Verschwender oder liederlichen Lebenswandels Beschuldigte zu ver-
hängen waren. Quellen des Wohlstandes waren der noch immer
ergiebige Handel, besonders mit Venedig, für die vornehmeren, ein
geschütztes und stark beanspruchtes Gewerbe für die zünftigen Bürger.
Die Landesfürsten, die durch Mauten und Zölle aus einem regen
Handelsverkehre wesentliche materielle Vorteile zogen, ließen die
Pflege der Straßen nicht außer acht. Matthäus eröffnete die Fahr-
straße durch die Klanım nach Gastein und die längs der Mur von
Tamsweg nach Ramingstein an die steirische Grenze. Sehr verdient
u N
um den Straßenbau machte sich Johann Jakob; unter ihm wurde die
Straße durch den Paß Lueg von Golling bis Werfen, die von Werfen
durch die Fritz nach Radstadt, die Klammstraße nach Gastein und die
von St. Johann nach Großarl teils verbessert, teils neu erbaut; ganz
neu angelegt wurde eine Dammstraße von Bruck im Pinzgau nach Zell
am See. Zu den Straßenbauten gesellten sich Flußregulierungen, so
an der Salzach im oberen Pinzgau, wo das geringe Gefälle zu Sumpf-
bildungen führte, und an der Enns bei Radstadt, wo ähnliche Ver-
hältnisse herrschten. Johann Jakob begann sogar damit — mit den
Hilfsmitteln jener Zeit war der Plan seines Rates Christoph Perner
allerdings unausführbar —, die Salzach von Lend an schiffbar zu
machen. Man hatte mit Felssprengungen im Passe Lucg schon be-
gonnen, als der Tod Perners (1565) die Fortsetzung verhinderte. Lend
selbst war hervorgegangen aus der Anlage von zwei Holzrechen ‚‚an
der Hirschfurt““ 1533 durch Erzbischof Lang und eines Schmelzofens
durch Christoph Weitmoser und andere Gasteiner Gewerken.
Die Pfade über die Tauern waren immer, sogar im Winter, stark
besucht. Um den Verkehr zu crleichtern und den Weg auch bei
Schneefall offen zu halten, genossen Gasthäuser oder Bauernhöfe an
ihren Zugängen seitens der Regierung Unterstützungen an Getreide
oder Geld, die man als „Tauernpfründen“ bezeichnete. Solche Über-
gänge waren der Felber Tauern, der die nächste Verbindung von
Mittersill im Pinzgau mit Windischmatrei herstellte, und der Stubach-
Kalser Tauern, über den die Talbewohner sogar Salzhandcl trieben.
An beiden gab es Bauerngüter, die zur Offenhaltung des Weges und
zur Aufnahme armer Wanderer gegen eine solche Pfründe verpflichtet
waren. An der Nordseite des alten Weges über den Fuscher Tauern
genoß eine solche die „Schwaig in der Verlatten“, das heutige Fer-
leiten, die nach einem Urbar des XIV. Jahrhunderts an die Hot-
meisterei in Salzburg jährlich 600 Käse lieferte; ebenso die „Taferne
an der Sämerstraße‘‘ über den erst im XV. Jahrhundert infolge des
Bergbaues aufgekommenen Weg über den Rauriser oder Heiligen-
bluter Tauern. Am meisten befahren war der alte Römerweg über
den Radstädter Tauern, auf dessen Höhe schon früh eine Herberge,
1537 sogar zwei Wirtschaften, zu Obertauern (Wiesenegg) und Schaid-
berg, vorkommen. Die Straße von Radstadt bis auf die Tauernhöhe,
die Grenze zwischen Pongau und Lungau, unterhielt die landesfürstliche
Maut in Radstadt, die von der Grenze bis Mauterndorf das Domkapitel,
das auch aus seinem Kasten in Mauterndorf die Pfründe verabreichte.
Sogar der Wirt auf dem leichter zu überschreitenden Turn - Tauern
— 2B —
zwischen Mittersill und Kitzbühel und der von Ronach auf dem Über-
gange von Wald im Pinzgau nach dem tirolischen Gerlos erhielten
Unterstützungen.
Manche der erwähnten volkswirtschaftlichen Unternehmungen
waren auch, wie die Gewässerregulierungen, gewiß für den Bauernstand
von Nutzen, so daß er dazu ohne Widerrede seine Arbeitskräfte stellte.
Aber für sein materielles Wohl geschah eigentlich nichts; doch ver-
narbten die Wunden, die ihm die Aufstände von 1525 und die folgen-
den geschlagen hatten, allmählich, so daß er sich wirtschaftlich kräftigte.
Erzbischof Wolf Dietrich (1587—1612) konnte daher an dic Steuer-
kraft der Bauern wie der Bürger gesteigerte Anforderungen stellen
und erlangte dadurch die Mittel zu den großen Umgestaltungen, durch
die er das veraltete Staatswesen dem Bedürfnis der Zeit und seiner
Auffassung vom fürstlichen Berufe anpaßte.
Mitteilungen
Versammlungen. — Am 4. und 5. August hat in Breslau der
dreizehnte deutsche Archivtag unter zahlreicher Teilnahme stattgefunden,
und zwar unter dem Vorsitz bes Geh. Archivrats Meinardus.
An erster Stelle sprach Archivrat Bangert (Rudolstadt) über das
Fürstlich Schwarzburgische Archiv in Rudolstadt und schilderte
damit an einem lehrreichen Beispiele, unter welchen Schwierigkeiten ein staat-
liches Archiv sich im XIX. Jahrh. allmählich zu einer angemessenen Auf-
bewahrung und Ordnung durcharbeiten mußte. Die Grafen von Schwarz-
burg hatten 1357 nachweislich ein gemeinsames Archiv, aber 1417 trat eine
Teilung ein, und die gemeinsamen Urkunden wurden dem Stadtrat zu Erfurt
zur Aufbewahrung übergeben. Nunmehr gab es drei gesonderte Schwarz-
burgische Archive in Sondershausen, Arnstadt und Rudolstadt. Im
XVII. Jahrh. wurde letzteres von den Registratoren mitverwaltet, aber 1704
wird ein besonderer Archivarıus erwähnt, und im XVIII. Jahrh. gab die
Erwerbung der Fürstenwürde Anlaß zu fleißiger Archivforschung. Für
historische Zwecke wurde das Archiv erst seit 1814 verwertet, aber der
äußere Zustand war schlecht; eine Neuordnung wurde nur begonnen, jedoch
nicht durchgeführt, und die Inventarisation war nur summarisch. Ein Hilfs-
beamter hat sogar manches verkauft. Um die Mitte des XIX. Jahrh.
hat Hesse viel gearbeitet, aber auch das Archiv gewissermaßen als seinen
Privatbesitz betrachtet; er hat u. a. 16000 Urkundenabschriften aus fremden
Archiven gesammelt. Seit 1859 wurden Verhandlungen mit Sondershausen
wegen des Austauschs von Archivalien geführt, die jedoch ergebnislos blieben.
Als Anemüller ı867 die Verwaltung übernahm, wollte er eine Neuord-
nung durchführen, aber bei dem Mangel an Hilfskräften gelang das nicht;
war ja nicht einmal ein richtiger Arbeitsplatz für den Archivar vorhanden’!
Trotzdem hat er sich sehr verdient gemacht, insofern er u. a. Verlorenes
wieder fand und Ablieferungen aus den Archiven der Pfarrämter und Ge-
meindeverwaltungen bewirkte. Bangert trat ihm ı892 als Gehilfe zur
Seite, wurde 1894, wenn auch im Nebenamte, selbständig und wirkt seit
1906 nur als Archivar. Unter ihm wurde der Raum vermehrt, ein heiz-
bares Arbeitszimmer geschaffen und eine volle Neuordnung durchgeführt,
so daß nunmehr die Bestände in 17 Abteilungen zerfallen. Zu Grunde
gelegt wurde Löhers Einteilungsplan, da sich die Anwendung des Provenienz-
prinzips als unmöglich erwies. Die Archivalien sind in fünf Gewölben unter-
gebracht; ein Namenkatalog für Personen und Orte weist 100000 Namen
nach; von den 3000 Urkunden sind Regesten angefertigt und die darin
vorkommenden Namen besonders vezeichnet worden. Nunmehr sollen die
von Hesse gesammelten Urkundenabschriften ebenso behandelt werden. Be-
arbeitung baben die Schätze des Rudolstädter Archivs bisher nur wenig
erfahren.
Archivar Zivier (Pleß) sprach sodann über Oberschlesische
Archive und Oberschlesische Archivalien und gab damit einen
erwünschten Beitrag zur Pflege der sog. kleineren, d. h. der einer fach-
männischen Aufsicht entbehrenden Archive in Oberschlesien, d. h. im Re-
gierungsbezirke Oppeln mit Ausschluß des Landes Neiße. Eine Hauptstelle
für die Archivalien des Landes gibt es nicht, da mit der Aufteilung der
landesherrlichen Domänen auch die Urkunden geteilt wurden. Deshalb sollte
man den wertvollsten Besitz bei den Magnaten vermuten, aber dies bestätigt
sich nicht. Seit dem XVI. Jahrh. entstanden bei den königlichen Behörden
neue Akten, die zumeist in das Staatsarchiv Breslau gekommen sind; für das
XVIII und XIX. Jahrh. liegen viele Akten bei der Regierung in Oppeln und
den Landratsämtern, die ihr Material nur teilweise nach Breslau abgeben.
Wenn auch die Städte rasch polnisch geworden sind, so haben sich bei ihnen
doch auch manche ältere Reste erhalten: von den 34 Städten hat der Bericht-
erstatter die Archive von 18 untersucht. Ratibor besitzt 74 Pergament-
urkunden 1360ff., und alle älteren Privilegien (seit dem XIII. Jahrh.) sind durch
die Bestätigung Maximilians II. erhalten. Gleiwitz hat Schöffenbücher seit
dem Ende des XVI. Jahrh. und 50 Pergamenturkunden 1403 ff. Das voll-
ständigste Archiv aus vorpreußischer Zeit besitzt Beuthen. In Myslowitz
findet sich ein Stadtbuch von 1590, in Oppeln Urkunden 1327 ff. In den
Städten ist die Urkundensprache nacheinander Lateinisch, Deutsch, Tschechisch,
Polnisch und wieder Deutsch. Die Dorfkirchen haben wenig Archivalien,
aber wie Erfahrungen beweisen, sind gelegentliche Funde doch nicht aus-
geschlossen. Von den Magnaten besitzen viele überhaupt keine älteren
Akten, andere haben erst neuerdings mit deren Sammlung begonnen. Etwas
günstiger steht es mit den Herrschaften Slawentzitz und Koschentin; die gräf-
lichen Familien Haugwitz, Oppersdorff und Praschma besitzen bemerkenswerte
archivalische Schätze, aber die meisten und wertvollsten liegen in dem vom
Redner verwalteten Archive zu Pleg, das Urkunden 1237 ff., Briefe, Tage-
bücher, Landbücher, Akten über industrielle Unternehmen und Karten
1636 ff. enthält. Es ist aus vielen Teilen zusammengewachsen, und früher
waren die Bestände noch viel größer.
— 25 —
In der Aussprache wies Geh. Archivrat Meinardus auf die vielen
älteren Akten der Grundbuchämter hin, kam dann auf den vom Redner
nebenbei berührten Gedanken zu sprechen, den Regierungen möchten zur Ver-
waltung ihrer älteren Aktenbestände, die sich nicht gut an das Staatsarchiv
abgeben ließen, eigene Archivare beigegeben werden, und glaubte von einer
solchen Einrichtung abmahnen zu sollen. Geh. Archivrat Bailleu stellte dem
gegenüber fest, daß z. B. die Regierung zu Frankfurt a. O. einen solchen
Archivar habe, wenn auch keinen fachmännisch gebildeten, während Stadt-
archivar Wendt (Breslau) mitteilte, daß in Breslau die reponierte Registratur
der Stadt auch einem eigenen Beamten unterstehe.
Über die Benutzung der Archive durch Studierende zu
Dissertationszwecken berichteten Geh. Archivrat Bailleu (Berlin) und
Geh. Archivrat Grotefend (Schwerin) und beleuchteten die Mißstände,
die sich aus dem großen Andrange und daraus ergeben, daß der Lehrer
sich jetzt im Gegensatz zu früher nicht mehr die Mühe nimmt, sich selbst
mit dem Zustand der archivalischen Quellen vertraut zu machen, ehe er
einem Schüler ihre Bearbeitung empfiehlt So komme es, daß vielfach
nichts gefunden werde, zumal wenn der Stoff sehr verstreut ist. Und noch
schlimmer liege es, wenn gar zur Vermeidung des Aufenthaltes am Archiv-
sitze um Übersendung der Akten gebeten werde. Auch die Vorbildung der
Studenten für die Benutzung von Archivalien sei vielfach ungenügend. Als
Abhilfsmaßregel wurde vorgeschlagen, die akademischen Lehrer möchten
sich vorher mit den Archivvorständen in Verbindung setzen, damit die
Aufgabe mehr dem tatsächlichen Zustande der Quellen entspreche, und
überhaupt bei der Stellung von Aufgaben etwas vorsichtiger sein. Die Ur-
sache des Übels liege darin, daß man weniger genügsam sei als früher und
viel zu weitreichende Themen stelle.
Stadtarchivar Huyskens (Aachen) teilte auf Grund seiner Erfahrungen
die Anschauungen der Redner nicht. Bei ihm werde öfter gefragt, welche
Gegenstände sich etwa zur Bearbeitung eignen möchten, und gerade durch
Dissertationen würden dann Gebiete untersucht, an deren Bearbeitung sich
nicht leicht sonst jemand heranmache, aber natürlich sei eine gute Vorbil-
dung der Studenten unerläßlich. Archivdirektor Kaiser (Straßburg), der
zugleich akademischer Lehrer ist, bemerkte, ihm scheine es, als ob der Ein-
fiuß der Lehrer bei der Wahl des Dissertationsthemas überschätzt werde,
und wenn über die mangelnden Vorkenntnisse geklagt würde, so liege das
weniger an den Lehrern als daran, daß die hilfswissenschaftlichen Vor-
lesungen und Übungen zu wenig besucht würden. Privatdozent Laubert
(Breslau) bemerkte, an den kleineren Universitäten machten sich die Übel-
stände weniger fühlbar als an den großen, im übrigen sei die stärkere Be-
nutzung von Archivalien zu Dissertationen darin begründet, daß die Ge-
genstände aus der neueren Geschichte jetzt bevorzugt würden, und ersparte
den Archivaren den Vorwurf nicht, daß sie mehr Geheimniskrämerei trieben
als notwendig sei. Prof. Kaufmann (Breslau) verkannte die Berech-
tigung der vorgebrachten Klagen nicht, konnte jedoch ebensowenig eine
Schuld der Lehrer anerkennen, da sie unter dem starken Andrang der Stu-
dierenden zu leiden hätten und fast die Hälfte der letzteren für das Studium
ungeeignet sei.
=. I an
Nachdem für den ıgı5 stattfindenden internationalen Kongreß der
Archivare und Bibliothekare die Geh. Archivräte Bailleu und Grotefend
als Vertreter des Deutschen Archivtags in den vorbereitenden Ausschuß
gewählt worden waren, fand eine Besichtigung des Staatsarchivs und der veran-
stalteten Archivalienausstellung statt, die ein Vortrag des Archivdirektors
Meinardus einleitete.e An der Ausstellung hatten sich auch das Diözesan-
archiv und das Stadtarchiv beteiligt.
Im Anschluß daran führte Herr Apotheker Sauter in Schorndorf
(Württemberg) das von ihm erfundene Verfahren zur Rückfärbung
abgeblaßter und erloschener Schriftzeichen von Eisentinten
(Deutsches Reichspatent 255 448) praktisch vor.
Das Verfahren beruht auf der Rückwandlung der durch den Abbau
erloschenen Schriftzüge in eine dem ursprünglichen schwarzen Eisengallus-
Tintenstoff möglichst ähnliche Form. Diese Rückfärbung geschieht auf
direktem Wege durch nach neuartigem Verfahren fermentierte Gallussäure-Gerb-
säure-Lösungen, die in 2 ausgewerteten Stärken für Papiere und Pergamente
geliefert werden Nach vollendeter Umwandlung werden die jetzt wieder
schwarzen Schriftzüge mit einer Beize behandelt, durch welche die neu-
gebildeten Eisengallusverbindungen stabil und unlöslich gemacht werden.
Die ganze Arbeit nimmt höchstens !, bis !/, Stunde in Anspruch.
Nach einem Zeitraum von 8 Tagen können diese neugefärbten Schriftzüge
mit Wasser und Seife abgewaschen werden, ohne Schaden zu leiden (Gut-
achten des Laboratoriums im Kgl. Medizinalkollegium Stuttgart) Selbst
sehr verschmutzte Pergamente können auf diese Weise wieder gereinigt
werden.
Durch die Anwendung des Muco-Festigungsmittels werden brüchige Blätter
wieder fest, die Anwendung der Wachsstange gibt rauhen Pergamenten die
frühere Glätte und Weichheit wieder. Durch das Verfahren wird die Gefahr
des Tintenfraßes beseitigt: das den Tintenfraß bedingende freie schwefel-
säure Eisenoxyd wird durch diese Lösungen in schwarze unschädliche Eisen-
gallus-Verbindungen von ähnlicher Art übergeführt, wie sie in den ursprüng-
lichen Tinten enthalten waren.
Das Verfahren wurde unter der Kontrolle des Herrn Archivdirektors
von Schneider in Stuttgart ausgearbeitet; die bisherigen Arbeiten ergaben
ein durchaus günstiges Resultat sowohl hinsichtlich der Unschädlichkeit der
Lösungen für den Schreibstoff, als auch der Haltbarkeit der rückgefärbten
Schriftzüge: Proben, die vor 3 Jahren gemacht wurden, sind bis heute
tadellos fest und dunkel in Farbe der Schrift geblieben, es darf also weiterhin
lange Haltbarkeit erwartet werden
Die zweite Sitzung des Archivtags war zugleich eine solche der Haupt-
versammlung des Gesamtvereins, und über die in dieser Sitzung ge-
haltenen Vorträge über Archive und Bibliotheken (Archivar Loewe,
Breslau) und über Stadtbücher (Prof. Rehme, Halle a. S.) wird da-
her im Zusammenhange mit den übrigen Darbietungen der Gesamtvereins-
versammlung berichtet.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Dresden.
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.
Deutsche Geschichtsblätter
| Monatsschrift
Erforschung dentscher Vergangenheit anf landesgeschichtlicher Grundlage
XV. Band November 1913 2. Heft
Quellen und Literatur zur Geschichte des
Ordenslandes Preulsen ')
Von
Paul Ostwald (Berlin-Schmargendorf)
A. Quellen.
Für das Ordensland Preußen liegt eine Sammlung der schrift-
lichen Tradition in einem Werke vor, wie es an Vortrefflichkeit und
Erschöpfung des überlieferten Materials ein anderes Gebiet unseres
deutschen Vaterlandes wohl kaum aufzuweisen hat, in dem fünfbändigen
Sammelwerk:: Scriptores Rerum Prussicarum, Die Geschichtsquellen der
preußischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft; heraus-
gegeben von Theoyor Hirsch, Max Toeppen, Ernst Strehlke
(Leipzig 1861 fl.).
Die Herausgeber haben hier nicht nur die im Ordenslande ent-
standenen größeren Werke zusammengestellt, sondern sie haben in
den sogenannten Beilagen auch alle sonstigen Nachrichten über das
Ordensland zusammengetragen, die mittelalterliche Geschichtschreiber
bieten. Diese B.ilagen sind sachlich geordnet, d. h. sie sind den
Hauptquellen angegliedert, mit denen sie sich ihrem Inhalte oder
ihrer Form nach berühren, so z.B. bieten die Beilagen zu der Chronik
Peters von Dusburg andere mittelalterliche Nachrichten über die Grün-
dung des Ordens und seine Ankunft in Preußen; der Reimchronik
des Nikolaus von Jerrschin sind als Beilagen die Stellen aus anderen
deutschen und livländischen Dichtwerken beigefügt, die auf das Ordens-
land irgendwie Bezug haben. Jede Quelle ist von den Herausgebern
mit einer ausführlichen kritischen Einleitung versehen, “die den Be-
nutzer über das Notwendige unterrichtet, so über die Person des Ver-
1) Abkürzungen:
. W. G. = Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins.
. M. == Altpreußische Monatsschrift,
>N
3
— 28 —
fassers, über die von ihm benutzten Quellen, über die Tendenz des
Werkes, über die Wichtigkeit für einzelne Zeitabschnitte u. a.
‚Geordnet sind die Quellen chronologisch nach ihrem Inhalt, so
daß man von vornherein ungefähr abschätzen kann, in welchem Bande
wohl dieser oder jener Bericht zu suchen ist. Bd. ı enthält die Be-
richte über die Gründung des Ordens und seine Besitzergreifung von
Preußen bis in die Zeit um 1330; Bd. 2 reicht bis in das Ende des
XIV. Jahrhunderts und bietet neben der Chronik Wigands von Mar-
burg besonders livländische Überlieferungen und auf preußischem
Boden entstandene Heiligenlegenden; Bd. 3 ist mit seinen Quellen
wertvoll besonders für die letzten Jahrzehnte des XIV. und die ersten
Jahrzehnte des XV. Jahrhunderts; Bd. 4 enthält vor allem die Quellen
zu dem Preußischen Bunde, dem ı3jährigen Kriege dieses Bundes
gegen den Orden, Danziger Überlieferungen und Schriften des Äneas
Sylvius, die Preußen betreffen; Bd. 5 endlich bringt die Fortsetzungen
der Danziger Überlieferungen bis 1525 und die anderen bis zur Auf-
lösung des Ordens reichenden Berichte. Zur leichteren Übersicht ist
jeder Band mit einem genauen Inhaltsverzeichnis versehen, Bd. 2
und 5 enthalten außerdem alphabetische Namenverzeichnisse.
Für einen besonderen Teil des Ordenslandes, für das Bistum
Ermland, gibt es eine besondere Sammlung aller schriftlichen Tra-
dition über dieses Gebiet. Es ist das die zweite Abteilung der Mo-
numenta historiae Warmiensis, die Scriptores rerum Warmiensium,
herausgegeben von Carl Peter Woelky und Johann Martin Saage
(2 Bde., Braunsberg 1886, 1882). Alle das Bistum Ermland betreffen-
den schriftlichen Überlieferungen sind darin enthalten, auch die Ab-
schnitte solcher . Quellen, die in die SS. rerum Prussicarum auf-
genommen sind. Für alle das Bistum Ermland berührenden Fragen
ist also diese Sammlung heranzuziehen. Geringer sind natürlich die
hier gebotenen Quellen an Wert für die allgemeine Ordensgeschichte.
Zu nennen wären aus Bd. ı die Acta de interceptione castri Allenstein
und das Uhronicon de vitis Episcoporum Warmiensium von Johann
Plastwich. Beide Quellen bringen Berichte aus der Zeit des Auf-
standes gegen den Orden im XV. Jahrhundert. Vor allem ist die
Chronik wichtig, weil sie viele persönliche Erlebnisse aus der Zeit des:
Aufstandes bringt, und es von Interesse ist, zu erfahren, was des
Ordens gleichzeitige Gegner über ihn dachten; „die Chronik ist die
älteste uns erhaltene Stimme aus den feindlichen Reihen“.
Eine nicht unwichtige Quelle, gegründet auf Urkunden und Akten
vornehmlich, sowohl für die Geschichte der Stadt Thorn als auch für
— 29 —
die allgemeine Landesgeschichte ist die älteste Thorner Stadtchronik,
1350—1528 reichend, (Z. W. G., Heft 42, 1900), herausgegeben mit
Einleitung und Anmerkungen von R. Toeppen.
Heranzuziehen für die Ordensgeschichte wären als Quelle dann
noch polnische Geschichtschreiber, vor allem die Schriften des Kra-
kauer Domherrn Johannes Dlugosz. In seiner Erstlingsschrift Ban-
deria Prutenorum beschreibt er die von den Polen in der Schlacht
von Tannenberg und in anderen Schlachten gewonnenen Fahnen des
Ordens, in seiner Historia Poloniae, die bis etwa 1480 reicht, be-
leuchtet er von seinem polnischen Standpunkte aus die Kämpfe der
Polen mit dem Orden.
* k
*
Die älteste und immer nach grundlegende Urkundensamm-
lung ist Johannes Voigts Codex Diplomaticus Prussicus, 6 Bde.,
Königsberg 1836 fl. Die hierin enthaltenen Urkunden umfassen die
Jahre 1217 bis 1404. Bei der Auswahl blieben ausgeschlossen: ı) die
Urkunden, die Länder betreffen in einer Zeit, als diese noch nicht
zum Ordensland gehörten; 2) alle Urkunden, die nur den Orden an-
gingen. Den Urkunden sind nur zwei Notizen beigefügt, wo das Ori-
ginal zu finden ist, wo die Urkunde in Voigts Geschichte Preußens
Verwendung gefunden hat.
Für die Zeit bis 1309 ist Voigts Codex Diplomaticus Prussicus
jetzt überflüssig geworden, da wir in dem Preußischen Urkundenbuche
eine den heutigen Anforderungen entsprechende Urkundensammlung
besitzen. Dem Preußischen Urkundenbuche, herausgegeben von Philippi,
Wölky, Seraphim (Königsberg i. Pr. 1882 und 1909), lag ursprünglich
der Plan zugrunde, die Urkunden in zwei Abteilungen — einer poli-
tischen und einer kirchlichen — zu veröffentlichen. Der Plan ist auch
durchgeführt in dem von Philippi und Wölky bearbeiteten Teile bis
1257, in den nur politische Urkunden Aufnahme gefunden haben.
Auf Perlbachs Betreiben jedoch wurde die ungefähr nach einem Zwischen-
raum von 20 Jahren wieder aufgenommene Arbeit derart angelegt, daß
auch alle nichtpolitischen Urkunden in dem Werke enthalten sein
sollten. So enthält die zweite Hälfte des Preußischen Urkundenbuches
1257 bis 1309 und zwar im Gegensatz zu Voigt:
„ı. alle eigentlichen Urkunden aus dem Zeitraume 1257 bis 1309
inkl., und zwar in Regestenform, wenn sie bereits in einem
der neneren Preußischen Urkundenbücher gedruckt waren, wenn
das aber nicht der Fall war, in extenso,
8*%
u SB
2. die nichtpolitischen Urkunden, also in erster Reihe die Besitz-
und Verleihungsurkunden, wenn sie nicht in einem der neueren
Preußischen Urkundenbücher bereits gedruckt waren. War das
der Fall, so wurde selbst von einem Regest Abstand genommen ;
doch sind die Gründungsprivilegien der Städte und ebenso die
Privilegien der Klöster und ihre Konfirmationen kurz verzeichnet,
weil sie sich auf Faktoren von politischer Bedeutung im Leben
des Landes beziehen.“
So fehlt bedauerlicherweise dem ersten Bande die Einheit. Er
umfaßt die Urkunden von 1140 bis 1309, und alles, was zu ihrer
äußerlichen Beurteilung dienen kann, ist angegeben worden. Personen-
und Ortsverzeichnis, Wort- und Sachregister fehlen nicht.
Nach dem anfänglichen Plane sollten, wie wir sahen, im Preußi-
schen Urkundenbuche politische und kirchliche Urkunden in getrennten
Sammlungen herausgegeben werden. Von der geplanten Abteilung:
Urkunden der Bistümer, Kirchen und Klöster sind erschienen: Ur-
kundenbuch des Bistums Kulm, bearbeitet von Wölky (Danzig 1885
bis 1887) und Urkundenbuch des Bistums Samland, herausgegeben von
Wölky und Mendthal (Leipzig 1891 ff.). Von dem Urkundenbuche des
Bistums Culm kommt für unsere Zwecke nur Bd. ı (1243—1466) in
Betracht, von dem Urkundenbuche für das Bistum Samland eben-
- falls nur Bd. 1. Für die Herausgabe der Urkunden waren die gleichen
Gesichtspunkte maßgebend wie im politischen Teil.
Unabhängig von dem Unternehmen dieses Preußischen Urkunden-
buches hat Cramer ein Urkundenbuch zur Geschichte des vormaligen
Bistums Pomesanien herausgegeben im 15. bis 18. Heft der Zeitschrift
des historischen Vereins für den Reg.-Bezirk Marienwerder (Marien-
werder 1885—1887). Die Urkunden (1236—1588) sind mit den nötigen
Anmerkungen über vorkommende Orts- und Personennamen versehen.
In einem Anhang folgt eine „Beschreibung der auf das vormalige
Bistum Pomesanien Bezug habenden Siegel und Wappen und deren
Abbildung“ (auf 5 Tafeln). ı. Siegel der Bischöfe. 2. Die Siegel
des Kapitels, des Probstes, des bischöflichen Voigts, des Kapitelvoigts,
das Wappen und Banner des Bistums Pomesanien. 3. Die Siegel der
sechs Städte des Bistums: Marienwerder, Riesenburg, Rosenberg, Garn-
see, Bischofswerder, Freistadt. 4. Siegel einiger adeliger Familien,
welche zur Ordenszeit im Bistum ansässig waren.
Ein mit dem Preußischen Urkundenbuche ebensowenig zusammen-
hängendes Werk ist der Codex Diplomaticus Warmiensis oder Regesten
ie do we
und Urkunden zur Geschichle Ermlands, gesammelt und im Namen
des historischen Vereins für Ermland herausgegeben von Wölky und
Saage (I. Abteilung der Monumenta historiae Warmiensis, 3 Bde.,
Mainz, Braunsberg, Leipzig 1864, 1872, 1874). Bd. ı Urkunden bis
1340; Bd. 2 Urkunden bis 1375; Bd. 3 Urkunden bis 1424. Bd. 2
und 3 enthalten zu den ersten beiden Bänden Nachträge. Die Urkunden
sind mit den notwendigen Anmerkungen versehen, jeder Band hat ein
Personen- und Ortsregister.
Wenig in Betracht kommen für unsere Zeit die Urkunden zur
Geschichte des ehemaligen Hauptamtes Insterburg, herausgegeben von
Kiewning und Lukal (Insterburg 1895). Von 1376 bis 1525 sind
nur 27 Urkunden erhalten, hauptsächlich über Verleihungen von Land
und Inventaraufnahmen handelnd. Eine andere, städtische Urkunden-
sammlung hat dagegen eine größere Bedeutung. Mendthal: Ur-
kundenbuch der Stadt Königsberg, 1256—1410 (Königsberg 1910).
Wichtig für die ersten Jahrzehnte des Ordens in Preußen und
dann vor allem für die Einverleibung Pommerellens in den Ordensstaat
ist das von Perlbach herausgegebene Pommerellische Urkundenbuch
(Danzig 1882). Das Urkundenbuch umfaßt die Jahre 1140 bis 1310,
es weist die für das Verständnis der Urkunden notwendigen Anmer-
kungen sowie ein Personen- und Ortsverzeichnis auf.
Einem vielfachen Wunsche folgend versuchte Perlbach ein preu-
Bisches Regestenwerk zu schaffen und gab als ermunterndes Beispiel
selbst die chronologisch geordneten Urkundenauszüge bis 1300 heraus
unter dem Titel: Preußische Regesten (Königsberg i. Pr. 1876). Eine
Fortsetzung hat das Werk aber nicht erfahren und ist durch die
Herausgabe des Neuen Preußischen Urkundenbuches natürlich überholt.
Neben den eigentlichen Urkundensammlungen sind als wichtigste
Quelle besonders für die Handels- und Wirtschaftsgeschichte zu be-
trachten die Alten der Ständetage Preußens unter der Herrschaft des
deutschen Ordens, herausgegeben von M. Toeppen, 5 Bde. (Leipzig
1878—1886) In den sogenannten Rückblicken auf bestimmte Zeit-
abschnitte gibt der Herausgeber eine kurze orientierende Übersicht
über die auf den Land- und Städtetagen behandelten Gegenstände,
über den Verlauf der Verhandlungen usw.
Infolge der streng einheitlich im Lande durchgeführten Verwal-
tung gewinnen die uns erhaltenen städtischen Willküren und Ratsakten
eine Bedeutung nicht nur für die bestimmte Stadt, sondern für das
ganze Land, vor allem in den Fragen der Wirtschaft und des Rechts.
Bei Go ze
Als wichtige Quellen sind deshalb anzuführen: Die ältesten Willküren
der Neustadt Thorn, herausgegeben von G. Bender (Z. W. G. VII);
Eine Danziger Willkür aus der Ordenszeit, herausgegeben von
O. Günther (Z. W. G. 48). Die Thorner Denkwürdigkeiten, heraus-
gegeben von Albert Voigt in den Mitteilungen des Koppernikusvereins,
Heft 13 (Thorn 1904) sind Ratsbeschlüsse des Thorner Rats aus den
Jahren 1345—1547.
B. Literatur.
Bezüglich der Literatur über die schriftliche Tradition ist im all-
gemeinen auf die von den Herausgebern den einzelnen Quellen voraus-
geschickten Einleitungen zu verweisen. Eine Arbeit über die preußi-
schen Geschichtschreiber des Mittelalters im Zusammenhange bietet
Toeppens Geschichte der preußischen Historiographie von Peter Dus-
burg bis auf Caspar Schütz, oder Nachweisung und Kritik der gedruckten
und ungedruckten Chroniken zur Geschichte Preußens unter der Herr-
schaft des Deutschen Ordens (Berlin 1853). Die Arbeit ist heute noch
grundlegend, aber in manchem doch veraltet.
Auf Grund der in den SS. rer. Pruss. von den Herausgebern den
Quellen vorangeschickten Untersuchungen und auf Grund von Toep-
pens Preußischer Historiographie vor allem gibt O. Lorenz in seinem
bekannten Werk Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter seit der
Mitte des XIII. Jahrhunderts (Berlin 1887) im 2. Bde., S. 197 fl.
eine kurze orientierende kritische Übersicht über die in den SS. rer.
Pruss. enthaltenen preußischen Geschichtschreiber. Diese Abschnitte
sind wegen ihrer ausführlichen Literaturangaben in den Anmerkungen
sehr wertvoll.
Eine kurze Übersicht über die wichtigsten, in den SS. rer. Pruss.
enthaltenen Quellen mit den Angaben der Jahre, die sie umfassen,
bietet der Grundriß der Geschichtswissenschaft (Bd. ı, Leipzig 1906,
S. 541—542).
Über einzelne Quellen liegen neuere Untersuchungen vor, die
unbedingt heranzuziehen sind. Es sind das:
1) Max Toeppen: Die Elbinger Geschichtschreiber und Geschichts-
forscher (Z. W. G. 32).
2) Paul Gehrke: Das Ebert Ferberbuch und seine Bedeutung für
die Dangiger Tradition der Ordensgeschichte. Ein Beitrag zur
Quellenkritik der preuß. Landeschroniken (Z. W. G. 31).
3) Fuchs: Peter v. Dusburg und das Chronikon Oliviense (A. M.
21. 1884).
ss J9 a
4) M. Perlbach in seinen Preußisch- Polnischen Studien gur Ge-
schichte des Mittelalters, Heft 2 (Halle 1886).
a) Die großpolnischen Annalen.
b) Die ältesten preußischen Annalen.
c) Zu Peter von Dusburg.
5) M. Perlbach: Der alte preußische Chronist in der Chronik von
Oliva und Entgegnungen (A. M. 32, 1884).
6) M. Peribach: Der Übersetzer des Wigand von Marburg (A. M.
32, 1895).
7) Für Dlugosz und andere polnische Schriftsteller findet man in
der gründlichen und trefflichen Arbeit von Heinrich Zeißberg:
Die polnische Geschichtschreibung des Mittelalters (Leipzig 1873)
alles Notwendige.
Als Ergänzungen zu den Ausgaben der Urkundenbücher sind an-
zuführen :
1) Max Perlbach: Preußisch-Polnische Studien zur Geschichte PR
Mittelalters, Heft 1; Heft 2 (Halle 1886). Diese Studien ent-
halten eine Kritik der 24 ältesten preußischen Urkunden, Re-
gesten der Urkunden Herzog Konrads von Masowien und seiner
Söhne und eine Arbeit über das Urkundenwesen Herzog Mest-
wins II. von Pommerellen (Heft 2).
2) Max Perlbach: Die Erschließung der Geschichtsquellen des preu-
Sischen Ordensstaates (Z. W. G. 47).
3) Max Perlbach: Preußische Urkunden in polnischen und eng-
lischen Archiven (A. M. 18, 1881).
4) Paul Simson: Geschichte der Danziger Willkür in: Quellen und
Darstellungen zur Geschichte Westpreußens (Danzig 1904).
Für den Orden an sich sind wir hinsichtlich der Darstellungen
noch immer angewiesen auf das Werk von Johannes Voigt: Ge-
schichte des Deutschen‘ Ritterordens in seinen 12 Balleien in Deutsch-
land (2 Bde. Berlin 1857—59).
Die Arbeit von Pflugk-Harttung: Der Johanniter- und der
Deutsche Orden im Kampfe Ludwigs des Bayern mit der Kurie (Leipzig
1905) untersucht vor allem die Stellung des Ordens dem Kaiser und
dem Papste gegenüber bis 1350.
Für die Vereinigung des Schwertbrüderordens mit dem Deutschen
Orden kommt in Betracht F. G. von Bunge: Der Orden der Schwert-
brüder (Leipzig 1875).
— 34 —
Im übrigen sind wir auf einzelne Aufsätze angewiesen, vor allem:
A. von Mülverstedt: Die Beamten und Komventsmitglieder in den
Verwaltungsdistrikten des Deutschen Ordens innerhalb des Regie-
rungsbezirkes Danzig (Z. W. G. 25).
. innerhalb des Regierungsbezirkes Marienwerder (Mittlg. d. histor.
Vereins zu Marienwerder, Heft 8, 9, 10).
. innerhalb Masurens (Mittlg. der Literarischen Gesellschaft
Masovia Bd. 6, 1900).
Diese Arbeiten — an sich trockene Aufzählungen der einzelnen
Beamten der Komtureien, Vogteien, Pflegen — sind deshalb recht
wertvoll, weil sie uns über die Heimat der einzelnen Beamten be-
lehren und wir dadurch die Spuren verfolgen können, die sie als
Eigentümlichkeit ihrer Heimat in die neue Welt mitbrachten.
Eine Ergänzung dazu bildet Toeppen: Historisch - komparative
Geographie Preußens (Gotha 1858).
Die Stellung des Hochmeisters zu Papst und Kaiser beleuchtet
eine erst kürzlich erschienene Arbeit:
Werminghoff: Der Hochmeister des deutschen Ordens und das
Reich bis 1525 (Hist. Ztschr. Bd. 110, 473—518). `
Für einzelne Hochmeister und ihre Politik kommen in Betracht:
Woltmann: Winrich von Kniprode und seine nordische Politik
(Dissertation Berlin 1901).
Ernst Lampe: Beiträge zur Geschichte Heinrichs von Plauen. 1411
bis 1413 (Z. W. G. 1889. Heft 26) Lampe bekämpft die An-
sicht Voigts, daß Heinrich von Plauen den Krieg gewollt habe.
Über die Kriegführung des Ordens endlich unterrichten die Unter-
suchungen von Bujak: Zur Bewaffnung und Kriegführung der Ritter
des Deutschen Ordens, in den Sitzungsberichten der Altertumsgesell-
schaft Prussia 44 (1887/88) und die Arbeit desselben: Das Söldner-
wesen des Deutschen Ordens bis 1466 in der Zeitschrift für preuß.
Geschichte, Bd. 4 (1862).
Da natürlich mit der Geschichte des Ordenslandes die des Ordens
eng verknüpft ist, so sind’ auch die folgenden Werke und Aufsätze,
die vornehmlich das Land, seine Verwaltung, seine Wirtschaft usw.
in den Vordergrund rücken, für die Geschichte des Ordens an sich
heranzuziehen.
Das grundlegende Werk über das Ordensland Preußen verdanken
wir auch hier wieder Johannes Voigt. Es ist seine Geschichte Preu-
= Br a
Pens von den ältesten Zeiten bis sum Untergang der Herrschaft des
Deutschen Ordens, 9. Bd. (Königsberg 1827—39).
Die von Lohmeyer begonnene und in dritter Auflage von
Krollmann bearbeitete Geschichte von Ost- und Westpreußen (Gotha
1908) reicht gegenwärtig nur bis 1411.
Für die Geschichte des Handels und der Gewerbe kommt als
einziges größeres Werk noch heute in Betracht: Theodor Hirsch:
Handels- und Gewerbsgeschichte Danzigs unter der Herrschaft des Deut-
schen Ordens (Leipzig 1858). Wenn auch, wie der Titel des Buches
es sagt, Danzigs Verhältnisse im Vordergrund stehen, so geht Hirsch
auf diese doch nur im Rahmen der allgemein preußischen ein. Buch 1:
Die allgemeinen Grundlagen des gewerblichen Lebens; Buch Il: Der
Großhandel. In den Beilagen zum 2. Buch sind einige Handelsverträge
veröffentlicht. Buch III: Die Gewerbe. Die Beilagen zum 3. Buch
enthalten die Rollen einiger Danziger Handwerkerämter.
Für die Ordensbauten besitzen wir vorzügliche Arbeiten von
C. Steinbrecht; sie sind auch mit vielen Abbildungen versehen,
wie es ja für das Verständnis nur notwendig ist.
C. Steinbrecht: Die Baukunst des Deutsch- Ritterordens in Preußen
(Berlin 1885, 1888), zerfällt in zwei Teile:
I. Thorn im Mittelalter.
II. Preußen zur Zeit der Landmeister. Beiträge zur Baukunst
des Deutschen Ritterordens.
M. Toeppen, Zur Baugeschichte der Ordens- und Bischofsschlösser
in Preußen (Z. W. G. ı) bietet Nachrichten, die auch für die
politische Geschichte wichtig sind.
Heranzuziehen sind natürlich die Geschichtswerke über die Länder,
mit denen der Orden irgendwie in Berührung gekommen ist. Zu
nennen wären vor allem:
1) Roepell-Caro: Geschichte Polens (Bd. 1. Hamburg 1840; Bd.
2—5. Gotha 1863—86).
2) M. Wehrmann: Geschichte von Pommern (2 Bde. Gotha 1902
bis 1904).
3) E. Seraphim: Geschichte von Livland (Bd. 1. Gotha 1906;
nur bis 1582).
Damit sind die größeren Werke erschöpft, aber es ist eine große
Reihe von Aufsätzen und Abhandlungen vorhanden, die auf alle wich-
tigen Fragen eingehen. So beleuchtet H. v. Treitschke: Das
Deutsch- Ordensland Preußen in den Historisch-politischen Aufsätzen
(Leipzig 1861).
Mit der Gründung des Ordensstaates in Preußen beschäftigen sich:
Watterich: Die Gründung des Deutschen Ordens in Preußen
(Leipzig 1857).
Rethwisch: Die Berufung des Deutschen Ordens gegen die en
(Berlin 1868, Dissertation Göttingen) und
Lohmeyer: Die Berufung des Deutschen Ordens nach Preußen
(Zeitschr. für preuß. Geschichte Bd. 8, 1871, wieder abgedruckt
in des Verfassers gesammelten Aufsätzen Zur altpreußischen Ge-
schichte [Gotha 1907], S. 93—117).
Die Stände im Ordensstaat behandelten
Wichert: Die politischen Stände Preußens (A. M. 5) und
Toeppen: Der Deutsche Orden und die Stände Preußens (Histo-
rische Zeitschrift 46), aber beide Arbeiten sind überholt von
Werminghoff: Der Deutsche Orden und die Stände in Preußen
(Pfingstblätter des Hansischen Geschichtsvereins 1912).
Mit den Städten befaßt sich Wermbter: Die Verfassung der
Städte im Ordenslande Preußen (Z. W. G. 13), aber es ist, im Gegen-
satz zu den von Wermbter vertretenen Anschauungen, bei genauerem
Zusehen von einer Einheitlichkeit der Stadtverwaltung die Rede, wie wir
= ihr in anderen Territorien nicht begegnen.
Den Anteil des Ordenslandes an dem hansischen Handel be-
leuchtet vorzüglich R. Fischer: Königsberg als Hansestadt (A. M. 41.
1904), vor allem die Beteiligung der einzelnen Städte und die Pfund-
zollangelegenheit. Für den Hansahandel wären weiter zu nennen:
Karl Koppmann: Die Preußisch-Englischen Beziehungen der Hansa
1375—1408 (Hansische Geschichtsblätter 1833).
C. Sattler: Die Hansa und der Deutsche Orden bis zu dessen Ver-
fall (Hansische Geschichtsbl. 1882).
Auf die Beteiligung des Ordens sclbst am Handel und die Folgen
geht die Untersuchung von C. Sattler: Der Handel des Deeutschen
Ordens in Preußen zur Zeit seiner Blüte (Hansische Geschichtsbl. 1877)
ein. Die von ihm herausgegebenen Handelsrechnungen des Deutschen
Ordens (Leipzig 1887) sind hier heranzuziehen und ebenso seine Be-
richte (ebenfalls in den Hansischen Geschichtsbl. 1877) über zwei
weitere Rechnungsbücher des Großschössers von Marienburg.
Zi SIT in
Für den Landhandel ist grundlegend die vorzügliche Arbeit von
Oesterreich: Die Handelsbesiehungen der Stadt Thorn su Polen
1232 —1454 (Z. W. G. 28; 1890). Für die Benachteiliguug des hei-
mischen Handels durch fremde Konkurrenz und den geringen Schutz,
den der Orden seinen Untertanen dagegen gewährte, liefert einen
Beitrag Ostwald: Nürnberger Kaufleute im Lande des Deutschens
Ordens (Deutsche Geschichtsblätter Bd. 14).
Derselbe weist in der Arbeit Das Handwerk unter dem Deutschen
Orden (Z. W. G. 55, 1913) im Gegensatz zu Hirsch nach, daß es sich
im Ordenslande nur um Ämterorganisationen, nicht um Zünfte handelt.
In einem Anhang sind die Nachrichten über die Meisterstücke zu-
sammengestellt.
Die Beziehungen des Ordens zu den Bistümern beleuchten Paul
Reh: Das Verhältnis des Deutschen Ordens zu den preußischen Bischöfen
im XIIL Jahrhundert (Z. W. G. 35) und Froelich: Das Bistum
Kulm und der Deutsche Orden, ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte
des Deutsch-Ordensstaates (Z. W. G. 27. 1889).
Als bemerkenswerte Aufsätze über besondere Verhältnisse seien
noch genannt: Toeppen: Die Zinsverfassung Preußens unter der
Herrschaft des preußischen Ordens (Zeitschr. f. preuß. Geschichts- und
Landeskunde 1867) und Babenderade: Nachrichtendienst und Reise-
verkehr des Deutschen Ordens um 1400 (A. M. Bd. 50. 1913).
Fast völlig fehlen leider genauere Untersuchungen auf dem Gebiete
des Rechtswesens. Vereinzelt steht da Toeppen: Mitteilungen zur
preußischen Rechtsgeschichte (A.M. ı2. 1875).
Bei den Geschichten der Städte sind wir im allgemeinen auf
ältere Werke angewiesen. Nur über einige bestehen brauchbare mo-
derne Arbeiten.
Paul Simson: Geschichte der Stadt Danzig (Danzig 1903). Der
Verfasser wollte eine kurze und durchaus nicht rein wissenschaftliche
Arbeit liefern. Für unsere Zeit kommen nur die ersten 36 Seiten
in Betracht. Noch populärer gehalten ist Pawlowski: Geschichte der
Provinsial- Hauptstadt Danzig von den ältesten Zeiten bis zur Säkular-
feier ihrer Vereinigung mit Preußen 1893 (Danzig 1891).
Besser steht es mit Königsberg. Hier verfügen wir wirklich über
eine vorzügliche wissenschaftliche Arbeit in R. Arnstedt: Geschichte
der Stadt Königsberg (Stuttgart 1899).
Für Thorn, Elbing, Marienburg liegen nur ältere Stadt-
geschichten vor, nämlich Wernicke: Geschichte der Stadt Thorn
(Bd. ı. Thorn 1823), Voigt: Geschichte der Stadt Marienburg (Königs-
= Bg -n
berg 1824), M. G. Fuchs: Die Beschreibung der Stadt Elbing und
ihres Gebietes in topographischer, geschichtlicher und statistischer Hin-
sicht (Elbing 1818—32. 3 Bde.) und E. Rhode: Der Elbinger Kreis
in topographischer, historischer und statistischer Hinsicht (Elbing 1810).
Die Arbeiten von Wernicke, Fuchs, Rhode haben deshalb nicht
viel Wert, weil sie nicht immer auf die Originalien zurückgehen oder
diese falsch übersetzen; auch sind die Darstellungen unübersichtlich.
Der Mangel an guten Darstellungen der Geschichte dieser wich-
tigen Ordensstädte wird dadurch nun etwas aufgehoben, daß wir über
einzelne Abschnitte aus ihrer Geschichte vortreffliche Untersuchungen
besitzen und besonders aus der Zeit der Ordensherrschaft. Dahin
gehört Kestner: Beiträge zur Geschichte der Stadt Thorn (Thorn 1882).
Diese Beiträge bieten Wertvolles für den Handel mit Perlen, die Teil-
nahme der Ordensstädte am Kriege gegen die Königin Margarete und
für die Erhebung der Städte gegen den Orden 1454. Thorns Bürger-
meister Tilemann vom Wege war ja die Seele des Aufstandes. Ferner
kommt in Frage M. Toeppen: Elbinger Antiquitäten. Ein Beitrag
zur Geschichte des städtischen Lebens im Mittelalter. Heft ı (Danzig
1871) enthält: Topographie, Kämmereiverwaltung, Kriegswesen. Heft 2
(Danzig 1872): Kirchen, Schulen, Klöster, Hospitäler, das Lübische
Recht. Heft 3 (Marienwerder 1872): Das Stadtregiment, Listen der
Ratsherren und Vögte der Stadt Elbing.
Anzuführen sind dann noch als wertvolle wissenschaftliche Arbeiten:
Franz Schultz: Die Stadt Kulm im Mittelalter (Z. W. G. 23) und
Geschichte der Stadt Deutsch- Eylau (Quellen und Darstellungen zur
Geschichte Westpreußens, Bd. 4).
Seine in den verschiedensten Zeitschriften veröffentlichten Auf-
sätze hat Karl Lohmeyer unter dem Titel Zur altpreußischen Ge-
schichte (Gotha, F. A. Perthes 1907) neu herausgegeben. Es kommen
davon für den hier behandelten Zeitraum die folgenden Beiträge in
Betracht: Die Berufung des Deutschen Ordens nach Preußen (schon
oben S. 36 herangezogen), Ist Preußen das Bernsteinland der Alten
gewesen?, St. Adalbert, der ersle Apostel der Preußen, Polen und
Littauen und der Ordensstaat in Preußen, Kaiser Friedrichs II. goldene
Bulle über Preußen und Kulmerland vom März 1226, Witowd, Grof-
fürst von Littauen (F 1430). |
Über die das Ordensland betreffenden Aufsätze in Zeitschriften
unterrichtet bis 1897 eine Arbeit von Otto Rautenberg: Ost- und
Westpreußen, ein Wegweiser durch die Zeitschriftenliteratur (Leipzig
1897). Die Abschnitte: Geschichte, Wirtschaftliches und geistiges
— 39 —
Leben kommen hier besonders in Betracht. Für die folgenden Jahre
orientiert die Altpreußische Bibliographie, die jährlich in der A. M.
erscheint. Hier sind — das ist besonders hervorzuheben — auch die
Besprechungen angegeben.
Über die in der Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins
erschienenen Aufsätze haben wir eine Übersicht von Heft 1 — 50
(Danzig 1909).
. Die Schulprogramme beutet nach dieser Richtung aus Loh-
meyer: Verzeichnis der in den Programmen der höheren Lehranstalten
Ostpreußens enthaltenen Abhandlungen zur Geschichte Ost- und West-
preußens (A. M. 22, 1885).
Auf diese Verzeichnisse aufmerksam zu machen, ist deswegen
wichtig, weil sich in diesem Rahmen nur die grundlegenden Unter-
suchungen berücksichtigen ließen.
Mitteilungen
Versammlungen. — Die Hauptversammlung des Gesamtvereins der
deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in Breslau nahm den
5., 6. und 7. August in Anspruch. Es hatten sich, auch durch die Jahr-
hundertausstellung angelockt, 223 Teilnehmer eingefunden; wieviel Vereine
Vertreter entsendet hatten, ließ [sich infolge eines Versehens der Geschäfts-
stelle nicht ermitteln. Wie aus dem Geschäftsbericht hervorging, sind gegen-
wärtig 195 Vereine im Gesamtverein zusammengeschlossen.
Die erste allgemeine und öffentliche Versammlung in der Aula der
Universität brachte zunächst den Vortrag von Prof. Preuß (Breslau) über die
Quellen des Nationalgeistes der Freiheitskriege. Der Redner
beantwortete die Frage, wie der neue Geist entstanden sei, und bezeichnete
als seine Wurzeln das preußische Staatsbewußtsein, das durch Friedrich
den Großen entstanden war, die Abkehr der Gebildeten vom Inter-
nationalismus und Subjektivismus, nachdem Winckelmann in seiner
Beschäftigung mit der Antike den Nationalgeist entdeckt und das Verständnis
für die Eingliederung des Einzelmenschen in ein großes Ganzes geweckt hatte,
die Romantik, die wiederum Sinn für die Eigenart des Volkstums ent-
wickelte, und schließlich die religiöse Bewegung, die für die Massen
den Kriegsdienst zum Gottesdienst machte.
An zweiter Stelle sprach Prof. Schrader (Breslau) über Germanen
und Indogermanen!). Der Redner fragte zunächst: Seit wann haben
wir ein Recht, von Germanen imsprachlichen Sinne zu reden?
1) Vgl. dazu den Aufsatz eos Heimat der Arster von Freiherrn v. Lichtenberg
in dieser Zeitschrift 14. Bd., S. 253—284.
=; 40:
und antwortete: seit der ersten Lautverschiebung, seit sich cornu von horn,
pater von vater getrennt hat. Die Römer fanden die Lautverschiebung als
schon vollzogen vor; sie ist verschieden in Zeitpunkten zwischen 100 und
3000 v. Chr. angesetzt worden, wird aber um soo v. Chr. stattgefunden
haben, da die durch keltischen Einfluß der germanischen Sprache zugeführten
Worte (wie Eisen) vor der Verschiebung aufgenommen worden sind. Die
den Germanen eigene Kultur ist frühestens um 900 v. Chr. nachweisbar,
aber deren Träger sind nur als Prägermanen aufzufassen. Der Einwand,
daß die indische und griechische Sprache viel früher entwickelt seien, ist
nicht stichhaltig; denn die Besonderheiten der Völker können sich in sehr
verschiedener Zeit ausgebildet haben. — Sodann wurde die Frage beantwortet:
Auf welche Wohnsitze deutet der früheste Wortschatz hin?
Auf ein Leben an und auf dem Meere, und zwar einem nördlichen
Meere: an der Nord- und Ostsee haben die Prägermanen sicher ı500 bis
500 v. Chr. gesessen. Sie kannten den Walfisch, fanden in der Woche eine selb-
ständige Zeiteinteilung, indem sie den Wechsel des Mondes und von Ebbe
und. Flut beobachteten; sie kannten den Bernstein, den sie mit dem Worte
Glas bezeichneten, erhielten im Austausch gegen ihn Bronze aus Meso-
potamien und eigneten sich in diesem Verkehr die Sexagesimalrechnung an.
Zinn und Wage sind wohl germanische, aber noch nicht indogermanische
Worte. — Auf die dritte Frage: Sind die Prägermanen in diese
Gegenden eingewandert oder haben sie seit unvorerdenklicher
Zeit hier gewohnt? ist zu antworten, daß Einwanderung vorliegt; denn
erstens können Menschen zur Eiszeit nicht an der Nordseeküste gewohnt
haben und zweitens sind die Errungenschaften der Viehzucht und des Acker-
baus, sowie die Kenntnis des Kupfers der Sprache nach den Indogermanen
gemeinsam, aber die berühmten Muschelhaufen weisen deren Vorhandensein
nicht nach. Auch direkt ist die Einwanderung zu erweisen, da vor den
Indogermanen ein Volk anderen Stammes an der Nordsee gelebt hat. Als
die Kelten um 600 v. Chr. nach Britannien kamen, fanden sie die nicht-
indogermanischen Siluren (= Iberer) vor und im Norden germanenähnliche
Leute, die Caledonier. Diese Leute lebten nach Mutterrecht, räumten der
Frau eine erhöhte Stellung ein, besaßen ein Zahlensystem mit 5 (bezüglich 20 =
4 mal 5), gerade wie die Basken und die vorkeltischen Bewohner Galliens,
und übten die Tätowierung, wovon sie den Namen Pikten erhalten haben.
Alle diese Eigentümlichkeiten finden sich in Spuren auch bei den Germanen,
und so müssen wir annehmen, daß der Zweig der Indogermanen, der zu
Prägermanen wurde, eben durch Vermischung mit und Aneignung gewisser
Eigentümlichkeiten jener älteren Bevölkerung, die sich, wie die Caledonier,
durch großen Körperbau auszeichnete, seine rassische Eigentümlichkeit er-
langt hat. Der Begriff der Freiheit war bei diesem neuen Volke früh ent-
wickelt, das auch manche vielleicht nichtgermanische Wörter (trinken, Honig)
übernahm. Eben durch die Vermischung entstand die besondere Völkerindi-
vidualität. — Die vierte und letzte Frage endlich lautet: Von woher ist
der fragliche Zweig der Indogermanen eingewandert?, und
sie läßt sich nur mit Hilfe der Sprache beantworten. Das Germanische
hängt eng mit Italisch und Keltisch zusammen; die Träger der letzteren
beiden Sprachen haben aber zusammen an der unteren Donau gesessen,
— 4 —
und deswegen müssen wir auch dort die Sitze der Indogermanen suchen,
die nach dem Norden abwanderten, um Prägermanen zu werden.
In der zweiten allgemeinen und öffentlichen Versammlung, die im
Hause der „Vaterländischen Gesellschaft‘ stattfand, handelte zuerst Professor
Hoffmann (Breslau) über den Breslauer Theologen Hermes, einen
Günstling Bischoffwerders und Woellners, und zeichnete ein
deutliches Bild von den Mitteln, deren sich die orthodoxe Richtung im
Kampfe gegen die Aufklärung bediente; denn Hermes, der 1791 von Breslau
nach Berlin berufen wurde, war der geistige Urheber des Religionsedikts
vom 9. Juli 1788, das 27. Dezember 1797 wieder aufgehoben wurde. —
Um die Gäste ın die künstlerischen Schätze Breslaus einzuführen, hielt so-
dann Provinzialkonservator Burgemeister (Breslau) einen durch Lichtbilder
belebten Vortrag über Alt-Breslau. Ausgehend von der Stadtanlage und
der Ausgestaltung des Stadtplans beschrieb Redner den Dom und die goti-
schen Bauten und verbreitete sich mit besonderer Liebe tiber das Rathaus
und die Renaissancebürgerhäuser. Die Barockbauten sind wesentlich unter
dem Einfluß der Gegenreformation von den Jesuiten mit Hilfe italienischer
Künstler geschaffen worden, und Deutsche haben das begonnene Werk nur
fortgesetzt.
Die dritte allgemeine und öffentliche Versammlung wurde in der Aus-
stellung abgehalten und war durch den Vortrag von Prof. Curschmann
(Greifswald) über die Historisch-geographische Forschung in
Deutschland während des letzten Jahrhunderts ausgefüllt. Der
Redner gab einen Gesamtüberblick über den Gang der Studien. Die Theorie,
die um 1750 entstand und bis tief in das XIX. Jahrh. hinein die For-
schung beherrscht hat, war die von der Fortdauer der alten Gaugrenzen
in den Diözesangrenzen, die sich schließlich als irrig erwies, aber damit
war die bis dahin so beliebte Gaugeographie abgetan. Das letzte einschlä-
gige Werk war Böttger: Diösesan- und Gaugreneen Norddeutschlands
(1874— 1876). Einen neuen Aufschwung nahm die historisch-geographische
Forschung durch Eduard Richter, der den allgemeinen Grundsatz auf-
stellte, daß einmal ermittelte Grenzen der Vergangenheit mannigfache
Bedeutung besitzen, und durch Thudichum, der 1891 durch die For-
derung, Grundkarten !) mit den Gemeindegrenzen herzustellen, die Ar-
beit auf eine neue Grundlage stellte. Trotz der scharfen Kritik Richters
und Seeligers hat sich die Überzeugung von der Dauerhaftigkeit der Ge-
meindegrenzen immer mehr gefestigt, und bei der praktischen Arbeit für ge-
schichtliche Kartenwerke, die es schon für manche Landschaften gibt, für
andere geplant sind, geht die Forschung davon aus, irgendwelche größere
Gebilde aus den Gemeinden als den letzten Bestandteilen zusammenzusetzen.
Die Sitzung der vereinigten Abteilungen, die zugleich eine solche des
Archivtags war, brachte zuerst den Vortrag von Archivar Loewe (Breslau)
über Archive und Bibliotheken. Der Redner betonte vor allem, daß
die Verhältnisse in Deutschland wesentlich anders sind als im Ausland, be-
sonders in Frankreich und England. Während bei uns im großen und ganzen
1) Vgl. dazu diese Zeitschrift 1. Bd., S. 33—41 und 113—131; 3. Bd., S. 273
bis 295; 5. Bd., S. 82—87.
in den Archiven handschriftliche, in den Bibliotheken gedruckte Schätze
aufbewahrt werden, ist die Pariser Nationalbibliothek, über die eingehende
Mitteilungen gemacht wurden, gewissermaßen auch ein französisches National-
archiv, namentlich bezüglich der Handschriften zur neueren Geschichte.
Ganz ähnlich steht es mit dem Britischen Museum. Während in diesen
Ländern Leitung und Ausbildung des Personals gemeinsam sind, wird in
Deutschland der Unterschied immer größer, gehen Archivare und Biblio-
thekare ihre eigenen Wege. |
Prof. Rehme (Halle a. S.) beschäftigte sich mit den Stadtbüchern!),
erläuterte zunächst den Begriff, kritisierte die Einteilungen, die Homeyer
(1860), Koppmann (1873), Kleeberg (1909), Beyerle (1910 in dieser Zeit-
schrift Bd. 11, S. 145—200) und Brunner (1912) vorgenommen haben,
und stellte schließlich eine eigene auf, nämlich: a) Statuten- und Privilegien-
bücher; b) Justizbücher; c) Verwaltungsbücher. Nachdem der Redner die
Stadtbücher als Geschichtsquellen gewürdigt und die Bedeutung der einzelnen
Eintragungen untersucht hatte (am wichtigsten erscheinen ihm die über Akte
der freiwilligen Gerichtsbarkeit), stellte er Forderungen auf, welche der Her-
ausgeber erfüllen muß. Als Musterleistung wurde dabei die von Woldemar
Lippert besorgte Ausgabe der Lübbener Stadtbücher 1382—1526
(Urkundenbuch der Stadt Lübben, ı Band, Dresden 1911) hingestellt.
In der I. und II. Abteilung unterrichtete zuerst Museumsdirektor
Seger in Form einer Führung durch die vorgeschichtliche Abteilung des
Museums für Kunstgewerbe und Altertümer über die in Schlesien gewonne-
nen Ergebnisse. — Sodann legte Prof. Goeßler (Stuttgart) eine größere
Anzahl galvanoplastischer Nachbildungen vorrömischer, römischer und
merowingischer Altertümer aus der Kgl. Staatssammlung vaterländischer Alter-
tümer in Stuttgart vor, welche die Metallwarenfabrik Geislingen unter sach-
kundiger Anleitung ausgeführt hat und ın den Handel bringt. Nur charak-
teristische, gut erhaltene, seltene und zudem kunstgewerblich anregende Stücke
wurden als Vorlagen benutzt, um so die Schätze der Museen auch für die
Gegenwart nutzbringend zu verwerten. — Unter Vorführung einzelner Stücke
im Lichtbilde beschrieb Prof. Schuchhardt (Berlin) den viel besprochenen
Goldfund von Eberswalde und teilte die Geschichte seiner Entdeckung mit.
Es handelt sich wohl um den Schatz eines germanischen Fürsten aus dem
VII. oder VIII. Jahrh. v. Chr., der in einem Tongefäß im Erdboden auf-
bewahrt wurde, und zwar liegt neben den fertigen Gefäßen auch Rohmaterial
für neue Arbeit, so daß wir sicher die Herstellung der Gefäße im Lande
annehmen können. Der Einfluß der Hallstattkultur ist unverkennbar, und
der Vergleich mit anderen Funden gibt die Lösung der Rätsel an die
Hand. — Anschließend besprach cand. archaeol. Bersu (Breslau) den Stand
der neolithischen Hausforschung. Naturgemäß sind von vorgeschicht-
lichen Häusern nur noch Überreste erhalten, und zwar zumeist die im Erdboden
liegenden Teile, während der Oberbau verschwunden ist; er muß also nach
dem Grundriß, der Schichtenlagerung und dem etwa erhaltenen Wand-
1) Der Vortrag ist als selbständige Schrift mit dem Titel Über Stadtbücher als
Geschichtsquelle (Halle a. S., Buchhandlung des Waisenhauses 1913. 32 S. 8°. „Æ 1.00)
e’schienen.
== AI u
bewurf ergänzt werden. Steinzeitliche Hausgrundrisse sind ziemlich häufig
gefunden worden; am besten erhalten ist das Fundament eines Hauses am
Pfahlbau von Schussenried, da sich in dem feuchten Schlammboden auch
das Holz gut erhalten hat. Die Landbauten sind weniger gut in ihrer
Eigenart zu erfassen. Wenn in der Rheinpfalz ganz unregelmäßige Grund-
rısse aufgedeckt wurden, so hat man es vermutlich nur mit dem vertieften
Kern zu tun, während der durch Pfosten begrenzte äußere Rand der Haus-
anlage höher zu suchen wäre. Auf solche regelmäßige rechteckige Häuser
ist man in der Nähe von Heilbronn, bei Straßburg und bei Nördlingen (Gold-
berg) gestoßen, ebenso bei Praunheim in der Wetterau. An letzterem Orte
fanden sich auch Rundhütten, die den Köhlerhütten des Hunsrücks ähu-
lich gewesen sein mögen. In Nord- und Ostdeutschland sind bisher weniger
Hausgrundrisse entdeckt worden; klar sind nur die von Trebbus (Mark
Brandenburg) und Kleinmeinsdorf bei Plön. Auffallend ist es, daß in
sonst einheitlichen Kulturprovinzen verschiedene Hausformen vorkommen,
und daher ist zu hoffen, daß die genauere Bekanntschaft mit den Haus-
formen dazu führen wird, die Kulturgebiete noch mehr zu gliedern, die
bisher im wesentlichen nach den Fundstücken und Grabformen abgegrenzt
worden sind. — Schließlich sprach M. Jahn (Breslau) über die Be-
waffnung der Germanen zur Römerzeit. Die Lücke, die in dieser
Hinsicht die Berichte der römischen Schriftsteller aufweisen, vermögen
wir heute auf Grund der Funde auszufüllen, und zwar kommen besonders
die Waffen in Betracht, die den Verstorbenen und Gefallenen mit ins Grab
gegeben wurden. Die alten und auch später wichtigsten Angriffswaffen waren
Lanze und Schwert, während Pfeil und Wurfaxt sich erst in der späteren
Kaiserzeit einbürgerten. Die Lanzen dienten meist sowohl als Stoß- als
auch als Wurfwaffen; nur eine Art von Speeren, deren Spitzen Widerhaken
zeigen, wurden stets geworfen. Die Schwerter waren ein- oder zweischnei-
dig, und zwar zeichneten sich die letzteren im I. Jahrh. v. Chr. durch ihre
Länge aus; ihrer Form nach waren es Hiebwaffen. In der früheren Kaiser-
zeit traten kurze, scharf zugespitzte Stoßschwerter an ihre Stelle, indem man
das römische Kurzschwert nachbildete. Erst im III. Jahrh. lebten die alten
Langschwerter wieder auf. Die einschneidigen Schwerter waren v. Chr. nur
den östlichen und nördlichen Stämmen eigen, breiteten sich aber später auch
unter den westlichen Stämmen aus und bildeten eine den Germanen eigen-
tümliche Waffenart. Während die Trutzwaffen der Germanen den römischen
kaum nachstanden, war der germanische Schild, die einzige Schutzwaffe,
nur schwach gebaut. Die Träger handhabten ihn so, daß er die Schläge
des Gegners nicht aufling, sondern seitlich ablenkte. In dieser Vernach-
lässigung des Schutzes unterscheidet sich die germanische Rüstung scharf
von der römischen: unbehindert von drückender Schutzrüstung drang der
Germane, der Wunden nicht achtend, vor und verwandte allein den Hieb
zur Verteidigung.
Die Sitzungen der III. Abteilung brachten zuerst den Vortrag des Pri-
vatdozenten Laubert (Breslau) über Deutsche Kolonisationsversuche in
Posen während der ersten Jahre Friedrich Wilhelms IV. Der unter Flott-
well gegründete Güterbetriebsfonds, aus dessen Mitteln die Güter des pol-
nischen Adels angekauft werden sollten, wurde 1845 aufgelöst, und trotz
4
zu, Ya, ne
massenhaften Angebotes wurde kein polnisches Land erworben. Praktisch
wertvoll sind die damaligen Erfahrungen deswegen, weil alle in jüngster Zeit
auftauchenden Fragen (Restgüter, Sedhaftmachung von Arbeitern, Zuziehung
landwirtschaftlicher Sachverständiger, Schaffung günstiger Ansiedlungsbedin-
gungen zum Ausgleich des erschwerten Besitzwechsels) auch damals schon
aeantwortet werden mußten, und in dieser Hinsicht kann die Gegenwart
ubch aus jener Zauderpolitik lernen.
An zweiter Stelle erörterte Prof. Paul Jonas Meier (Braunschweig) die
jüngsten Fortschritte in der Stadtgrundrißforschung !) und führte ım Licht-
bilde Grundrisse, Baudenkmäler und Münzen vor. Der Redner, der selbst
eine sehr große Anzahl von Städten hinsichtlich ıhres Grundrisses untersucht
und damit die Entstehungsgeschichte in jedem Falle aufzuhellen versucht hat,
legte den Nachdruck darauf, daß eine sachgemäbe, andere Städte zum Ver-
gleich heranziehende Untersuchung des Stadtplanes, der etwaigen Münzen, ge-
wisser Bauwerke sowie der Pfarrbezirksverhälinisse Dinge erschließen läft,
die schriftlich nıcht überliefert sind, und zwar mit mindestens derselben
Sicherheit wie die Urkundeninterprctation. Dieser Gedanke wurde durch
Darlegung der entsprechenden Verhältnisse ın Städten wie Havelberg, Salz-
wedel, Braunschweig, Helmstedt, Goslar, Stendal, Eisleben u. a. erhärtet.
Den Ausgang nimmt M., von Rietschels Markt und Stadt in ıhrem recht-
lichen Verhältnis (Leipzig 1897); während jedoch R. den Unterschied zwi-
schen Markt und Stadt ın dem Fehlen oder dem Vorhandensein einer festen
Mauer ?) erblickt, hält dies M. nicht für richtig und sieht in der Stadt
vielmehr eine erweiterte Marktsıiedlung, und zwar erweitert sowohl
räumlich als auch in bezug auf die Rechtsstellung der Bevölkerung, insofern
des besonderen Verkehrsrechts nicht nur die kaufmännischen Bewohner, son-
dern auch die übrigen Eıingesessenen des Stadtgebietes teilhaftig werden.
Die erste deutsche Stadt wäre nach dieser Begrifisbestimmung Köln 1106
geworden. Die Heranziehung der Münzen ıst deshalb so wichtig, weil das
Münzrecht mit dem Marktrechte regelmäßig verbunden war, und sich somit
oft für eine frühere Zeit, als es urkundlich geschieht, die Markteigenschaft
eines Ortes erweisen läßt. Ebenso bietet cer Befund von Bauwerken, na-
mentlich der Kirchen, manche Handhabe für zeitliche Bestimmungen.
In der IV. Abteilung gab zuerst Bankdirektor Bahrfeld (Berlin) einen
Überblick über Schlesiens Münz- und Geldwesen von 1807 bis 1813, der
sich im wesentlichen mit dem Orte und dem Umfange der Münzprägung be-
faßte Die Münzstätte war Glatz, die Ausprägung im ganzen gering. Die 1814
wieder in Breslau eröffnete Münze schloß ihre Pforten 1825 für immer.
1) Vgl. zu diesem wichtigen Gegenstande diese Zeitschrift 9. Bd., S. 133—141;
10. Bd., S. 47—48; 12. Bd., S. 255—256. Als Probe des Niedersächsischen Städte-
atlasses ist inzwischen der Plan von Holzminden (2 Bil. und 5 S. Text) erschienen.
An neuerer Literatur kommt in Betracht K. O. Müller: Die oberschwäbischen Reichs-
städte [= Darstellungen aus der Württembergischen Geschichte VIII, Stuttgart 1912],
Christoph Klaiber: Die Grundrißbildung der deutschen Stadt im Mittelalter unter
besonderer Berücksichtigung der schwäbischen Lande [= Beiträge zur Bauwissenschaft,
Heft 20, Berlin 1912], Genzmer: Stadtgrundrisse, ein Rückblick auf ihre geschicht-
liche Entwicklung (Berlin 1910).
2) Vgl. dazu diese Zeitschrift 12. Bd., S. 201—214; 13. Bd., S. 25—49; 14. Bd.,
S. 67—86.
s A
An Stelle des am Erscheinen verhinderten Rechtsanwalts Breymann
(Leipzig) sprach Bibliothekar Tille (Dresden) über die Frage: Wie stellen
sich Genealogen und Historiker zu der naturwissenschaftlichen Richtung der
Genealogie (Vererbungslehre, Regenerationslehre, Eugenik usw.)? Im Gegen-
satz zu der Mißachtung, die den Genealogen noch vielfach zuteil wird, haben
sich in neuerer Zeit Vertreter der Medizin und Naturwissenschaft in stei-
gendem Maße mit Problemen beschäftigt, deren Lösung historisch-genealo-
gische Studien zur Voraussetzung hat, und eine große schriftstellerische
Fruchtbarkeit entfaltet. Leider sind diese Forscher mit der geschichtlichen,
namentlich quellenkritischen Methode nur ausnahmsweise vertraut und be-
gehen deshalb oft schwere Irrtümer, die dann natürlich zu irrigen Folge-
rungen führen, aber auch aufs neue die Genealogie, die sich eben jetzt zu
einer wissenschaftiichen Behandlung aufgeschwungen hat, in weiteren Kreisen
in Mißachtung bringen. Zudem haben diese naturwissenschaftlich - medizini-
schen Genealogen Aussicht, größere öffentliche Mittel für ihre Zwecke flüssig
zu machen. Aus allen diesen Erscheinungen ergibt sich die Notwendigkeit,
daß die Historiker diese Bewegung im Auge behalten und tatkräftig zur Be-
seitigung der bestehenden Gefahren beitragen. Dazu bietet der zu Pfingsten
1914 ìn Leipzig abzuhaltende 3. Genealogische Kongreß die beste
Gelegenheit, und Redner forderte deshalb die historischen Genealogen zu
reger Beteiligung daran auf.
Karger (Wien) führte im Lichtbilde die Prägungen auf dem Teschener
Frieden vor und erläuterte sie. Es war das ein willkommenes Seitenstück
zu der Arbeit von Paul Julius (Ludwigshafen) über die numismatischen
Denkseichen auf den Frieden von Hubertusburg (Mitteilungen der Österrei-
chischen Gesellschaft für Münz- und Medaillenkunde, 9. Bd., Nr. 2, 3 und
5). In beiden Fällen zeigt sich, daß diese Prägungen als Quellen einen
hohen Rang einnehmen.
Regierungsrat Winkel (Königsberg), der sich in den letzten Jahren
zur Beschaffung von Geldmitteln für nationale Zwecke um die Einführung
bilig zu kaufender Vivatbänder aus Anlaß nationaler Feiern bemüht hat,
beschrieb und zeigte ebenfalls im Lichtbilde eine Reihe geschichtlich be-
deutender Stücke aus der zweiten Hälfte des XVIU. Jahrhunderts und gab
in den Mitteilungen über diese aus Anlaß von Siegen usw. getragenen Ab-
zeichen zugleich manche Beiträge zur Geschichte der volkstümlichen Kunst
und der nationalen Bewegung.
Ein Antrag Reuter (Lübeck), der eine allgemeine Statistik der Münz-
funde als Mittel zur Festlegung der Handelsstraßen in alter Zeit fordert,
wurde trotz Abwesenheit des Antragstellers beraten. Allgemein war man der
Ansicht, daß nach Möglichkeit auch von älteren Funden noch die Zu-
sammensetzung ermittelt werden möchte, und daß dies für die öffentlichen
Münzsammlungen, die Vereine und Münzforscher eine schöne Aufgabe sei,
die sich allerdings nur allmählich lösen lasse. Dagegen wurde der von
Reuter angedeutete Zweck als tiber die Aufgabe der Münzforschung hinaus-
gehend abgelehnt, und von sachkundiger Seite wurden Zweifel geäußert,
ob tberhaupt den Münzfunden eine wesentliche Bedeutung für die Ermittlung
der Handelsstraßen zukomme. |
In der V. der Volkskunde gewidmeten Abteilung behandelte Prof. Feit
4*
= A6 =
(Breslau) alte schlesische Kartenspiele, die zumeist Fortbildungen früherer
Spielarten sind. Eingehend besprach er das Karnüffelspiel, das in politischen
Verhältnissen, nämlich dem Kampfe des Bürgertums gegen die päpstliche
Macht im XV. Jahrhundert, seinen Ursprung hat. In der Umkehrung der
Kartenwerte, der zufolge später der Landsknecht als höchster Trumpf er-
scheint, kommt der Erfolg der reformatorischen Bewegung zum Ausdruck.
Weitere Umgestaltungen erfuhr das Spiel im XVII. Jahrhundert in Thüringen
und in Schlesien; eine in Landshut verfaßte Karnöffelgrammatik gibt ein
anschauliches Bild davon. „Karnüffel“ ist eine scherzhafte Umformung von
Kardinal, so daß der Name „‚,Kardinalspiel‘“ bedeutet.
Oberlehrer Klapper (Breslau) besprach das deutsche Privatgebet im
ausgehenden Mittelalter und teilte mit, daß viele damals verbreitete Gebet-
bücher auf die Prager Hofgesellschaft zur Zeit Karls IV. und besonders den
Kanzler Johannes von Neumarkt als Schöpfer hinführen. Infolge ihrer deut-
schen Sprache waren sie volkstümlich und drangen zuerst in die Nonnen-,
dann auch in die Mönchsklöster ein. Neben Prag war Nürnberg ein Ort,
von dem aus deutsche Gebetbücher verbreitet wurden. Inhaltlich handelt
es sich hauptsächlich um Kommuniongebete, während Beicht- und Ablaß-
gebet fehlen. Im Beginne des XV. Jahrhunderts fand es ein Laie bereits
nötig, die Übersetzung der Bibel ins Deutsche grundsätzlich zu verteidigen.
Mit einem für die Geschichte der Weltanschauung sehr wichtigen Gegen-
stande beschäftigte sich Prof. Lauffer (Hamburg), indem er den Kometen
im Volksglauben, die Wandlung der Anschauungen über seine Bedeutung
vom frühen Mittelalter an, vorführte, und zwar auch mit Unterstützung von
Lichtbildern. Die abergläubischen Vorstellungen, die auf die babylonische
Astrologie zurückgehen und über Aristoteles und Plinius nach Deutschland
gekommen sind, haben die Gemüter bis in ziemlich neue Zeit beherrscht,
und wir dürfen bei der Betrachtung geschichtlicher Vorgänge diese geistigen
Einflüsse durchaus nicht unterschätzen, wenn wir in unseren Urteilen nicht
fehlgreifen wollen.
Die Versammlung im Jahre 1914 wird in Lindau stattfinden, und
‘zwar in der zweiten Hälfte des September. Für den Archivtag ist Bre-
genz in Aussicht genommen. Da der Tag für Denkmalpflege in Augs-
burg in derselben Zeit abgehalten wird, ist auf eine starke Beteiligung zu
hoffen. An Stelle der drei aus dem Ausschuß ausscheidenden und satzungs-
gemäß nicht wieder wählbaren Herren, Anthes (Darmstadt), Jung (Frank-
furt) und Lauffer (Hamburg) wurden Gößler (Stuttgart), Hager (Mün-
chen) und Prümers (Posen) gewählt.
Noch ist der unterhaltenden und geselligen Veranstaltungen zu gedenken.
Den Höhepunkt derselben bezeichnete die Aufführung von Andreas Gryphius’
Absurda Comica oder Herr Peter Squenge durch Breslauer Studenten. Am
Begrüßungsabend hörten die Versammlungsteilnehmer die Vorträge von Lie-
dern und schlesischen Mundartdichtungen. Das Festmahl würzten manche
Tischreden, und den Abschluß der Tagung bildete ein Besuch auf dem
Fürstlich Pleßschen Schlosse Fürstenstein. Alles in allem war die Gesamt-
vereinstagung wieder eine großartige Veranstaltung, die in den allerverschie-
densten Richtungen Anregungen bot und der geschichtlichen Forscherarbeit
manche neue Aufgabe stellte.
sa AT sn
Der Ankündigung entsprechend hat die dreizehnte Versammlung
deutscher Historiker vom 16.— 20. September in Wien unter dem Vorsitz
Hofrat v. Ottenthals (Wien) stattgefunden. Von den weit über 200 Teil-
nehmern war der überwiegende Teil Österreicher; die Reichsdeutschen stellten
nur etwa ein Viertel der Zahl. Unter den zahlreichen literarischen Festgaben,
die wiederum den Kongreßbesuchern überreicht wurden, sei vor allem auf
die Baugeschichte der K. K. Hofburg in Wien bis ins XIX. Jahrhundert
(= Österreichische Kunsttopographie, Bd. XIV) Wien, in Kommission bei
Anton Schroll & Co. 1914, 354 S. 4° mit zahlreichen Illustrationen hin-
gewiesen. Von den reichen Kunstschätzen der Kaiserstadt waren unter sach-
kundiger Führung das kunsthistorische Hofmuseum, die kaiserliche Schatz-
kammer und der Stephansdom zu besichtigen; auch das Haus-, Hof- und
Staatsarchiv, sowie die Hofbibliothek wurden den Historikern gezeigt.
Die wissenschaftlichen Darbietungen standen wiederum der deutschen
Landesgeschichte, wie sie diese Blätter pflegt, mehr oder weniger fern, er-
regten aber sämtlich das lebhafteste Interesse der Geschichtsfreunde.
Am Mittwoch, den 17. September, sprach als erster Redner Prof.
Alexander Cartellieri (Jena) über die Schlacht von Bouvines im
Rahmen der europäischen Politik. Seine Ausführungen gipfelten in
der These, dsß die Schlacht von Bouvines am 27. Juli 1214 nicht, wie
Scheffer-Boichhorst und Julius Ficker wollten, die jahrhundertelange deutsch-
feindliche Politik Frankreichs mit einem ersten großen Erfolg krönte; sie
stellte vielmehr die offizielle Freundschaft wieder her, die Deutschland und
Frankreich damals verband und die nur Otto IV. getrübt hatte, indem er
zum Bundesgenossen Englands, des größten Feindes Frankreichs in dieser
Zeit, wurde. Friedrich II. empfing aus den Händen Philipps II. August,
seines Bundesgenossen, die deutsche Kaiserkrone.: Bedeutender als für
Deutschland sind die Folgen der Schlacht von Bouvines für Frankreich und
England gewesen, wie sie Redner gegen Ende seines großzügigen Vortrags
kurz, aber klar umrissen zur Darstellung brachte.
Darauf sprach Archivdirektor Josef Hansen (Köln) über Friedrich
Wilhelm IV. von Preußen und das liberale Märzministerium
1848. Trotz der zahlreichen Einzelheiten, die diese fünfviertelstündige, form-
vollendete Rede erfüllten, trat ihre Grundlinie doch klar hervor: nicht poli-
tscher Wankelmut ist es gewesen, der Friedrich Wilhelm IV. in den spä-
teren Märztagen des Jahres 1848 sich zu Konzessionen an den Parlamen-
tarismus verstehen ließ, sondern sein Wunsch, die deutsche Bewegung nicht
den revolutionären Tendenzen, die sich ihrer zu bemächtigen drohten, preis-
gegeben sein zu lassen. Dabei wurde des Einflusses der rheinischen Liberalen
auf die Gestaltung der Dinge besonders ausführlich gedacht.
Am Nachmittag desselben Tages hielt noch Heinrich Friedjung
(Wien) den ersten öffentlichen Vortrag über den Imperialismus in Eng-
land. Ausgehend von der territorialen Saturiertheit Englands unter der
Herrschaft der Manchesterschule, die geradezu den Verzicht auf Kolonial-
erwerb predigte, schilderte er das Emporkommen des modernen englischen
Imperialismus. Er verknüpfe sich theoretisch mit der Gründung der „Im-
perial Federation League“ vom Jahre 1884, die sich zum Hauptziel setzte:
einen festen Verband zwischen England und seinen Kolonien durch Grün-
= AR a
dung eines Reichsrats (Imperial Council) zu schaffen, sowie die Schöpfung
eines Reichszollbundes und einer Einheit bezüglich des Handels- und Wechsel-
rechts. Der praktische Erfolg dieser Bewegung, zu deren erstem Wortführer
Joe Chamberlain wurde, sei aber nicht die Durchsetzung dieser Thesen ge-
wesen, sondern eine ungeheure territoriale Expansion namentlich in Afrika,
deren geschichtlichen Verlauf dann Vortragender gegen Ende seiner Aus-
führungen in großen Umrissen mitteilte. Mit einem Ausblick auf die un-
geheuren geschichtlichen Möglichkeiten, die die heutige Weltlage in sich
berge, mit dem Satze: „die Weltgeschichte war nicht, die Weltgeschichte
wird erst sein‘ endete er unter größtem Beifall seine Ausführungen.
Am nächsten Tage, Donnerstag, den 18. September, sprach zunächst
Prof. Adolf Bauer (Graz) über Hippolytos von Rom, den Heiligen
und den Geschichtschreiber!,. Der Vortragende führte etwa aus:
Schon durch ältere Forschungen ist die geschichtliche Persönlichkeit des
Eiferers und Gegenpapstes Hippolytos von Rom von der des nach dem Vorbild
des antiken Hyppolytos gestalteten Heiligen der kirchlichen Legende ge-
schieden. Allein über seine „Chronik“ ist noch immer eine Legende im
Umlauf: sie wird von den meisten für ein gelehrtes, auf selbständigen chrono-
graphischen Forschungen ruhendes Werk gehalten, das neben die Weltchroniken
des S. J. Africanus und des Eusebius zu stellen sei. Die erhaltenen latei-
nischen Fassungen gelten daher als Exzerpte aus dem viel reichhaltigeren
griechischen Originale.
Eine armenische und mehrere syrische Bearbeitungen, sowie griechische
Bruchstücke, die erst seit kurzem bekannt geworden sind, liefern jedoch den
Beweis, daß die lateinischen Fassungen das Original getreu wiedergeben.
H. will durch diese seine aus wenigen Quellen zusammengearbeitete Kom-
pilation mittels einer dreifachen Rechnung nur nachweisen, daß bis zum Jahre
ihrer Veröffentlichung, 234/5 n. Chr., seit der Erschaffung der Welt 5733
Jahre verstrichen, somit bis zum Weltende im Jahre 6000 noch mehr als
zweiundeinhalb Jahrhunderte übrig seien. Die „Chronik“ zeigt also dieselbe
Tendenz, verfrühte chiliastische Befürchtungen zu bekämpfen, ohne den
Chillasmus ganz preiszugeben, wie die Schriften d:s Hippolytos „Vom Anti-
christ“ und sein Danielkommentar. Gerade durch die knappen Listen, die
er bietet, erreichte er diesen Zweck ın wirksamster Weise.
Die „Chronik“, deren Besonderheit überdies noch ein sehr ausführ-
licher Diamerismos bildete, wird sich aus einer griechischen, den Anfang
enthaltenden Madrider Handschrift und aus mehreren Übersetzungen und
Bearbeitungen in den verschiedenen Literatursprachen der frühchristlichen
Kirchen für die Berliner Sammlung „Die griechischen christlichen Schrift-
steller der ersten drei Jahrhunderte“ wiederherstellen lassen.
Darauf ergriff Privatdozent Hans Hirsch (Wien) das Wort zu einem
Vortrag über Kaiserurkunde und Kaisergeschichte im XII. Jahr-
hundert ?). Er erörterte zunächst eine rein diplomatische Frage: den würz-
burgischen Einfluß, der zum Teil schon in der Kanzlei Konrads III., in
ı) Der Vortrag wird in den Neuen Jahrbüchern für das klassische Altertum,
(reschichte usw. gedruckt.
2) Der Vortrag erscheint vollständig in den Mitteilungen des Instituts für öster-
reichische Geschichtsforschung.
s A0
größerem Ausmaß dann in der Kanzlei Friedrichs I. seit 1156 nachweisbar
ist und mindestens bis 1168, dem Jahre der Anerkennung der Herzogs-
gewalt des Bischofs von Würzburg, andauert. Dann widmete er den gleich-
artigen Bestimmungen über die Gerichtsgewalt des Bischofs von Würzburg
und des Herzogs von Österreich — dieses wurde damals ja auch gerade
Herzogtum — eine erneute vergleichende Betrachtung. Ganz allgemein seien
dem deutschen Königtum nach dem Investiturstreit in der inneren Politik
zwei große Aufgaben gestellt gewesen: Stärkung der Reichsgewalt und ein
notwendiges Entgegenkommen gegen die eigennützigen Bestrebungen der
Fürsten, des Hochadels überhaupt Die erste Aufgabe hat zur Begünstigung
der Ministerialität und zum Ausbau des Haus- und Reichsgutes geführt, die
zweite zur Entstehung des deutschen Territorialstaates. In der inreren Politik
Heinrichs V. träten diese zwei Probleme zum erstenmal deutlich hervor.
Den Grundstock der territorialen Gewalt bildeten die gräflichen Rechte. In
Würzburg wie in Österreich wären dem Herzog eine territoriale Gerichts-
hoheit übertragen worden, welche die königliche nicht ausschloß und deren
Durchsetzung gegenüber Grafen, freien Herren und geistlichen Immunitäten
in Österreich durch die Markverfassung begünstigt wurde. Zum Schlusse
wies der Vortragende auf die Bedeutung diplomatischer Arbeit für die un-
mittelbaren Zwecke der politischen und Verfassungsgeschichte überhaupt hin.
Sie liege darin, daß sie das wichtigste Quellenmaterial bereiten hilfı, das
wir für die Erfassung des Zuständlichen im Mittelalter überhaupt besitzen.
Am Nachmittag fand der zweite öffentliche Vortrag 'statt. Es sprach
Regierungsrat Dreger (Wien) über Wiens Stellung in der Kunst-
geschichte. Nachdem er durch eine Reihe Lichtbilder die Fremden in
die Bauwerke Wiens eingeführt und die Wiener an Wien erinnert hatte, gab
er einen Überblick über die kunstgeschichtliche Entwicklung der Stadt. In
der Römerzeit trat Wien hinter dem wichtigeren Carnuntum zurück. Sein
Aufschwung fiel erst in die Zeit der Kreuzzüge und entwickelte sich unter
:üddeutschem Einfluß. Der Höhepunkt der- ersten Blüteperiode verbindet
sich mit dem Namen Rudolfs des Stifters. Im XV. Jahrhundert trat an
Stelle des süddeutschen vereinzelt italienischer Einfluß (Votivbild im Stephans-
dom), namentlich aber deutsch-böhmischer, der auch französische Einwirkungen
vermittelte (Statuen im Stephansdom). Seit Ende des XV. Jahrhunderts bis
ins XVII. trat Wien dann kunstgeschichtlich zurück. Nach dem 30 jährigen
Krieg ist es äußerlich eine halb italienische Stadt. Erst im XVII. Jahrhundert
streifte es das Fremde ab und entwickelte eine bodenständige, eine typisch
wienerische Kultur. Unter Maria Theresia wurde Wien eine deutsche Stadt,
die es blieb bis auf den heutigen Tag. -
Am Freitag, den ı9. September, fanden infolge Erkrankung der Redner
weder der angekündigte Vortrag von Dr. Fritz Kern (Kiel) noch der Prof.
Steinackers (Innsbruck) statt, sondern es sprach zunächst Archivrat Jean
Lulve&s (Hannover) über die Machtbestrebungen des Kardinal-
kollegiums gegenüber dem Papsttum.
Die Reihe der Vorträge schloß Prof. Hans Uebersberger (Wien)
mit seinen Ausführungen über die Theorien der russischen Slavo-
philen im Zeitalter Nikolaus’ I. und Alexanders II. Er ging
ar le ee
aus von den drei geistigen Potenzen in Rußland in der ersten Hälfte
des XIX. Jahrhunderts: dem Kaiser und dem offiziellen Rußland, das be-
sonders rach dem Novemberaufstand 1825 völlig reaktionär geworden, jede
Kritik der bestehenden Zustände verbot und Selbstherrschaft, Reclitgläubig-
keit und von den westeuropäischen revolutionären Tendenzen unberührtes
russisches Volkstum für den wünschenswerten Zustand in Rußland hielt;
daneben stand in der Opposition die westeuropäisch orientierte Intelligenz;
endlich von beiden geschieden eine Gruppe junger adlıger Herren, die sich
frühzeitig Slavophilen nannten. Die Analyse ihrer Lehre bildete den
eigentlichen Gegenstand des Vortrags. Ausgehend von der Hegelschen Ge-
schichtsphilosophie suchten sie zunächst zu beweisen, daß das russische Volk
zu den l:istorischen Völkern gehöre. Von da aus gelangten sie zur energischsten
Betonung des Russisch-Nationalen, wetterten ¿egen die we teuropäischie Nach-
ahmung, brachten den schon im XVIII Jahrhundert in Rußland best:henden
Deutschenhaß in ein System und verlangten eine aus sich selbst heraus-
gewachsene russische Kultur, der sie in idealisierender Geschichtsbetrachtung
dea unbedingten Vorrang vor der westeuropäischen verschafften und den
sie namentlich in deren fester, im Westen erschütterter religiöser Grundlage
sahen; wichtig ist auch ihre Überzeugung, daß die Russen keine Staaten-
bildner seien. Nach der praktischen Seite und geboren aus ihrem Glauben,
daß das Volk den eigentlichen Träger einer nationalen Entwicklung be-
deutet, ist die Befreiung der russischen Bauern von der Leibeigenschaft ihr
Werk. Mit einem Hinweis auf die entarteten Nachkommen der Slavophilen,
die die heutigen Panslavisten darstellen, endete der Redner seinen Vortrag
und damit die wissenschaftlichen Darbietungen des Kongresses überhaupt.
Sonnabend, den 20. September, fand der Historikertag durch einen
gemeinschaftlichen Ausflug in die Wachau einen wunderschönen Abschluß.
Als Ort der nächsten Tagung ist Köln, als Zeit Ostern ıgı5 bestimmt
worden. Die infolge Ablaufs ihrer Wahlzeit aus dem Ausschuß ausscheiden-
den Herren Breßlau, Ermisch, Lamprecht, Eduard Meyer, Meyer von Knonau
wurden wieder gewählt. Neu traten ein Dopsch, Neumann, Rachfaiil,
Werunsky, Schulte und Igen Ihre Ausschußmitgliedschaft aufgegeben haben
Egelhaaf und Ulmann.
Am 17. und 18. September fand in Wien gleichzeitig mit dem Historiker-
tag auch die XI. Konferenz von Vertretern landesgeschichtlicher Publi-
kationsinstitute statt. Statt der ursprünglich geplanten drei kam es nur
zu zwei öffentlichen Sitzungen. Den Vorsitz führte Hofrat Redlich
(Wien). Vertreten waren durch Mitglieder die Publikationsinstitute für Baden,
Franken, Niederösterreich, Bayern, Böhmen, Niedersachsen, Frankfurt a. M.,
Steiermark, Hessen, Kärnten, Württemberg, Thüringen, Königreich Sachsen.
Nachdem Prof. Kötzschke als ständiger Sekretär der Konferenz den
Geschäftsbericht erstattet hatte, sprach als erster Redner Prof. Redlich
über Die systematische Sammlung der Nachrichten über Elementar-
ereignisse. Sie ist angeregt worden, so führte er etwa aus, von zwei Seiten:
zunächst von den Naturwissenschaftlern, die ihre Beobachtungen in den letzten
Jahrzehnten weiter zurückverfolgen wollten, um die Periodizität gewisser, nament-
=. ee
lıch meteorologischer Erscheinungen feststellen zu können. Hier ist nament-
lich auf die Arbeiten des Geographen Brückner zu verweisen. Die
Akademie der Wissenschaften von Mailand hat schon einmal aus diesem
Gesichtspunkte heraus einen Preis für eine Übersicht über frühere Witterungs-
verhältnisse ausgesetzt, und die Konferenz der meteorologischen Anstalten in
Innsbruck 1905 hat ebenfalls auf die Notwendigkeit einer solchen Arbeit
hingewiesen. — Die anderen Anregungen, die auf die Sammlung hindrängten,
kamen von wirtschaftshistorischer Seite. Lamprecht hat als erster in seinem
Deutschen Wirtschaftsleben im Mittelalter systematisch Nachrichten über
Elementarereignisse gesammelt und einer seiner Schüler, Curschmann,
schrieb 1900 eine auf breitestem Quellenmaterial sich aufbauende Studie
über Die Hungersnöte im Mittelalter. Endlich haben im September 1906
auf der Hauptversammlung des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und
Altertumsvereine zu Wien Redner selbst und Dr. A. Swarowsky Referate
über eine systematische Sammlung der historischen Nachrichten über Elementar-
ereignisse und physisch-geographische Verhältnisse geliefert !). Der Ausschuß,
dem diese Angelegenheit zur Beratung übergeben wurde, einigte sich im
Laufe des Jahres 1907 folgendermaßen über Umfang und Inangriffnahme des
Unternehmens.
Es sollte in zwei Abteilungen zerfallen mit dem chronologischen Scheide-
punkte etwa um 1200 (oder 1250, oder 1300). Der erste Teil der Auf-
gabe, die Zusammenstellung der Elementarereignisse von Christi Geburt
— diesen Zeitpunkt wählte man als Anfangstermin — bis ins XII. Jahr-
hundert war bei der Natur der vorhandenen Quellen von ein oder zwei Be-
arbeitern zu lösen. Er wurde von J. Weiß in Angriff genommen, der ıg11
ein auch der Konferenz wieder vorgelegtes Probeheft herausgeben konnte,
das die Zeit bis 580 umfaßt. Seine Arbeiten sind inzwischen rüstig fort-
geschritten; er gedenkt sie bis 900 weiterzuführen; ein zweiter Bearbeiter,
der die Elementarereignisse von 900 bis Beginn des XIII. Jahrhunderts
sammelt, steht schon zur Verfügung Von da ab dürfte sich bei der Weit-
schichtigkeit des Quellenmaterials eine landschaftliche Trennung der Samm-
lung notwendig machen. Theoretisch läßt sich kein Grund namhaft machen,
sie nur auf einen Teil Europas zu beschränken; lediglich praktische Er-
wägungen haben dazu geführt, nicht über das Gebiet hinauszugreifen, das
der Gesamtverein deutscher Geschichts- und Altertumsvereine umfaßt und auf
dessen Veranlassung ja die ganze Publikation überhaupt erfolgt. — In der
anschließenden Aussprache ergriff nur ein Redner das Wort, der auf die
Bedeutung dieser Sammlung für die Geschichte der Pest und damit zusammen-
hängend der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland aufmerksam machte.
Sodann erstattete Herr Prof. Pirchegger (Graz) Bericht über histo-
rische Kartenwerke Österreichs. Erging aus von den beiden jetzt
vorliegenden Teilen des ‚Atlas der österreichischen Alpenländer“, die er
des näheren beschrieb. Methodisch wurde dabei so vorgegangen, daß man
zunächst den jüngsten Zustand (1848) feststellte, um dann rückwärts mit
wachsender Unsicherheit die früheren Verhältnisse zu ermitteln. Das Er-
gebnis war, daß sich die Landgerichtsbezirke bis ins XIII., die Grafschafts-
1) Vgl. Korrespenzblatt des Gesamivereins 1907, S. 150 fl.
— 52 —
bezirke bis ins XI. Jahrhundert zurückverfolgen lassen, in Tirol gar die
Gerichtskörper bis ins X. Jahrhundert. Was die Quellen anbetrifft, so hat
Eduard Richter, von dem die entscheidende Anregung zu dem Unter-
nehmen ausging, geglaubt, daß die Landgerichtsbezirke und Steuergemeinde-
grenzen zusammenfielen, mithin deren Kenntnis jene vermittelten. Das trifft
für Salzburg und Kärnten zu; in Steiermark aber haben beide nichts miteinander
zu tun; in den meisten Kronländern deckt sich Landgerichtsgrenze mit Pfarrei-
sprengel nicht; auch in Steiermark ist dies nur sehr selten der Fall, jedoch
die Archidiakonatsgrenzen sind die der Grafschaften. In Tirol fallen Land-
gerichts-, Gemeinde- und Pfarreigrenze zusammen. Neben diesen indirekten
Quellen kommen als direkte neben den alten Karten die Grenzbeschreibungen
in Frage; sie sind aber sehr verschieden im Wert, weil sie sich oft in zu
allgemeinen Ausdrücken ergehen. Der Versuch, durch Grundbuchstudien
Korrekturen anzubringen, war in der Steiermark nicht möglich, weil diese
hier keine Angaben über die Landgerichte enthalten; eher ließ sich schon
mit guten Naturgrenzen Abhilfe schaffen.
Handelte es sich bei diesem Referat um die Mitteilung der quellen-
mäßigen Grundlagen und Arbeitsweise für ein abgeschlossen vorliegendes
Werk, so stellte uvmittelbar darauf Freiherr v. Karg-Bebenburg (Mün-
chen) Dinge zur Diskussion, die sich noch in statu nascendi befinden. Er
berichtete über die „Territorienkarte von 1802“ als Teil des Historischen
Atlasses von Bayern an der Hand zweier charakteristischer Kartenproben
aus Schwaben und der Oberpfalz !). Ziel der Karte ist es, dort die Grenzen
der Territorien und nur der niederen Gerichtsbarkeiten, hier die der Terri-
torien, hohen und niederen Gerichtsbarkeiten zu ermitteln. Diese Unter-
scheidung ist dadurch bedingt, daß das heutige Königreich Bayern aus zwei
Ländergruppen von ganz verschiedener staatlicher Entwicklung besteht: die
altbayerischen Teile mit der geringen Anzahl vorhandener Territorien sind
den ostdeutschen Landschaften zu vergleichen; die schwäbischen, fränkischen
und pfälzischen Teile haben dagegen an der westdeutschen Zersplitterung
der Staatsgewalt voll teilgenommen; hier auch noch die oberen Gerichte,
die keineswegs immer mit den Territorien zusammenfallen, in die Karte auf-
zınehmen, hätte deren Übersichtlichkeit stark beeinträchtigt. Dabei bietet
sich für Schwaben noch die Schwierigkeit, festzustellen, was ein Territorium
ist. Im allgemeinen hat man als Kriterium das Gesetzpublikationsrecht gelten
lassen; doch ist das mitunter nicht so ganz sicher, und es sind von Fall
zu Fall Kompromisse eingegangen worden.
Die Ermittlung des Grenzverlaufs beruht grundsätzlich auf archivalischer
Forschung. Die Quellen bilden zuverlässige, meist handschriftlich überlieferte
Karten und Grenzbeschreibungen; daneben werden zur Ergänzung Höfe-
rollen, Steuerbücher herangezogen usw. Eine genaue Übersicht über das ver-
wandte Quellenmaterial für die Ermittlung jedes Gerichtsbezirks bieten die den
Karten beigegebenen Texte. Bei der stellenweisen Verwendung der modernen
Gemeindegrenzen muß mit besonderer Vorsicht verfahren werden, weil diese
im Laufe des XIX. Jahrhunderts viele, oft tief einschneidende Veränderungen
I) Vgl. Oberbayerisches Archiv (zugleich Forschungen zur Geschichte Bayerns)
Rd. 57, S. 322 fi.
=, e e
erfahren haben. Ob Straßen und Wald in die Karte mit aufzunehmen sind,
darüber ist, so berichtete der Vortragende, noch keine Entscheidung ge-
troffen worden. Endlich stellte er die technisch-kartographischen Abwei-
chungen fest, die der historische Atlas von Bayern gegenüber dem der öster-
reichischen Alpenländer bringen wird.
Darauf schloß Hofrat Redlich die erste Sitzung.
Nachdem am nächsten‘ Tage nachmittags 4 Uhr zunächst Major Frey-
tag vom k. und k. Kriegsarchiv auf den reichen, handschriftlichen Karten-
schatz hingewiesen hatte, den dieses birgt — er setzt ein mit der Zeit des
Dreißigjährigen Krieges, findet seine breiteste Ausdehnung zur Zeit des
Türkenkrieges 1688—1690 und reicht bis in die Napoleonische Zeit —, ent-
wickelte sich eine lebhafte Debatte im Anschluß an den Vortrag Karg-Beben-
burgs. Es handelte sich namentlich um technisch-kartographische Erörte-
rungen; allgemein wurde der Wunsch ausgesprochen, in die historischen
Kartenwerke wohl die Straßen, nicht aber den Waldbestand aufzunehmen,
sondern dafür Sonderkarten anzulegen; dagegen waren die Ansichten, ob es
sich empfiehlt, auch die Geländezeichnung preiszugeben, geteilt. Allgemeine
Zustimmung fand auch die von Archivdirektor Hansen (Köln) ausgehende
Anregung, die Beratungen der Konferenz von denen des Historikertages
zeitlich zu scheiden, um der Übermüdung der Teilnehmer beider Veranstal-
tungen vorzubeugen.
Sodann ergriff als letzter Redner Privatdozent Dr. Jakob Strieder
(Leipzig) das Wort zu einem Vortrag über die Sammlung handelsgeschicht-
licher Quellen, der sich inhaltlich im wesentlichen mit dem vor einiger
Zeit ergangenen Aufruf der Historischen Kommission bei der Königlichen
Bayerischen Akademie deckte t). In der sich daran anschließenden lebhaften
Diskussion wurde namentlich auf die Unzweckmäßigkeit der geplanten lokalen
wie zeitlichen Begrenzung der Publikation hingewiesen.
Zu der für den nächsten Tag, jarr Uhr vormittags, angesetzten Sitzung
des engeren Kreises der Institutsvertreter zu Meinungsaustausch über Umfang,
Druckkosten und Absatz der Publikationen ist es, wie schon oben angedeutet,
nicht gekommen.
Archive. — Die Stadt Eger wird in einer Urkunde vom Jahre 1061
zum ersten Male genannt. Von Kaiser Friedrich I. 1179 zur Reichsstadt
erhoben, gewann Eger, günstig gelegen an einer uralten Handelsstraße und
am Grenzpunkte verschiedener Gebiete, schon frühe eine hohe Bedeutung.
Das älteste Urkundenmaterial, dessen Gesamtheit das damalige Stadtarchiv
bildete, ging wohl bei dem großen Brande 1270 in Flammen auf. Erhalten
hat sich nur als das älteste schriftliche Denkmal eine die Bestätigung früherer
Privilegien enthaltende Urkunde König Ottokars vom 4. Mai 1266. Die
sich bei dem unmittelbaren Schriftenverkehr mit Kaisern und Königen, Päpsten
und Bischöfen, mit unzähligen Ortschaften und dem Adel des alten deutschen
Reiches schnell.anhäufenden Urkunden und Akten der Stadt Eger nach 1270
haben ähnlich traurige Schicksale und dieselbe schlimme Verwahrlosung und
1) Vgl. diese Zeitschrift Bd. 14, S. 297—299.
Vernachlässigung erfahren wie die Archivalien so mancher anderen Stadt.
In verschiedenen Gewölben und Dachbodenräumen lagen die wertvollsten
Pergamente jahrhundertelang zerstreut unter Staub und Ruß, nur die Privi-
legien blieben in zwei eisernen Kisten verwahrt. Nach Erbauung des neuen
Rathauses 1728 wurde nur ein kleiner Teil der Urkunden in einem kleinen
Gemach untergebracht, die größere Masse wanderte auf den Dachboden. Als
1850 nach Einführung der k. k. Gerichte die Stadtgemeinde das Rathaus
dem Staat überließ und das jetzige Stadthaus bezog, wanderten wegen Platz-
mangels die Urkundenschätze korbweise wieder auf die Bodenräume des Stadt-
hauses und lagen hier massenweise in ungeordneten Haufen durcheinander.
Bei den Überräumungen in den Jahren 1728 und 1850 mag manches wert-
volle Stück verschleppt und verschleudert worden sein. Nach einem zwei-
maligen weiteren Wechsel der Archivräume 1865 und 1892 fand das Archiv
ı912 endlich eine würdige Unterkunft in dem 1268 gegründeten und 1782
aufgehobenen Stifte St. Klara, das von 1816—1908 als Gefangenhaus ge-
dient hatte. Es füllt fünf Räume, die der Frühzeit des Klarissinnenordens
angehören.
Das Egerer Stadtarchiv zählt zu den hervorragendsten städtischen Archiven
Österreichs und Deutschlands. Seine reichen Schätze — seit 1895 — ge-
ordnet und der wissenschaftlichen Forschung nutzbar gemacht zu haben, ist
das Verdienst des Egerer Archivdirektors, des Regierungsrats Dr. Karl
Sıegl, der neben dem Archiv auch die Ratsbibliothek und das Museum
der Stadt verwaltet. Seine allzeit hilfsbereite Gefälligkeit, die begeisterte Hin-
gabe an sein Amt, seine erstaunliche Arbeitskraft, peinliche Gewissenhaftig-
keit und umfassende historische Bildung machen ihn zum vorbildlichen Muster
eines Archiwleiters. Mit einem Fleiße, der nicht zu übertreffen ist, hat er
— ohne Mitarbeiter und Hilfskräfte — das Egerer Archiv, das trotz mehrerer
Ansätze zur Neugestaltung (mit Ehren sind unter seinen Vorgängern Prof.
Dr. Franz Kürschner und der Egerländer Sprachforscher Heinrich Gradi zu
nennen) der Ordnung und Benutzbarkeit entbehrte, zu einem der best-
geordneten Stadtarchive gemacht. Tausende von Urkunden und verstaubten
Aktenbündeln, in denen er viele wichtige, nicht hineingehörige alte Urkunden
und Wiegendrucke fand, hat er zum ersten Male geöffnet und katalogisiert.
Das Egerer Stadtarchiv besitzt gegen 100000 handschriftliche Stücke,
darunter über 3000 Pergamente, 2500 Kaiser- und Königsbriefe mit mehreren
goldenen Bullen, sämtlich im Original, und etwa 10000 handschriftliche Bücher.
Das helle und stimmungsvolle Arbeitszimmer des Archivdirektors, dessen Ge-
wölbedecken eine mächtige romanische Säule trägt, enthält einen Teil der
alten Ratsbibliothek und in einem eingemauerten eisernen Schrank u. a. die
Egerer Privilegien von 1266 an mit den Goldbullen, die ältesten Egerer
Stadtgesetze (1352), die Achtbücher des Egerer Schöffengerichts, die, mit
1310 beginnend, zu den ältesten derartigen Rechtsdenkmälern gehören, die
Urgichtenbücher, in denen die während der Tortur niedergeschriebenen Aus-
sagen (urgichte) der Gefolterten !) verzeichnet sind, 23 bis ins XVI. Jahr-
1) In den „Ausgabsbüchern‘“ finden sich u. a. die Ausgaben „für Wein, Bier und
Heringe‘“ für die Richter und Schöppen bei den Folterungen, Ausgaben für Verbren-
nungen, Räderungen usw. von Übeltätern.
rn ge
hundert hinaufreichende handschriftliche Chroniken der Stadt u. a. m. Viele
von diesen kostbaren Schriftdenkmälern, in verschiedenen Werken früher als
„verloren‘‘ bezeichnet, sind erst durch die Bemühungen Siegls in anderen
Archiven und Bibliotheken wieder aufgefunden und ihrer alten Heimat zu-
geführt worden. Das einstmalige Refektorium der Klarissinnen neben dem
Direktorialzimmer enthält das eigentliche, überraschend reichhaltige Archiv.
In mehreren rings an den Wänden angebrachten, mit Rolläden verschließ-
baren Nischen liegen die Pergamenturkunden, jede einzeln in einem Lein-
wandumschlag, das Siegel noch besonders in mit Watte gefüllte Schachteln
eingebettet. Jeder Umschlag enthält das Datum und die Katalognummer.
Auf hohen Gestellen stehen die Verwaltungsbücher der Stadt, die meisten
in einer Vollständigkeit und Lückenlosigkeit, wie sie anderswo nicht oft zu finden
sein dürfte. Ausgabsbücher (1390—1799), Bernbücher (1543 — 1652: von
berna, bern = Abgabe, Steuer, d. i. die an den König zu leistenden
Steuern), Grundbücher (1618ff.), Kopialbücher (mehrere noch aus dem
Mittelalter, dann von 1515—1803 lückenlos), Losungsbücher, in denen die
an die Stadt zu leistenden Steuern der städtischen Untertanen verzeichnet
sind (1390—1758), Rechnungen von Kirchen, Klöstern, Schulen, dem
Deutschen Orden, Klosteuerbücher 1392 — 1789 (= Steueranlagen von
den städtischen Untertanen auf dem Lande, die nach der Anzahl der
„Klauen“, [ahd Aldwa, chlöa], d. i. der Haustiere berechnet wurden), Pro-
klamabücher 1562—1790, Protokolle allerart 1504—1756, Register (Unter-
lagen zu den Ausgabsbüchern) 1395— 1768, Stadtbücher bzw. Schuldprotokolle
1387—1496, die eigentlichen Stadtbücher (Ratsbeschlüsse) von 1545—1787
(im Stadtbuch 1634 die amtliche Beurkundung der Ermordung Wallensteins
und seiner Offiziere), Umgeldbücher 1442—1765 (Umgeld, Ungeld = Ab-
gaben für Wein, Bier usw.), Türkensteuer- Einnahmsbücher v. J. 1544 (von
Geistlichkeit, Adel, Bürgerschaft und Landvolk), Urbarien, Zinsbücher, Zunft-
bücher u. a. m. In zahlreichen Doppelschränken sind die Papierhandschriften
aufbewahrt in vielen Hunderten von Faszikeln, alle nach Stoffen von Siegl
genau geordnet. Die Akten des Dreißigjährigen Kriegs füllen allein einen
ganzen Schrank. Mehrere Foliobände umfassen die von Siegl hergestellten
Regesten und die Auszüge aus den Handschriften und handschriftlichen
Büchern, durch die den Forschern viel Zeit und Mühe erspart wird. In
einem 388 Folioseiten starken Druckwerke: Die Kataloge des Egerer Stadt-
archivs (Eger 1900; besprochen in dieser Zeitschrift ı. Bd. [1900],
S. 297— 298) hat Siegl die Urkunden, Akten und Handschriftenbücher sach-
kundig zusammengestellt; aus diesem übersichtlichen Katalog ist leicht zu
ersehen, daß das Egerer Stadtarchiv eine geschichtliche Fundquelle ersten
Ranges ist: in. den Kapiteln „Die Beziehungen der Stadt Eger und des
Egerlandes nach auswärts“ sind außer Österreich nahezu alle deutschen Land-
schaften, die Schweiz und Belgien vertreten; für die Geschichte der deutschen
Fürstenhäuser, der Dynasten- und Herrengeschlechter, für Adels- und Orts-
geschichte bietet das Archiv eine reiche Ausbeute, besonders gut bedacht
sind Sachsen und Thüringen, der bayrische und der fränkische Kreis.
Das ihm anvertraute Archiv mit seinen wertvollen Schätzen ist für Siegl
die Fundgrube für zahlreiche Veröffentlichungen geworden. Sie behandeln
u. a. die Geschichte und Kulturgeschichte der Stadt und Burg Eger und
ge 350: we
des Egerlandes, die Beziehungen zwischen Böhmen und Sachsen, Zunftwesen,
Münzwesen und die Geschichte Wallensteins, für die er mancherlei vorher un-
bekannte Quellen erschlossen hat. Reinhold Hofmann (Zwickau).
Geschichtslehrervereinigung. — Auf der letzten Philologentagung
in Marburg ist ein Verband deutscher Geschichtslehrer gegründet wor-
den. Die von über 5o Teilnehmern aus allen Teilen Deutschlands besuchte
erste Versammlung verlief in der erwünschtesten Weise. Aus den anregen-
den Vorträgen und lebhaften Debatten ergab sich die einmütige Überzeugung
der Anwesenden, daß die historische Unterweisung der Jugend, auf der sich
die staatsbürgerliche aufbaut, eine der wichtigsten Aufgaben der deutschen
Schule ist, und der ernste Wille, an der Vervollkommnung dieses Unter-
richts kräftig mitzuarbeiten. Lehrer aller Schularten sind als Mitglieder will-
kommen; erfreulicherweise haben auch eine Anzahl Universitätsprofessoren
durch sofortigen Beitritt ihr Interesse bekundet. Zum ersten Vorsitzenden
wurde Gymnasialdirektor Neubauer (Frankfurt a. M.) gewählt. Stellvertreter
ist Universitätsprofessor Bernheim (Greifswald). Anmeldungen sind an den
ersten Schriftführer, Lehrer Walter Behrendt (Leipzig-Schönefeld, Stöckel-
straße 6) zu richten, der Jahresbeitrag von 2 .# an den ersten Schatzmeister,
Oberlehrer Dr. P. Rühlmann (Leipzig, Lampestraße 7) zu senden.
Eingegangene Bücher.
Krause, Ludwig: Zur Entwickelung der Haus-, Hand- und Handelsmarken
[= Beiträge gur Geschichte der Stadt Rostock, hggb. vom Verein für
Rostocks Altertümer 7. Bd. (1913), S. 77—80].
Lahusen, Johannes: Die Siegel der Grafen von Freiburg. Freiburg i. B.,
Fr. Wagner 1913. 24 S. 8%. A 0,90.
Menghin, Oswald: Eine spätneolithische Station bei Melk (Niederösterreich)
[> Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien Bd. 43
(der dritten Folge Bd 13), S. 94—103].
Meier, Paul Jonas: Niedersächsischer Städteatlas, im Auftrage der historischen
Kommission für Niedersachsen herausgegeben. I. Abteilung: Die Städte
des Herzogtums Braunschweig. Probeheft: Holzminden. Braunschweig
und Berlin, George Westermann 1913. 2 Blätter und 3 S. Text,
Naumann: Zur Geschichte der Archidiakonate Thüringens. [== Zeitschrift
des Vereins für Kirchengeschichte in der Proving Sachsen, 9. Jahrgang
(1912), S. 155—206].
Pirenne, Henri: Geschichte Belgiens. Deutsche Übersetzung von Fritz
Arnheim. Vierter Band: Von der Ankunft des Herzogs von Alba
(1567) bis zum Frieden von Münster (1648). Gotha, Friedrich Andreas
Perthes, A.-G. 1913. 655 S. 80%. Ææ 16,00.
Schulz-Minden, Walther: Das germanische Haus in vorgeschichtlicher
Zeit. Mit 48 Abbildungen im Text. [= Mannus-Bibliothek, hggb.
von Gustaf Kossinna, Nr. 11]. Würzburg, Curt Kabitzsch 1913.
128 S. 8%. M 4,00.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Dresden.
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.
Deutsche Geschichtsblätter
Monatsschrift
Eriorschung dentscher Vergangenheit anf Jandesgeschichtlicher Grundlage
XV. Band Dezember 1913 3. Heft
Die Sisediungs- und Bevölkerungsverhält-
nisse im ehemaligen Amt Birkenfeld
Von
Wilhelm Fabricius (Darmstadt)
Der mittlere Teil des jetzigen Fürstentums Birkenfeld, der zum Her-
zogtum Oldenburg gehörigen Enklave in der preußischen Rheinprovinz,
bildete im Mittelalter das zur hinteren Grafschaft Sponheim gehörige
Amt Birkenfeld, zu welchem auch noch einige Gemarkungen der
preußischen Landkreise Trier und St. Wendel gerechnet werden müssen.
Die erhaltenen statistischen Quellen ermöglichen eine Nach-
prüfung der kürzlich von Gustav Strakosch -Graßmann (Wien) auf-
gestellten Behauptung, daß die Landbevölkerung Deutschlands — mit
Ausschluß der in irgendeiner Industrie tätigen Leute — seit Jahr-
hunderten in der Hauptsache stationär geblieben sei !).
Zwar ist die Gegend von Birkenfeld heute durchaus nicht ohne
Industrie, die Oberstein-Idarer Edelsteinschleiferei ist bekannt, und
auch die Eisenwerke Abenteuer und Börfink-Muhl haben eine Zeitlang
auf die Bevölkerungsverhältnisse eingewirkt. Doch sind in den meisten
Gemeinden wohl immer Ackerbau und Viehzucht die Haupterwerbs-
quellen geblieben 2).
Die älteste Nachricht über die Orte Birkenfeld und Nieder-Brom-
bach findet sich in der Urkunde des Trierer Erzbischofs Ekebert 3),
nach welcher der Herzog Liutwin, später Erzbischof von Trier (695
bis 713), dem Trierer Paulinsstift Güter in Branbach und Birkenvelt
mit den Kirchen und allen anderen Zubehörungen geschenkt habe,
die dem Stift von Ekebert nicht mehr zurückgegeben werden konnten,
1) Deutsche Geschichtsblätter 14. Bd. (1913), S. 285 fi.
2) A.E.J. Barnstedt: Geographisch- historisch -statistische Beschreibung des
Großherzoglich Oldenburgischen Fürstentums Birkenfeld (Birkenfeld 1845). H. Baldes
und P. Weßner: Birkenfelder Heimatkunde (Birkenfeld 1911).
3) Mittelrheinisches Urkundenbuch 1, S. 311 Nr. 255.
an
— 58 —
da sie inzwischen entweder zum erzbischöflichen Tafelgut geschlagen
oder zu Lehen vergeben worden waren.
Am Ende des XII. Jahrhunderts gibt der Liber annalium iurium
archiepiscopi et ecclesie Trevirensis eine ausführliche Darstellung der
Besitzungen und Rechte der Trierer Erzbischöfe in den Bännen
Birkenfeld und Brombach !). Im Banne Birkenfeld hatte der Erzbischof
16 Hufen, außerdem ı Hufe zu Sötern. 24 Hufen daselbst gehörten
Unterbeamten des Schultheißen, dem sie dafür zu Diensten verpflichtet
waren. 44 Hufen gehörten zum officium villicationis. Im Banne
Brombach hatte der Erzbischof 36 Hufen, von denen 10 dem Schult-
heißen zinsbar waren. Auch hier hatten die Unterbeamten 24 Hufen.
Bei Malbruch (Malborn) lag der Wald Idere, der sich in der Länge
von Wizuloz (Wiesfloß, unbestimmbar) bis zum Howeburne (unbestimm-
bar) und in der Breite von Bulenbrech (Buhlenberg) bis Malborn er-
streckte. Der Graf von Sponheim war Vogt dieses Waldes und hatte
ihn zu schützen. Auch der Wald Camirvorst gehörte dem Erzbischof.
Hier hatte der Graf keine Rechte.
Der Bezirk des erzbischöflichen Gebietes vom Banne Birkenvelt
und Branbach fing bei .Brunichenburne (Breungenborn in der Winter-
hauch) an und reichte über Richenback (Reichenbach), Aldena (Alten-
Nahe, jetzt Nohen), durch den Wald Dureholz (jetzt Brand) bis zur
Brücke von Isena (Eisen) ?).
Der Graf von Sponheim war Vogt im ganzen Banne Birkenfeld
und empfing für diesen Dienst eine bestimmte Besoldung in Naturalien.
Er hatte im Auftrag des Erzbischofs zu richten über jeden Frevel,
der vor ihn gebracht wurde. Von den Gerichtsbußen vom Banne
Birkenfeld und Brombach empfing der Erzbischof zwei Teile, der Graf
den dritten. Die ganze Gerichtsbarkeit vom Banne Birkenfeld und
Brombach gehörte dem Erzbischof, und sein Schultheiß sollte immer |
Richter sein, außer in den Fällen, wo er freiwillig den Vogt herbeirief.
Der Vogt aber sollte dreimal im Jahre dem Gericht vorsitzen, das
man (echtes) Ding nennt.
In Inglinheim wohnten vier Fischer, die gehalten waren, für den
Erzbischof jederzeit, wann er es wollte; zu fischen in der Drogene
1) Mittelrheinisches Urkundenbuch U, S. 409. Nach Keutgen: Ämter und
Zünfte, S. 102 ist dieses erzstiftliche Urbar zwischen 1180 und 1190 entstanden. Vgl.
Westdeutsche Zeitschrift, Ergänzungsheft 13 (1906): F. Rörig, Die Entstehung der
Landeshoheit des Trierer Erzbischofs, S. $.
2) Nur die Südgrenze wird in groben Zügen angegeben, die Nordgrenze bildete
der Idarwald.
=, 50. ze
(Traun) und in der Na (Nahe). Und diese Fischerei des Erzbischofs
reichte von der Virmerisbach (unbekannt) bis zur Mündung der Suus-
bach (Siesbach) in die Nahe und von da bis Hamerswilre (Hammer-
stein), und nach der anderen Richtung von Ellenwilre (Ellweiler an
der Traun) bis Dagebrechdeswac (Dagoberts "Woog, unbekannt, wohl
an der oberen Traun zu suchen).
Damals war also das Eızstift Trier im Besitz der Bannherrschaft
zu Birkenfeld und Brombach, der Graf von Sponheim war als Vogt
berechtigt, dreimal im Jahr echtes Ding zu halten und sonst nur ein-
zugreifen, wenn der erzbischöfliche Schultheiß ihn rief. Er hatte außer
einer geringen Naturalbesoldung ein Drittel der Gerichtsgefälle. Von
besonderen Vogtleuten, die ihm Abgaben zahlten, ist in dem Liber
amalium iurium nicht die Rede.
1311 hatte Graf Johann von Sponheim über die Bede in Birkenfeld
zu verfügen !). Diese Abgabe wurde ursprünglich von Gemeinfreien er-
beten, dann aber ständig erhoben. Es müssen also außer den trierischen
Hörgen auch ursprünglich Gemeinfreie in dem Gebiet gewohnt haben,
über die nicht der Erzbischof, sondern der Graf an seinen drei Ding-
tagen zu richten hatte.
Als der Erzbischof die Banngewalt auf den ganzen Birkenfeld-
Brombacher Bann beanspruchte und den Grafen für gewöhnlich daraus
verdrängt und seine Rechte auf die des Vogtes beschränkt hatte,
wie sie in dem Liber annalium iurium ihm zugestanden werden,
wurden aus den Gemeinfreien die sponheimischen Vogtleute, die zu
einer Abgabe von Hafer und Hühnern an den Grafen verpflichtet
waren. Beide Gewalthaber, der Erzbischof und der Vogt, bekämpften
einander, und der Gegensatz führte 1326 zu einer Fehde, in deren
Verlauf der Erzbischof Baldewin auf dem Banne von Birkenfeld eine
Burg errichtete. Die Gräfin Loretta von Sponheim, die damals die
Regierung für ihren unmündigen Sohn führte, wurde durch den Erz-
bischof zu einem Waffenstillstand genötigt. Aber bald darauf überfiel
sie den Kirchenfürsten auf der Mosel auf einer Fahrt von Trier nach
Koblenz und hielt ihn 9 Monate lang auf der Starkenburg bei Trar-
bach gefangen, bis sich Baldewin am 7. Juni 1328 zu einem Vertrag
verstand, worin er die angefangene Burg bei Birkenfeld der Gräfin
überließ, und versprach, daß Kurtrier keine Burg mehr auf sponheimi-
schem Gebiet bauen wolle. Auch der Rest der trierischen Gülten
und Einkünfte zu Birkenfeld sollte zum Lehen der Grafen von Spon-
1) J. G. Lehmann: Geschichte der Grafen von Sponheim II, S. 22.
5*
z= G0 =
heim geschlagen werden !). Von dem Lösegeld, das der Erzbischof
zu zahlen hatte, errichtete Loretta die Frauenburg an der Nahe, wo
sie nach Abgabe der Regierung an ihren Sohn ihren Witwensitz hatte.
Sie erhielt dazu nach der Urkunde vom 20. September 1331 eine
Rente von 500 Pfund auf die Dörfer Brainbach (Nieder-Brombach),
Richenbach und Nain (Nohen) und zugehörige Orte. Am 27. Dezember
1332 gestattete Kaiser Ludwig der Bayer, die Taldörfer Birkenfeld und
Frauenberg zu befestigen, und erteilte ihnen städtische Freiheiten ?).
Anfangs waren noch andere Herren an den grundherrlichen Rechten
in einzelnen Dörfern beteiligt. Diese Besitzungen wurden nach und
nach von den Grafen von Sponheim erworben. So brachten sie
1269 die Dörfer Birkenfeld und Rinzenberg von den Herren von
Schwarzenberg an sich, vor 1281 das Allodium Rychenbach (das da-
mals als neuerworbenes Gut dem Grafen von Luxemburg zu Lehen
aufgetragen wurde) und 1332 das Dorf Siesbach, zu dem auch Güter
in Leisel, Brombach, Hußweiler und Nockenthal gehörten ?). Noch 1438
waren die 7 Erbhöfe zu Eborn, die 5 Erben zu Klaffweiler und die
4 Erben zu Bernbach an andere Herren zinspflichtig, mußten aber
dem Grafen von Sponheim Landfrone leisten, Bede, Vogthafer und
Vogthühner abgeben 4).
Von der trierischen Herrschaft über Birkenfeld war nur die Lehens-
hoheit übrig geblieben, die tatsächliche Gewalt war an die Grafen
von Sponheim gekommen, und das Amt Birkenfeld teilte nun die Ge-
schicke dieser Grafschaft 5).
Die älteste Bevölkerungsliste der Pflege Birkenfeld aus dem Jahr
1367 wird im Reichsarchiv zu München aufbewahrt (E 5153 Nr. 4).
MCCCLXVI. Diz sint die lude in Birkenfelder banne gesessen, die
voithunre und voithaber gent:
Zu Isenahen Manch, item Ny, 2
item zu Draunen Thomas, item Hücgen, item Tilman, item Hennys, item
Bupemal Hans, item Sengenbusch wip, item Thomas 7
item Marcman von Leygen, item Mülner von Leygen 2
item Heincz von Runczenberg, item Sumer von Runczenberg, item Henckin
Lauber, item Diele Prüme 4
ı) Lehmann a. a. O. II, S. 35. Günther, Codex diplomaticus Rheno-
Mosellanus II, S. 256.
2) Lehmann a. a. O. II, S. 44. 39.
3) Baldes u. Weßner: Heimatkunde, S. 31. Mittelrheinische Regesten IV, S. 851.
4) Gültbuch der Grafschaft Sponheim im Staatsarchiv Koblenz.
5) Fabricius: Erläuterungen zum geschichtlichen Atlas der Rheinprovinz II,
S. 436—439. |
u. Gl.
item Wilkin (von) Wilwilre I
item Kacher von Bulenberg, item Schenckel, item Arnold von Bulenberg 3
item Kempe von Etzwilre I
item Waghener von Runtzenberg, item Heincz Cunen son von Runczen-
berg, item Peter von Runczenberg, item Benczers, item Jacob an dem
Ende, item Cone Crul 6
item Hans von Ellenberg, item Swartz, item Henckin Schele, item Lade 4
item Henkin Treuer von Veckelare, item Tyne, item Cleschin, item Fuck,
item Henckin Rocken, item Henckin Bruchman, item Lyfmod, item
Wanckenrader 8
item Stoizel von Birckenfelt, item Eckart, item Hans Peffgin, item Lodi-
wich, item Pasche, item Heincz Bruchman, item Kathe die wirtin, item
Henckin Groze, item Clesgin inmitten in dem dorff, item Grove, item
Rusebartz dochter, item Crul, item Norte, item Clas schumecher, item
der Wise, item Kube, item Pust, item Wynant der Metzeler, item
Heinrich uff dem Reche, item Kubirsse, item Tyne uff dem Reche 21
item Clais Schriver von Dientzwilre, (item Peter von Dienczwilre) t), item
Henckin Dielen Knecht 2 (3)
item Lechelman von Staffel, item Peter, item Else 3
item Henckin Buscman von Ebernohe I
item Clas Meyger von Eynscheit, item Greve von Einscheit, item Jacob,
item Wynant, item Fiele, item Henckin Baldewins son, item Ungenade. 7
Summa 71, ane die scheffen und gesworrene, und die den ez min herre
gelaizen hait, daz ist Ny der blinde von Isenahe, Noz, Kurtzhals, Scherer.
Die nächste Liste ist in dem Gültbuch der Grafschaft Sponheim
vom Jahre 1438 im Staatsarchiv Koblenz (Akten der Grafschaft Spon-
heim 291r III 3) enthalten.
Hier heißt es: Item in der obgenanten (Birckenfelder) pflege ge-
fallent zu fauthabern 10 mir 1 fasse von den luden, die ir huszgesesse
hand, und der sind 35 in derselben pflege, der ist 7 husz fry, das sind
scheffen und budel.
Zwischen 1367 und 1438 ist also die seßhafte Bevölkerung auf
die Hälfte zurückgegangen.
Noch trauriger sind die Bemerkungen über die einzelnen Ort-
schaften: Es ligent in der obgenanten pflege dise nachgeschr. dorffer
und zincken, der sind eins teils wuste und werdent doch der gutter und
erben etliche gebuwet und verzinset, als hernach begriffen ist:
Item zu Bulemberg, Winwilr, Runtzemberg und Etzwilr ligent 29 erben,
der ligent 19 wust, die sint mines herren, von den andern zehen erben
fellet zu zins ... und sind zu Bulemberg 3 huszgesesse, 4 huszgesesse
zu Runtzemberg, die andern ligent wust. (Von diesen Ortschaften ist
nur Buhlenberg noch vorhanden, Alt-Rinzenberg lag in Flur 19 der Ge-
1) Durchgestrichen.
i p
markung Buhlenberg und in der Flur § der Gemarkung Abentheuer,
Vorderst- und Hinderst-Etzweiler in den Fluren 4 und 5 der Gemarkung
Buhlenberg; Winweiler, das dem 1367 genannten Wilwilre entspricht, ist
verschollen.) i
Item Vackler und Runtzemberg ligent 18 erbe, der lijt eins wust in
mins herren hand, von den andern 17 erben fellet zins ... (die jetzigen
Gemeinden Feckweiler und Rinzenberg).
Item zu Gulderberg ligent 14 erbe, der ligent in mins herren hand
4 erbe, von den uberigen fellet zu zins ... (Gollenberg).
Item zu Ysenauw ligent r4 erbe, da ist das ein in mins herren
handen, da sol man nach herfarung han. Von den andern 13 erben
fellet jars der herrschaft . . (Eisen).
Item zu Draunen, Brucken ligent zwey erbe, davon fellet zu gulte ...
(Brücken, Traunen, das aber außerhalb des Amtes liegt.)
Item Rumpmail, Uffhofen und Huntzwilr ligent wust in mins herren
handen. (Von diesen Wüstungen kann nur Hinzweiler festgestellt werden.
Nach der Grenzbeschreibung des Amts Birkenfeld im Weistum von 1481
muß Hinzweiler in der Gegend von Achtelsbach an der Grenze des Amts
Birkenfeld gelegen haben. Dort liegt jetzt in der Gemarkung Brücken
Flur ı und 2 ein Distrikt „Hinzhausen“, dagegen in Flur 3 die
„Hinzeler Wiese“. Uffhofen und Rumpmail werden in derselben Gegend,
etwa in der Gemarkung Abentheuer gesucht werden müssen — das Eisen-
werk dieses Namens wird erst später erwähnt).
Item zu Birckenfelt und Elchwilre ligent 15 erbe, der ligent 3 wust
in handen mins herren, von den uberigen 12 erben fallen zu zinsz ...
(Elchweiler wird sonst zur Brombacher Pflege gerechnet.)
Item zu Staffeln ligent 7 erbe in mins herren handen und da wonet
nyemant. (Der Staffeler Hof ın der Gemarkung Dienstweiler-Eborn war
später wieder und noch im XIX. Jahrhundert bewohnt.)
Item zu Ebernae ist wust, und da ligent 7 erbe, die nit der herr-
schafft sint, dieselben erbe werdent doch von anderen luten gebuwen, und
wann lute ir wonung da hettent, die sollent der herrschafft hohe und
nydder dienen mit bett und anderen dingen, wiewol die erbe anderer
lute sind. (Ebernae ist das jetzige Eborn.)
Item zu Dyntzwilr hat min herre % erbe in sinen handen, und ligend
73 erbe da, die werdent der herrschafft nit verzinset, dann die, die sie
innhand, sind knechte zu Birckenfelt im slosse, nemlichen Nosz der wirt,
der keller und Henne von Duntzwiler, die gbent auch kein bette., (Dienst-
weiler.)
Item Leyen daz dorff lijt gantz wust in mins herren handen. („Leyen
uff der Dronen gelegen“ kommt neben alden Runtzenberg, Huntzwilre
und Burne in einem kurtrierischen Lehensbrief für Claus von Birkenfeld
vom 5 Juni 1387 vor. Es lag in der Gemarkung Brücken am Einfluß
der Leyenbach in die Traun. Trierisches Kopialbuch im Staatsarchiv
Koblenz V. 600.)
Ferner wird das Gut zu Eynscheit erwähnt, dessen Pacht erhöht
werden könnte. Jahrmärkte wurden zu dem Heiligen Bosch (Kirche
Heiligenbusch), in Birkenfeld, Nieder-Brombach und Naen (Nohen) ge-
= 69 we
halten. Wüste Erbe lagen noch zu Ingelnheim, Rumpmail, Huntzwilre,
Leyen, Uffhofen und Borne, die 18 Wagen Heu ertrugen. Ingelnheim
ist der Ort, wo die Erzbischöfe von Trier nach dem „Liber annalium
iurium‘“ vier Fischer wohnen hatten, die in der Traun und in der Nahe
fischen sollten. Da es hier mit Hinzweiler (Hinzeler) und Leyen zu-
sammen genannt ist, muß es in der Gemarkung Brücken oder Abentheuer
liegen. Es ist wahrscheinlich, daß in dem Distriktsnamen „Engeln“ in
Brücken Flur ıı sich der Name Engelnheim verkürzt erhalten hat. — Die
Ansiedlung ‚Born‘ könnte in der Bornwiese (Abentheuer Flur 6) gelegen
haben, aber der Name ist zu wenig Eigenname, um darauf ganz sicher
eine Vermutung bauen zu können.
Die „Erben“, von denen in dieser Aufstellung gesprochen wird,
snd doch wohl die Vollbauerstellen, die Hufen, in welche das Land
nach vollendeter Siedlung verteilt worden war. Sie müssen älter sein
als 1367, denn in dem damaligen Steuerverzeichnis läßt sich schon
dass Wüstwerden einiger Ortschaften bemerken. Daß sie zur Zeit des
Liber annalium iurium um 1190 schon vorhanden waren, läßt sich
aus den Angaben über die dem Eiızstift Trier gehörigen Hufen nicht
widerlegen, da ja neben ihnen auch andere Hufen dagewesen sein
können. Denn sonst wäre für die Bede und das echte Ding des Grafen
kein Rechtsgrund gewesen, und Trier hätte volle Immunität und später
Landeshoheit dort entwickelt, da das Land von Trier aus doch leicht
. erreicht und beherrscht werden konnte. Es darf daher angenommen
werden, daß die Verteilung des Landes in die „Erben“ in sehr alte
Zeit zurückreicht und den Zustand nach Vollendung der Rodungen
darstellt. In dem Gültbuch sind in der Pflege Birkenfeld 114 solcher
Erben erwähnt, zu denen noch die in den ganz wüst gewordenen Ge-
meinden kommen. So fehlen die Angaben über die Erben in
Leyen, Hunzwiler, Ingelheim, Uffhofen, Rumpmail, Born und Ein-
scheid. Es können daher ursprünglich noch mehr solcher Bauern-
stellen dagewesen sein. Nimmt man die Fläche des zu Ackerland
geeigneten Bodens — jetzt sind in diesen Gemarkungen ungefähr
1800 ha Ackerland und über 1500 ha Wiesen —, so wird man finden,
daß für 120 Hufen zu 30 Morgen (höchstens etwa 12 ha) ausreichend
Land vorhanden ist. Es kann nun sein, daß die Güte dieses so verteilten
Landes nicht genügend war, um mit den Mitteln der damaligen Land-
wirtschaft den Besitzern auskömmlichen Unterhalt zu gewähren, und
darum der starke Rückgang der Bevölkerung erfolgen mußte. Aber
ganz erklären kann ich diese Tatsache nicht, da mir keine Nachrichten
über die Ursachen, etwa von einer Pest oder einer Kriegsverheerung
oder großen Auswanderung, bekannt sind.
sa pi Gs
Das Schatzungsregister der hinteren Grafschaft Sponheim von
1465 im Staatsarchiv Koblenz (Sponheim, Akten 315) zählt in Birken-
felder Banne wieder 73 Namen auf, ohne bei jedem den Wohnort
zu nennen; gelegentlich werden dort die Ortschaften Feckler, Ryntzen-
berg, Elwiler, Gollenberg, Ellenberg, Dyentzwiler, Birkenfeld, Ryms-
berg, Robmar !) (?), Brück, Drön, Ysen und Bolenberg genannt, ohne
daß sich genau erkennen läßt, ob damit der Wohnort oder die Her-
kunft (als Bestandteil des Namens) angegeben ist. Bezeichnungen,
wie am „Stade“, „uff dem Wyger“, die je zweimal vorkommen, sind
doch wohl mehr als Zunamen zu betrachten. Von den 73 Besteuerten
zahlte einer nichts, da er völlig arm war, zehn zahlten 6 Albus, elf
ı) Vielleicht der im Gültbuch 1438 Rumpmail oder Rupmal genannte Hof, der
jetzt ganz verschollen zu sein scheint,
Flächeninhalt
A (moderner Kataster) Erben
Pflege Birkenfeld e ae e .. 1438
Gemeinden und (eingerückt) y a 3 AE Is a
Wüstangen und Nebenorte. Sž Fi: 7 z am z t E
, O g O v Sa > o ” o O
E Age > > > > 53 |
Birkenfeld . . . . .| 1200 397 439 264| 2I ? I5 3 I2
Burg-Birkenfeld . . . 74 37 090 8 — ? ee
Feckweiler . . . . . 77 22 46 I) 8 2 a p
Rinzenberg . . . . .|1123 134 115 855| 6 2 l 7
Buhlenberg . er 3 3
Alt-Rinzenber
Winnweiler z . | 844 184 187 446 l Wist = AD -O
Etzweiler . D e ı Wüst
Gollenberg . . . . .| 325 142 96 74 — ? I4 4 IO
Eisen. . . . .| 753 261 182 285 2 ? 14 I I3
Brücken, Traunen. 985 155 161 0648; 7 ? 2 — 2
Leyen, Ingelnheim, Hinz- 2 Wüst. ? — —
weiler (-hausen), Rump- — Wüst. ? — —
mail, Born, Uffhofen. — Wüst. ? — —
Abentheuer, Eisenhütte . 612 65 124 398|noch nicht erwähnt
Dienstweiler . Kr I ? 8 4 7%
Staffelhof. . . . . | 669 334 87 178|) 3 Wüst. 7 7 —
Ebom . . 2.2.20. ı Wüst. — 7
Börfink-Muhl
: noch nicht vorhanden
Einscheider Hof
j \1120 67 83 946 7 9 | 1 Hof — —
7782 1798 1539 4103| 67 35 | 114 35} 78
4
Ellenberg
71
en. 65
1l, Gulden, sechs 1 Gulden, drei ı$ Gulden, elf 2 Gulden, zwölf
3 Gulden, zwei 4 Gulden, neun 5 Gulden, zwei 6 Gulden, zwei 8 Gulden
und je einer 9, IO, 15, 25 Gulden. Veranschlagt war die Schatzung
auf den 20. Pfennig, also 5 Prozent wahrscheinlich des Wertes von
Grundbesitz und Gebäuden. Mit einem Steuersatz von 6 Albus bis
1} Gulden waren 30 Hlaushaltungen, von 2 bis 5 Gulden 34 Haus-
haltungen, und von 6 bis 25 Gulden 8 Haushaltungen belegt. Auf-
fallend ist der Zuwachs von 35 auf 73 Haushaltungen von 1438 bis
1465 innerhalb 27 Jahren. Entweder haben die neuen Herren der
Grafschaft Sponheim (der Pfalzgraf zu Simmern und der Markgraf von
Baden) eine Neubesiedlung der „in des Herren Hand“ liegenden
wüsten Bauernstellen vorgenommen, oder es ist 1438 nicht die ganze
Bevölkerung gezählt worden.
| Haushaltungen | Einwohner
{ S o n u O S a g T g @ $
Mee ul er > a > e a a ee
' 46 7O 53 50 94 145 160 ı81 555 |426 970 2239 2294
> 5 — — I} 24 26 20 33| 64 105 185 122
AS Zi == 5 ? 23 22 3I 36| 30 131 203 154
? 12 17 6 6 II 30 29 33 45 | 61 16I 256 189
"26 33 II ı2 30 47 50 57 97|123 260 387 424
135.19 5 8 I5 31 32 29 24| 89 122 157 117
9 13 — 6 18 24 39 51 75| 73 250 398 390
= 2745 26 — 16 27 47 49 52 131,127 293 483 593
|z 6 17 3 II Ọ I5 16 36 66 | 35 150 450 308
8 1718 22 62) 128
P ~ 2 9 3 15 30 a | 134 —
asien g a a g e i 1 66!
en Fer 2 Nyr n N 341
a ERBE TE NEETIRRWEEEE VEEEEEE NIEREN SUGIERNE NEL Aue REEE OR BEER EEE NE BEER SEE BERCHIEANE RS ERNERREREEN. Ka mn EBERLE. SRRRE ER RHEIN IR EEE
, |73 189 236 87 123 232 419 447 533 1165 |1113 2746 5090
1) Hütten- und Waldleute. Über diese „Waldhüttendörfer‘ vgl. Otto Beck:
Beschreibung des Regierungsbeeirks Trier (Trier 1869) II, 1. S. 202 ff.
Pflege Brombach
Gemeinden und feingerückt) Wüstungen und
Nebenorte.
(t)
E
5
x
bus
a
z
©
O
e
£
ha Ackerland
ha Wiesen
ha Wald
Erben
Nieder-Brombach, Brambach
Rytwiler . ; }
Böschweiler, Bußwilre f
Burbach, Burpach
Elchweiler, Elchwilre
Ellenberg, Ellemberg .
Atzemberg . i
Hechtwiler .
Hambach
Hattgenstein i
Heupweiler, Hupwiler, Hupel
Hußweiler, Huntswiler, Hunsweiler .
Kronweiler, Cromel, Cromweiler
Leisel, Lusseln
Reynchwiler
Huwiler . . f
Hof Heiligenbusch (Wallfahrtskirche)
Nockenthal, Nockendal : i
Ober-Brombach, Obern-Brambach .
Rötsweiler, Retzwilre ;
Huntzhusen .
Klaffwiler
Hirtzenbach ;
Schmißberg, Smiszberg
Schwollen, Swallen . . .
Siesbach, Oberm-Synsbach
Nydern-Synsbach.
Wilzenberg, Dee,
Sprengwiler. :
Geinswiler
Obern-Huntslair
Nydern-Huntslar .
Elswiler .
Bernbach
Hammerstein, Hamerswilre
Ausweiler, Uszwiler .
727 307
Wüstung,
356 120
344 164
212 04
201 62
5IO 97
820 146
277 88
328 96
350 132
831 203
160 70
656 232
161 69
168 99
882 200
742 159
318 112
514 285
428 187
9035
az
| | W ag
e er
jad
95 244| 6 5
wahrscheinlich dicht b
33 170| 9
62 68| 7
42 6062| 13
78 46| 22
I
1 a
117 274| 7
III 543| —
50 120| 3
44 149| ?
40 1I2| II
98 546| 13
4
2
18 51 7
72 266 | 10
24 56| 7
2
5
3
3419| 5
108 538| 18
73 466| 15
Io
60 125 | IO
9
8
6
7}
43 58| 5
43 93| II
2922 1245 4006 |2374
I Z
9 14
4 Q
HEE:
3 I
I I
5
— I
83 102
sa 67 ea
TE EEE En
= bltungen Einwohner
> in 00 nn a © N © ag) © N O
E (8) ın (29) La un O > pad N a + -
r ô O © C aa E~ m m~ (oa m~ > co ©
u pat ung] bg an bi pg [1 ug un]
3 32 10 12 17 33 37 39
\tder-Brombach und darin aufgegangen.
OB 7 6 Io 15 17 2I 24 3I 84 98 107
4 15 9 9 Io 17 I 22 23 52 97 99 106
|9 10 4 5 6 12 6 15 20 30 JI QI 95
0 4 4 6 7 2I 22 22 IÓ 40 75 114 88
»istung, Lage unbestimmbar.
Hama „auf Höhweiler‘“ (Elchweiler Flur K Gollenberg Flur 4).
0 24 7 4 17 33 35 38 33 67 142 203 156
[2 21 3 7 I4 34 37 40 4 68 177 246 199
6 m 5 6 6 I2 15 IQ I3 45 66 63 69
1D 12 6 3 6 14 15 15 22 32 64 86 109
6 7 5 3 7 23 24 25 76 | 42 > 177 366
2 38 16 12 22 39 4I 49 85 99 204 321 433
Wustung auf „Reinchweilerberg‘“ (Leisel Flur 24, Wilzenberg Flur 5).
-) Wistung „Hauler“ (Leisel Flur 26, un Flur 9, II, 13).
3 — — — = — — — 12 (nur Kirche).
6 ọọ — — 5 IO II a I5 26 45 68 77
427 7 9 ı7 33 35 37 64 SI 150 244 348
5 7 5 5 6 2 II I5 28 30 56 95 141
I Wüstung „Hinzhausen‘ (Rötsweiler Flur 3, Ober-Brombach Flur 5).
— Wüstung „Klaffler“ (Burbach Flur 6 u. 7, Klafflerszinsland Burbach
Flur 2, Klafflersgraben Nieder-Brombach Flur 15 u. 17).
— Wüstung, Lage unbekannt.
7 12 5 5 7 I4 I6 ı6 13 39 64 64 73
2 3 7 6 18 39 39 37 68 94 199 358 315
79 23 Ii Ss 14 39 42 46 67 76 190 250 294
13 5 IO 15 20 23 24 30 89 113 166 151
Wüstung „Springweilerflur“ (Wilzenberg Flur 5).
Wüstung „Geisler“ (Hußweiler Flur 1, Leisel Flur 2).
Wüstung „Holzler“ (Leisel Flur 19 u. 2).
m.
Wüstung, Lage unbekannt.
Wüstung „Bärenbach “ (Nieder-Brombach Flur 11).
» Ye; f]
-Q — m- m paap, u ul AE Du TU m a
(1885)
4 5 4 3 II 8 I2 I4 102 32 98 298 572
9 12 3 6 II 24 29 26 53 5I 134 298 306
6
348 123 130 226 452 485 536 878 |1098 2281 4302
m a 4
Sonnenberg !).
168 69 19 33| — — —
Winnenberg, Wy nnemberg
117 87 14 12| Wüster Ho!
5 z _ Haus
Amt Frauenberg | z E S a
l ‚u 2) on > j; 9% o0 `
| O < > Z j£ 2 x
| £ £ Z S ja © ö
Frauenberg, Frauwenberg . 307 77 I7 128| — ı7 I
| 592 233 50 173 | — 17 I:
Pflege Reichenbach
Reichenbach, Richembach . . . .)1084 622 III IQI | 25 IO Il!
Nohen (Alten-Nahe), Noen . . . .| 749 345 103 204| 6 6 €
Rema . . E" — —- — — 5 — —
Rimsberg, Rumersperg a... . | 319 167 25 6ol 9 — —
2152 1134 239 455|45 16 21
Für den Brombacher Bann fehlt ein Verzeichnis aus dem XIV. Jahr-
hundert. In dem Gültbuch von 1438 sind neben den „Erben“ an
jedem Ort auch die der vorhandenen „Mannen‘ angegeben. Vogt-
hafer und Vogthühner zahlten 58 Hlofstätten, 21 Hausgesesse waren
von dieser Abgabe frei.
Das Schatzungsregister von 1465 zieht die Pflege Brombach, das
Amt Frauenberg und die Pflege Reichenbach in einen Steuerbezirk
zusammen; von 144 zur Schatzung llerangezogenen sind sechsund-
zwanzig mit 6 Albus, siebenzehn mit !/, Gulden, zwei mit 18 Albus,
elf mit ı Gulden, dreizehn mit ı$ Gulden, ncunzehn mit 2 Gulden,
drei mit 24 Gulden, achtzehn mit 3 Gulden, zwei mit 3% Gulden,
sechs mit 4 Gulden, einer mit 44 Gulden, acht mit 5 Gulden, vier
mit 6 Gulden, sieben mit 7 Gulden, zwei mit 8 Gulden, einer mit
9 Gulden, zwei mit 10 Gulden und einer mit 16 Gulden veranschlagt.
Auf die Klasse unter 2 Gulden kommen 68 Personen, auf 2 bis
1) Sonnenberg ist erst entstanden, nachdem am 27. Juni 1761 die Nahe und die
bei Frauenberg mündenden Wildbäche diesen Ort (Alt-Frauenberg, damals am Fuße des
Hügels, auf dem die Frauenburg liegt) bei einem Hochwasser ganz zerstört hatten. Die
überlebenden 18 Familien gründeten die jetzigen Dörfer Sonnenberg auf dem linken und
(Neu-) Frauenberg auf dem rechten Naheufer an günstiger gelegenen Plätzen ihrer Ge-
markung. A. E. J. Barnstedt: Geographisch- historisch- statistische Beschreibung
des Großherzoglich Oldenburgischen Fürstentums Birkenfeld (Birkenfeld 1845), S. 6.
hltungen Einwohner
er n in Ne) en oa O N (e)
p (1885)
3 9 3 8 20 20 14 47 4I 48 197 242
(1845)
Er u Aa ae — — I2 45 — 37 113 216
u er S 2 — 3 17 — I7 38 68
Su = 3 8 22 20 29 109| 4I 102 526
| (1885)
I3 32 II 14 3I 59 6r 66 116| 146 233 620 646
(1845)
| i0 16 6 8 16 39 40 5I 69 92 202 285 366
‚ Wistung am Röhmbach bei Nohen.
5 6 I 3 7 17 19 I5 25 41 78 161 127
5 54 18 25 54 IIS 120 122 289 513 1239
5 Gulden 57 Personen, über 5 Gulden zahlten ı7 Personen. Ein
Töpfer hatte an Stelle des Geldes IOo Schüsseln zu liefern.
Die übrigen Zahlen in den Tabellen sind den Verzeichnissen ent-
nommen, die teils in der Sammlung „Horsmanniana‘“ im Kreisarchiv
Speier, teils in den Archiven in Karlsruhe und Koblenz enthalten
sind, siehe darüber Erläuterungen gum geschichtlichen Atlas der Rhein-
proving II, S. 435f. Ein Verzeichnis von 1563 findet sich in einem
Sponheimer Kopialbuch im geheimen Staatsarchiv in München (Kasten
blau 383/9 fol. 465 ff.).
Aus dieser Zusammenstellung erkennt man, daß der Rückgang
der Bevölkerung im ersten Drittel des XV. Jahrhunderts sich auch
auf die Brombacher und Reichenbacher Pflege erstreckt, da auch
dort viele Wüstungen angegeben sind und die Anzahl der Erben so
viel höher als die der Mannen war. Im Amt Frauenberg gab es
keine Erben, da hier die Anlage der Siedlungen erst nach 1326 er-
folgt ist.
Nur langsam erholte sich das Ländchen von der Entvölkerung.
1607 war die Zahl der Erben von der der Hausgesesse überschritten,
ohne daß die wüsten Orte alle wieder besiedelt worden wären. Da
bewirkte der Dreißigjährige Krieg und die Raubkriege Ludwigs XIV.
im XVII. Jahrhundert einen abermaligen bedeutenden Rückgang der
Volkszabl, der erst im Laufe des XVIII. langsam überwunden wurde;
— 70 —
das letzte Drittel dieses Jahrhunderts zeigte dann ein rascheres An-
steigen der Bevölkerung, die erst im XIX. stabil geworden zu sein
scheint.
Im Südosten, bei Hammerstein, Reichenbach und Frauenberg
macht sich der Einfluß der Obersteiner Kleinmetall- und Edelstein-
Industrie geltend.
PLAAS IAAI NINI ONEI AL
Entgegnung
Von
Gustav Strakosch-Grafsmann (Wien)
Zu der Bemerkung des Herrn Dr. Fabricius: ‚die erhaltenen
statistischen Quellen (über die Bevölkerungsverhältnisse des ehemaligen
Amtes Birkenfeld) gestatten eine Nachprüfung der kürzlich“ von mir
„aufgestellten Behauptung, daß die Landbevölkerung Deutschlands
seit Jahrhunderten in der Hauptsache stationär geblieben sei“, habe
ich folgendes zu sagen:
Das ehemalige Amt Birkenfeld ist durchaus als ein Gebiet zu be-
zeichnen, in welchem die Bevölkerung seit 1843 !) bis 1910 stationär
geblieben ist. Die Bürgermeistereien Birkenfeld und Niederbrombach
zählten 1910 10940 Einwohner, 1843 9084. Damals war übrigens
Leisel, das heute zu Niederbrombach gehört, eine selbständige Bürger-
meisterei. Dieser Teil des Fürstentumes Birkenfeld bildet also eine
beachtenswerte Ausnahme von der Bevölkerungsbewegung des Gesamt-
fürstentumes, dessen Einwohnerzahl sich zwischen 1843 und 1910 von
29480 auf 40094 gesteigert hat. Während nun die Zählung von
1843 als eine Zollvereinszählung jedenfalls Anspruch auf Glaubwürdig-
keit machen kann, ist dies bei der Einwohnerbeschreibung von April
1770 nicht der Fall. Im XVIII. Jahrhundert sind nur selten Volks-
zählungen zustande gekommen, welche die wahren Werte erreichen
oder ihnen nahe kommen. Eine Hungersnot, wie die, welche im
Sommer 1770 ausbrach und bis zur Ernte von 1772 dauerte, die
Finanznöte Österreichs, welches bereits zur Zeit Karls VI. allen über-
haupt auffindbaren Grundbesitz Schlesiens in einen Kataster verzeich-
nete, um ihn zu besteuern, der Kampf um Seelen, welcher dazu führte,
1) Die von Fabricius unter 1845 angegebenen Zahlen rühren von einer im De-
zember 1843 vorgenommenen Zählung her, s. Barnstedt: Beschreibung des Fürsten-
tums Birkenfeld, S. 63.
aa F
daß die Geistlichen im Bistume Osnabrück und im nordwestlichen Nie-
derösterreich bald nach 1650 alle Leute verzeichneten, einerlei, ob orts-
mgehörig oder nicht, der Kampf gegen den Kryptoprotestantismus im
Sazburgischen im Jahre 1731 haben die Gelegenheit geboten, Be-
völkerungsverzeichnisse zu schaffen, welche uns noch heute gestatten,
einen Blick in die wahren Verhältnisse zu gewinnen.
Die Einwohnerbeschreibung vom April 1770) ist nun leider vor
dem Ausbruch der Hungersnot verfaßt worden. Ihre Werte sind mit
geringen, vielleicht nur der Zahlenspielerei von Schreibern, die alle
Augenblicke statistische Tabellen liefern mußten, entstammenden
Änderungen in die Bevölkerungstabelle von 1790 übergegangen, die
Fabricius mitteilt. Es ist immerhin lohnend, zu sehen, wie wenig sich
nach der Meinung der Amtsschreiber von Birkenfeld innerhalb zwanzig
Jahren, von 1770 bis 1790 im Ländchen geändert hat:
Einwohnerzahl
nach Fabricius
1770 1790
Birkenfeld 787 970
Burg Birkenfeld 87 105
Feckweiler 120 131
Buhlenberg 250 260
Eisen 244 250
Brücken 256 293
Abentheuer, Eisenhütte 88 150
Dienstweiler 77 62
Eborn 32 53
Niederbrombach 149 150
Böschweiler 75 84
Burbach 75 97
Elichweiler 55 7I
Ellenberg | 83 75
Hambach 134 142
Hattgenstein 187 177
Heunweiler 7I 66
Bußweiler 52 64
Kronweiler 14I 100
Leisel 222 204
Hof Heiligenbusch 9 12
1) Staatsarchiv Koblenz, Sponheim, Nr. 5759.
Nockenthal 5I 45
Oberbrombach 154 150
Rötsweiler 59 56
Schmißberg 70 64
Schwollen 192 199
Siesbach 203 190
Wiltzenberg 116 113
Frauenberg 59 48
Sonnenberg 55 37
Winnenberg 19 17
Reichenbach 254 233
Nohen 200 202
Rimsberg 98 78
Hammerstein 75 98
Außweiler 118 134 !)
417 5180
nach Ausscheidung des Hauptortes Birkenfeld und des Eisenwerkes
von Abentheuer ergeben sich für
1779 1790
Einwohner 4142 4160.
Eine Zunahme von 18 Köpfen innerhalb von zwanzig Jahren bei
einer Bevölkerungszahl von 4142 darf als Stagnation angesehen werden.
Es bleibt jetzt noch das Wachstum von 1790 bis 1843 zu er-
klären. Ich habe in meiner Behauptung über die Stagnation der
deutschen Landbevölkerung durch lange Zeiträume ausdrücklich aus-
genommen alle jene Orte, in welche im Verlaufe des XIX. Jahrhun-
derts die Industrie eingezogen ist — ich hätte ebensogut sagen können,
in welche im Verlaufe der Zeit die Industrie eingezogen ist — und
jene, wo im XIX. Jahrhundert irgendeine größere gemeinnützige
Anstalt — Armenhaus, Spital, Erziehungsanstalt — geschaffen wurde.
Wie steht es damit im Amte Birkenfeld? Für den Hauptort ist hervor-
zuheben, daß seit 1817 hier zahlreiche Behörden errichtet (Barnstedt
S. 306) und daß hier 1821 ein Regierungsgebäude, 1843 eine Militär-
kaserne und ein Detentionshaus, 1836 ein Amtshaus gebaut wurden.
Und die Insassen einer Kaserne und eines Detentionshauses sind doch
für die Dauer ihres Aufenthaltes in diesen Gebäuden entschieden nicht
1) Hierzu bemerkt Fabricius: ich finde die Übereinstimmung der Einzelposten
doch nicht groß genug, um die zweite Reihe auf die Willkür des Schreibers zurück-
zuführen,
a. F. oa
der Landbau treibenden Bevölkerung zuzurechnen, Ferner war vor
1790 den Juden der Aufenthalt im Lande verboten. Für die Volks-
beschreibungen konnten sie daher nicht existieren, 1843 wurden sie
natürlich gezählt. Weiters kann man über den Grubenbau auf Ton-
eisenstein in Buhlenberg, über die anderen Industrien in Buhlenberg
und Schwollen, über die Sandstein- und Schieferbrüche in Böschweiler
und Wilzenberg, über die damaligen Mahl-, Öl- und Walkmühlen in
Niederbrombach nicht hinwegsehen. Bei einem so kleinen Gebiete — es
handelt sich um etliche 40 Ortschaften — spielen diese Erwerbszweige
immerhin eine Rolle.
Die Bevölkerungsliste von 1723, die Fabricius mitteilt, habe ich
nicht gesehen. Ich hege stark den Verdacht, daß entweder nur die
„Erwachsenen“ oder nur die männlichen Einwohner darin berücksich-
tigt sind: beides sind Fälle, denen man in der noch ganz unbeholfenen
Einwohnerstatistik des XVIII. Jahrhunderts recht oft begegnet.
Neben den Bevölkerungslisten bringt Fabricius auch Zahlen, die
aus Besitzregistern entnommen sind, Zahlen, die sich auf bäuerliche
Häuser beziehen, und in welche der kirchliche Besitz, die Pfarr- und
Schulhäuser, die Häuser der Hirten und anderer Leute, ferner das
unmittelbare herrschaftliche Eigentum in der Regel nicht eingetragen
sind. Die Zahlen dieser Register schwanken innerhalb weniger Jahre
um ein ganz beträchtliches, je nach dem Grade der Vollständigkeit
der Aufnahme. In der Regel waren sie veraltet. Mathias Burglechner,
der Sohn eines Sekretärs der Tiroler Kammer, gestorben 1642, hat
eine Beschreibung Tirols hinterlassen. Wie der heutige Geograph
sich verpflichtet glaubt, die neuesten Einwohnerzahlen . neben den
Städtenamen in Klammern anzubringen, so gibt er die neuesten Häuser-
zahlen für manche Dörfer Tirols, nämlich solche aus der Zeit Friedrichs
mit der leeren Tasche, nämlich von 1416; in einzelnen Fällen steigt er
sogar bis in die Zeiten Sigismunds von Tirol hinab, der 1490 abdankte. —
Am 13. Juli 1598 wollte der Herzog von Württemberg wissen, wie viele
Bürger und Inwohner es in jedem Orte seines Landes gebe, und wie
viele Höfe und Mühlen sein Land habe. Heutzutage ist bekanntlich
eine Volkszählung eine mühsame Arbeit, die ein ganzes Heer von
Beamten und zahllose Additionsmaschinen in Anspruch nimmt. Bis
zum Bekanntwerden der ersten rohen Summen vergehen mehrere
Monate. Das alles benötigten die Württemberger Amtleute nicht. Der
Amtmann von Herrenberg ist mit seiner Antwort schon am 15. Juli
da, der Schultheiß zu Hoheneck antwortet am 18. Juli. Sie gaben
nämlich ihrem Herrn einfach Abschriften von alten Registern. Der
6
S 291; see
Amtmann von Herrenberg nimmt ein solches von 1471 oder von 1525
her, wo von 290 „Einwohnern“ seines Gebietes die Rede war, nur
liest er 209 und sendet so seine Liste ein. Der Amtmann von Neuen-
burg liest in einem Register von 1471 92 Untertanen und schreibt
falsch ab und stellt für Neuenburg 42 Untertanen fest. Der Keller-
meister von Pfullingen sendet sogar ein namentliches Verzeichnis ein,
das aber mit einer viel älteren Schrift geschrieben ist, als jene des
Kellermeisters, ein Verzeichnis, das schon einige Dezennien alt war.
Der Berichterstatter für das Amt Hornberg in Baden wiederholt zwar
auch die Ziffer von 1471 (67 Meierhöfe), fügt aber dann doch 2 Mühlen
und 35 Leibgedinghäusel hinzu.
Mit Zahlenmaterial dieser Herkunft kann man alles mögliche und
unmögliche beweisen. Auf Grund solches Zahlenmaterials bin ich
bereit zu „beweisen“, daß im Amte Kastellaun (Rheinprovinz) sich
die Bevölkerung während des spanischen Erbfolgekrieges und der
Hungersnot von 1709 bedeutend vermehrt habe, daß weiter die Zeit
des polnischen, des österreichischen Erbfolgekrieges und des Sieben-
jährigen Krieges eine gesegnete für das Rheinland war. Hier der
„Beweis“ !):
1703 1717 1723 1760
registrierte Hausstellen
Alterkülz 18 19 und 15 14 und 26 40
Bell II 31 31 45
Beltheim 18 26 — —
Buch 15 29 — —
Gödenroth 18 23 27 42
Hasselbach ọ 7 und 7 9 und 6 24
Hollnich 9 I2 14 17
Kastellaun 52 73 83 128
Leideneck 15 22 22 30
Michelbach 12 — 17 28
Roth 9 12 12 29
Ubler I2 18 — 36 ?)
Daß dieses statistische Bild den wahren Tatsachen nicht entspricht,
beweist die starke Auswanderung aus diesen Gegenden nach Amerika,
I) Nach den Listen im Staatsarchiv Koblenz, Nr. 5235 und 5273.
2) Im Amt Kastellaun waren sehr viele Untertanen fremder Herrschaften angesessen,
die bald ausgelassen, bald mitgezählt werden. Fabricius. — Gerade auf diese Wurzel
des Irrtums hat Strakosch-Graßmann Bd. 14, S. 316f. hingewiesen. Der Herausgeber.
= B —
nach Ungarn und nach Preußen; die Leute drängten sich überallhin
in die Fremde und ließen den heimischen Besitz unter den schwersten
Opfern im Stiche.
Sieht man die Angaben der Register näher an, so kommt man
zu unerwarteten Ergebnissen. Die 31 Steuerpflichtigen, die z. B. Bell
im Amt Kastellaun 1723 gezählt haben soll, waren schon 1585 da:
damals gab es ihrer 32. Ähnliche Übereinstimmungen sind die fol-
genden aus derselben Gegend:
Buch 1717 29 1607 28
Gödenroth 1703 18 1585 20 1701 20
Hollnich 1703 9 1585 10
Hundheim 1703 8 1585 9
Kastellaun 1701 66 1465 68
Kastellaun 1703 53 1585 52
Reckershausen 1717 12 1585 II
Das Beispiel von Kastellaun läßt eine überraschende Lösung ver-
muten: der Schreiber von 1701 arbeitete auf Grund eines alten Re-
gisters von 1465, während der von 1703 die Besitzverhältnisse von
1585 zum Vergleiche heranzog. Auch der Schreiber von 1717 hielt
sich an das Register von 1585. Die tatsächlichen Verhältnisse mochten
zu den alten Registern passen oder auch nicht: jedenfalls wurden die
Lasten auf Grund der alten Register eingefordert, womit die Dorf- .
bevölkerung aus Bequemlichkeits- und anderen Gründen einverstanden
gewesen sein dürfte. Die abnorm niedrigen Ziffern in den Jahren der
Wiederherstellung nach dem Dreißigjährigen Krieg dürften demnach
als eine vorübergehende Erleichterung der Lasten zum Zwecke des
Wiederaufbaues anzusehen sein. In Prozessen des XVI., XVII. und
XVIII. Jahrhunderts tritt häufig die Tatsache hervor, daß die alten,
von der Herrschaft immer wieder vorgeführten Register längst nicht
‘mehr den wirklichen Verhältnissen entsprachen.
Es sei nunmehr aus den rheinischen Verhältnissen und zwar aus
solchen, die dem Herrn Dr. Fabricius durch seine literarischen Ar-
beiten besonders nahe liegen, ein weiteres Beispiel herausgeholt, das
zu vorsichtiger Prüfung des durchwegs von den Herrschaften über-
lieferten Materiales auffordert. Im Jahre 1720 zeigt ein gewisser Johann
Wilhelm Lisfeld zu Sobernheim (Kreis Kreuznach) an, daß der Amts-
verweser beinahe 100 Morgen „vakanter Güter“ genieße, ohne daß
die Herrschaft irgendeinen Nutzen habe. Er fragt beim Kurfürsten
an, ob er ihm diese Güter verkaufen wolle. Diese angeblich ‚„vakanten
; 6*
u E
Güter‘ hatte der Amtmann zwischen 1703 und 1707 den damaligen
Inhabern, weil sie ihre Besitzrechte nicht nachweisen konnten, weg-
genommen, trotz aller Proteste. Zur Zeit der kaiserlichen Sequestration
der Kurpfalz wurden diese namens des Kurfürsten als herrenlos ein-
gezogenen Güter wieder den rechtmäßigen Eigentümern zurückgestellt.
Als diese Angelegenheit 1720 wieder auftauchte, gab der Amtmann
zu, nach und nach 50o Morgen für sich in Anspruch genommen zu
haben. Selbstredend wird der Amtmann in seinen Registern cine
größere Anzahl ,wüster Güter“ ausgewiesen haben. Ich glaube aber
nicht, daß es in den Rheinlanden um 1720 oder auch um 1670 auch
nur einen Quadratmeter herrenlosen Grundes und Bodens gegeben hat
oder irgendeine Fläche, die unbebaut und unbenützt war, soferne die
Herrschaft oder die Gemeinde den Grund irgendwie zu erträglichen
Bedingungen freigab und nicht lieber für die Jagd oder die Weide
vorbehielt.
Ein weiteres Hindernis der Herstellung richtiger Statistiken war
die möglicherweise gerechtfertigte Faulheit der Amtmänner. Am 5. Juni
1734 bestätigt der sponheimische gemeinschaftliche Kellermeister, daß
es zu Allenbach (Kreis Berncastel) 26 angesessene Untertanen „nebst
etlichen Taglöhnern und Bettlern‘ gebe; in Wirschweiler seien 22 an-
gesesscene Untertanen „neben etzlichen Taglöhnern und Bettlern‘“. Die
Antwort für Allenbach wiederholt im wesentlichen die Zahl eines Re-
gisters von 1465 (24 „Angesessene‘“). In der Hauptsache hat alles,
was unter den ehemaligen Erben und Hufen lag, für die Register bis
weit ins XVIII. Jahrhundert hinein nicht existiert. Das rasche An-
schwellen der Zahlen der Hausstellen in der ungemein übersichtlichen
Tabelle des Dr. Fabricius beweist nur, daß sich die Amtleute im Laufe
des XVIII. Jahrhunderts doch entschlossen haben, allmählich die aus
dem XV. Jahrhundert stammenden Besitzregister nach und nach den
wahren Werten zu nähern. Aber die Bevölkerung, von deren Dasein
man auf diese Art erfährt, hat, wie die Antwort des sponheimischen
Kellermeisters bereits ahnen läßt, schon längst bestanden. Es gab
schon im XIV. Jahrhundert auch minder bemittelte Schichten, ja ge-
radezu ein Proletariat im deutschen Dorfe. Die Beweise dafür müssen
freilich zunächst aus anderen Gebieten als aus den linksrheinischen
beschafft werden. Zu einer Hube im ostelbischen Gebiete gehören
in der Regel, alle Bodengattungen, auch die entsprechende Menge
Wald, eingerechnet, etwa 20 Hektar. Fabricius findet als Größe der
Hufe im ehemaligen Amte Birkenfeld etwa ı2 ha Acker und Wiesen,
was mit Rücksicht darauf, daß dieses Gebiet zu 45 Prozent aus Wald
u I A
besteht, eine Hufengröße von 21,8 ha im Durchschnitt ergibt ). Ein
so großes Gebiet konnte im Osten niemals ohne Zuhilfenahme von
Kötern und Büdnern bebaut werden und auch im Westen ist es ganz
gewiß unmöglich gewesen, daß eine Fläche von ı2 ha Acker und
Wiese von einem einzigen Ehepaare und dessen Kindern bestellt wurde.
-~ Dem Hüfner oder Erbebesitzer muß also irgendeine Menschenklasse
zur Seite gestanden haben, die ihm gegen einen Anteil am Ertrage
bei der Bestellung seines Grundbesitzes half. Auf die Existenz einer
solchen vom Grundbesitze ausgeschlossenen, aber doch stets verfüg-
baren Bevölkerung weisen die umfangreichen Bauernlegungen hin, von
denen man aus dem Gültbuch der Grafschaft Sponheim von 1438
erfährt: ‚‚item zu Bulemberg, Runtzemberg und Etzwilr ligent 29 erben,
der ligent 19 wust, die sint mines herren“: der Herr hatte sie also
eingezogen, was er sicher nicht getan häite, wenn sich nicht Hände
gefunden hätten, die bereit waren, sie für ihn zu billigeren Bedingungen,
als ein Bauer es zu tun pflegte, zu bebauen. Der Versuch, Bauern-
land in Domanialland umzuwandeln, scheint aber aus irgendwelchen
Ursachen nicht gelohnt zu haben, und so sind 1465 die alten frü-
heren Verhältnisse, wie sie 1367 bestanden hatten, im Dorfe wieder-
hergestellt worden ?).
Es ist geradezu erstaunlich, daß ein großer Teil der Bearbeiter
der deutschen Ortsgeschichte, wenn sie von „wüsten Huben“ oder
„Wüsten Stellen‘ lesen, immer entsetzt zusammenzuckt und an die
Verödung des Landes mangels an Bewohnern denkt, während es sich
in Wahrheit um Gütereinziehungen durch die Grundherrschaft oder
auch um Besitzkonzentration in den Händen einzelner reicherer Bauern,
ja nicht selten nur um eine Veränderung der Ansiedelung des Wirtes
handelte. Die Hube, die der Bauer zu seiner eigenen hinzuerworben
hatte, und die er durch einen „Beständner“, „Heuerling‘‘ oder wie
sonst der Mann hieß, bewirtschaften ließ, wurde in den Besitzregistern
als „wüste“ geführt. Der Dreißigjährige Krieg hat mit seiner großen
Reihe wirtschaftlicher Zusammenbrüche und der vielfachen zeitweiligen
1) Ich fasse dabei den Wald natürlich nicht als Sondereigentum auf, aber ich
schlage za jeder Hufe einen entsprechenden Anteil am Walde hinzu.
2) Bauernlegung in solchem Umfang wäre im Westen etwas neues, Ich dachte an
den bodenverderblichen Einfluß der sogen. Schiffelwirtschaft, worüber jetzt noch geklagt
wird. Wenn im Jahre 1438 die „wüsten Hufen, die in des Herren Hand liegen“, in
Eigenwirtschaft der Herrschaft gestanden hätten, wären doch wohl in dem sonst sorg-
fältig bearbeiteten Einkünfteregister Angaben über den Ertrag aufgenommen wie bei den
za solchen Gütern gehörigen Wiesen über das Heu. Fabricius.
Flucht der Landbevölkerung in die Städte die Gelegenheit zu sehr
vielen solchen Besitzkonzentrationen in zahlreichen Dörfern geboten,
die aber von der Grundherrschaft nur in den ersten Jahren nach dem
Frieden geduldet wurden. Später nahm sie dann den Kampf gegen
diese Besitzkonzentrationen auf und erzwang die Wiederherstellung
des Zustandes, wie ihn die Besitzregister vor dem Kriege aufwiesen !).
Dieser Zug geht durch alle Ediktensammlungen der zweiten Hälfte
des XVII. Jahrhunderts in allen Gebieten, auf die der Krieg eingewirkt
hatte. Wo es der Großgrundbesitz nicht vorzog, die „wüsten Huben“
selbst in Besitz zu nehmen, da mußte sie der Bauer nach und nach
wieder herausgeben und es zulassen, daß ihm ein eigener Übernehmer
für die betreffende Bauernstelle zur Seite gesetzt wurde. Die Re-
gister nach dem Kriege weisen den Fortschritt auf, den die Landes-
herren in diesem Bestreben nach Wiederherstellung des durch die
Geldkrise im ersten Dezennium des Dreißigjährigen Krieges und die
Kriegsereignisse in den folgenden Jahren zerstörten landwirtschaftlichen
Mittelstandes erzielt haben. Damit, daß die Kopfzahl der Bevölkerung
sich nicht allzusehr vermindert hatte, damit, daß es zwar nur wenige
Großbauern, aber ein zahlreiches ländliches Proletariat gab, war dem
Gesetzgeber nicht gedient. Diesen ökonomischen Prozeß drücken die
seit dem Kriege rasch wachsenden Zahlen der Besitzregister aus: die
Kopfzahl der Einwohner war dem Amtmann in mittleren Jahren ziem-
lich gleichgültig, in guten konnte er nach seiner Meinung nie genug
Leute bekommen und in schlechten war ihm die Masse der Hilfe
suchenden lästig. Aber die „Bettler“ zu registrieren, fiel ihm nicht ein.
Das Wachstum des Wohlstandes und der Einwohnerzahl der hol-
ländischen Städte in der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts führte
dazu, daß sich auch in Deutschland die Meinung einbürgerte und in
den Staatskanzleien festseizte, daß die Macht eines Landesherrn desto
größer sei, je größer die Zahl der Einwohner sei, einerlei, welches
die wirtschaftliche Lage dieser Einwohner sei. Dieser Meinung ver-
dankt ein Teil der in Deutschland seit dem Ausgange des XVII. Jahr-
hunderts sich immer mehr verbreitenden Versuche, die Kopfzahl der
einzelnen Gebiete zu ermitteln, seine Entstehung. Andere Volks-
beschreibungen wurden gemacht, um die Konskription vorzubereiten,
ein Zwangskontingent für den Salzkonsum zu schaffen oder sonst eine
vom Landesherrn befohlene Landplage vorzubereiten. Die ersten
Zählungsversuche wurden in einer höchst ungeschickten Weise ge-
1) Vgl. dazu diese Zeitschrift 10. Bd. (1909), S. 283—284.
za 976: a
macht. Die Landstände bekämpften die Volkszählungsversuche, so
in Bayern und in Österreich. Dem Landesherrn zuliebe wurden von
den Unterbehörden nach anfänglichem Widerstreben jene Tabellen
eingesendet, welche er wollte. Weil er haben wollte, daß jede Zäh-
lung ein Plus gegen die vorhergehende aufwies, so bekam er sein Plus.
So erging es Friedrich dem Großen. Als auf diese Art z. B. die
Bevölkerung Preußisch-Schlesiens auf dem Papier etwas zu groß ge-
worden war, blieb nach den Befreiungskriegen nichts anderes übrig,
als dieses Plus umzubringen und man ließ in den Tabellen beiläufig
ein Viertel der Bevölkerung Schlesiens verschwinden: dem Landes-
herrn sagte man, es wären die Kriegsereignisse gewesen. Am liebsten
aber schmierte doch der Amtmann die alten Feuerstättenregister weiter.
Den Amtleuten wurde es nicht leicht, sich von den alten Überliefe-
rungen zu befreien. Am 21. Juni 1808 gab die nassauische Regierung
einen gedruckten Erlaß heraus, in welchem sie es rügte, daß die von
einigen Ämtern bisher eingesendeten Volkstabellen nicht mit der
nötigen Genauigkeit angefertigt werden. Der Erlaß bewirkte in ein-
zelnen Ortschaften des Amtes Kronberg ein Anschwellen der bisher
angezeigten Bevölkerung um 10—30 Prozent.
Ich war noch vor einigen Jahren von annähernd denselben An-
schauungen über die Entwicklung der deutschen Bevölkerung erfüllt,
welche Fabricius durch seine Bevölkerungstabelle von Birkenfeld aus-
drückt. Ich stand bei meinen Besuchen in den Staatsarchiven der
Rheinlande (Düsseldorf, Koblenz, Wiesbaden, Speier, Straßburg, Metz,
Kolmar) noch unter dem Banne dieser Meinungen und habe mich
erst nach der Vergleichung der Materialien in anderen deutschen und
in österreichischen Archiven von ihnen frei gemacht. Diese älteren
Meinungen sind im wesentlichen die, daß es in Deutschland noch im
XV. Jahrhundert eigentlich eine recht dünne Bevölkerung gegeben,
die sich bis zu Anfang des Dreißigjährigen Krieges stark vermehrt,
dann während dieses Krieges auf einen unglaublich geringen Betrag
vermindert habe. Dann sei seit dem Dreißigjährigen Kriege ein an-
haltender Aufschwung eingetreten, der bis in die Gegenwart fort-
gedauert habe. Ich bin nach und nach zu dem Ergebnisse gekommen,
daß diese Meinung falsch ist und daß die Quellen, auf denen sie be-
ruht, teils wertlos, teils irreführend sind. Zu den irreführenden
Quellen rechne ich auch die Häuserregister, die Fabricius verwertet
hat: diese sind in agrargeschichtlicher Hinsicht ganz interessant, für
die Bevölkerungsstatistik beweisen sie gar nichts. Dies gilt nicht
etwa bloß für das Gebiet von Birkenfeld, sondern auch für das
— 80 —
Nassauische, für welches sich statistische Tabellen von gleicher Schön-
heit anfertigen ließen, wie für das Birkenfelder Amt. Ich könnte noch
zahlreiche andere deutsche Landschaften nennen, wo man ähnliche
Tabellen aufstellen könnte, und manches Archiv, wo statistische Ma-
kulatur der wohlverdienten Vernichtung entgangen ist.
Im übrigen ist zu beachten, daß die wirtschaftliche Vergangenheit
der Landbevölkerung und des Landes überhaupt in den meisten Teilen
Deutschlands, die ehemals habsburgischen Gebiete ausgenommen, sich
leichter erforschen läßt als in den linksrheinischen Gebieten, denen
Herr Fabricius seine ausdauernde Arbeitskraft zugewendet hat: sämt-
liche ehemaligen französischen Departementsarchive Deutschlands
weisen dürftige Aktenbestände aus. Es ist in Düsseldorf, Koblenz,
Speier, Straßburg, Metz und Kolmar relativ nicht viel erhalten ge-
blieben. Die linksrheinischen Bestände des Staatsarchivs Koblenz sind
diesem Archive zu einem erheblichen Teile durch Extraditionen von
Wiesbaden und Karlsruhe zugeflossen. Es ist beispielsweise nicht
mehr möglich, eine Verwaltungsgeschichte von Kurtrier zu schreiben.
Diese von dem Willen des Herrn Dr. Fabricius unabhängige Tat-
sache hat dazu geführt, daß Dr. Fabricius trotz hingebender jahre-
langer Arbeit hinsichtlich der Bevölkerungsverhältnisse der Rhein-
lande überhaupt zu verfehlten Schlüssen gelangt ist. Seine Ver-
dienste um die historische Geographie des Rheinlandes erfahren da-
durch keine Verminderung. Und der von ihm geführte Nachweis,
daß der deutsche Adel um 1438 und gegen die Mitte des XV. Jahr-
hunderts nicht bloß die deutschen Städte bekämpfte, sondern auch
umfangreiche Bauernlegungen vornahm !), ist, wenn er auch vom Ver-
fasser nicht beabsichtigt war, doch eine wertvolle Bereicherung unserer
Kenntnis zur Geschichte der Rheinlande ?).
ı) Ist ersichtlich aus seinen Zusammenstellungen (oben S, 61) für die Pflegen Birken-
feld, Brombach und Reichenbach.
2) Den schlimmen Erfahrungen des Herrn Strakosch - Graßmann mit den Häuser-
verzeichnissen kann ich natürlich nicht entgegentreten, aber ich möchte doch behaupten,
daß sich daraus eine mit der Wirklichkeit übereinstimmende Vorstellung von dem Sinken
und Wachsen der Bevölkerung gewinnen läßt, wenn auch nicht mit genügender Genauig-
keit. Mit den jetzigen statistischen Erhebungen lassen sie sich ja gar nicht vergleichen.
.Die Aufgabe, die Hausgesessenen in $o kleinen Bezirken zu zählen, ist doch wohl ein-
facher und rascher zu lösen, als die heutiger Volkszählungen. Fabricius.
aa Te a 27 De ne
== SEE -=
Mitteilungen
Versammlungen. — In dem oben S. 49 veröffentlichten Berichte
über die Wiener Historikerversammlung ist durch ein Versehen die Inhalts-
angabe des Vortrags von Archivrat Lulve&s (Hannover) über die Macht-
bestrebungen des Kardinalkollegiums gegenüber dem Papst-
tum ausgefallen und sei deswegen hier nachgeholt.
Der Redner, früher lange Zeit Mitglied des Preußischen Historischen
Instituts in Rom, behandelte die Geschichte des Kollegiums von seiner
Zusammenschließung zu einer Korporation, die mit dem Papstwahldekret
Papst Nikolaus U. 1059 begann, in der Hauptsache bis zum Konstanzer
Konzil. Versuche der Kardinäle, der Gehilfen des Papstes bei Erledigung
der ihm obliegenden geistlichen und weltlichen Funktionen, in ihrer
Majorität bzw. in ihrer Gesamtheit dauernde und gesetzmäßig anerkannte
Rechte auf die Beteiligung an der Papstregierung zu beanspruchen, sind bereits
unter Gregor VII., mit vorübergehendem Erfolge unter schwachen Päpsten,
wie Eugen II., Honorius III., Nikolaus IV. usw. gemacht worden. Derartige
Prätensionen der Kardinäle förderte der Hohenstaufe Friedrich U. in seinen
Kämpfen gegen Gregor IX. und Innocenz IV., aber es gelang ihm nicht, den
gesamten Kardinalat vom Papste zu trennen. Erst als das päpstliche Rats-
kollegium sich nach und nach die Zuweisung der Hälfte aller päpstlichen
Einkünfte, außer den Annaten und Zehnten, gewohnheitsgemäß gesichert
hatte, als es ferner in Avignon, nachdem die Päpste den Sitz der Kurie dort-
hin verlegt hatten, eine Stütze im französischen Landesherrn gegen das kirch-
liche Oberhaupt gewonnen hatte, — versuchte es, durch eine Wahlkapitulation
sich seine erweiterten Gewohnheitsrechte sanktionieren zu lassen. Der 1352
im Konklave gemachte Versuch mißlang. Jedoch wuchs trotzdem die Macht
der Kardinäle in immer steigendem Maße, so daß sie, mit einem Teile der
Kurie nach Rom zurückgekehrt, 1378 es wagen konnten, die Wahl eines von
ihnen bereits anerkannten Papstes (Urbans VI.), als er ihnen nicht mehr zusagte,
nachträglich für ungültig zu erklären und an seine Stelle einen anderen zu
wählen. Damit brach die Kirchenspaltung aus; sie durch Wahlkapitulationen
und durch ein von ihnen einberufenes Konzil (zu Pisa 1409) aus der Welt
zu schaffen, gelang den Kardinälen trotz der Unterstützung Frankreichs nicht,
da sie über keine eigene Macht geboten. Erst das vom römischen Könige
bewerkstelligte Konzil zu Pisa gab der Christenheit in Martin V. 1417 die
Einheit des Papsttums wieder. Neu gestärkt setzte dieses den weiteren Macht-
bestrebungen des Kardinalats einen festen Widerstand entgegen, trotz dessen
erneuten Versuchen, mittelst Wahlkapitulationen sich den Anteil an der
Papstregierung zu sichern und zu erweitern. Das Papsttum entwickelte sich
zum völligen Absolutismus; die Kardinäle aber sanken, besonders durch die
Verwaltungsreformen Sixtus’ V. (1585—90), die ihre Tätigkeit in die Kon-
gregationen verteilte und ihre Zahl bedeutend erhöhte (auf 70), zu Beamten
des Papstes und der Kirche herab.
Archive. — Die Stadt Tangermünde a. d. Elbe, eine der ältesten
altmärkischen Städte, besaß einst, wie wir aus späteren Zeugnissen schließen
können, ein Archiv, das an Reichhaltigkeit dem mancher anderen gleich-
großen und größeren Gemeinde nicht nachgestanden hat. Aber nur noch
spärliche Reste legen Zeugnis davon ab. Fast das ganze Inventar des Rat-
hauses wurde von einer großen Feuersbrunst vernichtet, welche die Stadt
1617 verwüstete, und die weiteren Kreisen durch die Novelle „Grete Minde “
von Th. Fontane bekannt sein dürfte. Nur weniges wurde damals den
Flammen entrissen, und so stammt der weitaus größte Teil der heute im
Tangermünder Archiv vorhandenen Akten aus der Zeit nach dem Brande.
Geordnet und inventarisiert ist nur ein kleiner Teil davon. Die größere
Hälfte liegt vollständig durcheinander und wird, was das Schlimmste ist,
noch nicht einmal in einem Raume einheitlich verwahrt. Vielmehr müssen
wir vier verschiedene Archivteile nach den Aufbewahrungsräumen unter-
scheiden, die wir mit A, B, C, D bezeichnen wollen. Dabei kann ich keine
Gewähr dafür übernehmen, daß die Ordnung nicht inzwischen schon wieder
verändert worden ist, da ich gemerkt habe, daß die Aktenstücke von den
Bureaubeamten nicht immer wieder genau an den Ort zurückgelegt werden,
dem sie die Benutzer entnommen haben. Trotzdem ist man letzteren gegen-
über verhältnismäßig pedantisch.
Im Rathaussaal, im Stadtarchiv A, wie wir es nennen wollen, pflegt man
unter Verschluß einige ältere Aktenstücke, denen man einen höheren Wert
beimißt, gleichsam als Raritäten aufzubewahren. Daraus ist gleichzeitig zu
erkennen, wie richtig man die unsichere Verwahrung an den übrigen Orten
einschätzt. Jene Aktenstücke sind:
ı. Das „alte Tangermünder Stadtbuch“*. Es enthält Aufzeichnungen
aus den Jahren 1519—1694 und ist das offizielle Kopial- und Protokoll-
buch des Rates aus dieser Zeit. Der dicke Folioband ist mit Verzierungen
und einem Verschluß aus Messing versehen (mit Meßingen Puckeln und
Clausuren).. Von dem Inhalt ist verschiedenes publiziert durch Riedel,
Codex diplomaticus Brandenburgensis A XVI, und Zahn, in den Jahres-
berichten des altmärkischen Vereins für vaterländische Geschichte 22 (1888)
und 31 (1904).
2. „Prozeßakten gegen Grete Minde und Genossen“, die angeklagt
waren, die erwähnte Feuersbrunst von 1617 angelegt zu haben. Dieser in
einen blutroten Umschlag gebundene Quartband ist ein äußerst interessantes
Dokument älterer Rechtspflege Die Akten sind offenbar vollständig. Es
sind ihnen sogar die Verse und Zeichnungen beigegeben, die einer der An-
geklagten im Gefängnis mit durch Ziegelstaub rot verfärbter Tinte zu Papier
gebracht hat.
3 Die Kämmereirechnungen von 1617 und 1620.
4. Statuta Curiae Tangermundensis. Dieser in verkleinertem Quart-
format gehaltene Band, von dem nur wenige Seiten in einer sehr kleinen
Schrift beschrieben sind, stammt aus dem Jahre 1639.
5. Die Zunftbriefe. Es sind aber nicht die Originale, die in den
Händen der Zünfte waren, sondern rathäusliche Kopien aus dem XVI.
und XVII. Jahrhundert. Erhalten sind sie fast vollständig, nur wenige
fehlen Der älteste Zunftbrief ist von ı311. Publiziert hat diese Briefe
Zahn in den Jahresberichten des altmärkischen Vereins 28 (1901) und
29 (1902).
= RR
6. Einige Originalurkunden des XVI. Jahrhunderts, die ich an einer
anderen Stelle (D) fand, die künftig aber hier (A) verwahrt werden sollen.
Als Stadtarchiv B sei die „Polizeiregistratur‘ bezeichnet, die sich in
einem Erdgeschoßraum des Rathauses befindet. Die hier lagernden Akten
sind signiert, geordnet, freilich nach keinem einheitlichen Prinzip, und ka-
talogisiert. So ist hier immerhin die Möglichkeit einer raschen Orientierung
und Auffindung gegeben. Die Akten dieses Archivteiles betreffen Finanz-,
speziell Steuer-, Prozeß-, Polizeisachen usw., kurz sie umfassen alle Gebiete
der städtischen Verwaltung, erschöpfen aber keines davon, da auch die an-
deren Räume dazu gehörige Aktenstücke enthalten. Ein in Schweinsleder
gebundener Folioband (Abteilung I Nr. 16) trägt die Aufschrift Statuta Oi-
vitatis Tangermundensis 1428. Die Eintragungen sind aber jünger. Der
Band enthält a) Kopien von wichtigen Urkunden aus den Jahren 1457 bis
1598; b) die sogenannte ‚, Willkür‘, das umfangreichste Stadtstatut aus der
Zeit der Ratsherrschaft, eingetragen 1639 (publiziert von Zahn im Jahresbericht
des altmärkischen Vereins 23 [1890]), und c) die ausführlichen Eide, welche
die zahlreichen Beamten zu leisten hatten. Ferner finden sich hier ein Band
Kopien von Schoßregistern des XVI. und XVII. Jahrhunderts (Abteilung IV
Nr. 3), dicke Foliobände von Rezessen der Städtetage im XVII. Jahrhun-
dert (Abteilung I Nr. 14. ı5), allerlei Prozeßakten, so z. B. über einen
vom XVII. bis ins XIX. Jahrhundert sich hinziehenden Prozeß mit dem Ber-
liner Dom wegen eines Darlehens aus dem Jahre 1464 (Abteilung IV
Nr. 2) usw. Besonderes Interesse verdient von den älteren Aktenstücken
noch Abteilung I Nr. 24, das die Rezesse der kurfürstlichen Untersuchungs-
kommission von 1693 und 1698 enthält. Diese Untersuchung war auf
wiederholte Beschwerden der Bürgerschaft über dauernde Mißwirtschaft des
Rates angeordnet worden und führte zum Sturze der städtischen Selbstver-
waltung.
Das Stadtarchiv C ist eine Bodenkammer des Rathauses. Die hier
aufbewahrten Akten sind völlig verstaubt und ungeordnet. Altes und Neues
ist zu einem Bündel zusammengebunden, so daß man sich hier kaum durch-
finden kann. Es ist fast alles jüngeren Datums, dem Ende des XVIII. und
Anfang des XIX. Jahrhunderts angehörig. Meist scheinen es Polizeisachen,
besonders auch Bau- und Feuerpolizeisachen zu sein.
Im schlimmsten Zustande befindet sich das Archiv D, eine Boden-
kammer eines in der Nähe des Rathauses befindlichen Kommunalgebäudes.
Da ist alles auf einen Haufen geschichtet, gänzlich verstaubt und verschmutzt.
Hier liegen u. a. die Kämmereirechnungen des XVII. Jahrhunderts, soweit
sie erhalten sind. Aus der Zeit vor dem Brande sind nur die Rechnungen
von 1611— 1615 gerettet. Die von 1617 und 1620 befinden sich im
Archiv A. Die übrigen Rechnungen sind ziemlich regelmäßig bis gegen
Ende des Jahrhunderts erhalten. Es sind Foliobände, die oft in ein mit
allerlei sonderbaren Zeichnungen versehenes Papier eingebunden sind. Viele
sind in neuerer Zeit in blaue Schalen gebunden worden und verraten da-
durch den Eingriff einer organisatorischen Hand, von deren Tätigkeit Wei-
teres leider nicht zu spüren ist. Ich habe, soweit es meine Zeit bei der
Benutzung für meine demnächst erscheinende Arbeit Tanyermündes Ver-
fassungs- und Verwaltungsgeschichte bis zum Ende des XVII. Jahrhunderts
ee o
zuließ, die Rechnungen in einem gesonderten Haufen notdürftig chronologisch
geordnet aufgestapelt. Zwei habe ich nicht selbst wieder an Ort und Stelle
zurückgebracht, sondern auf dem Rathause in der Obhut des Bureaupersonals
belassen. Die älteste erhaltene Rechnung (1611) hat Zahn im 22. Jahres-
bericht des altmärkischen Vereins (1888) in ausführlichem Auszug publiziert.
Wenn ich recht gesehen habe, ist noch ein Archiv E ım Entstehen
begriffen, und zwar auf dem Boden des Rathauses. Da augenblicklich noch
ein neues kommunales Gebäude errichtet wird, weil die Räumlichkeiten des
alten Rathauses, das im XV. Jahrhundert in seinen ältesten Teilen erbaut
wurde, nicht ausreichen, so befürchte ich, daß dabei abermals eine Zer-
splitterung der Archivalien zustande kommt. Leider hat der wenig erfreu-
liche Zustand des Tangermünder Stadtarchivs erst jüngst einen Forscher in
seinen Arbeiten behindert, ich meine Kaphahn, Die wirtschaftlichen Folgen
des 30jährigen Krieges für die Altmark (Gotha 1911). Eine wenn auch
nur notdürftige Ordnung wäre daher sehr zu wünschen.
H. H. Rosendorf (Greifswald)
Eingegangene Bücher.
Sellschopp, Adolf: Neue Quellen zur Geschichte August Hermann Franckes.
Mit einem Bildnis Franckes nach dem bisher nicht veröffentlichten Stich
von J. G. Wolffgang von 1730. Halle a. S., Max Niemeyer 1913.
163 S. 8%. Æ 4,00.
Seuberlich, Erich: Liv- und Estlands älteste Apotheken [= Sitzungs-
berichte der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde der Ost-
seeprovinzen Russlands aus dem Jahre ıgıı. x. Hälfte (Riga 1912),
S. 39— 164].
Tschirch, Otto: Des Engelbert Wusterwitz märkische Chronik, nach den
besten Handschriften neu herausgegeben [= 43. und 44. Jahresbericht
des Historischen Vereins eu Brandenburg a. H. Festschrift zur Hohen-
zollernfeier 1912, S. 1— 71].
Henke, Paul: Die ständische Verfassung der älteren Stifter und Klöster
in der Diözese Paderborn ausgenommen Corvey. Münster, Regens-
berg 1912. 67 S 8°.
Knetsch, Gustav: Die landständische Verfassung und reichsritterschaftliche
Bewegung im Kurstaate Trier, vornehmlich im XVI. Jahrhundert [=
Historische Studien, Heft LXXV]. Berlin, Ebering 1909. 184 S. 8°.
AM 4,80.
Landtagsakten, Württembergische, herausgegeben von der Würt-
bergischen Kommission für Landesgeschichte. I. Reihe: Erster Band:
1498—1515, bearbeitet von Wilhelm Ohr und Erch Kober. Stutt-
gart, Kohlhammer 1913. 312 S. 80%. M 5,00
Dasselbe. IL Reihe: Erster Band: 1593—1598, bearbeitet von Albert
Eugen Adam. Ebenda ıgıo. 652 S. 8°. æ 12,00
Lichtner, Adolf: Landesherr und Stände in Hessen-Kassel 1797—1821.
Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 1913. 218 S. 8%. Æ 5,60.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Dresden.
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.
Deutsche Geschichtsblätter
Monatsschrift
Erforschung dentscher Vergangenheit auf Iandesgeschichtlicher Grundlage
XV. Band Januar 1914 4. Heft
Die Brixener Diözesansynoden
bis zur Reformation
Von
Karl Hübner (St. Pölten)
Das Bistum Brixen, von dessen Bestand wir bereits aus der zweiten
Hälfte des VI. Jahrhunderts sichere Kenntnis besitzen, hatte seinen
Sitz zunächst auf dem Schlosse Säben und gehörte zum Patriarchat
Aquileja. Nachdem es die Gefahren der Völkerwanderung, der bay-
rischen und slawischen Invasion überwunden hatte und durch die chri-
stianisierende Tätigkeit der Agilolfinger neu gefestigt worden war,
wurde die Hochkirche 798 dem salzburgischen Metropolitansprengel
einverleibt, um 990 nach Brixen. verlegt !).
Die Diözese umfaßte vom heutigen Tirol das Eisacktal bis zum
Tinnebach (bei Klausen) am rechten und bis zum Eggental am linken
Ufer, das oberste Fleimser- (Fassa-) und Sarntal (Pensertal), das Wipp-
und Inntal (ohne das obere Paznauntal) bis zum Ziller- und Habacher-
tal sowie das Pustertal bis zum Justeinerbach. Die seit dem Ende
des XVII. Jahrhunderts herrschende Tendenz, die politischen und
kirchlichen Grenzen in Übereinstimmung zu bringen, führte bereits
1787 eine Vergrößerung des Brixener Sprengels um die tirolischen
Pfarreien Ampezzo, Lavant und Tristach ?), eine bedeutendere Er-
weiterung jedoch 1818 herbei. Die Nachbardiözese Chur trat an ihn
1) Sinnacher, Geschichte der bischöflichen Kirchen Säben und Brixen
(Brixen 1821—1834). Tinkhauser, Topograph., historische, statistische Beschreibung
der Diözese Brixen (Brixen 1855—1891) Redlich, Zur Geschichte der Bischöfe
von Brixen vom X. bis XII. Jahrh. (Zeitschrift des Ferdinandeums 1884). Ders.,
Die Traditionsbücher des Hochstiftes Brixen (Acta Tirolensia I, 1886). Voltelini,
Beiträge zur Geschichte Tirols (Zeitschr. des Ferdinandeums 1889).
2) Seit 811 galt die Drau als Grenze zwischen den Metropolitansprengeln Salzburg
und Aquileja (Widmann, Geschichte Salsburgs I, S. 1098.) 1751 wurde der letz-
tere aufgelöst und für den österreichischen Teil desselben das Erzbistum Görz geschaffen.
7
a e
das obere Paznauntal und den obersten Vintschgau bis zum Trafoi-
bach, Augsburg das tirolische Lechtal, Freising das tirolische Isartal,
Salzburg das Draugebiet bis zur Grenze Kärntens ab, während die
Brixener Kirche das Eisacktal unter dem Afersbach sowie das Penser-
und Fassatal an Trient verlor ).
Auch das Brixener Synodalleben hängt mit der gesteigerten Re-
formtätigkeit in der römischen Kirche seit dem XIII. Jahrhundert zu-
sammen, wenn sie auch die folgenden religiösen und politischen
Wirren vielfach beeinträchtigten ?). Um die im Einklang mit den
Generalsynoden von 1215 und 1274 gefaßten salzburgischen Provin-
zialkonzilsbeschlüsse °) durchzuführen, wurden zu Brixen von den
Bischöfen Bruno (1250—1288) am 1. Dezember 1278*) und um 1287),
1) Das Bistum Trient bekam von Chur den Rest des Vintschgaus und umfaßt
somit das gesamte tirolische Etschgebiet unter dem Trafoibach sowie das Eisackgebiet
vom Afersbach abwärts. Dagegen wurde Vorarlberg mit dem Brixener Sprengel vereinigt
und bildet seitdem ein eigenes Generalvikariat in den Händen des Weihbischofs von
Brixen (Tinkhauser a. a. O. I, S. 16ff.).
2) Die erste uns bekannte Brixener Synode fand 1186 statt, um sicherlich im An-
schlusse an die salzburgischen Provinzialkonzilien von 1178 und 1180 die damaligen.
kirchlichen Zustände zu ordnen :(Sinnacher a. a O. III, S. 618. Tinkhauser,
Studien und Skizzen zur Geschichte der Kirche von Süben und Brixen, Katholische
Blätter aus Tirol 1853, S. 598). Jedenfalls beschäftigten sich auch die Brixener Konzilien:
bis zum XIU. Jahrhundert vor allem mit Verwaltungs- und Rechtsangelegenheiten, womit
auch die Anwesenheit des Laienadels zusammenhing. Hauck, Kirchengeschichte Deutsch-
lands V (1911). Werminghoff, Verfassungsgeschichte der deutschen Kirche im.
Mittelalter (Grundriß der Geschichtswissenschaft II, 6, 1913).
3) Hübner, Die salzburgischen Provinzialsynoden bis zum Ende des XV.
Jahrhunderts (Deutsche Geschichtsblätter X, 187—236). Ders., Nachträgliches über
die salzburgischen Provinzialsynoden (ebendas. XIV, S. 243—248).
4) Von diesem Konzil sind uns bloß Klagen der Geistlichkeit über große Geld-.
forderungen des Bischofs überliefert, wozu ihn wohl besonders die Fehden mit dem tirolischen
Adel gezwungen hatten. Bruno versprach, künftighin nur im äußersten Notfalle mehr als.
das Kathedratikum zu verlangen und sich hiebei an das Gutachten des Dompropstes und.
Domdechanten sowie der Prälaten von Neustift, im Krenzgang zu Brixen, Wilten und
St. Georgenberg zu halten (Sinnacher a. a. O. IV, S. 446fl. Tinkhauser a. a. O.
1853, S. 603. Mairhofer, Urkundenbuch von Neustift, Fontes rerum austriacarum
IL 34, S. 150, Nr. 323). Vgl. Fajkmajer, Studien zur Verwaltungsgeschichte des
Hochstiftes Brixen im Mittelalter (Forschungen und Mitteilungen zur Geschichte Tirols
1909), S. 341. Scharf, Bischof Bruno von Brixen Il. Teil (Programm des Real-
gymnasiums in Kufstein 1912), S. 19.
5) Mansi, Sacrorum conciliorum collectio nova XXIV, S. 145 fl. Tinkhauser
a. a. O. 1853, S. 604—608 (20 Statuten). Erzbischof Rudolf hatte für den 20. Sep-
tember 1286 eine Provinzialsynode nach Salzburg einberufen, die aber dem Konvokations-
schreiben von 1288 zufolge nicht zustande kam (Hübner a. a. O. XIV, S. 245).
u 87.
Landulf (1295—1301) um 1296!) und Johann von Schlacken-
wert (1306—1322) 1318 ?2) Diözesansynoden abgehalten.
Die Statuten dieser aus den Prälaten und dem niederen Klerus
bestehenden Kirchenversammlungen beziehen sich auf die geistliche
Disziplin, das Verhältnis zwischen Klerus und Laien und das religiöse
Leben des Volkes. Den Geistlichen wird eine standesgemäße, ein-
fache und schmucklose Kleidung von geziemender Form und Farbe
sowie eine den Kirchengesetzen entsprechende Haartracht und Ton-
sur ®) eingeschärft, das Tragen von Waffen *), der Wirtshausbesuch
mit Ausnahme dringender Not oder auf einer Reise, das Karten- und
Kegelspiel 5), die Teilnahme an Tänzen $) oder anderen Vergnügungen
der Laien und das Konkubinat ”) untersagt. Sie dürfen sich nicht mit
Wucher 8), Handel und sonstigen weltlichen Geschäften, wie Betrieb
von Weinschenken abgeben °), keine Todesurteile aussprechen oder
diesbezügliche Schriftstücke abfassen 1°), die herumvagierenden Geist-
lichen und Scholaren, die sogar scharfe Waffen mit sich führen, nicht
unterstützen !!) und müssen die Abgesandten des Bischofs würdig auf-
nehmen und verpflegen 12). Besonders wird den Klostervorstehern
die strengste Überwachung ihrer Untertanen bezüglich der Einhaltung
der Ordensregeln aufgetragen 1°); ebenso wird der Abschluß von Geld-
verträgen oder ähnliches bei der Aufnahme in ein Kloster verpönt 14).
Abgesehen von den Verordnungen über die andächtige Verrich-
tung der geistlichen Funktionen nach dem vorgeschriebenen Ritus 1?)
und der täglichen Betstunden 16) sowie über die feierliche Begehung
bestimmter Feste 17) dürfen die Priester in der Regel nur eine Messe im
Tage lesen !8), wobei ibnen Ministranten, jedoch keine weiblichen Per-
1) Sinnacher a. a. O. V, S. 28—30, 193—202. Tinkhauser a, a. O. 1853,
S. 621—627 (34 Statuten).
2) Ders. a, a. O. 1853, S. 645—651, 673—680 (46 Statuten).
3) 1296 c. 6, 24, 25; 1318 c. 2, 43. Salzburg 1274 c. II; 1281 c. 5.
4) 1296 c. 6.
5) 1287 c. 1, 8; 1296 c. 21; 1318 c. 21. Salzburg 1274 c. 12; 1310 c. 1.
6) 1296 c. 24.
7) 1287 c. 4; 1296 c. ı, 26; 1318 c. 15. Wien 1267 c. 3.
8) 1287 c. 9; 1318 c. 20, Wien 1267 c. 8.
9) 1318 c. 20. 10) 1318 c. 17.
11) 1287 c. 5; 1296 c. 21; 1318 c. 45. Salzburg 1274 c. 16; 1310 c. 3.
12) 1296 c. 33.
13) 1318 c. 44. Salzburg 1274 c. I, 5; 1281 c. 7; 1310 c. 4.
14) 1318 c. 33.
15) 1296 c. 29. 16) 1296 c. 5. 17) 1318 c. 42. 18) 1318 c. 6.
7%
— 88 —
sonen dienen sollen !\. Sie werden daran erinnert, daß die Albe bis
zur Erde reichen, der Altar mit der Palla versehen und wenigstens
mit zwei Altartüchern bedeckt sein muß ?), daß sie die Hostien, die
in der über dem Hauptaltar hängenden Pyxis aufzubewahren und
wöchentlich zu erneuern sind, beim Meßopfer nur über dem Korpo-
rale und der Patena zerteilen dürfen 3), endlich daß der Meßwein nicht
sauer sein oder durch Most ersetzt, vielmehr mit drei Tropfen Wasser
vermengt werden soll $) und daß die hl. Wandlung durch ein Glocken-
zeichen anzuzeigen ist). Ferner wird den Seelsorgern die sichere
und würdige Aufbewahrung des Allerheiligsten und des Chrismas, die
Instandhaltung der Meßgeräte, Tücher, Ornamente, Missalien und son-
stigen Utensilien 6), die Aussetzung der Reliquien nur in der Kapsel
und nach erfolgter behördlicher Prüfung 7) sowie die unentgeltliche
Spendung der Sakramente und Vornahme sonstiger kirchlicher Hand-
lungen nahe gelegt). Zu ihren Pflichten gehört es auch, keinen Auf-
schub der Taufe zu dulden, die Taufformel während des dreimaligen
Eintauchens des Täuflings deutlich zu sprechen und sie gelegentlich
der Sonntagsmesse dem Volke für den Fall der Nottaufe einzuprägen °),
zur Gevatterschaft nicht mehr als drei Personen zuzulassen !°), die Beichte
an keinem versteckten Platz der Kirche, aber auch nicht außerhalb
derselben abzuhalten !!) und keine Geldbuße hiebei aufzuerlegen !?). Das
Altarsakrament darf, abgesehen vom äußersten Notfalle, nur von einem
Priester ausgeteilt werden !?). Den Seclsorgern obliegt die Aufgabe,
die Laien, besonders auf den adligen Schlössern, zum jährlichen Emp-
fang der ÖOsterbeichte und Kommunion unter Androhung des Aus-
schlusses vom Gottesdienst und christlichen Begräbnis zu ermahnen 14).
Aber auch die Kleriker selbst sollen mindestens einmal im Jahre vor
ihrer vorgesetzten Behörde die Beichte ablegen 1“). Die Ärzte müssen
den Kranken auf den rechtzeitigen Genuß der Wegzehrung aufmerksam
machen !6), hiebei haben sich die Priester unter Vorantragung eines
Lichtes und einer Glocke des vorgeschriebenen Amtskleides zu be-
dienen !). Die Eheschließung ist behufs Hintanhaltung der Geheim-
ehen erst nach dem dreimaligen kirchlichen Aufgebot erlaubt 18); die
1) 1296 c. 7; 1318 c.6. 2) ı318 c. 3.
3) 1318 c. 5, 25. 4) 1287 c.3; 1318 cc. 26. 5) 1318 c. 4.
6) 1287 c.15; 1318 cc. 3. 7) 1318 c. 38. 8) 1296 c. 3; 1318 c. 7.
9) 1318 c. 16. 10) 1296 c. 9. 11) 1318 c. 27.
12) 1287 c. 19. 13) 1318 c. 4. 14) 1296 c. 15; 1318 cc. 1.
15) 1287 c. 17. 16) 1318 c. 29. 17) 1318 c. 4.
ı8) 1287 c. 18; 1296 c. I1, 12; 1318 c. 39.
— 89 —
Entscheidung in den Matrimonialangelegenheiten steht nur den geist-
lichen Behörden zu !). Exkommunizierten Geistlichen ist jede gottes-
dienstliche Handlung untersagt ?).
Zur Ordnung des geistlichen Pfründenwesens werden Gesetze über
die von jeder Simonie freie, kanonisch gültige Präsentation und Ein-
setzung tüchtiger Seelsorger 3) erlassen, welche die vorgeschriebenen
heiligen Weihen besitzen oder innerhalb der gesetzmäßigen Zeit nach-
holen müssen ?), über die womögliche Anstellung eines Hilfspriesters an
jeder Pfarrkirche ), die persönliche Residenz bzw. im Falle rechts-
gültiger Dispens die Präsentierung geeigneter Vikare ®) und die Pfründen-
häufung 7). Ferner ist es verboten, flüchtige, glaubensabtrünnige Kle-
riker aufzunehmen £8) oder fremd eGeistliche ohne bischötliche Bestätigung
zum Gottesdienste zuzulassen °), Söhnen von Priestern ohne rechtmäßige
Dispens die Weihen oder ein geistliches Amt zu verleihen !°) und die
Piründe ihres Vaters auf sie zu übertragen !!), Benefizien willkürlich aus-
zutauschen !?), einen Kleriker durch Geld aus seiner Stelle zu verdrän-
gen 18) und eine solche zu vergeben oder auch nur zu versprechen,
bevor sie noch tatsächlich erledigt ist '). Die Ein- und Absetzung
der Vikare, auch der Klostervikare, ist an die bischöfliche Zustimmung
gebunden !5). Sie sind den geistlichen Behörden Gehorsam schuldig
sowie zum Besuche der von diesen abgehaltenen Synoden verpflichtet 1)
und haben Anspruch auf ein ausreichendes, vom Archidiakon zu
segelndes Einkommen !7). Die Pfarrer sollen daher ihre Äcker künftig
an ihre Vikare verpachten 18).
Um den Klerus gegen die Gewalttätigkeiten der Laien zu schützen,
wird verordnet, daß dort, wo die Hinterlassenschaft eines Geistlichen
geraubt oder widerrechtlich zurückbehalten wird, ferner wo ein Kleriker
gefangen sitzt oder der betreffende Übeltäter wohnt, das Interdikt ver-
hängt werden muß. Ebenso soll der Besitzer eines kirchlichen Lehens
oder Amtes, der einen Geistlichen verletzt oder tötet, desselben ver-
lustig gehen, während seine Nachkommen bis zum vierten Glied von
1) 1296 c. IO; 1318 c. 20. 2) 1287 c. 2.
3) 1318 c. 14. 1267 c. 11; 1274 C. 23.
4) 1296 c. 20, 28, 31; 1318 c. 10. 1274 c. 9.
5) 1287 c. 11; 1296 c. 2; 1318 c. 7.
6) 1287 c. 13; 1296 c. 4, 8; 1318 c. II. 1267 c. 12; 1274 c. 8, 10; 1281 c. I1,
7) 1287 c. 10; 1296 c. 30; 1318 c. 9. 1267 c. 6; 1274 C. 7; 1281 c. IO.
8) 1287 c. 12. 9) 1287 c.6; 1318 c. 7. 10) 1296 c. 32.
11) 1318 c. 12. 12) 1318 c. 9. 13) 1287 c.7; 1296 c. 22, 23.
14) 1296 c. 27. 15) 1296 c. 18. 16) 1318 c. II.
17) 1296.17. 1274 C. 10. 18) 1298 c. 19.
— 90 —
allen geistlichen Würden ausgeschlossen sind. Gleichwie den Laien
die widerrechtliche Aneignung von Kirchengut sowie die Belastung
des Klerus mit neuen Abgaben, so ist auch diesem selbst jede Ent-
fremdung oder Veräußerung geistlichen Eigentums untersagt !). Des-
gleichen dürfen Almosensammler nur gegen Vorweisung einer bischöf-
lichen Vollmacht aufgenommen werden ?). |
Dem Volke wird eingeschärft, daß diejenigen, welche beim Namen
Jesus oder Maria das Knie beugen oder wenigstens das Haupt neigen,
einen zwanzigtägigen Ablaß erhalten 3), daß die Vigilien der Feste
mit der Vesper beginnen, daß Versammlungen während des sonn-
tägigen Gottesdienstes vor allem auf dem Friedhofe verboten sind
und zur Feier des Sonntages die Arbeit von Samstag Abend an zu
unterbleiben hatt. Wucherer gehen der kirchlichen Sakramente und
Beerdigung verlustig, wenn sie nicht vollständigen Ersatz oder wenigstens
Bürgschaft für den zugefügten Schaden leisten 5), während den
Schuldnern das christliche Begräbnis verwehrt wird, falls die Schuld
mit Diebstahl oder Raub zusammenhängt oder der Gläubiger die ge-
richtliche Klage eingereicht hat®). Die Juden, welche sich durch ihre
Tracht von den Christen unterscheiden müssen, dürfen sich am Kar-
freitag nicht unter denselben aufhalten, keine christlichen Dienstboten
aufnehmen, keine öffentlichen Ämter bekleiden oder neue Synagogen
bauen, aber auch den Christen ist die Bewerbung um einen Dienst-
posten bei Juden untersagt ).. Wie die Archidiakone jährlich den
Klerus und jedes dritte Jahr die Laien ihres Distriktes, so müssen
auch die ihnen als Hilfsorgane unterstehenden Dechanten mindestens
einmal im Jahre ihren Bezirk visitieren und auf den Dekanalversamm-
lungen die Diözesanstatuten wiederholen 8). Von diesen sollen die
Geistlichen Kopien besitzen, um sie auch ihren Untergebenen zur
eifrigen Befolgung einzuschärfen °).
Die synodale Tätigkeit der Brixener Bischöfe erfuhr einen neuen
Anstoß durch die allgemeinen Kirchenversammlungen im XV. Jahr-
ı) 1287 c. 9, 16, 20, 1318 c. 13, I9, 28, 30, 31. i1267 c. 4, 5, 10; 1274
C. 22, 24; 1281 c. 12, 13, IS.
2) 1318 c. 37. 1274. c.6. 3) 1296 c. 16. 4) 1318 c. 18.
5) 1296 c. 13; 1318 c. 34. 1267 c. 8.
6) 1296 c. 14. 7) 1318 c. 35, 41. 1267 c. 15—19.
8) 1287 c. 14; 1318 c. 23, 46. Die Diözese zerfiel in die Archidiakonate
Eisacktal, Unterinntal mit Wipptal, Oberinntal und Pustertal. Den drei ersteren standen
Brixener Domherren vor, während das vierte 1227 der Propstei Neustift verliehen wurde
(Tinkhauser, Beschreibung der Diözese Brixen 1, S. 56fl. Fajkmajer a. a. O.,
S. 224). 9) 1296 c. 34.
= Or
hundert, die den durch Hus gefährdeten Glauben festigen und die
kirchliche Ordnung wiederherstellen sollten.
Nachdem Erzbischof Eberhard III. von Salzburg 1418 zur Durch-
führung der Konstanzer Reformdekrete ein Provinzialkonzil abgehalten
und die jährliche Einberufung von dreitägigen Diözesansynoden an-
geordnet hatte !), tagte eine solche unter Bischof Berthold von
Bückelsburg (1418—1427) vom 7. bis 10. Mai 1419 zu Brixen ?).
Im Einklang mit den daselbst verkündeten Salzburger Beschlüssen und
vielen früheren Diözesanstatuten ®) wird die Geistlichkeit ermahnt,
Trunkenheit, Gewinnsucht, Streitlust und Raufereien, Verabredungen
untereinander gegen die Anordnungen der Behörden zu unterlassen, sich
nur mit Zustimmung des Vorgesetzten einen Beichtvater zu wählen *)
und das Chrisma vom Domkustos zu beziehen, das aber bloß durch
Priester geholt werden darf. Die Vollziehung der heiligen Handlungen
steht nur den Priestern oder Diakonen zu, während bisher im Gebirge
widerrechtlich unter anderem auch Begräbnisse durch Laien vor-
genommen wurden; ebenso ist für den Klerus und die religiösen An-
gelegenheiten nur das geistliche Gericht zuständig °). Die Seelsorger
haben das Volk eifrig zu überwachen und hierüber jährlich an den
Bischof zu berichten.
Eine Stellungnahme im Streite zwischen dem Papsttum und dem
1) Hübner a. a. O. X, S. 224—227. Das nächste Diözesankonzil sollte in der
Zeit bis zum 25. Juli 1419 abgehalten werden, zugleich als Einleitung zu einer auf den
28. August d. J. angesagten, uns sonst unbekannten Metropolitansynode.
? 2) Sinnacher (a, a. O. VI, S. 82ff.) und Tinkhauser (a. a, O. 1853, S. 700)
berichten bloß von einer Verordnung an die Brizener Pfarrgemeinden, das jährlich zwei-
malige Wachsopfer an die Domkirche (Pfingsten und Kirchweihe) einzuhalten. Bickell,
Synodi Brixinenses (Innsbruck 1880), S. 2—6. Siehe ferner die zusammenfassende
Besprechung der Brixener Synoden des XV. Jahrhunderts von Grisar, Ein Bild aus
dem deutschen Synodalleben im Jahrhundert vor der Glaubensspaltung (Historisches
Jahrbuch I, S. 603—640). Das Konvokationsschreiben ist vom 5. April 1419 (Bickell
aa O., S. 65).
3) Erneuert 1287 c. 12 (flüchtige Kleriker); 1296 c. 6 (Waffentragen), c. 22 und
23 (Verdrängung von Klerikern durch Geld), c. 34 (Kopien der Synodalstatuten und ihre
(Einschärfung); 1318 c. 2 (geistliche Kleidertracht, Salzburg 1386 c. 5, 6; 1418 c. 17)
c. 3 (Allerheiligstes und kirchl. Utensilien, 1386 c. 7, 1418 c. 28), c. 4 (Versehgang,
1418 c. 10), c. 6 (Zahl der täglichen Messen), c. 7 (unbekannte Priester und Seelsorger-
zahl an einer Pfarrkirche, 1386 c. 15), c. 9 (Pfründenhäufung), c. 11r (Residenz), c. 15
(Konkubinat, 1418 c. 18), c. 19 (geistliches Eigentum), c. 20 (Wucher des Klerus), c. 21,
(Karten- und Kegelspiel der Geistlichen), c. 34 (Wucher der Laien, 1386 c. 13), c. 43
(Haartracht des Klerus),
4) Salzburg 1274 c. 20.
5) Salzburg 1386 c. 14; 1418 c. 16.
eu. 09 - Se
am 18. September 1437 aufgelösten Basler Konzil!) bezweckten im
Gefolge einer etwa 1437 tagenden salzburgischen Metropolitansynode ?)
die beiden Kirchenversammlungen der Bischöfe Georg von Stu-
bay (1437—1443) am 27. Mai 1438 °) und Johann Röttl (1444—
1450) am Dienstag, 19. April 1449 zu Brixen‘). Zugleich erließ die
eıstere im Sinne der Basler und Salzburger Beschlüsse 40 °), die letz-
tere 45 Dekrete %) unter Androhung der strengsten Kirchenstrafen 7).
Dem Basler Statut vom 22. Jänner 1435 entsprechend dürfen die
Geistlichen nur ehrbare, ältere, womöglich ihnen verwandte Frauens-
1) Derselbe endete mit dem Wiener Konkordat am 17. Februar 1448 zugunsten
des ersteren (Hefele, Konziliengeschichte VII, S. 840 fi.).
2) Diese Annahme Grisars (a. a. O., S. 604—638. Hübner a. a. O. X,
S. 229) stützt sich darauf, daß die Brixener Diözesanverordnungen 2—5 und 11—31 von
1438 in den Statuten der Mühldorfer Provinzialsynode von 1490 wiedererscheinen. Die
Beschlüsse des Provinzialkonzils von etwa 1437 haben somit nicht nur die des darauf folgen-
den Diözesankonzils herbeigeführt, von denen sich c. 13 direkt auf eine vorherige
Metropolitansynode beruft, sondern sie wurden auch zu Mühldorf erneuert.
3) Sinnacher a. a, O. VI, S. 260. Tinkhauser a. a. O. 1853, S. 702.
Bickella. a. O., S. 7—19, 57—64. Hefele a. a. O. VII, S. 6. Diese Versamm-
lung fand in refectorio ecclesiae statt. Abt Georg von Stams (1436— 1481) er-
wähnt in einem Schreiben vom 18. Oktober 1468, daß einst sein forfarend von Bischof
Ulrich zu einer Synode einberufen worden sei (Bickell a. a O., S. 76). Ob
diese zur Zeit Ulrichs L (1397—1417) und des Abtes Johann Blätterle (1399—1420)
oder zur Zeit Ulrichs II. Putsch (1427—1437) und des Abtes Johann Peterer (1420 bis
1436) stattfand, läßt sich nicht entscheiden. Jedenfalls stand sie mit dem Konstanzer
bzw. Basler Reformkonzil in Verbindung. Auffallend ist es, daß Bischof Ulrich L. in
seinem ausführlichen Tagebuch gerade von einer Diözesanversammlung nichts erwähnt
(Sinnacher a. a. O. VI, S. 97—162. Schaller, Ulrich II. Putsch, Bischof von
Brixen, und sein Tagebuch, Zeitschrift des Ferdinandeums 1892, S. 227—322).
4) Bickella. a O., S. 19—3ı1. Hefele a. a, O. VII, S. 39. Nach dem ge-
nannten Briefe des Stamser Prälaten hielt Bischof Johann wohl aus denselben Gründen auch
noch andere Konzilien ab. Beide Bischöfe waren gleich ihrem Metropoliten bis 1448
Anhänger des Basler Konzils.
5) c. I, 2, 4, 8, 28, 29 erneuern die früheren Vorschriften über die Lebensweise
des Klerus (1318 c. 2 [1419], c. 15, c. 20, c. 21 [1419], c. 43 [1419], c. 44, c. 45);
c. 3, 6, 7, 12, 38 über die Seelsorge (1287 c. 19, 1296 c. 5, 1318 c. 3 [1419], c. 7
[1419]), c. 15, 18—20, 31 über das Kirchengut und die geistliche Immunität (1318
c. 13 [1386 c. 9, 12; 1418 c. 26], c. 19 [1419], c. 28, c. 30, c. 31 [1386 c. ı1;
1418 c. 29], c. 37); c. 13, 23, 24 über die religiösen Pflichten des Volkes (1318 c. 20
[1419], c. 34 [1419], c. 39) und c. 37 über die Kopien der Synodalstatuten und deren
häufige Verlautbarung (1419). |
6) c. 2—7, 11—16, 18—36, 41, 43, 45 wiederholen die entsprechenden Beschlüsse
des vorhergehenden Konzils, c. 8 erneuert 1318 c. ı (jährliche Beichte und Kommunion),
c. 38 entspricht 1296 c. 29 (vorgeschriebener Ritus).
7) 1438 c. 36, 1449 c. 42.
m 0j =
personen in ihrem Hause zur Besorgung der Wirtschaft dulden und
müssen auch außerhalb desselben jede Gemeinschaft und jeden ver-
dächtigen Verkehr mit Weibern unterlassen, ansonsten sie ihr Bene-
fizium auf drei Monate, im Wiederholungsfalle auf eine dem Bischof
gut dünkende Zeit und endlich für immer verlieren. Ebenso wird ver-
boten, daß die Kinder der Geistlichen bei ihren Vätern wohnen oder
diese ihnen Hochzeiten veranstalten !).
Auf die gewissenhafte Ausübung des Seelsorgeamtes beziehen sich
die Verordnungen über die unaufschiebbare Einholung der cura anima-
rum durch die Vikare 2) und die Zuweisung eines gebührenden Ein-
kommens an die Hilfspriester, damit diese in ihrem Eifer nicht er-
lahmen °’), über den einheitlichen Ritus im Gottesdienst und Brevier 4)
sowie die Verbesserung der Meßbücher °), die würdige Teilnahme der
Priester im Chorrock am Gottesdienste vom Anfang bis zum Ende ô),
die monatliche Erneuerung der Eucharistie 7), die Weihe von Salz und
Wasser vor der Sonntagsmesse mit darauffolgender Prozession um die
Kirche ®), die Zelebrierung der Messe auf tragbaren Altären mit Er-
laubnis des Bischofs ?) und das Gebet um den Schutz des Bischofs
vor allen Widerwärtigkeiten am Schlusse jedes Gottesdienstes 1%), über
das eifrige Studium des tractatus sacramentalis von Auerbach !'), die
Zulassung der Bettelmönche zum Predigen und Beichtehören !?) und
über die Feste der Brixener Schutzpatrone sowie der Kathedralweihe ?3).
Von dem Kollegiatklerus wird die gewissenhafte, vollzählige und un-
unterbrochene Beteiligung an den Betstunden vom Beginne bis zum
Schlusse im Chorrock verlangt '‘). An die Beichtväter ergeht nebst
dem Verbote der Geldbußen die Ermahnung, nicht für Geld oder
andere Vorteile die gebührende Buße nachzulassen, sich der fest-
gesetzten Beichtformel zu bedienen und das Privilegium der Los-
sprechung von den Reservatfällen nicht zu ihrer Bereicherung zu miß-
brauchen. Als solche gelten insbesonders die große Exkommunikation,
Häresie, Religionsschändung, Unzucht, Mord, Brandlegung, Gebrauch
unechten Geldes, falsche Zeugenschaft, Wucher sowie Verletzung der
persönlichen Freiheit und des Besitzes des Klerus 15), Während eines
I) 1438 c. 1, 1449 c. I. 2) 1449 c. 40.
3) 1438 c. 10, 1449 c. 3. 4) 1449 c. 38; Salzburg 1386 c. ı.
5) 1438 c. 7, 1449 c. 14. | 6) 1438 c. 10, 1449 c. 3.
7) 1449 c. 14. 8) 1438 c. II, 1449 c. 12.
9) 1438 c. 33, 1449 c. 35. 10) 1438 c. 39.
11) 1449 c. 44. 12) 1438 c. 16, 1449 c. 7. Salzburg 1300, 1386 c. 8.
13) 1449 c. 37- 14) 1438 c. 40.
15) 1438 c. 5, 6; 1449 c. ı1. 1386 c. 2, 3.
— 94 Ze
Interdiktes sind nur die Taufe, Beichte, Wegzehrung, das kirchliche
Begräbnis würdiger Geistlicher, einmalige Predigt in der Woche und
eine tägliche stille Messe ohne Glockengeläute sowie bei geschlossenen
Türen mit Ausnahme von Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Maria
Empfängnis erlaubt. Ebenso wird die Ausübung hl. Funktionen in
einem ungeweihten oder entheiligten Gotteshause oder Friedhofe ver-
boten !. Die Pfarrer müssen auf die Erhaltung des geistlichen Eigen-
tums bedacht sein, alle Verpachtungen oder ÄAusleihungen unter dem
Scheine des Wuchers vermeiden und das Kirchenvermögen im Verein
mit zwei angesehenen Mitgliedern ihrer Pfarrgemeinde (Zech- oder
Kirchenpröpste) verwalten, welche jedoch zur Rechnungslegung vor dem
Pfarrer verpflichtet sind und keine eigenmächtige Verfügung treffen
dürfen ?).
Zur Förderung des wahren Glaubens und des religiösen Lebens
im Volke wird außer der Erneuerung der Ehe- und Wuchergesetze
angcordnet, daß den Gläubigen in der Sonn- und Feiertagspredigt
das Vaterunser, Glaubensbekenntnis, Ave Maria und die zehn Gebote
Gottes in der Muttersprache ?) sowie die Befolgung der Bittage *) ein-
geschärft werden, daß sie zur Erleichterung des Seelsorgedienstes
schon zu Anfang der Fastenzeit mit dem Empfange der Östersakra-
mente in der zuständigen Pfarrkirche 5) beginnen und an die Unerläß-
lichkeit von Vorsatz und Reue erinnert werden mögen *). Der Eintritt
in die Kirche wird den Konkubinarien, Ehebrechern, den widerrecht-
lich getrennt lebenden Ehegatten sowie ihren Quartiergebern ver-
wehrt ?), während die kirchliche Bestattung derjenigen, die ohne Beichte
und Kommunion in einer Todsünde oder ohne Zeichen der Reue vom
Tode überrascht werden, durch Hinrichtung oder bei Turnieren sowie
öffentlichen Schaustücken ums Leben kommen, nur mit bischöflicher
Erlaubnis, aber ohne irgend welche Abgabe erfolgen darf®).. Andere
Statuten handeln von dem verpönten Sektenwesen °) und der Auslieferung
von Ketzern, Zauberern, Wahrsagern und dergl. an den Bischof 1°), von
der verbotenen Einmengung der Laien in kirchliche Angelegenheiten
und Verwendung der Kirchenglocken oder anderer hl. Gegenstände zu
profanen Zwecken !!) sowie von der Zehntenverweigerung seitens des
1) 1438 c. 25, 1449 c. 27. 2) 1438 c. 17, 1449 c. 19.
3) 1438 c. 9, 1449 c. 13. 4) 1438 c. 35, 1449 C. 4I.
5) 1418 c. 25. 6) 1449 c. 9. |
7) 1449 c. 10. 8) 1438 c. 14, 1449 c. 17.
9) 1438 c. 30, 1449 c. 32.
IO) 1438 c. 32, 1449 c.34. 1418c.32. I1) 1438 c. 18, 1449 c. 20.
u. 0 a
Volkes !). Den Landleuten wird an einigen Heiligenfesten im Sommer
die Arbeit nach Besuch des Gottesdienstes gestattet?). Aussätzige dürfen
nur vom Bischof als solche erklärt ®), Notare erst nach bischöflicher
Approbation angestellt $), die Laien bloß in den geistlichen Kompetenz-
fällen sowie mit Angabe des Grundes vor das geistliche Gericht gerufen
und stets nur über die in dem Zitationsschreiben bezeichnete Angelegen-
heit verhört werden 5), ebenso wie Exkommunikationen der Größe des
Vergehens entsprechend und erst nach vorhergegangener Mahnung
sowie schriftlich zu verhängen sind ô).
Eine wesentliche Ergänzung zu diesen beiden Diözesansynoden
bildete die Reformtätigkeit des Kardinals Nikolaus von Cusa
(1450— 1464) 7), der nach Wiederherstellung der kirchlichen Einheit
im Februar 1451 als päpstlicher Legat zu Salzburg eine Metropolitan-
synode 3) und im Anschlusse daran vom 5. bis 7. Februar 1453 sein
erstes Diözesankonzil zu Brixen abhielt °). |
Abgesehen von der Erneuerung älterer Synodaldekrete !°) werden
die Priester aufgefordert, das Meßopfer nur mit reinem Gewissen, nach
würdiger Vorbereitung und körperlicher Reinigung sowie im nüchternen
Zustande darzubringen, weshalb sie besonders nächtliche Vergnügungen
zu meiden haben. Sie dürfen den Gottesdienst nicht vor Tagesanbruch
beginnen, musikalische Messen nicht abkürzen, an Festtagen die Orgel
nur beim Introitus, Kyrie eleison, Graduale und zur Sequenz oder zum
Hymnus spielen lassen und müssen bei jeder Sonntagsmesse ein
Gebet für den Papst, den Diözesanbischof und die gesamte katholische
Kirche verrichten, wofür sie einen fünfzigtägigen Ablaß erhalten !!). Die
Taufe hat gleich der Beichte stets in der Kirche stattzufinden und
zwar bei einem Knaben in Gegenwart zweier Paten und einer Frau,
bei einem Mädchen im Beisein zweier Patinnen und eines Mannes,
1) 1438 c. 26, 1449 c. 28. 1267c.7. 2) 1438 c. 34, 1449 c. 36.
3) 1438 c. 27, 1449 c. 29. 4) 1449 c. 39. 1386 c. 16.
5) 1438 c. 21, 1449 c. 23. 6) 1438 c. 22, 1449, c. 24.
7) Christian Schmitt, Kardinal Nikolaus Cusanus (Koblenz 1907), woselbst
die gesamte einschlägige Literatur zusammengestellt ist.
8) Hübner a. a, O. X, S. 330; XIV, S. 246.
9) Bickell a. a. O., S. 31—38. Hefele a. a. O. VII, S. 62.
10) 1296 c. 17; 1318 c. 14, 27; 1419 (Pfründenhäufung, persönliche Residenz,
Absolation eines Priesters durch einen andern, Überwachung des Volkes); 1438 c. I, 2,
3, 5, 7, 8, 12 (Salzburg 1451), 13, 16—18, 20, 24, 26, 31, 32, 38, 39; 1449 c. 8—10, 38.
ı1) Salzburg 1451. Dieses Statut sollte zur allgemeinen Anerkennung des Papstes
Nikolaus V. sowie des von diesem wider den Willen des Brixener Domkapitels ernannten
Bischofs Nikolaus von Cusa dienen (Pastor, Geschichte der Päpste I, S. 377).
u, 396: 2
während das Bußsakrament mit der größten Sorgfalt und Gerechtigkeit
gespendet werden muß und die kirchliche Eheschließung vom Advent
bis zur Oktav des hl. Dreikönigsfestes, von Septuagesimä bis zur
Österoktav und von den Bittagen bis zur Pfingstoktav verpönt ist. Die
Kleriker haben die Fest- und Fasttage zu beobachten, sich in der
Quadragesimalzeit von Milch, Butter und Eiern zu enthalten und dürfen
die den Laien auferlegten Geldstrafen nicht zu persönlichen Zwecken
verwenden.
Das Volk wird eindringlich ermahnt, an dem wahren Glauben
und seinen religiösen Verpflichtungen festzuhalten, sich das Vaterunser
und die zehn Gebote Gottes anzueignen, den Sabbat zu heiligen, jeden
Sonntag in der zuständigen Pfarrkirche Hochamt und Predigt voll-
ständig und nüchtern anzuhören, während welcher Zeit in den Gast-
häusern nichts verkauft werden darf, ebenso wie an den Sonntagen
die Feilbietung von Fleisch und nicht unbedingt nötigen Gegenständen
untersagt ist. In der Quadragesimalzeit ist nur die Verwendung von
Öl, nicht aber der Genuß von Eiern erlaubt, auch möge den Beicht-
kindern die Meidung der Milchspeisen entweder durch die ganze Fasten-
zeit oder von der Mitte derselben oder von Judica an, allen jedoch
an jedem Montag, Mittwoch und Freitag bis zum Palmsonntag und
von da an täglich anbefohlen werden. Endlich verbietet die Synode
außer den Geheimcehen die leibliche Vereinigung der Ehegatten vor
der kirchlichen Weihe sowie die Entheiligung der Feste durch un-
geziemendes Benehmen und billigt nur Wallfahrten mit Zustimmung
des betreffenden Seelsorgers und nach von altersher üblichen Stätten,
wie Brixen, Rom, St. Jakob in Spanien, Aachen und Aquileja.
Zur Überwachung der Kirchengesetze und Abstellung von Miß-
bräuchen dienen die jährlichen Kapitelversammlungen des Klerus, wo-
selbst die Synodalverordnungen sowie die Werke des Ihomas von
Aquino und Johann von Auerbach über Glauben und Sakramente er-
läutert und hieraus kurze Auszüge hergestellt werden sollen; ebenso
ist daselbst den bischöflichen Delegierten über die kirchlichen Zustände
Rechenschaft zu geben. Größere Übelstände bleiben jedoch der Bischofs-
synode vorbehalten, die sich jährlich am Feste der Brixener Patrone
(5. Februar) ohne weitere Einberufung an der Kathedrale versammeln
soll, falls der Bischof keine andere Verfügung trifft.
Im Einklang mit der salzburgischen Metropolitansynode am 11. No-
vember 1454 !) schrieb Kardinal Nikolaus am 7. November 1455 neuer-
1) Hübner a. a. O. XIV, S. 246.
=; 6 Ze
dings eine Kirchenversammlung nach Brixen!) aus, die vom Diens-
tag, 25. November bis zum 27. November d. J. dauerte und wahr-
scheinlich zugleich als Einleitung zu dem nächstjährigen Provinzial-
konzil diente °), zumal Papst Kalixtus III. am 15. Mai 1455 einen
Türkenzehnten verordnet hatte °’).
Nach Verlesung der Kreuzzugsbulle wurde festgesetzt 4), daß der
Zehnte von allen kirchlichen Einkünften nach dem Stande des ver-
flossenen Jahres gezahlt, jedoch wieder dem Klerus zurückerstattet
werden sollte, falls die eingesammelten Gelder nicht bis zum ı. Juli
des kommenden Jahres ihrem Zwecke zugeführt würden, und verwahrte
man sich gegen etwaige Aneignung derselben seitens der weltlichen
Großen. Mit der Einhebung des Zehnten wurden Propst Kaspar
Aigner von Neustift, der Brixener Domherr Christian von Freiberg
und Pfarrer Konrad Bossinger von Rodeneck betraut 5).
Behufs Fortsetzung der Kirchenreform ê) erfuhr die bestehende
Chorordnung für den Kollegiatklerus eine weitgehende Ergänzung.
Dieselbe bezieht sich auf die priesterliche Tracht sowie die würdige,
vollständige Teilnahme an den Chorstunden und bestimmt, welche von
ihnen stehend, sitzend oder kniend zu beten sind, bei welchen ein
Betreten des Chorraumes verboten ist und welche dem verschiedenen
1) Tinkhauser a. a. O. 1853, S. 702. Bickell a. a, O., S. 39—46, 70f.
Hefele a. a. O. VII, S. 63ff. (fälschlich Februar 1455). Das Konvokationsschreiben
wurde an der Kathedrale öffentlich verkündet, an das Kirchentor angeschlagen sowie
darch Boten den Prälaten, Prioren, Dechanten und Pfarrklerikern übermittelt. Dieselben
hatten sich am Vortage des Katharinenfestes im bischöflichen Palaste einzufinden und die
Synode nicht ohne die am Schlusse derselben erteilte bischöfliche Erlaubnis zu verlassen,
2) Hübner a. a. O. X, S. 2z3ı1fl.; XIV, S. 246 fl.
3) Pastor a. a. O. I, S. 559 fl.
4) Aus den Akten dieser und der folgenden Synode 1457 können wir entnehmen,
daß zur Beratung der einzelnen Verhandlungsgegenstände Ausschüsse (domini deputati)
gewählt warden, während uns von der letzteren auch Reformanträge seitens des Klerus
vorliegen. (Bickell a. a. O., S. 43, 568. Grisar a.a. O., S. 613). Trotz der Mit-
arbeit der Konzilsteilnehmer (in den Akten von 1457 heißt es: deliberatione facta
obtulit se synodus nullo contradicente voluntariam oder annuit tota synodus ....
atque synodaliter conclusum exsistit oder de unanimo voto totius synodi) lassen die
Brixener Synodalakten und Statuten schon ihrer Abfassung nach keinen Zweifel darüber,
daß diese allein ein Ausfluß der übergeordneten Episkopalgewalt waren.
5) Das salzb. Provinzialkonzil 1456 verhielt sich jedoch ablehnend (Hübner
a, a. O. X, S. 231; XIV, S. 247).
6) c. 34 und c. 40 des Konzils 1438 wurden erweitert, die Statuten von 1453 über
die Korrektur der Missalien, die Zelebrierung der Messe vor Tagesanbruch, die eigen-
mächtige Aufnahme unbekannter Priester, die Zehntentrichtung und das Konkubinat der
Laien wiederholt.
— 98 —
Rang entsprechende Ehrenbezeigungen den daselbst erscheinenden Mit-
gliedern des Chores, dem Propste und dem Bischof gebühren. Ferner
wird aufs neue der ausschließliche Gebrauch der verbesserten Missalien
angeordnet, was in den Klöstern Stams, Wilten, Neustift und Innichen
nach dem Muster des Propstes Michael im Kreuzgang zu Brixen gegen
Erlegung von je 12 Pfund Denaren und Signierung seitens des betreffen-
den Prälaten geschehen soll; desgleichen wird die Abfassung einer ein-
heitlichen Agende und eines ebensolchen Breviers in den genannten
Stiftern veranlaßt und verboten, das letztere willkürlich zu verändern,
zu verkürzen oder durch Heiligenlegenden zu erweitern. Die Seel-
sorger, deren Weihe durch einen fremden Bischof ohne Entlassungs-
schreiben des Diözesanbischofs ungültig ist, sind verpflichtet, die aus
reinem Weizenmehl bestehenden Hostien nur von dem Subkustos der
Kathedrale zu beziehen, dem Volke nichts Abergläubisches oder Le-
gendenhaftes zu predigen und die Stiftung neuer Jahresgedächtnisse
und Messen von der bischöflichen Genehmigung abhängig zu machen.
Zur Regelung des Zehntwesens müssen die Beichväter nachforschen,
wie viel, von wem und an wen Zehnten gezahlt werden, und hierüber
bis zu den nächsten Pfingsten an den Bischof berichten. Im Gegen-
satz zu früher (1438 und 1449) ist nunmehr die Verpachtung der
zum Kirchengut gehörigen Kühe (vaccae ferreae) gestattet. Nebst
Verpönung des Karten- und Würfelspieles der Laien wird das Feiertags-
wesen zugunsten der ärmeren Bevölkerung geordnet !). Abgesehen
von den durch das Kirchengesetz vorgeschriebenen Festtagen ?) soll
das Volk zur Befolgung solcher, die auf die allgemeine Gewohnheit
zurückgehen, bloß ermahnt werden, während ihm die Einhaltung der
durch besondere Ortsgebräuche bedingten Feiertage freigestellt wird.
Ferner hat bei den beiden letzteren Gattungen das Feierabendläuten
mit weniger Glocken als bei den gebotenen Festen zu erfolgen. Da-
gegen sind solche, die aus bloßer Willkür oder Aberglauben gegen
Unwetter, Fieber, fallende Krankheit oder Biß von Tieren begangen
werden, verboten, und eine Überschreitung dieses Gesetzes wird als
bischöflicher Reservatfall bezeichnet. Daß Bischof Nikolaus auf der
Synode auch mit der Durchführung der Provinzialbeschlüsse von
1451 über die Reform des Regularklerus beschäftigt war, beweist die
daselbst erfolgte Verhängung von Bann und Interdikt über die wider-
1) Die Feiertagsordnung erneuerte Bischof Golser am 5. Oktober 1477 (Sinnacher
a. a. O. VL S. 644—648).
2) Dazu gehörten auch die Feste der Brixener Schutzpatrone Ingenuin, Albuin und
Kassian sowie der Kathedralweihe.
— 99 —
spenstige Äbtissin Verena und den Konvent des Nonnenstiftes Sonnen-
burg, das der Kardinal übrigens auch in bezug auf die Temporalien
unter die Episkopalgewalt beugen wollte !).
Anläßlich des auf den 24. Juni 1457 ausgeschriebenen salzburgi-
schen Provinzialkonzils ließ der Kardinal ?) durch seinen Generalvikar
Gebhard von Bulach für Montag, 2. Mai d. J. eine vorbereitende Diö-
zesansynode in dem bischöflichen Palaste zu Brixen?) ankündigen,
die mit einem hl. Geistamte und einer Ansprache des Bischofs über
den guten Hirten begann und bis zum 4. Mai dauerte. Sie bewilligte
demselben zum Besuche der Salzburger Kirchenversammlung eine
Beisteuer unter der Bedingung, daß künftighin behufs Vermeidung
unnützer Auslagen die Bischöfe nur in wichtigen Fällen zum persön-
lichen Erscheinen verpflichtet wären.
Um die bisherigen Provinzial- und Diözesanstatuten ersprießlich
durchführen zu können, wird die jährliche Einberufung von drei Kapitel-
versammlungen festgesetzt t). Die Geistlichkeit des Eisacktales sollte
sich jedesmal am Montag nach dem Bartholomäusfeste zu Brixen
unter Vorsitz des Domherrn Michael von Natz, Propstes im Kreuz-
gang zu Brixen, die des Pustertales in Innichen am Mittwoch nach
der Osteroktav unter dem Domherrn Christian Troysel, der Klerus
des Inntales im Stifte Wilten am Tage nach Bartholomäus unter dem
Domherrn Georg Golser versammeln. Diese Kanoniker sind auch zur
1) Jäger, Der Streit zwischen Nikolaus von Kusa und Herzog Sigmund von
Österreich (Innsbruck 1861) I, S. 159—161. Gasser, Das Benediktinerinnenstift
Sonnenburg im Pustertal (Studien und Mitteilungen des Benediktiner- und Zisterzienser-
ordens 1888), S. 53.
2) Vor dem Jahre 1457 hat der Kardinal außer den Synoden von 1453 und 1455
noch eine andere Kirchenversammlung abgehalten, die vielleicht in das Jahr 1456 zu
verlegen ist (Bickell a. a. O., S. 71—73). Denn auf der Provinzialsynode im April
d. J. wurde beschlossen, daß die Suffragane über die eingereichten Avisamente mit ihrem
Klerus bis zum St. Martinsfeste Beratungen pflegen sollten (Hübner a. a. O. XIV, S. 247).
3) Bickella a. O., S. 46—57. Hefele a. a. O. VII, S. 97—99. Als Synodal-
notare fungierten Paul Greußinger und Laurentius Hamer.
| 4) Von den Statuten des Jahres 1453 werden die Verordnungen über die Kapitel-
versammlungen, die Lossprechung eines Klerikers durch einen anderen und die persön-
liche Residenz, für deren gegenwärtige Vernachlässigung der Bischof zuerst die Strafe
der Absetzung aussprach, um am 5. Mai dieselbe in eine bloße Suspens von den Ein-
künften umzuwandeln, erneuert, desgleichen die Bestimmungen des Jahres 1455 über den
ausschließlichen Gebrauch der korrigierten Meßbücher und Agenden, die Herstellung eines
einheitlichen Breviers und den Hostienbezug von der Kathedrale, wobei aber jede unge-
bührliche Belastung des Klerus untersagt ist. Die den Beschlüssen zugrunde liegenden
Reformanträge seitens des Klerus betreffen die Verbesserung der Missalien, die Abhaltung
der Kapitel und die Vorsitzenden derselben (Bickell a. a. O., S. 56ff.).
— 100 —
Visitation ihres Distriktes verpflichtet, wobei sie zur geringeren Be-
lastung der Pfarrer nur einen Notar, einen Diener und drei Pferde mit-
bringen dürfen, und müssen auf dem Diözesankonzil besonders über
den Lebenslauf und die Pflichterfüllung des Klerus, den kanonisch
gültigen Besitz der geistlichen Ämter, die Verwaltung des Kirchengutes
und das religiöse Verhalten des Volkes Bericht erstatten. Überdies
wird die anläßlich der Osmanengefahr vom Papste am 29. Juni 1456
eingeführte und bei jeder Messe zu betende Türkenkollekte verlautbart
und im Sinne der päpstlichen Verordnung Klerus wie Laien anbefohlen,
beim täglichen Mittagläuten drei Vaterunser und drei Ave Maria zu
beten. Nachdem durch die Synode am 4. Mai die gebührende Be-
strafung des Brixener Domkustos Christian von Freiberg, der tags
zuvor trotz Exkommunikation den Gottesdienst in der Domkirche durch
seine Anwesenheit gestört hatte, dem Papste anheimgestellt worden
war, sprach der Kardinal am Schlusse über die ohne rechtmäßige
Ursache Abwesenden, die von dem Synodalpromotor des Ungehorsams
angeklagt worden waren, den Kirchenbann aus, falls sie keine kanonisch
gültige Entschuldigung vorbringen könnten !). Jedenfalls kamen auch
der bis 1458 dauernde Konflikt des Bischofs mit Sonnenburg sowie der
hieraus entstandene Streit mit Sigismund von Tirol um die Landeshoheit
zur Sprache, der erst durch den Tod des Kardinals 1464 endete ?).
Hieraus erklärt es sich auch, daß die auf dem letzten Konzil
für den 4. Mai 1458 angesagte Kirchenversammlung sowie jede
weitere synodale Reformtätigkeit des Kardinals unmöglich gemacht
wurde, zumal sich dieser im Juli 1457 aus vermeintlicher Furcht vor
dem Herzog aus Brixen geflüchtet hatte, um bis zu seinem Tode
nicht mehr dorthin zurückzukehren ?). Naturgemäß übten diese po-
litischen Wirren auf das religiöse Leben in der Diözese die nach-
teiligsten Folgen aus, ebenso wie die folgenden unruhigen Zeiten eine
energische Fortsetzung der Kirchenreform vielfach hinderten t).
ı) Darunter befand sich widerrechtlich der Abt Georg Kotz des exempten Stiftes
Stams, zu dessen Gunsten der Papst die Streitfrage am 12. Februar 1458 entschied
(Bickella. a O., S. 68—74).
2) Über den Verlauf dieses mit einem Siege der Landeshoheit endenden Zwistes vgl.
nebst Jäger (a. a, O.) Pastor a. a. O. Il, S. 132—157 und Huber, Geschichte Öster-
reichs III, S. 178—186.
3) Von Ende April bis Juni 1458 hielt sich der Bischof in Krain auf. Die beiden Klerus-
versammlungen am 23. Februar 1458 zu Brixen (unter dem Vorsitze zweier bischöflicher Dele-
gierten) und am 30. März 1460 zu Bruneck verfolgten rein politische Zwecke, nämlich durch die
abgebrauchten geistlichen Waffen den Herzog zur Nachgiebigkeit zu zwingen (Jäger a. a. O.).
4) Werner, Der niedere Klerus am Ausgang des Mittelalters (Deutsche Ge-
— 101 —
Während uns von den Konzilien der Bischöfe Georg Golser
(1464—1488) im Herbst 1468 !) und am Sonntag, 17. Oktober 1473 ?)
sowie Melchior von Meckau (1488—1509) am Sonntag, 15. No-
vember 1489°) in Brixen nichts erhalten ist, kennen wir von der
am 30. Dezember 1510 ausgeschriebenen und am Montag, 27. Jänner
1511 daselbst tagenden Synode des Bischofs Christoph von Schrofen-
stein (1509—1521) 30 Statuten *), die vielfach auf das Metropolitan-
konzil zu Mühldorf 1490 zurückgreifen 5).
schichtsblätter VII). Wopfner, Die Lage Tirols am Ausgang des Mittelalters (Ab-
handlungen zur mittleren und neueren Geschichte 1908).
1) Diese Synode, deren erfolgte Ausschreibung Abt Georg von Stams in einem
Schreiben vom 18. Oktober 1468 erwähnt (Bickell a. a. O., S. 74—76. Hefele
a. a. O. VII, S. 190), stand, wie aus diesem Briefe geschlossen werden muß, unter dem
Einflusse des am 20. April 1468 verkündeten päpstlichen Kreuzzugzehnten gegen die
Türken und Hussiten, dem die salzburgische Provinzialversammlung am 4. September
1468 zu Mühldorf zugestimmt hatte. Nur die Vertreter der Brixener Diözese, Bischof
Georg und die Domherren Michael von Natz und Stephan Steinhorn, gaben daselbst die
Erklärung ab, daß sie ohne Einverständnis mit Herzog Sigismund von Tirol nichts zuge-
stehen könnten und die Beiträge eher zum Kampfe gegen die Schweizer verwendet wissen
wollten (Sinnacher a. a. O. VI, S. 554—556). Da Georg Golser erst im Frühjahr
1472 die päpstliche Konfirmation als Bischof von Brixen erhielt, war das Konzil vom
Domkapitel ausgeschrieben worden.
2) Das bischöfliche Konvokationsschreiben vom 9. August 1473 erinnert die Kleriker
an die alte Sitte, den Überbringern desselben nebst der Verpflegung zwei Groschen
Weggeld zu geben (Bickell a. a. O., S.76f. Hefele a. a. O. VII, S. 208). Die
Versammlung verbot den Ordensbrüdern des hl. Antonius in Memmingen und anderen
Mendikantenstiftern die Einsammlung von Almosen in der Briyener Diözese, die durch
die Türken- und Schweizergefahr sowie schlechte Ernteergebnisse schwer gedrückt war.
Der Bischof vertröstete dieselben in einem Schreiben vom 3. November 1473 auf die
nächste Synode am Sonntag Misericordia (2. Mai) 1474, worüber uns jedoch nichts
bekannt ist (Sinnacher a. a. O. VI, S. 580—582. Tinkhauser a. a. O. 1853,
S. 702). Daß sich aber das Konzil auch mit der Kirchenreform beschäftigt hat, beweist
das Statut der Synode von 1511 (c. 15) über die Konkubinarier.
3) Nach dem Zitationsschreiben vom 21, Juli 1489 mußten die Prälaten, Pfarrer
und Vikare zu der mit einem hl. Geistamt in der Kathedralkirche eröffneten Synode
persönlich erscheinen oder Bevollmächtigte senden; jeder Stiftskonvent sollte durch zwei
Delegierte vertreten sein (Sinnacher a a. O. VII, S. 9f. Tinkhauser a. a. O.
1853, S. 702). Auf dieses Konzil stützt sich c. 10o (1511) über das Testierungsrecht
des Klerus.
4) Sinnacher a. a. O. VIIL S. 124. Rapp, Die Statuten der ältesten bekannten
Synode von Brixen (Zeitschrift des Ferdinandeums 1878, 22. Heft). Hefele a a. O.
VII, S. 545.
5) Hübner a. a. O. X, S. 232—235. Erneuert wurden die Diözesanstatuten
1287 c. 2; 1318 c. 4 (1419), c. 9 (1419, 1453), c. 11 (1453, 1457), c. 14 (1453),
c. 27 (1453); 1438 c. 1, 2, 3 (1453, 1455), 4, 5 (1453) 6—9, 10 (1453), 12 (1453),
8
Die Vorschrift über die nur in der Kirche gestattete Taufe wird
dahin ergänzt, daß dieselbe in einem reinen, sonst sicher versperrten
Taufbecken in Anwesenheit eines einzigen Taufzeugen gleichwie bei
der Firmung gespendet werden soll und bloß JTürstenkinder diese
Sakramente zu Hause empfangen können (c. 1ı7)!), Den Kranken
ist zuerst die Beichte unter vier Augen abzunchmen und hierauf in
andächtiger Weise die Wegzehrung zu reichen (c. 13). Zur Festigung
des katholischen Glaubens müssen die Prediger an Sonn- und Feier-
tagen den Laien die Bibel deutlich erklären, ihnen nebst dem
Vaterunser, Ave Maria und Credo die zehn Gebote Gottes, die
sieben Sakramente, die sieben Todsünden, die acht Umstände der
Sünden, die sechs guten Werke der Barmherzigkeit und die fünf
Sinne einprägen (c. 1) und dürfen nichts Unnützes oder Unbegründetes
vorbringen, keine Privatangelegenheiten berühren oder Schmähungen
ausstoßen. Dagegen werden die Zuhörer gewarnt, unandächtig zu
sein, den Priester sowie das von ihm verkündete Wort Gottes zu
bekämpfen oder ihn an der Ausübung seines Berufs zu hindern
(c. 11). Die Seelsorger sollen nicht durch willkürliche Forderungen
ihre pfarrherrlichen Rechte überschreiten (c. 28)°?). Wie die Feier-
tage werden auch die Fasttarc in gebotene, gewohnheitsmäßige
und lokale eingeteilt (c. 12) Den Landdechanten wird die Er-
laubnis erteilt, fremde Kleriker, die im Besitze eines Entlassungs-
scheines ihres zuständigen Bischofs sind, zu gottesdienstlichen Hand-
lungen in der Umgebung von Brixen auf einen Monat, in der
übrigen Diözese auf zwei Monate zuzulassen, während für längere
Zeit die bischöfliche Genehmigung erforderiich ist (c. 5). Wie die
Vereinigung oder Teilung von Benefizien wird auch die Errichtung
neuer Benefizien, Kapellen und ÖOratorien ohne Zustimmung des
Bischofs untersagt (c. 29)). Bezüglich der gewissenhaften Verwal-
tung des Kirchenvermögens wird bestimmt, daß den Zechpröpsten
auch die Obsorge für die kirchlichen Gebäude und Utensilien sowie
die Eintreibung der Schulden an die Kirche obliege, daß an jeder
Pfarrkirche eine Kasse mit zwei- oder dreifacher Sperre bestehen und
einen Schlüssel hierzu der Pfarrer ebenso wie für die Opferstöcke
13 (1453), 14, 15, 17 (1453), 18, 19 (1453), 24 (1453), 26 (1453, 1455), 27—29, 32,
37, 38; 1449 c. 8 (1453), 9, 10 (1455, 1455), 17, 40. Provinzialsynode zu Mühldorf
1490 c. 1—6, 8—13, 16—19, 27—30, 32, 34, 36—38, 40, 43, 45, 49.
ı) Mühldorf 1490 c. 33.
2) 1490 c. 44.
3) 1490 c. 46.
— 103 —
besitzen solle (c. 22) !), ferner die Stiftungen bei Strafe des Bannes
weder verkauft noch verpfändet werden dürfen (c. 25). Den Klerikern.
steht das Recht zu, im Rahmen der. kanonischen Vorschriften gleich
den Laien rechtsgültige Testamente zu machen, vor deren Voll-
streckung der Testamentsexekutor über den Nachlaß in Gegenwart
glaubwürdiger Zeugen ein Inventar aufnehmen muß. Die Bezüge des
neuen Seelsorgers bis zu dem nächsten Einnahmetermin sollen aus
den hinterlassenen Erträgnissen der Pfründe für Brixen vom Helenatag
(22. Mai), für das Eisack- und Pustertal vom Georgstag (24. April)
und für das Inntal von Maria Lichtmeß (2. Februar) an berechnet
werden (c. 10). Zur Ausführung der bischöflichen Befehle sowie
Überwachung des Klerus und Laienstandes wird die Diözese in die
Dcekanate. Ober-, Unterinntal und Pustertal eingeteilt (c. 3) ?)-
Die folgenden Konzilien des XVI. Jahrhunderts stehen unter dem
Zeichen der lutherischen Glaubensspaltung, deren Hauptursache die
in der katholischen Kirche wurzelnden, bisher vergebens bekämpften
Übelstände waren.
Mitteilungen
Getreideversorgung der deutschen Alpenländer. — In seinem
Aufsatze Die Zahl der Landbevölkerung Deutschlands im Mittelalter °), dessen
überraschende Ergebnisse manchen Widerspruch heraufbeschworen haben,
sagt Strakosch-Graßmann S. 313: „Die Getreidegasse in Salzburg
erinnert an jene Zeit, da die Salzburger Kaufleute sich durch die Getreide-
versorgung der Alpentäler bereicherten.‘
Hans Widmann (Salzburg), der eben jetzt seine dreibändige Geschichte
Salzburgs abschließt, bemerkt in einer Zutschrift an den Herausgeber dazu:
„Die Namenserklärung trifft nicht das Richtige. Die jetzt Getreidegasse ge-
nannte Straße hieß vielmehr nach Zillners Stadtgeschichte I, 18r im Jahre
1150 und 1200 urkundlich trabegagzze, später tragasse; nach demselben
bedeutet der Name (ebenda, S. 72) ‚eine stärker begangene, befahrene, also
belebte Verkehrslinie, eine Hauptstraße‘. Sie gehört zur ältesten Verkehrs-
linie zwischen dem Frongarten St. Peters (heute Universitätsplatz) und dem
Flusse. An ihrem Anfange lag die Brücke und das Rathaus. Gewiß war
sie Sitz der Kaufleute, aber von einem Getreidehandel in der Gasse ist
1) 1490 c. 15.
2) Für das Dekanat Oberinntal wurde Pfarrer Lorenz Sayler von Telfs, für das
Unterinntal der Prediger Wolfgang Cremer von Hall und für das Pustertal Pfarrer
Matthäus Mayrl von St. Lorenzen bestellt (Sinnacher a. a. O. VII, S. 473).
3) Diese Zeitschrift, Bd. 14, S. 285—296 und 310— 322.
gt
— 104 —
Zillner nichts bekannt. An ihrem Westende war ein Tor; daran schloß sich
ein dem Kloster Admont gehöriges Gebiet: das jetzt aufgelassene Bürger-
spital mit Kirche. Leider gibt Zillner nicht an, seit welcher Zeit der
Name in der jetzigen Form (Getreidegasse) üblich ist.“
Hierauf entgegnet Strakosch-Graßmann das folgende:
„Die Getreidegasse ist die Hauptverkehrsader des bürgerlichen
Salzburg, dem im Mittelalter durch die großen Klosterhöfe, im XVL und
XVII. Jahrhunderte durch die Bauwut der Salzburger Erzbischöfe Raum,
Licht und Luft benommen wurden. Nicht einmal im alten Frankfurt war
die Bevölkerung so dicht und auf einen so engen Raum zusammengepreßt
wie hier. Auch die Getreidegasse ist ungemein enge; gleichwohl war sie in
früherer Zeit der Sitz des Salzburger Handels, und noch heute ist hier und
in der Nachbarschaft der Hauptsitz des Kleinhandels in Salzburg. Wenn
die Angaben Zillners in seiner Stadtgeschichte zutreffend sind, so liegt hier
ein meıkwürdiger, aber ungemein charakteristischer und den Tatsachen ent-
sprechender Fall von Volksetymologie vor. Als die Namen Trabe- und
Tragasse dem Volksmund nicht mehr verständlich waren, machte das Volk
daraus eine Trädgasse. Bereits im XVII. Jahrhundert ist nämlich im bayerisch-
österreichischen Dialekte die Neigung vorhanden, den Doppellaut ei oder ai
durch ein möglichst langgedehntes á zu ersetzen. Trad mit dem sehr ge-
dehnten a ist nun nichts anderes als das hochdeutsche Getreide, und so
machten die Schreiber in Salzburg in dem Bestreben, hochdeutsch und richtig
zu schreiben, aus der Tradgasse eine Getreidegasse, sachlich voll-
kommen zutreffend, weil der gemeine Mann mit der Bezeichnung Tradgasse
eben nichts anderes meinte. Es müßte doch möglich sein, auch wenn
Zillner den Zeitpunkt der neuen Namensform — um eine eigentliche Neu-
benennung, etwa in der Weise, wie wenn man cine Breite Gasse in eine
Kaiser-Wilhelm-Straße umtauft, handelt es sich ja nicht — nicht angibt,
den Namen, der sicher schon im XVII. Jahrhundert üblich gewesen sein
wird, in den Resten des Stadtarchivs von Salzburg, die im Salzburger Museum
aufbewahrt sein sollen, nachzuweisen. Im übrigen ist die Erwähnung der
Getreidegasse in Salzburg in meinem Aufsatz nichts als der Versuch, an
irgendeine bekannte Erscheinung anzuknüpfen, um daran eine Bemerkung
allgemeinen Inhaltes zu schließen, etwa wie ich, wenn ich über Köln etwas
sagen wollte, von der Hohen Straße ausgehen würde.
Das Wesentliche an der Sache ist, daß Salzburg zu jenen Landschaften
gehört, die niemals, auch nicht in weit zurückliegenden Zeiträumen, ihren
Getreidebedarf aus der eigenen Erzeugung decken konnten, daß Salzburg viel-
mehr stets auf die Zufuhr von Österreich und Bayern angewiesen war, auch
wenn es ım Flachgau von Salzburg eigenen Getreidebau gab. Diese Ab-
hängigkeit von der Getreideversorgung durch das Ausland teilt Salzburg mit
sämtlichen Alpenländern. Im heutigen Deutschen Reiche waren auf Bezug
des Getreides aus den Ebenen weiterhin angewiesen die von einer dichten,
Industrie treibenden Bevölkerung erfüllten Täler und Abhänge des Erzgebirges
und des Riesengebirges, ferner das südliche Westfalen und der anstoßende
rheinische Industriebezirk und die Gegend um Aachen. Aber selbst die
Bewohner des Bayerischen Waldes, der Schwarzwaldtäler, der Berge um Fulda
waren von Zufuhren aus der Umgebung abhängig. In Italien lebten z. B.
— 105 —
die Getreidehändler von Parma vom Absatze in die Apenninentäler. Wichtige
Absatzgebiete für den deutschen Getreidehandel waren Flandern, wo in der
Regel die Getreideausfuhr verboten war!), ferner Schottland und Norwegen.
Island wurde um 14380 von Hamburg aus mit Mehl versorgt. Im Um-
kreise der Mittelmeerländer fällt besonders der beständige Getreidemangel in
Palästina auf, der dazu führte, daß die Kreuzfahrer eigentlich von fort-
währendem Hunger gequält wurden und stets von der Zufuhr zur See ab-
hängig blieben. Ä
Um zu Salzburg zurückzukehren, sei bemerkt, daß angesichts der Ab-
hängigkeit hinsichtlich der Getreideversorgung von den Nachbarländern für
Salzburg die bayerischen Getreideausfuhrverbote, die Bayern erließ, wenn
dort Mangel eintrat, und Erhöhungen der bayerischen Ausfuhrzölle auf Ge-
treide höchst lästig waren. Von einer solchen Zollerhöhung durch Bayern
wurde die Getreideausfuhr nach Salzburg 1662 betroffen. Ferner bestand
in demselben Jahre in Kärnten und Steiermark ein Verbot der Getreide-
ausfuhr nach Tirol und Salzburg. Dem salzburgischen Staate blieb in solchen
Zeiten nichts übrig, als sich der armen Leute im Lande möglichst durch
ihre Vertreibung zu entledigen. Daher erfolgte am 30. August 1662 in
Salzburg eines jener Mandate, die ich wegen ihrer Häufigkeit kurzweg als
Bettlermandat bezeichnen möchte, nämlich ein Befehl, die nicht im Lande
heimischen ‚Bettler‘ auszutreiben, was in einer Zeit, da es nicht jedem
möglich war, urkundlich seine Heimatsangehörigkeit nachzuweisen, ziemlich
viel bedeutete. Aus den Akten des Gerichtes Golling im Salzburgischen,
also eines am Eingange des Hochgebirges gelegenen Gerichtes, erfährt man
von einer 1665 von Bayern gegen Salzburg verhängten Getreidesperre. Dieser
Umstand allein beweist, daß man in den Gebirgstälern die Sperre der Zufuhr
von außen empfindlich spürte. Die Folge war am 9. Juni 1666 ein neuer-
liches Bettlermandat in Salzburg. Im Jahre 1674 war eine abermalige Knapp-
heit der Lebensmittel im Salzburgischen zu verspüren; sie äußerte sich durch
ein Bettlermandat vom g. November 1674 ‚und durch eine Brottaxe für Salz-
burg vom 16. Jänner 1675. Auch diesmal gingen bayerische Ausfuhr-
erschwerungen voran: am 14. August 1674 erließ Bayern ein Mandat gegen
die Getreidespekulation. Der salzburgische Staat half sich in solchen Fällen
manchmal dadurch, daß er die Viehausfuhr verbot und so die Fleisch-
versorgung von München erschwerte. So war es zu Anfang 1676. Am
23. Jänner 1676 fehlte es im Gebirge an Getreide, am 4. Februar 1676
verbot Bayern die Getreideausfuhr; Salzburg aber war zur Stelle mit einem
Ausfuhrverbote für Vieh und Pferde. Für die Fleischzufuhr Münchens waren
nämlich die Viehmärkte im Lungau außerordentlich wichtig. Die Wirkung
blieb in Bayern nicht aus: nach einem bayerischen Mandate vom 27. August
1676 herrschte in Bayern Butterteuerung.
Auch die Zufuhr von Kärnten her war für Salzburg nicht ohne Wichtig-
keit. Am 27. Oktober 1677 freuten sich die Kärntner Stände darüber,
daß die Getreideernte in Friaul und Italien dieses Jahr fehlgeschlagen habe,
1) Natürlich unter Ausnahme des Transithandels von Brügge-Sluis in der Zeit, als
der hanseatische Stapelzwang für Brügge-Sluis bestand. In Zeiten der Not wurde die
Freiheit des Transithandels übrigens auch nicht beachtet.
— 106 —
und verkauften so fleißig dahin Getreide, daß bald die industrielle Bevölkerung
Kärntens selbst Mangel litt, wie aus einem Proteste der ‚gesamten Rad-,
Hammers- und anderer Gewerken in Kärnten‘ vom 31. Jänner 1678 hervor-
geht. Die Not pflanzte sich von dort nach Salzburg fort, wo man 1678
eine Almosenordnung erließ. Eine neuerliche Getreideknappheit ist im Salz-
burgischen aus einer Brottaxe vom 12. April 1680 zu ersehen. Am 7. De-
zember wird ın Salzburg dekretiert: Leute, die Getreide verkaufen wollen,
dürfen dies nur, soweit ihr Vorrat den Bedarf eines Jahres überschreitet.
Am 13. August 1681 heißt es in einem salzburgischen Mandate, daß die
Bettler den Leuten oft mit Gewalt die Almosen abnötigen, und es wird be-
fohlen, armen Leuten, die sich ohne Beschwerde der Untertanen nicht er-
halten können, keine Heiratserlaubnis zu geben. Gleiche Befehle ergingen
an die Geistlichkeit am 27. September und am 22. Oktober r681. Im
Jahre 1684 war eine ziemlich allgemeine Fehlernte, die sich bis Westungarn
und Norddeutschland verfolgen läßt. Das Echo war in Salzburg ein Verbot
der Einwanderung von Fremden vom 23. Oktober 1684 (Ausnahmen konnte
nur der Landesherr und der Hofrat bewilligen) und vor allem die Austreibung
der Kryptoprotestanten aus dem Defreggertale zu Ende 1684.
Dann folgt ein Bettlermandat vom ı2. Februar 1686. Eine Reihe
günstiger Erntejahre im Auslande führte dazu, daß auch im Salzburgischen
keine Not herrschte. Die billigen Zeiten waren übrigens nicht nach dem
Geschmack der hochadeligen Agrarier in Kärnten, die am 13. Aprl 1690
die Getreidezufuhr aus dem Venezianischen verboten, ein Verbot, das Leo-
pold I. auf Beschwerde der Eisenindustrielen ım Kanaltale aufhob. Eine
sehr schwere Hungersnot erfaßte 1692 die Schweiz, auch die Alpengebiete
französischer Zunge, Oberitalien und so ziemlich ganz Deutschland. In den
Östalpenländern, auch im Salzburgischen und in Kärnten war dagegen die
Ernte von 1692 nicht gar so schlecht. Nun war aber bereits die Ernte
von 1691 nicht besonders reichlich gewesen, so daß Bayern am 29. Jänner,
10. und 16. März 1692 Getreideausfuhrverbote erließ. Sofort erfolgte in
Salzburg das übliche Mandat wegen Vertreibung der Bettler (am 21. Mai 1692).
Nach der Mißernte von 1692 erging ein Getreideausfuhrverbot in Steiermark
am 17. November. Zugleich herrschte ausgesprochene Hungersnot in Salz-
burg (am 19. November), und dies, obwohl, wie bereits bemerkt, der eigene
Anbau nicht gerade ungünstig ausgefallen war. Um den 15. Februar 1693
erfolgte, ohne daß ein eigentliches Getreideausfuhrverbot erlassen wurde, cine
gewisse Beschränkung der Getreideausfuhr von Kärnten nach dem Salz-
burgischen. Die steigende Not im Salzburgischen führte zu einer Zunahme
der Geisteskrankheiten, und es machte sich am 23. Mai 1693 das drin-
gende Bedürfnis fühlbar, für die Unterbringung der Geisteskranken in Salz-
burg zu sorgen. Wie sehr Salzburg das Bedürfnis fühlte, die einmal aus-
gewanderte Bevölkerung nicht mehr zurückkommen zu lassen, beweist eine
Verordnung vom 26. Juni 1694: diejenigen, welche aus dem Lande ge-
flohene oder ausgewiesene Leute beherbergen, sind gleichfalls aus dem Lande
zu weisen.
Diese Proben aus einem Zeitraum von 32 Jahren mögen genügen. Bei
solchen Ernährungsverhältnissen im salzburgischen Gebirge fiel dem salz-
burgischen Kaufmann sicher die Mission zu, die Gebirgstäler mit Getreide
—. 1097 —
zu versorgen !). Daß er diese Mission nicht immer mit Erfolg geübt hat,
ist eine Folge der politischen Schwäche des salzburgischen Staates gewesen.“
Auf dieselbe Stelle nimmt eine Zuschrift von Professor Meyer von Knonau
in Zürich Bezug, und zwar wendet sich dieser gegen die Worte Strakosch-
Graßmanns: „Es ist dies (die starke Besiedlung der Alpenländer; um so
auffallender, als in den engeren Hochgebirgstälern niemals Ackerbau getrieben
worden ist; vielmehr waren die Einwohner von Unterwalden ..... von jeher
auf Bezug ihres Getreides von den benachbarten Handelsstädten angewiesen.‘
Er schreibt:
„Genau das Gegenteil ist wenigstens für Unterwalden an Hand der deut-
lichsten Zeugnisse erwiesen, und was für dieses Gebirgsland gilt, ist wohl
mehr oder weniger durchaus der Tatbestand.
Schon 1866 bewies der äußerst tüchtige Historiker P. Martin Kiem,
O. S. B., damals Professor in Sarnen, später Verfasser der vortrefflichen
Geschichte der Abtei Muri-Gries, aus urkundlichen Zeugnissen im ‚Geschichts-
freund‘ des historischen Vereins der fünf Orte, Band XXI, für Obwalden
in der Abhandlung: Die Alpenwirtschaft und Agrikultur in Obwalden seit
den ältesten Zeiten folgende Sätze: ı. Viehzucht und Alpenwirtschaft wurden
von den ältesten Zeiten her betrieben, erhielten jedoch erst vom XI. und
XIII. Jahrhundert an durch die Grundherrschaften, besonders die Klöster, eine
größere Pflege. — 2. Der Ackerbau stand vom IX. Jahrhundert bis 1400
höher als die Alpwirtschaf. — 3. Von 1400 an wurde der Ackerbau bis
1600 stets mehr vernachlässigt und trat hinter der Alpwirtschaft in rasch
zunehmendem Maß zurück, sodaß er im XVIII. Jahrhundert schon beinahe
gänzlich verschwunden ist. Vor anderen Quellen sind es die Gefälleverzeich-
nisse von Meierämtern, die für das XIII. und XIV. Jahrhundert sprechende
Zeugnisse abgeben. Es sei auch auf jenen Zug der Sagengeschichte
von der Befreiung der Waldstätte hingewiesen, daß der Vogt die Ochsen
vom Pfluge des Landmannes abspannen ließ, allerdings nicht im Melchtal,
was erst später in den Text hineingefälscht wurde, sondern auf dem Felde
Melchi bei Sarnen. Ebenso war es ein feststehendes Gerede, daß auf dem
Luzerner Kornmarkte der Preis nach der Kornausfuhr aus Obwalden be-
stimmt worden sei. |
Einen zweiten Irrtum bringt der Verfasser noch, wenn er sagt, daß
1531 Zwingli die Getreidezufuhr aus Zürich nach den Ländern am Vier-
waldstättersee zu verbieten erzwungen habe. Vielmehr warnte er ausdrücklich
vor dieser Maßregel, die nur erbittere und die Unschuldigen, Weiber und
Kinder, treffe.
Ein Hauptargument für die Abhandlung über die mittelalterliche Zahl
der deutsche:: Landbevölkerung ist demnach hinfällig.“
Hierauf erwidert der Verfasser jenes Aufsatzes, Professor Strakosch-
Graßmann (Wien):
„Am 11. November 1689 werden Uri und Unterwalden auf der eid-
genössischen Tagsatzung gemahnt, auch selbst etwas Getreide zu bauen.
1) Erwähnen möchte ich noch, daß im Pongau, ganz abgesehen vom Krypto-
protestantismus, der Bevölkerung die Einhaltung der katholischen Fasttage auch deshalb
schwer fiel, weil sie nicht über genug Mehl verfügte.
— 10$ =
Beide Kantone verweisen auf ihre Lage und auf ihre Unkenntnis dieser
Arbeit!). — Über die vollständige Abhängigkeit der Schweizer Alpentäler
vom Züricher Getreidehandel enthält das Züricher Staatsarchiv reiches Material;
auch die Eidgenössischen Abschiede bieten vieles. Die politische Vor-
machtstellung von Bern und Zürich ist im wesentlichen daraus hervorgegangen,
daß diese beiden Städte die Getreideversorgung der Schweizer Alpentäler so
ziemlich konkurrenzlos in ihre Gewalt bekommen hatten. Basel und
Luzern waren Getreidemärkte zweiten Ranges. Am 18. Juni 1407 gestattete
Zürıch den Leuten am Walensee, denen von Einsiedeln, in der ‚March‘ und
in Glarus den Einkauf in Zürich in beschränkten Rationen per Woche. Dies
ist kennzeichnend für das Verhältnis des Alpengebietes zu Zürich: ängstlich
verfolgten die Bewohner des jedes Ackerbaus entbehrenden Kantons Glarus,
ob nicht die Händler von Graubünden zuviel Getreide von Zürich wegführten,
so daß schließlich vielleicht kein Getreide für Glarus mehr in Zürich zu
haben sein werde (18. Dezember 1573). Der Umstand, daß im Kanton
Unterwalden ob dem Wald um Sarnen früher einmal etwas Getreide gebaut
wurde, ändert an der Abhängigkeit der Gebirgstäler in der Schweiz von den
benachbarten Getreidehandelsplätzen nicht das geringste. Auch Salzburg war
z. B. in der Getreideversorgung von seinen Nachbargebieten abhängig, obwohl
der salzburgische Flachgau um Mattsee ein weit ausgedehnteres Gebiet des
Ackerbaues gebildet hat als das Tal von Sarnen. Es wäre übrigens ein
arger Irrtum, zu glauben, daß in der Schweiz bloß die Urkantone allein auf
fremde Getreideeinfuhr angewiesen gewesen wären: es genügte vielmehr der
gesamte Schweizer Getreidebau dem einheimischen Bedarfe nicht; und
es wurde stets fremdes Getreide aus dem Elsaß und Schwaben eingeführt.
Die Schweizer Bevölkerung geriet jedesmal in Bedrängnis, wenn bei einer
Fehlernte im Sundgau oder in Schwaben die Getreideausfuhr von dorther
gesperrt wurde. Über diesen Punkt wäre allerlei Interessantes zu erzählen,
was ich aber nicht im Rahmen einer Erwiderung auf eine gelegentliche Be-
merkung eines auch noch so hervorragenden Gelehrten einzwängen möchte.
Die Bemerkung von G. Meyer von Knonau über Zwingli ist aus Ge-
fühlsmomenten hervorgegangen, die im privaten Verkehre gewiß zu respek-
tieren wären, aber doch den Historiker in seinen Veröffentlichungen nicht
beeinflussen dürfen. Nach meinem Studium sowohl der Akten über die
Getreideversorgung Zürichs *) als auch der Eidgenössischen Abschiede liegt die
Sache folgendermaßen: Angesichts der Hungersnot von 1530 wurde in
Zürich ein Getreidekomitee gebildet, dem Huldreich Zwingli selbst angehörte
und zwar geradezu als leitendes Mitglied. Alle harten Maßregeln, die dieses
Komitee vom Sommer 1530 angefangen erließ, sind daher als unter Mit-
wirkung Zwinglis erlassen anzusehen. Die Besorgnis, die er in bezug auf
die Getreidesperre gegen die Waldstätte hegte, war nicht etwa die, ob
Frauen und Kinder dadurch mitbetroffen würden, sondern die, daß die
Züricher Getreidehändler, die durch den Absatz in die Waldstätte verdienten,
nach und nach der Sache müde werden würden ?). Wenn Gerold Meyer
1) Eidgenöss. Abschiede VI, 2, S. 295 unten. 2) Im Staatsarchive zu Zürich.
3) Eidgenöss. Abschiede IV, ıb, S. 1043: als man sy jetzt mit abschlachen der
provand ergriffen (hat), ist es nit gnwog und ouch uns nit fürderlich; nämlich
wegen des Absatzverlustes.
— 109 —
von Knonau versichert, daß Zwingli öffentlich sein Bedauern über die harten
Maßregeln gegen die Waldstätte ausgedrlickt hat, so wird dies sicher zu-
treffen, aber dies ergänzt nur das Bild von Zwingli, ohne es zu ändern.
Für Zwingli ist der Satz charakteristisch, den er in seinem Programm zur
Niederwerfung der Waldstätte vom Juni 1531 aufstellte: Summa summarum,
wer nit ein herr kan sin, ist billich, daß er knecht sye. Und noch charak-
teristischer ist es, wenn er an den Schluß dieses Programmes schreibt:
Den schryber soll nieman anzeigen, sunder so es müeste angezeigt sin,
sprechen etc. !). Der Satz ist im Original unterstrichen. Der Zusammen-
hang ergibt, daß Zwingli als Autor dieses Programmes geheim bleiben wollte,
aber wünschte, daß seine Gedanken von einem anderen aufgenommen und
vertreten würden. Zwingli hat übrigens durch die Aushungerung der wider-
spenstigen Nachbarschaft tatsächlich einen Erfolg erzielt: am 28. Juni 1531
erklärte das von Hunger gequälte Rapperswyl sich bereit, die Reformation
anzunehmen, worauf Zürich sofort die Getreidesperre gegen Rapperswyl aufhob.
Ich ändere also meine Anschauung weder über den einen, noch über
den anderen Punkt.“
Germanistenverband. — Der Deutsche Germanistenverband, über
dessen Gründungstagung im XIV. Bde., S. 115—ı19 berichtet worden ist,
hielt am 29. September in der Aula der Marburger Universität seine stark-
besuchte erste Verbandstagung. Nach einer Begrüßungsansprache des
geschäftsführenden Vorsitzenden, Prof. E. Elster (Marburg), berichtete der
erste Schriftführer, Prof. J. G. Sprengel (Frankfurt a. M.), über die bis-
herige Tätigkeit des geschäftsführenden Ausschusses und betonte abermals,
daß der Name ‚‚Germanistenverband‘“ allerdings weder die Ziele noch den
Wirkungskreis des Verbandes unzweideutig bezeichne, denn dieser wolle dar-
unter die Deutschkunde in ihrer Ganzheit verstanden wissen, neben
der Sprach-, Literatur- und Altertumsforschung auch die Kunst- und Rechts-
wissenschaft, Geschichte, Volks- und Landeskunde umfassend, und rechne
demgemäß auch auf die Mitarbeit der Vertreter aller dieser Einzelfächer,
nicht minder auf die Teilnahme der künstlerisch Schaffenden sowie aller
derer, die eine stärkere Durchdringung unserer Erziehung mit deutschtüm-
lichen Werten zu fördern wünschen. Aber da ein die Gesamtheit dieser
Bestrebungen deckender Name nicht vorhanden sei, empföhle sich die an-
fechtbare Bezeichnung ‚„Germanistenverband“ als brauchbarer Notbehelf. Orts-
vereine sind im laufenden Jahre in Frankfurt a. M., Marburg und Danzig
mit stattlichen Mitgliederzahlen entstanden, die Gründung eines hessischen
Landesverbandes steht bevor, ebenso der Anschluß größerer Vereinigungen
verwandter Richtung, so daß das erste Tausend der Mitglieder sehr bald
überschritten sein dürfte. Der stellvertretende Schatzmeister, Direktor Berg-
hoeffer (Frankfurt a M.), konnte einen günstigen Kassenabschluß vorlegen.
In den Satzungen wurde die Aufnahme nicht nur ordentlicher und außer-
ordentlicher, sondern auch körperschaftlicher Mitglieder vorgesehen und die
Bestimmungen über angeschlossene Vereinigungen zweckmäßiger gestaltet,
1) Eidgenöss. Abschiede, am angegebenen Orte S. 1045.
— 110 —
so daß sie entweder mit der Gesamtheit oder mit einem Teile ihrer Mit-
glieder beitreten und dementsprechende Verbindlichkeiten und Rechte er-
werben können. Neben der Gründung eines österreichischen Zweigverbandes
sollen Anknüpfungen mit England und Deutschamerika ins Auge gefaßt wer-
den. Auf Antrag von Prof. L. Baumann (München) wurde eine Kund-
gebung beschlossen, die die Förderung und inhaltliche Hebung des Deut-
schen ım bayrıschen Unterrichtswesen rühmend anerkannte, aber die Auf-
hebung des sog. realistischen I,ehramts in Bayern (Deutsch, Geschichte und
Erdkunde) beklagte und für seine Wiederherstellung eintrat, weil in ihm
eine besonders günstige und bewährte Unterlage völkischer Erziehung zu
erblicken sei.
Die anschließende öffentliche Sitzung leitete der Vorsitzende ein mit
einer Begrüßung der erschienenen Vertreter des hessischen Ministeriums und
der Universität Marburg. Geh. Oberschulrat Block (Darmstadt) gab in
einer sehr bemerkenswerten Ansprache der warmen Teilnahme Ausdruck,
die die hessische Regierung den Bestrebungen des Verbandes zolle, und die
Marburger Hochschule erklärte durch den Mund ihres Prorektors Schenck,
dat sie in den Bemühungen, die Früchte der Forschung dem Leben dienst-
bar zu machen und die deutsche Kultur dem Volke näher zu bringen, sich
und die andern deutschen Hochschulen mit dem Germanistenbund eins
wisse. Der mit begeistertem Beifall aufgenommene Festvortrag Friedrich
Kluges (Freiburg i. B.) über die Bildungswerte der deutschen
Sprache gipfelte in dem aus einer mehr als dreißigjährigen sprachwissen-
schaftlichen Erfahrung und Bewährung geschöpften Bekenntnis, daß ein Ver-
ständnis für das Werden und Wachsen der Sprache, wie es dem heutigen
Stande der Wissenschaft und den höchsten Vorstellungen der Jugenderziehung
entspricht, nun und nimmer aus einer toten Buchsprache gewonnen werden
kann, sondern nur aus der lebenden, die uns täglich umgibt, und aus deren
gegenwärtiger Gestalt das Auge des Kundigen ihre ganze Geschichte ab-
zulesen vermag. Darum darf der deutschsprachliche Unterricht nicht mehr,
wie es häufig noch geschieht, dem Altphilologen, Archäologen, Theologen
oder vollends «lem Mathematiker ausgeliefert, sondern nur einem Fachmann
anvertraut werden, der ihn im hohen Sinne eines Jakob Grimm, Hermann
Paul und Rudolf Hildebrand zu erteilen vermag. „Nie war der Deutsche
seit den Tagen Winckelmanns und Lessings ein Gegner der Antike in ihren
Ewigkeitswerten. Aber neben die antiken Ewigkeitswerte, in denen Herder
das reine Menschentum entdeckte, stellen sich gleichberechtigt, nur unmittel-
barer wirksam, die Ewigkeitswerte, die aus dem Schoße des deutschen Volks-
tums geboren sind.“ Ihnen muß in der Schule mehr Raum gegeben, und
sie müssen von tiefer vorgebildeten Deutschlehrern, als bisher, vermittelt
werden, wenn Schillers Wort Wahrheit werden soll, daß unsere Sprache
„die Welt beherrschen wird“.
Die am Nachmittag einsetzenden Verhandlungen über die Gestaltung
des deutschen Unterrichts auf unseren höheren Schulen — je ein Vertreter
des preußischen Kultusministerums und des Provinzialschulkollegiums zu
Kassel bekundeten ihnen ihre lebhafte Teilnahme — eröffnete Direktor
Bojunga (Frankfurt a. M.) mit klar gegliederten und trefflich erläuterten
Leitsätzen über das Ziel des deutschen Unterrichts, den Weg zu
— 11ll —
diesem Ziele, den Lehrplan und die Ausbildung der Lehrkräfte. l's handelt
sich um Einführung in die Eigenart deutschen Volkstums nach seinen wich-
tigsten Seiten und um Erweckung des Willens, an seiner Läuterung und
Entfaltung freudig mitzuarbeiten. Dazu bedarf es einer gediegenen Belehrung
nicht nur über Sprache und Schrifttum unseres Volkes, sondern auch über
Kunst, Sitte, Weltanschauung, Recht, Stammesarten, Volksart und Staat,
Landschaft, Wirtschaft und Wohnung, sowie einer die westeuropäische Bil-
dungseinheit betonenden Veranschaulichung der Einwirkungen fremden Volks-
tums auf das unsrige, des klassisch-antiken, christlich-antiken, französischen,
italienischen und englischen. Dies erfordert aber die bewußte Mitwirkung
der Nachbarfächer: der Unterricht in Geschichte, Landeskunde und fremden
Sprachen muß mit dem Deutschunterricht sich in enger Fühlung halten, und
diesem muß eine hinreichend große Stundenzahl gewährt werden, wenn er
nicht nur von deutscher Sprache, Dichtung und Weltanschauung den Schü-
lern ein bleibendes Bild ın die Seele prägen, sondern auch die von den
Nachbarfächern dargebotenen Stoffe in jenes Bild hineinarbeiten soll. Aus
alledem folgt: der Deutschunterricht darf nur’ von fachmäßig vorgebildeten
Lehrkräften erteilt werden; an die Hochschul- und Berufsausbildung der
Deutschlehrer sind erheblich höhere Anforderungen zu stellen, als bisher,
und Fortbildungskurse müssen sie mit allen Fortschritten der Deutschforschung
wie der Unterrichtskunst in ständigem Zusammenhang halten; aber auch die
Lehrer der übrigen Fächer müssen in der Deutschkunde wenigstens soweit
vorgebildet werden, daß sie für die grundlegende erzieherische Arbeit des
Deutschunterrichts verständnisvolle Hilfe leisten können.
Als zweiter Berichterstatter forderte Oberrealschuldirektor Dietz (Bremen),
daß der deutsche Unterricht auf der Mittel- und Oberstufe aller höheren
Schulen wesentlich zu verstärken sei; besonders die Realanstalten müßten
ihn um der Persönlichkeitsbildung willen zum Kernstück ihrer Erziehung
machen. Die Versammlung bekundete einstimmig, daß sie die vorgelegten
Leitsätze als geeignete Grundlage für die weitere Behandlung innerhalb des
Verbandes ansehe und somit entschiossen sei, für die Mittelpunktstellung
des deutschen Unterrichts, die bis jetzt nur ein frommer Wunsch, noch
keine Tatsache ist, planmäßig weiterzuarbeiten. Die nächste Tagung soll
den Aufgaben der Deutschwissenschaft gewidmet sein; sie wird im Herbst
1915 zu Münster i. W. stattfinden. Arnold E. Berger (Darmstadt)
Flurnamenverzeichnisse. — Unter dem Titel Über dus Veröffent-
lichen großer Flurnamensammlungen wurde in dieser Zeitschrift, Band XII
(1911), S. 215—225, auf die drei großen Flurnamenveröffentlichungen für
das Herzogtum Gotha, das Herzogtum Braunschweig und das Groß-
herzogtum Hessen aufmerksam gemacht und versucht, aus der kritischen
Betrachtung dieser großzügigen Unternehmungen zu allgemeinen praktischen
Grundsätzen zu gelangen. Mittlerweile traf man auch ım Herzogtum Anhalt,
in dem Staatsgebiete der Freien Stadt Bremen, dem fränkischen Kreise,
dem Gebiete der ehemaligen Fürstabtei Fulda, dem Großherzogtum Baden,
der Kaschubei, der Niederlausitz, den Großherzogtümern Mecklen-
burg, der preußischen Provinz Nassau und dem hessen-nassauischen
— 112 —
Hinterlande (dem heutigen Kreise Biedenkopf), dem Fürstentum Ratze-
burg und der Provinz Sachsen Anstalten, die Flurnamen in umfassen-
der und planmäßiger Weise zu sammeln.
Besonders gründlich ist man in Baden zu Werke gegangen. Wie 1910
die „Hessische Vereinigung für Volkskunde‘ durch Hotz und Dieterich die
Werbeschrift Die Flurnamen der Grafschaft Schlitz mit dem höchst zweck-
dienlichen Zwiegespräche zwischen einem Flurnamensammler und einem orts-
eingesessenen Lehrer veröffentlichte, so hat kürzlich die „Badische Heimat“,
die zusammen mit dem „Badischen Flurnamenausschuß‘“ die Flurnamen-
sammlung des ganzen badischen Landes in die Hand genommen hat, eine Art
Musterheft durch Ernst Fehrle und Privatdozenten Eugen Fehrle in Heidel-
berg herausgegeben. Es führt den Titel: Die Flurnamen von Aasen, nebst
praktischen Anleitungen für eine geplante Sammlung der Flurnamen des ganzen
badischen Landes (Karlsruhe, G. Braun, 1913, XX u. 19 Seiten) und besteht
aus ı. einem Vorworte, S. V—IX (Überblick über die Geschichte des Flurnamen-
sammelns namentlich in Baden, Beleuchtung des Begriffs Flurname, Bedeutung
des Flurnamenstoffs für diee Wissenschaft, namentlich die Ortskunde, Not-
wendigkeit möglichst beschleunigten Sammelns), 2. einer „Anleitung für das
Sammeln‘, S. XI—XIV, 3. „Grundsätzen für die Aufzeichnung der mundart-
lichen Laute‘, S. XV f., 4. Verzeichnissen der benutzten Literatur und ver-
wendeten Abkürzungen, S. XVII—XX, 5. der schwarz ausgeführten Ge-
markungskarte von Aasen (in welchem Maßstabe?), 6. den „Namen‘‘ der
Flur, 7. zwei Anhängen.
Die für das Sammeln der Namen aufgestellten Grundsätze tragen durch-
aus den Erfahrungen Rechnung, die man in den letzten Jahrzehnten aller-
wärts in Deutschland gemacht hat (vgl. Korrespondenzblatt des Gesamtvereins
der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 1905 fl.;, die Grundsätze
für das Veröffentlichen der Sammlung aber decken sich im wesentlichen mit
denen, die der oben erwähnte Aufsatz vertrat. Eine größere Abweichung
besteht nur darin, daß die Namen nicht kreis-, sondern gemeindeweise ver-
öffentlicht und dem Namenstoffe der einzelnen Gemeinden Gemarkungskarten
vorausgeschickt werden, aus denen die Lage der Flurstücke leicht zu ersehen
ist. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn, wie das mit Sicherheit an-
genommen werden darf, ein gutes Gesamtverzeichnis die Sammlung ab-
schließen wird. Wohl aber erwecken gewisse Eigenheiten in der alphabetischen
Anordnung der Namen Bedenken. Es dürfte sich kaum rechtfertigen lassen,
daß mit dem Artikel bezeugte Flurnamen nun auch nach dem Artikel ein-
gereiht werden, also der Egweg, die Hexen, das Schwenglin unter D, statt
unter E, H und S. Hier darf man sich nicht durch die sogenannten Flur-
bezeichnungen irre machen lassen, für deren Einordnung ihrer Natur nach
die Präposition als maßgebend angesehen werden muß, indem z. B. Auf
dem Kirchsteig ın das A und nicht in das K gehört. Weiter empfiehlt es
sich, die Oberen und die Unteren Bulzenäcker nicht unter O und U zu
stellen, sondern unter B, wo schon Bulzen und Bulzenwiesen stehen, und
die Teilung der Bulzenäcker in Obere und Untere durch a und b zu
kennzeichnen. Zum mindesten müßte im B ein Verweis aufgenommen
werden. Verweise erscheinen auch, trotz des als notwendig bezeichneten
Gesamtverzeichnisses, wünschenswert bei den meisten Flurbezeichnungen :
— 113 —
z. B. Viehbrunnen, der, s. oben unter Beim Viehbrunnen. Daß der Viehbrunnen
vielleicht nicht mehr vorhanden ist und sich auch sonst nicht weiter urkundlich
nachweisen läßt, tut nichts zur Sache. Man kann diese Umstände dadurch
andeuten, daß man den Namen in eckige Klammern setzt.
Es wäre höchst erfreulich, wenn auch anderwärts, wo Flurnamen-
sammlungen großen Stils geplant sind, ähnliche Probehefte ausgegeben würden,
damit sich sachkundige Beurteiler zu den darin niedergelegten Grundsätzen
äußern können. Beschorner (Dresden)
Eingegangene Bücher.
Dungern, Freiherr von: War Deutschland ein Wahlreich? Leipzig,
Felix Meiner 1913. 70 S. 8°. MA 3,50.
Düvel, Thea: Die Gütererwerbungen Jacob Fuggers des Reichen (1494—1525)
und seine Standeserhöhung, ein Beitrag zur Wirtschafts- und Rechts-
geschichte [== Studien zur Fugger-Geschichte, Viertes Heft. München
und Leipzig, Duncker & Humblot 1913. 228 S. 8°. 6,00.
Germania von Cornelius Tacitus, Übersetzung mit Einleitung und Erläu-
terungen von Georg Ammon. Mit 73 Bildern und 6 Karten
[== Meisterwerke der Weltliteratur in deutscher Sprache für Schule und
Haus, herausgegeben von Vinzenz Lößl, Heft 7]. Bamberg, Buchners
Verlag 1913. L und 106 + 16 S. 8%. Æ 2,60.
Lamprecht, Karl: Der Kaiser, Versuch einer Charakteristik. Berlin, Weid-
mann 1913. 136 S. 8%. Geb. æ 2,00.
Malkowsky, Georg: Schlesien in Wort und Bild [= Kultur- und Kunst-
strömungen in deutschen Landen I!. Braunschweig und Berlin, George
Westermann 1913. 230 S. 4°. M 6,00.
Mentz, Georg: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, der.
Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges 1493—1648, ein
Handbuch für Studierende. Tübingen, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck)
1913. 479 S. 8%. M 7,00.
Müsebeck, Ernst: Ernst Moritz Arndt, ein Lebensbild. Erstes Buch: Der
junge Arndt 1769—1815. Mit einem Bildnis von E. M. Arndt. Gotha,
Friedrich Andreas Perthes A.-G. 1914. 591 S. 8%. Ææ 11,00; geb.
AM 12,00. |
Petrich, Hermann: Paul Gerhardt, ein Beitrag zur Geschichte des deutschen
Geistes. Gütersloh, C. Bertelsmann 1914. 360 S. 8%. M 6,c0.
Roch, Wolfgang: Bautzen, ein Wegweiser zur Schönheit der alten Stadt.
Mit 26 Abbildungen, einem Grundriß und zwei Plänen. Bautzen,
Wellersche Buchhandlung 1913. 79 S. 16°.
Roch, Wolfgang: Führer durch das Stadtmuseum Bautzen, Provinzialmuseum
der Sächsischen Oberlausitz. Mit 5 Grundrissen und ıı Bildern.
Bautzen, Wellersche Buchhandlung 1913. 70 S. 16%. M 0,35.
Specht, Thomas: Die Matrikel der Universität Dillingen [== Archiv für
die Geschichte des Hochstifts Augsburg, im Auftrag des Historischen
Vereins Dillingen herausgegeben, 3. Bd. (Dillingen a. D. 1913).
1188 S. 8°.
— 114 —
Wäschke, H.: Anhaltische Geschichte Dritter Band: Geschichte Anhalts
von der Teilung bis zur Wiedervereinigung Cöthen, Otto Schulze 1913.
sor S. 8%. .# 6,00.
Wolff, Altred: Genchtsverfassung und Prozeß im Hochstift Augsburg in
der Rezeptionszeit |—= Archiv für die Geschichte des Hochstifts Augs-
burg, im Auftrage des Historischen Vereins Dillingen herausgegeben,
4. Bd. (Dillingen a. D. 1913), S. 131—368].
Kutschbach, A.: Die Serben im Balkankrieg 1912—1913 und im Kriege
gegen die Bulgaren. Auf Grund amtlichen Materials des General-
kommandos der serbischen Armee bearbeitet. Mit zahlreichen Abbil-
dungen und Karten. Stuttgart, Franckh 1913. 150 S. 8%. Æ 3,20.
Berg, Ludwig: Gero, Erzbischof von Köln 969—976. Mit einem Exkurs:
Versuch, die Echtheit der Gladbacher Klostergründungsgeschichte Mıxoo-
2öyos ðmiastos zu beweisen [= Stwiien und Darstelluugen aus dem
Gebiete der Geschichte, hegb. von Hermann Grauert, VII. Bd.,
3. Heft]. Freiburg i. B., Herder 1913. 96 S. 8%. Ææ 3,00.
Denkmalpflege. Zweite gemeinsame Tagung für Denkmalpflege und
Heimatschutz. Dresden, 25. und 26. September 1913. Stenographischer
Bericht. Berlin, Verlag der Zeitschrift Die Denkmalpflege. 200 S. 4°.
Finke, Heinrich: Die Frau im Mittelalter. Kempten und München, Jos.
Kösel 1913. 190 S. 16%. Geb. Mæ 1,00.
Graevenitz, G. von: Geschichte des Italienisch - Türkischen Krieges.
2. Lieferung. Mit 7 Karten und sonstigen Skizzen im Text und
2 Iruppenübersichten als Anlagen. Berlin, R. Eisenschmidt 1913.
110 S. 8%. .Ä 3,00.
Hay, Joseph: Staat, Volk und Weltbürgertum ın der Berlinischen Monats-
schrift von Friedrich Gedike und Johann Erich Biester (1783—96).
Berlin, Haude & Spener 1913. 83 S. 8%. «æ 3,00.
Heimatbuch für die baltische Jugend, herausgegeben von L. Goertz und
A. Brosse. Zweiter Teil. Riga, G. Löffler 1912. Geb. AM 4,00.
Hermsen, Hugo: Die Wiedertäufer zu Münster ın der deutschen Dichtung
|= Breslauer Beiträge zur Literaturgeschiehte, hggb. von Max Koch
und Gregor Sarrazin, Neucre Folge, Heft 33]. Stuttgart, J. B.
Metzler, G. m. b. H. 1913. 164 S. 8%. A 4,80.
Marcks, Erich, und Treitschke, Heinrich von: Biographische Essays
(Luther. Fichte. Treitschke. Bismarck) [== Deutsche Bücherei,
Bd. 29]. Zweite Auflage. Berlin, Verlag Deutsche Bücherei, G. m.
b. H. 104 5. 16°. .# 0,30. |
Meister, Aloys: Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis
ins XIV. Jahrhundert [= Grundriß der Geschichtswissenschaft, Reihe II,
Abteilung 3. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner 1913. 166 S. 8°.
eH 3,20.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Weimar,
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.
Hierzu eine Beilage der Weidmannschen Buchhandlung in Berlin, betr.
Altmann, Ausgewählte Urkunden zur brandenburg.-preuß. Verfassungs- und Ver-
waltungsgeschichte, und andere Urkundensammlungen. — Ferner eine Beilage des Ver-
lages von Veit & Comp. in Leipzig, betr. Bresslau, Handbuch der Urkunden-
lehre für Deutschland und Italien, 1. Band, 2. Auflage.
WB Diesem Heft liegt ein Prospekt über „Biographien, Briefwechsel und ge-
schichtliche Werke“ aus dem Verlag der Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart bei,
der gefälliger Beachtung hiermit angelegentlich empfohlen wird.
Deutsche Geschichtsblätter
Monatsschrift
Erforschung dentscher Vergangenheit auf Jandesgeschichtlicher Grundlage
XV. Band Februar 1914 5. Heft
Zur Stadtverfassung im Lande des
Deutschen Ordens
Von
Paul Ostwald (Berlin-Schmargendorf)
Im Ordenslande haben wir ein eigentümliches Kolonisationsgebiet
insofern vor uns, als der Kolonisator und Landesherr nicht ein Fürst,
sondern eine aristokratische Genossenschaft war. Diese Tatsache hatte
zur Folge, daß sich die Stände im Ordenslande nicht so frei ent-
wickeln konnten, wie anderswo, daß der Orden nach Art aller Ari-
stokratien an seinen landesherrlichen Befugnissen und Rechten energisch
festhielt. Deshalb ging "das Verwaltungssystem des Ordens dahin,
daß alle Angelegenheiten des ganzen Landes letzten Endes von ihm
entschieden wurden. Die dazu nötige Kontrolle und Ühersicht ver-
schaffte er sich durch eine strenge Einheitlichkeit und Einförmigkeit
der inneren Einrichtungen des ganzen Landes, wie ich sie z. B. kürz-
lich am Handwerk im Ordenslande habe nachweisen können !), Wir
haben deshalb auch bei der Frage nach der Verfassung der Städte
im Ordenslande mit dem Bestreben der Landesherrschaft zu rechnen,
den Städten eine möglichst gleichmäßige Verfassung zu geben. Nur
so ließ sich verhindern, daß die Städte sich zu kleinen Staaten im
Staate entwickelten. Ä
Das Streben des Ordens nach einer einheitlichen Organisation
der Stadtverwaltung an allen Plätzen spricht denn auch aus der Tat-
sache, daß überall nur das Magdeburgische Recht Geltung haben
durfte. Nur in den vier Städten Altstadt-Elbing, Neustadt-Elbing,
Braunsberg und, Frauenburg erlaubte der Orden Lübisches Recht,
aber ungern, wie das Privileg der Neustadt-Elbing zeigt ). Wermbter
1) Das Handwerk unter dem Deutschen Orden in der Zeitschrift des Westpreuß,
Geschichtsvereins, 55. Heft (1913).
2) Wermbter, Die Verfassung der Städte im Ordenslande Preußen, Zeit-
schrift des Westpreuß. Geschichtsvereins, 13. Heft (1886), S. 4
9
— 116 —
will in seiner eben angeführten Arbeit die Vorliebe des Ordens für
das Magdeburgische Recht daraus erklären, daß es den Städten
weniger Freiheiten gewähre. Ich halte das nicht für richtig, und
Wermbter selbst scheint nicht ganz davon überzeugt gewesen zu '
sein 1). Es läßt sich auch wohl in der Tat kaum der Beweis dafür
erbringen, daß die Städte nach Lübischem Rechte in ihrer Bewegung
freier gewesen wären. Daß sie in Kleinigkeiten hier und da etwas
anders dastanden als die Städte mit Magdeburgischem Rechte, kann
man vielleicht zugeben, doch das ergab sich aus der Verschiedenheit
des Rechtes an sich. Jedenfalls in der Wahl der städtischen Be-
hörden — und darauf müßte es dem Orden gerade ankommen —
waren die Städte mit Lübischem Recht durchaus nicht freier; bei
ihnen konnte sich der Orden genau so wie bei den Städten mit
Magdeburgischem Rechte die Bestätigung der gewählten Ratmänner
vorbehalten. Wie die Wahl der Ratmänner aber zustande kam, wie
viele Ratmänner im Rate saßen, das konnte letzten Endes der Landes-
herrschaft gleichgültig sein. Ausschlaggebend war eben nur, daß sie
das Heft in den Händen behielt. Die Erklärung für die Abneigung des
Ordens gegen das Lübische Recht finden wir daher auf viel natür-
licherem Wege einfach in dem Streben nach Einheitlichkeit und Über-
sichtlichkeit im Lande. Den Grund dazu haben wir ja oben ange-
führt, und wenn der Orden, wie ich es habe nachweisen können,
sogar das Handwerk im Lande zu einem Ganzen zusammenfaßte, so
wird ihm das bei den städtischen Behörden erst recht am Herzen ge-
legen haben. Eigentümlicherweise sind ja auch nur Städte, die an
der See liegen, mit Lübischem Rechte bedacht worden. Es müssen
hier also ganz besondere Verhältnisse für eine Abweichung von der
Norm gesprochen haben.
Ehe wir auf den eigentlichen Inhalt der Ratsverfassungen nach
Lübischem oder Magdeburgischem Rechte eingehen, müssen wir uns
darüber klar sein, ob diese Verfassungen sich allmählich bildeten
oder ob sie die Städte von vornherein besaßen. Diese meinem Er-
achten nach sehr wichtige Frage ist bisher völlig übersehen worden.
Weder Toeppen in seinen Elbinger Antiquitäten (Danzig 1871) noch
Hirsch in seinen einleitenden Bemerkungen zu den Danziger Amt-
lichen Aufzeichnungen ?2), noch Wermbter berühren die Frage nach
der Entstehung der Ratsverfassungen. Sie sprechen nur über die Rats-
1) Ebenda, S. 27.
2) Scriptores rerum Prussicarum IV, S. 301 fl.
— 17 —
verfassung in ihrer vollkommenen Ausbildung und scheinen damit
anzunehmen, daß wir mit einer solchen von vornherein zu rechnen
haben, wenigstens bei allen nicht durch Lokation entstandenen
Städten, und das sind die wichtigsten wie: Thorn, Kulm, Marienburg,
Königsberg, Braunsberg, Elbing, Danzig, Graudenz u. a. 1).
Bei genauerer Untersuchung reden die Tatsachen anders, und
den schlagendsten Beweis dafür liefert Thorn. Für Thorn — die
älteste Gründung des Ordens 1230 — läßt sich eine Ratsverfassung,
wie sie Toeppen, Hirsch und Wermbter annehmen, nicht vor 1366
nachweisen ?). Die Entwicklung der Ratsverfassung in dieser Stadt hat
also fast 14 Jahrhunderte in Anspruch genommen, Grund genug,
auch bei den anderen nicht lozierten Städten von vornherein die
Übertragung einer völlig entwickelten Ratsverfassung abzulehnen und
die Frage nach ihrer Entwicklung aufzuwerfen.
In die ursprüngliche Verwaltung und Verfassung der nicht lo-
zierten Städte erhalten wir nun mit Hilfe der Urkunden aus den ersten
Jahrzehnten nach der Gründung einen Einblick. In einer Urkunde
vom 10. März 1246 werden unter anderen als Zeugen angeführt:
Godefridus scultetus Elbingensis, Hildebrandus scultetus Thuronensis,
Reineco, scultetus Culmensis®). In der erneuerten Kulmer Handfeste
vom I. Oktober 1251 werden angeführt u. a.: Johannes scultetus,
Reinico, Raro, Radolfus, Ludeco, Eckehardus, Wasmudus cives Cul-
menses. Hermannus scultetus in Thorun. Dithardus, Conradus, Lam-
bertus, Lutfridus $). Unter dem Privileg der Stadt Elbing vom 10. April
1246 stehen als Zeugen: Godefridus scultetus Elbingensis, Everardus
de Heringe, Ludfridus, Sifridus de Dortmunde, Everardus de Dortmunde,
Luppo, Theodericus, Mucke, Consules >). In der Urkunde vom 14. Juli
1282 finden wir: Johannes scultetus in Brunesberch, Hermann scultetus
de Elbingo, Johannes Rufus, Henricus de Essen, Gerlachus et Gerwinus,
consules de Elbinga °).
In allen diesen Urkunden wiederholt sich dasselbe: die Städte
werden durch einen Schulzen und mehrere Bürger — deutlich einmal
1) Die Namen der lozierten und nicht lozierten Städte führt Wermbter, S. 6, an.
2) Vgl. die Namen der Bürgermeister in: Thorner Denkwürdigkeiten, Mitteilg.
des Coppernicus-Vereins zu Thorn, Heft 13, S. 1—7. Die älteste Thorner Stadt-
chronik herausgeg. von Toeppen (Ztschr. des Westpreuß. Geschichtsvereins, 42. Heft
(1900), S. 123).
3) Codex Diplomaticus Warmiensis herausgeg. von Wölky und Saage I
(Mainz 1860), S. 18.
‚ 4) Ebenda S. 59. 5) Ebenda S. 22. 6) Ebenda S. 108.
9%
— 118 —
durch consules (Ratmannen) gekennzeichnet — vertreten. Es ist das
Beweis genug, daß wir in den ersten Jahrzehnten der neugegründeten
Ordensstädte mit einer Schöffenverfassung zu rechnen haben, und
wenn wir uns das eigentliche Wesen einer solchen vergegenwärtisen,
so erhält unsere Behauptung darin nur eine Unterstützung. Nach
Preuß !) haben wir da von einer Schöffenverfassung zu sprechen, wo
ein von der Landesbehörde eingesetzter oder mindestens vor-
geschlagener Schulze an der Spitze von sechs bis zwölf Schöffen die
Verwaltung und Gerichtsbarkeit in Händen hat. Es leuchtet nun ein,
wie passend dem Orden für die ersten Jahrzehnte soiche Behörden
erscheinen mußten. Da die Städte vor der endgültigen Unterwerfung
der Preußen an Einwohnerzahl gewiß nicht sehr bedeutend waren, so
konnte eine einzige Behörde sehr gut sowohl die Stadt verwalten,
als auch die Gerichtsbarkeit ausüben. Gewählt wurden die Schöffen
jährlich, wie uns die Kulmer Handfeste verrät: hinc est, quod eisdem
civitatibus hanc indulsimus perpetualiter libertatem, ut carum cives
cligant sibi in eisdem civitatibus singulis iudices annuatim. ... Von
einer Verwirklichung dieses Wahlrechts der Bürger war aber keine
Rede. Wie die oben angeführten Urkunden zeigen, war 1246 in
Kulm Reineco Schultheiß, in Thorn Hildebrand, 1251 dagegen Jo-
hannes Schultheiß in Kulm, Hermannus in Thorn, während Reineco
als Schöffe in Kulm erscheint. Es ergibt sich daraus, daß wir, genau
wie bei der späteren Ratsverfassung, in der ihr vorausgehenden
Schöffenverfassung die jährliche Wahl nur im Wechsel der leitenden
Persönlichkeit und der notwendig gewordenen Selbstergänzung des
Schöffenkollegiums zu schen haben. Diese sogenannte Wahl war ferner
auch noch deshalb illusorisch, weil der Orden: nur solche Männer
hineinwählen ließ, die ihm paßten. Wir finden das für spätere Zeiten
ausdrücklich bestätigt, und haben es deshalb erst recht für die Zeiten
der Entwicklung anzunehmen; auch die Kulmer Handfeste sichert ja
den Städten nur solche iudices zu, die der Herrschaft genehm seien.
Es ist noch wichtig darauf hinzuweisen, daß der scultetus immer ein
Bürgerlicher war. Der Name eines Adligen ist in den hierfür in
Betracht kommenden Urkunden nicht zu finden. Es zeugt das von
einer gründlichen Scheidung der Standesinteressen, die der Orden
gleich von Ànfang an eintreten ließ und die sich ja dann auch später
so deutlich zeigt: dem Adel das Land, dem Bürger die Stadt.
I) Preuß, Entwicklung des deutschen Städtewesens, Bd. ı (Leipzig 1906),
S. 20 ff.
— 119 —
Erst aus dieser Schöffenverfassung bildete sich die Ratsverfassung,
und zwar durch den Zwang der Umstände. Die völlige Unterwerfung
der Preußen durch den Orden um 1280 ließ gewiß die Bevölkerungs-
zahl der Städte wachsen, aber für Städte mit wachsender Einwohner-
zahl reichte die Schöffenverfassung nicht aus. Es erwies sich in der
Zukunft als undurchführbar, daß der Schulze mit den wenigen Schöffen
die Stadt verwaltete und sich zugleich mit den Rechtsstreitigkeiten
der Bürger befaßte. Man ging deshalb zur Ratsverfassung über. In
den Städten mit Lübischem Recht vermehrte man die Stadtobrigkeit
auf 24 Mitglieder, eine Zahl, die wir zu gleicher Zeit in Lübeck
finden !)}. In den Städten mit Magdeburgischem Recht — das war
die Mehrzahl — trennte man einfach das Rechtsprechen von der
Verwaltung und schuf für jede Tätigkeit eine besondere Behörde.
Die Stadtverwaltung lag von nun an allein in den Händen des
Rates, der aus 8 bis 12 Ratmannen und dem Bürgermeister (pro-
consul) bestand; das Recht dagegen sprach das Schöffenkollegium
unter dem Vorsitz des Schulzen. Die frühere Zusammengehörigkeit
beider Behörden kam dann nur noch darin zum Ausdruck, daß nur
der in den Rat gewählt werden konnte, der vorher Schöffe gewesen
war. Der Zeitpunkt des Übergangs von einer Verfassung zur andern
ist natürlich im einzelnen schwer nachzuweisen. Für Elbing kommen
die Jahre 1283—1286 in Betracht, da wir in der oben angeführten
Urkunde noch 1282 einen gewissen Hermann als Schultheiß aufgeführt
finden, während es in einer Urkunde 1286 schon heißt: des ersten
zugent das die erliche lute, die burgermeistere beide in der stat ...?);
für die Altstadt wie die Neustadt Thorn ist eine Trennung beider
Gewalten nicht vor 1300 nachweisbar 3).
Die Ratsverfassung, welche die Städte annahmen, war nun durch-
aus noch nicht ein fertiges Ding; auch hier haben wir im Gegensatz
zu Wermbter von einer Entwicklung zu sprechen, wenigstens bei den
Städten mit Magdeburgischem Recht. Für die mit Lübischem Rechte
scheint es allerdings zuzutreffen, daß eine fertige Verfassung über-
nommen worden ist. Nach Toeppen bestand das Wesen der Lü-
bischen Ratsverfassung darin, daß der Rat sich in einen „sitzenden“
und den „alten“ Rat teilte und daß zwei Bürgermeister den Rat leiteten.
1) M. Toeppen, Eibinger Antiquitäten. Ein Beitrag zur Geschichte des städti-
schen Lebens im Mittelalter (Danzig 1872), Heft 2, S. 148 fl.
2) Cod. Dipl. Warm. 1, S. 124.
3) Kestner, Beiträge zur Geschichte der Stadt Thorn (Thorn 1882), S. II.
— 120 —
Zwei Bürgermeister nennt nun aber schon die erwähnte Urkunde
von 1286.
Bei den Städten mit Magdeburgischem Recht bestand der ganze
Unterschied zwischen Schöffen- und Ratsverfassung zunächst nur in
einer Teilung der Gewalten; im übrigen blieb alles beim alten. Jedes
Jahr trat ein neuer Bürgermeister an die Spitze, den der Rat aus
seiner Mitte wählte, wie es früher das Schöffenkollegium mit dem
Schultheißen gehandhabt hatte; ob man hier schon von einer rich-
tigen Wahl reden kann, oder ob es nur ein mehr oder minder form-
loser Wechsel in der leitenden Stelle war, müssen wir dahingestellt
sein lassen. Der Zweck und die Absicht waren eben zu verhindern,
daß jemand zu fest mit dem Amte verwachsen konnte; diese Tat-
sache feststellen zu können, ist für uns das Wesentliche. Die Wahl
der Ratsmitglieder vollzog sich genau in jedem Jahre so, wie es früher
unter der Schöffenverfassung geübt wurde, nur mit dem Unterschiede,
daß für die notwendige Ergänzung jetzt nur der Kreis der Schöffen zur
Verfügung stand. Diese Art der Ratsverfassung, die sich in Thorn bis
1366 nachweisen läßt, wird demnach auch in den anderen Städten zu-
nächst eine Reihe von Jahrzehnten hindurch geherrscht haben, bis wie-
derum zutage tretende Mängel eine Änderung erheischten. Als ein großer
Nachteil stellte sich wohl vor allem mit der Zeit der jährliche Wechsel
in der Leitung des Rates heraus; hatte sich ein Bürgermeister gerade
eingearbeitet, dann mußte er dem andern schon wieder das Feld
räumen. Eine Besserung hierin eintreten zu lassen, war allerdings
schwierig, wenn man nicht durch gänzliche Beseitigung der jährlichen
Neuwahl das bestehende Recht verletzen wollte. Man mußte also
versuchen, unter Beibehaltung des jährlichen Wechsels doch eine ge-
wisse Stetigkeit in der Leitung der Geschäfte herbeizuführen. Der
Ausweg, auf den man kam, war folgender: Es wurden vier Bürger-
meister vom Rate gewählt, die sich in einem bestimmten Turnus so
ablösten, daß der Bürgermeister des ersten Jahres, genannt der prä-
sidierende Bürgermeister, im zweiten Jahre der Kumpan, der Berater,
des nun präsidierenden wurde; dann schied er zwei Jahre aus, um
im dritten Jahr wieder Präsident zu werden. Hirsch nimmt in der
Einleitung zu den von ihm herausgegebenen Amtlichen historischen Auf-
geichnungen über die Verfassung und die innern Einrichtungen Daneigs
vor dem Jahre 1458 einen andern Turnus an. Er sagt, daß die Wahl
sich meistens so gestaltet habe, daß von den beiden Prokonsuln
— dieser Name bezeichnet Bürgermeister und Kumpan gemeinsam —
des vorigen Jahres der Bürgermeister austritt, der Kumpan Bürger-
— 121 —
meister wird und den vor zwei Jahren ausgeschiedenen Bürgermeister
zum Kumpan erhält !). Dieser Turnus trifft allerdings für Danzig zu,
aber er ist erst eine Folge der Neuordnungen der Jahre 1420 bis
1430. Bis dahin läßt sich auch für Danzig der andere Turnus nach-
weisen. Nach den amtlichen Aufzeichnungen sind 1363 Hildebrant
Munter und Johann Walraben Prokonsuln, Munter ist also Präside,
Walraben Kumpen, aber 1366 wird Johann Walraven, proconsul in
Danizke genannt: das stimmt nur nach einer Berechnung auf Grund des
zuerst angenommenen Turnus. Ebenso wird 1375 Walraben als
Kumpan genannt; er ist dann also 1374 Präside gewesen ?).
1362 1363
1366 Johann Walrabe 1367 Johann Walrabe
1370 Präside. 1371 Kumpan.
1374 Ä 1375
Anders stand es in Thorn. Hier finden wir vier Bürgermeister
seit 1366, und zwar ist hier bis in die letzten Jahre der Ordensherrschaft
nur der Turnus nachweisbar, daß der gewesene Präside Kumpan
wurde. Es läßt sich das folgendermaßen beweisen: Auf dem am
23. Oktober 1435 in Thorn abgehaltenen Städtetage war der Thorner
Rat fast vollzählig vertreten; als anwesend werden angeführt: Johannes
Huxer, Arnoldus Musing, Hermannus Rusopp, Nicolaus Jelen, Johannes
Rubyt, Tilemannus vom Wege, Nicolaus Urehenmark et Tilemannus de
Allen). Es ist nun eine feststehende Tatsache, daß bei allen Be-
richten über die preußischen Städtetage die anwesenden Vertreter der
Städte ihrem Range nach aufgeführt werden, daß die Bürgermeister
vor den Ratmannen stehen. Hiernach zu schließen, müssen uns die
ersten vier Namen die Bürgermeister nennen, und Arnoldus Musing
muß 1434 Präside gewesen sein. Das bestätigen nun die Thomer
Denkwürdigkeiten t); hiernach war Präside: 1435 Johann Huxer,
1434 Arnold Musing,
1433 Hermann Rusopp,
1432 Nikolaus Jelyn.
Wir haben den Zustand, wie er in Thorn seit 1366 war, durch-
aus als Norm auch für die Ratsverfassungen der andern Städte anzu-
nehmen. Jedenfalls lassen sich nirgends sonst solche erneuerte Rats-
und Schöppenordnungen nachweisen, wie sie die Jahre 1420 bis 1430
1) Scriptores rerum Prussicarum IV, S. 303.
2) Ebenda, S. 311. 312.
3) Toeppen, Akten der Ständetage Preußens (Leipzig 1874), Bd. I, S. 699.
4) Thorner Denkwürdigkeiten, S. 60. 61.
— 122 —
für Danzig brachten, Neuerungen, die eine Vermischung von Magde-
burgischem und Lübischem Rechte erstrebten.
An der Stellung der Städte zum Orden änderte die Ratsver-
fassung zunächst nichts. Zur besseren Übersicht und der Einheitlich-
keit wegen hatten die Ratswahlen im ganzen Lande am 22. Februar
stattzufinden. Der eigentlichen Wahl ging eine Vorwahl unter Vorsitz
des Komturs und Hauskomturs voraus, damit der Orden Gelegen-
heit hatte, seinem Rechte gemäß alle mißliebigen Kandidaten vom
Rate auszuschließen !. Es wird uns das zwar nur von Danzig be-
richtet, aber bei dem Streben des Ordens nach Einheitlichkeit im
ganzen Lande haben wir ein gleiches überall anzunehmen. Erst mit
der Zeit ließ der Orden den Städten mehr Freiheit bei der Wahl,
doch verzichtete er niemals auf daş Recht der Genehmigung, so sehr
sich auch die Städte bemühten, den Orden zum Verzicht auf solche
Einmischung zu zwingen. Immerhin gewöhnten sich die Städte, da
der Orden meist keinen Anlaß hatte, von seinem Rechte Gebrauch
zu machen, derartig an ihre Selbständigkeit, daß sie die Absetzungen
der Ratmannen in Danzig und Thorn durch Heinrich von Plauen als
einen Rechtsbruch ansahen 2). Die vom Hochmeister 1411 in Thorn
eingesetzten Ratmannen konnten sich daher auch nicht lange im
Rate halten. Der Bürgerhaß zwang sie zu freiwilligem Rücktritt und
Verzicht: dass sie vom hohemeister mit gewalt erkohren waren und
nicht nach alter guter des raths gewonheit auf des erbaren raths kure,
als vor alters wurde gehalten.
MAANI NENE NINE ESA NANANA
Byzanz und die Ermordung der
Amalasuntha ')
Von
Wolfgang Pudor (Berlin)
Die Verfasser der neueren Arbeiten über die Ermordung der
Amalasuntha neigen in der Mehrzahl dazu, einen Einfluß der Kaiserin
1) &S. rer. Pruss. IV, S. 304.
2) Thorner Denkwürdigkeiten, S. 45.
3) Dieser kleine Aufsatz, der seinem Inhalte nach vielleicht aus dem Rahmen der
Deutschen Geschichtsblätter herausfällt, findet hier eine Stelle, weil er ein gutes Bei-
spiel dafür gibt, wie sich erzählenden Quellen des frühen Mittelalters anf kritischem Wege
die Wahrheit entlocken läßt.
— 123 —
Theodora auf die Ermordung der Königin anzunehmen. Sie stützen
sich auf die Erzählung Prokops in den Anecdota, der zufolge die Kai-
serin die Wahl ihres Gemahls, der einen Gesandten nach Italien
schicken wollte, auf den Rhetor Petrus lenkte. Der geschickte Byzan-
tiner sollte die Beseitigung der gefährlichen Gegnerin in die Hand
nehmen. „Als er in Italien war“, heißt es!), „hat er irgendwie den
Theodat ermuntert, die Amalasuntha aus dem Wege zu schaffen, und
hat ihn auch überredet. Wegen dieser Tat stieg er zur Würde eines
Magisters und erlangte sehr viel Einfluß, aber auch sehr sehr viel
Haß bei vielen.“
In seiner offiziellen Darstellung, im „Gotenkrieg‘“, hat Prokop die
Nebenaufgabe des Petrus bei seiner Reise, verschweigen müssen: hier
erscheinen die Verwandten der einst von Amalasuntha ermordeten
gotischen Adligen als ihre Mörder. Man hat nun, in dem Bestreben,
keinen Bericht ganz fallen zu lassen, die beiden Erzählungen kom-
biniert. Die einfachste Lösung ist die, daß Theodat unter dem Drängen
sowohl der Goten als auch des Petrus seine Einwilligung zur Ermor-
dung gab.
Ohne Gewalttat ist es aber bei dieser Kombination nicht abge-
gangen. So setzt Kohl?) die verderblichen Überredungskünste des
Petrus gelegentlich einer — zu diesem Zweck eigens konstruierten —
Reise um das Jahr 532/33 an. Leuthold 3) gar, der zuletzt die Frage
nach einer Mitwirkung der Kaiserin geprüft und sie bejaht hat, wirft
Prokop im Gotenkrieg „offene, absichtliche Lüge“ vor.
Der Grund für diese Willkür ist nichts anderes als ein Mißver-
ständnis Prokops, beruhend auf einer falschen Übersetzung. De bello
Gothico I, 4, 25 sagt Prokop: Ilergov dè dyırouevov is ’Iraklav Aua-
Aaoodydn Ewveßn è avdowrewv apavıodivar. Kohl und Leuthold über-
setzen: „Als Petrus nach Italien kam, war Amalasuntha nicht mehr
unter den Lebenden.“ Die notwendige Folge dieser Auffassung ist
allerdings, daß, wenn beide Berichte Prokops gehalten werden sollen,
entweder eine frühere Reise des Petrus stattgefunden hat, oder Prokop
- mit diesem Satz gelogen haben muß. Betrachten wir aber ganz un-
befangen die Stelle, so lautet sie in richtiger Übertragung: „Nachdem
Petrus in Italien angekommen war, geschah es, daß Amalasuntha aus
I) Procopius, ed. Haury; Anecdota 16, 5.
2) Kohl, Zehn Jahre ostgotischer Geschichte (Diss. Leipzig 1877), S. 40,
Anm, 101.
3) Leuthold, Untersuchungen zur osigotischen Geschichte (Diss. Jena 1908),
S. 21 u. 24.
— 124 —
der Welt geschafft wurde.“ Der Unterschied und seine Bedeutung
ist sofort einleuchtend.
Es ist nun sehr interessant, die Übersetzungen Prokops auf diese
Stelle hin anzusehen. Die folgende Übersicht ergibt, daß die hier vor-
getragene Auffassung nicht vereinzelt dasteht, wenn auch die andere,
m. E. irrige, überwiegt.
Auch von den älteren seien einige genannt. Christophorus Per-
sona!) schreibt: Sed Petro in Italiam veniente ex humanis Amalas-
suntha excesserat. In demselben Sinne sagt Claudius Maltretus 3):
Italiam vero tum Petrus attigit, cum iam inter homines esse desiisset
Amalasuntha. Daß auch Hugo Grotius’) so denkt, geht weniger aus
den Worten: Cum Italiam attigisset Petrus, mors evenit Amalasunthae
hervor als aus dem gleich folgenden Satz: Propinqui enim eorum, qui-
bus illa vitam ademerat, Theudatum adierant. Dabei sei bemerkt,
daß der Text Prokops t): Tót9uw yag ovyyeveis tæv Ýr” &usivng dynen-
uévwv Osvödrp sroooeAdövres ... Loxveibovso gerade durch die Form
loyveiLovro eine Übersetzung durch ein Plusquamperfektum als falsch
erscheinen läßt.
Von den neueren Übersetzern schließen sich den alten an:
Kanngießer): „Als aber Petrus in Italien anlangte, war Amalasuntha
unter den Menschen vertilgt“, und Doste®): „Als aber Petrus in Ita-
lien ankam, weilte Amalasuntha nicht mehr unter den Lebenden.“
Kohl und Leuthold haben, wie gesagt, dieselbe Auffassung.
Dagegen schreibt Dindorf 1): Posteaquam Petrus in Italiam
pervenit, ex virorum numero exturbata est Amalasuntha. Propinqui
enim Gothorum, quos illa morte affecerat, adiere Theodatum eique as-
severarunt. Am deutlichsten aber sagt Dahn 8): „Nach der Ankunft
des Petrus geschah es, daß Amalasuntha aus der Welt geschafft wurde.“
Es ist wunderlich, daß Kohl und Leuthold diese Auffassung Dahns
anscheinend übersehen haben. Auch Hartmann’) schreibt: „Aber
I) Procopius, De bel. Goth. (Rom 1506), S. 12.
2) Procop. Caesar. Histor. temp. sui tetras altera (Paris 1662 u. Venedig 1729), p. 9.
3) Histor. Gothor., Vandal., Langob. (Amsterdam 1655), S. 150.
4) D. b. G. I, 4, 26.
5) Des Prokopius von Cäsarea Geschichte seiner Zeit, II (Greifswald 1829),
S. 23. i
6) Prokops Gotenkrieg, in: Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit, 6. Jhrh. II,
S. I5.
7) Procopius II. (Bonn 1833), S. 25.
8) Könige der Germanen Il, 194 im Text u. Anm. 3.
9) Geschichte Italiens im Mittelalter, I (Leipzig 1897), S. 251.
— 125 —
nicht lange nach der Ankunft des kaiserlichen Gesandten in Italien
geschah es, daß Amalasuntha in ihrem Gefängnis ermordet wurde“ —
und das offenbar nur auf Grund des umstrittenen Satzes, da er sonst
nichts von dem Bericht der Geheimgeschichte wissen will.
Daß nun diese Auffassung des &vveßn apyarıcdnvaı, wie sie auch
Dindorf, Dahn und Hartmann vertreten, die allein zulässige ist, be-
weist der Gebrauch von vvéĝņ mit dem Infinitivus Aoristi bei Prokop.
Eine Anzahl solcher Stellen, wo ġvvéĝņ in dieser Verbindung vor-
kommt, seien genannt: De bello Gothico I, 1,1. I, 23,6. II, 14, 32.
II, 4,16. III, 5,12. III, 30,11. Allerdings läßt I, 1,1 auch eine an-
dere Deutung zu: yù de èri móhsuov tòv TorIındv alu, èreircàw
sredtegov oa Tótr9oiç xal ` Irahóraig reò trodde Tod rolguov yereodaı
&vveßn. Hier kann man yevéoĝaı Evveßn durch Plusquamperfektum
übersetzen; aber gerade hier haben sowohl Kanngießer III, ı als auch
Doste, 3 das Imperfektum vorgezogen. Und notwendig ist auch die
Übersetzung durch ein Plusquamperfektum gar nicht, da die Vorver-
gangenheit bereits in dem red Toßde Tod zroAguov ausgedrückt ist. In
den übrigen Fällen ist aber der Gebrauch von Zuv&ßn ganz klar. Be-
sonders deutlich ist III, 19, 34: Jusgaıv de dvoiv Toregov “Povdepiyw
re Evveßn televrfoaı tòv piov = zwei Tage später verlor Ruderich
das Leben. Den Ausschlag vollends gibt die Tatsache, daß Prokop,
wenn er die Vorvergangenheit ‘ausdrücken will, sich des Plusquam-
perfektums von apaviiw bedient, I, 2, ı sagt er nämlich, daß Eutharich,
der Vater Athalarichs, schon vor Theoderich gestorben war. Er schreibt:
ó yap ot mato Yon è Avdewrwv Npdrıoro = sein Vater war schon
aus der Welt verschwunden. Wenn Prokop also an unserer Stelle
hätte sagen wollen: „Als Petrus nach Italien kam, war Amalasuntha
nicht mehr unter den Lebenden“, hätte er geschrieben: "4ualaoodvIa
&& dvdewrruw npdvıoro. Er hat es nicht getan, er hat also auch den
von so vielen Übersetzern hineingelegten Sinn, daß die Ermordung
der Amalasuntha vor der Ankunft des Petrus geschah, nicht aus-
drücken wollen.
Es bleibt ein Einwand noch zu entkräften. Man kann entgegen-
halten: Konnte denn Prokop einen solchen Satz schreiben, der die
Möglichkeit einer Mitwirkung des Petrus bzw. der Theodora an der
Tat nicht ausschloß? Mußte er nicht vielmehr von vornherein ver-
hindern, daß überhaupt jemals der Gedanke auftauchte, auch die Kai-
serin könne ihre Hand dabei im Spiele gehabt haben? Ich frage:
Welcher unbefangene Leser des Gotenkrieges, der von der Geheim-
geschichte keine Kenntnis hat — und die Zeitgenossen Prokops kannten
= J26 —
sie zunächst ja gar nicht !) —, wird bei der Lektüre des ganzen Zusam-
menhangs aus dem kurzen, harmlosen Satze herausicsen, daß Theodora
den Petrus zur Ermordung der Königin angestiftet hat? Sie wird ja
in der ganzen Erzählung mit keinem Wort erwähnt.
Den wahren Sachverhalt bei der Ermordung der Amalasuntha hat
Prokop im Gotenkrieg verhüllen müssen, aber geradezu entstellt hat
er ihn nicht. Der Vorwurf der Lüge trifft ihn nicht.
nam NV Henne D NAAA
Mitteilungen
Segen- und Beschwörungsformeln. Der Verband deutscher
Vereine für Volkskunde hat es unternommen, eine nach Möglichkeit voll-
ständige Sammlung aller auf deutschem Sprach- und Kulturgebiet nach-
weisbaren magischen Formeln, sowohl der gesprochenen Segnungen und
Versegnungen, als auch aller Schriftsegen und Charaktere einschließlich solcher
rein zeichnerischer Natur zu veranstalten. Nur ein rasches allseitigstes
reges Zusammenarbeiten in den zur Durchforschung herangezogenen
Ländern (Deutsches Reich, Deutsch-Österreich, Deutsch-Ungarn, die deut-
sche Schweiz) kann dieser bedeutsamen Aufgabe zu einer vollen Lösung
verhelfen und so eines der volkskundlich, religionsgeschichtlich und psycho-
logisch aufklärungsreichsten Gebiete uns erschließen, in dem primitivstes
menschliches Denken am frühesten seine Ausdrucksform in Sprache und kul-
tischer Handlung gefunden und am längsten treu bewahrt hat. Deshalb er-
geht an alle Freunde und Kenner deutschen Volkslebens die Aufforderung,
diese wertvollen Zeugnisse, solange es noch Zeit ist, zu sammeln und
für die wissenschaftliche Forschung zu retten.
Ein Aufruf des Verbandes, dem auch eine Auswahl bekannter Segen
(Heilsegen, Schutzsegen, Zwangssegen) in ihren Anfangsworten beigegeben
ist, umschreibt die Aufgabe näher, indem er als Gegenstand der Sammlung
bezeichnet:
1. Alle noch in mündlichem Umlauf befindlichen oder im Gedächtnis
älterer Leute erhaltenen Besprechungs- und Beschwörungsformeln, also Heil-
segen für Krankheiten und Verletzungen von Menschen und Vieh, Schutz-
segen gegen alle Mensch, Haus, Vieh und Acker bedrohenden Gefahren,
Bannungen von Feinden, Dieben, Geistern, Unwettern, Feuersbrünsten, alle
Verwünschungen, Sprüche zum Anhexen von Unglück jeder Art, Beschwö-
rungen von Glücksruten und Heilkräutern, Besegnungen in Handel, Ackerbau
und Viehzucht u. dgl.
2. Alle im Arbeitskreis der Sammler auffindbaren handschriftlichen
Segenbücher (Brauchbücher, Sympathiebücher, Gesahnehefte, Haus- und
Rezeptbüchlein, Kunst- und Zauberbücher) sind abzuschreiben, leihweise zur
Verfügung zu stellen oder, wenn irgend möglich, zu erwerben. Bei
1) Dahn, Prokop von Cäsarea (Berlin 1865), S. 39.
— 127 —
einer Abschrift der Einzelstücke ist eine kurze Beschreibung der Handschrift
erwünscht (Blattzahl, Format nach Zentimetern, ob ein oder mehrere Schrei-
ber, ob die Handschrift ausgeschmückt ist, ob Schreiber oder Herkunft be-
kannt sind u. dgl... Es ist ferner wünschenswert, daß bei Büchlein, in
denen Rezepte und Segen gemischt stehen, auch die Rezepte abgeschrieben
werden. Jedenfalls ıst jedes Rezept zu notieren, dem eine gewisse
Zauberwirkung zugeschrieben wird.
3. Es muß die in den einzelnen Landschaften vorhandene gedruckte
Segenliteratur möglichst lückenlos festgestellt werden. Dabei sind, wo sich
ihr Erwerb oder die: leihweise Hergabe nicht ermöglichen läßt, die Texte
der Einblattdrucke und kleineren fliegenden Zettelliteratur (wie etwa von
Himmelsbriefen, Schutz- und Trutzzetteln, den wahrhaften
Längen Christi und Mariä, Tobiassegen, Frais- und Gicht-
briefen usw.) buchstabengetreu abzuschreiben, während bei größeren Zau-
berbüchern (wie etwa dem Romanusbüchlein, dem 6. und 7. Buch Mosis,
dem siebenmal versiegelten Buch, dem Buch Jezirah, dem wahrhaft feurigen
Drachen, den Schätzen aus Klosterbibliotheken, Fausts Höllenzwang, den
Albertus - Magnus - Büchern usw.) die Angabe des vollen Titels mit Verlag,
Erscheinungsjahr und -ort, sowie Format in Zentimetern genügt. Zu dieser
gedruckten Segenliteratur sind auch volkstümliche Gebete zu rechnen, denen
eine Art zauberhafter Wirkung zugeschrieben wird, wie etwa die sieben
Himmelsriegel, die sieben Schloß, der himmlische Hof der sel. Luitgard
von Wittichen, das goldene Paternoster und das goldene Ave-Maria usw.
Die Einsendungen sind an die Universitätsbibliothek in Gießen,
die als Zentralstelle für die Segensammlung bestimmt ist, zu richten. Ebenso
geben die Mitglieder der Kommission für die Sammlung Dr. E. Fehrle,
Heidelberg, Dr. H. Hepding, Gießen, Prof. Dr. Helm, Gießen, Prof.
Dr. E. Hoffmann-Krayer, Basel, Prof. Dr. Jostes, Münster (West-
falen), Dr. J. Schwietering, Hamburg, Dr. A. Spamer, München (Bel-
gradstr. 24), Prof. Dr. Wünsch, Münster (Westfalen) über das Unter-
nehmen Auskunft.
Im allgemeinen sind folgende Wünsche der Kommission zu beachten:
Die einzelnen Segen werden am besten auf einseitig zu beschreibenden
Quartblättern verzeichnet. Doch sind wir auch für jede Mitteilung in an-
derer Form — auch die kleinste —, selbst auf Postkarten usw., stets dank-
bar. Werden die Texte einer größeren Sammlung entnommen, so ist mög-
lichst die Seitenzahl beizufügen.
Die Niederschrift muß buchstäblich geschehen mit allen Sprach-,
Druck- und Schreibfehlern. Jede Abweichung von einer be-
kannten Fassung hat ihren Wert. Mundartlich vernommene Stücke
versuche man, wie man sie gehört, mundartlich aufzuzeichnen. Eigene Zu-
sätze, Verbesserungen oder Vermutungen müssen stets ausdrücklich als solche
gekennzeichnet werden.
Beruf und ungefähres Alter des Gewährsmannes, von dem der Segen
gehört wurde, ist stets mitzuteilen. Es ist, wenn möglich, zu ermitteln, ob
die Gewährsleute etwa von anderen Orten zugezogen sind, auch von wem
sie ihre Kenntnisse erlernt haben.
Bei der Mitteilung der einzelnen Formeln ist besonders darauf zu achten,
— 123 —
welche zeremoniellen Handlungen mit ihnen verknüpft sind, und von welchen
die eigentliche Besprechung begleitenden Umständen ihre Segenskraft ab-
hängt, z. B.:
a)
E
0)
Ob sie zu bestimmter Zeit gesprochen werden müssen (Jahreszeit,
Tageszeit, Mondphase, an gewissen Tagen, bei Kirch- oder Grab-
geläute usw.).
Ob an einem bestimmten Ort oder in bestimmter Richtung (unter
freiem Himmel, am Kreuzweg, Markstein, hinter dem Altar, am Feuer,
am fließenden Wasser [stromabwärts?], gegen Sonnenaufgang usw).
In welchem Tonfall sie zu sprechen sind (Rufen, Sprechen, Flüstern,
Singen).
Ob bestimmte ärztliche Handlungen mit ihnen verbunden sind (Wasser
in die Wunde schütten, Steine auflegen, Gebrauch von Heilkräutern usw.).
Ob gewisse kultische Handlungen zu ihnen gehören (Bekreuzigen, Be-
streichen, Anhauchen, Beblasen, Handauflegen, Beschütten, Beräuchern,
Besingen, Umgehen, Umkriechen, Messen, Umbinden, Bedrücken, Be-
speien, Verpfropfen, Verknoten, Vernageln, Durchziehen, Abbacken,
Wegschwemmen usw.).
Ob sie bestimmte Gegenstände erfordern (Erbbibel, Erbschlüssel u. dgl.).
Ob sie mit bestimmten Bäumen und Sträuchern in Verbindung stehen
(Fichte, Weide, Wacholder, Haselnuß usw.).
Ob die eigentliche Beschwörung mit Gebeten verbunden ist, und ob
für diese besondere Vorschriften bestehen (etwa das Vaterunser nur bis
zu einer gewissen Stelle zu sprechen, das Amen auszulassen u. ä.).
Ob sich an sie bestimmte E- oder Schweigegebote oder die Ver-
pflichtung zur völligen oder teilweisen Nacktheit (z. B. Barfüßigkeit,
Barhäuptigkeit) knüpfen, oder einzelne Handlungen unbesprochen ver-
richtet werden müssen.
Ob ihre Wirksamkeit von dem Geschlecht des Segnenden und Be-
segneten abhängig ist.
Ob eine besondere Bewegungsrichtung während des Segensaktes vor-
geschrieben ist (Kreisbewegung, Vorwärts-, Rückwärtsgehen, Gebrauch
des linken Armes, des rechten Fußes u. dgl.).
Ob der Segen öfters wiederholt werden muß (dreimal, neunmal, an
drei aufeinanderfolgenden Tagen usw.).
Ob Schriftsegen in besonderer Weise geschrieben werden (ganz oder
teilweise in goldenen oder roten Buchstaben, auf Jungfernpergament,
auf Brot, auf einen Teller usw.), und ob sie an einem bestimmten
Ort befestigt oder niedergelegt werden müssen (Bettstelle, Türe, Stall-
pfosten, unter der Schwelle usw.).
Man zeichne auch stets die Fälle auf, in denen bestimmten Hand-
lungen oder Gegenständen an sich ohne einen Spruch- oder Schrift-
segen eine magische Wirkung zugeschrieben wird ız. B. Fünffingerkraut
bei sich zu tragen, um Glück im Handel zu haben usw.).
Da der Herausgeber dieser Zeitschrift früher im Vorbeigehen sich solche
Stellen in landes- und ortsgeschichtlichen Zeitschriften angemerkt hat, an
denen von Segen und Zauberformeln die Rede ist, so sollen hier diese
Hinweise folgen. Die Auswahl ist rein zufällig, aber sie läßt ahnen, welche
— 129 —
Fülle einschlägigen Stoffs in den zahlreichen Zeitschriften der genannten
Art enthalten ıst, und wird vielleicht zu ihrer planmäßigen Durchmusterung
anregen.
Alemannia 25. Bd., S. 262—268; 26. Bd., S. 70—72 und 264
bis 267; 27. Bd., S. 93—123.
Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 15. Heft,
S. 180; 62. Heft, S. 179 Nr. 88.
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 25. Bd., S. 67.
Archiv des historischen Vereins von Unterfranken und
Aschaffenburg 5. Bd, S. 166.
Baltische Studien, N. F. Bd. 3, S. 152—154.
Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock Bd. 2,1, S. 106 ff
Unser Egerland 2. Jahrg., S. 10 u. 42.
Germania (Pfeiffer) 3. Jahrg., ı. Heft.
MitteilungendesNordböhmischenExkursionsklubs 17. Jahrg.,
S. 331.
Mitteilungen des Vereins für Geschichte von Annaberg und
Umgegend 2. Jahrbuch (1890).
Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertums-
kunde 9. Bd., S. 334; 10. Bd., S. 155.
Römische Quartalschrift 12. Bd., S. 162—215.
Urquell 2. Bd., S. 101—ı05 und 172—175.
Zeitschrift für deutsches Altertum 42. Bd., S. 186—193.
Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde 1. Bd.,
2. Heft; 3. Bd., 3. Heft.
Zeitschrift des Historischen Vereins für Steiermark 5. Jahrg.,
S. 161—182. Hier ist unter dem Titel Eine rätselhafte Inschrift
(vgl. diese Zeitschrift, 10. Bd., S. 157) die Entstehung eines Pest-
segens nachgewiesen.
Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und
Altertumskunde ı. Bd., S. 184—196.
Flurnamenverzeichnisse. — In den Anweisungen für das Auf-
zeichnen der Flurnamen findet man verschiedene Ansichten über die Ein-
reihung der Flurbezeichnungen, die nicht mit einem Hauptwort, sondern
mit Artikel oder Präposition beginnen. In Baden hat sich der vom Verein
„Badische Heimat“ ernannte Flurnamenausschuß so geeinigt, daß der
Sammler für die alphabetische Einreihung die Präposition und den Ar-
tikel mitzählen muß, also einen Flumamen In den Hexen unter I einreiht,
Ts muuri unter T. Der Flurnamenausschuß ordnet nachher die Samm-
lung so, daß die Flurbezeichnungen unter dem ersten Hauptwort, das in
ihnen enthalten ist, eingereiht werden, also In den Hexen unter H, Ts
-muuri unter Muuri, worauf dann unter „Mauer“ verwiesen wird, Am breiten
Weg unter W. Dazu hat uns die Erwägung veranlaßt, daß der Sammler
manchmal gar nicht imstande ist zu unterscheiden, wo das Hauptwort be-
ginnt, sondern dies dem Fachmann überlassen muß. Man vergleiche die
von Buck: Oberdeutsches Flurnamenbuch, S. 168 unter M angeführten
— 130 —
Namen. Ich hebe dies ausdrücklich hervor, weil es im badischen Werbe-
heft, das nur die Grundsätze für die Sammler enthält, nicht erwähnt
wird und Fachleute (vgl. Beschorner in dieser Zeitschrift, oben, S. 112)
leicht zur Ansicht kommen können, daß die für die Sammler in unserem
Werbeheft (Die Flurnamen von Aasen nebst prakt. Anleitungen ... im
Auftrage der Badischen Heimat hrsg. von E. Fehrle. Karlsruhe, Braun
1913) ausgesprochenen Weisungen auch für die Veröffentlichung gelten.
Eugen Fehrle (Heidelberg)
Personalien. — Zum Gedächtnis an Theodor Kolde. Durch
den am 21. Oktober 1913 erfolgten Tod des Geheimen Hofrats Professor
D. Dr. Theodor von Kolde hat die Erlanger Universität und die kirchen-
historische Wissenschaft einen schweren Verlust erlitten. Aber auch die
landesgeschichtliche Forschung verlor in ihm einen der eifrigsten und
erfolgreichsten historischen Arbeiter, dessen Nachwirkungen sie noch lange
spüren wird. Als ıgoo der erste Band dieser Deutschen Geschichtsblätter
‚erschien, begrüßte sie Kolde in seinen Beiträgen zur bayerischen Kirchen-
geschichte (Bd. 7, S. 143f.) mit besonderer Freude. Er sah in ihnen mit
mit Recht ein Mittel, um der Gefahr der Zersplitterung der landesgeschicht-
lichen Forschung entgegenzuarbeiten und diese mit der allgemeinen Ge-
schichtschreibung in Verbindung zu bringen. Wie Kolde von der all-
gemeinen Kirchengeschichte zur Landesgeschichte kam, so empfand er aus
eigener Erfahrung besonders stark diese Notwendigkeit gegenseitiger Be-
fruchtung. .Kolde hat sich an der neuen Zeitschrift, mit seinen eigenen Bei-
trägen reichlich beschäftigt, nur gelegentlich durch zwei Nachrufe für die
Erlanger Professoren G. H. Gengler und K. v. Hegel (Deutsche Ge-
schichtsblätter Bd. III [1902], S. 187/9) beteiligt, aber wie er seit 1901 zu
den „Mitwirkenden “ zählte, so hat er den Bestrebungen der Zeitschrift alle-
zeit ein sehr warmes Interesse entgegengebracht und dem Herausgeber gern
ratend zur Seite gestanden.
Theodor Kolde wurde am 6. Mai 1850 zu Friedland in Oberschlesien
geboren, wo sein Vater evangelischer Pfarrer war; seine Mutter war eine
geborene Hahn: er konnte durch sıe sein Geschlecht zurückführen auf den
sächsischen Kanzler Gregorius Brück. In Falkenberg, wohin sein Vater
1854 versetzt wurde, empfing er den ersten Unterricht. Frohe Kinder-
erinnerungen hat Kolde nicht gehabt, und jahrzehntelang, eigentlich bis zum
Jahre 188: hat er dauernd in schwerster Weise um seine äußere Existenz
ringen müssen. Ostern 1863 trat er nach häuslicher Vorbereitung in das
Gymnasium zu Öls in Schlesien, das er Ostern 1869 mit dem Reifezeugnis
verließ. 1869—ı871 studierte er vier Semester in Breslau, 1871/2 zwei
Semester in Leipzig; doch mußte er nach dem Schlusse des dritten Semesters
aus Mangel an Mitteln sein Studium unterbrechen und sich in seinem vierten
Semester, während er nur immatrikuliert war, sich das Geld zum weiteren
Studium verdienen. In Breslau fand er an Hermann Reuter einen kirchen-
historischen Lehrer, der auf seine Entwicklung zum Gelehrten und speziell
zum Historiker den entscheidendsten Einfluß gewann. Er erwarb bei Reuter
die lebhafteste Begeisterung für die kirchenhistorische Wissenschaft und vor
allem eine strenge historische Methode. Reuters Gedanke, der kirchen-
=, 131 ==
historischen Forschung dadurch neue Impulse zu geben, daß die Geschichte
der Kirche stärker in den Rahmen der allgemeinen, politischen und kul-
turellen Geschichte gestellt werden müsse, hat bei Kolde allezeit sehr
kräftig nachgewirkt und seine eigenen Arbeiten bestimmt; er hat seinem
Lehrer dauernd ein dankbares Andenken bewahrt und hat bis zu dessen
Tode (1889) mit ihm im Verkehr und Austausch gestanden.
Die Leipziger Zeit brachte dann weitere Anregungen durch Kahnis,
G. Baur und Luthardt. Die Jahre 1872—1875 brachte Kolde als Haus-
lehrer in Brechelshof im v. Richthofenschen Hause und in Salesche zu. In
dieser Zeit schrieb er seine erste Arbeit, eine historische Würdigung seines
Ahnherrn Gregorius Brück !), mit der er 1874 in Halle a. d. Saale zum
Dr. phil. promovierte. Im Jahre 1875 ging Kolde nach Marburg, schrieb
eine Abhandlung Luthers Stellung zu Kongil und Kirche bis zum Wormser
Reichstag 1521, p:omovierte damit zum Lic. theol. und habilitierte sich mit
der Arbeit in Marburg im Frühjahr 1876. Hier in Marburg, wo er 1876
bis 1881 Kirchengeschichte lehrte und schon 1879 zum außerordentlichen
Professor befördert wurde, entstand die Arbeit, die ihn in weiteren Kreisen
bekannt machte, über Die deutsche Augustinerkongregation und Johann
v. Staupitz (Gotha 1879). Seine Arbeiten zielten nun auf eine Luther-
biographie hin, für die er unermüdlich in Archiven und Bibliotheken auf
weiten Reisen sammelte, um auf Grund ganz neuen Materials neue Erkennt-
nisse bieten zu können. Im Frühjahr 1881 wurde er nach Erlangen als
o. Professor der Kirchengeschichte berufen und hat als solcher bis zu seinem
Tode gearbeitet und gewirkt, sowohl durch eine ausgedehnte Vorlesungs-
tätigkeit als äußerst anregender Lehrer, als auch durch wissenschaftliche
Arbeiten. Den Ruf auf den Lehrstuhl seines verstorbenen Lehrers Hermann
Reuter in Göttingen lehnte er 1890 ab. Mit der Erlanger Hochschule,
ihrem äußeren und inneren Leben verwuchs er enger und enger, und nahm
an ihr bis zu seinem Ende eine in jeder Hinsicht sehr geachtete und ein-
flußreiche Stellung ein.
Koldes wissenschaftliche Arbeit lag durchaus auf dem Gebiet der ge-
schichtlichen Forschung mit starker Betonung der archivalischen Arbeit; er
stand mit den Historikern aller Gebiete in enger Fühlung und gehörte zu
denen, die 1893 an der ersten Versammlung deutscher Historiker in München
teilnahmen. Einer spekulativen konstruierenden Geschichtsbetrachtung durch-
aus abgeneigt, suchte er alles auf den Boden exakter quellenmäßiger Erkennt-
nis zu stellen, wie er es in seiner Rektoratsrede von 1890 Über Grenzen
des historischen Erkennens und die Objektivität des Geschichtschreibers
ausgeführt hat: „Ich bin zu sehr Realist, als daß ich einer Philosophie der
Geschichte ein mehr als äußerliches Verhältnis zu der Geschichte als Wissen-
schaft zuerkennen könnte.“ Die eigentliche historische Forschung Koldes
bewegte sich im wesentlichen in drei Kreisen: auf dem Gebiet der refor-
mationsgeschichtlichen Forschung, auf dem der Symbolik und Sektengeschichte,
auf dem Gebiete der bayerischen Kirchengeschichte im allgemeinen und der
Erlanger Universitätsgeschichte im besonderen.
1) Der Kanzler Brück und seine Bedeutung für die Entwicklung der Refor-
mation (Hallenser Dissertation 1874).
10
— 132 —
Die Zeit bis 1893 war erfüllt von den Arbeiten zur Lutherbiographie.
Schon die Arbeit Friedrich der Weise und die Anfänge der Reformation
(Erlangen 1881) zeigte die Tendenz, auf der einen Seite das archivalische
Material zu vermehren und auf der anderen Seite die Reformation auf dem
Grunde der Gesamtentwicklung des deutschen Volkes zu verstehen. Reiche
neue Materialien zur Lutherbiographie fand Kolde auf seinen schon von
Marburg aus mit Unterstützung des preußischen Kultusministeriums unter-
nommenen Archivreisen, deren Ertrag er in einem Bande Analecta Luthe-
rana, Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Luthers (Gotha 1883) ver-
öffentlichen konnte, ein Buch, das eine Fülle neuen historischen Materials
über Luthers Leben darbot. Die zusammenfassende Betrachtung Luthers
brachte dann die zweibändige Lutherbiographie: Martin Luther (Gotha
1884—1893), die versuchte, über die Vorgänger hinaus Luther auf dem
Grunde der Gesamtentwicklung seines Volkes zu schildern. Neben diesen
großen reformationsgeschichtlichen Schriften stehen eine Reihe kleinerer, die
zum Teil auf dem Gebiete der Geschichte des religiösen Lebens, der Ent-
stehung der Bekenntnisschriften, auf hymnologischen u. ä. Gebieten liegen,
zum Teil auf dem Gebiete der Abwehr gegen die Angriffe auf die neuere
protestantische Lutherforschung, wie sie Majunke uud Denifle unternahmen.
Hier hat Kolde die schärfsten Worte gefunden, die er je in der Polemik
ausgesprochen hat.
Auf dem Gebiete der Symbolik oder Konfessionskunde, die Kolde mit
besonderer Liebe pflegte — war doch die Symbolik seine Lieblings-
vorlesung —, tritt neben den Arbeiten über den Methodismus und Irving
besonders die erste wissenschaftliche Geschichte der Heilsarmee!) hervor,
ein Buch, das bei seinem ersten Erscheinen schon großes Aufsehen erregte.
Nach England, schon durch seine Verheiratung mit einer Engländerin, öfter
geführt, hat Kolde diese eigenartige religiös-methodistische Bewegung in ihren
Anfängen genau kennen gelernt und so geschildert, daß sein zum Teil auf
die flüchtige ephemere Literatur solcher religiös ekstatischen Gemeinschaften
aufgebautes Werk für uns heute direkt Quellenwert besitzt.
Sobald die Arbeit am Luther 1893 beendigt war, wandte sich Kolde
‚der landesgeschichtlichen Forschung, der bayerischen Kirchen-
geschichte zu. Schon auf seinen früheren Archivreisen hatte er gesehen,
wie viele wichtige Schätze für historische Forschung in Bayern zu finden
waren. Die landesgeschichtliche Forschung wurde auch hier an vielen Orten
in Vorträgen und Publikationen gepflegt, Arbeiten auf dem Gebiete der
bayerischen Kirchengeschichte fehlten nicht, aber es fehlte an einer zu-
sammenfassenden Sammelstelle für diese Arbeit. Zwar hatte man in den
1880er Jahren den Versuch mit Blättern für die bayerische Kirchen-
geschichte gemacht, aber dieselben waren nicht über den dritten Jahrgang
hinausgekommen. Kolde begann nun 1893 mit einer Vorlesung über „Ge-
schichte der protestantischen Kirche in Bayern‘, begründete dann 1894
die Beiträge gur bayerischen Kirchengeschichte ?) und gab sie regelmäßig
1) Die Heilsarmee nach eigner Anschauung und nach ihren Schriften (Leipzig
1885, 2. Aufl. 1899).
2) Vgl. darüber diese Zeitschrift 2. Bd. (1901), S. 35—36.
— 133 —
in je sechs Jahresheften bis zu seinem Tode heraus; wenige Wochen vor
Koldes Tode erschien noch das erste Doppelheft des 20. Jahrganges. Über-
sieht man diese 20 Jahrgänge, so wird jeder anerkennen müssen, daß hier
wirklich eine schöne, große Arbeit geleistet worden ist, gewiß nicht von
Kolde allein, aber doch großenteils auf Grund seiner Anregungen. Kolde
hat es verstanden, sich Mitarbeiter zu schaffen, zu neuen Problemen anzu-
regen, zum Suchen in Archiven und Pfarregistraturen. Da sehen wir in den
Beiträgen sich eine Schar. von über 30 bayerischen Pfarren, zum großen
Teil Koldes kirchenhistorische Schüler, sich als Mitarbeiter um die gemein-
same Arbeit scharen, aber auch andere, bayerische Professoren und Biblio-
thekare, auch außerbayerische Forscher wußte Kolde heranzuziehen, oder sie
meldeten sich von sich aus zur Mitarbeit. Und es bieten ja vielleicht wenige
deutsche Gaue eine so reiche Ausbeute für die landesgeschichtliche For-
schung auch auf dem kirchlichen Gebiete als eben Bayern, wo Nürnberg,
Augsburg, Kempten u. a. ihre eigene selbständige Rolle in der Reformations-
geschichte spielen, wo kleine Reichsstädte wie Dinkelsbühl kraft ihrer Reichs-
freiheit in Geschäften des Reiches ihre Entscheidung mit abgaben, so daß
die großen Fragen auch am kleinen Orte verhandelt werden mußten, wo
die hohenzollernschen Lande Ansbach und Baireuth eine ganz eigenartige
kirchliche Entwicklung und Kirchenpolitik ihrer Fürsten zeigen. Es war
verständlich, daß das Hauptinteresse der in den Beiträgen veröffentlichten
Forschungen auf dem reformationsgeschichtlichen Gebiete lag, doch Kolde
drängte immer wieder dahin, daß daneben auch die reiche kirchliche Lokal-
geschichte des Mittelalters in Bayern erforscht werde und ebenso etwa die
Geschichte des Pietismus und Rationalismus im XVIII. Jahrhundert. Und
Kolde arbeitete selbst aufs eifrigste mit. Jahraus, jahrein schrieb er zu
jedem Hefte seiner Beiträge seine sorgfältigen Kritiken und Notizen tiber
alle das Gebiet der bayerischen Kirchengeschichte berührenden Arbeiten.
Durch fleißiges Sammeln brachte Kolde eine schöne Bibliothek von Bavarıca
zusammen, die nun zusammen mit der ganzen Bibliothek Koldes erfreulicher-
weise der Erlanger Univeisitätsbibliothek einverleibt werden konnte. Kolde
leitete die Zeitschrift ein durch eine archivalische Studie über den Huma-
nisten und gelehrten ansbachischen Reformator Andreas Althamer, schrieb
dann über Arsacius Seehofer und Argula von Grumbach, über den Nürn-
berger reformatorischen Prediger Thomas Venatorius, gab Briefe Luthers,
Melanchthons u. a. heraus, schrieb über das bayerische Religionsedikt von
1803, über die Anfänge einer katholischen Gemeinde in Erlangen usw. Es
war natürlich, daß Kolde sich 1904 an der Gründung der „Gesellschaft für
fränkische Geschichte“, welche die Geschichtsforschung in den drei Franken
zusammenfassen wollte, beteiligte und mit der ihm und seinem Schüler
Schornbaum übertragenen Inventarisierung des geschicitlich wertvollen Ma-
terials in den evangelischen Pfarrarchiven !) begann. Auch das brachte
reiche Anregung und manche Ausbeute.
Es wird aus der intimen lande:geschichtlichen Kenntnis Koldes begreif-
lich, daß, als die Universität Erlangen ı910 das Fest der hundertjährigen
1) Vgl. diese Zeitschrift 8. Bd., S. 228; 9. Bd., S. 318; 13. Bd., S. 207; und
unten S. 135—137.
10*
— 134 —
Zugehörigkeit zum Königreich Bayern festlich begehen wollte, sie Kolde be-
auftragte, die Geschichte der letzten roo Jahre der Universität Erlangen zu
schreiben. Nach einigem Schwanken ist Kolde schließlich dem Wunsche
gefolgt und hat mit Feuereifer die Aufgabe übernommen und in den Jahren
1908—1910 durchgeführt !). Auch hier konnte es sich ihm nur um eine
archivalische Arbeit handeln und er hat die Erlanger, Münchener und andere
Archive benutzt. Es ist zu bedauern, daß die große Arbeit die Kräfte
Koldes so sehr in Anspruch genommen hat, daß er sich von den Strapazen
der angestrengten Arbeit nicht wieder völliz erholt hat. Aber, was zustande
kam, das ist eigentlich in jeder Hinsicht bedeutend und interessant, wichtig
für die Geschichte des geistigen und kirchlichen Lebens, für die Geschichte
der Universitäten, der bayerischen Landespolitik und auch für die landes-
und lokalgeschichtliche Fors: hung im engefen Sinne Wurde auch schließ-
lich nur die Geschichte einer einzelnen gelehrten Korporation geboten, so
war diese Geschichte, durch deren Blätter Hegel, Fichte, Schelling, Hof-
mann und andere ziehen, doch groß genug, um das ganze Wehen geistigen
Lebens in der Entwicklung eines Jahıhunderts zu zeigen.
So ist Kolde von der allgemeinen kirchengeschichtlichen Forschung zur
Landesgeschichte gekommen und schließlich dauernd von ihr festgehalten
worden. Andere große Pläne, vor allem die geplante Dogmengeschichte,
die, nach den wenigen in der Neuen kirchlichen Zeitschrift veröffentlichten
einleitenden Gedanken zu urteilen, ein eigerartiges Werk zu werden ver-
sprach, mußten zurücktreten, viel gesammeltes Material zu anderen Arbeiten
blieb nun unverarbeitet, aber das ist wohl ganz sicher, daß der große Zug,
der durch Kolde in die Erforschung der bayerischen Kirchengeschichte ge-
kommen ist, eben ganz besonders darauf beruht, daß Kolde es verstanden
hat, die großen Gesichtspunkte seiner reformationsgeschichtlichen Forschung
nun anzuwenden auf das engere Gebiet der landesgeschichtlichen Forschung,
sie dadurch vor der Gefahr der Mikrologie bewahrend.
Von den Anregungen, die von Kolde ausgegangen sınd auch aut
anderen Gebieten, vor allem auf dem kirchlichen Gebiete, ist hier nicht der
Ort zu reden, ebensowenig wie von seinem glücklichen harmonischen Familien-
leben und von seiner starken charakterfesten Persönlichkeit. Wenn ich selbst
der beiden Semester gedenke, in denen ich 1896/7 zu Füßen des Gelehrten
saß, und der sechs Jahre gedenke, in denen ich seit 1907 ihm zur Seite
im gleichen Fache arbeitete und in ständigem Verkehr stand, so erfüllt mich
nicht nur eine tiefe Verehrung für den Menschen, sondern ich empfinde
auch besonders stark, was jeder, der seine zahlreichen Arbeiten zur Hand
nimmt, empfinden muß, daß hier ein Mensch arbeitete und zu uns spricht,
der im tiefsten und schönsten Sinne Gelehrter war. Was Kolde von
seinem Lehrer Reuter einst sagte: „Mit größerer, sich selbst nie genügender
Hingabe an die Wissenschaft hat wohl keiner geforscht und gearbeitet als
er“, das gilt von ihm selbst. Kolde sagte mir einmal — und das war
durchaus der Ausdruck seiner innersten Empfindung —-, daß er noch nie in
seinem Leben einen einzigen Tag zufrieden mit der Arbeit beschlossen habe,
1) Die Universität Erlangen unter dem Hause Wittelsbach, 1810—1910,
(Leipzig 1910).
— 135 —
die er geleistet hatte Nie sich selbst genügen, ringen nach immer neuer
Vertiefung, das stand über der wissenschaftlichen Arbeit dieses Lebens, und
darum ist es berechtigt zu klagen, daß dies Leben geendet, ehe die Lebens-
arbeit ganz vollendet war. Hermann Jordan (Erlangen)
Kommissionen. — Seitdem zuletzt von der Tätigkeit der Gesell-
schaft für fränkische Geschichte die Rede war !), sind die Berichte
über die Jahre ıgıı und r912 erschienen. Stifter zählt die Gesellschaft 19,
Patrone 104 (13 weitere sind bereits verstorben); die tatsächlichen jähr-
lichen Einnahmen beliefen sich auf rund 16500 # und 17800 æ, die
Ausgaben ıgıı auf 19359 A und 1912 auf 17997 M, während sich
das Vermögen auf 56324 MA beziffert. Die Mitgliederversammlung fand
ıgıı in Rothenburg o. d. T., 1912 in Hof statt. Der Vorstand besteht,
nachdem der frühere Vorsitzende, Regierungspräsident a. D. Freiherr von
Welser, zurückgetreten und zum KEhrenvorsitzenden ernannt worden ist,
aus: Friedrich Karl Fürsten zu Castell-Castell, Vorsitzendem, Ober-
bürgermeister Ritter von Michel (Würzburg), stellvertretenden Vorsitzendem,
Prof. Chroust (Würzburg), geschäftsführendem Sekretär, Prof. von Stein-
meyer (Würzburg), Stellvertreter des geschäftsführenden Sekretärs, Rentner
Ziegler (Würzburg), Schatzmeister, Regierungsdirektor Hubert Freiherrn
von Gumppenberg-Peuerbach (Landshut a. I.), Stellvertreter des Schatz-
meisterss. Der Ausschuß setzt sich einschließlich dreier Abteilungsleiter aus
13 Personen zusammen. Eine neue Ordnung für die wissenschaftlichen
Aufgaben der Gesellschaft für fränkische Geschichte vom ı5. Dezbr. 1912
hat die ältere von 1910 ersetzt.
Als Neujahrsblätter sind erschienen Freiherr von und zu Egloff-
stein: Ein Sohn des Frankenlandes in großer Zeit (Würzburg 1912,
97 S. 8%) und Anton Chroust: Das Großhersogtum Würeburg 1806 bis
1814 (Ebenda 1913, 53 S. 8° mit einer farbigen Kartenbeilage) ?). Die
Quellenveröffentlichungen gliedern sich in mehrere Reihen, und zwar sind
zu den bereits begonnenen (Fränkische Chroniken und Geschichte des frän-
kischen Kreises) neu hinzugetreten: Fränkische Urkundenbücher (III. Reihe)
und Matrikeln fränkischer Schulen (IV. Reihe). Erstere wird eröffnet durch
das Urkundenbuch der Benediktiner- Abtei St. Stephan in Würzburg. Mit
einer Einleitung von Anton Chroust. Bearbeitet von Franz Joseph Bendel,
neu bearbeitet von Franz Heidingsfelder und Max Kaufmann (Leipzig
1912. CXXXV und 482 Seiten). Die IV. Reihe eröffnet Die Matrikel
der Universität Altdorf, und zwar hat den Text Elias von Steinmeyer
(Würzburg 1912. LIV und 690 Seiten) als Bd. I herausgegeben und das
Register als Bd. II (Ebenda r912, 731 S.) hinzugefügt.
An der Bibliographie der fränkischen Geschichte arbeitet nach Zell-
felders Ausscheiden Johann Heinrich Burkard. Die Bestände der Uni-
sersitätsbibliothek in Erlangen sind zum größten Teil durchgearbeitet, die
der Kgl. Bibliothek in Bamberg sind in Angriff genommen; noch auszu-
ı) Vgl. 13. Bd. (1912), S. 206—207.
2) Vgl. diese Zeitschrift 14. Bd., S. 59.
— 136 —
beuten sind die Bibliothek des Metropolitankapitels in Bamberg, die Studien-
bibliothek in Bayreuth sowie die Sammlungen in Kulmbach, Pommersfelden,
Rothenburg und Eichstätt. Mit der Ordnung und Sichtung des bisher ge-
sammelten Stoffes wurde bereits begonnen. — Da Reichsarchivsakzessist
Kaufmann zunächst die Herausgabe eines Urkundenbuchs von Neumünster
in Würzburg vorbereitet, konnten die Vorarbeiten für den zweiten Band der
Geschichte des fränkischen Kreises nicht gefördert werden; es gilt vielmehr für
diese Aufgabe einen neuen Mitarbeiter zu suchen. — Die Matrikel des Gym-
nasiums in Hof 1576—1810 hat Prof. Weißmann in Form eines alpha-
betischen Schülerregisters mit den nötigen Nachweisungen fast druckfertig
gemacht. Zu der alten Ausgabe der Erlanger Matrikel wird ein neues Re-
gister bearbeitet, das zugleich die Fehler dieser Ausgabe verbessert. Die
Bearbeitung der Würzburger Matrikel liegt nach wie vor in der Hand
von Prof. Merkle. — Eine Fortsetzung der Ausgabe fränkischer Chro-
niken war bisher in Ermangelung eines geeigneten Mitarbeiters nicht möglich,
aber eine Nachforschung Prof. Chrousts in oberfränkischen Archiven und
Bibliotheken hat eine beträchtliche Anzahl Ckroniken, die veröffentlicht zu
werden verdienen, ans Licht gebracht: es kommt in Betracht die von Georg
Thiel verfaßte Chronik von Kulmbach 1553—1554, eine Schilderung der
Belagerung Bayreuths 1553 (Kurze vergaichnus, wie es sich in der belage-
rung der stait Bayreuth verloffen) durch Stadtschreiber Friedrich Apel so-
wie zwei umfangreiche Chroniken der Stadt Hof und eine von Markt-Redwitz
1627 bis 1675. — Die Arbeit an den Regesten der Bischöfe von Eich-
stätt hat Prälat Hollweck mit Unterstützung von Franz Heidingsfelder
so gefördert, daß der erste bis 1305 reichende Teil nahezu vollendet ist.
Dabei wurden fast alle im Original vorhandenen Bischofsurkunden photo-
graphiert !) und damit der Grundstock für ein Plattenarchiv fränkischer Ur-
kunden geschaffen. — An den Regesten der Burggrafen von Nürn-
berg aus dem Hause Hohenzollern arbeitet seit Herbst 1912 Hermann
Kalbfuß. — An den Regesten der Bischöfe von Würzburg, deren
Bearbeitung der frühere Mitarbeiter F. J. Bendel begonnen hatte, konnte
bisher weiteres nicht getan werden. — Dem seit Herbst ıgıı in Angriff
genommenen Unternehmen, die Quellen zur Handelsgeschichte Nürn-
bergs systematisch zu bearbeiten, widmete sich unter Leitung des Prof.
v. Eheberg (Erlangen) Ernst Wiedemann, der aus den 147 Briefbüchern ?)
der Stadt (1404—1552) über 6000 Auszüge gewann. Seit Ende 1912
durchmustert der Mitarbeiter Scholler in ähnlicher Weise die Nürnberger
Ratsverlässe, während Kreisarchivsassessor Fürst die Privatarchive Nürn-
berger Handelshäuser inventarisiert und zunächst eine Veröffentlichung aus
dem Archive des Imhoffschen Handelshauses (XV. und XVI. Jahrh.) vor-
bereitet. In dieses Gebiet gehört auch eine Gelegenheitsveröffentlichung der
. Gesellschaft, die von Freiherrn Ludwig v. Welser bearbeitete Schrift Eine
Urkunde zur Geschichte des Nürnberger Handels (Würzburg 1912, 85 S.):
sie enthält die Beschlüsse, welche die Geschäftsteilhaber der Welser - Gesell-
1) Vgl. über dieses nachahmenswerte Beispiel diese Zeitschrift 9. Bd., S. 55.
2) Vgl. dazu den Aufsatz Aus Nürnberger Brief büchern in dieser Zeitschrift
7. Bd., S. 95f., und 14. Bd., S. ggff.
— 137 —
schaft in Nürnberg 1529—ı551 faßten. — Die Bearbeitung der Nürnberger
Bevölkerungs- und Gewerbestatistik, besonders des XV. Jahrhunderts, hat
Prof. Sander (Prag) vorläufig zurückstellen müssen.
Die von Kolde !) eingeleitete Inventarisation der evangelischen
Pfarrarchive hat sein Mitarbeiter, Pfarrer Schornbaum in Alfeld, fort-
gesetzt und zwar zu den früher erledigten in den beiden Jahren 73 neue
Archive bearbeitet. Die Repertorisierung der katholischen Pfarrarchive ?)
hat Dechant Amrhein in Eßfeld für die Diözese Würzburg zum Abschluß
gebracht, und der Druck der Inventare steht bevor. Ebenso hat Pfarrer
Buchner in Sulzburg die Diözese Eichstätt bis auf einen kleinen Rest er-
ledigt. Für die Diözese Bamberg war leider ein ebenso opferfreudiger und
befähigter einheimischer Geistlicher nicht zu gewinnen, und deshalb hat
Dechant Amrhein sich bereit erklärt, zunächst den westlichen an Würz-
burg grenzenden Teil dieser Diözese ebenfalls zu übernehmen. Der Ein-
heitlichkeit der ganzen Arbeit kann dies nur zugute kommen.
Eingegangene Bücher.
Meyer, Eduard: Thukydides und die Entstehung der wissenschaftlichen
Geschichtsschreibung. Vortrag, gehalten in der VII. ordentlichen Ver-
sammlung des Vereines der Freunde des humanistischen Gymnasiums.
Wien und Leipzig, Carl Fromme 1913. 26 S. 8°. M 0,70.
Meyerinck, Hubert von: Die Straßenkämpfe in Berlin am 18. und 19. März
1848 [== Voigtländers Quellenbücher, Bd. 7]. Leipzig, R. Voigtländer
1912. 9I S. 16°. AM 0,70.
Möring, W.: Die Wohlfahrtspolitik des Hamburger Rates im Mittelalter
[> Abhandlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte, hggb. von
v. Below, Finke, Meinecke, Heft 45]. Berlin und Leipzig,
Walther Rothschild 1913. 186 S. 8%. Ææ 6,00.
Müsebeck, Ernst: Freiwillige Gaben und Opfer des Preußischen Volkes
in den Jahren 1813—1815, nach der amtlichen Statistik zusammen-
gestellt [== Mitteilungen der K. Preußischen Archivverwaltung, Heft 23].
Leipzig, S. Hirzel 1913. 156 S. 8%. A 5,00.
Oechsli, Wilhelm: Geschichte der Schweiz im neunzehnten Jahrhundert.
Zweiter Band: 1813—1830. Leipzig, S. Hirzel 1913. 848 S. 8°.
AM 14,00.
Roeder, Günther: Aus dem Leben vornehmer Ägypter, von ihnen selbst
erzählt [= Voigtländers Quellenbücher, Bd. ı7]. Leipzig, R. Voigt-
länders Verlag 1912. ı16 S. 16%. Ææ 1,00.
Schultze-Gallera, Siegmar: Die Unterburg Giebichenstein mit Berück-
sichtigung der Oberburg und der Alten Burg. Halle a. S., Otto Hendel
1913. 132 S. 160. M 1,25.
Wagner, Richard: Die deutschen Einigungskriege 1864—1871, Quellen-
stücke herausgegeben von R. W. [= Sammlung geschichtlicher Quellen
I1) Vgl. über die Verdienste dieses Mannes oben S. 133.
2) Vgl. über einige wichtige Ergebnisse dieser Inventarisation diese Zeitschrift
14. Bd., S. 60.
— 138 —
und Darstellungen, für den Schulgebrauch herausgegeben von O.
Kürsten, W. Schrank und A. Heil, Heft 4]. Frankfurt a. M.,
Moritz Diesterweg 1913. 40 S. 16%. M 0,45.
Waitz, Eberhard: Georg Waitz, ein Lebens- und Charakterbild zu seinem
hundertjährigen Geburtstag 9. Okt. 1913. Berlin, Weidmannsche Buch-
handlung 1913. 100 S. 16%. Ææ 1,80. '
Wilser, Ludwig: Die Germanen, Beiträge zur Völkerkunde. Neue, den
Fortschritten der Wissenschaft angepaßte und mehrfach erweiterte Be-
arbeitung. Erster Band. Leipzig, Theodor Weicher 1913. «æ 6,00.
Adam, Albert Eugen: Württembergische Landtagsakten unter Herzog
Friedrich I. 1599—1608 [= Württembergische Landtugsakten, hggb.
von der Württembergischen Kommission für Landesgeschichte. II. Reihe,
Zweiter Band: 1599—1608]. Stuttgart, Kohlhammer 1911r. 844 S.
8%. M 15,50.
Altmann, Wilhelm: Ausgewählte Urkunden zur Brandenburgisch-Preußischen
Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, zum Handgebrauch zunächst
für Historiker herausgegeben. I. Teil: ı5.—ı8. Jahrhundert. Zweite
stark vermehrte Auflage. Berlin, Weidmann 1914. 509 S. 8°. M 7,40.
Bothe, Friedrich: Geschichte der Stadt Frankfurt a. M. Mit 230 Bildern
und 4 Beilagen. Frankfurt a. M., Moritz Diesterweg 1913. XXII und
774 S. 4°. Geb. Æ 30,00.
Gescher, Franz: Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen, hggb.
von dem Historischen Verein für Stadt und Stift Essen: Register zu
Heft 1—25. Essen, Fredebeul & Koenen 1912. 233 S. 8°.
Heimatkalender 1914 für Thüringen und das Österland. Herausgeber:
Ernst Mühlbach - Weimar. Dresden, E. Wulffen. 216 S. 8°.
Heimatkalender für den Kreis Herrschaft Schmalkalden auf das Jahr
1914. Schmalkalden, Feodor Wilisch. 63 S. 4°. æ 0,40.
Legband, Hans: Systematisches Inhaltsverzeichnis zur Zeitschrift des Ver-
eins für hessische Geschichte und Landeskunde Bd. 1—45 einschließ-
lich der vom Verein bis ıgıı veröffentlichten Supplementsbände, perio-
dischen Blätter und Mitteilungen nebst einem Verzeichnis der Mitarbeiter.
Kassel, Gebr. Schönhoven ıg912. 92 S. 8°.
Schultze, Johannes: Blüte und Niedergang der landesherrlichen Teichwirt-
schaft in der ehemaligen Landgrafschaft Hessen = Archiv fär Fischerei-
geschichte, hggb. von Emil Uhles, Heft 2 (Berlin 1914), S. 1—92].
Söhn, J.: Geschichte des Wirtschaftlichen Lebens der Abtei Eberbach im
Rheingau vornehmlich im 15. und 16. Jahrhundert. Mit urkundlichen
Beilagen und einer Karte. [= Veröffentlichungen der Historischen Kom-
mission für Nassau VII.| Wiesbaden, J. F. Bergmann 1914. 164 S.
80. M 6,50.
Weingärtner, Georg: Zur Geschichte der Kölner Zunftunruhen am Ende
des 18. Jahrhunderts. Geschichte der bürgerlichen Deputatschaft.
Münster i. W., Aschendorff 1913. .# 2,00.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Weimar.
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengegellschaft, Gotha.
En Sa ee
er + ` - Ca ` r erg $
a T A i A ie
Deutsche Geschichtsblätter
Monatsschrift
Erforschung dentscher Vergangenheit auf landesgeschichtlicher Grundlage
XV. Band März/April 1914 6./7. Heft
Die Entstehung der Kreisverfassung
Deutsehlands won 1383 bis 1512
Von
Johannes Müller (Nürnberg)
Der Gedanke der Kreisverfassung Deutschlands, die nach der
Zersetzung des alten Lehensverbandes seit dem XIII. Jahrhundert aus
der Einungsbewegung der Stände der einzelnen Landschaften des
Reiches erwachsen ist, beruht auf zwei staatlichen Bedürfnissen, der
Bewahrung des Landfriedens im Innern und dem Schutz des Reiches
nach außen. Die Wahrung von Friede und Recht, ursprünglich Auf-
gabe des Königtums, ist schon unter Rudolf I. von der der realen
Machtmittel entbehrenden königlichen Friedensgewalt auf die terri-
torialen Gewalten übergegangen, indem der der veränderten Lage des
Königtums Rechnung tragende erste Habsburger den Landesherrn
derjenigen Reichsgebiete, auf deren Gliederung die Stammeseinteilung
maßgebenden Einfluß gehabt hat, nämlich in Franken, Schwaben, Bayern,
Thüringen, Niedersachsen und am Rhein, die Ausführung der von 1281
bis 1287 errichteten Landfriedensgesetze übertrug, einzelne Teile zu
gegenseitigem Beistand verpflichtete und den Fürsten in dem Reichs-
landfrieden von 1287 ausdrücklich gestattete, für ihre Gebiete einzelne
Bestimmungen des Friedens nach ihren Bedürfnissen zu ändern.
ı. Die Kreiseinteilungsversuche von 1383 bis 1438.
In den von Rudolf I. vorgezeichneten Bahnen bewegte sich die
Landfriedensbewahrung auch unter den Nachfolgern dieses Königs,
wobei die königliche Friedensgewalt allerdings in der Hauptsache auf
die vier Lande, Franken, Schwaben, Bayern und das Rheingebiet,
beschränkt blieb und die einzelnen Friedensbezirke meist ohne Zu-
sammenhang untereinander blieben.
Noch bedenklicher für die Einheit des Reiches als diese Erschei-
nung war die unter Karl IV. zutage tretende Ausbreitung der Standes-
11
— 140 —
einungen, die die zwischen den drei Hauptständen, den Fürsten, den
Rittern und den Städten, bestehende Spannung immer mehr ver-
größerten und am Ende der Regierung Karls IV. und zu Beginn der
Herrschaft seines Sohnes Wenzel zum Ausbruch des großen Städte-
krieges führten. Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, griff Wenzel
auf das bereits vor hundert Jahren von Rudolf I. angewandte Ver-
fahren zurück, die bereits vorhandenen Verbindungen unter den ein-
zelnen Landfriedensbezirken zu erweitern und sie zu einer festen Or-
ganisation des ganzen Reiches auszubauen.
Diese Bestrebungen Wenzels, das Sonderleben der Glieder dem
Leben der Gesamtheit einzuordnen, trafen auf den Widerstand der-
jenigen Standesgruppe, die aus ihren Standeseinungen bisher die
größten Vorteile gezogen hatte und die durch die Einordnung in die
Reichsfriedensorganisation zugunsten der Fürsten auf den wertvollsten
Teil ihrer bisherigen Sonderrechte hätte verzichten müssen.
Diese sich abseits haltende Ständegruppe waren die Reichsstädte,
die bei dem Überwiegen der fürstlichen Vertreter in den Teileinungen
ihre Interessen darin für nicht genügend gewahrt erachteten und die
deshalb schon bei dem ersten derartigen Versuch Wenzels auf dem
Frankfurter Reichstag 1381, auf dem ein Landfriedensentwurf die vier
in Aussicht genommenen Landfriedensbezirke Rheinland, Franken,
Schwaben und Bayern zu gegenseitigem Beistand gegen schwere An-
griffe verpflichtete, das Fortbestehen der standesgenossenschaftlichen
Sonderbünde und deren Vereinigung untereinander als Voraussetzung
ihres Eintritts in die Teileinungen forderten !).
Der König und die Fürsten gingen auf diese Forderung der
Reichsstädte nicht ein, stellten vielmehr auf dem Nürnberger Reichs-
tag 1383 eine Landfriedensordnung fest, nach welcher das ganze Reich
nach dem Vorbild des 1382 in vier Quartiere zerfallenden schwä-
bischen Städtebundes in vier Kreise geteilt werden sollte, deren jeder
in seinem Gebiete für Erhaltung des Friedens zu sorgen hatte und
die einander gegen Angriffe Schutz gewähren sollten ?). Diese vier
„Parteien“, waren: I) die luxemburgischen Hausländer, Böhmen und
1) Deutsche Reichstagsakten I, Nr. 180 (Artikel 29) und 181.
2) Deutsche Reichstagsakten I, Nr. 205. Vgl. außerdem A. Neukirch, Der
niedersächsische Kreis und die Kreisverfassung bis 1542, S. 3. Neukirch begründet
seine Vermutung, daß die Quartiereinteilung des Schw. Städtebundes v. J. 1382 das Vorbild
der Kreiseinteilung des Reiches v. J. 1383 gewesen sei, vor allem damit, daß in der
Mergentheimer Stallung von 1387 die vier Parteien der Fürsteneinung ganz in Parallele
gestellt werden mit denen des Städtebundes.
— 141 —
Brandenburg, und die Herzogtümer Sachsen und Lüneburg; 2) die
vier rheinischen Kurfürstentümer mit Hessen und Baden; 3) Franken
mit der Oberpfalz und der Markgrafschaft Meißen; 4) Lothringen,
Schwaben, Bayern und Österreich, eine Einteilung, die, wie ersicht-
lich, von der üblichen Teilung des Reiches nach der Stammeszugehörig-
keit nicht unwesentlich abweicht; denn sie läßt z. B. bei der Bildung
des ersten und vierten Kreises eine starke Rücksichtnahme auf die
Interessen der Luxemburger und Habsburger unschwer erkennen, faßt
überhaupt ungleichartige, einander ferngelegene Gebiete zu Einheiten
zusammen, die den natürlichen Zusammenhang gewaltsam zerreißen.
Trotzdem muß der Nürnberger Landfriede vom Jahre 1383, im ganzen
betrachtet, als der erste Versuch einer Einteilung des Reiches in
Kreise angesehen werden. Denn wie ihm von Anfang an Fürsten
aller Teile des Reiches angehörten und für die Aufnahme weiterer
Mitglieder aus dem Fürsten- und Herrenstand Vorkehrungen getroffen
waren, so wurde auch mit dem Anschluß der Städte bestimmt gc-
rechnet, also die Ausdehnung des Friedens über das ganze Reich
ins Auge gefaßt und auch die Verpflichtung der Einungsgenossen,
dem König gegen seine und des Reiches Feinde diesseits des lom-
bardischen Gebirges zu helfen, scheint darauf hinzudeuten, daß mehr
als ein gewöhnlicher Landfriede, daß eine Reichseinung zu Vertei-
digungszwecken gegen äußere Feinde geplant war.
Der Reformplan kam infolge des Widerstrebens der Reichsstädte,
die nach der Auflösung ihrer Bündnisse nicht ohne Grund die Unter-
drückung ihrer Selbständigkeit durch die in den Teileinungen maß-
gebende Fürstenmacht fürchteten, nicht zur Durchführung. Nach
einer von König Wenzel in der Heidelberger Stallung 1384 versuchten
Einigung zwischen dem Herrenbund und den süddeutschen Städte-
bündnissen, in der der schwäbisch-rheinische Städtebund als selbstän-
dige Macht anerkannt wurde, kam es zu dem großen Städtekrieg, in
dem die Städte der Fürstenmacht erlagen. Wenzel konnte darum
den 1383 gescheiterten Versuch im Landfrieden von Eger 1389 mit
größerer Aussicht auf Erfolg erneuern. In der Tat mußten die Sädte
in der am 5. Mai 1389 zu Eger errichteten Landfriedensordnung die
Auflösung ihres Bundes zugestehen und sich einer der vom Egerer
Reichstag errichteten sechs Teileinungen anschließen, in denen für
die Aufrechterhaltung des für die nächsten sechs Jahre geltenden
Friedens je neun Männer (vier. fürstliche und vier städtische Vertreter
unter einem vom König zu bestellenden Obmann) sorgen sollten !).
1) Deutsche Reichstagsakten Il, Nr. 72. 73. 74 u. 75.
11*
— 142 —
Die einzelnen Friedensbezirke, die zum Teil erst Ende 1389 und an-
fangs 1390 ins Leben traten, waren: ı) Franken-Bayern, 2) Schwaben,
3) Elsaß (Oberrheingebiet), 4) Rheinland (Mittelrheingebiet), 5) Thü-
ringen-Hessen und 6) Meißen. Diese Einteilung hatte mit der des
Jahres 1383 nichts gemein, baute sich vielmehr im großen und ganzen
auf dem Prinzip der alten Stammesherzogtümer auf. Denn Süddeutsch-
land zerfiel nach den 1389 und 1390 errichteten Teilbriefen in die
drei Friedensbezirke Mainfranken mit Bayern, Schwaben und das ober-
rheinische Alemannien, Mitteldeutschland ebenfalls in drei Teilbezirke:
Rheinfranken, Thüringen und Meißen oder Obersachsen. Die Ver-
einigung von Fürsten, Adel und Städten in den genannten sechs land-
schaftlichen Gruppen Oberdeutschlands und die Verpflichtung dieser
Gruppen zu gegenseitiger Unterstütznng berechtigen uns also, den
Egerer Landfrieden vom Jahre 1389 als die erste durchgeführte
Kreisordnung anzusehen. Daß diese Schöpfung nur kurze Zeit,
kaum ein halbes Jahrzehnt, Bestand hatte, lag nicht an den Mängeln
der Organisation, sondern einesteils an dem Niedergang des König-
tums in dem letzten Jahrzehnt des XIV. Jahrhunderts, dessen Vertreter,
der mehr und mehr in Untätigkeit versinkende Wenzel, den dezen-
tralisierenden Bestrebungen nicht energisch entgegenzutreten vermochte,
andernteils an dem mangelnden Gemeinsinn der Stände, insbesondere
der Reichsstädte, von denen Ulm bereits im Februar 1390 mit elf
benachbarten Städten einen Sonderbund zur Durchführung des Egerer
Landfriedens schloß. Dieser schwäbische Städtebund wurde im April
1391 erneuert und in seinen Bestimmungen auf die Wahrung der
städtischen Freiheiten und Rechte ausgedehnt). Da um dieselbe Zeit
auch neue Ritterbünde sowohl in Westfalen wie in Süddeutschland
entstanden, so blieben die Wirkungen des Egerer Landfriedens nur
auf einzelne Reichsgebiete, insbesondere auf Franken beschränkt und
eine Erneuerung des Friedens erfolgte, als die sechs Jahre seiner
Dauer abgelaufen waren, wohl auch nur in diesem Gebiet. Wenzel
nahm die Bemühungen um einen allgemeinen Reichsfrieden auf dem
Frankfurter Reichstag 1398 noch einmal auf; doch die Lage im Reich
hatte sich für den König damals schon so ungünstig gestaltet, daß
an eine Erneuerung der alten Pläne eines das ganze Reich umfassen-
den Landfriedens mit Kreiseinteilung nicht zu denken war, vielmehr
nur in einzelnen Teilen, wie in Franken und im Mittelrheingebiet,
Landfrieden aufgerichtet wurden ?). |
1) Deutsche Tleichstagsakten II, Nr. 134 und 135.
2) Deutsche Reichstagsakten III, Nr. 10 und 15.
— 143 —
Der erste Versuch des Königtums, durch den Zusammenschluß
der drei großen Ständegruppen in den Hauptlandschaften Oberdeutsch-
lands ein die Kernlande des Reiches umfassendes Landfriedenssystem
aufzurichten, war damit gescheitert. Erst die Not der Hussitenkriege,
deren erfolgreiche Durchführung die Beilegung der vielen Fehden im
Reich und die Aufrechterhaltung des Landfriedens durch geeignete
Exekutionsorgane zur Voraussetzung hatte, ließ die Pläne der ersten
Regierungsjahre Wenzels wieder aufleben. Die Persönlichkeit des
damaligen Herrschers in Deutschland, des Luxemburgers Sigmund,
schien auch für das Gelingen der Reformversuche, die sich, wie auf
die Befriedung des Reiches im Innern, so auch auf die Organisation
seines Heerwesens erstreckten, eine bessere Bürgschaft zu bieten als
das inkonsequente Verhalten des Königs Wenzel.
Als Sigmund den deutschen Königsthron bestieg, hatte zwar die
scharfe Spannung zwischen Fürsten und Städten, an der Wenzels Re-
form gescheitert war, nachgelassen; aber der alte Gegensatz, der in
der Tiefe ungeschwächt weiterschlummerte, brach sofort wieder hervor,
wenn an die eine oder andere Gruppe der Stände die Forderung ge-
stellt wurde, im Interesse der Allgemeinheit Opfer zu bringen. Nach
der Lage der Dinge im Reich am Anfang des XV. Jahrhunderts waren
es die Reichsstädte, die bei der von Sigmund 1415 vorgeschlagenen
Reichsreform einen Teil ihrer Privilegien hätten aufgeben müssen und
die deshalb wiederum, wie ein Menschenalter zuvor, sich den Wün-
schen des Königs versagten. l
Der von Sigmund auf dem Konstanzer Reichstag 1415 den Ständen
vorgelegte Reformentwurf, der sich im ganzen an die Entwürfe Wenzels
anlehnte, nahm eine Vierteilung des Reiches [1) Franken, 2) Schwaben,
3) Mittelrheingebiet mit dem Elsaß und 4) Thüringen mit Meißen und
Hessen] in Aussicht, wobei jedem Teil ein Hauptmann von des Reiches
wegen bestellt werden sollte und dieser mit Beigeordneten der Fürsten
und Städte den Frieden zu wahren und die Urteile zu vollstrecken
hatte. Die einzelnen Teile, über die der König einen gemeinen
Hauptmann setzen wollte, waren verpflichtet, einander in schweren
Sachen beizustehen !). Die Städte lehnten den Grundgedanken des
Reformprojektes, Herren und Städte in jedem Viertel unter einem
Hauptmann zu vereinigen, einstimmig ab, schlugen vielmehr zur Wah-
rung ihrer Gerechtsame vor, daß in jedem Kreis zwei Hauptleute,
ein fürstlicher und ein städtischer, unter Assistenz von Beigeordneten
1) Deutsche Beichstagsakten VI, Nr. 180 und 182.
— 144 —
des gleichen Standes des Richteramtes walten sollten, und daß sich
die gegenseitige Hilfeleistung nur auf die drei süddeutschen bzw. west-
deutschen Kreise erstrecken sollte, da der vierte Kreis Thüringen-
Meißen den süddeutschen Städten „ungelegen ‘“ sei !).
Mit dieser ablehnenden Haltung der Städte war der erste Versuch
Sigmunds, das Rechtswesen im Reiche zu verbessern, gescheitert, und
der König überließ nun, von seinen Hausinteressen in Anspruch ge-
nommen, das Reich jahrelang sich selbst. An Stelle des mit der
Niederwerfung Böhmens beschäftigten Königs wurden die Fürsten,
insbesondere die Kurfürsten, die Träger der Reichsreformbewegung,
und die von ihnen gemachten Vorschläge beschränkten sich nicht
bloß auf die Verbesserung der Rechtszustände im Reich, sondern
befaßten sich auch, um den von dem König an sie gebrachten For-
derungen ausgiebiger Reichshilfen gegen die Hussiten nachzukommen,
mit der Ordnung des Heer- und Finanzwesens und gelangten so von
zwei Seiten zu einer Kreiseinteilung des Reiches.
Was den Inhalt der kurfürstlichen Friedensprojekte betrifft, so
unterschieden sich dieselben kaum von denen Sigmunds; auch sie
wollten Fürsten, Herren und Städte in den Hauptgebieten des Reiches
durch lokale Landfrieden vereinigen, die ihre Urteile gegenseitig an-
erkennen und bei schweren Angriffen einander helfen sollten. Ein
auf dem Frankfurter Fürsten- und Städtetag 1423 von den Kurfürsten
vorgelegter Entwurf forderte eine Vereinbarung der Hauptleute der vier
Landfriedensbezirke am Rhein, in Franken, in Schwaben und im Elsaß ?).
Aber die Städte, besonders die schwäbischen und die Elsässer,
wollten von einem Landfrieden, durch den sie ihre standesgenossen-
schaftlichen Einungen hätten aufgeben müssen, zu Frankfurt 1423
ebensowenig etwas wissen wie die Herren und Ritter. Als einige
Jahre darnach auf dem berühmten Frankfurter Reichstag von 1427 die
Fürsten den Vorschlag, das Reich zur Wahrung des Landfriedens in
vier Parteien zu teilen, die einander behilflich sein sollten, wieder-
holten, antworteten die schwäbischen Ritter und Knechte, daß sie an
ihrer Einung von St. Georgenschild ihr Begnügen hätten; die Kölner
und die Straßburger aber redeten sich bei ihrer Ablehnung darauf
hinaus, daß sie ohne die Einwilligung ihrer „Umsessen* in der Sache
nicht handeln könnten 3).
I1) Deutsche Reichstagsakten VII, Nr. 181, 184 und 185.
2) Deutsche Reichstagsakten VII, Nr. 272. Entwurf einer Vereinbarung der
Hauptleute der vier Landfrieden am Rhein, in Franken, Schwaben und dem Elsaß.
3) Deutsche Reichstagsakten IX, Nr. 69 und 70.
— 145 —
Scheiterte der Gedanke einer Kreiseinteilung des Reiches zur
Wahrung des Friedens 1427 an dem Mißtrauen der Reichsstädte und
der Reichsritter, so schien dagegen der infolge der schimpflichen Nie-
derlage der Deutschen durch die hussitischen Böhmen vom 4. Aug. 1427
bei Mies auftauchende Plan einer Reichssteuer, wenn er durchgeführt
wurde, für die Zukunft zu einem ähnlichen Ergebnis zu führen wie die
Landfriedensbestrebungen, nämlich zu einer Vierteilung der Kernlande
des Reiches, wenn dabei auch andere Gesichtspunkte maßgebend
waren als bei den Landfriedenskreisen.
Nach dem Reichskriegssteuergesetz vom 2. Dez. 1427, nach dem
die „Hussensteuer“ bekanntlich von Laien und Geistlichen nach ver-
schiedenen Steuersätzen erhoben wurde !), zerfiel das Reich in fünf
große Steuerbezirke, die, von den italienischen Kommunen (Venedig,
Genua, Florenz) und den Staaten Nord- und Osteuropas abgesehen,
in erster Linie nach den Kirchenprovinzen Deutschlands angeordnet
waren, des weiteren aber die Abhängigkeit der einzelnen Bezirke von
der Stammeseinteilung nicht verkennen ließen 2).
Der erste Steuerbezirk mit der Legstadt Salzburg umfaßte die
Gebiete der Erzdiözese Salzburg östlich der bayerischen Grenze,
also exklusive der Bistümer Passau, Regensburg und Freising, die als
bayerische Bistümer zum zweiten Steuerbezirk gehörten.
Diesen zweiten Steuerbezirk mit der Legstadt Nürnberg bil-
deten die Gebiete der Südhälfte der Erzdiözese Mainz und der
Erzdiözese Trier; der Bezirk begriff also die vier Lande Bayern,
Franken, Schwaben und Lothringen in sich und umfaßte somit das
Kerngebiet des Reiches.
Der dritte Steuerbezirk mit der Legstadt Köln bestand aus
den Herrschaften, Bistümern, Abteien und Prälaturen der Erzdiözese
Köln, umfaßte also die niederrheinisch - westfälischen Gebiete.
Der vierte Bezirk mit der Legstadt Erfurt wurde gebildet von
den weltlichen und geistlichen Gebieten der Nordhälfte der Erz-
diözese Mainz und der Erzdiözesen Magdeburg und Bremen,
1) Jeder Laie zahlte einen Groschen, jeder Geistliche zwei Groschen, die weniger
bemittelten Laien mit einem Vermögen von 200—1000 fl. einen halben Gulden , die
bemittelten Laien mit einen Vermögen von mehr als 1000 fl. einen Gulden, die mit
Pfründen begabten Kleriker von je 100 fl. Einkommen fünf Gulden, dazu die Adligen
eine nach dem Range (ob Graf, Freiherr, Ritter oder Edelknecht) abgestufte Standessteuer.
2) Deutsche Reichstagsakten IX, Nr. 76 (die fünf Legstädte und ihre Bezirke),
außerdem v. Bezold, Kaiser Sigmund und die Reichskriege gegen die Hussiten,
II, S. 129.
— 146 —
umfaßte also die Länder Hessen, Thüringen und Sachsen inklusive
die Hansastädte. |
Der fünfte Steuerbezirk endlich mit der Legstadt Breslau
begriff außer den drei skandinavischen Königreichen und dem König-
reich Polen samt Littauen, die selbstverständlich ebenso wie die
italienischen Republiken nur zum Schein zur Besteuerung im Reich
herangezogen waren, die zu den Erzdiözesen Gnesen und Riga
gehörigen Herzogtümer Pommern und Schlesien und das deutsche
Ordensland. Auch die letztgenannten deutschen Reichsgebiete er-
wiesen sich, wie die Folgezeit lehrte, als völlig unergiebig für die
geplante Reichskriegssteuer und es bleiben deshalb nach Weglassunng
des fünften, tatsächlich nicht in Betracht kommenden Bezirkes an der
Nordostgrenze des Reiches vier Kreise übrig, deren Auszeichnung,
rein geographisch betrachtet, als glücklicher bezeichnet werden muß,
als die im Jahre 1383 durch den Nürnberger Landfrieden vorgenommene
Vierteilung; denn die vier Steuerbezirke Salzburg, Nürnberg, Köln und
Erfurt deckten sich im großen und ganzen mit den vier großen Indi-
vidualitäten des deutschen Landes, dem südöstlichen Alpenland, dem
südwestdeutschen Stufenland, dem nordwestdeutschen Tiefland und
der mitteldeutschen Gebirgsschwelle samt dem angrenzenden Teil des
nordostdeutschen Tieflandes.
Der Reichssteuerplan ist bekanntlich teils infolge der Unvoll-
kommenheiten des Besteuerungsmodus selbst, teils wegen des mangeln-
den Gemeinsinns der Mehrzahl der Reichsstände gescheitert, und damit
ist auch die durch das Projekt entstandene Fünf- bzw. Vierteilung des
Reiches bald wieder in Vergessenheit geraten.
Eine tiefergehende Wirkung und eine größere Kontinuität als
die 1427 versuchte Einteilung des Reiches in große Steuerbezirke
hatte die 1431 zu Nürnberg gemachte Gliederung des gegen die
Hussiten aufgebotenen Reichsheeres in Rotten oder Armeeinspektionen,
wie wir im modernen Deutsch sagen würden. Bei dem Aufgebot des
Reichsheeres in dem vorhergehenden Jahrzehnt hatte man sich zu-
nächst begnügt, das Reichsheer in zwei große Gruppen, eine südwest-
deutsche und eine nordostdeutsche Armee, zu teilen, hatte 1427
allerdings neben diesen beiden Reichsheeren noch zwei weitere Heere,
ein österreichisches und ein schlesisches, aufgestellt, so daß das ganze
Reichsheer aus vier Armeeteilen zusammengesetzt war !).
Die Heerordnung von 1431 teilte das Reichsheer in sieben Rotten,
1) Deutsche Reichstagsakten IX, Nr. 30 und 31.
— 147 —
jedoch so, daß die siebente Rotte, das reichsstädtische Korps, sich
an eine der sechs anderen Rotten anzuschließen hatte, so daß im
ganzen doch nur sechs Heeresteile vorhanden waren. Diese sechs
Rotten waren: 1) das österreichische Heer, 2) das südwest-
deutsche, aus Bayern, Franken und Schwaben bestehende Heer,
3) das rheinische Heer, 4) das aus Hessen, Thüringern und Ober-
sachsen bestehende mitteldeutsche Heer, 5) das niedersäch-
sische Heer und 6) das schlesisch-preußische Heer !).
Die Rekrutierungsbezirke der drei ersten Heeresteile und des
sechsten Armeekorps fielen, wie man sieht, mit den entsprechenden
vier Steuerbezirken vom Jahre 1427, dem 1., 2., 3. und 5. zusammen,
dagegen war der vierte, der Erfurter Steuerbezirk, für die Zwecke. der
Heeresaufstellung in zwei Quartiere, in Thüringen-Meißen und Nieder-
sachsen, zerlegt. Diese Einteilung erinnerte durch ihre Sechszahl wohl
an die unter "Wenzel versuchte Kreiseinteilung des Reiches, unter-
schied sich aber sonst wesentlich von dieser durch die Einbeziehung
der österreichischen und niederdeutschen Gebiete in ihren Umkreis.
Im ersten Drittel des XV. Jahrhunderts war man also von zwei
Gesichtspunkten aus zu einer Fünf- bzw. Sechsteilung des Reiches ge-
kommen. Die Landfriedensbestrebungen hatten in Süddeutschland
drei Friedensbezirke, Franken-Bayern, Schwaben und Elsaß, im Norden
des Reiches zwei solcher Bezirke, das Rheinland und Thüringen-Meißen,
geschaffen, die Rücksichten auf die Heeresorganisation hatten durch
die Zweiteilung Süddeutschlands (die österreichischen Alpenländer und
das südwestdeutsche Landbecken) und Norddeutschlands (Thüringen-
Meißen und Niedersachsen) und durch die Aufstellung eines das ganze
Rheingebiet umfassenden Armeebezirks und eines Heeresteils der ab-
seits gelegenen nordostdeutschen Gebiete (Schlesien und Ostpreußen)
zu einer Sechsteilung geführt. Dem vierten Jahrzehnt des Jahrhunderts
schien es nun vorbehalten zu sein, die beiden bisher sich zum Teil
berührenden Flußlinien, auf denen die Reform des Rechtswesens und
der Wehrverfassung sich bisher bewegt hatte, zu einem Strom zu-
sammenzufassen und den Reformideen durch eine gesetzlich festgelegte
Kreisverfassung eine unabänderliche Gestalt zu geben. Diese Bewegung,
die schon in den letzten Jahren Sigmunds auf den Frankfurter Reichs-
tagen 1434 und 1435, sodann auf dem Egerer Reichstag 1437 unter
günstigeren Auspizien als am Beginn der Regierung des letzten Luxem-
burgers begonnen, setzte während der kurzen Regierung König
ı) Deutsche Reichstagsakten IX, Nr. 410.
— 148 —
Albrechts II. mit aller Macht ein, ist aber nach dem zu frühen Tode
dieses Herrschers wiederum in den Sand verlaufen,
Auf dem Egerer Reichstag 1437 hatte Sigmund noch einmal den
Versuch gemacht, die Unsicherheit des Rechtszustandes durch eine
die Vorschläge vom Jahre 1435 erneuernde Kreiseinteilung zu beseitigen,
war aber infolge des Verlangens der Fürsten, Adel und Städte in den
Friedensbezirken ihrer Jurisdiktion zu unterstellen, abermals nicht zum
Ziel gekommen !).
Wenige Monate nach Schluß des Egerer Reichstages starb Kaiser
Sigmund und hinterließ damit die Durchführung der Reichsreform
seinem Nachfolger, dem tüchtigen Albrecht II., der dann auch, be-
raten von dem von Sigmund übernommenen Kanzler K. Schlick, sofort
nach seinem Regierungsantritt an die schwicrige Aufgabe mit Ernst
und Umsicht herantrat. Schon die einleitenden Worte zu dem auf
Albrechts erstem Reichstag (Nürnberg im Juli 1438) vorgelegten Land-
friedensentwurf bekunden eine ganz andere Auffassung von der könig-
lichen Gewalt und Macht, als sie der weichmütige Sigmund besessen
hatte 2). Aber vor allem stellten die zwei ersten Teile des Entwurfes,
die Bestimmungen über die Aufrichtung und den Fortgang einer ge-
sicherten Rechtsprechung und solche über das Fehdewesen enthielten,
einen ganz bemerkenswerten Anlauf zur Besserung der verfahrenen
Rechtszustände dar 3). Die Grundgedanken des sich an kurfürstliche
Vorschläge lehnenden Landfriedensentwurfs Albrechts II. waren:
A. 1) Zwistigkeiten sind entweder durch „Austrag‘“, d. h. schieds-
richterlichen Spruch, oder durch ordentliche Gerichte, die
1) Deutsche Reichstagsakten XI, Nr. 93, 94 und 95. — Wie lebhaft sich die
öffentliche Meinung in dieser Zeit mit dem Problem einer territorialen Gliederung des
Reiches beschäftigte, beweist die Tatsache, daß auch die Publizistik den Gedanken
erörterte. Nikolaus von Cues schlug in seiner zur Zeit des Basler Konzils verfaßten
Concordantia catholica, Kap. 33, die Einteilung des Reichs in 12 Provinzen vor: in
jeder Provinz solle ein mit einem Adligen, einem Geistlichen und einem Bürgerlichen
als Richtern besetzter Gerichtshof in allen auftauchenden Rechtsfragen entscheiden.
2) Sintemal wir von miltegkeit des almechtigen Gottes zu unser hohen kunig-
lichen gewalt und macht geordnet und gesatzt sind, ist es wol billich, daß wir unser
pflicht völlicklichen erstrecken. Darum mit gutem rate unser und des hig. Reichs
kurfürsten, ander fürsten etc. und von römisch kuniglicher crafft, macht und
gewalt setzen und wollent wir, daß ein yglicher ... N. Sammlung der Reichs-
abschiede 1, S. 154 etc.
3) Vgl. für den Nürnb. Julireichstag 1438 außer J. Janssen, Frankfurts Reichs-
korrespondenz I, Nr. 806, die N. Sammlung der Reichsabschiede S. 134 u. die betrefi.
Akten des Nürnb, Kreisarchivs, Saal VI, 101/02.
— 149 —
für Glieder verschiedener Standesklassen und für die Arten
der Streitobjekte genau bestimmt werden, zu entscheiden.
2) Unmittelbar unter dem Reiche stehende Kläger und Be-
klagte haben die vom König in den sechs Kreisen des
Reiches eingesetzten Gerichte als Obergerichte zur Be-
rufungsinstanz.
3) Das königliche Hofgericht soll mit weisen, verständigen
Rittern und Gelehrten bestellt werden.
B. ı) Die gewaltsame Selbsthilfe im Innern des Reiches ist nicht
nur auf eine bestimmte Zeit, sondern von jetzt ab für
immer verboten. |
2) Zur Bestrafung der Landfriedensbrecher und zur Voll-
streckung der Urteile der Obergerichte wird das Reich
unter Ausschluß der habsburgischen Erblande in sechs Kreise,
Franken, Bayern, Schwaben, Ober- und Mittelrheingebiet,
Niederlande, Sachsen, geteilt, deren Leitung den von den
Ständen gewählten, an die Mitwirkung von zehn Räten ge-
bundenen Hauptleuten zusteht !).
3) Den Kreishauptleuten steht das Recht zu, im Falle der
Unmöglichkeit der Bestrafung eines Ungehorsamen ihres
Kreises die nachbarlichen Kreishauptleute und schließlich
den König zur Hilfeleistung aufzurufen.
Wie stellten sich nun die Stände, vor allem die Städte, auf deren
Entgegenkommen Albrecht II. bei seinen vermittelnden Vorschlägen
wohl vor allem gerechnet hatte, zu dem königlichen Entwurfe? Da
ist denn zu konstatieren, daß die Kurzsichtigkeit der Städte, ihr klein-
liches Festhalten an den von ihnen erworbenen Sonderrechten und
die Furcht vor zu großen finanziellen Opfern — die Kosten der
Organisation sollten nämlich nach den Ratschlägen der Kreise vom
Könige festgesetzt werden — die Sache zum Scheitern brachte ?).
ı) Durch Trennung Bayerns von Franken, die in den Landfriedensprojekten der
luxemburgischen Kaiser nur einen Bezirk gebildet hatten, sowie durch die Sonderung des
oberrheinischen Gebietes von dem Niederland einerseits, durch die Vereinignng der Thü-
ringischen Lande mit Meißen und Sachsen zu einem Kreis anderseits, war man auf die
bereits unter Wenzel geplante Sechsteilung des Reiches zurlickgekommen. Diese
Tatsache ist um so bemerkenswerter, als kurz vorher die Rotteneinteilung des Reichs-
heeres za demselben Resultat, nämlich auch zu einer Sechsteilung des Reiches geführt
hatte, wobei allerdings die in den Landfriedensgerichten außer acht gelassenen öster-
reichischen Erblande und Preußen-Schlesien mit inbegriffen waren,
2) Für die Kreisverfassung erklärten sich, jedoch auch nur bedingt, die elsässischen
Städte und die Neckarstädte von den schwäbischen Städten, sodann Nürnberg und Regens-
— 150 —
Auf dem im Oktober 1438 stattfindenden zweiten Nürnberger Reichs-
tag, auf den wegen Nichteinigung der zwei großen Ständegruppen
die Entscheidung über den Landfriedensentwurf verschoben worden
war, ließ Albrecht infolge des Einspruchs der Städte, die den König
inzwischen durch eine einmalige ausgiebige Hilfe für seine Kämpfe im
Osten (Schlesien und Ungarn) für sich gewonnen hatten, den Plan,
Kreise zu bilden, ganz fallen und nahm so aus dem ganzen Reform-
werk den wertvollsten Teil, die Einsetzung überwachender Exekutiv-
organe, heraus!). Die ganze Bewegung, die im günstigsten Fall zu
einem inhaltslosen, befristeten Landfrieden geführt hätte, war damit
nach hoffnungsvollen Ansätzen abermals in den Sand verlaufen und
wieder waren es die Städte, die dem Königtum die letzte Gelegenheit,
dem Reich Friede und Recht zu sichern und ihm zugleich eine kräftige
Stütze gegen die Sondergewalten zu verschaffen, verdorben hatten.
Erst nach einem Menschenalter sollte von den Ständen selbst ein
neuer Versuch zur Verbesserung des Reichsjustiz- und Heerwesens
gemacht werden. Aber nun stand kein städte- und reformfreundlicher
König mehr an der Spitze des Reiches, sondern der dem Städtewesen
und durchgreifenden Reformen abgeneigte Friedrich III., bei dessen
Saumseligkeit von vornherein auf eine Aussöhnung der ständischen
Gegensätze geringe Hoffnung zu setzen war.
2. Die Kreisverfassungsentwürfe von 1454 bis 1481.
Den Anlaß zu erneuerten Rufen nach Reformen im Reich unter
Friedrich III. gab ein großes europäisches Ereignis, die Eroberung
Konstantinopels durch die Türken am 29. Mai 1453. Der Eindruck
dieser Niederlage auf das christliche Abendland, insbesondere auf das
durch innere Fehde zerrissene Deutschland, war zu gewaltig, als daß
nicht auch der energielose Kaiser zu Maßregeln zur Abwehr der
drohenden Gefahr sich hätte gedrängt fühlen müssen. Im Ein-
verständnis mit dem Papste Nikolaus V., der schon im September
1453 eine große Kreuzzugsbulle an die gesamte Christenheit erlassen
burg. Vgl. hierziı den Abschied des Konstanzer Städtetages vom 24. Aug. 1438 bei
Janssen I, 456 etc. Die rheinischen und die schwäbischen Städte weren in der Mehr-
zabl gegen jede Kreisverfassung.
1) Vgl. außer J. Janssen, Frankfurts Reichskorrespondene Nr. 824 und 825
die Akten des Nürnb. Kreisarchivs (Saal VI, 101/02) über die Verhandlungen des Kon-
stanzer Städtetages v. Aug. 1438, außerdem dic sehr bezeichnenden Bemerkungen des
Nürnberger Rates an Berth. Volkhamer, den Hauptmann des Nbg. Truppenteils in
Böhmen, v. 6. Sept. 1438. Nbg. Briefbuch 13, Fol. 219.
4
— 151 —
hatte, schrieb Friedrich III. für den April 1454 nach Regensburg
einen Reichstag aus, auf dem eine Hilfe gegen die Türken beschlossen
werden sollte. In derselben Zeit, da die beiden Häupter der abend-
ländischen Christenheit zum Kampf gegen die Ungläubigen auffor-
derten und von den Ständen Opfer für das Reich gebracht werden
sollten, wurde der Ruf nach Reform in den deutschen Landen wieder
wach. Da der Kaiser, durch innere Wirren in seinen Erblanden fest-
gehalten, sich der an ihn gerichteten Aufforderung versagte, so nah-
men sich die Kurfürsten, die geborenen Hüter des Reiches, der Re-
formbewegung an und suchten dieselbe für eine Steigerung der kur-
fürstlichen Macht auszunutzen. Nach dem von dem Kurfürsten Jakob
von Trier gemachten Abschied zwischen geistlichen Kurfürsten sollte
behufs der Exekution des Landfriedens das Reich in drei Teile ge-
teilt werden, an deren Spitze je ein weltlicher Kurfürst als capitaneus
der execution stehen sollte!). Die starke Berücksichtigung der kur-
fürstlichen Interessen hatte also eine wesentliche Abweichung von der
früheren Kreiseinteilung des Reiches zur Folge. In der Einteilung des
von dem Frankfurter Reichstag 1454 gegen die Türken bewilligten
Reichsheeres, das in sechs Rotten zerfallen sollte, zeigte sich da-
gegen eine ziemlich weitgehende Übereinstimmung mit der zur Zeit
der Hussitenkriege getroffenen Gliederung des Reiches in Steuer-
bezirke 2. Läßt man nämlich die von Burgund zu bildende Heeres-
abteilung als ein doch nur fiktives Truppenkorps außer acht, so finden
wir 1454 eine reichsstädtische, eine österreichisch - bayerische, eine
südwestdeutsche (aus Schwaben, Niederösterreich, Elsaß und Tirol
sich rekrutierend), eine rheinische und eine sächsische Truppenabtei-
lung, letztere 1454 mit den fränkischen Kontingenten vereinigt. Da
die reichsstädtischen Truppen im Jahre 1454 sich selbstverständlich
ebenso wie 1431 im Kriegsfalle an eine der übrigen Rotten an-
zuschließen hatten, so ergab die Heeresgliederung des Frankfurter
Reichstages von 1454, von der schon einmal unter Wenzel ver-
suchten Zuteilung Frankens zu Sachsen-Thüringen abgesehen, genau
dieselbe Vierteilung des Reiches wie bei der Reichskriegssteuer 1427,
nämlich Südost-, Südwest-, Nordwest- und Nordostdeutschland.
Die Verquickung der fürstlichen Landfriedensprojekte mit dem
von einem Teil der Kurfürsten gehegten Plan der Einsetzung eines
Reichsregimentes brachte die Reformbestrebungen der fünfziger Jahre
1) Ranke, Deutsche Geschichte VI, 9.
2) H. Gg. König v. Königsthal, Nachlese ungedruckier Reichstagshand-
lungen unter K. Friedrich III. 1, sı ft.
— 152 —
zum Scheitern; denn Kaiser Friedrich III. benutzte die unter den Kur-
fürsten, besonders dem Hohenzollern Albrecht Achilles und dem
Wittelsbacher Friedrich von der Pfalz, bestehende Rivalität, die ein-
zelnen Fürsten gegeneinander auszuspielen und so alle Reformprojekte
zu vereiteln. Erst nach dem Ausgang des Kampfes zwischen Wittels-
bach und Hohenzollern am Anfang der 1460er Jahre kam es zu wei-
teren Versuchen, die Landfriedensbewegung in neue Bahnen zu lenken,
die scheinbar der Wohlfahrt des ganzen Reiches, in Wirklichkeit aber
der einseitigen Stärkung einzelner Fürstenhäuser, der Hohenzollern
einerseits, der Wittelsbacher anderseits, dienen sollten, und die schon
deshalb keine dauernden Ergebnisse haben konnten.
Die beiden Dynastien, die sich im Kriege 1461/62 nicht völlig
hatten niederwerfen können, suchten die nach Beendigung des Kampfes
in Süddeutschland sich einstellende friedliche Stimmung zu benutzen,
um die Gegenpartei durch Landfriedenseinungen in Franken und
Schwaben, wo das Bedürfnis nach solchen am stärksten war, zu um-
klammern und so für sich selbst unschädlich zu machen. Den An-
fang mit diesen Projekten machte der Landshuter Herzog Ludwig
der Reiche; im Anfang 1465 schloß er mit Sigmund von Tirol, den
Herzogen von München, dem Kardinal von Augsburg, dem Grafen
Eberhard von Württemberg, den Städten Augsburg, Ulm, Aalen,
Giengen und Memmingen einen dreijährigen Landfrieden. Der Kaiser
suchte durch eine gleichartige Vereinigung mit Sigmund von Tirol
und den schwäbischen Herren und Städten, sodann durch Anschluß
an die wittelsbachische Einung der letzteren die gegen die Hohenzollern
gerichtete Spitze abzubrechen und die Vorteile der Organisation sich
zugute kommen zu lassen !\, Als aber die Wittelsbacher ihre Einung
durch Verbindungen nach allen Seiten zu erweitern sich bestrebten
und Ende 1465 mit einem neuen, von dem Böhmenkönig Georg
Podiebrad inspirierten Reichsreformplan hervortraten, wonach je zwei
Fürsten von Bayern, Hessen, Brandenburg, Sachsen und
Böhmen einen Bund schließen und durch regelmäßige jährliche Ver-
sammlungen in Nürnberg für eine gute Regierung im Reiche Sorge
tragen sollten, setzte Markgraf Albrecht von Brandenburg mit einem
von Kaiser Friedrich III. gebilligten Gegenschachzug ein, indem er
auf den im Februar zu Ulm, im März und Mai 1466 zu Nördlingen
stattfindenden Tagen einen zünächst Südwestdeutschland (Franken und
1) V. v. Kraus, Deutsche Geschichte im Ausgang des Mittelalters 1438 bis
1486, S. 449.
— 153 —
Schwaben) umfassenden Landfriedensbund aufzurichten sich bemühte,
dem, mit unverkennbarer Beziehung auf die Idee der Vierteilung des
Reiches, die drei anderen „Ort“, die Gebiete am Rhein, sodann
Thüringen, Sachsen und Meißen, und endlich Österreich
mit Bayern!) sich anschließen sollten. Der Plan des Markgrafen
scheiterte an dem Mißtrauen der Städte, die befürchteten, daß der
„Landfriedmeister‘ und seine ‚Zusetzer‘“, über deren Wahl der von
dem Markgrafen vorgelegte Entwurf nichts enthielt, ihre Befugnisse
zum Nachteil der Städte benutzen möchten.
Es zeigte sich also bei der ersten Wiederaufnahme der seit einem
Menschenalter ruhenden kaiserlichen Landfriedensbestrebungen sofort
auch die Notwendigkeit einer Gliederung des Reiches in Kreise, und
dieselbe Beobachtung können wir bei den Verhandlungen der bei-
den Nürnberger Reichstage von 1466 und 1467, des Regensburger
Reichstages von 1471 und des Augsburger Reichstages von 1474
über die Aufrichtung des Landfriedens und einen Anschlag zum Türken-
krieg machen. Nachdem Markgraf Albrecht als Vertreter des Kaisers
auf dem Nürnberger Reichstag vom Spätherbst 1466 den Städten in
Anlehnung an das Projekt vom Frühjahr — Errichtung eines Land-
friedens zunächst in Franken und Schwaben — einen Entwurf vor-
gelegt hatte, dieser aber von den Städten auf den Städtetagen zu
Donauwörth (Ende 1466) und zu Ulm (Anfang 1467) dilatorisch be-
handelt worden war, machte ein Teil der Städte, nämlich die frän-
kische Gruppe, auf dem im Sommer 1467 stattfindenden Nürnberger
Reichstag den Vorschlag, das Reich zur Durchführung des Friedens
in Kreise zu teilen. Der von dem Vertreter Nürnbergs, Jobst Tetzel,
gemachte Vorschlag fand wie bei der Mehrheit der Städte so bei den
Fürsten keinen Anklang und hat deshalb auf die Gestaltung des vom
Kaiser am 20. August 1467 verkündeten Landfriedens keinen Einfluß
gehabt ?). |
Auch die an die Aufstellung eines Heeres von etwa 20000 Mann
gegen die Türken sich anschließende Heeresordnung von 1467, wo-
nach das Reichsheer in zehn Gruppen [1) österreichische, 2) böh-
mische, 3) bayerisch-schwäbisch-fränkische, 4) schweizerische, 5) lo-
1) Neue Sammlung der Reichsabschiede I, S. 198 und Nr. 1601 der D -Akten
des Nürnberger Kreisarchivs.
2) Vgl. hierzu außer dem Sammelband 1601 der D-Akten des Nürnb. Kreisarchivs
(bis Ende 1466 reichend) den 1. Band der Nürnb. Reichstagsakten (Nbg. Kreisarchiv),
sowie die älteren Werke von Datt, Volumen rerum Germanicarum, S. 186 ff., und
J. J. Müller, Reichstagstheater II, S. 280.
— 154 —
thringisch-savoyische, 6) mittelrheinische, 7) burgundische, 8) nieder-
theinische, 9) obersächsische, 10) niedersächsische Abteilung] sich
gliedern sollte, hatte praktisch geringen Wert. Denn vier von diesen
Truppenabteilungen (die böhmische, die schweizerische, die lothring-
ische und die burgundische) waren, wenn ihre Rekrutierungsbezirke
auch nominell zum Reiche gehörten, tatsächlich für die Aufbringung
des Reichsheeres bedeutungslos, da sich die Fürsten dieser Gebiete
um die Gebote des Kaisers bzw. der Reichstage nicht kümmerten.
Es blieben also nach Abzug dieser vier von dem Reiche tatsächlich
unabhängigen Gebiete 1467 nur sechs Kreise übrig, die bei der
Bildung eines Reichsheeres in Betracht kamen. Das Bewußtsein der
Reichsstände von der Zuverlässigkeit dieser sechs Reichskreise gibt
sich auch darin zu erkennen, daß für die auf dem Reichstag nicht
anwesenden Stände ebenfalls sechs mit den sechs zuverlässigen Aus-
hebungsbezirken zusammenfallende Kreise gebildet waren, deren
Ständen die vornehmsten Fürsten (in dem österreichisch - bayerischen
Kreis der Erzbischof von Salzburg, in dem fränkisch -schwäbischen
Kreis der Bischof von Augsburg, in dem mittelrheinischen Kreis der
Ersbischof von Mainz, in dem niederrheinischen Kreis die Erzbischöfe
von Köln und Trier, in dem obersächsischen Kreis der Kurfürst von
Sachsen, in dem niedersächsischen Kreis [Mark und Ostsceländer] der
Markgraf von Brandenburg) die zu Nürnberg vereinbarten Anschläge
mitzuteilen hatten !).
Im Zusammenhang mit dieser Sechsteilung des Reiches für die
Zwecke der Heeresorganisation steht wohl auch die auf dem gleichen
Nürnberger Reichstag vorgeschlagene Teilung der deutschen Lande
in sechs Teile behufs der Besetzung des mit 24 Urteilern zu bestel-
lenden Kammergerichtes. Denn wenn auch diese sechs Teile in dem
Nürnberger Reichstagsabschied vom Jahre 1467 nicht ausgezeichnet
sind, so geht man doch kaum fehl, wenn man die ungefähre Über-
einstimmung derselben mit den sechs oben genannten Rekrutierungs-
kreisen annimmt. Die Entwürfe der folgenden Reichstage (Regensburg
1469 und 1471, Augsburg 1474) gingen über die organisatorischen
Fragen sowohl auf dem Gebiet des Gerichtswesens wie des Reichs-
heerwesens leichter hinweg. Auf dem Regensburger Reichstag von
1471 wollte ein anonymer Entwurf die Frage der Exekution des Land-
friedens zwar in der Weise regeln, daß das Reich in vier Kreise ge-
1) 1. Bd. der Nürnberger Reichstagsakten, S. 200 ff, und König v. Königs-
thal, Nuchlese ungedruckter Reichstagsakten II, S. 16 ff.
— 155 —
teilt und in jedem Kreis eine feste Gerichtsbehörde (in Frankfurt, Metz,
Dortmund und Mühlhausen) eingerichtet werden sollte. Aber der
anonyme Vorschlag, der in der Sitzung vielleicht gar nicht zur
Verlesung kam, fand seitens der Stände keine Berücksichtigung !).
Behufs der Einhebung der Reichsteuer, die von dem Regensburger
Reichstag für eine sogenannte große Reichshilfe bewilligt worden war
— der ı0. Pfennig von jeder Zinsung und Gülte, der 25. Teil von
Bargeld und Betriebskapital —, wurde das Reich in Kreise geteilt, in
welchen geistliche Fürsten, und zwar als kaiserliche Kommissare, alle
darin gesessenen Stände zu sich entbieten, ihnen den gemeldeten
Anschlag verkünden und sie zur Verteilung des Anschlags nach ihrem
Vermögen auffordern sollten 2. Die Aufforderungen des Kaisers an
die einzelnen Kreise sind nach den vorliegenden spärlichen Berichten
aus Bayern, Schwaben und Franken jedenfalls von ganz geringem
Erfolg gewesen; denn nur von zwei Fürsten, dem Markgrafen Albrecht
von Brandenburg und dem Kurfürsten Ernst von Sachsen, sind nach-
weisbar Truppen an die Südostgrenze des Reiches geschickt wor-
den ?). Das gleiche Schicksal hatte der auf dem Augsburger Reichs-
tag von 1474 gemachte Anschlag auf 130000 Mann, gegen den Herzog
von Burgund gerichtet, der nach sieben Territorien (Österreich,
Bayern, Schwaben, Franken, Rheinlande, Sachsen-Hessen und Nieder-
sachsen mit der Mark und Westfalen) angeordnet wart).
Auf dem Nürnberger Reichstag vom Jahre 1480, auf dem der
kleine Regensburger Anschlag von 10000 Mann um die Hälfte, also
auf 15000 Mann erhöht wurde, machte der Vertreter des Kaisers, Graf
Haug von Werdenberg, zur Sicherstellung der Ausführung der Reichs-
tagsbeschlüsse den Vorschlag, daß das Reich in vier Aushebungs-
bezirke geteilt werden sollte, in welchen kaiserliche Exekutoren die
säumigen Stände zur Schickung der sie treffenden Truppenkontingente
ı) Nürnberger Kreisarchiv, A. A-Akten Nr, 898.
2) Die Zahl der August 1471 gebildeten Kreise ist aus dem vorhandenen Akten-
material nicht ersichtlich, Nach den A. A-Akten des Nürnb. Kreisarchivs (Nr. 716 und
898) hat K. Friedrich III. am 9. Sept. 1471 von Nürnberg aus den Erzbischof Johann
von Magdeburg und den Bamberger Domdechanten Herntnid von Stein in der Mark
Brandenburg und der Burggrafschaft Nürnberg, die Bischöfe Rudolf von Würzburg und
Wilbelm von Eichstätt in Franken zu kaiserlichen Kommissären ernannt, die letztgenannten
am 30. Oktober 1471 von Wien aus zur Zusammenberufung der fränkischen Fürsten,
Grafen, Herren, Ritter und Städte an einem gelegenen Ort aufgefordert.
3) Vgl. J. Reissermayer, Der große Christentag zu Regensburg 1471 I,
S. 84, Anm. I und S. 118, Anm. 2.
4) Monumenta Habsburgica I, 421 fi.
12
— 156 —
anhalten sollten. Der Vorschlag scheiterte an dem Widerstand der
Fürsten, die Organen der Reichsgewalt keinen Einblick in ihre Macht
„an land, leut und gut“ gestatten wollten !). Um wenigstens dafür
Garantie zu schaffen, daß einem neuen, in Nürnberg abzuhaltenden
Reichstag, auf den nach deutscher Sitte die Entscheidung verschoben
wurde, gründliche Beratungen der Stände vorhergingen, mußte sich
Werdenberg damit begnügen, Kreise auszuzeichnen, in welchen die
vornehmsten Fürsten als Kommissare mit der Aufgabe betraut wurden,
die in ihrem Kreise sitzenden Stände, die dem Reichstag fern geblieben
waren, mit dem Inhalt des Reichsabschiedes bekanntzumachen und
die in ihrem Gebiete seßhaften Reichsunmittelbaren, insbesondere
Grafen und Städte, zur Übernahme ihrer Verpflichtungen zu ermahnen.
Der 1480 gebildeten Kreise waren sieben, nämlich ı) Bayern mit den
bayerischen Herzogen, 2) Franken mit den Bischöfen von Bamberg
und Würzburg und dem Markgrafen von Ansbach, 3) Schwaben
mit dem Erzherzog Sigmund von Tirol und dem Grafen von Würt-
temberg, 4) das Gebiet des Ober- und Mittelrheins mit dem
Pfalzgrafen, 5) Lothringen mit dem Erzbischof von Trier und dem
Bischof von Metz, 6) das niederrheinische Gebiet mit dem
Erzbischof von Köln und dem Landgrafen von Hessen, 7) Sachsen
mit dem Erzbischof von Magdeburg und den Kurfürsten von Sachsen
und Brandenburg als Kommissären ?).
Aus den sechs Kreisen, die im 4. und im 7. Jahrzehnt des
XV. Jahrhunderts zur Durchführung der Aufgaben des Reiches im
Rechtswesen und in der Heeresverfassung als genügend erachtet worden
waren, waren im 8. Jahrzehnt mit der steigenden Gefahr durch die
Türken im Osten und die burgundische Macht im Westen sieben
Reichskreise geworden, die zwar bloß für den Zweck der Truppen-
aushebung bzw. der gesicherten Einbringung der Reichshilfen gebildet
worden waren, die aber bei der Fortdauer oder gar Steigerung der
von außen drohenden Gefahren leicht zu einer ständigen Einrichtung
werden konnten, welche auch dem andern großen Ziele der Reform-
bestrebungen, der Aufrechterhaltung von Frieden und Recht im Innern
des Reiches, näher führen mußte. Solange allerdings der seine eigene
Sache so schlecht wahrnehmende Friedrich III. die Geschicke des
Reiches leitete, war eine Besserung der Zustände im Reiche nicht zu
erwarten, Denn der dynastische Eigennutz dieses Herrschers hat den
ı) F. Hartung, Geschichte des fränkischen Kreises, S. 147, Anm. 1.
2) K. Küffner, Der Reichstag von Nürnberg i. J. 1480, S. 76.
— 157 —
doch bei manchen Reichsständen vorhandenen Gemeinsinn immer
wieder zurückgedrängt, wie sich auf dem 1481 zu Nürnberg stattfinden-
den Reichstag zeigte, der den im Jahre 1480 beschlossenen Anschlag
von 15000 Mann wohl um 6000 Mann erhöhte, aber durch die Unter-
lassung jeder Kontrollbestimmung über die militärische Schulung der
Truppen und durch die Abstufung der Gestellungsfristen der Kontin-
gente je nach der Entfernung vom Kriegsschauplatze die Beschlüsse des
1480er Reichstages nur abschwächte !). Es kam eben alles darauf an,
daß die beiden Bewegungen: Maßregeln zum Schutz des Reiches nach
außen und zur inneren Befriedung, die infolge des Phlegmas des Kaisers
Friedrich III. und der Uneinigkeit der Stände bisher nebeneinander ver-
laufen waren, durch energische, zielbewußte Naturen in ein Geleise ge-
bracht und so der Wohlfahrt des Reiches nach innen und nach außen
dienlich werden konnten. Da fügte es ein freundliches Geschick, daß fast
zu derselben Zeit, da in dem Sohne Friedrichs II., Maximilian I., ein
unternehmungslustiger, der Hilfe des Reiches bedürftiger Fürst den
deutschen Kaiserthron bestieg, den Ständen des Reiches in Berthold von .
Mainz ein Führer erstand, der den Versuch machte, die Gegensätze
unter den zwei großen Ständegruppen wenigstens zeitweise auszugleichen
und dem hilfesuchenden König diejenigen ständischen Einrichtungen,
Kammergericht und Reichsregiment, abzutrotzen, die in erster Linie
eine Gewähr für die ruhige Weiterentwicklung des Reiches im Innern
gaben, zugleich aber dem rastlosen Streben des Habsburgers nach
Erweiterung seiner Hausmacht einen Damm setzen sollten. Wie es
im Anschluß an die Errichtung des Reichsregiments 1500 unter Aus-
schluß der Kurfürstentümer zu einer Einteilung des Reiches in sechs
Kreise kam, wie dann diese sechs Kreise 1507 bei der Erneuerung
des Kammergerichts mit dem Recht zur Präsentation eines Teils der
Kammergerichtsassessoren ausgestattet wurden, und wie die auf zehn
vermehrten Kreise 1512 mit der Exekution der Kammergerichtsurteile
selbst betraut wurden, das soll im dritten Abschnitt dieser Untersuchung
in Kürze dargelegt werden.
3. Die Kreiseinteilungen von 1486 bis 1512.
Als Maximilian 1486 in Frankfurt zum römischen König gewählt
worden war, betrachtete er das Eingehen auf die von der Reform-
partei vorgeschlagenen Maßnahmen nicht bloß als ein Mittel, um die
Stände zu ausgiebigen Bewilligungen von Reichshilfen geneigt zu
1) V. v. Kraus, Deutsche Geschichte zur Zeit Albrechts II. und Friedrichs IIl.,
S. 686.
12*
— 158 —
machen, griff vielmehr, von der Notwendigkeit einer tiefgreifenden
Reform, besonders des deutschen Finanz- und Heerwesens, überzeugt,
die doppelte Aufgabe, die Organisation der deutschen Kriegsmacht
zum Schutz nach außen und die Ordnung von Friede und Recht im
Innern, mit Ernst und Eifer an, war aber im Gegensatz zu der stän-
dischen Reformpartei, die das Königtum den Ständen unterzuordnen
trachtete, bemüht, die Gesamtorganisation des Reiches unter der Lei-
tung des Königs zu behalten. Die von Maximilian den Ständen von
1486 bis 1512 vorgelegten Reformentwürfe lassen dieses Bestreben
unzweideutig erkennen, aber ebenso scharf treten uns aus den Gegen-
entwürfen des Mainzer Erzbischofs die von den oligargischen Idealen
des XV. und XVI. Jahrhunderts erfüllten Forderungen nach der Aus-
schaltung des Königtums als eines selbständigen Machtfaktors aus der
Reichsregierung entgegen. Bei solchen diametralen Gegensätzen in
der grundsätzlichen Auffassung über die Teilung der Reichsgewalt
war es nicht zu verwundern, daß König und Erzkanzler auch über die
nächstliegenden Aufgaben der Reichspolitik — ob zuerst mutige Offen-
sive gegen die äußeren Feinde oder Sammlung und Organisation der
Kräfte im Innern — sich nicht einigen konnten. An diesen Gegen-
sätzen zwischen Maximilian und Berthold ist die Reichsreform, die
mit der Gleichgültigkeit der Mehrzahl der Stände und dem offenen
Widerstand einzelner Gruppen an und für sich schwer genug zu kämpfen
hatte, zum guten Teil gescheitert, ein Verhängnis für das deutsche
Volk, dessen Folgen sich noch lange nach dem Abgang dieser bei-
den Antipoden in der deutschen Reichspolitik geltend gemacht haben.
Schon auf dem Frankfurter Reichstag 1485 waren die alten
Wünsche nach Reichsreform wieder laut geworden !), aber erst auf
dem im Frühjahr 1486 stattfindenden zweiten Frankfurter Reichstag
kam es in der Reformfrage zu praktischen Ergebnissen, indem Kaiser
Friedrich III. als Gegenleistung für die Wahl seines Sohnes zum
römischen König einen Landfrieden auf zehn Jahre erließ, der, wie
alle Landfrieden seit 1467, das Verbot jeglicher Fehde enthielt, aber
auch an dem alten Fehler litt, daß zur Durchführung seiner Be-
stimmungen keine Exekutionsorgane eingesetzt waren ?.. An diesem
Punkte setzte nun der neugewählte römische König ein, indem er
vorschlug, die Exekution durch eine Kreiseinteilung des Reiches
1) Minutoli, Das kaiserliche Buch des Markgrafen Albrecht, Nr. 54 (Schreiben
der auf dem Reichstag anwesenden Kurfürsten von Mainz, Sachsen und Brandenburg an
den Kurfürsten Philipp von der Pfalz, 1485, Januar 29,),
2) Neue Sammlung der Reichsabschiede I, 275 fi.
— 159 —
zu sichern, die sich aber, unter Schonung der Selbständigkeit der
Fürsten, nur auf die nichtfürstlichen reichsunmittelbaren Gebiete er-
strecken sollte. Diese minder mächtigen Stände sollten in neun
Gruppen [1) Schwaben, 2) Franken, 3) Bayern, 4) Elsaß, 5) Rheinland,
6) Hessen, 7) Lothringen, 8) Niederlothringen, 9) Nordeutschland] zu-
sammengefaßt und diesen Kreisen die bedeutendsten Territorialherren !)
als Hauptleute zur Vollstreckung der von den ordentlichen Gerichten
gefällten Urteile übergeordnet werden 2).
Der Entwurf Maximilians von 1486 mußte infolge des Wider-
strebens der Stände gegen jede Einschränkung der territorialen Ge-
richtsbarkeit durch kaiserliche Exekutivbeamte zurückgezogen werden,
und der König ist erst auf Grund der Erfahrungen, die er mit dem
1487 zwischen ihm und den Ständen Schwabens gestifteten schwä-
bischen Bund gemacht hat, auf dem Nürnberger Reichstag 1491 mit
einem neuen Reformplan an die Reichsstände herangctreten 3). Nach
Analogie des Schwäbischen Bundes, in welchem der Adel und die
Städte, im Bundesrat durch je neun Räte und einen Hauptmann ver-
treten, zwei getrennte Körperschaften bildeten 4), sollte das Reich in .
sechs Teile geteilt und in jedem Teil zwei Hauptleute bestellt wer-
den, die mit einem ständigen Kriegsvolk — je 50 Untertanen sollten
für den Unterhalt eines Mannes sorgen — in ihrem Kreis den Frieden
handhaben und dabei lediglich den Befehlen des Kaisers und des Königs
gehorchen sollten. Die Annahme der Vorschläge Maximilians, der
durch die Einberufung eines alljährlich stattfindenden Reichstages auch
den ständischen Ansprüchen einigermaßen gerecht zu werden ver-
suchte, hätte unter Überbürdung nicht geringer Opfer auf die Reichs-
stände deren Libertät erheblich eingeschränkt und dem Kaiser zur
Exekutive bedeutende Machtmittel in die Hand gegeben. Darum ist
die geplante Organisation, die auf einem in Aussicht genommenen
Frankfurter Reichstag aufgerichtet werden sollte, nicht zustande ge-
ı) In ı) Erzherzog Sigmund von Tirol und Graf Eberhart von Würrttemberg, in
2) die Bischöfe von Würzburg und Bamberg und der Graf von Henneberg, in 3) die
drei bayerischen Herzoge, in 4) ein vom Kaiser ernannter Dynast des Elsasses, in 5) die
vier rheinischen Kurfürsten, in 6) der Landgraf von Hessen, in 7) ein kaiserlicher Haupt-
mann, in 8) ein kaiserlicher Hauptmann, in 9) die Kurfürsten von Brandenburg und
von Sachsen,
2) Ulmann, K. Maximilian 1, 308.
3) Das 3. kais. Bach der Markgrafen von Brandenburg, Nr. 76 (Am abschied hat
die Königl. M. diese zettel angezaigt) in Forschungen zur deutschen Gesch. 24. B., 351.
4) Wagner, Die ursprüngliche Verfassung des Schwäbischen Bundes (Würt-
tembergische Vierteljahrschrift, Bd. 6).
— 160 —
kommen, und Maximilian mußte, nachdem er 1493 die Regierung des
Reiches allein übernommen hatte, auf den Reichstagen zu Worms
1495 und zu Augsburg 1500 den Ständen aus Rücksicht auf die Hilfe
des Reiches bei seinen auswärtigen Unternehmungen viel weiter-
gehende Zugeständnisse machen, als er sie im ersten Jahrzehnt seiner
Regierung beabsichtigt hatte.
Auf dem Wormser Reichstag 1495, dessen grundlegende Be-
schlüsse : die Verkündigung eines dauernden Landfriedens, die Ein-
setzung des Reichskammergerichts und die Einführung einer allge-
meinen Reichssteuer, ‚des gemeinen Pfennigs‘“, infolge des Zwiespaltes
zwischen Maximilian und der ständischen Reformpartei bekanntlich nur
in sehr unvollkommener Gestalt ins Leben traten, wurde gelegentlich
der Beratungen über die Einsetzung eines aus siebzehn Mitgliedern
bestehenden Reichsregimentes oder eines den Kaiser in seiner Ab-
wesenheit vertretenden Reichsrates eine Einteilung des Reiches vor-
geschlagen, durch die das Reich unter Ausschluß der sechs Kurfürsten-
tümer und der Reichsstädte, in die vier Kirchenprovinzen Salzburg,
Bisantz, Magdeburg und Bremen, und die vier Lande Bayern, Schwa-
ben, Franken und die Niederlande zerlegt und diesen acht Provinzen
neben den sechs kurfürstlichen und den zwei reichsstädtischen Regi-
mentsmitgliedern acht Vertreter in dem Reichsrat zugebilligt werden
sollten !. Aber gegen die starke Berücksichtigung des geistlichen
Standes in dem von Berthold von Mainz herrührenden Regiments-
entwurf erhob sich ein solcher lebhafter Widerspruch, daß diese eigen-
artige Kombination von weltlichem und kirchlichem Einteilungsprinzip
auf dem Augsburger Reichstag 1500, auf dem das Reichsregiment
bekanntlich ins Leben trat, wieder fallen gelassen und auf die auf dem
Stammesprinzip fußende Kreiseinteilung von 1438 zurückgegriffen wurde.
Die Kreisordnung von 1438 empfahl sich bei der Errichtung
des aus zwanzig Mitgliedern bestehenden Reichsregimentes deshalb,
weil dieselbe nach Ausscheidung der sechs Kurfürstentümer (denen
in der Regimentsordnung besondere Vorrechte eingeräumt wurden),
der zwei habsburgischen Erblande Österreich und Burgund und der
durch das Reich zerstreuten Prälaturen, Grafschaften und reichsstäd-
tischen Territorien eine leichte Handhabe bot, dem Fürstenstand eine
möglichst starke Vertretung und einen den wirklichen Machtverhält-
nissen entsprechenden Einfluß im Regiment zu verschaffen. Der Fürsten-
stand, der schon durch die beiden Vertreter der habsburgisch - bur-
1) Ulmann, K. Marimilian I, 351.
— 161 —
gundischen Erblande mit zwei Stimmen im Reichsrat begabt war, er-
hielt zu diesen zwei Stimmen noch zwei weitere Stimmen, indem sechs
geistlichen und sechs weltlichen Fürsten, die paarweise auf die sechs
ausgezeichneten Kreise verteilt waren !), das Recht zuerteilt wurde,
paarweise, d. h. je ein geistlicher und ein weltlicher Fürst, im viertel-
jährigen Wechsel an den Beratungen teilzunehmen. Da somit der
Fürstenstand als Standesgruppe, d. h. Kurfürsten und Fürsten zusam-
mengerechnet, von vornherein über zehn Stimmen im Regiment ver-
fügte und dieses das Selbstergänzungsrecht besaß, so wurden als Ver-
treter der sechs Kreise, die dem Stand der Ritter und Doktoren, d.h.
Rechsgelehrten, angehören mußten, selbstverständlich nur solche
Kreisvertreter gewählt, die dem Fürstenstand genehm waren. Das
Reichsregiment von 1500 war also, wie schon Janssen in seiner Ge-
schichte des deutschen Volkes bemerkte, in seiner einseitigen Zusammen-
setzung der vollkommene Ausdruck der durch den Mainzer Erzbischof
im Reich eingeführten fürstlichen Oligarchie, und darum hat dieses
staatliche Gebilde schon nach zweijährigem ruhmlosen Dasein infolge
des Egoismus seiner eigenen Mitglieder und der Zwietracht der Stände
sein Ende gefunden.
Durch den Zerfall der Augsburger Ordnungen von 1500 war der
Kreiseinteilung die Grundlage entzogen, und der Reformgedanke einer
Teilung des Reiches in Wahlbezirke nach dem Stammesprinzip schien
damit auch begraben. Doch Maximilian, der nach seinen Siegen
1504 und nach dem Zerfall der durch den Tod Bertholds von Mainz
führerlosen ständischen Partei die Macht in seinen Händen sah,
trachtete auf dem Kölner Reichstag 1505 nach der Errichtung eines
von ihm abhängigen Reichsregiments, das sich aus einem Statthalter
und einem Kanzler, beide vom König ernannt, und aus zwölf Räten,
die aus den Kreisen (d. h. wohl den 1501 zu Augsburgs gebildeten
sechs Kreisen) „genommen“ werden sollten, zusammensetzte. Mit
diesem seinen Regimentsvorschlag verband der König das wohlaus-
gedachte Projekt einer Exekutionsordnung. Für die Exekution wurde
das Reich in vier große Bezirke, Oberrhein-, Unterrhein-, Donau-
1) K. Zeumer, Quellensammlung z. Gesch. der deutschen Reichsverfassung
4. Mittelalter und Neuzeit, Nr. 177, Regimentsordnung Maximilians I., S. 306, Ab-
schnitt XLIX. ı. Franken: Bist. Würzburg und Burggrafsch. Nürnberg; 2. Bayern:
Bist, Eichstädt und Herzogtum Bayern; 3. Schwaben: Bist. Augsburg und Markgrafsch.
Baden; 4. Oberrheingebiet: Bist. Worms und Landgrafsch. Hessen; 5. Niederrheingebiet :
Bist. Münster und Herzogtum Jülich; 6. Sachsen: Erzbist. Magdeburg und Herzogtum
Sachsen.
— 162 —
und Elbgebiet, geteilt und jedem dieser „Vierteile‘‘ ein Marschall
vorgesetzt, der die Befehle des Regiments im Bund mit zwei Räten,
denen 25 Reisige beigegeben waren, vollziehen und gegen die in
Reichshilfen säumigen Stände einschreiten sollte. In Kriminalsachen,
die den Marschällen der Vierteile entzogen waren, sollte ein unmittel-
bar dem Reichsregiment unterstehender Untermarschall die Urteile voll-
strecken !)}. Die Durchführung des auf die Stärkung der Königsgewalt
gegenüber den Fürsten gerichteten Planes scheiterte an dem passiven
Widerstand der jeder Ordnung feindlichen Stände und auch daran,
daß Maximilian, infolge neuer Verwicklungen auf die militärische Unter-
stützung der Stände angewiesen, diesen in den großen inneren Prin-
zipienfragen Zugeständnisse machen mußte.
Doch zu groß waren die Vorteile, die eine Zusammenfassung der
Kräfte des Reiches in einer Hand der äußeren Politik Maximilians
bieten mußte, als daß sich der Kaiser nach dieser ersten Zurück-
weisung von seinem Streben nach einer zentralisierten Reichsorgani-
sation hätte abbringen lassen. Schon auf dem nächsten Reichstag
zu Konstanz 1507, auf dem das Kammergericht eine den partiku-
laristischen Tendenzen Rechnung tragende Neuordnung erfuhr und
eine dem späteren Matrikelwesen zugrunde liegende Reichsmatrikel
aufgestellt wurde, kam Maximilian auf seinen Entwurf von 1505
zurück 2). Die von dem Kaiser geforderte Reichshilfe sollte durch
einen allgemeinen Anschlag ohne Vermittlung der Territorien auf-
gebracht werden und das Reichsheer einem weltlichen fürsten im
reich, der am geschicktesten sei mit dem schwert, auch zu mühe und
arbeit und zu rat und tat, unterstellt werden, dem zwölf Räte aus den
kreisen, wie zu Augsburg (1500) angesehen ist, zugeordnet werden
sollten. Die Stände lehnten die kaiserlichen Vorschläge höflich, aber
entschieden ab, verknüpften aber die Bewilligung einer Reichshilfe
von 12000 Mann (3000 Reiter, 9000 Fußknechte) mit der Forderung,
daß für Friede und Recht gesorgt werde. Maximilian wiederholte
nun wohl seine Vorschläge von 1505, daß vier Landmarschälle ge-
setzt werden sollten, die Fried und Recht allenthalben im Reich
unterhalten und Exekution tun, aucb die Räuberei und Heckerei ver-
hüten sollten, aber dieser Vorschlag fand bei den Ständen kein
besseres Entgegenkommen als der geplante allgemeine Reichsanschlag,
obwohl der Kaiser ihnen denselben dadurch mundgerechter zu machen
——
1) K. Kaser, Deutsche Geschichte z. Z. Maximilians I., S. 235.
2) F. Hartung, Geschichie des fränkischen Reiches, S. 126.
— 163 —
suchte, daß er die Vollstreckung von Urteilen gegen diejenigen, die
sich weder um die Acht noch um den Bann kümmerten, den zur
jährlichen Visitation des Kammergerichts verordneten Kommissären
des Königs und der Stände übertragen wissen wollte !).
Während die Stände sich also damals nicht dazu entschließen
konnten Reichsbehörden zu schaffen, die die Exekution der Kammer-
gerichtsurteile tatsächlich hätten in die Hand nehmen können, sorgten sie
dafür, daß die landschaftlichen Verschiedenheiten bei der Besetzung des
Kammergerichts Berücksichtigung fanden, und hiebei kam die Kreis-
einteilung von 1500 wieder zur Geltung. Schon auf dem Augsburger
Reichstage, nach dem dem König die Ernennung der Beisitzer des
Gerichts überlassen war, hatte man die Bestimmung getroffen, daß
nicht nur die Kurfürsten, sondern auch die Landschaften, aus denen
erstmals die Assessoren des Kammergerichts genommen worden
waren, dem Reichsregiment neue Kandidaten präsentieren sollten ?).
Diese wenig klare Vorschrift wurde 1507 nun dahin ergänzt, daß die
Ernennung der vierzehn Assessoren, die außer den zwei für Öster-
reich und Burgund vom König aufgestellten Beisitzern das Richter-
kollegium bildeten, den Ständen vorbehalten blieb. Sechs von diesen
vierzehn ständischen Assessoren hatten die Kurfürsten zu ernennen,
die Wahl der übrigen acht Beisitzer fiel den sechs Kreisen zu, die
auf dem Reichstag zu Augsburg bestimmt worden waren 3).
Die mit der Präsentation von acht Kammergerichtsassessoren aus-
gestatteten Kreise hatten damit eine Aufgabe zugewiesen erhalten,
die einen dauernden Bestand der Kreise voraussetzte, die Kreis-
stände immer wieder zu gemeinsamer Wirksamkeit vereinigen und somit
ein selbständiges inneres Leben der Kreise erwecken konnte. Es war
nur eine Frage der Zeit und der praktischen Vereinfachung, daß auch
die neben den sechs bestehenden Kreisen noch isoliert dastehenden
Gebiete der habsburgischen Erblande und der Kurfürsten zu gleich-
gearteten Einheiten zusammengefaßt und so der Kreiseinteilung ein-
gereiht wurden. Diese Aufgabe zu lösen war den beiden letzten
Reichstagen vorbehalten, auf denen Maximilian zum letztenmal die
Reichsstände zu einer gründlichen Reichsreform fortzureißen sich be-
mühte. Es sind dies die Tage von Augsburg 1510 und von Köln 1512,
auf deren Ergebnisse hier noch in Kürze eingegangen werden soll.
1) Ullmann, Kaiser Maximilan I., 11, S. 265 fl.
2) Kammergerichtsordnung v. J. 1500 (N. Sammlung der Reichsabschiede, U, S. 67).
3) Hartung, Geschichte des fränkischen Kreises, S. 128 und Langwerth
v. Simmern, Die Kreisverfassung Maximilians usw., S. 25.
— 164 —
Dem Augsburger Reichstag von 1510 unterbreitete Maximilian
zunächst den Entwurf einer Reorganisation der Reichskriegsverfassung,
wonach die Stände sich für zehn Jahre zur Aufstellung eines Heeres
von 50000 Mann (10000 Reiter, 40000 Fußknechte) verpflichten
sollten, die zur Handhabung von Frieden und Recht im Innern und
zur Abwehr auswärtiger Feinde verwendet werden sollten. Das Ge-
samtaufgebot sollte nur bei Angriffen des Auslands unter der Leitung
eines obersten Hauptmanns verwendet werden; bei inneren Unruhen
dagegen sollte nur ein den jeweiligen Bedürfnissen entsprechender
Bruchteil des Reichsheeres aufgeboten werden.
Über die Notwendigkeit des Gesamtaufgebotes oder der Teilauf-
gebote entschied eine am Sitze des Kammergerichts unter einem
kaiserlichen Rat tagende Kommission, die sich aus Vertretern der
noch zu bestimmenden Kreise — und zwar von jedem Kreis je ein
weltlicher und ein geistlicher Fürst — zusammensetzte und deren Auf-
gabe außer der schon erwähnten Abwehr von Angriffen äußerer und
innerer Feinde in der Vollstreckung der Kammergerichtsendurteile,
der Bestrafung mutwilligen Absagens, der Unterdrückung des Straßen-
raubes und in dem Einschreiten gegen die in der Leistung bewilligter
Reichshilfen ungehorsamen Stände bestand. — Zum Autbieten sollten
von den Kreisen Hauptleute aufgestellt werden, die nach Befehl und
Erkenntnis der Kommissarien zu handeln hatten, die also von den
Kreisen weder gewählt noch mit selbständiger Gewalt ausgestattet
waren !. Die damals von starker Friedensliebe beseelten Stände,
die die Befürchtung hegen mochten, daß Maximilian das von ihm ge-
wünschte Reichsaufgebot vor allem für den Krieg gegen Venedig
ausnützen möchte, wichen einer endgültigen Erklärung auf des Kaisers
Vorschläge zunächst dadurch aus, daß sie erklärten, sie könnten ohne
Verwilligung ihrer Landstände nichts Endgültiges zusagen oder ver-
willigen 2). Als dann der Kaiser durch persönliche Einwirkung auf die
Fürsten und durch Verhandlungen mehrerer seiner Räte mit den Städte-
abgesandten einen günstigeren Bescheid auf seine Anforderungen
herauszubringen suchte, verschoben die Stände die Beratung der
ı) Die Vorschläge Maximilians liegen in drei jedesmal mehr ins einzelne gehenden
Fassungen vor; der erste vom 8. April gibt nur die Ziele, der zweite vom 18. April die
Umrisse der Reform und der dritte vom 29. April die Einzelheiten des Planes an. Vgl.
die Berichte K. Nützels v. Augsb. Reichstag an den Rat von Nürnberg im Nürnb. Kreis-
archiv, L. 67, Nr. 2 und zwar die Briefe Nr. 42, 47 u. 51.
2) Vgl. den Brief K. Nützels vom 20. April 1510 (Nr. 47).
— 165 —
kaiserlichen Vorschläge auf den nächsten Reichstag und bereiteten
damit dem wohldurchdachten Projekt ein frühes Begräbnis !).
Der Kaiser ließ sich jedoch durch die bisher gemachten üblen
Erfahrungen von seinem Entschlusse, dem Reiche eine feste Orga-
nisation für die Handhabung des Landfriedens im Innern und zum
Schutz nach außen zu geben, nicht abbringen. Auf dem folgenden,
allgemeiner besuchten Reichstag, der 1512 zuerst in Trier, dann in
Köln stattfand, griff Maximilian im ganzen und großen auf seine 1510
gemachten Vorschläge zurück, doch modifizierte er dieselben nach
verschiedenen Richtungen ?).
Zur Aufbringung der von ihm geforderten Reichshilfe, die teils
für seine auswärtigen Unternehmungen, teils zur Abstellung der immer
unerträglicher werdenden , Heckenreiterei‘‘ verwendet werden sollte,
schlug der Kaiser die Erhebung des Gemeinen Pfennigs nach dem
zu Augsburg 1500 beliebten Modus, wonach je 400 mit Liegenschaft
begabte Personen pro Jahr 50 fl. zahlen sollten, und außerdem die
Stellung des hundertsten Mannes vor. Um die Ungehorsamen zur
Entrichtung ihrer Reichsanlagen zu bringen, sollte ein aus zwölf Ver-
ordneten der Stände, also den Kommissarien von 1510 entsprechen-
des Zentralorgan geschaffen werden, das nicht nur die Beschlüsse
der alljährlich stattfindenden Reichstage ausführen, sondern dringliche
Sachen sofort erledigen und insbesondere die Rechtshändel der
ı) Vgl. K. Nützels Brief vom 23. April ı510 (Nr. 48): Des Kaisers anzeigen,
einen anschlag im reich zu unterhaltung friedens und rechts, auch beschirmung
des hlg. Reichs fürzunehmen, sind die stände willig, die ihren zu des Kaisers räten
zu ordnen, davon und, wie die ungehorsamen der jetzigen und vorderen hilf zu
gehorsam zu bringen sein, reden zu lassen. In seinem Brief vom 29. April 1510
(Nr. 50) berichtet K. Nützel an den Rat: Des Kaisers Majestät harrt noch auf dem,
das ir beger ist, hie nit zu verrücken, man hab dann vor die ordnung im reich
mit den 50000 mann aufgericht. Die stend werden sich aber, wie ich verstee,
nit darein bgeben, sonder solch begern K. Mi. ein hintersichbringen und nach-
gedenken bis auf zukünftigen reichstag nemen, wiewol man deßhalb noch teglich in
einem gefecht und handlung steet, so wirt doch nichts desto weniger durch die
stend des anschlags und abschids halb zum end gehandelt.
2) Vgl. für die Verhandlungen des Trierer-Kölner Reichstages, insbesondere für die
Erklärungen der Stände vom 13., 22. und 28. Mai 1512 die Nr. 1077 des 2. Bd. der
Frankfurter Reichskomrespondenz von J. Janssen, sodann für die Gegenerklärungen
des Kaisers vom 19. Juni, 21. Juli und 1. Aug. die Nr. 1080, 1087 und 1090 desselben
Bandes der Frankfurter Reichskorrespondenz,
3) Die Stände bewilligten tatsächlich den Gemeinen Pfennig auf ı Jahr, doch nicht
nach Art des Augsburger Pfennigs von 1500, sondern nach dem des Wormser Pfennigs
von 1495, nach welchem die Steuer die Einkommen in sehr langsam ansteigender Pro-
gression traf. Vgl. Ullmann, K. Maximilian, I, S. 564.
== 166 =
Parteien, die diese nicht an das wenig leistungsfähige Kammergericht
bringen wollten, gütlich schlichten sollte. Die Stände willigten, wenn
auch schweren Herzens, in die Institution, hüteten sich aber wohl
dieselbe ins Leben treten zu lassen ebenso wie die Kreisverfassung,
die auf dem Kölner Reichstag endlich beschlossen, aber erst nach
einem Jahrzehnt durchgeführt wurde.
Zur Durchführung der von der Zwölferkommission bzw. der von den
alljährlich stattfindenden Reichstagen gefaßten Beschlüsse sollten Voll-
streckungsorgane geschaffen und zu diesem Zweck das Reich in die
sechs Kreise geteilt werden, die im Jahre 1500 zu Augsburg bei der
Aufstellung der Regimentsordnung gebildet, dann 1507 zu Konstanz
behufs der Präsentation von acht Kammergerichtsassessoren erneuert
worden waren. In jedem Kreis sollte vom Kaiser ein Hauptmann
aufgestellt werden, der mit zwölf ihm beigegebenen Reisigen auf die
Übeltäter zu streifen und in Notfällen die nächstgesessenen Stände
aufzubieten hatte. Diese vom Kaiser am 19. Juni 1512 gemachten
Vorschläge wurden nun von den Ständen nach zwei Richtungen ab-
geschwächt; erstens sollten die Hauptleute nicht vom Kaiser im Ein-
vernehmen mit dem Reichstag ernannt, sondern von den Ständen der
einzelnen Kreise bestellt werden. Zweitens sollte den Kreishauptleuten
keine Polizeitruppe, wie sie der Kaiser im Anschluß an seinen Vor-
schlag von 1505 geplant hatte, vielmehr „Zugeordnete“ an die Seite
gestellt werden, mit denen sich die Hauptleute vor jedem Einschreiten
gegen widerspenstige Stände erst zu beraten hatten.
Der Kaiser hat diesem „die Libertät“ der Stände wahrenden
Gegenentwurf im Interesse der Reichshilfe schließlich seine Zustimmung
erteilt und ebenso dem weiteren Vorschlag, das Reich statt in die
sechs alten, vom Augsburger Reichstag ausgezeichneten Kreise in zehn
Kreise einzuteilen. Es wurden aufgestellt als siebenter und achter
der österreichische und der burgundische, als neunter und zehnter der
kurrheinische und der aus den zwei Kurfürstentümern Sachsen und
Brandenburg gebildete obersächsische. — Diese Vermehrung der
Kreise um vier erwies sich zur Durchführung einer gleichheitlichen
Exekution in den einzelnen Teilen des Reiches als unbedingt not-
wendig; denn ohne die Einreihung der österreichisch - burgundischen
und der kurfürstlichen Gebiete in die Kreisverfassung wäre die Auf-
stellung von Hauptleuten mit Zugeordneten in diesen Gebieten und
eine geordnete Exekution nicht möglich gewesen. Wenn nun auch
die vom Kölner Reichstag beschlossene Kreisordnung unter Maxi-
milian selbst nicht ins Leben trat — die sechs alten Kreise be-
— 167 —
schränkten sich, wie bisher, auf die Wahl der Beisitzer für das
Kammergericht, die vier neuen Kreise kamen bis 1521 überhaupt zu
keiner Betätigung —, so wurde durch die Bildung der vier neuen
Kreise die Kreiseinteilung auf das ganze Reich in der Gestalt aus-
gedehnt, in der sie sich in der Folgezeit dauernd behauptet und durch
die sie trotz mancher Mängel nach außen ein festes Band für die
Stände des Reiches gebildet hat.
Schlußbetrachtungen.
Fassen wir die Entwicklung der Kreisverfassung, wie wir sie uns
in dem hier begrenzten Zeitraum, von dem Beginn der Regierung des
Königs Wenzel bis zum Ende der Regierung Kaiser Maximilians I.,
vergegenwärtigt haben, noch einmal in ihren Hauptzügen zusammen,
so bietet sich uns in gedrängtester Kürze folgendes Bild.
Unter den zwei luxemburgischen Kaisern Wenzel und Sigmund
und dem Habsburger Albrecht II. war man zum Zweck eines ge-
nügenden Schutzes des Reiches nach außen sowie behufs einer straffen
Exekutive im Innern auf den Plan einer Sechsteilung des Reiches
gekommen, hatte aber diesen Plan nach mehrmaligen Anläufen wieder
fallen lassen müssen, da sich der Widerstand der von dem tiefsten
Mißtrauen gegen die übergreifende Fürstengewalt erfüllten Städte als
unüberwindbar gezeigt hatte. Die verschiedenen Versuche, nament-
lich die von 1389, 1415, 1431 und 1438, die unter den drei genannten
Herrschern zur Gesundung der verfallenen Reichsinstitutionen gemacht
wurden, standen unter sich in einem gewissen Zusammenhang und
lassen trotz mancher Unstimmigkeiten und Widersprüche eine bewußte
Fortbildung von unvollkommenen Einrichtungen zu einer besseren
Ordnung des Reichsjustiz- und Heerwesens unschwer erkennen. —
Doch auf ihrem Höhepunkt brach die bis 1438 aufsteigende Entwick-
lung jäh ab.
Die einzige günstige Gelegenheit, da das Königtum im Verein
mit den Städten die Fürsten unter eine auch die Interessen der
niederen Stände wahrende Kreisverfassung hätte zwingen können, war
mit dem allzufrüihen Tod des Königs Albrechts II. entschlüpft und
die Verfassungsreform in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts
einem Herrscher und einem Fürstengeschlecht überlassen, die an
selbstsüchtigen Bestrebungen einander nichts nachgaben und die schon
darum zur Lösung so wichtiger Aufgaben, wie der Regeneration des
Rechtswesens und der Kräftigung des Reichsfinanz- und Heerwesens,
nicht befähigt waren. Die Vorschläge der Fürsten und des Kaisers
== 168 =
Friedrich III. zur Sicherung des Landfriedens und zur Ordnung des
Reichsfinanzwesens, die sich in der ersten Hälfte der Regierung Fried-
richs III. ziemlich eng an die unter Sigmund hervorgetretenen Reform-
pläne anlehnten und die erst in der zweiten Hälfte der Regierung
dieses Herrschers an den wohldurchdachten Reformentwurf König
Albrechts II. anknüpften, ja zum Teil, wie im Reichsheerwesen, über
diesen Entwurf hinausgingen, sind in erster Linie an den Interessen-
gegensätzen der Fürsten unter sich gescheitert, die ihre Territorial-
hoheit eifersüchtig wahrten und eine Einmischung in ihre Rechte
weder von einen aus ihren Reihen Erkorenen noch von einem durch
den Kaiser bestellten Kreishauptmann dulden wollten.
In zweiter Linie trug an dem Mißlingen der Reformbestrebungen
in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts Friedrichs III. Persönlich-
keit die Schuld. Das angeborene Phlegma und der dynastische
Egoismus dieses Kaisers hielten ihn ab, sich den Beschwerlichkeiten
der sich endlos ausdehnenden Reichstage zu unterziehen, die die Ge-
währung von Reichshilfen von der Erfüllung von Reformforderungen
abhängig zu machen pflegten, die schließlich bewilligten Unter-
stützungen aber meist doch höchst mangelhaft entrichteten. Der Kaiser
beschränkte sich aus diesem Grunde auf Sonderverhandlungen mit
denjenigen Ständen, auf deren Entgegenkommen er rechnen konnte,
bewirkte aber dadurch nur eine weitere Lockerung des Reichsver-
bandes und einen nicht genügenden Schutz der Reichsgrenzen, be-
sonders im Südosten, wo Teile der habsburgischen Erblande zeitweilig
an die Magyaren verloren gingen.
Erst unter dem tatkräftigen und mit bedeutendem organisatorischen
Talent ausgestatteten Sohne Friedrichs III., dem Könige Maximilian I.,
wurde die Reichsreformbewegung wieder in Bahnen gelenkt, die zu
einem bemerkenswerten Fortschritt führten. In drei Etappen vollzog sich
diese fortschreitende Entwicklung der Reichsreform unter Maximilian I.
Im ersten Jahrzehnt (1485—1495) versuchte der die Dinge von einem
höheren Standpunkt betrachtende Herrscher die Aufgabe in rein mon-
archischem Sinne zu lösen, indem er in den neun, bzw. sechs von
ihm vorgeschlagenen Kreisen Organe schaffen wollte, die unter mög-
lichster Bindung der territorialen Selbstherrlichkeit dem Kaiser eine
schlagfertige Exekutive nach außen und im Innern gewährten.
Mit diesen hochgespannten Forderungen von den Ständen zurück-
gewiesen, mußte Maximilian in dem folgenden Jahrzehnt (1495—1505),
in dem ihn die Verwicklung in weitaussehende auswärtige Unter-
nehmungen zur weitgehenden Rücksichtnahme auf die Stände zwang,
— 169 —
die Durchführung der Reichsreform den Ständen überlassen. Diese
errichteten nun wohl das Reichskammergericht und legten den Grund
zu der Kreisverfassung, indem sie die außerösterreichischen und nicht-
kurfürstlichen Gebiete in sechs Kreise zerlegten. Aber diese nach
dem Entwurf von 1438 geschaffenen Kreise waren keine Vereinigungen
von Reichsständen zur Bewahrung des Landfriedens, sondern lediglich
Wahlbezirke, die neben den habsburgischen Erblanden und den kur-
fürstlichen Territorien auch den andern Reichsgebieten eine ständige
Vertretung im Reichsregiment sichern sollten.
Den Ordnungen von 1495 und 1500 fehlten vor allem Be-
stimmungen über die Vollstreckung der Urteile des Kammergerichts,
und diesen Mangel zu beseitigen, ließ sich Maximilian im letzten Ab-
schnitt seiner Regierung angelegen sein. Nach dreimaligem Anlaufe
auf den Reichstagen zu Köln 1505, zu Konstanz 1507 und zu Augs-
burg 1510 gelang es ihm endlich auf einem 1512 zuerst zu Trier,
später zu Köln stattfindenden Reichstag durch Hinzufügung von vier
neuen Kreisen zu den sechs alten die Kreiseinteilung auf das ganze
Reich auszudehnen und den Kreisen die Exekution der Kammer-
gerichtsurteile zu übertragen.
Mit dieser Kompetenz nebst der schon 1507 ihnen zukommenden
Präsentation für die Kammergerichtsstellen waren den Kreisen Auf-
gaben überwiesen, die eine Interessengemeinschaft zwischen den Stän-
den jedes Kreises herbeiführen mußten und so eine- Bürgschaft für
ihren Bestand und die weitere Ausbildung der Kreisverfassung gaben.
Die Reiehsritterschaft
Von
W. Freiherrn v. Waldenfels (Bayreuth)
Unter obigem Titel ist im Jahrgang 1913 (Heft 6—8) dieses Blattes
ein Aufsatz von Peter Schnepp (St. Gandolf, Kärnten) erschienen, der
durch drastische Behauptungen über den deutschen Adel berechtigtes
Aufsehen erregt hat. So erscheint es gerechtfertigt, die Stichhaltigkeit
dieser Behauptungen näher zu betrachten, wobei im übrigen manche
gute und klare Darstellung des Verfassers nicht verkannt werden soll.
Entwicklung des Adels bis zum XIV. Jahrhundert.
Über den Ursprung des mittelalterlichen niedern Adels Klarheit
zu schaffen, ist schwierig. Gibt es doch nur wenige Adelsfamilicı.,
— 170 —
deren Name vor 1200 urkundlich erwähnt wird, und kommen doch
bis ins XIV. Jahrhundert noch Namensänderungen in diesen Familien
häufig vor.
Im allgemeinen setzte sich zu Beginn des XIII. Jahrhunderts der
niecdere Adel zusammen a) aus Freien mit geringem Grundbesitz,
welche freiwillig oder durch Belehnung verpflichtet Kriegsdienste
leisteten, und b) aus den sogenannten Ministerialen, welche in
Krieg und Frieden das adelige Gefolge der Fürsten und Herren in
erblicher Weise bildeten. Die stete Dienstbereitschaft der Ministerialen
brachte es mit sich, daß ihre Freiheit beschränkt war; doch spricht
viel dafür, daß sie in der Regel nicht aus Unfreien hervorgegangen
sind. Während des XIII. Jahrhunderts löste sich das enge Verhältnis _
zwischen den Fürsten und ihren adeligen Dienstleuten, so daß die
Bezeichnung „Ministerialen‘“ bald nach 1300 aus den Urkunden ver-
schwindet. Familiennamen und Wappen sind zu dieser Zeit beim
niedern Adel erblich geworden; den Fürsten bleibt er jedoch durch
vielfache Lehen zum Kriegsdienste verpflichtet. Das Lehenssystem
hat also feste Formen angenommen, die in den nächsten Jahrhunderten
sich wenig ändern.
Hierauf gründet sich der übliche Begriff des „U radels“ insofern,
als Familien, deren Vorfahren schon in der ersten Hälfte des XIV. Jahr-
hunderts in Urkunden als adelig vorkommen, zum Uradel gerechnet
werden.
Es mag richtig sein, wenn Schnepp (S. 163) sagt: „Im Goth.
Gen. Taschenbuch usw. sind kaum sechs alte Grafengeschlechter ver-
zeichnet“; ein Irrtum ist es jedoch, wenn er hinzusetzt: ‚alle andern
Grafenhäuser gehören zum Briefadel und sind aus den Ministerialen
und Dienstleuten seit dem XV. Jahrhundert hervorgegangen“. Denn
die einstigen Ministerialengeschlechter rechnen heute wohl alle zum
Uradel, und ein später erhaltenes Grafendiplom machte doch ein ur-
adeliges Geschlecht nicht zu einem briefadeligen.
Schnepp unterscheidet zwischen einem Aufsteigen der Ritterschaft
von 900 bis 1200 und einem Niedergang derselben von 1250 bis
1300. Ohne Zweifel haben die Kreuzzüge das Ansehen der Ritter-
schaft gehoben, auch wurden die aus ihnen zurückgekehrten Begleiter
der Fürsten reichlich mit heimgefallenen Lehen belohnt. So treffen
wir den niedern Adel im XIII. Jahrhundert mit vermehrtem Besitz,
gehobenem Standesbewußtsein, erblichen Familiennamen und Wappen
versehen, wodurch der Familiensinn in bisher unbekannter Weise an-
geregt wurde. Berücksichtigt man hierzu die Emanzipation der Ministe-
— 171 —
rialen, so muß man gerade das XIII. Jahrhundert für den niedern Adel
als eine Zeit des Aufschwungs bezeichnen.
Fehde und Raubwesen.
Schnepp begründet seine Behauptung vom Niedergang der Ritter-
schaft damit, daß im XIII. Jahrhundert das Raub- und Fehdewesen,
welches er ausschließlich dem Adel zuschreibt, alle Straßen unsicher
gemacht habe. |
Nach mittelalterlichen Anschauungen (vgl. Goldene Bulle) stand
das Recht zur Fehde jedem Freien zu, wenn er sie drei Tage vorher
ansagte. Nun wird es wohl zutreffen, daß der niedere Adel seit dem
XIII. Jahrhundert mehr als früher selbständige Fehden führte. Aber
die Fürsten und Städte waren seine Lehrmeister darin gewesen und
Brand, Raub, Plünderung sowie Schätzung der Gefangenen gehörten
damals zu jeder Fehde.
Alle Stände des Mittelalters hatten das Bestreben nach Entwick-
lung ihrer Macht, und so gab es überall Stoff zu Reibungen. Bei
gutem Willen wurden Streitfragen schiedsrichterlich ausgetragen, andern-
falls konnte vielleicht ein richterliches Urteil erlangt werden, aber der
Vollzug desselben blieb höchst unsicher. Die meisten Reichsstädte
hatten sich Befreiung von jedem kaiserlichen Landgericht erkauft.
Daß bei den durchaus unzulänglichen Rechtsverhältnissen des späten
Mittelalters die Ritterschaft häufig zur Selbsthilfe griff, kann man ihr
so sehr nicht verübeln; auch Fürsten und Städte stützten sich oft auf
das Recht des Stärkeren.
Nichts zu schaffen mit der „ehrlichen Fehde“ hat das Gebaren
der Wegelagerer, welche bei den ungeordneten Polizeiverhältnissen
die Straßen unsicher machten. Daß es unter diesen auch herunter-
gekommene Adelige gab, soll nicht geleugnet werden; dagegen ist
entschieden festzustellen, daß der Adel in seiner Gesamtheit den
Straßenraub auf das schärfste verurteilte. Wer sich damit befaßte,
galt für ehrlos und war von Turnieren und Adelsverbänden aus-
geschlossen. Die Städter freilich suchten jeden Adeligen, mit dem
sie in Konflikt kamen, zum „Placker“ zu stempeln.. Wenn nun
Schnepp (S. 169) eine um 1600 geschriebene Wormser Chronik für
Zustände des XIII. Jahrhunderts anführt, so kann er damit keinen
Anspruch auf historische Beweiskraft erheben, und wenn er von noch
blühenden Familien wie Metternich und v. d. Leyen als von ehemaligen
„Raubrittergeschlechtern‘“ spricht (S. 190), so muß dies seinem Ge-
schmack überlassen bleiben.
13
— 12 —
Ritterbünde und Lehensverhältnisse.
Schnepp behauptet (S. 172), die Ritterbünde des XIV. Jahr-
hunderts seien revolutionärer Natur gewesen, ferner: „Überall lehnte
sich (in ganz Deutschland) die Ritterschaft gegen die Landesherren
auf.“ Dem ist zu entgegnen, daß der niedere Adel nur da, wo er
Gefahr lief, durch andere Stände geschädigt zu werden, politische
Bündnisse schloß. In Franken ist bis Ende des XV. Jahrhunderts fast
nichts von politischen Ritterbünden zu finden, da der Adel hier kcine
systematische Bedrängung zu befürchten brauchte. Die Markgrafen
von Brandenburg waren damals noch Freunde der Ritterschaft, deren
Hilfe sie in der Mark und gegen die Reichsstädte nicht entbehren
konnten, und die Bischöfe waren aus den einheimischen Adels-
geschlechtern selbst hervorgegangen. a
Von einem Auflehnen gegen den Landesherrn kann doch nur
da die Rede sein, wo ein ausgesprochenes Untertanenverhältnis besteht;
ein solches bestand aber seitens des Adels gegenüber den Fürsten
des XIV. Jahrhunderts durchaus nicht im heutigen Sinne. Viele
Adelige lebten auf freieigenen Gütern, ohne überhaupt einem Fürsten
untertan zu sein, und häufig besaß ein Adeliger Lehensgüter von ver-
schiedenen Fürsten. Auch Kündigung des Lehensverhältnisses war
öfters urkundlich vorgesehen. Wer gegen die Interessen seines Lehens-
herrn handelte, riskierte den Verlust seiner Lehen; als Auflehnung
gegen den Landesherrn konnte es nicht angesehen werden.
Adel und Geistlichkeit im späten Mittelalter.
S. 174 sagt Schnepp: „Haßerfüllt war die Ritterschaft im XIV. Jabr-
hundert nicht weniger gegen die Geistlichen und Fürsten als gegen die
Städte usw.“ Vergeblich wird man Belege für einen Haß der Ritter-
schaft des XIV. Jahrhunderts gegen die Geistlichkeit suchen. Gerade
damals haben adelige Geschlechter zahlreiche Stiftungen an Klöster
gemacht. Ein Teil des Adels gehörte selbst zum geistlichen Stande,
nicht selten sogar als einfache Landpfarrer. Ein reger Verkehr
herrschte zwischen Adel und Geistlichkeit, sei es in den Domherren-
höfen, in den Klöstern oder in den Landpfarrhäusern. Aus den Dom-
herren gingen durch Wahl die Bischöfe hervor, während die Erz-
bischöfe, von welchen die rheinischen ja Kurfürsten des Reiches
waren, meist schon durch ihre Geburt dem Fürsten- oder Herrenstande
angehörten. Wenn Schnepp (S. 190) nach dem Vorgange Schultes
hervorhebt, daß nirgends der Adel bei Besetzung der höheren geist-
lichen Stellen so bevorzugt wurde wie in Deutschland, so hätte er
— 1733 —
anfügen müssen, daß auch nirgends sonst den Äbten und Bischöfen eine
so unabhängige weltliche Stellung zukam. Es war also eine soziale
Selbstverständlichkeit, daß die hohen geistlichen Würdenträger, als re-
gierende Fürsten, den angesehensten Gesellschaftsklassen entstammten.
Aus dem Gesagten folgt auch, daß die Erzbischöfe weniger Rück-
sicht auf die Ritterschaft zu nehmen brauchten als die Bischöfe. Wenn
sie aber (vgl. Schnepp, S. 175) es für ihre Pflicht hielten, die kleinen
ritterschaftlichen Enklaven, worunter doch wohl Eigengüter zu ver-
stehen sind, aufzusaugen, so hatten sie auf diese ebensowenig An-
spruch als ein Wegelagerer auf das Gut eines Reisenden.
Der Adel und das römische Recht.
Schnepp behauptet (S. 176/77): „Die Einführung des römischen
_ Rechtes hob die Ritterschaft in den fürstlichen Landen bald aus dem
Sattel“ und: „Im XV. Jahrhundert verdrängten die Doktoren den
Adel beinahe völlig aus Gericht und Rat usw.“ sowie: „Man gewöhnte
sich daran, den Adel und die Ritterschaft als ein Drohnengeschlecht
im Bienenkorb zu betrachten.“ |
Bei Durchsicht sämtlicher Hofgerichtsbücher des markgräflich
brandenburgischen Hofgerichts zu Kulmbach habe ich feststellen können,
daß bei diesem Gericht im XV. Jahrhundert nicht ein bürgerlicher
Beisitzer vorhanden war, und es erst in der zweiten Hälfte des XVI. Jahr-
hunderts gelang, zwei (statt der normierten vier) bürgerliche Juristen
dort anzustellen. |
Die Frage, ob die Rechtspflege durch das römische Recht ver-
bessert worden ist, mag sich jeder beantworten, der die langatmigen
Berichte, Repliken und Dupliken des Reichskammergerichtes, gespickt
mit lateinischen Zitaten und deutschen Injurien, zu Gesicht bekommt.
Der sicher nicht auf Seite der Reichsritterschaft stehende Prozeßrat
Georg spendet in seiner Geschichte des brandenburgisch-kulmbachischen
Hofgerichts (Bayreuth 1774) den adeligen Urteilern das höchste Lob:
Kenntnis des Rechts, Redlichkeit, rasche Entscheidung und Bemühung,
Vergleiche herbeizuführen. Dagegen machte das Reichskammergericht
ein klägliches Fiasko; im Jahre 1620, als über 50000 unerledigte
Sachen in seinen Gewölben lagen, faßte dieses Gericht den Beschluß,
nur noch diejenigen Gegenstände vorzunehmen, welche erinnert wurden.
Wahrlich ein Segen des römischen Rechts!
Die sozialen Aufgaben des Adels.
Noch im XVI. Jahrhundert fehlte es allenthalben an einem
akademisch gebildeten Beamtenstande. Ohne einheitliche Vorbildung
13*
— 174 —
kamen Knaben von 13 Jahren schon auf Hochschulen, deren Frequenz
trotzdem ungenügend blieb. Erst nach dem Dreißigjährigen Kriege
besserten sich diese Verhältnisse. Bis dahin mußte der Adel als der
immerhin tauglichste Stand die Lücke ausfüllen und die staatlichen
Ämter versehen. Ähnlich verhielt es sich mit den Befehlshaberstellen
im Kriege.
Eine besondere soziale Aufgabe erwuchs dem Adel in dem alle
Schichten der Bevölkerung durchdringenden Lehenswesen und zwar
als Lehensträger wie auch zur Verteilung der Lehensobjekte an bäuer-
liche Untertanen. Viele Dörfer sind durch freiwillige Angliederung
an die Burgen entstanden, und die meisten Adeligen waren milde
Lehensherren, hinter denen die „armen Leute“ gerne saßen. Über
seine Untertanen stand dem Adel die niedere und oft auch die hohe
Gerichtsbarkeit zu.
Unter die sozialen Aufgaben des deutschen Adels im Mittelalter
fällt auch die bedeutende Kulturarbeit, die er im Deutschherren-
orden geleistet hat.
Wer also die ihm zufallenden Aufgaben im Beamten- und Heeres-
dienst, als Lehens- und Gerichtsherr gewissenhaft erfüllte und noch
im Dienste ritterschaftlicher Korporationen, ferner als Erzieher seiner
- Söhne und Vormund von Witwen und Waisen seine Schuldigkeit tat,
der führte fürwahr kein Drohnenleben. Und wenn auch manch tiefe
Schatten auf das Tun und Treiben Adeliger. im Mittelalter fallen, so
muß doch Schnepps Urteil zurückgewiesen werden, welches er (S. 181)
dahin zusammenfaßt: „Die Zeit vor der Reformation kennzeichnen die
zwei Worte: Korruption im Staatswesen durch den Adel,
Korruption in der Kirche durch den Adel“.
Die Reformation.
Wenn Schnepp kein Freund Luthers und der Reformation ist, so
will ich nicht mit ihm darüber streiten, wenn er aber dem Adel (S. 185)
vorwirft, er habe den Protestantismus zu seinen Gunsten rücksichtslos
ausgenutzt, so darf das nicht unwidersprochen bleiben. Luther gab
nur den Gedanken Ausdruck, die sich seit Jahrzehnten Tausende und
aber Tausende gemacht hatten, und nicht Rücksicht auf äußere Vor-
teile, sondern ‚innere Begeisterung bewog die Ritterschaft zur führenden
Teilnahme an der Verbreitung der neuen Lehre (vgl. Kipp: Silv.
v. Schaumberg, S. 147f.). Viele Adelsfamilien haben die Versorgung
in Domkapiteln und Klöstern um des Evangeliums willen freudig auf-
gegeben, und König Ferdinand, der ihnen 1554 auf dem Rittertag zu
— 175 —
Mergentheim vorstellen ließ, daß sie ihre Pfründen verlieren würden,
mit denen sie ihren Geschlechtern bisher aufgeholfen hätten und
durch die sie Fürsten des Reiches werden könnten, hatte damit
keinen Erfolg.
Der Bauernkrieg.
Schnepp behauptet (S. 180—184), die Erhebungen der Bauern
seien Notschreie gegen den sie aussaugenden Adel gewesen, ferner:
„der Adel ging anfangs mit den Bauern, als aber die Bewegung
gründliche Arbeit zu leisten drohte, kehrte er den Spieß um“.
Aus den Artikeln der Bauern ist bekannt, daß sich ihre Erhebung
gegen jede Obrigkeit richtete; hierzu wurden sie von in Städten
sitzenden Hetzern aufgestachelt. Einzelne Adelige, wie Florian Geyer,
mögen sich aus Überzeugung der Sache der Bauern angeschlossen
haben, andere — dabei auch Herren vom hohen Adel — glaubten
ihre Schlösser und Familien, durch Eintritt in die Bauernbruderschaft
retten zu können. Ähnliche Beweggründe finden wir ja auch bei der
Bürgerschaft bedrohter Städte. Die Masse des Adels hielt es aber
nirgends auch nur kurze Zeit mit den Empörern. Auch zeigen ein-
zelne Züge, wie die tapfere Verteidigung des Marienberges bei Würz-
burg und, nach Niederwerfung des Aufstandes, das Eintreten Adeliger
für die irregeleiteten Bauern !), daß der ritterliche Sinn nicht er-
loschen war.
Privatleben des Adels.
Schnepp spricht (S. 193) von einer gewaltigen Schlemmerei des
Adels im XV]. Jahrhundert, wobei er sich auf Roth v. Schreckenstein
beruft. Roth spricht da von den Fürstenhöfen und sagt wenige Zeilen
vorher: „Im ganzen Reiche wurde sowohl auf den Burgen als in den
Städten zur Ungebühr getafelt‘“ Warum verschweigt Schnepp diese
Unsitte bei den Städtern? Bekanntlich wurde auf den Burgen in der
Regel einfach gelebt. Für Turniere und Rittertage steuerten oft sämt-
liche Geschlechtsgenossen zusammen, um einzelnen zu ermöglichen,
standesgemäß aufzutreten.
Zur Erhaltung der Stifts- und Turnierfähigkeit mußten die Adeligen
bei der Ehe auf Ebenbürtigkeit halten. Dabei brachte die Braut eine
einfache Aussteuer und das „Heiratsgeld“ mit, das zu Ende des
XV. Jahrhunderts selten 1000 fl. überstieg. Den gleichen Betrag gab
der Bräutigam als „Gegengeld‘, dazu noch die 3—500 fl. betragende
1) Lang: Neuere Gesch. d. Fürstentums Bayreuth I, S. 199.
s 116 —
„Morgengabe“. Die ganze Summe wurde als „Wittum‘“ auf den
Gütern des Ehemännes versichert. Da die Güter meist Mannlchen
waren, so hatten die Töchter keine weiteren Erbansprüche und es
gab wenig Unterschiede zwischen reichen und armen Adelstöchtern.
Das waren doch gesunde Grundlagen für den Fortbestand des Besitzes
und der Familien.
Die Bemerkung Schnepps (S. 220), daß die Jagd nach geistlichen
Pfründen den Adel bestimmt habe, die Ahnenprobe auf 16 Ahnen zu
erhöhen, wird dadurch hinfällig, daß diese Pfründen ihm auch bei
leichterer Ahnenprobe sicher waren.
Auf weitere abfällige Bemerkungen, wie über den Schwanenorden
(S. 177) und Judenschutz (S. 194) einzugehen, würde zu weit führen.
Dem Unbefangenen dürften die vorstehenden Ausführungen genügen,
um beurteilen zu können, ob Schnepps harte Aussprüche über einen
Stand als richtig gelten mögen, der in seiner Gesamtheit jederzeit
bemüht war, die ihm zugewiesenen sozialen Aufgaben zum Wohle des
Vaterlandes zu erfüllen.
Erwiderung
Von
Peter Schnepp (St. Gandolf, Kärnten)
Freiherr von Waldenfels versuchte durch seine Entgegnung meinen
Aufsatz über die Reichsritterschaft abzuschwächen. Niemand würde
es mehr als ich im Interesse unseres Volkes begrüßen, wenn die
ernste objektive und von jedem Standesvorurteile freie Geschichts-
forschung vom wirtschaftlichen und kulturellen Standpunkte aus über
den Adel, insbesondere über die Reichsritterschaft, zu einem den An-
schauungen des Herrn von Waldcenfels entsprechenden Ergebnis ge-
langen könnte. Leider ist dieses ohne gefärbte unbegründete ein-
seitige Behauptungen nicht möglich, weil die urkundlich bezeugten
Tatsachen der Vergangenheit entgegenstehen. Deshalb haben auch
ernste Forscher aus dem Adelsstande selbst, wie ein Freiherr Roth
von Schreckenstein, die Wucht der geschichtlichen Tatsachen nur
durch liebevolle Entschuldigungen, Hinweise auf gleiche Verfalls-
erscheinungen in den Städten und starkes Hervorheben wahrhaft edler
persönlicher Tüchtigkeit einzelner Individuen zu umspinnen gesucht,
um so den durch die Ausscheidungsprozesse vom XVI. bis zum An-
e a
— 177 —
fang des XIX. Jahrhunderts bloßgelegten Krankheitskeim am Volks-
leben des Mittelalters nicht allzu nackt in Erscheinung treten zu lassen.
Auch die Ausführungen des Freiherrn von Waldenfels dienen nur
demselben Zwecke. Deshalb wäre es an sich nicht notwendig, näher
darauf einzugehen, wenn v. W. nicht einzelne Stellen meiner Arbeit
als historisch unzutreffend hinzustellen sich bemüht hätte. Darum ist
hier eine Richtigstellung unerläßlich.
Was v. W. über Uradel und Briefadel sagt, sind die vom
Gotha’schen Genealogischen Taschenbuch aufgestellten Unterscheidungs-
begriffe der einzelnen Adelsklassen, doch in meinem Aufsatze S. 163
handelt es sich nicht um Definitionen, sondern um die Erwähnung
der Tatsache, daß von den mittelalterlichen Grafengeschlechtern heute
noch kaum sechs als solche existieren, sondern daß sämtliche anderen
jetzigen Grafengeschlechter aus den Ministerialen und Dienstmannen
seit dem XV. Jahrhundert hervorgegangen sind und mithin ihren
Grafentitel auf ein kaiserliches oder fürstliches Grafendiplom zurück-
führen und somit, soweit ihr Grafentitel in Betracht kommt, zum
Briefadel gehören, |
Wenn ferner v. W. das als Aufschwung der Ritterschaft am
Ende des XIII. Jahrhunderts ansieht, was ich als Niedergang der
Ritterschaft bezeichnete, so will ich mit ihm nicht rechten; denn ich
sehe in dem gegen den Willen der Reichsgewalt und gegen die alte
Rechtsordnung aufgekommenen Raub- und Fehdewesen, wie wir es
aus unzähligen Urkunden jener Zeit kennen lernen, eine schwere Ent-
artung und einen Niedergang des Adels. Die Behauptung, daß die
Städte die Lehrmeister des niederen Adels im Fehdeunwesen gewesen
seien, ist eine ganz neue Erfindung, hervorgegangen aus der Ver-
mischung von Ursache und Wirkung. Dasselbe gilt auch in bezug
auf das so liebevoll betonte sogenannte Fehderecht mit Brand, Raub
und Plünderung. Wer hat dieses „Recht“ gewaltsam ausgebildet? Vor
dem XIII. Jahrhundert bestand es noch nicht! Warum blieb der Voll-
zug der richterlichen Urteile unsicher? Warum haben sich die meisten
Reichsstädte von der Territorialgerichtsbarkeit zu befreien gestrebt?
Doch nur deshalb, weil der Adel die Grundlagen der alten Rechts-
verhältnisse durch dauernde Mißachtung ins Wanken gebracht hatte.
Auch für das Mittelalter ist es nicht statthaft, das Wort „Selbsthilfe “
dem Raub- und Fehdeunwesen gleichzusetzen, gegen welches gerade
die wahre Selbsthilfe oft gebraucht werden mußte. Daß der Adel in
seiner Gesamtheit gerade den schlimmsten Auswuchs, den Straßen-
taub, auf das schärfste verurteilte, ist ebenso bekannt, wie die Tat-
— 178 —
sache, daß trotzdem seine Mitglieder bis in die Neuzeit diesen Straßen-
raub und noch Schlimmeres ausübten, wenn auch oft unter dem
billigen, jedem Rechtsgefühl hohnsprechenden Ansagen einer ehr-
lichen Fehde“. Ein Beispiel sei angeführt.
Johann von Schwalbach, edler Ritter, war Feind des Eızstiftes Mainz
geworden. Die Ganerben von Steinkallenfels, die laut ihres Burgfriedens
jedem ihre Burg gegen eine gewisse Geldsumme zur Verfügung stellten, ge-
statteten auch dem ehrenfestien ritter von Schwalbach 1492, sich ihrer
Burg zu bedienen. Nun ging es über alle Mainzischen Untertanen und Be-
sitzungen her. Besonders die Geistlichkeit, nicht etwa die adligen Dom-
herrn und Pfarrer, sondern die armen Plebane, die bis auf die Höhe des
Hunsrücks und Idarwaldes im ganzen Nahe-, Glan- und Soonwaldgebiet zwar
zur Mainzer Diözese gehörten, aber doch nichts mit dem Handel des
Johann von Schwalbach gegen die adlige Regierung des Erzstiftes zu
tun hatten, mußten die tierische Wut der Räuber von Steinkallenfels ertragen.
Der damalige Abt Trithemius von Sponheim (1483—1506) schreibt
über diesen Fall in seiner Sponheimer Chronik zum Jahre 1492: „... in
dieser Zeit gab es gewisse verderbliche Menschen, die dem Eiızstifte Mainz
Feind waren, deren Namen wir für unwürdig erachten, daß sie der Nach-
welt überliefert werden, obgleich sie aus ritterlichem Geschlechte hervor-
gegangen sind. Diese haben gegen die Priester des Herrn bis jetzt un-
erhörte Martern ersonnen, indem sie den Geistlichen, deren sie habhaft
wurden, die Geschlechtsteile durch ein eisernes dazu hergerichtetes Instru-
ment derart eingeklemmt und verschlossen, daß niemand anders imstande
war, diesen Verschluß zu Öffnen, außer denjenigen, welche ihn angelegt
hatten und die geheime Art des Öffenens kannten. Kein Kleriker, der zu
dem Eirzstifte Mainz gehörte, konnte ohne Furcht sein, denn die Geistlichen
wurden im ganzen Umkreis gefangen genommen, gemartert, geschlagen und
beraubt. Mehrere von den Gemarterten sind gestorben. Die vorerwähnte
Feinde des Klerus haben aber ihren Schlupfwinkel auf der Burg Kaldenfels
nicht weit von hier, von welcher dem Eızstift Mainz Schaden und Brand
verursacht und nach welcher der überaus große Raub geschleppt wird !).“
Dieses allem Adel hohnsprechende ruchlose Treiben dauerte aber nicht
nur 1492, sondern bis 1495. Der deutsche Ordensmeister Andreas von
Grumbach brachte in diesem Jahre die Unmenschen endlich zum Frieden
mit dem Erzstift. Es waren folgende ı2 Gemeiner von Steinkallenfels, welche
diese „ehrliche Fehde‘ führten: Rudolf von Alben, Heinrich von Rennberg,
Johann von Hohenfels zu Reipolzkirchen, Friedrich Kämmerer von Dalberg,
Johann von Kellenbach, Heinrich Blick von Lichtenberg, Wilhelm von Stein,
Emmerich von Löwenstein, Johann von Honstein, Johann von Sötern, Fried-
rich von Schmidburg, Orentel von Gemmingen.
Sage man nicht, das sei eine einzelne Ausnahme von Rohlingen.
Ich habe die urkundliche Geschichte der Burgen Steinkallenfels, Rhein-
1) Vergleiche auch Wigand in den Weislarischen Beiträgen für Geschichte
und Rechtsaltertümer Bd. 3 (Gießen 1851), S. 271.
— 179 —
grafenstein, Leyen, Oberstein, Waldeck, Schöneck, Ehrenberg usw.
geschrieben und einen Einblick gewonnen in das Leben und Treiben
der rheinischen gesamten Ritterschaft und könnte solche Fälle nie-
dersten Treibens in großer Anzahl vom Ende des XIII. bis Ende des
XVIl. Jahrhunderts nachweisen. v. W. darf schon ruhig auch der
Wormser Chronik glauben, zumal dieselbe auf anderwärts bezeugtem
urkundlichem Material aufgebaut ist und deshalb sehr wohl auch für
frühere Zeiten als Quelle herangezogen werden darf. Ferner kann
die Geschichtsforschung in ihren Urteilen keinen Unterschied machen
zwischen Geschlechtern, die bereits erloschen sind, und solchen, die
noch blühen, denn die Geschichte befaßt sich mit dem, was gewesen
ist, und kann den Maßstab für ihre Urteile nur in der betreffenden
Zeit suchen, von der sie gerade handelt. Wenn zufällig ein noch
blühendes Geschlecht genannt wurde, dessen Vorfahren ebenfalls Raub-
ritter waren, so war es im Rahmen dieses gedrängten Aufsatzes gar
nicht möglich, die urkundlichen Belege für die Behauptung mitzuteilen,
genau so wenig wie bei etwa erloschenen Geschlechtern; zumal da
eine reiche Zahl anderer blühender Geschlechter auf demselben Fun-
damente stehen und aus diesem Grunde wohl kaum eins das andere
mit verächtlichem Blick zu messen braucht. Wie sich ein im modernen
Leben stehender Nachkomme durch ein urkundlich beglaubigtes Urteil
über seine Vorfahren, die vor mehreren Jahrhunderten gelebt haben,
verletzt fühlen kann, ist mir unfaßlich. Jedenfalls ist es für jeden
Einsichtigen unstatthaft, daraus irgendwelche Angriffe auf die jetzigen
Vertreter dieser Geschlechter abzuleiten.
Die Ausführung v. W.s über die Ritterbünde bedarf keiner
Richtigstellung, da sie jene Verhältnisse, auf Grund deren der land-
sässige Adel innerhalb der fürstlichen Territorien ein scharfes Ein-
schreiten gegen sich notwendig machte, nicht erfaßt. Dasselbe gilt
über die Ausführung: Adel und Geistlichkeit im späten Mittel-
alter. Die zahlreichen Beispiele für meine Behauptung können hier
nicht aufgeführt werden und mit einzelnen begnügt sich v. W. nicht.
Wenn er einen Einblick in die Details der inneren kirchlichen Ver-
hältnisse von Pfarrei zu Pfarrei in irgendeiner Diözese und in die
innere Wirtschaft der Domkapitel nähme, dann würde er die kirchen-
politische Tat des Adels, die Urheber und Ausführer dieses not-
wendigen Kampfes erkennen, bei dem auch das rein religiöse Moment
gemißbraucht wurde, so daß mit der Zeit auch der äußere Bau der
Kirche zusammenbrach.
Unter der Aufsaugung der ritterlichen Enklaven inncr-
— 180 —
halb der größeren Territorien wird wohl kaum ein Geschichtskenner
die Wegnahme der Eigengüter der Ritterschaft verstehen, und die
staatsnotwendige Unterordnung des Ritterschaftsbesitzes auf gleiche
Stufe mit dem Handeln der ritterlichen Wegelagerer stellen, denn
nach solchem Prinzip müßte dann auch die vollständige Mediatisierung
der Reichsritter am Anfang des XIX. Jahrhunderts ein fürstliches
Buschkleppertum genannt werden. Mögen noch manche darüber
denken, was sie wollen, aber vom Standpunkt der politischen Not-
wendigkeit aus, sieht die Sache anders aus. Übrigens wurden die
näheren Gründe zu der notwendigen Aufsaugung der ritterschaftlichen
Enklaven S. 194 und zur Mediatisierung S. 222 meines Aufsatzes ge-
nügend erläutert.
In bezug auf die Einführung des römischen Rechtes ist es
selbstverständlich, daß nicht mit einem Schlag in den unzähligen
sclbständigen Territorien des weiten Reiches der Adel von den Dok-
toren verdrängt wurde. Die Praxis eines einzelnen Hofes im Verlauf
des XV. Jahrhunderts beweist nichts, obgleich auch der Markgraf von
Brandenburg sich der Wirkung dieser Neucrung nicht entziehen konnte.
Die Frage der Schädlichkeit oder Nützlichkeit dieser Neuerung hat
der Verfasser nicht berührt.
Das Lob, das v. W. dem Adel spendet, trifft gewiß auf viele
einzelne Glieder zu, aber nicht auf die Tendenz und gesamte Daseins-
äußerung des mittelalterlichen Adelsstandes als Gesamtheit. Deshalb
ist mein Urteil S. 181 nicht unwahr, denn ein Verfall im Staatswesen
und in der Kirche war vorhanden, und beide Institutionen waren aus-
schließlich in den Händen des Adels. Dieses Moment darf kein Ge-
schichtsforscher, der über mittelalterliche Zustände, und besonders der
kirchlichen Zustände schreibt, aus dem Auge verlieren, wenn er nicht
Irrwege wandeln will.
Dasselbe gilt auch von der Reformation, dem heikelsten Punkte
der deutschen Geschichte, bezüglich dessen in beiden Lagern ein fast
unüberwindliches Vorurteil besteht. Was hilft da alles Schönfärben
und salbungsvolles geistiges Schwärmen mit hohlen Schlagwörtern!
Dieses Kapitel läßt sich nur richtig erfassen und darstellen, wenn man
auf dem Fundament der damaligen Verhältnisse in Kirche und Staat
den Intentionen und Triebfäden der einzelnen die Bewegung auf-
nehmenden und tragenden und zur Suggestion der Massen hin-
treibenden Individuen in der Lokal- und Personalgeschichte nachgeht,
und sich nicht auf einseitige Darstellungen und von der Bewegung
bereits suggestiv beeinflußte Quellen beschränkt. Es wäre ein kläg-
— 1831 —
licher Irrtum, wollte jemand im Ernst seine Freundschaft für Luthers
Reformgedanken mit einem Enthusiasmus für die ritterlichen Helfer
bezeugen, welche der Bewegung gewaltsam Bahn schafften. Ich habe
in meinem Aufsatz S. 183 schon auf die wahre Ursache hingewiesen,
weshalb Franz von Sickingen so „begeistert“ in die Bewegung ein-
griff und den ersten Schlag gegen das Erzstift Trier führte, um dieses
für sich zu erobern.
Man glaubt vielfach, das sei auch eine „ehrliche Fehde“ gewesen.
Tatsächlich suchte Franz von Sickingen absichtlich Streit! Johann Hilchen
von Lorch, wie Franz von Sickingen ebenfalls Gemeiner zu Steinkallenfels,
welcher sich schon ı5ı1 als brutaler Mörder und Räuber einen gefürchteten
Namen gemacht hatte, indem er in einer ihm vom wildgräflichen Schultheiß
in Simmern unter Dhaun nicht schnell genug erledigten Grenzberichtigung
diesen Schultheiß beim Gottesdienst in der Kirche erschoß und sogar auf
den Priester am Altare zwei wohlgezielte Pfeile abdrückte. Der Wild- und
Rheingraf von Dhaun besetzte hierauf die Güter des Hilchen von Lorch im
Dorfe Horbach und Weitersborn, um ihn für diese Freveltat zu bestrafen.
Dadurch wurde Hilchen noch aufgebrachter, und man sollte es kaum glau-
ben: die Gemeiner von Steinkallenfels erklärten die Sache ihres Mitgemeiners _
für die ihrige und fielen in Wickerod und den benachbarten Dörfern der
Wildgrafschaft ein, plünderten, brannten und ermordeten die armen Leute
oder schleppten sie fort. Dieser Hilchen von Lorch fiel später (1522) mit
Gerhard Borner, infamis praedo zubenaunt, in der Umgebung von Bern-
kastel in das Trierische ein, und die Genossen nahmen auf diesem Raubzug
den Schultheißen von Zell, Richard von Senheim, sowie einen Bürger, Jacob
von Cröf, gefangen und schleppten sie auf die Ganerbenburg Than. Fünf
Monate schmachteten beide Gefangene im Verließ. Unterdessen hatte Franz
von Sickingen am 13. August 1522 den bekannten Ritterbund zu Landau
gegründet, dem 600 Ritter vom Hunsrück, aus dem Nahetal, dem Rheingau
und Westrich, dem Wasgau und Kraichgau und der Ortenau beitraten.
Auch sämtliche Gemeiner von Steinkallenfels, Hilchen Lorch nicht aus-
genommen, waren bei der Bundesgründung zugegen. Nun mußten die zwei
Gefangenen in der Burg Than die Ursache zu einer „ehrlichen Fede“ gegen
Trier abgeben. Hilchen von Lorch zwang die Gefangenen, 5000 Gulden
Lösegeld, zahlbar in 5 Wochen, zu versprechen, und Franz von Sickingen
übernahm die Garantie für die Betreibung des Geldes. Heimgekehrt klagten
die Entlassenen dem Kurfürsten von Trier die ihnen angetanene Gewalt und
erlittene unmenschliche Behandlung. Der Kurfürst untersagte darauf die
Entrichtung des Lösegeldes und erhob Klage gegen die Räuber beim Reichs-
regiment wegen Landfriedensbruch. Franz von Sickingen hatte diese Ent-
wicklung erwartet, und so ließ er schon am 26. August 1522 dem Kur-
fürsten von Trier den Fehdebrief überreichen.
Der Erzbischof Richard von Trier mahnte noch vor dem Anrücken
der Feinde die Grafen von Hohenzollern, Geroldseck und Fürstenberg, welche
ebenfalls Helfer des Franz von Sickingen waren, doch von ihrem Vorhaben
abzustehen, da er nicht wisse, wie er das um sie verdient haben solle.
=. 182: =
Keinem habe er je ein Recht geweigert, wenn jemand nach den Reichs-
gesetzen ein solches von ihm zu fordern hatte. Darauf gaben diese Grafen
am ı. Septbr. 1522 den Bescheid: daß wir gegen euer churfürstliche
Hochwürdigkeit für unsere personen nichts im unguten zu tun wissen, son-
dern dem Franzen von Sickingen zu dienst und gefallen auf diese stund
im fe'de sind. Wo uns nun derselb wider euer churfürstl. Hochwürdigkeit
geprauchen wurd, sein wir des willens ihm darinen gu willfahren und dienen.
Das wollen wir vor uns alle grafen, vom adel, hauptleut und anderer
eerlich gesellen, so uf diesen tag bei uns im felde sein und kommen
werden, samentlich und sonderlich euer churfürstl. Hochwürdigkeit nit ver-
halten, sondern unser notdurft nach anzaigt haben.
So zog nun das Heer des Franz von Sickingen unter der Bezeichnung:
„Streiter Christi‘ gegen Trier. Auf das Vorleben des Franz von Sickingen
können wir hier nicht weiter eingehen, nur sei bemerkt, daß schon sein Vater
Schweikard von Sickingen wegen gemeingefährlichem Raubhandwerk 1504
zum Tode verurteilt, das Urteil von Kaiser Maximilian I. bestätigt und der
Räuber auf der Burg Koppenstein mit dem Beile hingerichtet wurde, und
daß Franz, sein Sohn, in die Fußstapfen seines Vaters trat und als der ge-
fürchtetste Räuber am Mittelrheine galt.
v. W. macht mir ferner den Vorwurf, daß ich die Schlemmerei
in den Städten S. 193 verschweige. Was soll ein solcher Vorwurf
heißen, da im folgenden Satze steht: „... so war doch in allen
Ständen (jener Periode) die große Masse derb sinnlich und ohne
höheren Aufschwung.“ Daß auf den Burgen des niedern Landadels
die Schlemmerei nicht mit demselben Maßstabe zu messen ist, wie
auf den Burgen der Fürsten und Grafen und in den Städten, ist
selbstverständlich.
Ein kleines Beispiel von der Ganerbenburg Steinkallenfels: Von den
30 Gemeinern dieser Burg, unter welchen schon 1508 auch Franz von Sickingen
ist, war ein „gemeiner Wirt“ mit einem Jahresgehalt von 15 Gulden in
Kallenfels eingesetzt, welcher jederzeit Wein gegen Bezahlung bereit zu halten
hatte. Nach einer Bestimmung des Maltages 1508 mußte jeder Gemeiner
sich selbst vereehren, d. h. auf eigene Kosten zehren. Die Gemeiner hatten
aber nicht selten durstige Kehlen und leere Taschen. Deshalb mußte gegen
die hieraus entstandenen Übel im Burgfrieden 1514 § 50 ausgesprochen
werden: daß jeglicher gemeine wirt gu Kallenfels versorgt werde, daß er
von jedem, er mag gemeiner auf Steinkallenfels sein oder nit, bezahlt möge
werden. Und haben einmudiglich beschlossen, welche gemeiner oder anderer
einem wirt zu Kallenfels zehrung schuldig «wäre, den mag der wirt unten
und oben auf Steinkallenfels an das seine griffen bis er begahlt hat. Diese
Bestimmung half aber dem Wirt wenig, denn er mußte sich wohl hüten,
einem Gemeiner oder anderen adligen Besucher, der ihn um die Zeche ge-
prellt hatte, an das seine zu griffen. Anderseits konnte er solchen Pum-
pern nicht einmal Wein und Zehrung versagen, da er immer Wein bereit
zu halten hatte, widrigenfalls ihm von den 15 Gulden Gehalt abgezogen wurde.
— 183 —
Daher kam es soweit, daß die Gemeiner zuweilen gar keinen Wirt für ihre
Wirtschaft mehr finden konnten und die Maltage in die Stadt Kirn ver-
verlegen mußten.
Friedrich Back, evangelischer Pfarrer in Kastellaun, gab als Frucht
seines Studiums über die Hunsrücker Burgen folgendes Lebensbild
des niedern Adels !), das ich in meiner urkundlichen Untersuchung
über sämtliche Burgen und Geschlechter in überreichem Maß be-
stätigt fand: „Wirft man schließlich die Frage auf, wie das Leben und
Treiben auf den Hunsrücker Burgen im ganzen beschaffen war, so
tritt uns eben nicht das anziehende Bild entgegen, das bisweilen die
Phantasie beim Anblick schön gelegener Burgtrümmer sich entwirft.
Von glänzenden Festen, von großartigen Ritterspielen, von kunstfertigen
Sängern, die von Burg zu Burg zogen, die Ritter und ihre Frauen
durch Gesang und Saitenspiel erheiterten, vernehmen wir nichts.
Glänzende Feste mögen wohl auf den fürstlichen und gräflichen
Burgen bisweilen gegeben worden sein; die Ganerbenburgen haben
dieser Genüsse entbehrt; in ihre düsteren, unheimlichen Räume hat
sich höchstens der herumziehende Fiedler mit seiner Geige gewagt.
Über die im Felsental der Bei gelegene Burg Waldeck hat sich eine
sehr reiche Zahl von Urkunden erhalten, aber was lesen wir in den-
selben? Meist nur Berichte über mancherlei Irrungen, die die Burg-
insassen unter sich hatten. Da war bald Zank um einen Pferdestall,
um eine Hofstätte, um einen Garten, um den Abort, bald Streit wegen
einer Weingülte oder Haferrente, die ein Ritter dem andern entzogen
hatte. Das Leben auf den vom niedern Adel bewohnten Burgen darf
nicht gedacht werden als ein Leben im Überfluß und Glanze. Prunklos
und äußerst beschränkt waren die Wohnungen, einfach, oft ärmlich
die Geräte. Auch waren diese Burgen nicht eben der Sitz feiner
Sitte, der Geist, der auf ihnen waltete, war mehr ein Geist der Roheit.
Würden die Bestimmungen, wie derjenige Gemeiner bestraft werden
solle, der seinen Mitgemeiner, dessen Weib, dessen Bruder, dessen
Kind innerhalb des Burgbezirkes wund- oder totschlüge, in allen Burg-
frieden voranstehen, wenn solche Gewalttaten etwas Seltenes gewesen?
Das Leben einzelner Ritter mag reich an Zügen von Hochherzigkeit
und Edelmut gewesen sein, aber diese Züge werden gar oft wieder
_ durch arge Frevel getrübt. Auch der biederbe Ritter rechnete es sich
nicht zur Schande, wenn es zur Fehde gekommen war, seines Gegners
Weiler und Höfe niederzubrennen, dessen Untertanen schonungslos zu
1) Back: Kloster Ravengiersburg (Koblenz 1853) I, S. 142.
— 184 —
mißhandeln und auszuplündern, ja auch wenn keine Fehde angesagt
war, auf Raub und Beute auszuziehen, bald allein, bald in Gemeinschaft
mit andern, um das Erbeutete sofort wieder in Würfelspiel und in
wüsten Zechgelagen zu vergeuden.“
Freiherr v. Waldenfels möge gütigst entschuldigen, wenn keine
Lichtseiten hervorgehoben werden konnten, da die Urkunden sehr
selten’ und sporadisch solche bieten, die noch meistens bei näherem
Nachsehen auf dunklem Untergrunde stehen, wie das bei so vielen
frommen Stiftungen der Ritterschaft der Fall ist. !)
Mitteilungen
Versammlungen. — Der nächste internationale Kongrefs der
Archivare und Bibliothekare wird in Mailand stattfinden, und zwar
gegen Ende des Monats August 1915.
Kommissionen. — Über die Arbeiten der Historischen Kom-
mission für das Grofsherzogtum Hessen sind in dieser Zeitschrift
bisher nur einmal im Anschluß an den Bericht über die erste Sitzung am
11. Mai 1908 Mitteilungen veröffentlicht worden?). Seitdem sind in den
Jahren 1909 bis 1913 jeweils im Sommer fünf Sitzungen abgehalten worden,
die in Mainz, Gießen, Bingen, Alsfeld und Wimpfen stattfanden, so daß es
wohl an der Zeit ist, den Stand der Arbeiten wieder einmal zu verfolgen.
Den Vorsitz führt der Minister des Innern v. Hombergk zu Vach;
Mitglieder zählt die Kommission 17, die in staatliche und Vertreter beitrag-
leistender Vereinigungen und Körperschaften zerfallen. Der staatliche Bei-
trag, der seit 1908 jährlich 2000 M. betrug, ist 1913 auf 6000 M. erhöht
worden; die Stadt Darmstadt steuert jährlich roo M. bei, und einer Ein-
nahme von 13818 «Æ standen 1912 Ausgaben in Höhe von 13177 M
gegenüber.
Für das Mainzer Urkundenbuch hat 19ro— 1913 der Hilfsarbeiter
Manfred Stimming planmäßig den Stoff gesammelt, und zwar zunächst
für drei Bände, so daß die Bearbeitung des ı. Bandes in Angriff genommen
werden kann. An der Ausgabe des Lorscher Güterschenkungs-
buches (Codex traditionum Laureshamensis) arbeitet Seminarlehrer Karl
Glöckner in Bensheim. Der Textband mit knappen Anmerkungen und
Registern ist bald zu erwarten, während der Erläuterungsband, der sich auch
mit der Wirtschaftsgeschichte des Klosters befassen wird, frühestens in drei
Jahren fertig gestellt werden kann. Bedeutende Fortschritte hat die Stoff-
I) Mit dieser Auseinandersetzung, die gewiß zur Klärung der Anschauungen in
beiden Lagern beiträgt, wird die Erörterung dieses Gegenstandes geschlossen.
2) Vgl. 9. Bd. (1908), S. 314—315.
— 185 —
sammlung für die Hessische Bibliographie, um die sich Oberbibliothekar
Voltz (Darmstadt) mit Karl Schmidt als Hilfsarbeiter bemüht, gemacht;
indes ist das Ende dieser Arbeit noch nicht abzusehen. Günstiger steht
es mit den Protokollen des Mainzer Domkapitels: das Erscheinen des
ı. Bandes, der die Jahre 1450—1514 umfaßt und von Pfarrer Veit
(Neckarsteinach) bearbeitet ist, steht noch ıg9ı14 zu erwarten, und ein
2. Band (1514—1545), bearbeitet von Archivrat Herrmann, soll sofort
nach Beendigung des ersten zum Druck gehen. Von den Hessischen
Biographien ist Ende 1912 das erste Heft mit 47 Artikeln erschienen, ein
zweites befindet sich im Druck; im ganzen haben ı5ı Mitarbeiter 579 Bio-
graphien fest übernommen. An der Ausgabe der Statuten der Landes-
unwersität arbeitet seit Anfang Oberlehrer W. M. Becker (Darmstadt),
aber infolge anderer Inanspruchnahme hat er in letzter Zeit sich dieser Auf-
gabe weniger widmen können und schlägt eine gekürzte Veröffentlichung in
den Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte vor. Im Regierungs-
auftrage hat Höpfner 1781— 1797 eine Sammlung hessischer Verordnungen
veranstaltet: diese soll, bis 1806 ergänzt, von Archivdirektor Dieterich
und Bibliothekar Esselborn herausgegeben werden und wird nicht mehr
lange auf sich warten lassen. Als Vorarbeit für eine Ausgabe der Hessischen
Weistümer hat Referendar W. Müller (Darmstadt) zunächst ein Verzeichnis
sämtlicher bisher bekannter Weistümer aus dem Bereiche des Großherzog-
tums hergestellt, das nur noch weniger Ergänzungen bedarf, um zum Druck :
zu gelangen. Die Bearbeitung der in Darmstadt vorhandenen Originale soll
dann sofort beginnen. Der Stoffsammlung für ein Hessisches Ortsnamenbuch
widmen sich dauernd zwei Mitarbeiter, und zwar wird der Aufnahme der
mundartlichen Formen, mit der sich zunächst im Vogelsberg Seminarlehrer
Glöckner beschäftigt hat, besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Als
Probeheft ist die Veröffentlichung der Ortsnamen der Grafschaft Nidda
geplant, sobald die Sammlung der oberhessischen Namen beendet ist. An
einer Hassia sacra arbeitet für den evangelischen Teil Prof. Diehl (Fried-
berg) und hat etwa 30 Pfarreien erledigt; zum Druck soll zuerst die Provinz
Starkenburg gelangen. Am Historischen Kartenwerk der Länder am
Mittelrhein, das das Großherzogtum Hessen, die Provinz Hessen-Nassau,
Unterfranken und die Pfalz umfassen wird, arbeiten die Nachbarkommissionen
(die für Hessen und Waldeck, Nassau und Frankfurt sowie die Gesellschaft
für fränkische Geschichte) mit. Die erste, die territorialen Verhältnisse des
Jahres 1792 darstellende Karte im Maßstabe ı : 250000, die im Norden
bis zum Harz, im Süden bis Straßburg, im Westen bis an den Hunsrück
und im Osten bis Würzburg reicht, steht unmittelbar vor ihrer Vollendung.
Sie umfaßt über roo große und mittlere und eine Unmenge kleinerer Terri-
torien und stellt auf Grund eingehender Forschungen die genauen ge-
markungsweise festgestellten alten Grenzen dar. Ein Textband beschre:bt
die Territorien in ihrer administrativen Einteilung von 1792 und zählt alle
Orte einzeln auf. Als Vorarbeit war die Bearbeitung der Grundkarten
des Großherzogtums erforderlich: sie werden noch 1914 in sechs Doppel-
blättern erscheinen, sind ebenfalls gemeinsam mit den benachbarten Kom-
missionen und Geschichtsvereinen bearbeitet und enthalten neben den jetzigen
auch die alten Gemarkungsgrenzen, soweit sie nachgewiesen sind.
— 1856 —
Für die Politische Korrespondenz Landgraf Ludwigs X. (Großherzog
Ludwigs I.) ist in den auswärtigen Archiven schon emsig gesammelt worden,
aber es stehen noch immer wichtige Archive aus. Am Hessischen Adels-
und Wappenbuch arbeitet Regierungsrat Würth (Darmstadt); er hat in Darm-
stadt 417 aufzunehmende Familien mit 827 Lehen festgestellt und 1360
Wappen ermittelt. Die entsprechende Arbeit in den standesherrlichen Ar-
chiven und in den Staatsarchiven zu Wiesbaden, Marburg, München und
Würzburg steht noch aus.
Um kleinere Veröffentlichungen unter einem gemeinsamen Obertitel zu-
sammenzufassen, ist die Herausgabe einer Schriftenfolge Quellen und For-
schungen zur hessischen Geschichte beschlossen worden: den ersten Band
derselben bildet Die Mainzer Dompropstei im XIV. Jahrhundert, Auf-
zeichnungen über ihre Besitzungen, Rechte und Pflichten aus den Jahren
1364—1367, herausgegeben von Vigener, den zweiten Band die Lebens-
erinnerungen des hessischen Staatsmanns Reinhard Eigenbrodt aus den
Tagen des Frankfurter und Erfurier Parlaments und der preußischen
Union 1848—1860, herausgegeben von Bergsträßer.
Eingegangene Bücher.
Buchheim, Karl: Die Stellung der Kölnischen Zeitung im vormärzlichen
rheinischen Liberalismus [= Beiträge zur Kultur- und Universalgeschichte,
‚herausgegeben von Karl Lamprecht, 27. Heft]. Leipzig, R. Voigtländer
1914. 430 S. 8%. M 13,00.
Dietze, Hugo: Sir Thomas Gresham, Kaufmann und Königlicher Finanz-
agent zur Zeit König Eduards VI. und der Königinnen Maria und
Elisabeth von England. Festschrift zur Einweihung des neuen Schul-
gebäudes der Öffentlichen Handelslehranstalt der Dresdner Kaufmann-
schaft 1913. 92 S. 8°.
Dürrwaechter, A.: Gemeinschaftliche Aufgaben der Bayerischen Ge-
schichts- und Urgeschichtsvereine [= Sonderabdruck aus dem 71. Be-
richt und Jahrbuch des Historischen Vereins zu Bamberg, 1914].
50 S. 89,
Frieß, Edmund: Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Eisenarbeiter in
Waidhofen a. d. Ybbs. II. Fortsetzung [== Sonderabdruck aus dem
Jahresberichte des Musealvereines für Waidhofen a. d. Ybbs und Um-
gebung, III. und IV. Jahrg. (1913), S. 63—93].
Gerber, L.: Englische Geschichte. 2. Aufl. [= Sammlung Göschen
Nr. 375]. Berlin und Leipzig, G. J. Göschen 1914. 167 S. 16°.
Geb. # 0,90.
Gradmann, Robert: Das ländliche Siedlungswesen des Königreichs
Württemberg [= Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde,
21. Bd., Heft ı]. Stuttgart, J. Engelhorns Nachf. 1913. 136 S. 8°.
M 6,80.
—, : Die städtischen Siedlungen des Königreichs Württemberg
[= Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, 21. Bd.,
Heft 2]. Mit einer Karte Ebenda 1914. 89 S. 80. Æ 9,30.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Weimar.
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.
arte
Deutsche Geschichtsblätter
Monatsschrift
Erforschung dentscher Vergangenheit anf landesgeschichtlicher Grundlage
Aus innerösterreichischen Glaubens-
| kämpfen
Von
Julius Bunzel (Graz)
L.
Im August 1520 war Luthers Schrift An den christlichen Adel
deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung erschienen und
hatte, was Tausende im tiefsten Innern erfüllte, in kurzen Worten
zusammengefaßt. Die Schrift fand rasch Verbreitung und bald war
die Scheidung der Geister in allen deutschen Landen vollzogen.
Auch nach Innerösterreich, in die Erblande der deutschen Habsburger,
waren die neuen Lehren schnell gedrungen !), In die Burgen und
Schlösser hatten sie junge Edelleute verpflanzt, die auf deutschen
Hochschulen, namentlich in Tübingen und Wittenberg studiert hatten.
In breitere Schichten des Volkes hatten sie Bergleute getragen, die
aus Sachsen eingewandert waren. Zu den Gebildeten aller Stände
war sie durch die Werke der eben damals aufkommenden Buchdrucker-
kunst, durch die Schulen, in denen sie bald gelehrt wurde, gedrungen.
Selbst manche katholischen Priester und Ordensgeistliche neigten sich
der neuen Lehre zu. In Schladming beispielsweise predigte schon
1524 ein Priester gegen die Mißstände in der katholischen Kirche,
weswegen er in „ein anständiges Gefängnis‘ gebracht werden sollte.
Ein Jahr später riefen auch die Bauern bereits nach dem „göttlichen
Rechte“, forderten auch die Stände der österreichischen Erbländer
bereits die freie Verkündigung des reinen Evangeliums.
Diese Forderung lehnten freilich Kaiser Karl V. wie Erzherzog
ı) Für den kurzen Überblick über die Reformation und Gegenreformation in Inner-
österreich wurden benutzt: Ilwof, Der Protestantismus in Steiermark, Kärnten und
Krain vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart (Graz 1900) und Loserth, Die
Reformation und Gegenreformation in den innerösterreich. Ländern im 16. Jahr-
hundert (Stuttgart 1898).
Ä 14
TES rn
— 188 —
Ferdinand noch ab, ja es ergingen strenge Verordnungen gegen die
weitere Verbreitung der neuen Lehre. Allein eine große kirchliche
Visitation, die man 1528 in den innerösterreichischen Ländern ver-
anstaltete, ergab, daß der Adel sich schon fast völlig den Lehren
Luthers angeschlossen hatte, daß diese aber auch in den Städten festen
Fuß gefaßt und unter den Bauern, wie unter der Arbeiterschaft Ver-
breitung gefunden hatte. Im Jahre 1549 war der protestantische
Charakter der Stände von Nieder- und Oberösterreich, Steiermark,
Kärnten und wohl auch von Krain bereits entschieden, und als 1564
Ferdinand I. starb, konnte ganz Innerösterreich im wesentlichen als
protestantisch gelten. Ferdinands Nachfolger Karl konnte mit Recht
sagen, daß er bei seinem Regierungsantritte nur noch Überreste der
alten katholischen Kirche vorgefunden habe.
Im Jahre 1572 mußte denn auch den „Herren und Rittern‘“
nicht bloß für sich und ihre Familien, sondern auch für ihre Unter-
tanen volle Gewissens- und Kultusfreiheit gewährt werden. Den
Städten und Märkten wurde dieses Zugeständnis zwar nicht gemacht,
doch baute man in ihrer Nähe auf Grundstücken der Landschaft oder
der Grundherren evangelische Kirchen, wo die protestantischen Bürger
ihre Andachten verrichten, ihre Hochzeiten halten, ihre Kinder taufen
lassen konnten. So wurde auch in der Nähe von Schladming bei
Neuhaus eine protestantische Kirche erbaut. Und 1578 erklärte Karl
den Ständen überdies mündlich, daß er in Graz, Laibach, Klagenfurt
und Judenburg selbst die Errichtung protestantischer Kirchen und
Schulen gestatte, und daß in den anderen Städten und Märkten zwar
keine protestantischen Prediger aufgenommen, die Bürger aber ander-
seits auch nicht zur Teilnahme an Zeremonien gezwungen werden
düften, die das Gewissen der Protestanten irgendwie beschweren
könnten. Innerösterreich war völlig protestantisch geworden. Ein
Zeitalter hoffnungsvollen Aufschwungs, wiedererwecktem Bildungs-
dranges und wissenschaftlichen Strebens schien gekommen.
Allein der Rückschlag sollte nicht mehr lange ausbleiben. Erz-
herzog Karl hatte sich 1571 mit Maria, der glaubenseifrigen Tochter
des strengkatholischen Herzogs Albrecht von Bayern, vermählt und
schon ein Jahr darauf war eine Kolonie des Jesuitenordens in Graz
eingetroffen, die der Erzherzog glänzend ausstattete. Ihre Wirksam-
keit, wie die Verbindung des Erzherzoges mit dem Hause Bayern
sollte sich bald fühlbar machen. Im Jahre 1579 fand in München
eine Familienkonferenz statt, bei der beschlossen wurde, die den Pro-
testanten bisher gewährten Zugeständnisse zurückzunehmen — nicht
— 189 —
plötzlich zwar und nicht durch formellen Widerruf, aber Schritt für
Schritt durch die Tat.
Nun wurden dem Adel Schwierigkeiten bei der Erbauung von pro-
testantischen Kirchen gemacht, den Bürgern der Städte und Märkte
der Besuch des Gottesdienstes in den Kirchen des Adels strengstens
untersagt. Später wurde den protestantischen Geistlichen verboten,
ihre Funktionen außerhalb ihrer Kirchen auszuüben. Bei der Besetzung
der Stellen in der Regierung und beim Militär wurden — ohne Rück-
sicht auf die Vorschläge der Stände — ausländische Katholiken be-
vorzugt, die heimischen Kräfte, weil sie sich zum Protestantismus
bekannten, hintangesetzt. Bald begannen auch die Absetzungen pro-
testantischer Stadtrichter, die Auflösungen evangelischer Stadträte, die
Ausweisung protestantischer Prediger, Schullehrer und Bürger. Wer
künftig als Bürger in eine Stadt aufgenommen werden wollte, mußte
den „katholischen“ Bürgereid schwören. Auch die ersten gewaltsamen
Bekehrungsversuche durch Religionsreformations-Kommissionen, die in
einzelne Städte und Märkte Steiermarks, Kärntens und Krains geschickt
wurden, um die protestantischen Bürger zu bekehren oder auszuweisen,
ließen nicht mehr lange auf sich warten.
Die entscheidenden Maßnahmen erfolgten dann unter Karls Sohn,
dem Erzherzog Ferdinand II., der 1595 die Regierung übernahm.
1599 erging ein Erlaß an alle evangelischen Bürger Innerösterreichs,
der diese aufforderte, zur katholischen Religion zurückzukehren oder
ihr Hab und Gut zu verkaufen, den zehnten Pfennig als Abzugsgeld
zu zahlen und die Erbländer zu verlassen. Das Singen evangelischer
Lieder, der Verkauf evangelischer Bücher wurde verboten, den Bürgern
„bei Straf Leibs und Gelds‘ befohlen, nur von der römisch-katholischen
Geistlichkeit die Einsegnung der Ehen, die Spendung der Sakramente
und die Leistung anderer geistlicher Funktionen zu begehren und
anzunehmen. Ä
Im Oktober 1599 versammelte sich dann die erste der von Fer-
dinand eingesetzten Religionskommissionen, die unter dem Schutze
windischer und deutscher Kriegsknechte durch ganz Innerösterreich
zogen. Überall verjagten sie die noch anwesenden protestantischen
Prediger, setzten katholische Pfarrer ein, nahmen die Führer der evan-
gelischen Bewegung unter den Bürgern gefangen und verwiesen die
glaubenstreuen Protestanten des Landes. Die evangelischen Kirchen
wurden gesperrt, niedergerissen oder in Brand gesteckt, alle „sektischen “
Bücher beschlagnahmt und verbrannt, wohl auch hie und da Galgen
errichtet zur Warnung, daß niemand den evangelischen Predigern
14°
— 190 —
Unterstand gebe oder sonst Widerstand leiste, Wo das erste Er-
scheinen der Kommission nichts fruchtete, erschien sie ein zweites
Mal, und 1604 hatten die Kommissionen in allen Städten und Märkten
Innerösterreichs ihr Werk vollendet. Als dann 1628 auch der pro-
testantische Adel, soweit er sich nicht „bekehrt‘“ hatte, das Land hatte
verlassen müssen, war Ferdinands Wunsch erfüllt, waren alle seine
Länder wieder katholisch.
Wie man aber bei dem Bekehrungswerke im einzelnen vor-
gegangen ist, soll nun — nach diesem so knapp wie irgend mög-
lich gehaltenen allgemeinen Überblicke über die Reformation und
Gegenreformation in Innerösterreich — an einem besonderen, hier
eingehender zu behandelnden, Beispiele auf Grund einer katholischen
Quelle gezeigt werden.
x *
Am 12. November 1599 war die „erzherzoglich-geistliche“ Re-
formationskommission mit einer auf 800 Mann verstärkten Schutzwache
auch nach Schladming gekommen !!). Sie sollte auch hier in dem
„wahren Ketzerneste und Grundsuppen allerlei Irrtümer“ die Ketzerei
mit Stumpf und Stil ausrotten, sollte Ort und Land wieder katholisch
machen. Welcher Mittel sie sich dabei bediente schildert Jakob
Rosolentz „des löblichen Stiffts Stayntz in Steyer Probst“ in seinem
1607 erschienenen, gewiß cher schönfärberisch gehaltenen „Gründlichen
Gegen-Bericht. Auff den falschen Bericht und vermainte Erinnerung
Davidis Rungii/ eines Wittenberger Professors) von der Tyrannischen
Bäpstlichen Verfolgung deß H. Evangelii in Steyermarkt, Karndten
und Crayn“ in recht anschaulicher Weise. „Ritter und Rat — so ecr-
zählt er —, die Knappen und die Bürgerschaft wurden vorgeladen und
ihnen ihr Ungehorsam, ihre Meineidigkeit, Gelübdbrüchigkeit und
rebellische Widersetzung gegen ihre fürstliche Durchlaucht als natür-
lichen Erbherrn nach längs vorgehalten und ihnen angezeigt, daß sie
also durch ihre Treulosigkeit an Leib, Hab, Ehr, Gut und Blut in
Ihre fürstliche Durchlaucht Ungnad und Straf gefallen; dann wurden
von ihnen alle ihre gehabten Freiheiten, Schriften, briefliche Urkunden,
wie auch alle ihre Wehre und Waffen abgefordert und bei 3000 Bande
ketzerischer Schriften dem Vulkano aufgeopfert und mit Feuer ver-
1) Vgl. Dechant Hutter: Geschichte Schladmings und des steirisch- salzburgi-
schen Ennstales (Graz 1906), S. 266 und Senior Hanpter: Bericht über die evan-
gelische Kirchengemeinde A. C. Schladming in der oberen Steiermark (Nürnberg
1853), S. 19 und 20, beide im wesentlichen nach dem „gründlichen Gegenberichte des
Jakob Rosolentz “,
— 191 —
tilgt“. Die meisten der Erschienenen leisteten sodann den vor-
geschriebenen weltlichen und geistlichen Bürgereid. Nur der Berg-
verwalter Hanns Steinberger, „aller Prädikanten Großvater und der
ganzen in mancherlei Aberglauben zerspaltenen Nachbarschaft Abgott“,
mußte nach Graz geschicket werden. Auch die anderen Prädikanten
mußten sich trollen und Fuß machen. Die Schladminger Kirche
ward dem katholischen Pfarrer von Haus übergeben und die Gründe
des Hofmannschen Spitals, das einen konfessionell-lutherischen Cha-
rakter hatte, sowie eine Studienstiftung, die für Stiftungsplätze in der
lutherischen Stiftsschule in Graz gewidmet war, wurden beschlagnahmt.
Schließlich wurden, zur Verhütung zukünftigen Unheils, noch Patente
wider die sektischen Prädikanten öffentlich angeschlagen, daß sie
nicht nur nicht geduldet, sondern auch bei abermaliger Einschleichung
angezeigt und daß alle, die den Prädikanten Unterschleif geben
würden, ohne ferneres Urteil oder Recht an den aufgerichteten, lichten
Galgen vom Leben zum Tode erhöht und ihres verdienten Lohnes
bezahlt werden sollen. Die Galgen waren für alle Fälle gleich an
drei verschiedenen Stellen des Ortes errichtet worden !).
Da trotz alledem weder bei den Bürgern noch Bergwerksgenossen,
geschweige bei der umliegenden Bauernschaft eine Besserung ‚der
wahren Religion halber“ gespürt wurde, kam am 5. Juli 1600 eine
zweite Reformationskommission nach Schladming. Wohl rotteten sich
die Bürger und 500 Bauern zusammen, um der Kommission den Ein-
tritt in den Ort zu verwehren, allein schnell wurden Posten aufgestellt,
das Rathaus wie das Zeughaus mit Soldaten besetzt und im ganzen
Orte Wachposten verteilt, so daß kein Widerstand mehr möglich war.
Dann hielt Bischof Brenner, der „Ketzerhammer“, in der Kirche eine
Bekehrungspredigt, nach der die Mehrzahl der Erschienenen den Ge-
horsams- und Religionseid leisteten. „Ob die lange Rede des Bischofs,
oder die aufgestellten Soldaten, oder der unheimlich drohende Galgen,
oder die angekündeten Strafen an Leib und Gut so schnell wirkten,
ist nie offenbart worden“ 2). |
110 Knappen und Bauern und 13 Bürger — darunter zwei Rats-
personen — weigerten sich indessen trotz alledem, den Eid abzulegen.
Sie mußten — unter Zurücklassung des zehnten Teiles ihrer Habe —
1) Payer: Geschichtliches über Schladming, Handschriftlich der (Grazer)
Landesbibliothek gewidmet, S. 35 und Weltpriester Zapletal: Die Bekämpfung und
Duldung des Protestantismus im oberen Ennsthale (Graz 1883), S. 15.
2) Haupter a. a. O. S. 8 und 9.
— 192 —
aus dem Lande ziehen, mußten dem Glauben die Heimat opfern }).
Viele sollen — so meinte wenigstens Propst Rosolentz in seinem
Gründlichen Gegenberiche — ohnedies Lust gehabt haben, sich in
ihr Vaterland zu begeben, und etliche sollen auch entloffen sein,
deren Namen geschrieben standen in den Büchern der Wirt und
Kaufleut, so daß des abgeforderten zehnten Pfennigs wohl wenig war,
da fast jeder sich des Spruchs: Omnia mea mecum porto berühmen konnt.
Andere dachten indessen anders über diese Dinge. Selbst Erz-
herzog Ferdinand schrieb am 7. April 1601 an den Herzog Maximilian
von Bayern: „Die Auswanderung ist mehr uns als den Abgezogenen
nachteilig, denn sie waren fast die Vermöglichsten und nahmen viel
geld mit hinaus“ 2). Und noch 300 Jahre später meinte ein öster-
reichischer Geschichtsforscher: „Nie mehr konnte Österreich den
Verlust jener Tausende von Familien gutmachen, welche nach dem
Siege Kaiser Ferdinands II. über den Protestantismus verbannt worden
waren.“ 3) Doch war das an heiliger Stätte abgelegte Gelübde Fer-
dinands: er werde — auch mit Einsetzung seines Lebens — aus
Steiermark, Kärnten und Krain die Sekten und ihre Lehrer ab-
schaffen *), nun auch in Schladming erfüllt. Und frohen Herzens
mochten seine Räte ihm melden: „Wir haben sie vertilgt. Das ist
der Tag des wir haben begehrt; wir habens erlangt, wir habens erlebt.“
x *
*
„Bruder ich kann nicht mehr, hilf mir vor Scheer und Speer.“
Dieser Erkennungsspruch der heimlichen Protestanten mag nun auch
oft in der Umgebung” Schladmings erklungen sein. Denn auch die
Schladminger waren ihrer unterdrückten Religion heimlich treu ge-
blieben. „Äußerlich haben sie es wohl — heißt es in einer Chronik) —
1) Kotschy: Gedenket der vorigen Tage! (Selbstverlag 1881), S. 19.
2) Ilwofa. a. O. S. 173.
3) Friedjung: Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859 bis
1866 (8. Aufl. Stuttgart und Berlin 1910), S. 553.
4) Robitsch: Geschichte des Protesiantismus in der Steiermark. Mit kirchl.
Approbation (Graz 1859), S. 180.
- §) „Kurze Geschichte der evangelischen Schladminger Gemeinde“ im Archive des
evangelischen Pfarramtes in Schladming. Die Benützung dieser handschriftlichen
Chronik wurde mir durch das liebenswürdige Entgegenkommen des hochwürdigsten Herrn
Superintendenten Dr. Lichtenstettiner in Schladming an meinem Wohnorte ermöglicht,
wofür ich dem Herrn Superintendenten herzlichen Dank schulde. Sie enthält die Auf-
zeichnungen der fünf ersten protestantischen Seelsorger Schmal, Biermann, Wunderlich,
Häuffel und Wehrenpfennig, die nach dem Inslebentreten des Toleranzpatentes in den
Jahren 1783 bis 1820 in Schladming wirkten. Je eine Abschrift dieser Chronik habe
ich im k, k. Statthaltereiarchive und im Landesarchive in Graz hinterlegt.
—.
— 193 —
mit den Katholiken gehalten, aber sie haben immer dabey ihren
Kindern im Geheim die protestantische Religion eingeflöße. Man
kann daher von ihnen geradezu sagen, daß sie gezwungene und be-
müßigte Heuchler waren. Ihre Bücher haben sie aus dem Reiche
und aus dem Ortenburgischen geholet, ja einige, die eyfrigsten, reißten
zuweilen in die evangelischen Orter zu beichten und zu komuniciren,
die aber auch bey den Katholiken beichten mußten, wenn sie sich
keiner Verfolgung aussetzen wollten. So standen die Sachen, unter
der Regierung der beyden Ferdinande, des Kaysers Leopold des ısten,
Joseph des Ersten und Karl des 6ten. Man hatte zwar die hiesigen
Leute immer in Verdacht, aber sie hatten doch keine solche Nach-
sbürungen und Verfolzungen unter obigen Herrschern auszustehen,
als unter der Regierung Maria Theresia, die alle Welt katholisch zu
machen suchte. Unter dieser sonst milden und guten Frau, die man
gerade als einen Vertikal Winkel von Friedrich dem Einzigen ansehen
kann, hatten die armen Leute manche harte Schiksale auszustehen.
Wenn sich einer oder der andere bey einem evangelischen Buche
betreten ließ, oder nur einige protestantische Redensarten äußerte, so
war das so hoch als das größte Verbrechen aufgenommen. So ein
unglücklicher ward genötigt, für jedes Protestantische Buch eine Strafe
von 16 (richtig 18) fl. zu erlegen, und oben drein wurde er noch
lang und viel eingesberet, auf das schärfste examiniert, ob er nicht
mehrere derley Bücher habe oder ob er nicht mehrere heimliche
Protestanten anzugeben wisse?
„Maria Theresia, um die Leute zu ihrer Kirche, die sie allein
für die seligmachende hielte, zurück zu bringen, hatte nichts unversucht
gelassen zu ihrem vermeinten frommen Zwecke zu gelangen. Sie
befahl daher, daß die Regulirten Chorherrn zu Rottemann sich die
Bekehrung der heimlichen Protestanten um Schladming angelegen
seyn ließen. Wenn demnach einer oder der andere des Protestantis-
mus wegen stark verdächtigt wurde, oder wenn man bey Jemanden
protestantische Bücher antraf, so war er nach Rottemann in Verhaft
gebracht, allda scharf examiniert, und mußte zugleich mehrere Monate
im Gefängnisse schmachten. Einige, um diesen übeln Begängnissen
zu entgehen, wenn sie von verdächtigen Familien waren, entfernten
sich heimlich aus dem Lande und suchten Ruhe zuweilen in Orten-
burg, die meisten aber giengen nach Ungarn, Siebenbürgen und
Banath !). Die Rottenmanner Geistlichkeit schien noch allzu mensch-
1) Von freiwilligen Auswanderungen nach Siebenbürgen und dem Banate war in
den bisher veröffentlichten Quellen nicht die Rede. Über die Ansiedlung von Protestanten
— 194 —
lich zu einem so nicht ganz menschlichen Missionsgeschäfte, wobei
die Leute Meinungen halber mit Geld und Gefängnis Strafe belegt
waren, zu seyn. Es wurde daher durch den Geist des Fanatismus
ein gewisser Graf, Wolf Stubenberg erwecket, welcher in der Gegend
Stadll, wo viele Protestanten endecket wurden, bei einem mäßigen
Diäten Geld von ı. ganzen Soverin, das fromme und heilsame Be-
lehrungsgeschäft über sich nahm, und solches, mit der Beyhilfe des
Herrn Karl v. Preitenau, dermalugen Kreiskommissär, und des so
genannten Missionsprobsten, eines gewissen Glättlers, weiland Pfarrer
zu Stadtl, oberhalb Murau bis in das 3te Jahr betrieb. Das Resultat
dieser kostsbüligen Kommission war, daß man recht viele wohlhabende
Bauer Familien von ihren Gütern abstifete und sie alsdann mit dem
wenigen Gelde, was ihnen nach Abzug der Gerichtskosten überblicb,
nach Siebenbürgen versetzte. Da hat sich öfters zugetragen, daß der
Mann von dem Weibe, das Weib von dem Manne, und gute Freunde
und Verwandte von den Ängehorigen getrennt wurden. Mit den
Kindern aber unter dem I5sten Jahre hat man wenig Umstände ge-
macht, indem diese den Eltern schlechterdings abgenommen, und in
gut katholische Häuser zur Erziehung, nebst Zurückbehaltung ihre
Erbteiles, was auf sie von den verkauften Gütern gefallen war, gegeben
wurden. Die Transportation aber geschahe auf folgende Art. Wenn
die Unterlaufer der Missions Kommission, worunter Georgius Dibatistis,
nachmaliger Vicarius zu Schladming, jetzo Pfarrer zu Pfansdorf, ferner
Herr Hessel, dermaliger Stadtpfarrer in Murau ferner ein gewisser
Gassner, Vicarius in Murboden, und andere Inquisitions Apostel, eine
gewisse Zahl Protestanten ausgesbüret, so wurden solche nach Ver-
kauf ihrer Güter und anderer dabey üblicher Formalitäten, an einen
bestimmten Tag vor die besagte Kommission vorbeladen, ihnen die
unmündigen Kinder abgenommen und nachdem man selben einen
Militär Komando zugesellet hatte, alsdan über die Gränzen nach
Siebenbürgen geschafft. Ihre Reise gieng gemeiniglich bey. Wien
nach Pressburg, von wo sie auf Schiffen ins Banath, und von da nach
Herrmanstad in Siebenbürgen geliefert wurden. Es versteht sich von
sich selbst, daß manche von diesen Leuten, die eine so frische und
gesunde Gegend, wie die in Obersteier ist, mit der ungesunden des
Nieder Ungarns und besondern des Banaths, so geschwind verwechseln
mußten, daß sie wohl unter Wegs krank wurden, ja manche auch
noch eher starben, als daß sie den bestimmten Ort und Stelle erreichet
in Galizien vgl. Kaindl, Geschichte der Deutschen in den Karpathenländern,
3. Bd. (1911), S. 7 fl.
m
-~
— 1% —
hätten. Von den vielen guten und fleißigen Unterthanen, die man
nach Siebenbürgen versetzte, hatte man nach Io Jahren nur sehr
wenige mehr über der Erden gefunden; die meisten starben vor
Gram und vor der Zeit und bedauerten ihre Kinder und ihr Vatterland,
das sie der Religion wegen verlassen.
„Als Graf Stubenberg, mit dieser für den Staat und die Ehre
Gottes nachtheiligen, für seinen Geiz aber einträglichen Komission
fertig wurde, bekam er von der Kayserin Maria Iheresia zur Belohnung
und quasi re bene gesta ... einen brillantenen schönen Ring, dessen
Werth auf 1000 fl. geschätzt wurde. So was solches empfangen zu
haben kann sich nicht jeder General der im Siebenjährigen Kriege
wichtige Vortheile erfochten hat, rühmen.
„Nachdem nun in Stadl nichts mehr zu thun gab, und nach dem
man allda recht viel Unglückliche zu Ehren Gottes gemacht hatte, so
kam Herr von Preitenau als Religions Kommisarius mit guten Diäten-
geldern nach Schladming, um die Trauerscene von Stadl auch in
hiesigen Gegenden in Gang zu bringen. Sein treüer Gehilfe Georg
Dibatistis, — vermutlich ein jesuitischer Affilierte, war ihm als Vicarius
voran gegangen und wartete schon den gnädigen Herrns, dessen sich
die sbanische Inquisition in Amerika recht wohl zu bedienen gewußt
hätte. Da ihn aber das Schiksal von einem Eisenhändler in Wienerisch
Neustadt geboren werden ließ, so kann es seyn, daß dieses harte
Metall auch in etwas sein Herz verhärtet hatte, was nemlich die
anders denkenden betraf, den sonst war er in Umgang ein gefühl-
voller und guter Mann, doch quid non religio possit svadere malorum
und die auri sacra fames. l
„Dem Dibatistis folgte Ressl, als Missionarius nach, der hier bey
einer Besoldung von 300 fl. das wichtige Geschäfte der Bekehrung
treiben sollte, neben welchem er auch noch ein anderes trieb.
Allein das Ding wollte sich nicht so wie in Stadl geben, sey es daß
Graf Stubenberg als das Weltliche Oberhaupt, oder Herr Glättler als
Missionsprobst der alten Religions Kommission fehlten, oder waren
vielleicht unsere Ramsauer und Schladminger mit der Verstellungs-
kunst vertrauter als die Stadler. Genug man bekam nur dann und
wann einzelne Persohnen, die verdächtiger Meinungen und Bücher
halben angeklagt wurden, anstatt daß man gehoft hatte ganze Haus-
haltungen zu inquirieren, und endlich solche nach Siebenbürgen zu
liefern. Die alte Taxe, sich für jedes protestantische Buch, wenns
auch das unschuldigste gewesen wäre, auszahlen zu lassen, bestand
noch immer fort, und mancher Hausvater, mußte zuweilen für 3, 4,
— 196 —
auch mehrere Bücher, die bey ihn gefunden wurden, solche Taxe
erlegen, nach welcher alsdann ein frisches Glaubensbekäntnis abgelegt
werden mußte, das aus, einem bereitwilligen Munde und verstellten
Herzen floß. Herr von Preitenau hielt auf äraial Kösten 2 Polizey-
büttl oder Scherge, die nebst den Gränz Aufsehern, zuweilen die Leute
bey ihrem Gebet behorchen, und ihre Häuser durch visitieren mußten..
Wenn man bey solchen Untersuchungen nur ein halbes Blatt aus
einem evangelischen Buche fand, so gieng das Untersuchen, und
Examinieren des Hausvaters und der Hausgenossen ohne Ende fort.
Diese Inquisitions Plakerey dauerte nach einander bis zu dem Absterben
Maria Theresia fort, und wenn es der Vorsehung nicht gefallen haben
würde, die frömmelnde Kayserin von dem großen Schauplaze ab-
zufordern, so würde es um die Protestanten sehr übel ausgesehen
haben. Sie starb aber bekantermaßen gegen das Ende des Jahres
1780, und gleich ein halb Jahr darauf mußte Herr Religions Komis-
sarius von Preitenau, der allda mit 900 fl. Gehalt angestellet war,
sein frommes inquisitions Geschäft aufgeben, wornach er nach Juden-
burg auf seinen vorigen Posten als Kreis Komissär kam.“
Diesen Mitteilungen der alten Chronik ist indessen doch einiges
hinzuzufügen. Richtig ist ja, daß die Verfolgungen — nachdem ein-
mal die äußerliche Wiederkatholisierung durchgeführt war — anfangs
nachließen. Immerhin gab es — abgesehen von den späteren Ver-
fügungen — schon 1617 wieder eine neue Visitation, und 1623 er-
schien sogar ein neues Auswanderungsdekret. Wenn daher diese
Maßnahmen weniger drückender erschienen als die späteren, so kann
dies nur darin seinen Grund gehabt haben, daß sie nicht entsprechend
durchgeführt wurden, was dann freilich zur Folge hatte, daß sich die
heimlichen Protestanten durch häufige Reisen in das ketzerische Aus-
land, mit dem sie Viehhandel trieben und in dem sie trotz mannig-
facher Verbote auch ihre Kinder erziehen ließen, durch die im ge-
heimen herumziehenden Prediger und vor allem durch die in großer
Zahl eingeschmuggelten protestantischen Bücher ihren Glauben er-
halten konnte.
Es zeigte sich eben nicht nur die katholische Geistlichkeit in
jener Zeit ihrer Aufgabe — soweit sich diese auf die Bekehrung
Andersgläubiger bezog — ofienbar durchaus nicht immer gewachsen !),
sondern es war auch die Regierung vielfach dnrch auswärtige Ver-
wicklungen zu sehr in Anspruch genommen, als daß sie mit voller
1) Hutter a. a O. S. 278.
— 197 =
Kraft hätte eingreifen und die „etwa schwierigen Unterthanen noch
mehr hätte reizen können“ !). So suchte man die heimlichen Pro-
testanten denn vornehmlich durch Milde und Belehrung und wohl
auch durch Besserung der anscheinend nicht immer einwandfreien
katholischen Seelsorgeverhältnisse zum katholischen Glauben zurück-
zuführen und vermied schärfere Maßnahmen. Umsomehr, als es sich
vielfach um sehr einflußreiche und wohlhabende Bauern handelte 3),
die weder die Regierung noch die — auf das Einfließen von Stol-
gebühren angewiesene — Geistlichkeit 3) gerne aus dem Lande ziehen
lassen wollte — ganz abgesehen davon, daß dem humanen Geiste der
mit der Leitung der Religionsangelegenheiten betrauten Benediktiner in
Admont gewaltsame Bekehrungsversuche ohnedies kaum entsprochen
haben dürften.
Als dagegen Maria Theresia, durch den Abschluß des Aachener
Friedens etwas freiere Hände bekommen hatte und sich mehr mit den
inneren Angelegenheiten ihres Reiches beschäftigen konnte, sorgte sie
allerdings dafür, daß ihre Anordnungen auch durchgeführt wurden.
Sie tat dies, weil sie sich überhaupt auf den — in Österreich freilich
nicht immer festgehaltenen — Standpunkt stellte, daß Verordnungen
dazu da seien, um eingehalten zu werden, keineswegs also aus
„Frömmelei“. Waren doch schon unter ihrem Vater die Maßnahmen
gegen die Protestanten durchaus nicht nur aus religiösen, sondern fast
ausschließlich aus politischen Gründen ergriffen worden. Sie hatten
sich daher in erster Linie auch immer gegen die Emissäre gerichtet,
die aus dem Auslande kamen und die Bevölkerung’ zur Auswanderung
zu bewegen suchten. Denn diese Auswanderung entvölkerte das
Land und trug — da sie meist nach Preußen, der Vormacht des Pro-
testantismus führte — überdies mit zum Aufblühen dieses damals mit
Österreich in steter Fehde lebenden Landes bei. So sah man denn
in den Protestanten nicht mehr bloß die Ketzer und Sektierer, sondern
vor allem die schlechten oder doch wenigstens unzuverlässigen Unter-
tanen, die nicht nur die im staatlichen Interesse für notwendig erachtete
Glaubenseinheit störten, sondern auch mit den Feinden des Reiches
in Verbindung standen, die Friedrich den Großen ihren König nannten t)
ı) Ilwof a. a. O. S. 183 und Zapletal a. a O. S. 24.
2) Hutter a. a. O. S. 323 f.
3) v. Zwiedineck- Südenhorst: Geschichte der religiösen Bewegung in
Innerösterreich im 18. Jahrhundert (Archiv für österreich. Geschichte 53. Bd. [1875],
S. 461 f.).
4) Zapletal a. a, O. S. 62.
—- 198 =
und von denen man daher gerade in Zeiten auswärtiger Verwicklungen,
wenn auch — wie sich erwies — sehr mit Unrecht, die Veranstaltung
von Unruhen befürchtete.
Nur so erklärt es sich, daß nicht nur eifrigst nach den besonders
gefährlichen protestantischen Büchern gefahndet, neue Seelsorge-
stationen errichtet, Missionen eingeführt, ein eigenes Konversions-
haus in Rottenmann gegründet, sondern selbst die Verschickung der
Hartnäckigsten nach Ungarn und Siebenbürgen, Einreihungen in die
Miliz, und Verurteilungen zu Arbeiten in Eisen oder zu Festungsarbeiten
verfügt, wenn auch vermutlich in Schladming selbst — vielleicht
wegen der Kriege mit Preußen !) — nicht durchgeführt wurden. Die
Staatsgewalt trat eben jetzt durchaus nicht mehr als Büttel kirchlicher
Bestrebungen auf, sondern sie ließ dem selbständigen Vorgehen der
Geistlichkeit sogar nur noch sehr geringen Spielraum und bediente
sich dieser lediglich zur Durchsetzung ihrer, wie erwähnt, im wesent-
lichen rein politischen Zwecke. So mußten die Klöster, die wohl-
habendsten Pfarreien und die Kapitel — trotz ihres Widerstandes —
einen nicht unbeträchtlichen Teil der Kosten des Wiederbekehrungs-
werkes tragen; ja, die weltlichen Behörden griffen in vielen Fällen
selbst in die inneren Angelegenheiten der Kirche ein und scheuten
sich nicht, sogar ein Urteil darüber zu fällen, wem die Kirche ihre
Gnadenmittel zu spenden habe ?).
In den letzten Jahren der Regierung Maria Theresias wurden die
strengeren Maßnahmen indessen überhaupt sehr eingeschränkt. So
wurde 1773 verboten, daß die zur Verschickung nach Ungarn und
Siebenbürgen bestimmten Evangelischen zum Militär abgestellt wer-
den, 1774 die Verschickung überhaupt in jedem einzelnen Falle von
der Genehmigung der Kaiserin abhängig gemacht, und in den aller-
letzten Jahren vor der Erlassung des Toleranzpatentes leuchtete
I) Siehe das Schreiben des Dechanten J. N. Nowak in Haus an das fb. Ordi-
nariat vom 24. Dezember 1308 im Hauser kathol. Pfarrarchive. Auch die Akten dieses,
sowie des Schladminger katholischen Pfarrarchives wurden mir durch die Güte des hoch-
würdigsten Herrn Kreisdechanten und Hauptpfarrer fb, geistl. Rat Leopold Schwarz in
Haus und des hochw. Herrn Pfarrers Dr. Luttenberger in Schladming zur leichteren
Benützung nach Graz gesendet. Die Durchsicht besorgte die Beamtin des landesstatisti-
schen Amtes in Graz, Fräulein Martha Kern in gründlicher und verständnisvoller Weise,
so daß ich mich im allgemeinen damit begnügen konnte, die von ihr verfaßten erschöp-
fenden Aktenauszüge zu benützen und nur selten in die Urschriften Einsicht zu nehmen
brauchte. Ich bin Fräulein Kern für die mir hierdurch gewährte Unterstützung auf-
richtig dankbar.
2) v. Zwiedineck-Südenhorst a. a. O. S. 505 f.
— 199 —
selbst aus strengeren Anordnungen häufig schon der Geist der Dul-
dung hervor.
Es mehrten sich die Zeichen, daß ein Zeitabschnitt seinem Ende
nahe, der den Evangelischen Schladmings so harten Zwang zur steten
Heuchelei, so mannigfache Verfolgungen, aber auch so viel der heim-
lichen Freuden gebracht hatte. Denn wenn am Samstag abend der
Hausvater die Seinen um sich versammelte, die wohlgehüteten ver-
pönten Bücher aus dem Verstecke holte und den Versammelten die
Worte der Schrift verkündete !), da mag nicht nur inniger Glaube die
Versammelten erfüllt haben, sondern auch jene echt deutsche schwär-
merische Hingabe an ein großes Wollen, die allen Verfolgungen trotzt
und die so häufig Stunden reinsten Glücks verleiht. Später beschul-
digten sich die weltlichen und geistlichen Behörden freilich gegen-
seitig, daß nur ihr laues Vorgehen an den Mißerfolgen der Gegen-
reformation Schuld gewesen sei, und es läßt sich ja auch vielleicht
darüber streiten, ob das Häuflein der Protestanten durch fast zwei
Jahrhunderte Stand gehalten hätte, wenn es nicht aus wohlhabenden |
und unabhängigen Bauersleuten bestanden hätte, die in entlegener
Gegend wohnten und denen gegenüber die weltliche wie die geist-
liche Gewalt — wenn sie überhaupt bis zu ihnen drang — sich oft-
mals recht schwach erwies. Daß aber sechs Generationen ohne allen
öffentlichen Unterricht in Kirche und Schule, ohne Umgang mit Per-
sonen, die eine höhere religiöse Bildung genossen, trotz aller Dro-
hungen und Bekehrungsversuche ihrem Glauben die Treue hielten,
muß alle, die im Kampfe um geistige Güter stehen, immerdar mit dem
köstlichen Bewußtsein erfüllen, daß ‚‚der Mensch nicht Macht hat über
den Geist, den Geist zurückzuhalten “.
II.
Bald sollte denn auch der Glaubenszwang für die Evangelisch
Gesinnten Schladmings ein Ende haben. Josef II. unterschrieb 1781
das „Toleranzpatent‘“, nach dem künftig „in keinem Stücke ein Unter-
schied zwischen Katholiken und Protestanten mehr gemacht werden“
sollte, und damit hatte — wie Pastor Schmal jubelnd in seiner Chronik
schrieb — „das Kritisieren ein Ende“ ?).
Die Veröffentlichung des Ediktes erfolgte freilich nicht ganz so
schnell, wie es vielleicht möglich gewesen wäre. „Weitgefehlt als
1) Haupter a. a. O.
2) Auch die folgende Darstellung stützt sich — soweit nicht ausdrücklich andere
Quellen genannt sind — im wesentlichen auf die Chronik der protestantischen Pastoren.
— 200 —
daß solches befohlener maßen so gleich in Umlauf gebracht worden
wäre“ — meinte wenigstens Pastor Schmal —, „vielmehr gaben sich
so wohl die geistlichen als weltlichen Herrn Mühe, es den Leuten zu
verheimlichen. Der erste von die Herrn Pflegers hiesiger Gegenden
war Herr Johann Michl Ogriß, Pfleger zu Trautenfels, der solches
den Ramsauern gezeigt hatte, und der seinen Unterthanen zu ver-
stehen gab, daß sie sich nunmehr frey zu der Religion, die sie bis-
hero nur heimlich hielten, erklären dürfen.“ In Schladming selbst
wurde das Patent aber erst am 6. Dezember vom Wolkensteinischen
Verwalter unter Trommelschlag verkündigt !) und noch einen Monat
später — am 7. Januar 1782 — las in dem nahe gelegenen Bichl ?) der
Weixelbauer St. Peterische Amtmann Benedikt den Untertanen, die
gerade ihren Stifttag hielten, zur Mittagszeit das Edikt vor. Des
Abends hielt dann einer der Untertanen, der Ramsauer „Reiterbauer“
eine Art Antwortrede, in der er sagte, „daß die sämtliche Gemeinde
ihres Vikariates katholisch-evangelisch“ sei. Der Verwalter war dar-
auf nicht gefaßt und sehr erstaunt. Er erwiderte, sie möchten ein
andermal kommen und sich verständlich erklären. |
Anfangs wollten nämlich — wie Pastor Schmal in der Chronik
erzählt — die evangelisch Gesinnten kaum ihren Sinnen trauen. „Ja
als schon das Edikt durch mehrere Hände gieng, so wurde die Sache
für .einen fein ausgedachten Kniff ausgegeben, und unter die Leut
ausgesbrengt: der Kayser wolle nur hiemit die heimlichen Protestanten
entdecken, um sie hernach, wenn sie sich selbst dazu öffentlich er-
klärt hätten, nach Siebenbürgen versetzen zu können.“
„Indessen mußte doch die Bahn einmal gebrochen seyn, und
da die hiesigen Protestanten sahen, daß sich die Leute in der Gegend
Goisern und Hallstadt ohne der Gefahr der Transportation erklärten,
so fingen sie sich auch bey ihren betreffenden Herrschaften zu er-
klären an. Vor Pfingsten des 1782. Jahres traf endlich der damalige
H: Kreishauptmann, Baron von Jöchinger, hier ein und nahm in ei-
gener Persohn die Erklärung der Ramsauer in Kulm auf. Nach ein
Paar Tagen wurde eine ähnliche Erklärungs-Kommission auch zu Haus
im Dechant-Hof abgehalten, wohin Jung und Alt, wie die Leute von
ihrer Arbeit abkommen konnten, eilte, um sich persöhnlich zur pro-
testantischen Religion zu erklären. Die Individuen wurden, Persohn
für Persohn vor die Kommission vorgefordert, von ihr über ihre Re-
1) Hutter a. a O. S. 329.
2) Schreiben des Vikar Novak vom 13. 2. 1782 im Hauser Pfarrarchive.
Eher, m me BEE N
— 201 —
ligions-Meinung kürzlich befragt, alsdann schrieb man ihre Nahmen,
Alter und Stand auf, und so entließ man sie nach Haus. Je simpler
und einfacher Einer antwortete, desto leichter kam er davon.
„Nach der Abreise des H: Kreishauptmannes hatte man Herrn
Philip von Etlingen Pflegsverwalter zu Haus, und Herrn Dechant
Ignatz Estendorfer zu Komissarien ernannt, die noch die Erklärung
jener Individuen, die sich mit der Zeit melden dürften, aufnehmen
mußten. Wie man mirs erzählte, so hatte eben Herr Dechant und
Pfarrer zu Haus nicht alle Erklärende gleich glimpflich behandelt,
dagegen mag es auch gekommen seyn, daß sich auch nicht Alle bey
der Kommission gehörig betrugen und benahmen; denn die alte Er-
bitterung zwischen beyden Partheyen mochte sich nicht ganz gelegt
baben. Allerdings konnte es nicht anders kommen, und es mußte
so wohl die hiesige Geistlichkeit als auch Herrn Dechant sehr schmer-
zen, als sie sahen, daß sich so zahlreiche Heerde von ihrem Schaaf-
stalle entfernen will. Auch war ihnen vermöge der Instruktion von
Hof erlaubet, alle gute Maßregeln zu gebrauchen, die Protestanten,
— die man zum Theil auch als Verirrte bedrachten konnte — zum
katholischen Glauben zurück zu bringen.
„Hätte man dem Herrn Kautschitsch, damaligen Kaplan in Schlad-
ming, freye Hände gelassen, so würde dieser durch seinen vernünf-
tigen Katholicismus, dessen Freund und Beförderer er trotz vieler
Verfolgungen, die er hier von der übrigen jesuitisch - orthodoxen
Geistlichkeit ausstehen mußte, wohl auch viele Protestanten bey der
alten Kirche erhalten haben. Denn diesem vernünftigen, aufgeklärten
und toleranten Manne hingen Einige mit Leib und Seele an. Allein
er mußte Schladming verlassen, und nach Untersteyer, wo wenig auf-
zuhellen war, wandern.“
So erklärten sich denn gleich fast 1000 Personen zum Protestan-
tismus !), und die Zahl der Bekenner wuchs von Jahr zu Jahr, „ob man
gleich den sich gemeldeten Individuen alle mögliche Hindernisse in
den Weg, so wohl von den Herrschaften, als der katholischen Geist-
lichkeit gelegt hatte“. ı812 gab es im Pastorate Schladming bereits
1589 (722 männliche und 867 weibliche) Protestanten ?), wobei es
sich zeigte, daß sich die Zahl der Evangelischen seit dem Ende der
Gegenreformation kaum geändert hatte und daß die Nachkommen
aller jener, bei denen damals die Anhänglichkeit an die Heimat und
1) Schreiben des Vikar Novak vom 7. 9. 1790 im Hauser Pfarrarchive.
2) Bunzel: Die Protestanten Innerösterreichs im Vormärze im Jahrbuche des
Vereines für die Geschichte des Protestantismus in Oesterreich, Bd. XXX (1909), S. 92.
— 202 —
an den von den Vätern ererbten Grund und Boden die Sehnsucht
nach öffentlichem Bekennen ihres Glaubens überwogen hatte, doch
insgeheim diesem Glauben treu geblieben waren. Selbst manche Ka-
tholiken sollen von dem Jubel der Protestanten ‚über diese Gnaden-
zeit, die man ja nicht unbenützt lassen solle“ !), mitgerissen, sich für
Evangelische ausgegeben haben.
Die ersten Vorsteher der neuen Gemeinde waren — nach der
Chronik — Johann Winterer, Steinacher, Martin Gföller, Rochel
Franz Schupfer Klock, Peter Schrepf Nerhofer, Andr. Steiner Aigner,
Paul Steiner Mayer in Mandling, Paul Fritziehner Puitzer und Franz
Pachler Rauner. Sie dürften mit ihrer Gemeinde meist recht wohl
ausgekommen sein, denn diese galt als „sehr leitsam und zu allem
guten willig“ ?2). Der dritte Pastor der Gemeinde, Winterlich, wenig-
stens meinte in der Chronik: „Es gibt viel gute Menschen hier, wenn
man sie nur einmal recht kennt. Aufrichtig und biedere ganz natür-
liche Leut, mit denen man auch natürlich umgehen und sie auf diesem
Wege sicher zu allem Guten und zur Folgsamkeit gegen die aller-
höchsten Landesgesetze führn kann, wodurch denn die eigene Zu-
friedenheit der Menschen selbst begründet und auch das Wohl des
Geistes befestigt wird.“ Deshalb befremdet es, daß das Urteil eines
späteren, des Pastor Wehrenpfennig, wohl des tüchtigsten Seelsorgers,
den die Gemeinde in jener Zeit hatte, einigermaßen ungünstiger lautet.
„Auffallend ist in hiesiger Gegend — meint dieser nämlich — das
Zurückbleiben an äußerer Bildung. Ein gewisses allzu natürliches
Benehmen, eine gewisse Derbheit in ihrer Sprache verräth sich gleich
beym ersten Anblick, aber es liegt auch eine gewisse Gutmütigkeit
darinnen, die einen das Rohe vergessen macht. Ich, der ich nichts
mehr hasse an unseren Landleuten, als Verstecktheit, Falschheit und
Verschrobenheit, die sich unter einer Hülle von Schmeicheley und
schönen, ihrer Rede widersprechenden Worten verbirgt, überredete
mich, in ihren Betragen immerhin einen Zug unser frühern Vorfahrer
der alten Deutschen gefunden zu haben. Doch blieb mir nicht ver-
borgen, daß bey aller ihrer Geradheit auch ein Zug in ihren Charakter
liege, der sehr oft von Egoismus und versteckter List zeugt; ein
Zug, der wohl durch die erzwungene Heucheley, mit der sie ehemals
ihren Glauben bewahren mußten, durch den Handel, den sie bisher
mit Vieh trieben und endl. besonders durch den Schleichhandel,
1) Robitsch a. a. O. S. 229.
2) Haupter a. a. O. S. 30,
— 203 —
durch den sie sich ehedem bereicherten und nährten, in ihren Cha-
rakter gekommen ist. Man lasse sich jedoch durch diese Erklärung
nicht zu einem Vorurtheil verleiten, wodurch sie ein Zutrauen ver-
lieren, das sie doch größtentheils verdienen.
„Zu bedauern ist aber, daß ihr Wissen so gar sehr Stückwerk und
so gar mangelhaft ist; ich hielt sie lange Zeit für reicher an Erkenntnis
als sie wirkl. sind und mußte zu meinen Schrecken öfters erfahren,
daß selbst die Vorzüglicheren und Klügeren die notwendigsten Wahr-
heiten noch nicht gefaßt haben“.
Als gutmütig und leicht lenkbar, aber doch als verschlagen, derb
und nicht eben übermäßig gebildet, stellten sich so die Protestanten
Schladmings in den Urteilen ihrer ersten Seelsorger dar. Sie waren
eben in ihrer überwiegenden Mehrzahl echte obersteirische Bauern.
Noch 1803 gehörten ja von den 993 Protestanten des Vikariates
Schladming 875 dem Bauernstande !) an. Sie wurden daher von den
mit dem Volksempfinden vertrauteren, einheimischen Beamten auch
weit milder beurteilt, als von den meist fremdländischen Pastoren.
Das Kreisamt Judenburg beispielsweise berichtete Ende 1817,
daß die Protestanten im Durchschnitte die wohlhabenderen und klügeren
seien, daß sie sich gegenseitig unterstützten und daß sie sich ruhig,
menschenfreundlich und liebevoll gegen die Religionsgenossen wie
gegen die Katholiken betragen ?).
Auch die Äußerungen der katholischen Geistlichen zeugten zum
mindesten von einer gewissen Achtung vor dem Glaubenseifer und
der Tüchtigkeit der Protestanten. 1781 fand der Dechant von Haus
sie zwar noch „witzig und reich“ und die Reichen „hochmütig und
stolz“. Ja er fürchtete, das „ungeschlachte Bauernvolk könnte etwas
anzetteln und anrichten‘ 8). Später (1791) aber schrieb der Schlad-
minger — allerdings sehr reformfreundliche — Kaplan Grimm an den
Bischof: „Bei den Protestanten werden die Kinder so trefflich in der
Religion unterwiesen, daß unser Religionsunterricht im Vergleiche nur
Tändelei ist. Jedes protestantische Kind hat eine Bibel und einen
lutherischen Katechismus mit zweckmäßigen Gebeten. Jeder Bauer
schafft diesen Vorrat ein; für die Armen tuts teils die Gemeinde,
teils tun es die lutherischen reichen Bauern. Die Kinder werden da-
durch zur Freude ihrer Eltern in allen Gegenständen so erfahren, daß
sie mit 7 bis 8 Jahren alle Begebenheiten der göttlichen Schrift in
ı) Nach den Akten des Hauser Pfarrarchives.
2) Bunzel a. a. O. S. 85.
3) Bericht vom 31. Aug. 1781 im Hauser Pfarrarchive.
15
— 204 —
schönster Form hersagen können und die Zuhörer zu Tränen rühren.
Auf die katholischen Bauern macht dies einen solchen Eindruck, daß
sie die akatholischen Schulen viel höher schätzen als die katholischen
und fragen, ob sie ihre Kinder nicht in der fremden akatholischen
Schule unterrichten lassen dürfen. Andere schicken ihre Kinder zwar
in die katholische Schule, geben ihnen aber zu Hause lutherische
Bücher zu lesen, damit sie das Beten lernen.“ !)
Vor allem rühmte man aber die wirtschaftliche Tüchtigkeit der
Protestanten. Man fand eben immer „gute Bezahler‘ unter ihnen,
sah, daß sie fast alle zur Veräußerung gelangenden Güter erwerben
konnten ‚weil sie sich untereinander geflissentlich mit Geld unter-
stützten, um mit der Anzahl der Häuser auch ihre Gemeinde zu ver-
größern ?), und empfand es bitter genug, daß sie nur bei protestantischen
Professionisten arbeiten ließen, so daß viele katholische Meister brotlos
wurden, ihre Habe an Protestanten verkaufen und sich anderwärts
niederlassen mußten ?).
An ihren allerersten Seelsorgern scheinen die Protestanten in
diesen Kämpfen freilich nicht immer die festesten Stützen gefunden
zu haben, wie denn überhaupt zwischen der Gemeinde und ihren geist-
lichen Führern anfangs nicht immer das beste Einvernehmen geherrscht
haben dürfte. Die ersten Pastoren mußten eben durchweg aus anderen
Ländern — insbesondere aus Ungarn — berufen, werden, da sich in
der Steiermark naturgemäß keine evangelischen Geistlichen fanden. Sie
standen der Bevölkerung somit begreiflicherweise mehr oder weniger
fremd gegenüber und fühlten sich in ihrer neuen Gemeinde wohl
selbst nicht recht wohl. Gleich der erste Pastor Johann Schmal,
der am 28. November 1782 in Schladming eintraf, war ein Ungar.
Er war bis dahin Hofmeister der Kinder des ungarischen Edelmannes
Baron Zay, in der Seelsorge daher noch gar nicht tätig gewesen und ver-
riet in seiner Aussprache überdies „immer noch etwas von dem slavischen
Akzent“. Er dürfte denn auch keineswegs der richtige Mann für den
wichtigen Posten gewesen sein, der ihm anvertraut worden war. Bei
der katholischen Geistlichkeit war er wegen seiner „Toleranz und
Verträglichkeit‘ freilich sehr beliebt, und auch das Kreisamt nahm sich
seiner warm an. Allein in seiner eigenen Gemeinde fand er bald
viele Gegner, wohl deshalb, weil er mit der Tochter eines nicht sehr
I) Schreiben vom 30. 10. 1791 im Schladminger kathol, Pfarrarchive.
2) Berichte des Dechanten von Haus und des Pfarrers in St. Lorenzen, bei
Bunzel a. a. O. S. 86 und 87.
3) Bericht des Vikars Novak vom 7. 9. 1790 im Hauser Pfarrarchive.
— 205 —
angesehenen Bauern ein Verhältnis einging, das zwar später zur Ehe
führte, allein doch der Achtung der Gemeinde vor ihrem Seelsorger
argen Abbruch tat. Schmals Nachkommen sollen übrigens später
zum Katholizismus übergetreten sein.
Sein Nachfolger war Carl Samuel Biermann, ein Preßburger,
der sein Amt am 18. August 1794 antrat. Er hatte bis dahin gleich-
falls nur einige Probepredigten gehalten, war aber immerhin für
seinen Beruf besser vorbereitet als sein Amtsvorgänger. Er setzte
sich auch für die Interessen seiner Gemeinde anscheinend mehr ein !),
und man kann ihm wohl glauben, wenn er in der Chronik berichtet,
er habe gleich anfangs sehr vielen Beifall bei seiner Gemeinde ge-
funden, „der sich nachher immer mehr in Zuneigung und Liebe um-
wandelte‘. Mit der Zeit scheinen dem Pastor der Gegensatz zwischen
den Protestanten und Katholiken, insbesondere ‚‚die mancherlei Streitig-
keiten mit der katholischen Geistlichkeit“ aber doch auch unangenehm
geworden zu sein?®), und so nahm er denn bereits nach zwei-
einhalbjähriger Wirksamkeit — im März 1797 — einen Ruf in sein
Heimatland an.
Auf seine Empfehlung wurde nun wieder ein Ungar der Predigt-
amtskandidat Johann Winterlich aus Bösing bei Preßburg zum Pastor
gewählt. Diesmal scheint man einen sehr glücklichen Griff getan zu
haben. „Elf Jahre bin ich als Prediger hier im Amte gestanden
— berichtet Winterlich wenigstens in der Chronik — und bin mit der
hiesigen Bürgerschaft eben so gut als wie mit meiner Gemeinde aus-
gekommen. Auch die katholische Geistlichkeit ging mit mir freund-
schaftlich um. Ich lebte mit der katholischen Gemeinde vertraut und
herzlich, ohne daß ich meinen und der Gemeinde Rechten etwas
vergeben hätte, daß sie mich eben so ungerne wegreisen sah, als
meine Gemeinde selbst. Es kommt nur viel auf ein bescheidenes Be-
tragen an, und manche lassen sich dann gewinnen“. Nun scheint es
freilich nicht, als ob Winterlich viele Katholiken „gewonnen“ hätte.
Pfarrer Novak wenigstens meinte, der Pastor sei friedliebend und von
jeder Sucht nach Proselytenmacherei frei, „Meer und Land würde er
auf keinen Fall durchstreifen, um Glaubensgenossen zu erwerben“.
Ja er führte „die Bescheidenheit eines Teiles der Protestanten“ auf
Winterlichs Bemühungen zurück ®). In seiner Gemeinde scheint dieser
1) Bericht Novaks vom 30. 10. 1796 im Hauser Pfarrarchive.
2) Brief Novaks vom 12. 3. 1797 im Hauser Pfarrarchive,
3) Brief Novaks aus dem Jahre 1805 im Hauser Pfarrarchive,
15*
— 206 —
jedoch sehr ersprießlich gewirkt und viel zur Festigung der Organi-
sation beigetragen zu haben.
Sein Nachfolger wurde der Prediger der evangelischen Gemeinde
in der Eisentratten in Oberkärnten Andreas Häufel, der 1807 bis
1815 in Schladming wirkte. Es waren wohl die schlimmsten Zeiten,
die die Gemeinde in den ersten Jahrzehnten ihres Bestandes durch-
zumachen hatte: Mißernten, eine große Feuersbrunst, Kriegsnöte und
der große Staatsbankerott (1811) suchten Schladming während Häufels
Dienstzeit heim. Da darf man es ihm kaum verübeln, wenn er seinen
Wirkungskreis verließ und einen Ruf ins Badische annahm, wo er
mehr Aussicht zu guter Erziehung und Bildung seiner Kinder fand,
sein Amt mit weniger Mühsal ausüben konnte und überdies vor den
Nahrungssorgen gesichert war, die sich infolge der eingetretenen
Teuerung in Schladming sehr bemerkbar gemacht hatten. Auf dem
heißen Schladminger Boden dürfte dem friedliebenden Manne ohne-
hin nie recht wohl zumute gewesen sein.
Sein Nachfolger, der Kandidat Johann Theodor Wehrenpfennig,
der von 1815 bis 1820 in Schladming wirkte, wahr wohl der vorzüg-
lichste Seelsorger, den die Gemeinde bis dahin gehabt hatte. Wehren-
pfennig war freilich vor seinem Amtsantritte noch nicht als Geistlicher
tätig gewesen, stand jedoch als ein im Salzkammergute Gebürtiger dem
Volksempfinden so nahe und war überdies so voll des hingebendsten
Jugendlichen Idealismus, daß er alle Schwierigkeiten seiner Stellung
spielend überwand. „Mit einem Herzen voll Seeligkeit zu diesem
heiligen Stande eingereiht zu sein und den Beruf zu haben Menschen
zu belehren, zu trösten, zu Gott sie empor zu leiten‘, trat er 22 Jahre
alt sein Amt an. Und sein Wirken in Kirche und Schule, nament-
lich die Gründung einer Filialschule in Gleiming, wie seine Bemühungen
um die Errichtung eines Filialbethauses und einer Schule in Aich
fanden ebensoviel Anerkennung wie sein seelenhirtliches Walten m
einzelnen Familien und die Wahrung der Rechte der Gemeinde gegen-
über den „Schikanen“ der katholischen Geistlichkeit, denen er „mutig
mit freundlichem Ernst“ entgegentrat. Als er dann nach mehr als
vierjähriger Tätigkeit schied, war sein Herz voller Dankbarkeit für
seine Gemeinde, in der er „so glücklich war“, deren er ‚stets mit
Freuden und Liebe gedenken“ wollte.
Um die Deckung der äußeren Kultuserfordernisse der Schlad-
minger Gemeinde stand es freilich nicht zum besten. Die erste gottes-
dienstliche Versammlung wurde am ersten Adventsonntage 1782 in der
großen Stube im Winklischen Hause abgehalten, doch erwies sich
— 207 —
diese bald als zu klein, weswegen man den Gottesdienst nach einigen
Wochen „zum Werhofer auf die Tenne“ verlegte, bis endlich ‚nach
vielen Debatten“ um 900 fl. Kaufschilling und 50 fl. Leihkauf das Haus
des Michl Simmerlechner angekauft und sowohl zum Bethause als
auch zum Pfarr- und Schulhause eingerichtet wurde. Es war
dies ein „kostenbariger‘ aber „nicht gar glücklicher“ Ausweg, denn
das Haus war ‚äußerst elend und glich mehr einem Spital als einer
Wohnung. Die eine Mauer... drohte den Einsturz; daher die
vielen Pfeiler, die das Haus so sehr verstellten‘ Zu ebener Erde
wurde die Schule, im ersten Stocke die Wohnung des Pfarrers und
im zweiten Stock die Räumlichkeiten für den Gottesdienst eingerichtet,
was schon deshalb ‚‚ein unglückseliger Gedanke, ein mißliches Werk“ 1)
war, weil es für viele, besonders für alte Gemeindemitglieder sehr
beschwerlich war, zwei Treppen hoch zu steigen. Überdies gingen
jedoch durch den Betsaal „zwei kolosale Rauchfänge mitten hindurch“,
was den Raum naturgemäß sehr feuergefährlich machte. Tatsächlich
brach auch. im Juli 1814 in fast unmittelbarer Nähe des Hauses ein Feuer
aus, durch das die dem Gottesdienste gewidmeten Räumlichkeiten ein
Opfer der Flammen wurden. Allein schon nach weniger als ein-
einhalben Jahre war, „an das Pfarrhaus unmittelbar anstoßend und mit
diesem unter Einem Dache und also auch in Einer Höhe“ 1), zur neid-
vollen Verwunderung der katholischen Geistlichkeit?) ein neues
„massives“ Bethaus erbaut, obwohl der Gemeinde nur von der Ramsau
eine nennenswerte finanzielle Hilfe geleistet worden war. Doch scheint
freilich auch das neue Bethaus sich bald als zu klein erwiesen zu
haben. Wenigstens klagt die Chronik: „Schade ist, daß das Bethaus
nicht um 2 oder 3 Klafter länger ist, oder höher aufgeführt, doppelte
Emporkirche in sich faßt, so hätte doch jedermann Stühle bekommen.“
Auch der Friedhof, dessen Grund die Gemeinde gegen Erlag von
6 fl. jährlich „von Peter Schrempf, vulgo Werhofer, erhandelt‘‘ hatte
und der 1787 seiner Bestimmung übergeben worden war, erwies sich
bald als viel zu klein. Auch war er nur „mit einer hölzernen Planke
umzäunt und überhaupt so armselig bestellt, daß er auf jeden zart-
fühlenden Menschen ... einen niederschlagenden Eindruck machte.
Überdies war er... nur auf einem verhältnismäßig sehr weiten Um-
wege zugänglich, auf dem man bei Regen- und Tauwetter durch Wasser
und Koth waten mußte. ... Die zu beerdigenden Leichen mußten
1) Haupter a. a. O. S. 27.
2) Bunzel a. a. O. S. 85.
— 208 —
auf der öffentlichen Straße ... oft stundenlanz in jedem Unwetter
stehen, während allerlei Fuhrwerk hart daran vorüberging und mancher
Nichtevangelische bitteren Spott darüber äußerte“ 1).
Selbst mit dem Schulwesen scheint man in der Gemeinde nicht
sehr zufrieden gewesen zu sein, obgleich von katholischer Seite dem
protestantischen Religionsunterrichte — wie erwähnt — höchstes Lob
cezollt wurde. Pastor Wehrenpfennig wenigstens klagt in der Chronik,
daß nichts mehr vernachlässigt werde als der Schulunterricht. Als er
nach Schladming gekommen sei, hätte er zwar manche gefunden, die
bereits fünf Jahre die Schule besuchten, aber keinen, der lesen konnte.
Die weite Entfernung von der Schule, die Armut, die dazu zwang,
durch die Kinder Dienstboten zu ersparen und sie den ganzen Sommer
über anf den Almen zu verwenden, seien die großen Hindernisse, die
dem Schulunterricht entgegenstünden. Er habe zwar die Errichtung
einer Filialschule in Gleining eingeleitet, aber die Erbauung eines
Schulhauses dort doch noch nicht durchsetzen können. Auch sei es
ihm nicht gelungen, in der Gegend von Aich eine Schule zu errichten,
obgleich zu besorgen stehe, daß diese Gemeinde, die zu weit von
dem Bethause entfernt sei, „mit der Zeit allen Eifer verliere und das
steirische Lutherthum schände‘“, während sich, falls dort eine Schule
und ein Filialbethaus errichtet würde, „viele Ramsauer und Schlad-
minger dort der wohlfeileren Güter wegen ankaufen würden, die
solches jetzt nur wegen der Entfernung vom Gotteshause unterlassen “.
Trotz dieser Mahnungen hatte indessen auch 1824 „die ganze 2000
Seelen starke und auf vier Quadratmeilen zerstreute Gemeinde‘ nach
Haupters Mitteilungen ?) nur eine einzige Schule zu Schladming, die
nur 70 Kinder besuchten; Schulzimmer wie Lehrerwohnung waren
düstere, tief in der Erde stehende, ungesunde Löcher, Gefängnissen
ähnlicher als dem, was sie vorstellten“. Von 33 Konfirmanden konnten
daher auch 16 gar nicht, oder nur sehr schlecht lesen.
Allein all diese Übelstände wurden sicherlich nicht allzuschwer
empfunden, weil die Dinge bei den Katholiken gewiß nicht besser,
eher noch schlechter lagen. Und in der evangelischen Gemeinde
wirkte doch noch die in den Jahrhunderten erprobte Glaubenstreue
nach, von der schon die Rede war und die sich als so stark erwies,
daß selbst der tüchtigste der vielen tüchtigen katholischen Geistlichen
in jener Gegend an seinen Bischof schreiben mußte: „Es ist nicht
ı) Haupter a. a, O. S. zıf.
2) a. a. O. S. 30.
— 209 —
leicht gegen die Macht der Vorurteile der lutherischen Bauern zu
kämpfen.“ !) Diese Glaubenstreue schreckte denn auch vor materiellen
Opfern durchaus nicht zurück. Die Berichte der katholischen Pfarr-
ämter wußten genug davon zu erzählen, wie die Protestanten die Be-
soldung ihrer Pastoren in vollwertiger Konventionsmünze auszahlten
und ihre Seelsorger auch sonst mit allem Nötigen reichlich versahen ?).
Sie wußten auch davon zu berichten, wie diese Glaubenstreue die
Grundlage für ein inniges Zusammenhalten unter den Mitgliedern der
Gemeinde in geistigen wie in wirtschaftlichen Dingen geschaffen habe.
Und wenn der Pastor Wehrenpfennig in die Chronik schrieb, daß diese
Gemeinde ‚‚das Wort Gottes liebt und ein geneigtes Gehör dessen
Vortrag schenkt“, so tat er dies sicherlich nicht nur als ihr Seelen-
hirt, sondern auch als ihr geistiger Führer in den mannigfachen Kämp-
fen, die noch immer für den Glauben auszufechten waren und in denen
diese Liebe zum Worte Gottes nach wie vor die mächtigste und kräf-
tigste Stütze blieb. Nur weil er die Glaubensfestigkeit der Gemeinde
kannte und auf sie baute, mag er bei seinem Scheiden von Schlad-
ming in den Text seiner Abschiedspredigt die Worte aus dem Phi-
lipperbriefe einbezogen haben: „Und bin desselbigen in fester Zu-
versicht, daß, der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird’s
auch vollführen.“ (Schluß folgt.)
Mitteilungen
Ackerbau und Alpwirtschaft in schweizerischen Hochgebirgs-
tälern. — Aus Band XIII, S. 313, und Band XIV, S. 107 u. 108, dieser
Zeitschrift geht hervor, daß die unwiderlegbaren Ergebnisse der dort S. 107
genannten Abhandlung des P. Martin Kiem, O. S. B., die im „Geschichts-
freund des Historischen Vereins der fünf Orte‘ schon 1866 erschienen ist,
durchaus nicht in genügender Weise bekannt geworden sind.
Der Verfasser jener Abhandlung bewies die von ihm aufgestellte Aus-
führung für das Land Obwalden; aber ebenso liegen sprechende urkundliche
Beweise für Un vor, und diese werden durch die im „‚Geschichtsfreund ‘‘
von 1867 zum Abdruck gebrachten sechs Meieramtsrödel dargeboten.
Der älteste Rodel, der zwischen 1250 und 1300 anzusetzen ist, legt
dar, daß von 34 aufgezählten Zinsen in Erstfeld nicht weniger als 17, also
die Hälfte, von teilweise namentlich bezeichneten Äckern — z. B. zen Nus-
boumen, zem Woadelacher, latus ager, Lenacker, Kilchacker — entrichtet
wurden. Der zweite in das erste und zweite Dezennium des XIV. Jabr-
1) Brief Novaks vom 24. 12. 1808 im Hauser Pfarrarchive.
2) Bunzel a. a, O, S. 881.
— 210 —
hunderts anzusetzende Rodel zeigt, daß der Meier Walter zu Erstfeld nur
von Äckern, 9 an der Zahl, der Meier Johann von 5 Äckern, unter
12 Landstücken, Zins zahlt, und in Seedorf lebt ein „Heinz im Win-
garten“. Allerdings treten in Bürgeln die Äcker hinter den Matten zurück,
und für Silenen sind vorwiegend Produkte der Viehzucht, Schafe, Ziegen-
felle, in je einem Falle auch Käse und Ziger, als Abgaben genannt.
Neben diesen Rödeln stehen auch andere urkundliche Nachrichten, die
in den Beilagen zur Geschichte der Abtei Zürich von G. von Wyß (Mit-
teilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. VII) gesammelt
sind. Im Jahre 1284 wurde zwischen der Äbtissin des Fraumünsters in
Zürich und dem Pfarrer von Altorf über dessen Einkünfte ein Vertrag ab-
geschlossen, der von den zum dortigen Kirchengut gehörenden Äckern han-
delt, weiter von einem auf 20 Mütt geschätzten Zehnten von der Gerste und
anderen Hülsenfrüchten aus Altorf und sieben umliegenden Ortschaften,
endlich vom Weinzehnten aus den Weinbergen der Kirche. Allein noch
andere Dokumente bezeugen reichlich das Vorhandensein von Äckern bei
Altorf, so eine Urkunde von 1256, wo von einem Langenacker in
Altorfere Velde gesprochen ist. Die Dominikaner-Klosterannalen von Basel
heben zum Jahre 1268 die Verwüstung im Altorfer Weinberge hervor,
die ein nach starkem Regenwetter gelöster großer Stein anrichtete. Das
Gleiche gilt auch von anderen Orten im unteren Reußtal.e. Zu Bürgeln gab
es 1291 nach dem Wortlaut eines Geschäftsabschlusses zwei ge Acker
genannte Leute, und von den in diesem Vertrage dem Zisterzienserkloster
Wettingen zugewiesenen Gütern werden mehrere ausdrücklich als Äcker be-
zeichnet; ähnlich nennt ein Vertrag für Silenen, ein wenig höher talaufwärts,
im Jahre 1283 Äcker und Weingärten.
Aber allerdings war nun, wie schon aus dem Bisherigen hervorgeht,
neben der Ackerwirtschaft auch die Alpwirtschaft schon in dieser Zeit vor-
handen, wie sich das bei der Beschaffenheit des Landes, zunächst für Uri,
aber auch für Unterwalden, von selbst versteht. Doch haben beispielsweise
die Bewohner des engen Schächentals, die in der Behauptung des Urner
Bodens gegenüber dem anstoßenden Glarus zeigten, welchen Wert sie auf
den Besitz von Alpweiden legten, im Jahr 1290 auch noch Äcker bebaut:
das geht aus der Stiftung der Kirche in Spiringen hervor, wobei die nahezu
80 Talbewohner auf ihre eigenen Güter Verpflichtungen zu jährlichen Bei-
trägen legten und dabei zwei Dutzend Äcker namhaft machten. Vom Ende
des XIV. bis über die Mitte des XV. Jahrhunderts zeigen nun aber aller-
dings die vortrefflichen Ausführungen Kiems für Obwalden eine unleugbare
Verminderung des Ackerbaus. So hatte 1399 der Stiftungsbrief der Helferei
zu Kerns das Pfrundeinkommen zur Hälfte auf Äcker verwiesen, wogegen
1467 der Helferei zu Giswil doppelt so viele Matten, als Äcker, vergabt
werden. 1477 geht aus einer richterlichen Entscheidung über gewisse Güter
in Sachseln deutlich hervor, daß sie damals aus Äckern in Wiesen verwan-
delt wurden. Vollends im XVI. Jahrhundert treten die Äcker in den Do-
kumenten sehr stark zurück, was schon ı531 bei der vor dem zweiten
Kappeler Krieg verhängten Kornsperre in Obwalden deutlich verspürt wurde.
Zwar ließ es die Obrigkeit an Maßregeln nicht fehlen, um den Ackerbau
aufrecht zu erhalten, und beschenkte z. B. 159r einen Landmann „wegen
— 211 —
des Ackerfahrens‘‘ mit einem Paar Hosen. 1605 wurde beschlossen, um
die Frucht nicht von außen beziehen zu müssen, je nach Beschaffenheit der
Grundstücke und Örtlichkeiten den Landleuten den Ackerbau zur Pflicht
zu machen. Doch diese Anstrengungen der Regierung waren vergeblich,
und bis zum XIX. Jahrhundert war der Umwandelungsprozeß völlig zu
Ende gediehen.
Auch die Ursachen dieses Zurücktretens des Ackerbaus hat Kiem völlig
klargestellt. Wie für Uri aus Dokumenten der Fraumünsterabtei deutlich
hervorgeht, treten vom XIV. Jahrhundert an die Verpflichtungen der Land-
leute gegenüber der Grundherrschaft der Äbtissin, aber auch gegenüber dem
Abte von Wettingen, immer mehr zurück; im Jahr 1359 kauften sich die
in Uri Verpflichteten um eine ansehnliche Summe von Wettingen los, und
die ersten Dezennien des XV. Jahrhunderts bringen zahlreiche weitere Ab-
lösungen gegenüber der Fraumünsterabtei. So hatte die früher in den
Meieramtsrödeln vorgeschriebene Benützungsweise der Landstücke für den
nicht mehr verpflichteten freien Mann aufgehört. Und darüber hinaus war
nun seit 1332 der natürliche Marktplatz des Vierwaldstättersees Luzern, seit
1351 das noch wichtigere Zürich in den Bund der Eidgenossen eingetreten,
so daß also wohlgefüllte Märkte in befreundeten Städten offen standen. Daß
ferner gerade 1418, 1426, 1428 Zehnten und Verpflichtungen rasch nach-
einander abgelöst wurden, hatte seinen Grund darin, daß 1415 der korn-
reiche Aargau erobert worden war. Die politische Geschichte der Waldstätte
bietet die deutliche Erklärung dieser wirtschaftlichen Vorgänge.
Alle diese Argumente sind also der deutliche Beweis für den von Kiem
aufgestellten Satz, daß in den hier behandelten Gebieten der Ackerbau vom
IX. Jahrhundert bis 1400 höher als die Alpwirtschaft stand, daß er da-
gegen von 1400 an bis 1600 stets mehr vernachlässigt wurde und hinter
der Alpwirtschaft in rasch zunehmendem Grade zurücktrat.
G. Meyer v. Knonau (Zürich).
Kommissionen. — Die Gesellschaft für rheinische Ge-
schichtskunde!) hielt am 13. März 1912, 7. März 1913 und 7. März
1914 ihre 31., 32. und 33. Jahresversammlung ab. Aus den bei diesen
Gelegenheiten ` erstatteten Berichten über die Geschäftsjahre ıgıı bis 1913
ist folgendes zu entnehmen. Es wurden veröffentlicht: a) Von den Quellen
zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der rheinischen Städte, A. Ber-
gische Städte, der zweite Band, enthaltend Blankenberg, bearbeitet von
E. Kaeber, und Deutz, bearbeitet von B. Hirschfeld (Bonn 1911);
B. Kurkölnische Städte, der erste Band, enthaltend Neuß, bearbeitet
von F. Lau (Bonn 1911). b) Von den Urkunden und Regesten zur Ge-
schichte der Rheinlande aus dem Vatikanischen Archiv, gesammelt und be-
arbeitet von Heinrich Sauerland, sechster Band: 1378—1399, heraus-
gegeben von Hermann Thimme (Bonn 1912), und siebenter Band: 1400
bis 1415 (Schluß), herausgegeben von Hermann Thimme (Bonn 1913).
c) Vom Geschichtlichen Atlas der Rheinproving die Erläuterungen, fünfter
Band: Die beiden Karten der kirchlichen Organisation (1450 und 1610),
1) Die letzten Mitteilungen finden sich in dieser Zeitschrift Bd. 12, S. 225—227.
— 212 —
bearbeitet von W. Fabricius. Zweite Hälfte: Die Trierer und Mainzer
Kirchenprovine. Die protestantische Kirchenverfassung (Bonn 1913) sowie
das Register zu beiden Teilen des fünften Bandes (Bonn 1913). d) Von
den Weistümern der Rheinproving die zweite Abteilung: Die Weistümer des
Kurfürstentums Köln, erster Band: Amt Hülchrath, herausgegeben von
Hermann Aubin (Bonn 1913). e) Von den Regesten der Erzbischöfe von
Köln im Mittelalter der dritte Band, zweite Hälfte: 1261—1304, be-
arbeitet von R. Knipping (Bonn 1913). f) Die Gutachten der Rheini-
schen Immediat-Justizkommission und d:r Kampf um die rheinische Rechts-
und Gerichtsverfassung 1814 bis 1819 von Ernst Landsberg (Bonn 1914).
Die übrigen Arbeiten sind zum größten Teile fortgeschritten. Der Druck
der Weistümer des kurköluischen Amtes Brühl hat bereits begonnen, die Be-
arbeitung der Weistümer der Abtei Prüm geht dem Abschluß entgegen. Der
Druck der Urbure der Abtei Werden, herausgegeben von R. Kötzschke,
ist vollendet, aber für Einleitung und Register macht sich ein besonderer
Band neben den zwei der Edition gewidmeten notwendig. Von den Jülich-
Bergischen Landtagsakten, erste Reihe (1400—1609) ist der dritte Band
(1589—1596) im Druck weit fortgeschritten, und für den vierten Band
(1596—1609) liegt der Stoff vollständig vor; auch von der zweiten Reihe
(1624—1653) ist der erste Band teilweise gedruckt. Für die Ausgabe der
ältesten rheinischen Urkunden (bis 1100) hat Oppermann eingehende Vor-
arbeiten gemacht und hofft bald mit dem Drucke beginnen zu können. Der
von Kisky bearbeitete vierte Band der Regesten der Kölner Erzbischöfe
(1304—1332) ist im Druck bis zum 40. Bogen fortgeschritten. Die Aus-
gabe des Textbandes zu dem von Clemen 1905 herausgegebenen Tafel-
werk Romanische Wandmalereien steht unmittelbar bevor. Zur weiteren Be-
reicherung der Sammlung Quellen zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der
rheinischen Städte werden die Quellen der Städte Wesel, Düren, Trier,
Boppard, Oberwesel, Bacharach, Mayen, Münstermaifeld, Bernkastel, Kochem
und Zell bearbeite. Dem seit ı908 vorliegenden zweiten Bande des Tafel-
werkes Die Münzen von Trier (1556—1794) wird der erste Teil des ersten
Bandes, der sich mit den Trierer Denaren (bis 1307) beschäftigt, bearbeitet
von Menadier, bald folgen; die Zeit 1307 bis 1556 bearbeitet Alfred
Noß (München). Eine Ausgabe der Statuten des Kölner Domkapitels be-
reitet Gerhard Kallen vor. Die Sammlungen für das Wörterbuch der rhei-
nischen Mundarten bestehen jetzt in 680000 Zetteln, aber durch den Tod
von Prof. Franck (Bonn) ist das Erscheinen der ersten Lieferung hinaus-
geschoben’ worden; eine vorläufige Probe aus den Buchstaben B und D hat
Oberlehrer Müller veröffentlicht. Von den Archivübersichten ist jetzt der
vierte Band in Arbeit, und zwar liegen davon schon vier Hefte, bearbeitet
von Krudewig, vor: die Kreise Bitburg, Düren, Wittlich, Trier-Land;
zunächst kommt nun Bernkastel an die Reihe. Als neue Unteinehmungen
sind in den letzten Jahren in Angriff genommen worden Quellen zur Ge-
schichte des Kölner Handels und Verkehrs: die von Kuske besorgte
Arbeit (in drei Bänden) bis 1500 ist fast vollendet, und auch die von Her-
mann Thimme besorgte Fortsetzung (1500—1650) hat schon bedeutende
Fortschritte gemacht. Eine Neuausgabe der Kölner Reimchronik des Gott-
fred Hagen (um 1270) bereitet Ernst Dornfeld vor. Mit der Biblio-
— 213 —
graphie der periodischen Literatur der Rheinlande 1794—1814 ist Karl
d’Ester (Dortmund) beschäftigt. Für eine Veröffentlichung Quellen zur
Geschichte der Aufklärung am Rhein im XVIII. Jahrhundert ist Beyer-
haus (Bonn) tätig. Endlich ist neuerdings die Herausgabe eines Rheinischen
biographischen Lexikons durch P. Wentzcke ins Auge gefaßt worden.
Der Verfasser der aus der Mevissen-Stiftung preisgekrönten Arbeit Die
Rheinischen Glasmalereien vom XII. bis zum XVI. Jahrhundert, Heinrich
Oidtmann, ist nach der Vollendung des ersten Bandes im Druck am
23. März ıgıı gestorben; dadurch hat sich die Drucklegung des zweiten
Bandes verzögert. Für die Preisaufgabe Die niederrheinische Plastik des
XV. und beginnenden XVI. Jahrhunderts (Preis 2000 A) waren zwei Be-
werbungsschriften eingegangen, aber keiner wurde der Preis zuerkannt, wenn
man auch jedem der beiden Verfasser ein Honorar von 1000 A zubilligte;
eine der Arbeiten will die Gesellschaft im Falle einer befriedigenden Um-
arbeitung veröffentlichen. Die Schrift, die sich um den Preis (5000 A) für
Die Rheinprovine unter der preußischen Verwaltung von 1815 bis zum
Erlaß der Verfassungsurkunde bewirbt, ist gegenwärtig noch nicht geprüft.
Stifter zählt die Gesellschaft gegenwärtig 14, von denen 6 verstorben
sind, 14r Patrone, 214 Mitglieder. Die Gesamteinnahme des Jahres 1913
betrug 44645 Mæ, die Gesamtausgabe 34168 AM. Das Vermögen bezifterte
sich einschließlich der Mevissen-Stiftung (51284 A) auf 141161 Æ.
Eingegangene Bücher.
Graevenitz, G. von: Geschichte des Italienisch - Türkischen Krieges.
3. Lieferung: Bis zum Friedensschluß von Lausanne vom 18. Oktober
1912. Berlin, R. Eisenschmidt 1914. 187 S. 8. MH 5,00.
Herrmann, Fritz: Quellen zur Topographie und Statistik der Stadt Mainz,
Häuser- und Steuerlisten aus der Zeit von 1497—1541, herausgegeben
und erläutert. Mit einer Wiedergabe des Maskoppschen Stadtplanes
aus dem Jahre 1575. [== Beiträge zur Geschichte der Stadt Mainz,
herausgegeben mit Unterstützung der Stadt Mainz, 3]. Mainz, L. Wilckens
1914. 160 S. 4°.
Hofmann, Johannes: Die Kursächsische Armee 1769 bis zum Beginn
des Bayrischen Erbfolgekrieges [= Bibliothek der sächsischen Ge-
schichte und Landeskunde 4. Bd., Heft 3]. Leipzig, S. Hirzel 1914.
156 S. 8%. M 4,00.
Hopf, Wilhelm: Kassels Einquartierungslast in westfälischer Zeit [== Zeit-
schrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, 47. Bd.
(1914), S. 103—137]. 3 À
Kemp, Jacob: Das Studium der Geschichte an der Kölner Universität.
II. Teil [= Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins, 2 (1913),
S. 53—74].
Kübler, A Antinoupolis. Aus dem alten Städteleben. Leipzig,
A. Deichert 1914. 46 S. 8%. M 1,00.
Küchler, Carl: Ein vergessenes Germanenvolk. Studien zur Geschichte
und zum Volkstum der Färinger [= Nord und Süd, 38. Jahrg. (1914),
S. 149—165].
— 214 —
Lenz, Max: Geschichte Bismarcks. 4. Aufl. München und Leipzig,
Duncker & Humblot 1913. 497 S. 8%. Ææ 8,00.
Lindlar, Jakob: Die Lebensmittelpolitik der Stadt Köln im Mittelalter
[= Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins, 2}. Köln,
H. G. Lempertz 1914. 43 S. 8°. A
Lindner, Theodor: 1813 [== Neujahrsblätter, herausgegeben von der
Historischen Kommission für die Provinz Sachsen und das Herzogtum
Anhalt, 38]. Halle a. S., Otto Hendel 1914. 32 S. 8°. M 1,00.
Reichel, Gerhard: Der ,Senfkornorden“ Zinzendorfs, ein Beitrag zur
Kenntnis seiner Jugendentwicklung und seines Charakters. I. Teil:
Bis zu Zinzendorfs Austritt aus dem Pädagogium in Halle 1716.
Leipzig, Friedrich Jansa 1914. 227 S. 8%. Ææ 4,00.
Reventlow, Graf Ernst zu: Deutschlands auswärtige Politik 1888—1913.
Berlin, E. S. Mittler und Sohn ı914. 402 S. 8. M 8,50.
Rosendorf, H. H.: Tangermündes Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte
bis zum Ende des XVII. Jahrhunderts [= Sammlung wissenschaftlicher
Arbeiten, Heft 19]. Langensalza, Wendt & Klauwell 1914. 198 S. 8°.
Sattig, Wilhelm: Die Schlacht an der Katzbach am 26. August und die
Verfolgung bis zum ı. September 1813. Mit 2 Karten in Steindruck
[= Beiträge zur Geschichte der Befreiungskriege, herausgegeben von
Rudolf v. Friederich, 4. Heft]. Berlin, E. S. Mittler und Sohn
1914. 145 S. 8%. M 4,00.
Schlossar, Anton: Die Literatur der Steiermark in bezug auf Geschichte,
Landes- und Volkskunde, ein Beitrag zur österreichischen Bibliographie.
Zweite, vollständig umgearbeitete und bis auf die jüngste Zeit vermehrte
Auflage. Graz, Ulrich Moser (J. Meyerhof) 1914. 341 S. 8°. M 10,00.
Schwarz, Reinhold: Personal- und Amtsdaten der Bischöfe der Kölner
Kirchenprovinz von 1500—1800 [== Veröffentlichungen des Kölnischen
Geschichtsvereins, 1}. Köln, H. G. Lempertz 1914. gı S. 8°.
Warschauer, A.: Die Inventarisation der urkundlichen Quellen zur Lan-
desgeschichte Westpreußens im nichtstaatlichen Besitze. Danzig, A. W.
Kafemann 1914. 12 S. 4°.
Zwingmann, Heinrich: Der Kaiser in Reich und Christenheit im Jahr-
hundert nach dem Westfälischen Frieden. Ein Versuch über die
Methode in der gegenwärtigen Geschichtsschreibung. Erstes Buch: Die
Mobilmachungen des immerwährenden Reichstages von 1663. Leipzig,
K. F. Koehler 1913. 64 S. 8°.
Busch, Wilhelm: Kurhessen im Jahre 1850 [== Zeitschrift des Vereins für
hessische Geschichte und Landeskunde, 47. Band (1914), S. 157—170].
Cuvelier, Joseph: Les archives de l’Etat en Belgique 1914: Les archives
Allemandes, Autrichiennes et Suisses. 36 S. 8°,
Eckert, Ferdinand: Jakob Lynnß, Provisor der deutschen Schuel zu
Lindau i. B. 1574— 1621 [= Neujahrsblätter des Museumsvereins
Lindau i. B., Nr. 4]. Lindau, Joh. Thom. Stettner 1914. 28 S. 8°.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Weimar.
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.
Deutsche Geschichtsblätter
Monatsschrift
Erforschung deutscher Vergangenheit anf landesgeschichtlicher Grundlage
Aus innerösterreiehischen Glaubens-
kämpfen
Von
Julius Bunzel (Graz)
(Schluß) *)
II.
Die Rechtslage war für die österreichischen Protestanten auch nach
dem Erlaß des Toleranzpatentes nicht allzu günstig. Nur zu deutlich
fühlten sie, daß ihre Religion eben nur geduldet war; denn nicht nur
das Protestantischsein, schon das Protestantischwerden hatte man
durch die Gesetze sehr erschwert. So wurden die Kinder eines
katholischen Vaters stets katholisch, während die Kinder eines pro-
testantischen Vaters, der eine Katholikin zur Frau hatte, nur dann
seinem Bekenntnis angehörten, wenn es Knaben waren ?). Ja, bei
unehelichen Kindern wurde nicht einmal dieser Grundsatz immer fest-
gehalten. Ein dreijähriger unehelicher Bub beispielsweise, der bei
seinem protestantischen natürlichen Vater wohnte, wurde auf Wunsch
der katholischen Mutter dem Vater abgenommen und zu katholischen
Verwandten der Mutter gegeben. Als sich der Vater dagegen wehrte,
wurde er zu 24 Stunden Arrest bei Wasser und Brot verurteilt, die
Pastoren, die sich der Sache angenommen hatten, erhielten eine Ver-
warnung „wegen Verdrehung des Gesetzes und ungeziemender Schreib-
art“ 3). Kinder von katholischen Eltern mußten immer katholisch er-
zogen werden, auch wenn die Eltern später zum akatholischen Glauben
übertraten 4). Selbst jenen, die der Religion halber ausgewandert und
ı) Vgl. oben S. 187—209.
2) Verordnung vom 28. März 1782.
3) Akt Anton Stocker im Hauser Pfarrarchive.
4) Schreiben des Kreisamtes Judenburg an das Dekanat in Haus vom 30. 5. 1788
und vom 23. 7. 1788 (im Hauser Pfarrarchive). Eine Ausnahme bestand nur für die
Kinder jener Eltern, die sich gleich bei der ersten Konskription (vor dem 1. Jänner
1783) als Protestanten erklärt hatten,
16
— 216 —
nach Erlassung der Toleranzgesetze zurückgekehrt waren, sollten ihre
unterdessen katholisch erzogenen Kinder „wegen der Verführungs-
gefahr“ ursprünglich überhaupt nicht zurückgestellt werden !); später
ließ man sie zwar den Eltern, beauftragte aber Kreisamt, Obrigkeit
und Seelsorger, darauf zu sehen, daß die Kinder nicht von der katho-.
lischen Religion abwendig gemacht und ihnen keine Hindernisse in
den Weg gelegt werden ?2). Überhaupt mußte besonders bei Kindern
abgefallener Katholiken und bei Kindern aus gemischten Ehen darauf
gesehen werden, daß sie guten Religionsunterricht genossen und mit
allen gesetzlichen Mitteln zum Schul- und Kirchenbesuche angehalten
wurden.
Auch den Erwachsenen wurde der Übertritt zum Protestantismus
namentlich seit Ablauf der „Gnadenzeit‘‘ — also nach dem I. Jänner
1783 — nicht leicht gemacht. Mit vollem Rechte konnten die Schlad-
minger Pastoren vielmehr in der Chronik klagen, daß den Leuten
„alle möglichen Hindernisse in den Weg sowohl von den Herrschaften
als der katholischen Geistlichkeit gelegt“ würden. Vor allem schreckte
der sechswöchige Glaubensunterricht bei katholischen Geistlichen, der
dem Übertritte vorangehen mußte, viele Leute ab. Gab es doch
Fälle, in denen dieser Unterricht wiederholt, also auf 12 Wochen aus-
gedehnt wurde 8), und ein Kaplan im Schladminger Kreise verlangte —
freilich vergebens — von einer Ehefrau sogar, sie solle sich zum
Unterrichte von ihrem Manne, ja von ihrem Wohnorte weg an einen
katholischen Ort begeben #). Trotzdem scheint der Unterricht ver-
hältnismäßig selten erfolgreich gewesen zu sein. In den Akten findet
sich eigentlich nur ein solcher Fall. Da blieb eine gewisse Katharina
Laknerin dem Katholizismus treu und wurde verhalten, die Namen
derjenigen Protestanten bekannt zu geben, von denen sie zum Über-
tritt überredet worden sei, damit gegen diese die Untersuchung wegen
Proselytenmacherei und Verführung eingeleitet werden könne 5). In
allen anderen Fällen scheint der Unterricht jedoch erfolglos geblieben
zu sein. Die Leute saßen bei ihm „mit gestähltem Gemüt und vor-
1) Verordnung vom 15. Weinmond 1781. |
2) Loesche: Von der Duldung zur Gleichberechtigung (Wien 1911) S. 182
und Hofdekret vom 16, 8. 1808 im Hauser Archiv.
3) Schreiben des Pflegers von Irdning an die Vikare in Kulm und Schladming vom
8. Jan. 1784 im Hauser Pfarrarchive,
4) Loesche a. a O., S. 178.
5) Erlaß des Judenburger Kreisamtes an das Schladminger Vikariat aus dem Jahre
1783 (Schladminger Pfarrarchiv).
— 217 —
gefaßtem Entschlusse, nichts von dem Vorgetragenen zu glauben“.
So ist es nicht zu verwundern, daß sich Pfarrer Novak — wohl um
das Odium der Erfolglosigkeit von den Geistlichen abzuwälzen — in
einem Berichte an das Ordinariat für die Beseitigung dieses Unterrichtes
überhaupt aussprach. An dessen Stelle wollte er einen mehrwöchigen
Aufenthalt der sich zum Übertritt Meldenden in katholischen Häusern
gesetzt wissen !). Denn daß irgend etwas geschehen müsse, „um
den Abfall von der dominanten zu der bloß tolerierten Religion wenig-
stens zu erschweren“, war natürlich auch ihm klar.
Jedenfalls ist es bei dem Vorherrschen dieser Ansichten begreif-
lich, daß den Protestanten nur ein Mindestmaß religiöser Freiheit ge-
währt wurde. Kein öffentlicher, nur ein Privatgottesdienst wurde ihnen
gestattet und den Pastoren „eine Strafe angedroht, wenn sie andere
als bloß wirkliche Protestanten zu ihren Andachtsübungen zuließen “ 2).
Namentlich wurde ihnen „unter schwerster Verantwortung“ verboten,
Katholiken in ihre Bethäuser zu ziehen oder ihnen dort gar das
Abendmahl zu reichen, wenn sie nicht einen Lizenzzettel besäßen
und vorher den vorgeschriebenen sechswöchigen katholischen Unter-
richt genossen hätten 8). Außerhalb ihrer Bethäuser durften die
Pastoren überhaupt keine gottesdienstlichen Handlungen vornehmen,
und als die Grazer einmal baten, sich den Pastor von Schladming zu
Andachtsverrichtungen kommen lassen zu dürfen, wurden sie ab-
gewiesen 4). Noch weniger durften selbstredend Gottesdienste ohne
Pastoren oder Lehrer abgehalten werden, und dem Schladminger
Pastor wurde es 1808 sogar einmal „verhoben“, daß sich im Schlosse
Tannreck — vier bis fünf Stunden von Schladming entfernt — einige
alte und kränkliche Leute bei üblem Wetter von einem Knechte hatten
protestantische Schriften vorlesen lassen 5).
Zu alledem hatte die Zugehörigkeit zum Protestantismus auch
arge materielle Nachteile im Gefolge. Denn die Protestanten mußten
nicht nur ihre eigenen Geistlichen erhalten, sondern auch der katho-
lischen Geistlichkeit, der ja die Matrikenführung vorbehalten blieb,
Stolgebühren entrichten, wobei sie — wie Pastor Schmal in der
I1) Bericht vom 18. Dez. 1802 im Hauser Pfarrarchive.
2) Antwort des Kreisamtes auf eine Anfrage des Pastors Schmal (1783) im Hauser
Pfarrarchive.
3) Erlaß des Kreisamtes an den Pfarrer von Haus vom 28. 12. 1791 im Hanser
Pfarrarchive.
4) Loesche a. a. O. S. 327.
5) Loesche a. a, O. S. 323.
16*
— 218 —
Chronik erzählt — nicht selten ‚„überrechnet‘‘ worden sein sollen.
Ebenso blieben ‚die katholischen Pfarrzinsungen, Dezimationen und
andere hergebrachte Nutzungen gänzlich dem katholischen Pfarrer
vorbehalten“, und zwar sollte man sich über den „Ursprung, wie
solches eingeführt worden, wann sie nur an sich selbsten richtig sind‘,
nicht aufhalten ). Da gab es denn natürlich „manche verdrießliche
Kazbalgereyen‘“. So beklagten sich die protestantischen Bauern darüber,
daß „die Stollgebühren für sie beim Vikariate zu Schladming immer
höher seien, als die Stolordnung von 1774 anweise“. Besondere
Schwierigkeiten hätten sie diesbezüglich bei Beerdigungen. Sie baten
daher das Kreisamt, es möge dem Vikar von Schladming auftragen,
ihnen jedesmal.ein Verzeichnis zu geben, wieviel sie für Grabstelle,
Läuten, Leichentuch und andere Zufälligkeiten zu zahlen hätten, da
der Vikar dies bisher verweigert habe ?). Andererseits mußten sich
aber auch die katholischen Geistlichen wieder häufig darüber beklagen,
daß Begräbnisse und Trauungen stattfänden, ohne daß sie verständigt
und die Stolgebühren erlegt würden 3), obwohl nach dem Hofdekrete
vom 16. März 1783 „kein Actus ministerialis eher vorgenommen
werden durfte, als der, welcher einen Actum fordert, sich schriftlich
über die Bezahlung der Jurium Stolae an den katholischen Pfarrer
ausgewiesen habe“ 4).
Besonders heftig aber tobte der Streit um das Recht „einer jähr-
lichen Sammlung an Haber und Eyern an allen Bauerngütern, wie
solches in der Pfarre Schladming seit langem bestand“. Diese Ab-
gabe soll dadurch entstanden sein, daß die Bauern einem Vikar, der
schwach auf seinen Füßen war und zu den Versehgängen ein Pferd
brauchte, versprochen hatten, ihm Hafer für dieses Pferd beizustellen.
Die Eier sollen von jeher nur aus Gefälligkeit gegeben worden sein.
Die protestantischen Bauern stellten sich daher auf den Standpunkt,
daß sie zu der Sammlung nicht mehr beizusteuern brauchten, weil
sie ja von dem Vikar nicht mehr versehen würden 5). Die Sache
ı) Erlaß des Kreisamtes Judenburg vom 19. April 1783 im Schladminger Pfarrarchive.
2) Eingabe an das Kreisamt vom 21. Sept. 1783 im Schladminger Pfarrarchive.
3) Schreiben des Vikars Dibattistis an Pastor Schmal vom 20. April 1783; Erlaß
des Kreisamtes Judenburg an Dechant Estendorfer vom 26. April 1783 und an Pastor
Schmal in Schladming vom 16. Febr. 1789 (hier handelte es sich um das Begräbnis der
Frau des Schladminger Pastors); Erlaß des Kreisamtes an Vikar Novak vom 2, Aug.
1790, sämtlich im Schladminger Pfarrarchive.
4) Kreisamt Judenburg an Vikar Dibattistis vom 2. Aug. 1783 im Schladminger
Pfarrarchive.
5) Vgl. S. 227 Anm. 4.
— 219 —
ging bis an die Hofkanzlei, die entschied, daß die protestantischen
Bauern -sich auch weiterhin an der Sammlung beteiligen müßten, da
sie doch noch katholische Dienstboten auf ihren Höfen hätten 1).
Im allgemeinen hielten sich die Behörden auch wirklich streng
an das Gesetz, und wenn es bei Durchsicht der Akten manchmal
scheint, als stünden die Behörden allzusehr auf seiten der katholischen
Geistlichkeit, so ist dies nur eine Folge der damaligen gesetzlichen
Vorschriften. Wenn beispielsweise das Kreisamt einer Frau begreif-
lich machen will, „daß die für ihr Seelenheil sehr erwünschte Be-
harrung bei der katholischen Religion zu ihrer künftigen Verehelichung
kein Hindernis sei“ 3), oder wenn es auf die Überwachung eines bei
katholischen Zieheltern befindlichen natürlichen Sohnes eines Pro-
testanten drängt 8), oder wenn es dem Pfarramte bei der Unterbringung
von gefährdeten Kindern bei gut katholischen Zieheltern sowie bei
der Abstellung aller übrigen Gesetzwidrigkeiten seine Unterstützung
zusagt t), so entspricht all dies durchaus dem Geiste der Toleranz-
gesetzgebung, die wohl denen, die bereits einer anderen Religion zu-
getan waren, deren Ausübung gestatten wollte, aber doch in der
katholischen Religion die alleinseligmachende sah, deren „Beförderung“
der Wunsch des Kaisers und damit die Pflicht der Behörden war 5).
Und selbst wenn das Kreisamt — über höheren Auftrag — das Be-
tragen des „in betreff der Verbreitung verbotener Bücher oder Unter-
nehmung heimlicher und gefährlicher Unordnung und Unfügen“ ver-
dächtigten Ramsauer Pastors Overböck durch das Hauser Pfarramt
„nur im Geheim ohne Erregung des mindesten Aufsehens und mit
der in dieser Sache erforderlichen Bescheidenheit‘ überwachen läßt),
fand dies Vorgehen nicht nur in dem Spitzelgeiste jener Zeit, sondern
auch in den strengen Verordnungen gegen toleranzwidrige Über-
griffe der Protestanten 7) seine volle Begründung.
Andererseits scheute man sich aber auch durchaus nicht, gegen
katholische Geistliche einzuschreiten, wenn sie sich etwas zuschulden
kommen ließen. Als ein Vikar in der damals auch noch von Pro-
æ”
1) Loesche a. a. O. S. 401.
2) Kreisamt an Vikar Dibattistis vom 14. 6. 1783 im Schladminger Pfarrarchive.
3) Kreisamt an Dekanat Haus vom 23. 7. 1788 im Hauser Pfarrarchive.
4) Erlaß des Kreisamtes vom 28. Dez. 1791 im Hauser Pfarrarchive.
5) Vgl. die a. h. Hofentschließung vom 20. April 1782 und die Verordnung vom
30. April 1783 in der Josephinischen Ges.-Sammig.
6) Erlaß des Kreisamtes vom 6. März 1793 im Hauser Pfarrarchive.
7) Vgl. Hofdekret vom 31. Jan. 1782; Hofentsch. vom 26. April 1782 und Híd.
vom 30. April 1783 in der Josephinischen Gesetz-Sammig.
— 220 —
testanten besuchten Kulmer Kirche eine heftige Predigt gegen die
Andersgläubigen gehalten und sich die Protestanten darüber beschwert
hatten, erklärte das Kreisamt, es werde, falls weitere Beschwerden
kämen, die Anzeige an die Landesstelle erstatten. Schon jetzt fordere
es aber den Kreisdechanten auf, den Vikar „mit verständlichem Ernste“
zu verhalten, daß er sich „aller dergleichen verbotenen Zudringlich-
keiten und übertriebenen Religionseifers enthalten solle“ 1). Ebenso
forderte man, als sich die Stolstreitigkeiten mehrten, das Pfarramt auf,
zuerst zu versuchen, im gütlichen Wege anzukommen und sich nicht
gleich beim Kreisamte zu beklagen ?), und als Vikar Dibattistis einmal
trotz Vorladung nicht beim Kreisamte erschien, wurde ihm für den
Wiederholungsfall sogleich eine Geldbuße von ı2 Reichstalern an-
gedroht.
Doch nicht nur in persönlichen Dingen ging man nötigen-
falls in gleicher Weise gegen die katholische wie gegen die pro-
testantische Geistlichkeit vor. Auch in sachlicher Beziehung wahrte
man das Recht nach beiden Seiten hin völlig unvoreingenommen.
Als Vikar Dibattistis einmal ein Mädchen, bei dem der sechswöchige
Unterricht fruchtlos geblieben war, trotzdem nicht „den Akatho-
liken übergeben“ wollte, weil sie „eine einfältige Person“ sei, die
vom Protestantismus nichts verstehe, wurde ihm vom Kreisamte be-
deutet, es sei gar nicht notwendig, daß evangelisch sich erklärende
Personen ihre akatholischen Sätze verteidigten, sondern es genüge,
wenn sie dabei beharrten, nicht katholisch sein zu wollen. Ja, als
später einmal eine protestantische Schneidermeisterstochter, die zum
Katholizismus übergetreten war, nach 5 Jahren erklärte, wieder evan-
gelisch werden zu wollen, weil sie nur durch Geschenke veranlaßt
worden sei, zum Katholizismus überzutreten, erhielt sie von der Landes-
stelle die Erlaubnis, sogleich, also ohne den sonst vorgeschrie-
benen sechswöchigen Unterricht, wieder zum Protestantismus zurück-
zukehren.
Von katholischer wie von protestantischer Seite wurde denn auch
die protestantenfreundliche Haltung namentlich der unteren Behörden
wiederholt betont. Die Herrschafts- und Bezirksbeamten seien den
Protestanten weit geneigter als ihren katholischen Mitbürgern, klagte
der Pfarrer von Rottenmann ®), und der Pfarrer von St. Lorenzen wußte
1) Erlaß des Kreisamtes vom 23. März 1782 im Hauser Pfarrarchive.
2) Erlaß vom 2. Aug. 1790 im Schladminger Archiv.
3) Vgl. Bunzel im Jahrbuch des Vereines f. d. Gesch. des Prot. in Österreich
Bd. XXX, S. 88.
— 221 —
auch gleich eine Erklärung dafür. Er meinte, der gutbesoldete pro-
testantische Geistliche könne sich bei den Beamten der Gegend mehr
Ansehen erwerben als der katholische, der meist aus dem Religions-
fonds bezahlt, sich kaum des Hungers erwehren könne und noch
dazu sich oft wegen Erhöhung seines Solariums oder wegen not-
wendiger Baureparaturen an seinem Pfarrhofe vor dem weltlichen Be-
amten so schmiegen und biegen müsse, daß ihn dieser oft kaum des
Ansehens seines letzten Amtsschreibers würdige !). Auch Vikar Novak
beklagte sich, daß die Verwalter den Protestanten gegenüber „zu wenig
tätig“ seien ?).
Die protestantischen Seelsorger waren jedenfalls mit den Beamten
sehr zufrieden. Pastor Wehrenpfenig lobt in der Chronik die „gütige
Behandlung“ seiner Bauern durch sie, und auch Biermann meint:
„Im übrigen bin ich mit meinen weltlichen Obern, einem wohllöbl.
k. k. Kreisamte zu Judenburg und Landesgubernio zu Graz ganz gut
jederzeit abgekommen. Herr Kreishauptmann Pucher, Herr Kreis-
kommissär Polzler sind würdige, aufgeklärte Männer, die, soviel es der
Buchstabe des Gesetzes erlaubt, gewiß den hier immer noch ge-
drückten Prediger schützen und die ultramontanischen Grundsätze .....
als vernünftige Christen mit der gehörigen Verachtung anzusehen
wissen.“ Freilich ging diese Unparteilichkeit naturgemäß nur soweit,
wie es der Buchstabe des nicht allzu protestantenfreundlichen Gesetzes
erlaubte. Und so mögen die Protestanten sich, trotz der durchaus
korrekten Haltung der Beamtenschaft, oft des Wunsches aus dem alten
Neujahrsliede erinnert haben:
„Es geb’ euch Armen Gott der Herr
Das täglich Brot und, was noch mehr
An Seel und Leib vonnöten ist,
Voraus Geduld durch Jesum Christ.‘
IV.
Die Stellung der katholischen Geistlichkeit, die hier besonders
ausführlich geschildert werden muß, damit ein von allen Seiten her
anschauliches Bild der Glaubenskämpfe in jenen Tagen gegeben werden
kann, war gewiß auch nicht beneidenswert. Einerseits mußte sie aus
inneren wie aus äußeren Gründen ängstlich darauf bedacht sein, kein
Schäflein aus ihrer Herde zu verlieren. „An den häufigen Über-
ı) Vgl. S. 220 Anm. 3.
2) Brief vom 17. Dez. 1785 im Hauser Pfarrarchive.
— 222 —
tritten zum Protestantismus“ — hieß es sonst gleich !) — „dürften
wohl auch die katholischen Seelsorger wegen ihrer säumigen Amts-
pflicht mitschuldig sein“, und es konnte geschehen, daß die Geist-
lichen während des sechswöchigen Unterrichtes die Hälfte der Ver-
pflegskosten für die Übertretenden aus Eigenem bestreiten mußten ?).
Andererseits wurde dem Klerus von den geistlichen und weltlichen
Oberen aber immer Sanftmut gegen die Andersgläubigen gepredigt.
Nach dem Hofdekret vom 28. August 1781 sollte deren Bekehrung
lediglich der unendlichen Barmherzigkeit Gottes und der beschei-
denen Mitwirkung der Geistlichkeit überlassen werden, und auch das
fürstbischöfliche Passauer Konsistorialschreiben vom 22. September
1781 riet den Seelsorgern Geduld und Sanftmut an). Sie sollten
„allen Anlaß zu Zwistigkeiten in Glaubenssachen gänzlich vermeiden
und nach dem wahren Sinne der christlichen Toleranz auch gegen
Irrende liebevoll und mit aller Sanftmut sich benehmen, folglich sich
aller unanständigen Ausdrücke oder Lästerungen enthalten“ 4). Nur
„durch deutlichen und ersprießlichen Unterricht, durch Überzeugung
und gutes Beispiel“ sollten sie die anvertraute Pfarrgemeinde in der
alleinseligmachenden Religion zu stärken oder Irrende zurückzuführen
sich bestreben 5) und durch „ein güttig und sanftmüttiges Betragen
sich ein wahres Zutrauen und Liebe bey dem Volke zu erwerben
trachten °), alles rauhe Anfahren, alle Drohungen und Schmähungen
aber auf das sorgsamste vermeiden“ 7).
Dabei waren die Seelsorger nicht nur von Beamten £), Missions-
superioren und Religionskommissarien €) sehr abhängig, sondern sie
standen auch einer Bevölkerung gegenüber, die nicht eben leicht zu
behandeln war. Die anfänglichen Befürchtungen, das „ungeschlachte
Bauernvolk könnte etwas anzetteln und anrichten“ °), die „altblutigen
I1) Hofdekret vom 16. Aug. 1808 im Hauser Pfarrarchive.
2) Hofdekret vom 23. April 1783 in der ne Ges.-Sammlung.
3) Im Hauser Pfarrarchive.
4) Hofdekret vom 14. Jan. 1782 in der Josephinischen Ges.-Sammig. Vgl. auch
das Hofdekret vom 2. Jan. 1782 und die Verordnung vom 28. Sept. 1784 ebendaselbst und
den vom Vicario generali erlassenen Befehl vom 14. März 1782 im Hauser Pfarrarchive.
5) Hofdekret vom 14. Jan, 1782 in der Josephinischen Ges.-Sammig. und obiger
General-Vikariatsbefehl,
6) Verzeichnis jener Obliegenheiten, die dem Kuraten der Schladmingischen
Gegend in Rücksicht des Beligionsgeschäftes zustehen (1783) im Hauser Pfarrarchive,
7) Hofdekret vom 30. April 1783 in der Josephinischen Ges.-Sammig.
8) Vgl. S. 221 oben.
9) Bericht des Dechanten von Haus an den Bischof vom 31. Dez. 1781 im
Hauser Archiv.
— 223 —
Ausschreitungen und Vergehen‘ könnten wieder aufleben !), bewahr-
heiteten sich zwar nicht. Dagegen wurde über die Sittenlosigkeit der Be-
völkerung sehr geklagt. Von 200 Katholiken — berichtete Vikar Novak
aus Pichl — sind die Hälfte entweder schwach im Glauben oder laster-
haft, oder beides; von der anderen Hälfte ist ein Teil träge und lau
und nur 40 sind die Freude des Seelsorgers 2). Alles trägt dazu bei,
um bei dem ledigen Volk die Verderbnis der Sitten zu begünstigen,
ihre Vermischung mit dem Irrglauben, die Nachlässigkeit der Haus-
. väter, der Mangel einer aufsichtigen Polizei, sogar die Lage des Ortes
an der Grenze. Denn die Knechte tragen zur Nachtzeit Salz über die
Grenze und die Dirnen schenken dann, um sich mehr Geld zu ver-
dienen, in der Nacht Branntwein an die Burschen aus. Die Hausväter
aber getrauen sich nicht, ihren Knechten und Dirnen diese gemein-
schaftlichen nächtlichen Sachen abzustellen. In Schladming selbst
lagen übrigens die Dinge nicht besser. „Was Moral anlangt“ —
meldet Nowak später auch von dort —, „so steht es hierorts sehr
traurig, vielleicht so traurig wie nirgends in der Diözese. Es kommt
so weit, daß man Mädchen, die man nicht im Guten bekam, einfach
mitführt, in angrenzenden Orten in Branntweinschenken unterbringt
und dort mit vieler Klugheit“ lange versteckt hält.
Selbst in angesehenen Kreisen scheute man den öffentlichen
Skandal nicht. So lebte beispielsweise in Schladming seit vielen
Jahren ein gewisser Tomaser getrennt von seiner Frau mit der Er-
zieherin seiner Kinder, einer „Titulargewerkin‘‘ von P., im Konkubinate,
was großes Aufsehen und Widerwillen in der Bevölkerung erregte 3).
Schon 1784 hatte der damalige Vikar Debattistis versucht, die beiden
auseinanderzubringen. Freundliche Ermahnungen, Bitten, Zuschriften
an ihren Bruder, der Kreiskommissär in Judenburg, und an einen
nahen Verwandten, der Kanonikus zu St. Stefan in. Wien war, selbst
bischöfliche Ermahnungsschreiben und das Einschreiten des Magistrats
waren erfolglos geblieben. So wuchs das Ärgernis. Manche jüngere
Leute nahmen sich das Paar zum Beispiel, und die Bauern schalten
die Geistlichen, sie seien zu nachsichtig gegen den Unfug dieser vor-
nehmen Herrschaften. Erst 1789 schritt Vikar Novak neuerlich ein
und suchte den Bruder und den Verwandten des Fräuleins zu be-
1) Bericht des Pfarrers von Haus vom 31. Aug. 1781 im Hauser Archiv.
2) Bericht vom 7. Dez. 1785 im Hauser Pfarrarchive.
3) Berichte Novaks vom 13. Mai und 24. Dez. 1789; Schreiben Novaks vom
20. Aug. und 17. Sept. 1796 im Schladminger Archiv.
— 224 —
wegen, sie zu sich zu nehmen. Doch auch ihm scheint kein Erfolg
beschieden gewesen zu sein.
Für die Geistlichen war es ja auch nicht leicht, gegen solche
Sittenlosigkeit einzuschreiten, denn die Leute waren — wie Vikar
Novak klagte !) — obendrein überaus empfindlich. „Man kann sie“
— meinte er —, „kaum gelinde genug behandeln. Bei jeder Ermahnung
steht zu befürchten, daß sie Anlaß nehmen, mit Veränderung des
Glaubens sich meiner Seelsorge und meiner Erinnerung zu entziehen.“
So war es denn noch „das Beste, was der Seelsorger tun konnte“.
zu versuchen, „das Vertrauen der Gemeinde mit Wohlwollen und
tätigster Nächstenliebe zu gewinnen‘. Trotzdem änderten ja nicht wenige
ihren Glauben leicht, wenn sie darin einen Vorteil sahen, eine günstige
Ehe schließen oder ihre wirtschaftliche Lage verbessern konnten !).
Und auch aus inneren Gründen mag der Protestantismus bei manchen
seine Anziehungskraft ausgeübt haben. Wenigstens deuten die vielen
kirchenreformatorischen Vorschläge darauf hin, die katholische Geist-
liche vorbrachten. Namentlich Vikar Novak war unermüdlich in
solchen Neuerungsvorschlägen, von denen einige besondere Beachtung
verdienen.
So fragte er schon 1789 beim Ordinariate an, ob das Meßopfer
nicht deutsch gelesen werden könne, erhielt aber die Antwort, daß
dies „der Seltenheit der Gewohnheit wegen“ nicht angehe. Wohl
aber dürfe jemand dazu angeleitet werden, jährlich einmal beim Gottes-
dienste das Meßopfer deutsch vorzubeten ?). Ein Jahr später (1790)
bat Novak dann um die Erlaubnis, bei Hochzeiten, Versehen und Be-
gräbnissen die Gebete deutsch vortragen zu dürfen. Dies wird ge-
stattet, doch sollte die Änderung nicht auf einmal, sondern nach und
nach eingeführt werden. Vorläufig seien die Gebete zuerst in latei-
nischer und sodann in deutscher Sprache vorzutragen $). Bald darauf
(1792) endlich regte Novak an, die Andächtigen möchten dem Priester
bei der Messe aus eigenen Missalen mit den Ministranten zugleich
sprechend oder singend Antwort geben, damit so ihre Aufmerksamkeit
auf das Meßopfer konzentriert werde $).
Neben dem Verdeutschen der Gebete und der Anteilnahme der
Gemeinde am Gottesdienste hielt Novak jedoch auch eine eifrige Pflege
1) Vgl. S. 223 Anm. 2.
2) Erlaß des Leobener Ordinariates vom 24. April 1789 im Schladminger Archiv.
3) Erlaß des Bischofs vom 24. Nov. 1790 im Schladminger Archir.
4) Gutachten Novaks vom 15. April 1792 im Hauser Pfarrarchive. Andererseits
äußert sich Novak hier gegen die Kirchenmusik.
— 22 —
des Bibelstudiums für notwendig. Bibelvorlesungen durch die Geist-
lichen glaubte er freilich nicht das Wort reden zu sollen. Würden
sie in den einzelnen Häusern und Höfen abgehalten, so würden sich
seiner Ansicht nach leicht Hindernisse ergeben und es fehle auch an
der nötigen Ruhe. Würde man sie aber an Sonntagen nach der
Christenlehre in der Kirche veranstalten, so würde dies die Andäch-
tigen wie die Priester zu sehr ermüden. Auch könne man nicht
immer darauf rechnen, genügend redegewandte Priester zur Verfügung
zu haben, und ein zu guter Deklamator benehme den Zuhörern wieder
die Andacht t). Dagegen förderte Novak den Bibelunterricht in der
Schule durch die Anschaffung bildlicher Darstellungen der biblischen
Begebenheiten. Die Bilder wurden auf Wandgestellen angebracht und
von Zeit zu Zeit ausgewechselt. Die Einführung bewährte sich gut ?),
doch blieb man dabei auch stehen. Die radikaleren Vorschläge des
Kaplans Grimm, der ein neues Schullesebuch und ein neues Gebetbuch
eingeführt wissen wollte, wurden einstweilen nicht angenommen. Das
Ordinariat meinte zwar, es freue sich über Grimms Eifer, wünschte
ihm aber noch jene Mäßigung, Pastoralklugheit und Bescheidenheit,
die für den Seelsorger notwendig sei. Seine Vorschläge seien gut,
bedürften aber gründlicher Überlegung; man werde sie im Auge
behalten 3). l |
Jedenfalls geht aber aus all diesen Bestrebungen hervor, daß das
‚ Wirken der katholischen Geistlichen in Schladming nicht eben leicht
und angenehm war, und es ist sehr erklärlich, daß man nur „be-
sonderg geschickte Seelsorger‘ *) dort anstellen konnte. Man sollte
daher annehmen, daß ihnen dafür wenigstens eine unabhängige Stellung
und ein besonders gutes Einkommen geboten worden sei. Dem war
‚aber keineswegs so. Schladming hatte zunächst nicht einmal einen
Pfarrer, sondern nur einen Vikar, der dem Pfarrer in Haus unterstand.
Schon 1780 hatte der Bischof zu Seckau beim Erzbischof von Salz-
burg beantragt, das Vikariat Schladming zu einer Pfarre zu erheben
und den jeweiligen Pfarrer zum Missionssuperior über die Vikariate
ı) Vgl. S. 224 Anm. 4.
3) Schreiben des Pfarrers von Mauthhausen an Novak vom 23. Aug. 1772 und
Novaks Berichte darüber an den Bischof aus den Jahren 1792 und 1795 im Schlad-
minger Pfarrarchive.
3) Schreiben Grimms an das Ordinariat vom 30. Okt. 1791; Bericht Novaks vom
4. Dez, 1791; Erlaß des Ordinarisates vom 19. Febr. 1793 im Schladminger Pfarrarchive.
4) Hofdekret vom 16. Aug. 1808 im Schladminger Pfarrarchive.. Schon früher
Hofdekret vom 21. Jan. 1786 in der Ges.-Sammig.
— 226 —
Kulm und Pichl zu bestimmen !). Doch wurde dieser Anregung kein
Gehör geschenkt, so daß mehr als ein Jahrzehnt später noch immer
die Klage ertönte, der Umstand, daß in Schladming nur ein Vikar
residiere, schade der dortigen katholischen Bevölkerung sehr, da sich
die Protestanten mehr dünkten, weil sie einen eigenen Pfarrer hätten ?).
Zwischen dem Dechanten zu Haus, der gleichzeitig ‚konfirmierter
Pfarrer zu Haus und Schladming“ war, und dem Schladminger Vikar
Novak entspann sich denn auch ein kleiner Rangstreit, da der Hauser
Dechant die Schladminger Kirche als eine Filiale der Dekanatspfarr-
kirche betrachtete ®?), während Novak die Ansicht vertrat, Schladming
sei eine eigene selbständige Pfarre, deren Pfarrer nur abwesend sei
und daher durch einen Vikar vertreten werde t). Das Ordinariat ent-
. schied, es möge dem Vikar „mit aller Gelindigkeit‘‘ aufgetragen werden,
die Worte „Pfarrkirche“ u. dgl. in seinen offiziellen Schriften zu ver-
meiden, „wodurch seiner selbständigen Seelsorgsdignität, die man an
einem Vikare zu Schladming immer vom Ordinariate aus erkenne und
schätze, nichts benommen werde“ 5).
So blieb denn die rechtliche Stellung des Schladminger Vikars
auch weiterhin ungeklärt, und selbst die Zahl der Hilfskräfte, über die
er verfügte, war anscheinend völlig unzureichend. Erst im Spät-
herbste 1794 erhielt er einen zweiten Kooperator °), obwohl er schon
1789 in einer Eingabe die Notwendigkeit eines dritten Kuraten ein-
gehend begründet hatte ). Dabei war aber auch die materielle Lage
der Schladminger Seelsorger alles eher als befriedigend. Noch 1784
bat der Vikar, man möge ihm doch die Jahresbeiträge von 30 fl.
zur Besoldung des Kooperators, die früher aus einer Stiftung gezahlt
wurden, nun aber schon seit 1780 rückständig seien, nicht gerade in
einer Zeit entziehen, da durch den Übertritt vieler seiner Pfarrkinder
zum Protestantismus die Einkünfte ohnedies geringer würden 8). Ein
Jahr darauf hatte der Vikar trotzdem weder Antwort noch Geld. So
forderte er denn einen Bescheid binnen 24 Stunden, denn „die ge-
ı) Bericht vom 28. Juli 1780 in Abschrift im Schladminger Pfarrarchive.
2) Schreiben des Kaplans Grimm vom 30, März 1791 im Schladminger Pfarrarchive.
3) Schreiben des Dechanten von Haus vom 19. Sept. 1792 ebendort,
4) Schreiben des Vikars Novak vom 21. Sept. 1792 ebendort.
5) Erlaß des Ordinariates (ohne Datum) ebendort.
6) Bericht Novaks vom 20. Sept. 1794 im Hauser Pfarrarchive.
7) Bericht Novaks vom 9. Mai 1789 im Schladminger Archiv.
8) Bericht an die löbl. Lehens- und Vogtey-Repräsentation bei der Vikariatskirche
zu Schladming vom 9. April 1784 ebendort.
— 227 —
walttätige Entziehung und der Mangel des Brotes tue wehe“ 1). Zwei
Monate darauf verlegte er sich wieder aufs Bitten. Er wolle von dem
Gelde ja auch der Kirche gern nach Möglichkeit helfen und ihr 40 fl.
für das Notwendigste geben, doch auch für sich müsse er „ums täg-
liche Brot“ bitten 2). Indessen ist aus den Akten nicht ersichtlich,
ob diese Bitten Erfolg hatten. Dagegen liest man eine weitere Klage.
Der Markt Schladming hatte bisher dem jeweiligen Vikar jährlich 7 fi.
bar und ıo Klafter Landholz ins Haus geliefert. Allein 1784 weigerte
sich der Magistrat dessen und blieb bei seiner Weigerung auch, als
der Vikar die Angelegenheit ein Jahr später ernstlich betrieb °).
Schließlich dürfte der Markt doch wohl zur Zahlung verhalten worden
sein, ebenso wie dem Vikar das ihm von den protestantischen Bauern
bestrittene Recht der jährlichen Sammlung an Hafer und Eiern nach
langem Streite endlich doch gewahrt blieb). Allein dieser stete
Kampf „ums tägliche Brot“ machte gewiß die Stellung des Vikars
nicht angenehmer, zumal wenn es sich, wie bei den Stolgebühren,
um verhältnismäßig kleine Beträge handelte. Gerade dieser Kampf
aber wurde am erbittertsten geführt. So beschwerten sich 1783 die
protestantischen Gemeinden von Schladming und Ramsau, Vikar
Debattistis verlange von ihren Mitgliedern „wider die Verordnung“
3 fl. und 30 bis 40 Kreuzer als Stolgebühren, ‚wo er nichts tut“ 5).
Dann wieder hielten sich zwei Bauern darüber auf, daß sie für die
Taufe ihrer Kinder dem Vikar 21 und 18 Kreuzer hatten zahlen
müssen, obwohl das Taufgeld aufgehoben sei. Doch stellte sich später
heraus, daß die Bauern gar nicht eine Taufgebühr, sondern das Ein-
segnen ihrer Mutter, also eine noch zu Recht bestehende Gebühr, zu
zahlen gehabt hatten ®).
Um so erfreulicher, erhebender ist es, daß sich für diesen so
schwierigen, undankbaren Posten gerade in den Tagen, da dem
katholischen Glauben in jenen Gegenden die schwersten Gefahren
drohten, in Johann Nepomuk Novak ein Priester fand, wie man
„einen edleren für die damalige Zeit kaum finden‘ konnte. Seine
zahllosen Briefe, die sich in den Schladminger und Hauser Pfarr-
ı) Bericht vom 19. Mai 1785 ebendort.
2) Bericht vom 24. Juli 1785 ebendort. _
3) Beschwerde vom 16. Juli 1785 ebendort.
4) Vgl. oben S. 218.
5) Beschwerde vom 14. Febr, 1783 im Schladminger Archiv.
6) Beschwerde vom 28. Nov. 1786, Rechtfertigung vom 20. Jan. 1787 und Ent-
scheidung vom 12. März 1787 ebendort.
— 228 —
archiven vorfinden, gewähren tiefen Einblick in die Verhältnisse, unter
denen er wirkte, und zeigen ihn selbst als einen „scharfen Denker
und Sittenkenner“, als „gerechten und milden Kritiker‘ !). Alle sind
durchglüht von heiligem Eifer, dem Glauben zu dienen, der ihm so
tief im Herzen saß, daß er ihn am liebsten keusch dort verschlossen
hätte. Christ (schrieb er einmal) ?), ist man für sich, aber für die
anderen — Priester.
So mühte er sich denn unablässig, namentlich die Kinder diesem
von ihm so heilig empfundenen Glauben zu erhalten. Ein Vorfall,
der sich in der ersten Stunde nach seinem Dienstantritte zutrug, er-
scheint daher voll tiefster Vorbedeutung. Da kam nämlich eine pro-
testantische Bäuerin zu ihm und verlangte, er möge ihr zusichern,
daß sie ihr einige Wochen altes Ziehkind auch fürderhin bei sich
behalten könne. Die Mutter sei Protestantin, der Vater katholisch.
Novak wies auf die Verordnungen hin, nach denen Kinder katho-
lischer Väter stets katholisch zu erziehen seien. Da hatte er denn
gleich „das ehrloseste Maul und einen abscheulichen Schimpfnamen
am Halse“ 3). Auch drohte die Bäuerin, ihm das Kind ins Haus zu
legen. Es sollte (wie Novak später schrieb) *) „der Sohn seiner
Schmerzen“ werden. Sechs Jahre dauerte es, bis er das Kind in
einen katholischen, weit entfernten Ziehort gebracht hatte. Wohl gab
Novak dem Knaben auch dort Religionsunterricht, allein das Kind
erwies sich ‚als schwer von Begriffen und verschlossen“.
Doch all diese Schwierigkeiten schreckten den Seelsorger nicht.
Gleich zu Beginn des Jahres 1790, wenige Monate nach seinem Dienst-
antritte, hatte er festgestellt, daß sich mehrere katholische Kinder in
protestantischen Häusern befänden, und deren „Aushebung‘“ durch das
Kreisamt veranlaĝt 5. Denn es zeigte sich immer deutlicher, daß
Kinder, die in protestantischen Häusern aufwuchsen, dem katholischen
Glauben bald verloren gingen. Schon Novaks Amtsvorgänger hatte
es deshalb an Bemühungen, die nach dem Gesetze katholisch zu er-
ziehenden Kinder auch in katholischen Häusern unterzubringen, nicht
fehlen lassen 6). Ja, man begann auch dem recht im argen liegenden
ı) Hutter: Geschichte Schladmings, S. 332.
2) Brief vom 30. Dez. 1800 im Hauser Pfarrarchive,
3) Brief vom 4. April 1789 ebendort.
4) Brief vom 18. Dez. 1792 ebendort.
5) Bericht vom 13. Febr. 1790 und Erledigung vom 22. Febr. 1790 im Schlad-
minger Archiv.
6) Vgl. den Fall Stocker (1785—93) im Hanser Pfarrarchiv.
— 229 —
katholischen Religionsunterrichte erhöhte Beachtung zu schenken, um
den Einflüssen der Erziehung in den protestantischen Häusern ent-
gegenzuwirken !). Doch scheint auch dies keinen rechten Erfolg ge-
habt zu haben, was Novak selbst bald genug erfahren sollte. Zwei
Jahre nach seinem Dienstantritt war ein katholisches Mädchen ihren
protestantischen Großeltern zur Erziehung übergeben worden. Novak
hatte selbst den Großvater als den „bravsten‘ Protestanten geschildert,
der das Mädchen zur Schule und in jede Christenlehre schicke, und
bei dem man das Kind daher wohl lassen könne. Die Verantwortung
hatte er freilich abgelehnt. ıo Jahre später wurde das Kind wirklich
protestantisch 2). Ebenso ging es mit den fünf Kindern eines zum
Protestantismus übergetretenen Bauernehepaares. Sie mußten zwar
dem Gesetze gemäß auch nach dem Übertritte ihrer Eltern katholisch
bleiben, wurden aber „selbstredend‘ protestantisch erzogen und traten,
nachdem sie das gesetzliche Alter erreicht hatten, gleichfalls zum
Protestantismus: über 8).
So mußte denn auch das Kreisamt Novak seine Unterstützung
leihen. Es gab ihm den Auftrag, in Gegenden, wo keine Verfüh-
rungsgefahr bestehe, gut katholische Zieheltern ausfindig zu machen
und sodann eine „Konsignation aller annoch in Verführungsgefahr be-
findlichen katholischen Kinder wegen schleuniger Abschickung und
Übergebung solcher Kinder“ dem Kreisamte vorzulegen.
Die nicht zur Christenlehre oder zum katholischen Uhnterrichte
Erscheinenden sollten der betreffenden Werbbezirksherrschaft, alle
übrigen Toleranzwidrigkeiten aber dem Kreisamte mitgeteilt werden,
„wo man sohin nicht entbehren wird, jederzeit vorschriftsmäßig an die
Hände zu stehen‘ . Trotzdem verstummten die Klagen Novaks
darüber nicht, daß die Protestanten katholische Kinder in ihre Häuser
und Dienste aufnähmen und sie nicht zum katholischen Unterricht und
zur Christenlehre schickten 5). Auch 1794 schreibt er wieder, er habe
viel Sorge und Streit wegen dreier katholischer Kinder gehabt, die
ı) Vgl. das Protokoll über die Schulvisitation vom 6. Juli 1786. In diesem Pro-
tokolle wurde auch festgestellt, daß von 65 schulpflichtigen Kindern nur 31 die Schule
besuchten und daß der Schulunterricht darunter leide, daß der Schullehrer gleichzeitig
Meßner sei, so daß er wegen Hochzeiten, Taufen u. dgl. häufig die Schulstunden unter-
brechen müsse.
2) Bericht Novaks vom 17. März 1791 und folgender Akt im Schladminger Archiv.
Ein ähnlicher Fall bei Hutter a. a. O. S. 332.
3) Bericht Novaks vom 30. Juli 1791 im Schladminger Archiv.
4) Erlaß vom 28. Dez. 1791 im Hauser Pfarrarchive.
5) Bericht vom 24. Sept. 1792 im Schladminger Pfarrarchive.
zomr a —-
— 230 —
bei protestantischen Zieheltern in Pflege gewesen wären und nur mit
viel Mühe in katholische Häuser gebracht werden konnten. Nach
einer Pause von einigen Monaten wollte er einen ähnlichen Versuch
mit zwei anderen Kindern machen !).
Derartige Wechsel der Ziehorte waren aber keineswegs immer
leicht durchzuführen. Als Novak beispielsweise einmal, gestützt auf
einen Erlaß des Kreisamtes, ein katholisches elfjähriges Mädchen von
ihren Zieheltern abholen wollte, versteckte die Bäuerin das Kind, und
der Bauer ging mit dem Messer auf den Geistlichen los ?). Das Kind
kam natürlich bald darauf doch zu katholischen Zieheltern, fast gleich-
zeitig mit zwei anderen katholischen Kindern, die gleichfalls in pro-
testantischen Häusern gewesen waren). Allein selbst wenn der
Wechsel endlich durchgeführt war, blieben Zwischenfälle nicht aus.
So hatte man wieder einmal nach langen Vorbereitungen ein Mädchen
im Vikariate Pichl bei katholischen Zieheltern untergebracht. Da
kam eines Abends, als die Familie beim Abendessen saß, plötzlich
die protestantische Mutter des Kindes, nahm das Mädchen beim Arm,
führte es ohne weiteres zum bereitstehenden Wagen und fuhr mit ihm
rasch davon ^). |
Schließlich hatten diese Veränderungen in der Wahl der Ziehorte
ja auch ihre große wirtschaftliche Bedeutung, die in einer „Klage-
schrift“ der protestantischen Bauern von 1797 besonders deutlich zum
Ausdruck kam?). Da fragten die Protestanten das Kreisamt ganz
offen, ob sie denn bloß gut genug seien, die Pflegekinder von der
Geburt bis zum 11. oder 12. Jahre unentgeltlich aufzuziehen, um sie
dann, wenn diese zur Arbeit tauglich würden, an katholische Zieh-
eltern abgeben zu müssen, die sich mit ihnen weder geplagt hätten,
noch sich deren Erziehung hätten einen Kreuzer kosten lassen. Warum
nähme man — hieß es in der Schrift weiter — die Kinder denn
nicht in jüngeren Jahren fort? Das erwecke ja fast den Anschein,
als sei es den katholischen Geistlichen nicht so sehr an der Religion
der Kinder gelegen, als daran, den protestantischen Bauern wehe zu
tun. Die Bauern ließen es denn auch nicht bei der Klageschrift be-
wenden, sondern beschlossen, in ihren Häusern auch keine Armen
mehr zu verpflegen, und schickten tags darauf alle diese alten Leute
I) Schreiben vom 5. Febr. 1794 im Hauser Pfarrarchive.
2) Bericht vom 30. Okt. 1796 ebendort,
3) Schreiben vom 28. Jan. 1797 ebendort.
4) Bericht vom 30. Nov. 1799 ebendort.
5) Klageschrift vom ı. Jan. 1797 ebendort.
— 231 —
zum Pfarrer. Sie mußten diese Armen dann freilich doch wieder
zurücknehmen, mit ihrer Beschwerde scheinen sie aber doch Erfolg
gehabt zu haben. Denn später (1809) findet sich in einem Verzeichnis
der katholischen Kinder, die bei Protestanten zur Pflege untergebracht
seien !), auch ein Kind erwähnt, das zu anderen Pflegeeltern hätte
kommen sollen, aber bei den alten belassen werden mußte, weil es
schon zur Arbeit verwendet werden könne.
Trotzdem erlahmte Novak in seinen Bemühungen nicht. Immer
wieder stellte er dem Kreisamte vor, katholische Ziehkinder müßten
von den protestantischen Pflegeeltern entfernt und Katholiken zur Er-
ziehung übergeben werden ?. Immer wieder klagte er auch dem
Ordinariate, es sei natürlich, daß junge Leute, die zu lange in pro-
testantischen Häusern zur Erziehung blieben, schließlich überträten 3).
Doch selbst in den schwierigsten Fällen verzagte er nicht. Er kämpfte
sogar dagegen, daß eine protestantische Mutter ihren sechzehnjährigen,
katholisch erzogenen unehelichen Sohn zu sich ins Haus nähme, ob-
wohl sie versprach, ihn dann zum Alleinerben ihres Vermögens ein-
zusetzen 4). Und vielfach hatten Novaks rastlose Anstrengungen auch
Erfolg, wenngleich oft schwere materielle Opfer gebracht werden
mußten, da katholische Zieheltern häufig nur durch Gewährung ver-
hältnismäßig hoher Erziehungsbeiträge gewonnen werden konnten 5).
Sich selbst tat Novak freilich trotz alledem nie genug. Unmöglich
ist es — klagte er einmal‘) —, zu verhindern, daß nicht Kinder und
junge Leute in protestantische Häuser kommen, unmöglich, die Ge-
fahr und Gelegenheit der Verführung hintanzuhalten, unmöglich auch,
die schwach Gewordenen aus solchen Häusern zu entfernen und oben-
drein noch unmöglich, sich selbst bei genug angewandter Aufsicht
und Fleiß zu beruhigen. Allein er rang doch, wie Hutter zutreffend
meint, unablässig um den gesicherten katholischen Besitzstand, edel
in Absicht und Mitteln. Im August 1824 schrieb er sein letztes
Brieflein wegen eines gefährdeten Kindes, im Oktober starb er 7).
Und Novak war durchaus nicht der einzige Geistliche in jenen
Gegenden, der, des idealsten Strebens und heiligsten Eifers voll, in
ı) Im Hauser Pfarrarchive.
2) Bericht vom 27. Aug. 1803 ebendort.
3) Schreiben vom 24. Dez. 1808 ebendort.
4) Schreiben vom 19. März 1805 ebendort,
5) Vgl. das oben Zeile 3 erwähnte Verzeichnis im Hauser Pfarrarchive.
6) Schreiben vom 24. März 1798 ebendort,
7) Hutter a. a. O. S. 332 f.
17
— 232 —
seinem Berufe aufging. Seinem Kaplan Grimm beispielsweise gestand
selbst Novak, der gegen andere fast so streng wie gegen sich selbst
war, zu, daß er ein ganz guter Katechet sei, viel Eifer und Wissen-
schaft habe, überhaupt einer der gescheitesten Seelsorger und der
Beförderung zu einem höheren Grade vor vielen würdig sei 1). Anderer-
seits machte man Grimm freilich gelegentlich den Vorwurf, er zeige
im privaten Gespräche wenig Klugheit und Mäßigung, sei großtuerisch
und schone keinen, „wenn er vom Dreifuß im Orakelton spreche‘ 2).
Auch war er wohl gar zu reformeifrig und „gelehrt“. ‚Ein Priester
muß“ — schrieb Novak einmal — „kein Vielwisser sein; besser ge-
lehrig als gelehrt und lieber mehr Kraft zum Erbauen als Wissen-
schaft zum Glänzen °).“ Trotzdem hielt auch Novak seinen Kaplan
später für würdig, sein Nachfolger zu werden, ja er meinte, Grimm
wäre „ein sehr guter Ersatz‘ für ihn. Und die Bürgerschaft, deren
Interessen Grimm einmal sehr temperamentvoll vor den Behörden und
gegen die Behörden vertreten hatte, wollte ihn überhaupt nicht fort-
lassen. Als sich das Gerücht von der bevorstehenden Versetzung
Grimms verbreitete, kamen ganze Trupps von Bürgern und Bauern
zu Novak, um die Versetzung rückgängig zu machen. Ja sie wandten
sich, als dies nutzlos blieb, selbst an den Dechanten von Haus *).
Grimm blieb denn auch noch einige Jahre in Schladming und kam
dann als Provisor in das nahegelegene Pichl 5).
Ein anderer Kaplan Novaks, Schäfer, scheint ebenfalls sehr
verwendbar gewesen zu sein. Novak meinte wenigstens, sein Charakter
sei im Grunde genommen gut. Er sei fleißig, geschickt und eifrig.
Vormittags studiere er, nachmittags ahme er den hl. Paulus in Hand-
werksarbeiten nach. Wohl habe er noch manches Unpriesterliche an
sich, aber gegen heilsame Ermahnungen kein verstocktes Herz, so daß
man noch Vortreffliches von ihm erwarten könne °} Und von einem
dritten Kaplan, Löscher, schrieb Novak, er sei von seinen Schülern
geliebt, von der Gemeinde verehrt und genieße selbst bei den Pro-
testanten Achtung.
Man findet daher — wenigstens für die Schladminger Gegend —
das harte Urteil keineswegs bestätigt, das Hutter 7) über den „jüngeren,
1) Schreiben vom 4. Dez. 1791 und vom 12. April 1795 im Schladminger Archiv.
2) Schreiben vom 12. Juli 1795 obendort.
3) Schreiben vom 31. Mai 1795 ebendort.
4) Schreiben vom 2. Aug. 1795 ebendort.
5) Erlaß des Ordinariates vom 26. Febr. 1798 ebendort.
6) Schreiben vom 2. Aug. 1795 und vom 7. Febr. 1795 ebendort.
7) Hutter a. a. O. S. 333.
— 233 —
namentlich aus den kaiserlichen (auch sonst mit Unrecht verlästerten)
Generalseminarien hervorgegangenen‘“ Klerus fällt, indem er meint,
daß dieser „im leichten Weltgeiste und beamtenmäßigen Berufsleben
dahin lebte und gern über die finsteren, nun abgetanen Zeiten des
alten Katholizismus predigte und schmähte, worüber sich das katholi-
sche Volk zumeist ärgerte“. Die Schladminger Geistlichkeit scheint
vielmehr ihrer Aufgabe mit ganzer Hingebung gedient zu haben und
ihr auch voll gewachsen gewesen zu sein. Man kann dies schon den
Urteilen der protestantischen Pastoren entnehmen, die alle beweisen,
daß die katholische Geistlichkeit — bei aller Freundschaftlichkeit im
persönlichen Verkehr — ein keineswegs zu verachtender Gegner war.
„Ich bin“ — meint beispielsweise Pastor Biermann in der Chronik —
„durch die mancherlei Streitigkeiten mit der katholischen Geistlichkeit,
wozu besonders das Wegnehmen katholisch zu erziehender Kinder
und die Erklärungen der Erwachsenen zur protestantischen Religion
die meiste Veranlassung gaben, mit dem medium tenere glücklich
größtenteils durchgekommen, rate aber einem jeden, der hier mein
Nachfolger sein wird, fleißig auf die Bewegungen acht zu haben, die
der katholische Klerus in den obgedachten Fällen macht. Man ent-
wendet zwar protestantisch zu erziehende Kinder nicht leicht mehr mit
Gewalt, wohl aber mit schlauer Hinterlist. Man kann zwar die Er-
wachsenen nicht leicht mit Gewalt von ihren Erklärungen zum Pro-
testantismus abhalten, aber man läßt nichts unversucht, dieselben durch
Schmeicheleien und glatte Worte oder auch wohl durch Grobheiten und
Drohungen von ihrem Vorhaben abzubringen.“
Die katholische Geistlichkeit traf hier somit sicherlich keine Schuld
an dem Vordringen des Protestantismus, und Vikar Novak konnte den
Vorwürfen, die den Seelsorgern von ihren geistlichen Vorgesetzten
immer wieder wegen der Abfallsbewegung gemacht wurden, in voll
berechtigtem Unmute mit den Worten entgegentreten !): „Ihr Herren,
kommt selbst, versuchet und bearbeitet dieses Feld. Ersetzet unseren
Mangel durch Wissenschaft, Eifer und Geschicklichkeit. Wir tragen
keinen Neid, sondern würden mit wahrer Freude daran Anteil
nehmen 2).“-
Es war im Gegenteil nur dem Eifer der katholischen Geistlichkeit
zuzuschreiben, wenn die Übertrittsbewegung doch verhältnismäßig früh
zum Stillstand kam und Novak schon 1799 in einem Berichte über
1) Schreiben vom 7. Sept. 1790 im Hauser Archiv.
2) Vgl. auch das Schreiben vom 24. Dez. 1808 ebendort.
17*
— 234 —
die Zustände seiner Pfarre im letzten Halbjahre mitteilen konnte, daß
keine Übertritte vorgekommen seien !). Auch 1808 konnte er wieder
melden: „Im Dekanate Haus ist es nicht so arg mit immer häufigeren
Übertritten“ 2), und 1816 traten in der ganzen Leobner Diözese, zu
der auch Schladming gehörte, wohl fünf Akatholiken zur katholischen,
aber nur ein Katholik zur protestantischen Religion über ®).
Daß freilich der Protestantismus seine einmal gewonnenen Stel-
lungen behauptete, darf nicht wundernehmen. Es entsprach dies
schon dem Geiste der damaligen Zeit, in der ‚selbst die Bischöfe
samt dem Salzburger gänzlich josefinisch waren und ihrem Klerus
immer wieder nur Duldung und Brüderlichkeit‘“ vorschrieben 4). Man
lebte ja in den Tagen, in denen Lessings „Nathan“ auch in Öster-
reich rasch Verbreitung gefunden hatte. Da mag es denn geschehen
sein, daß der ohnehin meist recht schwerfällige Verwaltungsapparat,
der für den Katholizismus tätig sein sollte, häufig noch mühsamer
arbeitete als sonst, und daß tiefe Mutlosigkeit alle jene befiel, die ihn
in Bewegung zu setzen hatten. ‚In zwei Dezennien ist in Schlad-
ming kein katholischer Priester mehr notwendig“, hieß es dann wohl $).
Die Protestanten dagegen fühlten sich sichtlich als die Wohl-
habenderen, Stärkeren. „Das katholische Volk ist das arme‘,
klagt Novak einmal 5), „und deswegen sind die Verlockungen der
reichen Protestanten größer.“ Protestantische Väter bekannten sich
leichter zu unehelichen Kindern als Katholiken, die nicht imstande
waren, Erziehungsbeiträge zu leisten. Protestanten übernahmen auch
gerne Patenstellen bei katholischen Kindern, so daß Novak einmal
beantragen mußte, dies zu verbieten. Ebenso nahmen Protestanten
häufig Kinder katholischer Eltern unentgeltlich in Pflege, was die
ärmeren Katholiken nicht so leicht tun konnten ®). Auch die Dienst-
boten waren bei den Protestanten besser gehalten und traten daher
lieber bei diesen in Dienst ©), ließen sich dann wohl auch leicht zum
Übertritt bereden. Desgleichen war bei Mischehen der protestantische
meist der wohlhabendere Teil und konnte daher leichter seine Be-
dingungen — auch in religiöser Hinsicht — stellen.
Dazu kam dann noch, daß die Protestanten nicht nur die sozial
ı) Bericht vom 30. Nov. 1799 ebendort.
2) Schreiben vom 24. Dez. 1808 ebendort.
3) Bunzel a. a, O. S. 90.
4) Hutter a, a. O. S. 332.
5) Vgl. S. 233 Anm. ı,
6) Bericht Novaks vom 17. Dez. 1785 im Hauser Pfarrarchive.
— 235 —
Kräftigeren und Stärkeren, sondern auch die Glaubenseifrigeren waren.
In ihnen lebte noch die seit Jahrhunderten von Geschlecht zu Ge-
schlecht vererbte Kraft des Widerstandes, der oppositionelle Geist,
der sie nun, da die Schranken gefallen waren, zum Angriff übergehen
ließ. Selbst ihre eigenen Führer, die landfremden Pastoren, die ja
in friedlichen Gegenden aufgewachsen und erzogen worden waren,
schienen ihnen jetzt fast zu zaghafl. Man wollte offen kämpfen für
den Glauben, den man solange nur im verborgenen hatte pflegen
können. Und so nahmen sich denn die Protestanten wohl tatsäch-
lich, wie Novak dem Kreisamte klagte !), „mit ihrer Religion immer
mehr Freiheit heraus“ zum Schaden der Katholiken, welche sichtlich
abflauten. So war es denn auch sicher „nicht leicht, gegen die Macht
der lutherischen Bauern zu kämpfen“. Fanden sie doch Kraft und Mut
in den Worten der Schrift, die sie solange treu gehegt und die ihnen
trostspendend verheißen hatten: „Siehe, ich habe vor dir gegeben
eine offene Tür, und niemand kann sie schließen. Denn du hast eine
kleine Kraft und hast mein Wort behalten und hast meinen Namen
nicht verleugnet.“
V:
Innerhalb der Schladminger Bevölkerung riefen die Jahrhunderte
dauernden Glaubenskämpfe wenig Zwistigkeiten hervor. Katholiken wie
Protestanten gehörten denselben Ständen an, hatten all die Jahre hin-
durch Freuden und Leiden miteinander geteilt, hatten Mißjahre und
Feuersnöte, Kriegsunruhen und Epidemien gemeinsam ertragen
müssen. So ehrte jeder seinen Glauben, verteidigte ihn auch, wenn
er angegriffen wurde, haßte aber den Andersgläubigen nicht. Kurze
Zeit, nachdem das Toleranzedikt erlassen worden war, mag dies viel-
leicht manchmal noch anders gewesen sein: Da mag — wie Pastor
Biermann in der Chronik erzählt — bei den Protestanten noch ein
gewisses Mißtrauen geherrscht haben gegen alles, was katholisch
heißt, damals mag der Protestant vielleicht noch in dem Katholiken
„nur denjenigen gesehen haben, der ihn einst und noch vor kurzem
erst zur Ehre Gottes von Haus und Hof jagte, von Weib und Kind
entfernte und ohne alle Unterstützung in Länder versetzte, die wegen
des großen Unterschiedes des Klimas und der Lebensart sein Grab
werden mußten“. Doch auch diese Gefühle dürften sich meist nur
gegen jene gekehrt haben, die den Leuten als offizielle Vertreter des
Katholizismus gegenübertreten mußten, gegen Geistliche und Beamte.
I1) Bericht vom 24. Sept. 1792 im Schladminger Archiv.
— 236 —
In ihren katholischen Mitbürgern werden die Protestanten wohl auch
damals kaum ihre Feinde erblickt haben.
An Verhetzungsversuchen hat es ja gewiß nicht gefehlt. Pastor
Schmal berichtet in der Chronik sogar, es sei einmal das Gerücht
verbreitet worden, „die Ramsauer hätten an die sieben Zentner
Pulvers im Auslande erkauft‘‘ und bewaffneten sich in der Stille, „um
auf einem mit der Schladminger (protestantischen) Gemeinde ab-
geredeten Tage über die Katholiken herzufallen und die Szene des
1525ten Jahres !) zu erneuern“. Die Sache kam so weit, daß der in
Schladming garnisonierende Hauptmann von Brambilla scharfe Patronen
unter seine Kompagnie austeilen und sie am Feste Mariä Verkündi-
gung ganz zur Kirchenparade ausrücken ließ mit dem Auftrag, „bey
sich ereignenden Volksbewegung unter dasselbe zu feuern“. Der Tag
verlief indessen ganz ruhig, und „dic Vernünftigen schämten sich,
einer so infamen Lüge nur einige Augenblicke geglaubt zu haben“.
Ja, als sich ein andermal das Gerücht verbreitete, die Protestanten
hätten eine Feierlichkeit mit katholischen Gebräuchen abgehalten, er-
klärte Vikar Novak selbst dies als „ein Produkt niederer Dichtkunst“ 2).
So blieben denn alle derartigen Verhetzungsversuche ergebnislos.
Das Kreisamt Judenburg konnte von den Protestanten berichten, daß
sie sich auch gegen die Katholiken „ruhig, menschenfreundlich und
liebevoll“ betragen °), und von den Katholiken schrieb Vikar Novak
sogar, daß sie immer mit den Protestanten liebäugeln und bei pro-
testantischen Hochzeiten und Begräbnissen stets in das protestantische
Bethaus gehen 4). Und dieses gute Einvernehmen hielt auch weiterhin
an. Als Erzherzog Johann 1810 in diese Gegend kam, fand er
„beide Konfessionen mit ihren Hirten in ungestörter Eintracht und
Liebe‘ 5), und Senior Haupter meinte noch 1853, es werde „nicht bald
eine gemischte Ortsgemeinde geben, deren Glieder so verträglich und
I) Über die Revolution der Schladminger Bauern und Bergknappen im Jahre 1525
vgl. Hutter a. a. O. S. 147 fl.
2) Bericht vom 2. Aug. 1795 im Schladminger Archiv.
3) Vgl. Bunzel a. a O. S. 85..
4) Bericht vom 30. Juli 1791 im Schladminger Archiv,
5) Pastor Wehrenpfennig warnte allerdings später in der Chronik seine Amts-
nachfolger davor, mit dem Markte viel Umgang zu pflegen. Er würde zwar das Lob
der Geselligkeit ernten, jedoch — auch wenn er sich noch so behutsam betrage — das
Gift der Lästerzunge hier und da kosten müssen. Denn ein Pastor bleibe ihnen immer
verhaßt, er betrage sich, wie er wolle. Allein es bleibt dabei wohl zweifelhaft, ob
Wehrenpfennig der in der Franzisceischen Zeit besonders üppig blühenden Klatschsucht
nicht allzu viele Bedeutung beimaß.
— 237 —
freundlich untereinander wohnen, wie es hier der Fall ist“ 1). Selbst
in unseren Tagen hat sich daran nichts geändert, und wer einmal in
das berghinanklimmende, wälderumsäumte Schladming kommt, wird
dort sicher wenig von Zwist und Hader spüren.
Trotzdem steht man auch heute, da das laute Kampfgetöse längst
verklungen ist, nicht ohne innere Erregung auf dem Boden viel-
hundertjähriger Glaubenskämpfe.. Schon wenn an einem schönen
Sommersonntag der Schnellzug durch das Ennstal braust, stürmen
mancherlei Gedanken auf den Reisenden ein. Er sieht die zahllosen
alten Kirchen in der Runde, einem Festungsgürtel gleich, der das
Land einst gegen das Vordringen des neuen Glaubens schützen sollte.
Er sieht die lange Reihe festlich gekleideter Menschen zu diesen
Kirchen ziehen und fragt sich, wie es nur möglich war, daß sich der
neue Glaube neben solcher Macht hier durchsetzen, sich bis auf den
heutigen Tag behaupten konnte. Und Zweifel werden wach, ob das
kleine Häuflein der Andersgläubigen sich nicht endlich doch zu dem
Glauben bekehren werde, der von alters her in den Landen herrscht,
mächtig und gebietend.
Im Hintergrunde aber ragen hohe, waldumsäumte Berge. Dort,
wo die Arme der weltlichen und geistlichen Macht nicht hinlangten,
haben deutsche Bauern den neuen Glauben in Not und Tod still im
Herzen als ihr Kostbarstes gehegt, haben ihn dann, als bessere Tage
kamen, offen bekannt, sind mit ihm in die Täler hinabgestiegen und
haben dort laut seine Lehren verkündet, allen Gegnern zum Trotz.
Seither ist aber die Flut der Touristen und Sommerfrischler in die
entlegensten Bergtäler gedrungen, und mit ihr ist vielfach die Gleich-
gültigkeit gegen Glaubensfragen unter das Volk gekommen. Nur der
Hang, das Sehnen nach Übersinnlichem ist geblieben. Werden die
Enkel der alten Streiter in ihrer Brust noch die Kraft des Glaubens
finden, Widerstand zu leisten, wo mühelosere Befriedigung übersinn-
licher Bedürfnisse lockt?
In Schladming hält der Zug. Man geht die breite Straße dem
Orte zu. Am Eingange fast wölbt sich ein altes Stadttor. Rechts
davon steht ein großes Gebäude: „Katholische Volksschule“ liest
man über der Pforte, Bibelverse schmücken die Front. Links liegt
die Kirche, breit und wuchtig. Die Kirchentür steht offen. Drinnen
knien Andächtige, Trost suchend in des Alltags Pein, flehend für
ein seliges Ende. Da findet sich auch das Geburtsjahr der Kirche:
1) a, a. O. S. 41. Auch Payer a. a. O. bestätigt, daß zwischen beiden Kon-
fessionen nach wie vor stets das beste Einvernehmen herrschte.
— 238 —
1522. Noch ehe Luthers Lehren in jene Gegenden gedrungen waren,
hatte man sie errichtet, und so ist sie ein echtes Wahrzeichen des
Glaubens, der seit den grauen Tagen der Vorzeit im Lande herrschte
und seine Macht bis in die fernste Zukunft zu behaupten hofft.
Aufwärts geht. der Weg, den Bergen zu. Da steht fast am Rande
des Waldes die neue protestantische Kirche. Schlank und spitz ragt
ihr Turm in den Himmel. Ihre Pforten sind geschlossen. Wer in
diesem Glauben die Andacht des Alltags verrichten will, muß still in
sein Kämmerlein gehen. Zur Linken aber liegt hinter einem kleinen
Gärtchen das Pfarrhaus, ein altes deutsches Bauernhaus. Sein Tor
steht jedermann offen. Durch einen hochgewölbten dunklen Gang
naht man sich der engen Treppe. Eine Gittertür schließt hier den
Eingang. Doch auch sie öffnet sich dem leichten Druck der Hand,
und ein kleines Glöckchen kündet mit dunkler Stimme dem frei-
gewählten Oberhaupte der Gemeinde den Gast. Alles ist hier noch er-
füllt von dem Geiste guten, alten, frommen, deutschen Familienlebens.
Und wie der spitze Turm der Kirche weit ins Land hinein das Dasein des
jüngeren, des protestierenden Glaubens kündet, so ist auch das
schlichte Haus ein echtes Wahrzeichen dieses Glaubens, den ein
deutscher Bauer begründet und den deutsche Bauern hier so treu
bewahrten, dem sie immer zahlreichere Anhänger warben.
Im Jahre 1789 zählte das Vikariat Schladming unter 2532 Seelen
noch 1592 katholische und nur 940 protestantische !); 1805 zählte man
nur noch 1343 Katholiken und 993 Protestanten 2); das Personalstand-
buch des Seckauer Ordinariates aber weist für 1913 in der Schladminger
Pfarre neben 1433 Katholiken schon 1490 Protestanten aus. Das ist
nicht nur eine Folge der größeren wirtschaftlichen Kraft der Prote-
stanten; das ist auch eine Folge der festen Zuversicht in die Macht
des Glaubens, von der die Inschrift auf dem Pfarrhause gerade hier so
bedeutungsvoll spricht: „Des Herren Zorn brennt wie Feuer, der Herr
ist gütig und eine Feste zur Zeit der Not und kennet, so auf ihn bauen.“
An Sonntagen füllt sich denn auch das Gotteshaus. Und hell und
jubelnd ertönt im hohen Kirchenraume, wie es einst leise und ängstlich
in niederen Bauernstuben erklang, das alte, kampferprobte, sieg-
verheißende Lutherlied: *
„Ein feste Burg ist unser Gott,
Ein gute Wehr und Waffen.“
1) Bericht Novaks vom 9. Mai 1789 im Schladminger Pfarrarchive.
2) Bericht Novaks vom Jahre 1805 ebendort.
NINE
— 239 —
Mitteilungen
Der Ortsname Lübeck. — Vor vier Jahren hat der als Forscher
auf dem Gebiete der lübeckischen Geschichte bekannte Prof. Wilhelm
Ohnesorge eine Abhandlung !) veröffentlicht, die nicht nur um des Gegen-
standes willen, den sie behandelt, sondern vor allem auch wegen der an-
gewandten Methode Beachtung verdient. Insofern ist sie ein Gegenstück zu
dem Aufsatze Die Bedeutung des Namens Nürnberg von August Gebhardt
in dieser Zeitschrift 10. Bd. (1909), S. 38—43. Die genannte Veröffent-
lichung ist eine vervollständigte Neubearbeitung des schon in der Fest-
schrift für den in Lübeck tagenden ı7. deutschen Geographentag (1908)
enthaltenen Aufsatzes über den Namen Lübeck. Dadurch wird die wertvolle,
von genauer Sach- und umfassender Quellenkenntnis zeugende Abhandlung
auch weiteren Kreisen zugänglich gemacht. Jedem, der sich mit der Er-
forschung slawischer Orts-, Flur-, Flug- und Seenamen wirklich wissenschaftlich
und nicht nur oberflächlich beschäftigt, werden die einleitenden methodischen
Bemerkungen aus dem Herzen gesprochen sein. Geographische, philologische,
historische, kulturhistorische und, wenn möglich, archäologische Gesichts-
punkte müssen in Betracht gezogen werden; alte geographische Namen dürfen
nicht nur am Schreibtisch erklärt werden. Sehr wertvoll ist die dann folgende,
umfassende Bibliographie über die Forschungen zur slawischen Ortsnamen-
kunde, die sich also nicht nur auf Lübeck und seine nächste Umgebung
beschränkt, sondern alle bezüglichen reichsdeutschen und manche öster-
reichischen Gebiete anführt. Der erste Hauptteil (S. 14—37) behandelt
die Wortformen des Namens Lübeck angefangen von dem Bremer Dom-
scholaster Adam (um 1075) bis zum XV. Jahrhundert (1470). Den 24
Wortformen für das ursprüngliche, später Altlübeck genannte Lübeck reihen
sich die Formen für das heutige Lübeck an. Man staunt, in wie mannig-
faltiger Weise in Chroniken und Urkunden der Name umgeformt worden ist,
und erkennt andererseits die Wichtigkeit, die internationale Bedeutung Lübecks,
die einen solchen überraschenden Reichtum an Namenformen ermöglicht hat.
Zu den von Ohnesorge festgestellten 128 Namenformen der alten baltischen
Metropole haben fast alle Kulturländer des mittelalterlichen Europa beigetragen:
Dänemark, England, Frankreich, Holland, Italien, Norwegen, Polen, Schweden,
die Schweiz u. a. Aber auch die deutschen Mundarten haben sich wort-
bildend gezeigt, als Beispiel sei die Schweizer Form Lubegg erwähnt (in
einer Urkunde aus Zürich um 1400). Die letzten Seiten dieses Abschnittes
zeigen die Lautwandlung des iu (Liubice z. B.) zu ü in den überlieferten
Namenformen. Ein ü findet sich zum ersten Male in einer von Ludwig dem
‚Bayern 1320 in Frankfurt ausgestellten Urkunde: Lübekk. Die heutige Form
Lübeck erscheint zum ersten Male 1448. Heute spricht man das ü, ab-
gesehen von Süddeutschland, im ganzen Reiche lang, der Lübecker selber
aber spricht dieses % kurz.
1) Wilhelm Ohnesorge: Deutung des Namens Lübeck, verbunden mit einer
Übersicht über die lübischen Geschichtsquellen sowie über die verwandten Namen Mittel-
europas, Programm d. Katharineums. Lübeck 1910. M. Schmidt. Gr.-8°. 104 S.
— 240 —
Der zweite Hauptteil (S. 37—50) gibt die achtmal versuchte und von
Ohnesorge mit Recht abgelehnte Zurückflüihrung des Namens auf deutschen
Ursprung. Die etymologische Spielerei der Humanisten verführte den be-
rühmten Enea Sylvio und Konrad Celtis zu der Gleichung Lübeck = Lob-
Eck (Angulus laudis); nicht besser sind die Deutungen Lieb-Eck und Leib-
Eck. Ein Erklärungsversuch aus dem Jahre 1651 Lübeck = Wasser- Eck
wird von dem Verfasser eingehender behandelt; denn es sollen diese Dar-
legungen den Nachweis erbringen für die in der Einleitung stehende Be-
hauptung, „daß man bei ernsthaften Versuchen, bisher unklar gebliebene
Ortsnamen sicher zu deuten, nicht vor der allerdings oft undankbaren, müh-
seligen und wenig anziehenden Arbeit zurückscheuen darf, die Schriftsteller
des XVI. und XVII. Jahrhunderts zu studieren“. Lübeck = ILubbens Eck
(von einem sagenhaften Lubba) oder = Löwenort (hergeleitet von Heinrich
dem Löwen) ist auch nur als gelehrte Spielerei aufzufassen. Die beiden
letzten, aus dem XIX. Jahrhundert stammenden deutschen Deutungen Lübeck
== Kleinbach und = Waldbach vermischen sich mit einer unklaren Kenntnis
der Tatsache, „daß die Bevölkerung Lübecks starke westfälische Elemente
aufgewiesen und sich im Mittelalter immer von neuem durch Zuzug aus
Westfalen vermehrt hat“. Darnach war dann Lübeck eine westfälische
Gründung, die ihren Namen von westfälischen Orten, insonderheit von der
westlich von Minden gelegenen Stadt Lübbecke, erhalten hat. Beide Er-
klärer (aus den Jahren 1817 und 1822, bzw. 1886) sind reichlich naiv
und werden durch die geschichtlichen Verhältnisse und die topographische
Unmöglichkeit widerlegt („Waldbach‘“ für eine Stadt an dem Wiesenfluß
Trave!).
Im dritten Hauptteile (S. 50—77) werden sämtliche möglichen Zurück-
führungen des Namens auf slawischen Ursprung behandelt und zwar zuerst
die von Ohnesorge als falsch abgelehnten (S. 50—66), während dann der
Beweis erbracht wird, daß Lübeck von ljubu == lieb abgeleitet werden muß.
Der Verfasser untersucht nacheinander alle für Lübeck oder für ähnliche
Namen in Betracht kommenden slawischen Sprachstämme und weist nicht
nur aus sprachlichen, sondern wiederum auch aus sachlichen und geschicht-
lichen Gründen nach, daß alle angeführten Worte für die Erklärung nicht
anwendbar sind. Alle diese Worte sind mit den urkundlichen 128 Namen-
formen, die Lübeck bis 1470 gehabt hat, nicht vereinbar, am wenigsten mit
den beiden ältesten Namen Liubice und Leubice. Es bleibt nur noch ein
einziges slawisches Wort für die Ableitung von ZLiubice übrig, nämlich das
altsl. jubu = lieb, Yubiti = lieben (poln. luby oder lub); hängt man an den
Stamm des Appellativums Yubu Yjub- das polabische Suffix -ice an, so gelangt
man zu der Form Liubice; hängt man an ljub- das andere polabische Suffix
-ec an, so gelangt man zu der Form Liubec, die Ohnesorge noch für das
Jahr 1263 nachgewiesen hat. Diese Ableitung des Verfassers entspricht aufs
genaueste sowohl den sprachlichen Gesetzen des Slawischen, als auch der
ältesten Form des Namens Lübeck. Es liegt hier nach den scharfsinnigen
Beweisen des Verfassers einer der sehr wenigen Fälle vor, in denen die Be-
deutung des Ortsnamens ganz sicher festgestellt werden kann und man sich nicht
nur mit einer gewissen Möglichkeit begnügen muß. Im folgenden wird dann
gezeigt, wie die Deutung „Liebort“ in dem Sinne von „anmutig (suavis),
— 2411 —
schön“ vorzüglich zu dem Landschaftscharakter Alt-Lübecks und seiner Um-
gebung paßt, so daß als angemessenste Übersetzung „Schönort“ zu wählen
ist (vgl. damit das lat. Placentia oder das griech. Callipolis). Wie dann
weiter ausgeführt wird, ist die Erinnerung an die wirkliche Bedeutung des
Namens niemals ganz verloren gegangen. Sie hat sich am meisten in den
mittelalterlichen Quellen erhalten und ist erst durch die gelehrten Spielereien
der Humanisten in einer Weise getrübt worden, daß sie im XIX. Jahrhundert
ganz verloren gegangen war.
Der vierte und letzte Hauptabschnitt (S. 78— 102) gibt ein durch
reiche Anmerkungen mit Quellenangaben erläutertes Verzeichnis der mit
Lübeck verwandten Namen Europas, wodurch die Arbeit nicht nur für die
Geschichte Lübecks, sondern auch für die allgemeine Ortsnamenkunde wert-
voll wird. Im ganzen werden 400 Nomina geographica vom Stamme ljub-
angeführt. Von Holstein bis Esthland, vom Lüneburgischen bis Litauen,
von Thüringen bis Rußland, vom Bayrischen Walde bis Serbien und Monte-
negro findet sich diese Namenfamilie in vielen Tausenden verbreitet. Daß
der Verfasser nur 400 beibringen kann, liegt an der Lückenhaftigkeit der
bisherigen Bearbeitung des Gebietes; denn wenn auch slawische Dorf- und
Stadtnamen fast überall schon behandelt worden sind, so liegt die Samm-
lung und Erklärung der interessanten Flurnamen noch sehr im argen. Er-
schöpfende Zusammenstellungen gibt es nur von Kühnel und zwar lediglich
für verhältnismäßig so kleine Gebiete wie Mecklenburg, das Wendland und
die Oberlausitz. Das Ganze schließt ein Nachtrag über das westlichste Vor-
kommen der von. Yub- abgeleiteten geographischen Namen; es ist die Wal-
dung Lübbig bei Pattensen (Lüneburger Heide).
FEDie Arbeit Ohnesorges löst die gestellte Aufgabe in vorbildlicher Weise,
und es ist nur zu wünschen, daß auch andere Ortsnamen ähnlich sorgfältige
und sachkundige Bearbeiter erhalten, damit die schon ein Menschenalter
noch immer im Anfangsstadium befindliche slawische Ortsnamenforschung
in sichere Bahnen gelenkt wird. Konrad Fedde (Wohlau)
Eingegangene Bücher.
Arbusow, Leonid: Ambrosius von Gumppenbergs Bericht über eine Mission
. des Erzbischofs Johann Blankenfeld von Riga vor der Eroberung Roms
1527 [= Sitzungsberichte der Gesellschaft für Geschichte und Alter-
tumskunde der Ostseeprovinzen Rußlands aus dem Jahre 1912 (Riga
1914), S. 346—366].
Borowski, Ludwig Ernst von: Königsberger patriotische Predigten aus den
Jahren 1806—1816, herausgegeben und eingeleitet von Alfred Uckeley
[= Schriften der Synodalkommission für ostpreußische Kirchengeschichte,
Heft 17). Königsberg i. Pr., Thomas & Oppermann 1913. 158 S.
8%. M 2,75.
Estorff, Eggert von: Zur Geschichte der Familie von Estorff bis zur Re-
formation [= Forschungen zur Geschichte Niedersachsens, herausgegeben
vom Historischen Verein für Niedersachsen, Band 5, Heft 1/2]. Hannover,
Ernst Geibel 1914. 177 S. 8°.
— 242 —
Grotefend, Otto: Bericht über die Verzeichnung der kleineren nichtstaat-
lichen Archive des Kreises Saatzig in Pommern [== Veröffentlichungen
der Historischen Kommission für Pommern, Bd. II, Heft r}. Stettin,
Leon Saunier 1913. 80 S. 8°.
Güldemeister, Ernst: Karl der Große [== Velhagen & Klasings Volks-
bücher Nr. 109]. Bielefeld und Leipzig, Velhagen & Klasing o. J.
34 S. 8. M 0,60.
Jühling, Johannes: Die Liebeszaubereien der Gräfin von Rochlitz, Mai-
tresse Kurfürst Johann Georgs IV. von Sachsen. Nach der Handschrift
des Johann Friedrich Klotzsch zum erstenmal herausgegeben. Stutt-
gart, Robert Lutz 1914. 339 S. 8. M 4,50.
Jesse, Wilhelm: Die Verzeichnung der kleineren Archive Mecklenburgs [=
Sonderabzug aus den Jahrbüchern des Vereins für Mecklenburgische
Geschichte und Altertumskunde, Bd. 78 (1913)]. 30 S. 8°.
Kann, Albert: Ein philosophischer Gedankengang. Wien IV., Kolschitzky-
gasse 5, Selbstverlag des Herausgebers [1914]. 108 S. 8°.
Kuske, Bruno: Die Märkte und Kaufhäuser im mittelalterlichen Köln [=
Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins, 2 (1913), S. 75—133].
Lienau, M. M.: Über Megalithgräber und sonstige Grabformen der Lüne-
burger Gegend [= Mannus-Bibliothek, herausgegeben von Gustaf
Kossinna, Nr. 13]. Mit ı Karte, 30 Tafeln und 5 Text-Abbildungen.
Würzburg, Curt Kabitzsch 1914. 42 S. 8. Ææ 5,00.
Luschin von Ebengreuth: Die Erbhuldigung der Innerösterreicher im
Jahre 1360 [== Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark,
11. Jahrg. (1913), S. 266—271].
Mell, Anton und Pirchegger, Hans: Steirische Gerichtsbeschreibungen
als Quelen zum Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer.
I. Abteilung. Landgerichtskarte: Steiermark. Mit einer Kartenbeilage.
[> Beiträge zur Erforschung Steirischer Geschichte, 37.— 40. Jahr-
gang (1914), S. 127—748.]
Nell, Martin: Der Ursprung der ersten deutschen Infanterie, der Lands-
knechte. Berliner Dissertation 1913. 77 S. 8°.
Osten-Sacken, Baron von der: Der Gebrauch des Wortes der andere
in mittelalterlichen Urkundendatierungen Livlands [== Sitzungsberichte
der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde der Ostseeprovinzen
Rußlands aus dem Jahre 1912 (Riga 1914), S. 26—40].
Reeb, Wilhelm: Russische Geschichte. Zweite Auflage [= Sammlung
Göschen 4]. Berlin und Leipzig, G. J. Göschen 1913. 132 S. 16°.
Geb. Æ 0,90.
Rohde, Georg: Die Reformen Friedrichs des Großen in der Verfassung
und Verwaltung des Herzogtums Geldern 1763 — 1770. Göttinger
Dissertation 1913. 59 S. 8°.
Roloff, G.: Von Jena bis zum Wiener Kongreß [= Aus Natur und Gei-
steswelt, 465. Bändchen]. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner 1914.
114 S. 8. M 1,25.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr, Armia Tille in Weimar.
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengeselischaft, Gotha.
Deutsche Geschichtsblätter
Monatsschrift
Erforschung deutscher Vergangenheit anf Jandesgeschiehtlicher Grondlage
XV. Band Juli 1914 10. Heft
Die Landskneechte'‘)
Von
Martin Nell (Bonn)
Im Jahre 1901 sind zwei Aufsätze ?) erschienen, die der Lands-
knechtsforschung ganz neue Bahnen gewiesen haben. Wilhelm Erben
legte dar, daß die Entstehung der deutschen Artikelsbriefe nicht auf
Maximilian selbst zurückgehe. Wichtiger aber war der Nachweis, den
Laux führte, daß die alte überlieferte Anschauung, Maximilian habe
die Landsknechte ins Leben gerufen, unhaltbar sei, weil es schon vor
ihm „dem Namen wie der Sache nach“ Landsknechte gegeben
habe. Diese Anschauung ist von der neuesten Forschung rückhaltlos
aufgenommen worden.
Aber so viel Bestechendes auch die Ausführungen von Laux
haben, sie können einer näheren Kritik nicht standhalten. Laux hat
die Quellen nicht einer genügenden Kritik unterworfen, er hat das
deutsche Fußvolk in und vor allem nach den Burgunderkriegen nicht
hinreichend verfolgt, und so hat er auch Maximilians Verdienst um
das Aufkommen der Landsknechte nicht recht würdigen können.
Dies ist nur möglich, wenn man der Frage nachgeht, was das deutsche
Fußvolk vor dem Auftreten Maximilians militärisch geleistet hat, und
wie es sich in seinen Diensten in den vielen Kämpfen, die er in seiner
1) Der vorliegende Aufsatz will einen kurzen Überblick über die Forschungen
geben, die ich über den Ursprung der Landsknechte angestellt habe und die meinem
eben erschienenen Buche Die Landsknechte. Entstehung der ersten deutschen In-
fanterie (Berlin 1914) zugrunde gelegt sind.
2) W. Erben: Ursprung und Entwicklung der deutschen Kriegsartikel. Mitt.
des Instituts für österr. Geschichtsforschung. VI. Erg.-Band (1901). Max Laux: Der
Ursprung der Landsknechte. Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte. Herausgeg.
von Steinhausen. Band VII (Berlin 1901). Im übrigen verweise ich für die Bedeutung
des Fußvolks im Mittelalter auf das grundlegende Werk von H. Delbrück: Geschichte
der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Bd. III (Berlin 1907).
18
— 244 —
ersten. niederländischen Regierungsperiode zu bestehen hatte, ent-
wickelt hat.
Die Schlachten des Mittelalters sind vorwiegend Reiterschlachten.
Das Fußvolk spielt nur eine untergeordnete Rolle, es ist nur eine
Hilfswaffe. Wo die Haltung von Fußknechten im Mittelalter beson-
ders gerühmt wird, geht sie in der Regel über die defensive Abwehr
von Rittern nicht hinaus. Für die selbständige Offensive eines nicht
ritterlichen Fußvolkes findet Delbrück im ganzen Mittelalter vor den Hus-
siten und Schweizern nur ein oder zwei sichere Beispiele: die Sehlacht
bei Courtray (1302), in der die flandrischen Städte über die Franzosen
siegten, und vielleicht noch die Schlacht bei Bannockburn (1314), in
der die Schotten Eduard II. von England schlugen. In beiden Fällen
aber wird der Sieg durch meisterhafte Ausnutzung des Geländes er-
rungen.
Erst in den Hussitenkriegen gelangte das deutsche Fußvolk zu
größerer Bedeutung; mit Hilfe der Wagenburg behaupteten sich die
Hussiten gegen deutsche Ritter. Aus den bunt bewaffneten und meist
ungeübten Volksmassen der Hussiten konnte man jedoch noch keinen
taktischen Körper bilden, sie konnten noch nicht in einer bestimmten
Formation kämpfen, denn dazu gehörte Disziplin und Übung, und da
diese noch nicht vorhanden waren, so mußte man sich der schwer-
fälligen und „nicht einmal ausnahmsweis offensiven“ Wagenburg be-
dienen. Diese übernahmen nun auch die Deutschen und wandten sie
bis zum Ende des XV. Jahrhunderts an.
Die Schweizer waren es, die den entscheidenden Fortschritt
brachten. Sie stellten zuerst ein diszipliniertes Fußvolk ins Feld; sie
wählten die passenden Waffen und bildeten die entsprechenden Kampfes-
formen aus: erst wandten sie das Steinwerfen und die Hellebarde an,
dann den langen Spieß, den mehrere Glieder hintereinander vor-
streckten, um den Einbruch der Ritter abzuwehren. Sie lösten sich
zuerst von der Wagenburg los und bildeten einen taktischen Körper,
den Gevierthaufen, aus dem Fußvolk. Sie formierten drei große
Haufen, die sich gegenseitig unterstützen konnten; denn alle Mann-
schaften in einen Haufen zu stellen, war nicht geraten, weil ein sol-
cher Haufen durch einen Angriff von zwei Seiten gar leicht gestellt
werden kann und dann hilflos wird. Dieser ihrer Taktik verdanken
die Schweizer ihre Siege bei Laufen 1339, Sempach 1386, Granson
und Murten 1476,
Aber gerade eine Erfindung auf dem Gebiete des Kriegswesens
wird nie auf ein beschränktes Gebiet, auf ein kleines Volk beschränkt
— 245 —
bleiben, sie wird auch bei anderen Völkern Aufnahme finden und
auch weitergebildet werden müssen, wenn diese nicht unterliegen
wollen. So ging auch hier nach dem Niedergange des Rittertums das
Bestreben der abendländischen Völker dahin, ein den Schweizern
ebenbürtiges Fußvolk zu schaffen, das fähig wäre, im taktischen Körper
zu fechten. Dabei bildete das schweizerische Kriegswesen das Vor-
bild. Dies gilt auch vor allem für die Landsknechte.
Es entsteht nun die Frage, wie hat sich die schweizerische Ord-
nung auf die übrigen deutschen Stämme übertragen? Die Antwort
lautet: durch die vielen Schweizer Reisläufer selbst. — Es liegt auf
der Hand, daß die Landsknechte nicht auf einmal ins Leben treten
konnten, sie haben sich entwickelt, und es hat Jahrzehnte gedauert, bis
sie ihren eidgenössischen Lehrmeistern ebenbürtig waren. Der Kampf
im taktischen Körper war nicht so leicht. Erstlich gehörte dazu, daß
das Fußvolk zur Hauptsache Waffen trug, die für den Nahkampf be-
stimmt waren, als Spieß, am besten Langspieß, und Hellebarde. Leute
mit Schußwaffen konnte man nicht in einen damaligen taktischen
Körper einordnen, wenn anders sie von ihrer Waffe rechten Gebrauch
machen sollten. Sodann aber gehört zum taktischen Körper ein dis-
zipliniertes Fußvolk von großer Kriegserfahrung, starkem Selbstbewußt-
sein und festem gegenseitigen Vertrauen. Einheitlich und fest ge-
schlossen muß der Haufen auf den Gegner losgehen, jeder muß wissen,
daß nur in einer völligen Unterordnung unter das Ganze, in einem
unaufhaltsamen Vorwärtsdrängen der Sieg beruht. Löste sich der
Haufe auf, dann mußte jeder mit dem Untergang rechnen. So ist es
verständlich, daß man damals nicht aus jedem Fußvolk einen tak-
tischen Körper bilden konnte. Wollte sonach der deutsche Fußknecht
etwas leisten, so konnte er es zunächst nur in Anlehnung an die
Schweizer tun, von ihnen konnte er lernen und bei ihnen Erfahrungen
sammeln. In der Tat erlangte das deutsche Fußvolk seine Schulung
in den Kämpfen, in denen es mit Schweizern zusammen focht. Schon
Laux und Delbrück haben darauf hingewiesen, daß lange vor den
Burgunderkriegen sich verschiedentlich Schweizer Reisläufer im Dienste
deutscher Fürsten und Städte befunden haben. Im Treffen bei Secken-
heim (1462) kämpften sie mit ihren deutschen Stammesbrüdern sogar
in demselben taktischen Körper. Aber’ von einer nachhaltigen Ein-
wirkung bis zu den Burgunderkriegen kann keine Rede sein.
Erst in den Kämpfen, die die Eidgenossenschaft und die Gebiete
im Südwesten des Reichs gegen Karl den Kühnen von Burgund 1474
bis 1477 auszufechten hatten, zeigt sich eine deutliche Einwirkung der
18*
— 246 —
Schweizer auf das deutsche Fußvolk. Diese drei Jahre waren aus-
gefüllt mit zahlreichen Schlachten. Die Siege von Héricourt und
Nancy gewannen Schweizer und deutsches Fußvolk .vereint, auch an
den Schlachten von Granson und Murten haben vereinzelte deutsche
Fußtruppen und Reiterscharen teilgenommen. Dazu kommen noch
die vielen Eroberungs- und Beutezüge, bei denen es zwar nicht zu
einer Schlacht kam, wo aber doch die Schweizer auf die Deutschen
einwirken konnten. Der ewige Krieg bildete die Truppen, hier lernten
sie Erfahrungen und die Gewohnheit zu kämpfen, da es zu jener Zeit
keinen Exerzierdrill im Frieden gab. Im Vertrauen auf die sieggewohnten
Schweizer ließen sich die deutschen Fußknechte in die Ordnung ein-
reihen und hielten mit ihnen getreulich aus. Schweizer Gebräuche
wurden hiervon den Deutschen aufgenommen. Bei Héricourt schlachteten
sie, keinen Pardon gebend wie ihre Lehrmeister, die burgundischen
Reiterscharen ab. Es ist bezeichnend, daß gerade die deutschen
'Reiterscharen 70 Gefangene machten. Darob wurden die Eidgenossen
zornig, und es war ihnen gar leid, daß die ritter so viele gefangen ge-
nommen und nicht erstochen hatten, denn es ist ihre Gewohnheit, daß
sie niemand aufnehmen. In dem Sinne schrieben die Berner an
N. von Diesbach: Wir wollten es wäre anders mit ihnen gehandelt. Hier
machten die Eidgenossen ihren Einfluß geltend, denn sie konnten nicht
dulden, daß der üble Ruf, der ihren alles niedermordenden Scharen
voranging, irgendwie abgeschwächt würde, auch in der Zeit nicht, da sie
mit den Deutschen zusammen kämpften. So wurde auf dem Tag der
„Niederen Vereinung‘“ zu Basel am 13. Dezember 1474 ein für allemal
ausgemacht, daß fernerhin in Scharmützeln und Gefechten keine Ge-
fangenen mehr gemacht werden sollten. Auf dem Tage von Luzern faßte
man dann weitere Beschlüsse, die sich im letzten Feldzuge als notwendig
erwiesen hatten. Danach soll die ‚Niedere Vereinung “, wie die Eid-
genossenschaft, ihre Knechte den Eid der Berner schwören lassen,
daß nämlich vor Beendigung des Kampfes keine Beute gemacht wer-
den dürfe. Wer es doch tue, der solle niedergestochen werden, da-
mit die Beute den Leuten nicht vorweggenommen werde. Als 1475
bei der Eroberung von L’Isle, wo ausgemacht worden war, daß ge-
meine Beute gemacht werden solle, ein Österreicher einen Kelch
nahm und es nicht anzeigte; da wurde er sofort im Feld gerichtet,
und der Nachrichter, der den Übeltäter gefehlt und nicht richtig ge-
richtet hatte, wurde von den Knechten auf dem Fleck erstochen.
Auf dem Tag von Luzern 1476 kam es zu dem Beschluß, vor einem
neuen Zuge solle jeder, der im Felde sei, es seien Herren, Städte
— 2417 —
oder Länder von den Eidgenossen und andern, den Eid tun und
schwören, den die von Luzern und andere bisher geschworen hätten,
den man auch jedermann geschrieben heimzuführen gegeben habe.
Diesen Luzerner Feldeid schworen auch deutsche Fußknechte. So
wurde er vor den 1500 Fußknechten und 100 Reitern verlesen, die
aus Basel am 29. März auszogen. Straßburg beschloß, alle Burgunder,
die man antreffe, zu töten, mit Ausnahme der Kinder, Priester und
Frauen, und alle Ortschaften, welche man einnähme, zu verbrennen
und dem Erdboden gleichzumachen. Und endlich wird noch einmal
im Felde vor Murten allgemein bekanntgemacht:
ı) Daß jeder in der Ordnung bleibe, in die er gestellt worden.
2) Daß keine Gefangenen gemacht werden dürften, d. h. daß jeder
Feind sofort zu erstechen sei.
3) Daß jeder, der sich zur Flucht wende, vom Nächsten sogleich
erstochen werden solle;
4) ebenso jeder, der während des Gefechtes ein Geschrei erhebe,
d. h. etwas anderes rufe als die Hauptleute._
5) Daß keine Gefangenen gemacht werden dürften, bevor der Sieg
entschieden sei.
6) Daß Priester, Frauen und Kinder weder getötet noch irgendwie
mißhandelt oder beleidigt werden dürften.
Wenn sich nun auch so eine Einwirkung der Schweizer auf die
deutschen Fußknechte nicht in Abrede stellen läßt, wenn die Deutschen
in den Burgunderkriegen vielfach Schweizer Bewaffnung aufgenommen
und es gelernt haben, im taktischen Körper zu fechten, selbstän-
dige Leistungen haben sie zu jener Zeit im Felde noch nicht zu-
stande gebracht. Es ist darauf hinzuweisen, daß sie allein, ohne die
Schweizer, nicht einen größeren Zug zu unternehmen wagen, und daß
sie keine Opfer scheuen, um die Schweizer zu einer Offensive gegen
die Burgunder zu veranlassen, oder daß sie immer wieder versuchen,
Schweizer Söldner in ihre Dienste zu ziehen, ehe sie einen Zug unter-
nehmen. Als z. B. die „Niedere Vereinung‘ 1475 einen Zug nach
Blamont plante und die Schweizer ihre Mitwirkung versagten, da
sandte Straßburg seinen Ammeister Peter Schott in die Schweiz, um
die Eidgenossen zu diesem Zuge zu bestimmen. Dieser eilte mit
einigen Kolmarer Ratsfreunden nach Solothurn und legte dort dem
Rate dar, die „Niedere Vereinung “ bedürfe dringend der Hilfe der
Schweizer, denn wenn ihr bei uns seid, so ist das mehr um das ge-
schrei, denn um die macht; denn ihr habt durch eure vorfahren bis auf
euch hergebracht, wo ihr ins feld zieht, daß ein grausen und eine furcht
— 248 —
der gegenpartei davon entsteht. Ähnlich äußerten sich die Gesandten
vor dem Rat von Bern, den sie um 400 Söldner baten, auf daß sie
den namen der von Bern und andere eidgenossen bei sich hätten, so -
hoffe er, solches werde ihnen gegen alle feinde gar vielen nutzen und
frommen bringen; denn die von Bern und andere eidgenossen ihr lob
also hergebracht hätten, wo oder an welchen enden sie im felde wären,
daß allewege ihre feinde darob große furcht und schrecken hätten. Aber
nicht allein die Furcht der Feinde wird durch die Teilnahme der
Schweizer erhöht worden sein, sicherlich ist auch das Selbstbewußtsein
und die Zuversicht der oberdeutschen Fußknechte durch die Schweizer
gewachsen.
Auch in den Schlachten selbst, nicht nur bei Granson und Murten,
sondern auch gerade bei Héricourt und Nancy, wo das deutsche Fuß-
volk ebenso stark war wie das schweizerische, haben die Deutschen
selbständig nichts geleistet. Überall kämpften sie nur in Anlehnung
an die Schweizer. Die Gevierthaufen wurden aus Schweizern und
Deutschen gemeinsam gebildet, und daß die ersteren die schwierigsten
Aufgaben übernahmen — so die Umgehung des Feindes bei Héri-
court — und daß sie sich in die ersten Glieder stellten, ist nur zu
begreiflich. Überhaupt haben die Schweizer das damalige deutsche
Fußvolk sehr gering geachtet und sind sehr selbstbewußt gegen das-
selbe aufgetreten, haben auch den Löwenanteil der Beute für sich in
Anspruch genommen. Vor den Schlachten bei Granson und Murten
baten sie die Deutschen um Reiter und Büchsenschützen, da sie über
diese Truppengattungen kaum verfügten. Es ist bezeichnend, wenn
die Berner vor Granson an ihre deutschen Bundesgenossen schreiben,
daß sie jetzt nur die Reiter, die sie bekommen könnten, bereitstellen,
die Fußknechte aber pro defensione patriae bei sich zu Hause lassen
möchten.
Wie wenig das deutsche Fußvolk damals selbständig zu leisten ver-
mocht hat, das zeigt am deutlichsten der Feldzug nach Pont-a-Mousson
im Herbst 1476, den die „Niedere Vereinung“ allein, ohne die Schweizer,
unternehmen mußte. Mit einem 10—12000 Mann starken Heere zog
Herzog Reinhard von Lothringen nach Norden, um sein Land wiederzu-
gewinnen. Ihm rückte ein an Zahl unterlegenes burgundisches Heer ent-
gegen. Längere Zeit standen sich beide Heere gegenüber. Nach einigem
Manövrieren entschloß sich endlich Reinhard, bei Pont-a-Mousson in
guter Stellung den Feind zu erwarten. Aber die deutschen Fuß-
knechte verweigerten die Schlacht, weil Festtag, Les Innocents, sei.
Mit Recht hält der Zeitgenosse Lud dies für bloße Ausreden. Aber
— 249 —
sollte auch dieser Tag ein Festtag gewesen sein, was nicht anzunehmen
ist, da der ı7. Oktober niemals ein Feiertag war, das konnte kein
Grund sein, von einer Schlacht abzusehen: waren doch auch die
Schlachten von Héricourt und Nancy an Sonntagen geschlagen worden.
Reinhard mußte sein Heer nach Pont-a-Mousson zurückführen. Hier
brach in der Nacht der Aufstand offen aus: die deutschen Söldner
überfielen die Bürger und plünderten die Häuser. Sie verlangten,
daß man ihnen die Tore öffne. Sie riefen, sie seien verraten und
verloren. Vergebens berief Reinhard die Hauptleute und versprach,
die. Söldner zu befriedigen. Noch gelang es, sie bis zum Anbruch
des Tages hinzuhalten. Dann aber waren sie nicht mehr zu bändigen;
in wilder Flucht stürzte alles aus der Stadt.
Wir haben über dies Ereignis einen kürzlich von Luginbühl her-
ausgegebenen Bericht des Zeitgenossen Nicolai!), der sagt: „Im
Gegenteil immer auf die Schlacht bedacht, bemühte sich Reinhard,
das Werk der Entscheidung mit seinem Gegner zu vollenden. Er
berief deshalb die Hauptleute zusammen, machte einen Vorschlag.
Aber dieser Vorschlag wurde bestritten; denn einige Hauptleute
_ fürchteten, daß, wenn die Sache unglücklich ausschlagen würde, die
Gefahr sich gegen sie selbst wenden möchte. Andere sagten, sie
wären nicht einmal beauftragt zu siegen, sondern bloß ihre Stadt vor
einem Kampfe zu bewahren. Aber er hatte einige Schweizer um
Sold gemietet, die voll guten Mutes waren. Das so gesammelte Heer
schwankte in seiner Buntscheckigkeit hin und her und zögerte, in
kleiner Zahl auf fremdem Boden den Kampf zu wagen. Noch waren
jene nicht da, deren Ansehn unerschütterlich feststand.. Der Herzog
aber sah seine Absicht. durch Zwietracht vereitelt. Wenn er auch
den Hilfsvölkern Befehle hätte geben wollen, so wäre es ihm doch
nicht zugestanden worden. Auch wird berichtet, daß er Tränen ver-
gossen habe.“ Furcht und Angst hemmte die Truppe, und das war
der Hauptgrund zur Meuterei und Flucht. So wenigstens wird die
Niederlage von den Zeitgenossen aufgefaßt. Der Breisacher Reim-
chronist, der unmittelbar nach den Ereignissen schreibt, sagt:
Und uff den selben Tag
Waren die Teutschen versagt —
Die Teutschen förchten sich also sehr
Und fluhen mit allem irem heer
By nacht von der statt. —
Das was den Teutschen die grost schand.
ı) Nicolai: De preliis et occasu ducis burgundie historia. Herausgegeben
und übersetzt von E, Luginbühl (Basel 1911).
— 250 —
Ebenso sagt Lud, Reinhard habe sich über die craincte sans nécessité
gewundert. So sagt endlich auch Nicolai: „Hierauf flohen die
Unsern und zogen singend heim, denn Furcht hatte allmählich die
Truppen Gefahren sehen lassen.“ Nach diesen Zeugnissen verrät dieser
Feldzug deutlich, daß das deutsche Fußvolk damals noch nicht fähig
war, im offenen Feld, im taktischen Körper sich gegen die Burgunder
zu behaupten. Ohne die Schweizer wagte es keine Entscheidung.
Somit steht fest, daß es in den Burgunderkriegen ein selbstän-
diges deutsches Fußvolk, bei dem schweizerische Bewaffnung und
Taktik soweit Eingang gefunden hätte, daß es allein den Kampf im
Gevierthaufen hätte aufnehmen können, noch nicht gegeben hat.
Diese Erkenntnis ist wichtig, wenn wir nun an die Frage herantreten,
ob in den Burgunderkriegen schon Landsknechte vorhanden
waren.
Zunächst ist festzustellen, daß einige Forscher den Namen Lands-
knecht verschiedentlich da gebrauchen, wo in den Quellen von
solchen nicht die Rede ist. Mone, der Herausgeber der Breisacher
Reimchronik !), gibt an, daß die 200 Fußknechte, die an der Er-
hebung von Breisach (1474) teilnahmen, Landsknechte gewesen seien.
Schon Laux hat darauf hingewiesen, daß der Name Landsknecht hier
„formell“ nicht am Platze sei, da in der Reimchronik dieser Name
gar nicht vorkomme; er nimmt aber an, daß es „der Sache nach“
solche gewesen seien. Er weist nach, daß es deutsche und nicht
schweizerische Knechte gewesen sind, sodann beruft er sich darauf,
daß eine Abbildung in der Reimchronik eine Anzahl von Fußknechten
zeigt, von denen „die meisten lange Spieße, einer eine Hellebarde,
der andere eine Armbrust und drei Handbüchsen tragen‘. Aber des-
halb brauchen es noch keine Landsknechte gewesen zu sein, zumal
die Zeichnungen teils 1480 entstanden sind, teils sogar erst 1555 nach
älteren Motiven neu komponiert wurden. Über die Verwendung jener
Fußknechte in der Schlacht erfahren wir übrigens nichts.
Denselben Fehler begehen auch Höhlbaum ?) und Ochsenbein 3),
die auch von Landsknechten da sprechen, wo sich in den Quellen
der Name nicht findet. Wenn wir dies nun schon bei einigen neueren
Forschern nachweisen können, da kann es uns nicht wundernehmen,
1) Quellensammlung zur Badischen Landesgeschichte Bd. 3 (Karlsruhe 1863).
2) K. Höhlbaum: Zur Geschichte der Belagerung von Neuß; Regesten. Mitt. -
aus dem Stadtarchiv von Köln. Heft 8 (Köln 1885), S. 34.
3) G. F. Ochsenbein: Urkunden der Belagerung und Schlacht von Murten
(Freiburg 1876), S. 140. 219. 361.
— 251 —
wenn sich auch bei einigen chronikalischen Quellen, die am Ende
des XV. oder im Beginn des XVI. Jahrhunderts entstanden sind, der
Name Landsknecht findet, mit Bezug auf Zeiten, da sie der Sache
nach noch nicht vorhanden waren. Laux hat zuerst darauf hin-
gewiesen, daß die Chronique Lorraine schon unter 1476 von Lands-
knechten berichtet: Plusieurs aventuriers lansquenets, que vers li duc
(Herzog Reinhard von Lothringen) souvent venoient eulx presenter por
le servir, und etwas später lesen wir ebenda: Le duc de Bourgogne
des lansquenets de Mets bien était assure!). Da nun der unbekannte
Verfasser der Chronik Zeitgenosse und selbst an den Ereignissen be-
teiligt ist, so nimmt Laux an, daß es sich hier in Wirklichkeit um
Landsknechte handelt. Aber Witte, der die Angaben der Chronik
an der Hand des urkundlichen Materials in den elsässischen Archiven
genau kontrolliert hgt, stellt fest, daß sie sich durch Ungenauigkeit
in der Erzählung diplomatischer Vorgänge auszeichnet. Der Verfasser
erzähle die früheren Ereignisse vom Hörensagen und, was er selbst
erlebt, aus der Erinnerung in späteren Zeiten. Die Ereignisse
habe er behalten, wie das zu geschehen pflege, vielfach bis auf kleine
Einzelheiten, der Faden, der Zusammenhang der Ereignisse sei ihm
verloren gegangen. Die Erzählung enthalte sich fast aller chrono-
logischen Angaben und die wenigen, die der Chronist gebe, seien
fast ohne Ausnahme falsch. Da er aus der Erinnerung schreibe,
werfe er die Tatsachen vielfach in heilloser Weise durcheinander ?).
Können wir von diesem Chronisten, der lange nach den Ereig-
nissen schreibt, verlangen, daß er noch weiß, ob der Name Lands-
knecht schon zu der Zeit, da er ihn gebraucht, für deutsches Fuß-
volk angewandt wurde? Wohl mag er jene Knechte gesehen haben,
wohl mögen sie Ähnlichkeit mit den späteren Landsknechten gehabt
haben, die auch freie Söldner waren. Er nimmt den Namen aus dem
Sprachgebrauch der Zeit, in der er schreibt, und wendet ihn auf jenes
Fußvolk früherer Jahre an.
Dasselbe gilt auch von dem Zeitgenossen Etterlin, den Laux zur
Bekräftigung seiner Annahme anführt. Etterlin schreibt in seiner erst
1507 vollendeten Chronik: Das was ein gesamlot volk von hüpschen
lands-knecht °).
1) Chron. Lorr. ed. Marchal (Nancy 1860), S. 210. 246/7.
2) H. Witte: Lothringen und Burgund. Jahrb. für lothr. Gesch, u. Altertums-
kunde. 1890 S. 17 Anm. 1, S. 45 Anm. 2; 1891 S. 244 Anm. I.
l 3) Petermann Etterlin: Chronica vron der lobl. Eidgenossenschaft ed.
Spreng (Basel 1752), S. 213.
— 252 —
Es hat tatsächlich in den Burgunderkriegen noch keine Lands-
knechte gegeben. Alle die Quellen, die von ihnen sprechen, stammen
aus einer viel späteren Zeit und haben den Namen in eine frühere
Zeit übertragen. Aber das oberdeutsche Fußvolk, aus dem sich
späterhin vielfach die Landsknechte ergänzten, ist damals bei den
Schweizern in die Schule gegangen; es hat auch Anteil an den Siegen
von Héricourt, Granson, Murten und Nancy gehabt, wenn es auch
noch nicht allein ohne die Schweizer im taktischen Körper fechten
konnte. In den Burgunderkriegen haben sich viele Leute aus Ober-
deutschland dem Kriegsdienste zugewandt, manche von ihnen kehrten
nicht wieder in ihren bürgerlichen Beruf zurück. Sie durchstreiften
nach dem Sieg von Nancy in größeren und kleineren Banden vereint
mit den Schweizern die burgundischen Gebiete, sie ließen sich auch,
wie wir sehen werden, von Maximilian anwerben. Dieser ist der
erste, der aus den Burgunderkriegen die richtige Lehre gezogen hat:
er warf sein Hauptaugenmerk auf das Fußvolk, und er war der eigent-
liche Begründer der ersten deutschen Infanterie, der Landsknechte.
Nach dem Tode Karls des Kühnen in der Schlacht bei Nancy
stand das vordem so gewaltige Burgunderreich wehrlos da. Die Or-
donnanzkompagnien, die Karl im Anfang der 1470er Jahre geschaffen
hatte und in denen er das mittelalterliche Rittertum durch Angliede-
rung von Truppen mit Fern- und Feuerwaffen und Spießknechten
noch einmal vervollkommnet hatte,- waren fast völlig untergegangen.
Nur einzelne spärliche Trümmer hatten sich in die Niederlande ge-
rettet. Mit Waffengewalt wollte König Ludwig von Frankreich Maria,
die einzige Tochter und Erbin Karls, zwingen, seinem Sohne die Hand
zu reichen. Er ließ seine Truppen in die Niederlande einrücken, um
seinen Werbungen Nachdruck zu verleihen; und als Maximilian, der
Verlobte Marias, endlich im Sommer 1477 mit einigen hundert
Rittern in den Niederlanden erschien, da befand sich bereits der
Süden des Landes in den Händen der Franzosen. So übernahm er
das Erbe unter den schwierigsten Umständen. Jahrelang mußte er
fast ununterbrochen gegen die Franzosen kämpfen, aber auch in den
Niederlanden selbst stieß er auf Widerstand bei den Geldern, Lüt-
tichern und Flamen. Daher war die ganze erste Regierungsperiode
Maximilians mit Kämpfen ausgefüllt, und um sie zu bestehen, brauchte
er Truppen, auf die er sich verlassen konnte. So war Maximilian
nach dem Untergang des Rittertums der berufene Mann dazu, Neu-
schöpfungen ins Leben zu rufen.
— 253 —
Schon bald nach Maximilians Ankunft in den Niederlanden läßt
sich feststellen, daß dieser neue Fürst nicht gewillt war, die Heeres-
einrichtungen seines Vorgängers einfach zu übernehmen. Er hatte
eingesehen, daß der Ruhm der Ordonnanzkompagnien in den Bur-
gunderkriegen untergegangen war. Zwar brach er nicht völlig mit
dem Alten. Er ließ vielmehr die spärlichen Reste, die sich nach den
Niederlanden hinübergerettet hatten, zunächst bestehen, aber ver-
stärkte sie nicht, wie er es doch hätte tun können, wenn er gewollt
hätte. Ende 1477 betrug die Stärke der Kompagnien zusammen
3800 Köpfe; etwa die Hälfte waren Fußknechte. Das war immerhin
noch ein ansehnliches Ritterheer, aber im Vergleich zu dem Karls
des Kühnen war es gering, mit ihm allein ließ sich keine Schlacht
gewinnen. Ja, es läßt sich sogar feststellen, daß 1478 eine Vermin-
derung wenigstens bei einer der Kompagnien eingetreten ist.
Hand in Hand mit jener Verminderung der Kopfstärke ging eine
innere Umwandlung der Kompagnien. War noch unter Karl dem
Kühnen die Lanze innerhalb der Kompagnie „ein verfeinertes Mittel-
alter“ und diente sie dem Bestreben, in den Mischkampf, zu welchem
sich der Ritter mit den leichten Reitern und Fußknechten vereinigte,
eine gewisse Ordnung und Führung zu bringen, so begann Maxi-
milian damit, nun grundsätzlich die Waffengattungen zu trennen. Er
ließ in den Kompagnien die Vereinigung von Rittern und Schützen
bestehen, löste aber von ihnen die Fußknechte mit den blanken
Waffen los. Damit begann schon unter Maximilian jene Abwandlung,
die hinüberführt zur Kavallerie, wie sie durch Karl V. später in die
Wege geleitet wurde. Anderseits stellte nun Maximilian der Reiterei
die Infanterie mit der blanken Waffe an die Seite, worauf schon jene
Ausscheidung der Spießknechte hinweist, und zwar war es zunächst
die flämische Bürgerwehr, die den Kern der,Infanterie ausmachte.
Wie oben erwähnt, taten sich diese Flamen schon 1302 bei Courtray
hervor, wo sie unter außerordentlich geschickter Geländebenutzung
die französischen hommes d’armes in die Flucht schlugen. Größere
Bedeutung für die Entwicklung des Fußvolkes hatte dieser Sieg nicht,
vielmehr unterlag 1382 die flämische Phalanx bei Rosebeke, die diesmal
im freien Feld den Kampf mit den französischen Rittern aufnehmen
mußte, völlig. Unter Karl dem Kühnen trat dieses niederländische Fuß-
volk ganz in den Hintergrund. Erst Maximilian griff wieder darauf zu-
rück. Schon 1477 und 1478 führte er die meist mit Spießen und Helle-
barden bewaffneten flämischen Fußknechte ins Feld, ja 1479 wagte er
sogar mit ihnen bei Guinegate den Kampf mit den Franzosen. In
— 254 —
dieser Schlacht läßt sich zum erstenmal bei einem Heere, in dem
sich keine Schweizer befinden, der Kampf im taktischen Körper,
ein Gevierthaufen, nachweisen. Um die Flamen zum Aushalten
zu bringen, werden mehrere hundert Ritter veranlaßt, in den vor-
dersten Reihen der Gevierthaufen Aufstellung zu nehmen. Dadurch
wird die ohnehin schon an Zahl der französischen weit unterlegene
burgundische Reiterei noch mehr geschwächt und alle Hoffnung allein
auf das Fußvolk gesetzt. Der Graf Romont, Graf Engelbert von
Nassau, Jean Dadizeele, der grand bailli von Gent, und viele andere
Ritter greifen zum Spieß und kämpfen zu Fuß. Wir hören auch, daß
die Ritter ihren rechten Arm entblößen, um dem Fußvolk zu zeigen,
daß sie nicht nur mit ihm alle Gefahren teilen, sondern auch ihr
Leben in die Schanze schlagen wollen. Und wenn schon so die Haupt-
leute und Ritter zu Fuß das Selbstbewußtsein und den Zusammenhalt
der Flamen stärkten, wie viel mehr mußte deren Mut und Tapferkeit
gehoben werden, als sie sahen, daß sich selbst ihr Herzog, Maxi-
milian, ihnen und ihrer Tapferkeit anvertraute und in ihre Reihen ein-
trat. Dadurch erkennt das Fußvolk, daß, wenn es flieht, auch das
Leben seines Fürsten auf dem Spiele steht. Daß in der Tat diese
Ritter zu Fuß dem Fußvolk den moralischen Rückhalt gegeben haben
und dasselbe zum Zusammenstehen und Aushalten gebracht haben,
das deutet Comines an, wenn er sagt, die Fußknechte Maximilians
seien nicht geflohen, „als sie in einiger Verwirrung waren, aber sie
hatten unter sich wohl 200 tüchtige Edelleute, die sie führten....
Die Tapferkeit dieser lehrte sie aushalten, was um so merkwürdiger
war, als sie ihre Reiterei fliehen sahen.“
Können wir aber jener flämischen Bürgerwehr den Namen Lands-
knechte beilegen? In den Memoiren, die im Auszug von Delepierre
aus dem Flämischen ins Französische übersetzt und Dadizeele zuge-
schrieben werden, ist zu lesen: „Seinerseits ließ auch der Graf von
Romont die lansquenets flamands vorrücken, die in ihren Reihen 200
Edelleute zählten“, woraus Laux schließt, Maximilian habe 14— I5 000
Landsknechte gehabt !. Indes in den 1850 zu Brügge im Druck er-
schienenen Memoiren Dadizeeles ist der Ausdruck Landsknecht nir-
gends zu finden. Zudem hat auch schon Richert ?) darauf hingewiesen,
daß Delepierre diese Darstellung der Schlacht bei Guinegate fälsch-
lich als eine Übersetzung des Berichtes Dadizeeles veröffentlicht hat.
1) O. Delepierre: Chronique des faits et gestes admirables de Maximilien I
(Brüssel 1839), Anh. S. 466.
2) Die Schlacht bei Guinegate. (Berl. Diss. 1907.)
— 255 —
Er sagt, die Entstehungszeit sei ebensowenig wie der Autor bekannt.
Dazu weist er nach, daß diesem Berichte Dadizeele, Comines und
andere Quellen zugrunde liegen. Somit schreibt auch dieser unbe-
kannte Autor lange nach der Schlacht, in einer Zeit, da der Name
Landsknecht schon längst gebräuchlich war. Daher wird auch er
diesen Namen in eine frühere Zeit versetzt haben. Grundsätzlich hat
jene flämische Bürgerwehr mit den Landsknechten nichts zu tun.
Zwar führte sie Spieß und Hellebarde, zwar wurden aus ihr bei Guine-
gate zwei Gevierthaufen gebildet, die einander unterstützten; wohl
vermochte sie den Ansturm der französischen Ritter und Schützen
abzuwehren, wenn sie auch noch nicht so weit war, daß sie selbst
die Offensive ergreifen konnte, denn sie wartete den Angriff der
Franzosen ab. Aber die Landsknechte setzten sich nicht aus Landes-
aufgeboten und Bürgerwehren zusammen, sie waren vielmehr freie Söld-
ner, die nur vom Kriege lebten. Bei dem flämischen Fußvolk war dies
jedoch nicht der Fall. Wie gern hätte es Maximilian nach der Schlacht
unter der Fahne gehalten, aber die Flamen weigerten sich, weiter-
zumarschieren, so daß Maximilian sie entlassen mußte. Dieses Fuß-
volk wollte eben lieber in seinem bürgerlichen Berufe fortleben. So
sagt auch Beck mit Recht: „Laux findet erstmals im Jahre 1476 für
deutsche Söldner den Namen Landsknechte, hält aber dafür, daß die
Landsknechte auch aufgeboten sein können, was nur bedingt zutrifft.
Der Landsknecht ist stets Söldner, auch wenn er dem eignen Lande
entnommen ist, woher er seinen Namen führt !).“ |
Neben diesem flämischen Volksaufgebot können wir schon früh
zahlreiche Soldtruppen in Maximilians Dienst feststellen. Waren doch
die Flamen, wie ihr Verhalten bei Guinegate zeigt, für ihn eine höchst
unzuverlässige Stütze. Vor allem suchte er Schweizer in seine Dienste
zu ziehen. Im Februar 1478 verlangte er von den flämischen Ständen,
sie sollten zum Kampf gegen die Franzosen 5000 Schweizer anwerben.
Die Stände schickten Meister Jean Roegiers de Ryssele zu Maximilian,
um mit ihm und seiner Umgebung zu sprechen wegen der 1000 Mann,
die sie von den 5000 bezahlen wollten. Ein zeitgenössischer Chronist
berichtet unter ebendiesem Jahre 1478, Maximilian habe Truppen
zusammengezogen, „Flamen wie Deutsche, die nicht aufhörten, täg-
lich aus Oberdeutschland (ex superiore Germania) scharenweise herab-
zukommen, um ihm zu dienen und ihm Hilfe zu bringen“. Wir er-
1) W. Beck: Bayerns Heerwesen und Mobilmachung im XV. Jahrhundert.
Archivalische Zeitschrift (München 1911). i
— 256 —
sehen daraus, daß schon im Anfang der Regierung Maximilians zahl-
reiche Söldnerscharen aus der Schweiz und Oberdeutschland, wo seit
den Burgunderkriegen der kriegerische Sinn neu geweckt war, herab-
gekommen sind. Es läßt sich feststellen, daß Maximilian zur Be-
zahlung dieser Söldner sich verschiedentlich größere Geldsummen
bewilligen ließ, daß er bisweilen deshalb auch auf das niederländische
Aufgebot verzichtet hat.. Aber bis 1482 waren diese deutschen
Söldnerscharen wenig zahlreich, sie traten an Zahl hinter der flämischen
Bürgerwehr völlig zurück, am Sieg von Guinegate hatten sie kaum
Anteil.
Mit dem Jahre 1482 trat hier eine Wandlung ein. Am 22. März
dieses Jahres starb Maria, die Gemahlin Maximilians, und an ihren Tod
knüpften sich jene schweren Verwicklungen, die zwischen den nieder-
ländischen, besonders den flämischen Städten und Ständen zum Aus-
bruch kamen. Die Furcht vor der immer größer werdenden Macht
Maximilians, die sich auf die zahlreichen oberdeutschen Söldnerscharen
und die Ritter stützte, die Kriegsmüdigkeit von den jahrelangen und
viele Kosten verursachenden Kämpfen, alles das wirkte zusammen,
daß man Maximilian nicht nur einen ungünstigen Frieden mit Frank-
reich aufzwang, ja man machte ihm sogar die Rechte eines Vormundes
bis zur Volljährigkeit seines Sohnes streitig. So entbrannte jetzt der
Kampf zwischen Maximilian und den Flamen, in dem sich ersterer
gegen die Truppen, die bisher den Kern seines Heeres ausmachten,
wenden mußte. Da sah sich Maximilian notgedrungen nach anderen
Hilfskräften um und fand sie in den schweizerischen und oberdeut-
schen Söldnern, in den Landsknechten. Diesen Zusammenhang zwischen
dem Kampf Maximilians gegen die Flamen und dem Aufkommen der
Landsknechte haben alle bisherigen Forscher nicht herausgefunden.
Wer die Eidgenössischen Abschiede der Jahre 1482 bis 1487
durchliest, der findet auf Schritt und Tritt Hinweise darauf, daß da-
mals Schweizer Reisläufer in großen Scharen zu Maximilian geeilt sind.
Zahlreiche Hauptleute finden wir erwähnt, die Schweizer Knechte für
Maximilian anwarben. Besonders bekannt ist Konrad Gächuff, den
wir schon 1482 in den Niederlanden finden, und der auch später noch
häufig Maximilian Knechte aus Oberdeutschland und der Schweiz zu-
geführt hat. Neben diese Schweizer Söldnerbanden traten nun auch
größere Scharen von oberdeutschen Fußknechten, die im allge-
meinen von den Schweizern dem Namen nach unterschieden werden.
Auch von den Niederländern werden sie scharf getrennt, ja vielfach
kam es sogar zwischen ihnen zu ernsten Reibereien, so daß Maxi-
-Á m
— 257 —
milian schlichtend eingreifen mußte. Die Zahl dieser Oberdeutschen
steigt bald zusehends an. Im Jahre 1482 hören wir von 1500 alle-
mands piétons, im folgenden Jahre steigt ihre Zahl auf 3000 lancz-
knechtti, wie sie Maximilian in seiner in den Jahren 1497 bis 1501
entstandenen Autobiographie nennt, und die er dann den alti Ali-
manni gleichsetzt. Immer mehr nahmen die oberdeutschen Elemente
im Heere des Herzogs überhand; 1486 verfügte er bereits über
3—4000 Suisses et autant Alemands lansqueneis. Diese waren in zwei
Regimentern von je 3—4000 Mann zusammengefaßt, die sich halb aus
Schweizern, halb aus Landsknechten zusammensetzten.
In dieser Zeit nun, da wir die bisher vereinzelten oberdeutschen
Söldnerbanden zu größeren taktischen Verbänden, zu Regimentern,
zusammengeschlossen sehen, da finden wir bemerkenswerterweise auch
zum ersten Male urkundlich den Namen „Landsknecht“. In den
Eidgenössischen Abschieden lesen wir, daß auf einem Tage zu Zürich
(am 9. Okt. 1486) die Schweizer Klage führen „über die Schimpf-
reden des Gächuff und seine fortwährenden Anwer-
bungen eidgenössischer Knechte“. ... „So soll derselbe
u. a. geäußert haben, er wolle die schwäbischen und an-
dere Landsknechte dermaßen ausrüsten und unterrich-
ten, daß einer derselben mehr wert sei als zwei Eid-
genossen.“ Es ist beachtenswert, daß hier der Name gebraucht
wird von jenem Konrad Gächuft, der sich schon 1482 in Maximilians
Diensten befand. Sodann lesen wir in einer Urkundensammlung, im
Dritten kaiserlichen Buch der Markgrafen von Brandenburg im Archive
zu Bamberg unter den Ausgaben, die der Erzbischof Johann von
Salzburg für den Kaiser 1486/87 zur Anwerbung und Bezahlung von
Söldnern wider Ungarn machte: Item des romischen konigs lantknecht
aus der herberg gu Nurmberg gelost: 25 Rh. Gld. Somit werden in
den beiden ersten Urkunden, die von Landsknechten reden, deren
Entstehung zeitlich ganz nahe beieinander liegt, die Landsknechte in
Beziehung gebracht zu Maximilian; er ist der erste Heerführer, bei
dem wir mit Bestimmtheit Landsknechte feststellen können.
In diesen oberdeutschen Landsknechten, die Maximilian dadurch
innerlich hob und an seine Fahnen fesselte, daß er viele Ritter dazu
veranlaßte, in die Reihen der Fußknechte einzutreten, hat er ein wirk-
sames Werkzeug gefunden, mit dem er die tüchtige flämische Bürger-
wehr bezwingen konnte. An der Spitze seiner Söldnerscharen zog
er 1485 in Gent ein und diktierte seinen Feinden den Frieden. Seit-
dem beherrschten die Landsknechte sein Heer, die Flamen traten
— 258 —
hinter ihnen völlig zurück. So zog er 1487 mit 7—8000 deutschen
Fußknechten, 3—4000 Flamen und 1600 Rittern zum Entsatz des von
den Franzosen belagerten Therouanne heran. Diese Zahlen zeigen
deutlich, welche Umwandlung sich im Heere Maximilians vollzogen
hatte.
Mit dieser äußerlichen Zunahme der Landsknechte ging ihre
innere Hebung und Konsolidation Hand in Hand. Waren noch 1476
die oberdeutschen Fußknechte bei Pont-4-Mousson so schmählich vor
den burgundischen Reiterscharen davongelaufen, so verrichteten sie
schon zehn Jahre darauf Wunder der Tapferkeit. Im Jahre 1487
wurden etwa 16—1700 deutsche Landsknechte und 12—1300 Reiter
bei Bethune von einer überlegenen französischen Reiterschar über-
fallen. Die burgundischen Reiter flohen zum Teil sofort; aber das
Häuflein Fußknechte, in dem sich wiederum zahlreiche Ritter zu Fuß
befanden, leistete mehrere Stunden lang im taktischen Körper Wider-
stand, bis es endlich der Übermacht erlag. Jetzt übernahmen schon
die Landsknechte die bisher den Schweizern vorbehaltene Rolle; in
großen Scharen zogen sie in die Fremde und legten dort Proben ihrer
Tüchtigkeit und Tapferkeit ab. Sie zogen mit Martin Schwarz in der
Zahl von etwa 2000 nach England, und vereint mit 6000 Iren wagten
sie es, dem etwa doppelt so starken englischen Heer entgegenzutreten.
Hier ergriffen sie zum ersten Male die Offensive, sie rückten bei
Stoke im Gevierthaufen gegen die englischen Ritter und Schützen
vor, wurden jedoch von diesen umfaßt und fast gänzlich vernichtet,
Andere Landsknechte schickte Maximilian in die Bretagne, wo sie auch
in der Schlacht bei St. Aubin (1487) mitkämpften. Sie eilten auch
aus den Niederlanden nach dem Süden und kämpften im . Dienste
des Herzogs Karl von Savoyen. Wir sehen sie endlich auch 1486
in Nürnberg!) auf dem Marsch nach Ungarn. Überall steht die Be-
ziehung dieser Landsknechte zu Maximilian fest: aus seinem Heer
sind sie hervorgegangen, mit dem er siegreich den Flamen wider-
stand.
Schon 1487 lassen sich aber auch solche Landsknechte nach-
weisen, von denen es zweifelhaft ist, ob sie vorher im Dienste Maxi-
milians gestanden haben, nämlich im Sold der Stadt Ulm und im
Heere Erzherzog Sigmunds, das den Kampf gegen die Venezianer auf-
nahm. Hier erkämpften sie bei Calliano selbständig, ohne die Schweizer,
ihren ersten Sieg über die italienischen Kondottieren. Die zwei deut-
1) Vgl. oben S. 257,
— 259 —
schen Söldnerführer, Friedrich Kappler und Georg von Ebenstein, die
hier die Landsknechte führten, zeigten sich in der ganzen Anlage
der Schlacht als Schüler der Schweizer. Als die Venezianer von
Rovereto aus einen Vorstoß gegen Trient unternahmen und bei Cal-
liano über die Etsch setzten, sammelten jene beiden Hauptleute die
deutschen Söldner und verstärkten sie durch die Trienter Bürgerwehr
und die Landwehr der umliegenden Bezirke. Eine aus 400 deutschen
Fußknechten bestehende Vorhut rückte am Ufer der Etsch entlang
südwärts, ihr folgte Kappler mit dem Gewalthaufen, etwa 1000 Mann,
auf der Straße nach, und Georg von Ebenstein zog mit der Nachhut,
ebenfalls gegen 1000 Mann, über die Berge, um den Venezianern in
die Flanke zu fallen. Diese, an Zahl überlegen, wurden plötzlich
überfallen, doch gelang es ihnen, die Vorhut aufzureiben; erst als der
Gewalthaufe in die Schlacht eintrat, kam das -Treffen zum Stehen.
Mehrere Stunden lang hielten sich die Deutschen mit Mühe, da er-
schien plötzlich die Nachhut auf den Bergen und rückte gegen die
Flanke des Gegners vor. Dieser ward nun umfaßt und floh. Beim
Ansturm der Venezianer auf die Schiffsbrücke brach diese. Da stürzten
sie sich in den Fluß und viele, darunter ihr Führer Severin, fanden
in den Fluten den Tod. Hier also haben die Landsknechte die Be-
waffnung und Taktik der Schweizer vollkommen nachgebildet. Bei
Guinegate noch verhielten sich die beiden flämischen Gevierthaufen
zunächst defensiv, sie ließen die Franzosen angreifen; die Schlacht
bei Bethune war auf niederländischer Seite überhaupt eine Defensiv-
schlacht, und erst im Kampfe bei Stoke ging, wie wir feststellten, das
in einem Gevierthaufen aufgestellte deutsche Fußvolk von vornherein
zur Offensive über. Hier bei Calliano endlich bildeten die Landsknechte,
gerade wie sonst die Schweizer, drei Haufen, von denen der eine die
Stellung der Venezianer umging. Es läßt sich begreifen, wenn sich
angesichts dieser Erfolge auch ein gewisses Korpsgefühl und Selbst-
bewußtsein bei den Landsknechten entwickelte. Mußten 1475 noch
die deutschen Fußknechte vielfach Klage führen über das hochmütige
und anmaßende Benehmen der Schweizer, so hatte sich jetzt das Ver-
‚hältnis umgekehrt. Jetzt waren die Schweizer die Angegriffenen, jetzt
schrieben sie an ihre Oberen: „Wir haben bisher nach Gestalt und
viel gebrauchter Red nicht allen unsern Freunden trauen dürfen,
sondern die zuweilen mehr fürchten müssen als die Feinde.“
Im Jahre 1489 verließ Maximilian den niederländischen Kriegs-
schauplatz und nahm im folgenden Jahre den Kampf gegen Ungarn
auf. Aus diesem Anlaß können wir den Namen Landsknecht nicht
19
— 260 —
nur in urkundlichen, sondern auch in recht vielen chronikalischen
Quellen feststellen. Es hat den Anschein, als ob viele deutsche
Chronisten erst damals die Landsknechte kennen gelernt haben, da
sie vielfach Erklärungen des Namens beifügen und die Eigenart der
Landsknechte kennzeichnen. Auch spätere Schriftsteller wie Fugger
und Pontus Heuterus haben angenommen, daß Maximilian um diese
Zeit die Landsknechte ins Leben gerufen habe. Das ist auch wieder
verständlich, denn was wir bisher in Deutschland an Landsknechten
festgestellt haben, das waren zumeist nur verstreut auftaucheude Söldner-
scharen, und erst Maximilian hatte in den Niederlanden diese zu
größeren Verbänden zusammengeschlossen. Dieser warb nun auch
gegen Ungarn ein größeres Landsknechtsheer an, faßte die einzelnen
Kompagnien zu Regimentern zusammen, ja verpflichtete sie auch
schon auf gewisse Dienstvorschriften, um der Zügellosigkeit zu steuern.
Mit etwa 20000 Mann rückte er in Ungarn ein und eroberte die alte
ungarische Krönungsstadt Stuhlweißenburg. Hier erst kam die Offen-
sive zum Stillstand, die Landsknechte weigerten sich weiterzumar-
schieren, so daß der König sein Heer nach Deutschland zurückführen
und entlassen mußte.
Um diese Zeit — 1490 — haben die Landsknechte einen gewissen
Abschluß in ihrer Entwicklung erreicht. Allerdings waren diese Söldner-
scharen noch immer nicht so tüchtig und geschult wie ihre Lehr-
meister, die Schweizer, wie es der Schwabenkrieg 1499 deutlich
zeigte, als die Landsknechte schmählich vor den kriegserfahrenen
Eidgenossen davonliefen. Aber der Krieg bildete auch weiterhin die
Landsknechte, allmählich wurden sie den Schweizern ebenbürtig, und
1525 warfen sie bei Pavia diese ihre einstigen Lehrmeister selbst in
die Flucht.
Hat uns nun schon so die kurze Übersicht über die Entwicklung
des deutschen Fußvolkes vor und unter Maximilian zu der Überzeu-
gung geführt, daß der ‚letzte Ritter“ in seinen niederländischen
Kämpfen diese erste deutsche Infanterie aufgebracht hat, so bekräftigt
dies die Untersuchung über die Bedeutung des Namens ,„ Lands-
knecht“, über die auch heute noch keine Einigkeit herrscht. Fest
steht nur, daß der Name Landsknecht und nicht Lanzknecht, nach
der als Hauptwaffe eingeführten Lanze, zu lauten hat. Allgemein ist
bisher von der Forschung übersehen worden, daß der Name recht
alt ist. Es existiert im Mittelhochdeutschen, im Mittelniederdeutschen
wie im Mittelniederländischen ein Wort lantknecht. In all diesen Ge-
bieten ist der alte Landknecht ein Gerichtsdiener. Im Gebiet des
— 261 —
Mittelniederdeutschen und Mittelniederländischen hatte der lantknecht
auch noch speziell militärische Befugnisse, er war eine Art Polizei-
diener, ein Gendarm. Hier also muß eine gewisse militärische Aus-
bildung, hier müssen kriegerische Fähigkeiten bei ihm vorausgesetzt
und verlangt worden sein. Der alte Landknecht war somit ein Ver-
treter der Staatsgewalt auf dem Lande, er stand im Gegensatz zum
Stadtknecht. Er war ein Beauftragter der Obrigkeit, der für Ord-
nung und Sicherheit im Lande sorgte. Die Möglichkeit ist nicht von
der Hand zu weisen, daß die Landsknechte ihren Namen von diesem
örtlichen Vertreter der Obrigkeit erhielten; und zwar scheint die Über-
tragung in den Niederlanden stattgefunden zu haben, da hier der alte
lantknecht auch speziell militärische Befugnisse hatte und hier die
ersten Landsknechte bestimmt nachzuweisen sind. Hier wäre auch
die Übertragung recht verständlich, da die Landsknechte in den Nie-
derlanden nicht nur die Verteidigung nach außen gegen die Feinde
übernahmen, sondern auch im Lande selbst für Ruhe und Sicherheit
sorgten, indem sie die vornehmlich städtischen Aufrührer zur Er-
gebung zwangen, die Geldern, Lütticher und endlich auch die Flamen.
"Somit ist der Landsknecht ein Diener des Landes, wie auch Laux
richtig herausgefunden hat, worauf auch schon der zweite Teil des
Wortes: knecht, hinweist. In späterer Zeit verstand man unter ihm den
nationalen deutschen Fußknecht; er trat als solcher auf im Gegensatz
nicht allein zu den Schweizern und Böhmen, sondern auch zu den andern
nationalen Truppen der Spanier, Italiener und Franzosen. Der Name
verschwindet im Anfang des XVII. Jahrhunderts, zu einer Zeit, da
die deutschen Regimenter Zuzug von außen erhielten, und so hat
sich der Name Landsknecht allmählich wieder verloren.
nun iarnrunnannnnn
Mitteilungen
Versammlungen. — In diesem Jahre findet die Versammlung des
Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in
Lindau (Bodensee) statt, und zwar Montag, den 14., und Dienstag, den
15. September, in Verbindung mit dem Südwestdeutschen Verbande für
römisch-germanische Forschung und dem Verbande deutscher
Vereine für Volkskunde. Leider ist es noch nicht möglich, die voraus-
sichtlichen wissenschaftlichen Darbietungen im einzelnen vollständig zu ver-
zeichnen; wir müssen uns darauf beschränken, einige Redner mit Namen
anzuführen:: Prof. Goetz (Straßburg), Bibliotheksdirektor Wolfram (Straß-
burg), Prof. Ernst (Tübingen), Prof. Beyerle (Göttingen), Prof. John Meier
“rk
wie
— 262 —
(Freiburg), Kammerherr Kekule v. Stradonitz (Berlin), Prof. Anthes (Darm-
stadt), Pfarrer und Stadtarchivar Wolfart (Lindau), Archivrat Beschorner
(Dresden). — Am 16. September ist ein Ausflug nach Friedrichshafen und
Überlingen; am 17. September ein solcher nach St. Gallen geplant.
Am 13. September, Sonntag, findet in Bregenz der vierzehnte deutsche
Archivtag statt Auch über sein Programm läßt sich vorerst nur sagen,
daß Prof. Redlich (Wien) und Archivdircktor Prof. Mayr (Innsbruck)
Vorträge in Aussicht gestellt haben. Trotzdem wissen die Teilnehmer an
früheren Tagungen, welche Genüsse ihnen bevorstehen, und es ist deshalb
auch diesmal auf eine lebhafte Beteiligung aus allen deutschen Gauen zu
rechnen. Hoffentlich mehrt sich auch die Zahl der Vertreter örtlicher
Geschichtsvereine wieder einmal!
Archive. — Das Gräflich Leiningische Archiv zu Westerburg.
Auf einem Basaltfelsen des Westerwaldes über der heutigen preußischen Kreis-
stadt Westerburg erhebt sich als mächtiges Viereck mit Vorhöfen, Türmen
und Mauern die Burg gleichen Namens, die teils im XIII., teils im XV. und
XVIII. Jahrhundert erbaut wurde und heute noch trotzig ins Land hinaus-
schaut, ein gewaltiges Denkmal vergangener Zeiten. In diesem altehrwür-
digen Bau, der heute noch dem Chef des Hauses Leiningen-Westerburg als
Sommerresidenz dient, befindet sich in einem geräumigen Saale mit Netz-
gewölbe eins der bedeutendsten Archive des Hauses Leiningen 1). Erwähnens-
wert ist in demselben eine auf dem Gesims des Kamins befindliche zierlich
gemeißelte Frauengestalt, welche die Leiningen-Westerburgischen Wappen hält,
vermutlich im XVIII. Jahrhundert entstanden.
Das älteste Leininger Archiv war in der Burg Neu-Leiningen ?);
als aber 1505 unter dem Grafen Reinhard I. zu Leiningen-Westerburg die
Hälfte von Neu-Leiningen an das Haus Leiningen- Westerburg ?) kam, fiel
dieses wichtige Archiv, aus dem schon Emich VII., Graf zu Leiningen-
Hartenburg, manches entfernt hatte, widerrechtlich in bischöflich Wormsische
Hände, aus denen es trötz wiederholter Mahnungen in zwei Jahrhunderten
nicht wieder zu erlangen war.
Nun wurde von Margarete Gräfin zu Leiningen, der Witwe Reinhards III.,
Semperfreien Herren zu Westerburg und Schaumburg, und ihrem Enkel Rein-
hard I. zu Leiningen - Westerburg etwa seit 1467 ein neues Archiv auf
Alt-Leiningen ’?) angelegt, das jedoch 1525 im Bauernkriege bei der
Zerstörung der Burg zugrunde ging.
Nachdem Philipp I. Graf zu Leiningen - Leiningen (1527—1ı597) die
Burg wieder aufgebaut hatte, bildete sich auf Alt-Leiningen das dritte
Archiv. Dasselbe bestand bis 1690. Als die Franzosen auf ihrem Mord-
1) Über ein anderes Leiningisches Archiv, das zu Amorbach, wurde in dieser
Zeitschrift, 9. Band, S. 112—116, berichtet,
2) Bei Grünstadt in der Rheinpfalz.
3) Das Haus Leiningen-Westerburg entstand 1423 durch Vermählung Reinhards III.,
Semperfreien Herren zu Westerburg und Schaumburg, mit Margarete, Tochter Graf Fried-
richs VII, von Leiningen.
— 263 —
brennerzug durch die Pfalz auch die Burg Alt-Leiningen sprengten und in
Brand steckten (1690), wurde das Archiv von ihnen in Fässer verpackt, nach |
Homburg im Westrich geführt und dort mit ebenfalls gestohlenen Kurpfälzer
und Leiningen-Hartenburger Urkunden vermischt; als nach dem Frieden von
Ryswyck (1697) diese Akten wieder abgeholt werden durften, brachten Lei-
ningen - Westerburg und Leiningen-Hartenburg dieselben in wirrem Durch-
einander nach Grünstadt und Bockenheim. Da sich jedoch Leiningen-
Hartenburg zu einer ordnungsmäßigen Teilung nicht verstehen wollte, so
waren viele wichtige Stücke in den falschen Händen — zu nicht geringem
Schaden beider Teile.
Was Leiningen-Westerburg seit jener Zeit weiter an Urkunden ansammelte,
wurde 1756 nach der Westerburg überführt, mit dem dortigen ur-
alten Archiv vereinigt und zwischen 1756 und 1762 von dem Leiningen-
Westerburgischen Archivrat Knoch, der sich durch seine Zeiningen- Wester-
burger Chronik !) um die Geschichte des Hauses Leiningen-Westerburg ver-
dient gemacht hat, wohl geordnet.
Leider wurde das Archiv der Westerburg durch die französische Re-
volution, die napoleonischen Kriege, in denen das Schloß wiederholt zu
Ställen und als Lazarett benutzt wurde, durch die Westfälische und groß-
herzoglich Bergische Regierung wieder sehr in Unordnung gebracht; es
wurden in dieser Zeit sogar viele Urkunden verschleppt oder beseitigt. Des-
halb erteilte August Georg Gustav, Graf zu Leiningen-Westerburg-Neu-Leiningen
(1770—1849), dem evangelischen Pfarrer J. G. Lehmann ?) zu Nußdorf in
der Pfalz den Auftrag, Ordnung in das Durcheinander zu bringen. Lehmann
hat diese Aufgabe 1830 in einem Zeitraum von drei Monaten in muster-
gültiger Weise gelöst. Eine Frucht seiner Arbeit war seine Monographie
Geschichtliche Gemälde aus dem Rheinkreis Bayerns, I. Heft: Leininger
Tal (Heidelberg 1832), die er dem Grafen August widmete.
Wir wenden uns nun zum Archiv der Westerburg wie es heute ist.
Dasselbe umfaßt hauptsächlich die Archivalien der Linie Leiningen-Wester-
burg-Neu-Leiningen (Nassauer Asts)?), die 1874 mit der edlen,
frommen Gräfin Seraphine Franziska erlosch. Zwei Verzeichnisse, einmal
die Registratur über das Repositorrium A, sodann die Registratur über das
Repositorium B, führen die vielen zum Teil sehr wichtigen Urkunden des
Neu-Leininigischen Zweiges des Hauses Leiningen-Westerburg auf. Das Re-
positorium A enthält in 58 teilweise sehr stattlichen Faszikeln die Akten über
die Geschichte des Hauses Neu-Leiningen von dem Grafen Georg II. Karl
Ludwig (1666—1726) an bis zu dem Grafen August Gustav (1770—1849),
das Repositorrium B umfaßt in 48 nicht minder stattlichen Bänden die Ge-
- meinde- und Kameralsachen der. Neu-Leiningischen Lande.
ı) Knoch, Handschriftliche Chronik von 1762 im Archiv des Grafen Karl
Emich zu Leiningen-Westerburg (f 1906).
2) Außer dem Leininger Tal schrieb der am die Geschichte des Hauses Leiningen
hochverdiente Pfarrer Lehmann: Dürkheimer Tal (1834). Ferner die Urkundliche
Geschichte des gräflichen Hauses Leiningen-Hartenburg und Leiningen- Westerburg
(Kaiserslautern 1864) und Die Dynasten von Westerburg (Wiesbaden 1866).
3) Der bayrische Ast der Linie Nen-Leiningen blüht heute noeh in den beiden
Grafen Karl, Bezirksamtmann in Schongau (Bayern), und Graf Wilhelm, Professor für
forstliche Standortslehre an der Hochschule für Bodenkultur in Wien.
— 264 —
Das Repositorium A ist das wichtigere und reichhaltigere von beiden.
Im ersten und zweiten Bande dieser Abteilung sind die alten gräflich
leiningischen Hausrezesse und Familienverträge aus den Jahren 1557—1746,
meist in Kopien, gesammelt. Erwähnt seien nur der Westerburger Vertrag
1557, der Königsteiner Vertrag 1567, der Friedberger Vertrag 1598, der Scha-
decker Vertrag 1612, der Schaumburger Vertrag 1614, Konfirmation der lei-
ningischen Familienverträge von Kaiser Ferdinand III, d. d. 13. August 1640.
Dann folgen in den Faszikeln III und IV Verträge, Vergleiche und sonstige
Hauptoriginalurkunden, Testamente und Aufzeichnungen über Schicksale des
gräflichen Hauses unter der Regierung Graf Georgs II., des Stifters der
Linie Neu-Leiningen bis zu dessen Tode (1726). Unter diesem wackeren
und tüchtigen Regenten und zwar durch seine Vermählung mit Margarete
Gräfin von Güldenlöw -Daneskiold-Laurwig kamen die Ansprüche auf die
Grafschaft Laurwig (an der Südostküste Norwegens) und, nachdem diese Graf-
schaft 1805 verkauft worden war, die Anwartschaft auf ein Fideikommiß-
kapital von 1958072 Mark an das Haus Leiningen-Westerburg-Neu-Leiningen.
Die dann kommenden Bände V bis IX enthalten die Verträge und Ver-
gleiche unter der vormundschaftlichen Regierung der Witwe Georgs Il.,
der trefflichen Margarete (+ 1761) bis 1740 nebst den Vormund-
schaftsrechnungen. Letztere sind noch vollständig von 1726—1737 vor-
handen und zeigen uns deutlich ihre vielseitige Tätigkeit. Im Jahre 1740
trat sie die Regierung an ihren ältesten Sohn den Grafen Georg Karl I.
Ludwig (geb. 1717) endgültig ab. In den Faszikeln X -XVII sind dann
weiter die Verträge, Vergleiche u. dgl. unter der Regierung dieses
Grafen Georg Karl I. Ludwig (1740—1787) zusammengestellt. Be-
merkenswert ist, daß von diesem frommen Grafen, zu einer Zeit, da in anderen
Herrschaftsgebieten schon die Neigung zur Religionslosigkeit offen hervortrat, in
der Grafschaft Leiningen die Sonntagsheiligung noch ernstlich gehandhabt
wurde. Nicht Polizeizwang füllte die Kirchen, sondern das gute Beispiel
der vornehmsten Glieder der Gemeinde hatte auf vjele andere einen heil-
samen Einfluß. Auf Graf Georg Karl I. folgte sein Sohn Graf Karl II.
Gustav Reinhard Woldemar (geb. 1747). Demnach kommen jetzt die Ver-
träge und Vergleiche unter der Regierung des Grafen Karl II. von
1787—1798 (Faszikel XVII—XX]J). Unter ihm brach die Revolution
herein und bereitete der Leiningen-Westerburgischen Herrschaft auf dem
linken Rheinufer in der alten Grafschaft Leiningen ein Ende. In den Bänden
XXU—XXXI sind sodann die Vergleiche, Verträge und sonstige Begeben-
heiten unter der Regierung des Grafen Ferdinand Karl III.
(geb. 1767) bis zur Übergabe der Regierung und Verwaltung an
den Grafen August Gustav (1798—1808) gesammelt. Unter Graf
Ferdinand Karl IJI. gingen durch den Frieden von Luneville (1801) sämt-
liche Leiningen -Westerburgischen Besitzungen in der Grafschaft Leiningen
links des Rheins endgültig verloren und fielen an Frankreich. Für diesen
Verlust erhielt die Linie Neu- Leiningen durch den Reichsdeputationshaupt-
schluß (1803) die vormalige Cisterzienser Abtei Engeltal!) in der Wetterau
1) Karl IlI., der wegen seiner Kriegsverluste im Westerburgischen Geld benötigte,
verkaufte die Herrschaft Engeltal sofort wieder an den Grafen von Solms-Wildenfels.
— 265 —
nebst einer jährlichen Rente von 6000 fl., eine wahrhaft dürftige Entschädigung.
Mit dem Grafen Christian Karl zu Alt-Leiningen (1757—1811) schloß Karl III.
einen Teilungsvertrag, kraft dessen seine Linie die Herrschaft Westerburg
nebst !/a Schadeck behielt Am ı5. Mai 1808 trat er gegen eine Kompetenz
an Geld und Naturalien die Regierung an seinen Bruder August ab und
starb am 26. November 1813. Faszikel XXXII und XXXII enthalten
schließlich die Vergleiche, Verträge usw. unter der Regierung des
Grafen August Georg Gustav (geb. 1770) von 1808—1849. Seine
Herrschaft Westerburg-Schadeck kam ı815 an das Herzogtum Nassau.
Durch den Beschluß der deutschen Bundesversammlung vom ı3. Februar
ı829 wurde ihm als dem Haupte eines deutschen, vormals reichsständischen,
nun standesherrlich-gräflichen Hauses das Prädikat „Erlaucht‘‘ beigelegt.
Infolge seiner militärischen Tüchtigkeit brachte es Graf August bis zum k. k.
Feldmarschalleutnant und Vize-Gouverneur von Mainz !).
An diese Verträge und Vergleiche der Grafen Georg II bis August
Gustav schließen sich dann in Band XXXIV — XXXVI allerlei Verord-
nungen und Anordnungen der Grafen über das bürgerliche
Leben von 1696 — 1803 (z. B. Verordnung und Verbot des Spielens und
Branntweintrinkens am Sonntag vom 13. September 1696; Verordnung wegen
schnellerer Rechtspflege vom ı2 Januar 1748; Tanz-Musikordnung vom
28. Juni 1749; Eheordnung vom 16. Januar 1751; Wirtschaftsordnung vom
ıı. Mai 1751; Gerichtsschreiberordnung vom 16. Februar 1753; Rentei-
ordnung vom ı4. April 1755; Hofbedientenordnung vom 19. April 1755;
Mühl- und Mahlordnung vom ı5. Mai 1756; Verordnung wegen des Tabak-
rauchens auf den Straßen vom 25. Juni 1756; Verordnung, die Taufen,
Kopulationen und Begräbnisse betreffend vom 9. Januar 1765; Verordnung,
das Heiraten unbemittelter Personen betreffend vom 22. Oktober 1776;
Verordnung, die Aufhebung des Juden-Leibzolles betreffend März 1801 u.v. a.).
Hierauf kommen in Faszikel XXXVII Akten, die die Fräuleinsteuer ?)
für mehrere Gräfinnen betreffen, dann in den Bänden XXXVIII bis XIL
Akten und Urkunden, welche die gräflich leiningischen Beamten
und Angestellten angehen.
Die letzten Bände (L— LVIII) enthalten noch besonders allerlei zum
Teil wichtige Schriftstücke über die Revolutionskriege und
die Schicksale und Bedrückungen, welche sowohl das gräfliche Haus als
auch die Grafschaft Leiningen und die Herrschaft Westerburg dabei erlitten
haben (in den Jahren 1793—ı800). Vgl. dazu oben unter Graf Karl II.
und Ferdinand Karl III.
1) Auf Graf August folgte sein Neffe Graf Christian Franz Seraphin Vincenz (1812
bis 1856), der bis zum k. k. Wirkl. Geh. Rat und Feldmarschalleutnant emporstieg.
Nach seinem frühen Tode sukzedierte im Besitz der Güter seine Schwester Seraphine
- Franziska (geb. 1810), mit deren Hingang (11. Nov. 1874) der Nassauische Zweig des
Hauses Neu-Leiningen ausstarb. — Ihr Erbe wurde Graf Friedrich Ill. zu Alt-Leiningen.
2) Diese Fräuleinsteuer betrug um 1428 zweitausend, 1555 dreitausend Gulden
ohne Schmuck und Kleider, für die auch noch 1000 Gulden angerechnet wurden. Die
eingegangene Summe bildete einen Teil der Aussteuer der Gräfinnen. Außerdem sind
noch bekannt die Fräuleinsteuer für die Rheingräfin Christiane 1699 zu 5000 fl., für
die Gräfin Charlotte Amalie von Wiser zu 6000 fl., für die Gräfin Anna Auguste (ver-
mählt an Baron von Holstein) 1764, für Gräfin Charlotte (vermählte Gräfin Sayn -Witt-
genstein) 1776—1781, für die Gräfin Elisabeth (vermählte Pappenheim) 1778—1780.
— 266 —
Das Repositorium B, welches in 48 Faszikeln die Gemeinde- und
Kameralsachen umfaßt, enthält folgende Sachen:
ı. Akten, die Gemeinden der Grafschaft Leiningen, besonders aber der
Herrschaft Westerburg und auch andere betreffend (Fasz. ı bis XIX).
. Bergwerke und Hämmer (Fasz. XX).
. Grenzsachen (Fasz. XXI).
. Höfe (nach dem Alphabet) (Fasz. XXII bis XXXI).
. Jagdsachen (Fasz. XXX).
. Mühlensachen (Fasz. XXXIII bis XXXVII).
Wald- und Forstsachen (Fasz. XXXVIII bis XLI).
. Weiher und Fischerei (Fasz. XLII bis XLIV).
. Weidesachen (Fasz. XLV und XLV]).
. Wiesen (Fasz. XLVII).
. Pachte, Zehnten und dergleichen (Fasz. XLVIII).
Oskar Fuchs (Schadeck)
bed
m OV On An Bo N
ped
Eingegangene Bücher.
Seuberlich, Ench: Die ältesten Apotheken Liv- und Estlands. II. Die
liv- und estländischen Städte außer Riga [== Sitzungsberichte der Ge-
sellschaft für Geschichte und Altertumskunde der Ostseeprovinzen Ruß-
lands aus dem Jahre 1912 (Riga 1914), S. 205—345].
Ulrich, Oskar: Christian Ulrich Grupen, Bürgermeister der Altstadt Han-
nover 1692—1767. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Städte-
wesens im XVIII. Jahrhundert. Veröffentlichung des Vereins für Ge-`
schichte der Stadt Hannover. Hannover, Ernst Geibel 1913. 447 S. 4°.
Vaconius, Franz: Christophorus Vaconius, Fürstlich Löwenstein-Wertheim-
Rochefortischer Regierungs-Secretarius und Landes-Commissions-Rat zu
Wertheim, + 1741. Mit 45 Abbildungen und einer genealogischen
Tabelle. Frankfurt a. M. und St. Goar 1913. ı2g S. 8°.
Wastian, Franz: Beiträge zur Geschichte und zum Wappen der Familie
Kernstock [== Zeitschrift des Historischen Vereins für Steiermark,
11. Jahrg. (1913), S. 272—296].
Weissembach, Alfred von: Quellensammlung zur Geschichte des Mittel-
alters und der Neuzeit. Erster Band: Quellen zur Geschichte des
Mittelalters bis zur Mitte des dreizehnten Jahrhunderts. Leipzig, K. F.
Koehler 1913. 235 S. 8%. Geb. # 5,75.
Bauer, Friedrich: Das Wollgewerbe von Eßlingen bis zum Ende des
XVII. Jahrhunderts [= Abhandlungen zur mittleren und neueren Ge-
schichte, herausgegeben von Georg v. Below, Heinrich Finke, Friedrich
Meinecke, Heft 55]. Berlin und Leipzig, Walther Rothschild 1914.
164 S. 8°.
Bruiningk, H. von: Über die Verheerungen durch die Pest auf dem
flachen Lande in Livland 1710 [== Sitzungsberichte der Gesellschaft
für Geschichte und Altertumskunde der Ostseeprovinzen Rußlands aus
dem Jahre 1912 (Riga 1914), S. 387—393].
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Weimar.
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.
Deutsche Geschichtsblätter
Monatsschrift |
Erforschung deutscher Vergangenheit anf landesgeschichtlicher Grundlage
XV. Band August September 1914 11./12. Heft
Die geistige Entwieklung des gelehrten
Schulwesens im protestantischen Mittel-
deutsehland im XVII. Jahrhundert
. Von
Ernst Schwabe (Leipzig)
Die eklektische Behandlung der Weltgeschichte, die man
in fast jedem Zeitraume der Forschung und Darstellung Platz greifen
sieht, findet ihre deutliche Parallele in der entsprechenden Behand-
lung der Bildungsgeschichte. Auch hier geht man, wie auf
Verabredung, einzelnen Zeiträumen und Gebieten aus dem Wege, und
alle Forschung und Darstellung wirft sich auf andere Dinge, aus denen
man sich um die Wette bemüht, herauszuholen, was herauszuholen
ist. Beschränken wir unser Beobachtungsfeld auf die Bildungsgeschichte
Deutschlands, so ist es besonders das XVII. Jahrhundert, dem Forschung
und Darstellung sich gleichmäßig fernhalten. Der Grund dafür liegt
in der weit verbreiteten Meinung, daß man nicht viel zu erwarten
habe und der zu erhoffende Ertrag die Mühe der Forschung nicht
lohne. Gehen wir dem zweiten Einwande nach, so muß man allerdings
zugeben, daß die den Forscher erwartende Mühe nicht gering ist, und
daß der Mann, der seine Arbeit an die Bearbeitung des XVI. oder aus-
gehenden XVIII. Jahrhunderts setzt, bedeutend im Vorteil ist. Denn
das XVII. Jahrhundert ist ja bekanntlich die Ära der Schreibseligkeit:
in ihm entstanden die Foliantenreihen, in denen ein ungemein fleißiges
Geschlecht eine unermeßliche Erudition niederlegte, oder, wenn man sich
weniger respektvoll ausdrücken will, der bekannte raumfüllende Ballast
älterer Bibliotheken, an den kaum jemand sich ernstlich herangetraut.
Denn der Schwierigkeiten gibt es nur allzu viele: die ungefüge, mit
Fremdworten aller Art durchsetzte Sprache, die verzwickte Disposition,
das Fehlen der großen Gesichtspunkte, die gleiche Wichtigkeit und Um-
ständlichkeit, mit der Haupt- und Nebensachen behandelt werden, und
20
— 268 —
der Mangel an kritischer Schärfe und an Spürkraft für das Wichtige
und Echte. Man braucht nur an die geradezu erschreckende Voll-
ständigkeit des Theatrum Europaeum des Merian zu erinnern, wo z. B.
die lokalsten Kirchturminteressen und belanglosesten Etikettenfragen
im gleichen Tone und mit gleicher Wichtigkeit behandelt werden, wie
die wichtigsten Bestimmungen des Friedens von Münster und Osnabrück.
Auf bildungsgeschichtlichem Gebiete ist für die eben gekenn-
zeichnete Erscheinung eines der lehrreichsten Beispiele die damals
soeben entstehende Literatur der wissenschaftlichen Zeitschriften.
In Anlehnung an die älteste von ihnen, das Journal des Scavans, kam
sehr bald in Leipzig die erste deutsche gelehrtce Zeitung, die Acta
eruditorum !), heraus, die eine lange Reihe von Jahren erschien und
eine stattliche Zahl Bände füllte, bis zu ihrem Absterben (1781) einen
hohen Ruhm als wissenschaftliches Organ der Leipziger Gelehrtenwelt
genoß, in Wahrheit aber nicht viel mehr ist als eine Rezensionen-
fabrik, in der sich neben großen Spreuhaufen unermeßlichen Lobes
nur spärliche Goldkörner wirklich fördernder und klärender Aufsätze
und Kritiken finden. Andere Zweige der Bildungsgeschichte würden
leicht noch mehr Belege für das Vorgetragene liefern.
Die herkömmliche Begründung dafür, daß auf das XVI. Jahr-
hundert, mit seiner lebenquellenden Unerschöpflichkeit, eine solche
geistige Einöde mit soviel vergeblichem Bemühen trotz eines eisernen
Fleißes folgte, betont vor allem vier Momente: ı. den furchtbaren
Krieg mit all seinen Folgen, die das geistige Leben erstarren ließen;
2. den sich aus ihm entwickelnden absolutistischen Militarismus, den
man von jeher gern als Feind der bildungsfördernden Elemente hin-
gestellt hat; 3. die Abwendung der führenden Kreise von den geistigen,
speziell den religiösen Interessen, die das XVI. Jahrhundert durch-
fluteten; 4. die immer stärkere Hinneigung aller Gebildeten zur Be-
trachtung mathematischer und naturwissenschaftlicher Probleme, und
die daraus hervorgehende Betonung der philosophischen Richtungen,
die sich auf Mathematik und Naturwissenschaft vorzugsweise gründeten.
Von diesen Gründen scheint der dritte der wichtigste zu sein.
Es ist eine Tatsache, daß mit dem Ende des XVI. Jahrhunderts sich
auch die Hauptbestrebungen des XVI. Jahrhunderts ausgelebt hatten.
Das neu heraufsteigende Jahrhundert brauchte auch auf dem Gebiete
der Bildung neue Ideale, und nach solchen suchte man im protestanti-
schen Mitteldeutschland, nachdem man der theologischen Kämpfe
1) Vgl. Prutz, Gesch. des deutschen Journalismus, Bd. I (einz.), S. 275—286.
— 269 —
gründlich satt geworden war, auf das eifrigste. Seinen speziellen
Nachhall fand dieses Streben nach etwas Neuem auch im Schulwesen
der mitteldeutschen Territorien: denn die Interessen in diesem Mikro-
kosmos der allgemeinen Bildungsentwicklung stellen nur ein Abbild
des gesamten Entwicklungsganges dar. An ihm läßt sich am aller-
deutlichsten zeigen, wie in einer besonderen Erscheinungsform sich
genau dieselben Vorgänge vollziehen, die in ihrer Verkettung die
Evolution der gesamten deutschen Bildungsgeschichte von damals
darstellen.
Das Unglück (wie überall damals in Bildungsfragen) war auch in
Jugendbildungs- und Schulungsfragen dasselbe, daß man nämlich
das zu erıstrebende neue Ideal nicht zu finden vermochte. Die Hem-
mungen für eine Weiterentwicklung waren überall zu stark und der
Widerstand für eine neue sachliche Umgestaltung der Bildung
unüberwindlich. Nachdem der Protestantismus in Religionssachen
schließlich nach fürchterlichen Kämpfen sich zu einer Art opinio
communis durchgerungen hatte, wollte man daran und auch am
Ideal des guten Lateiners nicht gerüttelt sehen: man war froh,
daß man etwas Gewisses hatte und wies jede Neuerung strikt ab.
Wie im Leben allgemein der homo politus das Menschenideal war,
das überall das Wie? richtig zu handhaben wußte, so war es auch
in Jugendbildungs- und schultechnischen Dingen. Da jedes Auf-
bäumen gegen das Was? des Unterrichts fruchtlos gewesen wäre,
so sahen die Weiterstrebenden schließlich das Was? der Bildung als
gegeben an, und ihre schöpferische Tätigkeit beschränkte sich ledig-
lich auf die Modelung des unabänderlich gegebenen Stoffes.
Es ist klar, daß mit dieser Betätigung die Schulmänner keinen
großen Einfluß auf die Gesamtentwicklung der Bildung gewinnen
konnten. Die Menge von damals kümmerte sich nicht darum; denn
dieser sind allezeit die Stoffe, die der Jugend geboten werden, das
Wichtige, nicht die Form der Darbietung, und als das neue pädavo--
gische Ideal des Wie? kam, vermochte es vor allen Dingen nicht
bei den leitenden und führenden Teilen des Volkes sich Eingang zu
verschaffen. So blieb denn das Beginnen der damaligen Schulmänner
schwächlich, führte nur in Büchern und Akten ein Schein.lasein und
mußte mit dem immer mehr ansteigenden Widerstande des deutschen
Volkes, dem die Subtilitäten der neuen Methoden nicht verständich
waren, paktieren, anstatt wie im XVI. Jahrhundert die Deutschen sieg-
haft mit sich fortzureißen.
Hier liegt der grundlegende Unterschied vom XVI. Jahrhundert:
20”
— 270 —
hierin liegt es auch in der Hauptsache beschlossen, warum dies immer
interessant bleibt und die Geister mit Zaubergewalt an sich zieht,
während die Bücherhaufen des XVII. Jahrhunderts ruhig dem Ver-
gessensein überantwortet werden.
Es ist allerdings auch wohlverständlich, wenn man, trotz der
Überlebtheit der Ideale des XVI. Jahrhunderts, sich nicht recht ge-
traute, an diese heranzugchen und schließlich sich dazu resignierte,
sie in wenig veränderter Form beizubehalten und nur ihre Übereignung
an die_ Massen umzugestalten. Denn diese Ideale waren von über-
ragender Macht und Gewalt gewesen: es waren vor allen Dingen drei
Kräfte, die die Geistes- und damit auch die Schulgeschichte des
XVI. Jahrhunderts beherrschten, und die auf ihrem Siegeszuge nichts,
nicht einmal die alles beherrschende katholische Kirche aufzuhalten
vermocht hatte. — Zuerst kam der Humanismus über die Alpen
und brachte das neue Licht von der Wiedergeburt des Altertums.
In seinen drei Entwicklungsstufen wirkte er verschieden und doch
gleichmäßig stark auf das aus dem Mittelalter erwachende Deutsch-
land: der Frühhumanismus begann schon im XV. Jahrhundert
damit, das scholastische Latein zu säubern und nach Beseitigung der
üblen neuen Kunstsprache !) den gelehrten Ständen die alte, reine
Römersprache zurückzugeben; wichtiger war der Hochhumanismus,
der die von seinem Vorgänger erst ersehnte Kenntnis des Griechischen
brachte und die Schätze des klassischen Hellenismus unmittelbar ver-
mittelte. Diese Erweiterung des Blickes zog die Humanisten ja auch
persönlich nach den klassischen Ländern und wies auf die sachliche
Erkenntnis des Altertums hin. Schließlich kam die längste Periode,
der Späthumanismus, der das gewonnene Gut einzuheimsen an-
leitete. Er arbeitete die neuen Errungenschaften gründlich durch und
wußte sie leicht und schulmäßig verwendbar zu machen. Vor allem
war es aber eine seiner Hauptleistungen, neue und zwar ganz vor-
treffliche Hilfsmittel zu schaffen, um der zu unterweisenden Gymnasial-
jugend die neuen Kenntnisse: gutes Latein, das notwendigste Griechisch
und einige Kenntnisse vom realen Leben der Alten zu vermitteln.
Darin aber, daß der Späthumanismus immer mehr die Verwendbarkeit
der Stoffe betonte, damit in immer höherem Grade dem Kultus der
1) Die Verachtung des „Gelehrtenlateins“ war übrigens nicht immer berechtigt,
vgl. Paulsen, Gesch. des gel. Unterr. 1°, S. 46f. und der Ruhmredigkeit der Huma-
nisten entsprach nicht immer der Erfolg. Vor allem sind die Epistolae obscurorum
virorum nicht als Spiegelbild, sondern als Zerrbild der damaligen Leipziger Verhältnisse
anzusehen. ni
— 271 —
Schule anheimfiel und den Kern der huümanistischen Bestrebungen
immer mehr vergaß, ist auch das Zeichen des beginnenden Nieder-
gangs zu erblicken, und damit sehen wir bereits die Überleitung zu
der geistigen Betätigung der Schule im XVII. Jahrhundert, die wir
schon oben als die Betonung des Wie? kennzeichneten, und wir
sehen das Zeitalter der Methodik heraufziehen. 3
Die zweite große Geisteskraft, die das XVI. Jahrhundert durch-
drang, war die kirchliche Bewegung der Reformation. Man hat
der letzteren oft den Vorwurf der Bildungsfeindlichkeit gemacht:
Janssen und Paulsen treffen, wenngleich von sehr verschiedenen
Voraussetzungen ausgehend, hierin zusammen. Für viele Teile Deutsch-
lands mag das zutreffen: für Mitteldeutschland, das Kernland der Be-
wegung, ist die Behauptung nicht stichhaltig. Im Anfange mag es
wohl so gewesen sein, daß die wärmeren, tiefer in die Volksseele
hinabsteigenden religiösen Gedanken die kühleren humanistischen
Ideen, die mehr in der Oberschicht des deutschen Volkes vertreten
waren, verdrängt haben; aber auf die Dauer war das ausgeschlossen.
Schon aus rein praktischen Gründen mußten sich Humanismus und
Reformation verschwistern: denn die letztere mußte, an Stelle der
alten Kirche, für Kirche und Staat die Beamten schaffen, die beide
Mächte zur Geltung zu bringen hatten. Hatte doch die Reformation
die alten geistlichen Güter „erledigt“, auf denen bisher die Finanz-
last aller höheren Bildungsanstalten Deutschlands geruht hatte. Nun-
mehr schienen diese Güter vogelfrei, und von allen Seiten streckten
sich gierige Hände aus, um sich des angeblich herrenlosen Gutes zu
bemächtigen. Da war es der glanzvolle Gedanke Luthers, daß man
sich ihrer zu bedienen habe, um auf diesem Finanzfundamente das
Gebäude des neuen humanistisch -reformatorischen Unterrichtswesens
aufzubauen. Unter den verschiedenen sozialen Kämpfen, die die Re-
formation durchzufechten hatte, ist die Durchsetzung dieses Gedankens
einer der schwierigsten gewesen, und die Lutherschen Sendschreiben
an den christlichen adel deutscher nation und an die radherren sind
dafür Zeugnis. Sie beweisen aber auch, und zwar für jeden Un-
befangenen unwiderleglich, daß gerade Luther mit vollen Segeln in
das humanistische Fahrwasser hineinsteuerte, um das neue Bildungs-
ideal seinen Zwecken nutzbar zu machen. Die Reformatoren gingen
überall auf die drei „Grundsprachen‘ zurück und trugen dadurch viel
dazu bei, daß der Humanismus nicht verwelkte. Denn von da ab
blieb, besonders in dem mitteldeutschen protestantischen Pfarrhaus,
das bessere Latein und eine etwas ausgebreitetere Kenntnis des
— 272 —
Griechischen das unerläßliche Erfordernis für den „gebildeten Mann “,
und man hielt um so mehr daran fest, weil man darin die sicherste
Brücke zu einem gut fundierten theologischen Wissen sah. Und ge-
rade diese Pfarrhäuser haben jahrhundertelang in Mitteldeutschland
als die Brennpunkte der geistigen Bildung, nicht bloß auf dem flachen
Lande und in den Dörfern, und zwar mit vollem Rechte gegolten.
Alles ging auch gut, solange Früh- und Hochreformation, zwei dem
Früh- und Hochhumanismus analoge Erscheinungen, herrschten, d. h.
solange sich Luthers unserer sächsischen Erde entsprossene, ur-
wüchsige Kraft mit dem feineren Sinn und der Selbstlosigkeit des
Rheinfranken Melanchthon verband und ihr Zusammenarbeiten einen
guten Klang gab. Da blieb die religiöse Bewegung und die sich ihr
anschließende Schulrcform in freudiger Bewegung, und alle Kräfte taten
sich kund. Doch leider wurde dies mit Luthers Tod anders: die
protestantische Kirche sank von ihrer stolzen Höhe herab und es be-
gannen die unseligen und in ihren Zwecken und Zielen uns heute so
unverständlichen Zänkereien der Spätreformation, die in dem blutigen
Grauen der Kryptokalvinistenhetze ihr schaudervolles Ende fand. Dies
blieb natürlich auch auf die Schule und ihr Bildungsideal nicht ohne
Einfluß. Auch hier starb das frische Leben ab: an Stelle der freu-
digen Überzeugung trat die auswendig gelernte Formel, die vor allem
in religiösen Dingen allein herrschend ward und dazu dienen mußte,
auch die humanistischen Elemente, die bisher frei gewesen waren, zu
übermitteln. Da ging denn der alte Humanismus, der einen heid-
nischen Zug nicht ganz hatte verleugnen können, langsam und still
zur Schultür hinaus. Eine freie Entwicklung und vor allem eine Fort-
bildung des Gegebenen schien damit auf abschbare Zeit unterbunden
zu sein.
Da trat als dritte Kraft das sofort energisch einsetzende Staats-
bewußtsein in die Erscheinung, das schon seit dem Beginn des
XVI. Jahrhunderts sich um die Gelehrtenschule und um die Bildung
der künftigen Beamten bemüht hatte. Dieses Staatsbewußtsein, und
seine Träger, dic Führer der protestantischen Länder, nahm die Ge-
danken der Reformation, wie sie sich in den genannten Schriften
Luthers zeigten, auf und suchte Humanismus und Reformation seinen
Zwecken dienstbar zu machen, d. h. die Theologen und Beamten
vorzubilden, wie sie der neue, absolutistisch regierte Staat nötig hatte.
Der Hauptvertreter dieser Ansicht war der Herzog Moritz von Sachsen,
der mit der ihm eigenen Zähigkeit seine Ansicht zunächst in dem
eigenen Lande durchsetzte und sehr bald auch, besonders in Thüringen
— 273 —
und den nordwestdeutschen Territorien, soweit sie protestantisch waren,
Schule machte. Mit voller Kraft und klarem Bewußtsein hatte er den
Staat, d. h. den absolut regierenden Fürsten, auch in Schuldingen an
Stelle der alten geistlichen Gewalten gesetzt und, was noch wichtiger
war, sogleich auch die praktischen Formen gefunden, mit denen er
das Gewesene und Veraltete durch neue brauchbare Einrichtungen er-
setzte, die so trefflich ersonnen waren, daß sie auch bis heute noch
sich als praktisch und lebensfähig erwiesen haben. Es waren in der
Hauptsache drei: die Gründung der drei Fürstenschulen, die Schaffung
der Universitätsstipendien (es sind dieselben, die heute noch als „könig-
liche‘ gelten) und sein fester Wille, in allen Universitätssachen,
sowohl in der Verwaltung, als auch in den Berufungen, sich ein
entscheidendes Wort zu sichern. Bekanntlich hat Moritz sein glanz-
voll begonnenes Werk nicht vollenden können: nur die Gründung der
drei Staatsschulen und die Einführung der Stipendien (die aus den
erledigten geistlichen Gütern dotiert wurden) ist ihm gelungen. Da-
gegen schnitt ihm die Schlacht von Sievershausen den Lebensfaden zu früh
ab, um auch in den eigentlichen Universitätsverhältnissen durchgreifen
und die eigentümlich korporative Verfassung des studium generale Lipsense
in absolutistischem Sinne umordnen zu können. Vereinzelte Be-
rufungen ‚„kurfürstlicher‘‘ Professoren blieben, teils wegen des nicht
ganz einwandfreien Charakters ihrer Personen), in der Hauptsache
aber wegen des erbitterten Widerstandes der Fakultäten ohne Erfolg,
Hierin fand er auch bei seinen Standesgenossen keine Nachahmung:
aber die staatlichen Gelehrtenschulen und die Stipendienordnung haben
viele Nachfolger gefunden. Die vielen G@ymnasia illustria in Thüringen
und im Norden des Reiches, bis nach Mecklenburg hinein, sowie die
Stipendienordnungen von Wittenberg, Helmstedt, Rinteln, Rostock u. a.,
die dann an den später entstandenen Universitäten bald Nachahmung
fanden, sind des Zeugnis,
Was Moritz unvollendet hatte hinterlassen müssen, wurde von
seinem Bruder August I. (dem sogenannten „Vater August“, 1553 bis
1586) mit Zähigkeit weitergeführt. Dieser entschiedene Vertreter des
Absolutismus suchte überall die in seiner Person verkörperte Staats-
gewalt zur Geltung zu bringen. Unter ihm wurde Kursachsen der erste
protestantische Staat in Deutschland, und wie der Kurfürst sonst überall
alles selbst ordnete und zurechtfügte, so verdankt ihm sein Heimat-
ı) Vgl. Fr. Ludwig, Dr. Simon Simonius, ein Beitr. sur Gesch. der Uni-
versität Leipzig 1570—1580. (Neues Archiv f. Sächs. Geschichte, Bd, XXX, S. 209 f.)
— 274 —
land auch die erste große Ordnung aller kirchlichen und schulischen
Verhältnisse in dem berühmten Gesetze von 1580, in dem alles bis
auf das kleinste mit geradezu klassischer Sorgfalt behandelt worden
ist. Deutlich geht aus fast jedem Satze der Gedanke seines Urhebers
hervor: nach diesem Gesetze soll im gesamten Kurstaate alles ein-
hellig gelehrt, getrieben und überall dasselbe erreicht werden. Von
nun an gab es einen Normalstundenplan, die entsprechenden Normal-
lesebücher, die Normaldisziplinarordnung für Lehrer wie für Schüler,
Normalvorschriften für die Examina und für die Schulaufsicht, und
noch viele andere Normierungen. Es sollten im sächsischen Kur-
staate einerlei Takt und Rhythmus für Kirche und Schule herrschen.
August I. gab sich damit der Meinung hin, daß so eine beglückende
Gleichheit geschaffen sei, die dabei jedem das Seine ließe und doch
das Wohl der Gesamtheit befördere, eine Meinung, die sich jedoch
als irrtümlich erwies.
Es läßt sich nicht leugnen, daß in diesem absolutistischen Ge-
danken etwas Großes liegt. Dies kann jedoch nur dann geschehen,
wenn der absolutistische Wille auch die feinsten Äderchen des von
ihm geschaffenen staatlichen Organismus zu erfassen vermag; dann
allerdings bewegt sich das Ganze in der wunderbarsten und eben-
mäßigsten Weise. Aber schlimm ist es, wenn hierfür die nötige Kraft
fehlt: denn dann stirbt das doch immerhin künstliche Gebilde ab, und
das Bild wirkt nun, im Gegensatze zu dem vorigen, um so wider-
wärtiger. Die vorher gebändigten und von einem einheitlichen Willen
geregelten Kräfte beginnen sich widereinander zu regen, und alles
geht dann durcheinander. Oder aber der Mangel an Bewegungskraft
und Zielbewußtsein führen anscheinend zu einem langsamen Hinsiechen.
Dies ist zwar nicht tatsächlich der Fall: der Organismus ist in der
Tat noch lebensfähig, aber wo die lenkende und zielstrebende Kraft
versagt, da muß er sich in ohnmächtigen Anstrengungen verzehren,
und ein auch nur irgend nennenswerter Erfolg bleibt aus.
Dies war nun das Schicksal unseres mitteldeutschen Schul- und
Bildungswesens am Anfange des XVII. Jahrhunderts. Denn die drei
großen Kräfte des XVI. Jahrhunderts versagten alle der Reihe nach.
Der Humanismus zog sich immer mehr auf die Hochschulen und
in die Studierstube einzelner Gelehrter zurück. Nur im stillen er-
klommen noch einzelne die freie, kühle Höhe, auf der das XV. und
XVI. Jahrhundert sich so gern und leicht bewegt hatten. Für die
Masse, die durch die Schule lief, blieb nur das glatte Latein, das
allgemeine Verständigungsmittel für den Durchschnitt der sogenannten
— 275 —
„Studierten“ (und hieraus erklärt sich die auf unserm Heimatsboden
so oft gehörte Gleichung: guter Lateiner = gebildeter Mensch), und
soviel Griechisch, um das Neue Testament zu verstehen; was sonst noch
die Antike und ihr Vermittler, der Humanismus, hätten bieten können,
das ließ man achtlos liegen. Denn auch diese beiden Dinge lernte
man nicht um ihrer selbst willen, wie im XVI. Jahrhundert, sondern
nur weil sie nützlich waren. Das utile hatte hier, wie überall, das
decorum völlig beiseite geschoben: daß die Stoa einst beides als eine
höhere Einheit angesehen hatte, der der rechte Mann nachzustreben
‚habe, davon hatte man, wie von antiker Philosophie überhaupt, keine
blasse Spur mehr; man hatte auch im damaligen vielgeschäftigen
Tagestreiben keine Zeit und Kraft gefunden, um sie zu studieren oder
gar in aktuelle Lebenswerte umzusetzen.
Auch die Reformation und die von ihr geschaffene Kirche zeigte
nunmehr den Zug in ihrem Gesicht, den ihr die katholische Geschicht-
schreibung so gern für ihre Gesamtentwicklung aufprägen möchte,
nämlich den starren Ausdruck des Konfessionalismus und der unduld-
samen Orthodoxie. Hierbei stand sie zum Staat in einem Wechsel-
verhältnis; denn der Staat stützte sich ebensogut auf die neue Kirche,
wie diese sich von ihm die Kraft entlieh, die sie nicht in sich selbst
trug. Selbst gut protestantische Bildungshistoriker vermögen es nicht,
das XVII. Jahrhundert, wenigstens in seiner ersten Hälfte, von dem
Vorwurf einer gewissen Bildungsfeindlichkeit zu befreien, sofern man
nur darunter die Abneigung und Unfähigkeit versteht, die vorhandenen
Gebilde in einem neuen Geiste umzuformen. Man lebte damals des
beglückenden Glaubens, daß in Kirchen- und Schulsachen alles für
immer festgelegt und in eine für allezeit gegebene Norm gebracht
sei, an der man nicht rütteln dürfe.
Doch das alles hätte sich noch ertragen und schließlich auch
überwinden lassen, wenn nur die Kraft der staatlichen Fürsorge für
Bildung und Schulung die gleiche geblieben wäre. Leider ließ diese
ganz beträchtlich am Anfange des XVII. Jahrhunderts nach. Für den
Absolutismus im allgemeinen gilt dies zwar nicht; denn dieser blühte
in den Territorien Nord- und Mitteldeutschlands um so stolzer auf.
Aber sein Absehn richtete sich nicht mehr auf die ernste Aufgabe
der Volksbildung und -erziehung. „ Die prachtliebenden Fürsten jener
Zeit hatten, mit verschwindenden Ausnahmen, für Erziehungsfragen
und Bildungsinteressen nicht viel übrig. Dies kann man am besten
merken, wenn man sieht, wie wenig und wie äußerlich die Sorge war,
die sie bierin selbst für die eigenen Kinder trugen. Wer die hierauf
— 276 —
bezüglichen Bände der Monumenta Germaniae paedagogica liest und nach-
denklich die Zeiten vergleicht, wird hierfür manches Beispiel finden.
Die Bildungsbewegung und -förderung fand an den Höfen fast nur
im Gebiete der Künste statt. Die Kunstsammlungen und der bauliche
Schmuck der Hauptstädte, das „große Konzert“ und die italienische
Opernbühne sind dafür das beredteste Zeugnis. Dazu kam in den
Hofkreisen eine oberflächliche Hofmeistererziehung, die den Wert auf
eine gewisse Vielwisserei legte, ohne zu wirklichem Denken anzuleiten
und wirkliche Bildung zu vermitteln. Und diese Hofmeistererziehung
drang von dort natürlich in die Adels- und die besseren Bürgerkreise
ein und vcrnichtete den freien, kühnen Mann des XVI. Jahrhunderts, der
selbst zu denken als sein höchstes und bestes Recht angesehen hatte.
Es wäre unbillig, von solchen Fürsten, deren Erziehung sie ganz
zu einer gewissen Äußerlichkeit hingedrängt hatte, ein Interesse für
eine tiefere Bildung und für ernste Erziehungs- und Schulfragen zu
erwarten, zu dem nicht einmal der bescheidenste Keim in ihre Seelen
gelegt worden war. Wir dürfen sie nicht in erster Linie verantwortlich
machen, weil bei ihnen der Umschwung sich am deutlichsten und
grellsten zeigte: denn anderwärts war es geradeso. Wie die Fürsten,
so dachte der ganze Hof, die Räte in den Geheimen Consilien und
Kabinettsministerien, die consules atque scabini in den Stadtverwaltungen,
und alles, was sich gern als „galant“ bezeichnete, bis zum einfachsten
Dorfschultheißen hinab. Überall war die Kraft und der gute Wille
versiegt, um die guten und glänzenden Gedanken der voraufliegenden
Epoche wieder zum Leben zu erwecken und in Taten umzusetzen.
Um einen recht augenfälligen Beweis dafür zu erbringen, erinnern
wir an die uns vielfach bezeugte Mißachtung, die man der geradezu
genialen Schulgesetzgebung Kurfürst Augusts I. schon ganz kurz nach
dem Tode ihres Urhebers entgegenbrachte. Bei einer der seltenen
Visitationen nämlich erkundigte sich einer der Visitatoren in Meißen
nach dieser Ordnung und ihrer Anwendung, und nach längeren Ver-
handlungen stellte sich heraus, daß man sich ihrer kaum noch erinnerte.
Der damals amtierende Rektor erklärte sogar, ohne sich irgendwie
dabei etwas Schlimmes zu denken, daß man sich, solange er im
Dienste stehe, überhaupt nicht nach der Augustea gerichtet habe; es
ginge vielmehr alles modo Fabrigii weiter, also geradeso, wie es
etwa 100 Jahre vorher schon gewesen war!)! Da hätte man sich
freilich die lange Mühe in Landtag und Regierung sparen können!
Und wenn es schon an den Fürstenschulen so herging, den eigent-
ı) Flathe, St. Afra, S. 64f.
— 277 —
lichsten Schöpfungen der Staatsgewalt, wie mochte es da erst an den
Stadtschulen stehen, großen und kleinen, wo man von jeher bei
einem E. E. Magistrate der Ansicht gewesen war, daß man staatliche
Gesetze und fürstliche Befehliche in Erziehungs-, Schul- und Bildungs-
sachen nur als einen guten Rat aufzufassen habe, den man je nach
Belieben befolgte oder nicht, teils weil man nicht wollte oder auch
nicht konnte, — denn um die notwendigen Ausgaben, um die Sachen
in Gang zu halten, drückte man sich wetteifernd herum.
Wir ständen damit also im Beginne des XVII. Jahrhunderts in
einem pädagogisch-kulturellen Winter, dessen Totenstille durch keinerlei
frische Regung unterbrochen wird. Die alten Kräfte sind dahin und
neue wollen sich nirgends regen. Das ist das traurige Bild, das uns
das ganze nördliche Deutschland während der Jahre 1600—1630
zeigt, ein Bild, das nicht etwa erst der große Krieg hervorrief, son-
dern dem er lediglich erst die Festigkeit der Konturen verlieh.
Aber auch in bildungs- und schulgeschichtlicher Hinsicht ist
Deutschland, wenn &s auch manchmal arg kalt geworden ist, doch kein
arktisches Land mit ewigem Schnee und Eis: es regten sich, trotz der
winterlichen Mächte, gar bald wieder schüchtern die Kräfte des
Lebens, und einige dürftige Frühlingsblumen entrangen sich dem
starren Boden und schmückten die Ruinen der vergangenen Zeit.
Alles freilich, was wuchs, ähnelte nicht den freien, stolzen Ge-
bilden der Zeiten des Hochhumanismus und der Hochreformation, die nur
um ihrer selbst willen dazusein schienen, und deren Besitz doch auch
den stolzesten Geistern gern als der Güter höchstes erschien. Alles
war vielmehr für den augenblicklichen und täglichen
Gebrauch berechnet, und alles stand unter dem Zeichen der
Nützlichkeit. Wie bekannt, war das damalige Menschen- und somit
auch Bildungsideal der homo politus: der galanthomme ist ja das
echteste Kind dieser alles beherrschenden Zeittendenz.
Zum galanthomme gehörte aber, außer anderen Dingen, vor allem
die Fähigkeit, sich gut und gebildet ausdrücken zu können, sowohl
in der alles beherrschenden Geschäftssprache, dem Latein, als auch
in der schon damals nach Reinheit strebenden Muttersprache, und
zwar in Vers und Prosa. Um nun in beiden sich möglichst zu vervoll-
kommnen, mußte natürlich Latein, aber selbstverständlich nur formales
Latein den Mittelpunkt des gesamten Unterrichts bilden. Seine Form-
handhabung war .das Ziel, dem man entgegenstrebte. |
Unter diesem Nützlichkeitsstandpunkt betrieb man deshalb auch
z. B. die Lektüre der lateinischen Dichter. Diese abmte man mit
— 278 —
Geschick und, wenn auch manche Geschmacklosigkeit mit unterlief,
doch mit entschiedenem Glück nach. Und um zu guten deutschen
Gedichten zu gelangen, suchte man den Weg durch die Übersetzung
der Klassiker ins Deutsche. Ein Hauptobjekt dieser Bestrebungen war
Horaz, d. h. dessen Oden, die man damals fast ausschließlich stu-
dierte. Überhaupt setzte um 1640 herum in Deutschland eine zweite
große Periode der Übersetzertätigkeit ein: sie unterscheidet sich
von der des XVI. Jahrhunderts, die besonders die Sachen des Alter-
tums in das Auge gefaßt und darum Prosa übertragen hatte, dadurch,
daß ihr nunmehr die Form alles war und daß man deshalb haupt-
sächlich Dichter übertrug.
Es war nun natürlich, daß dies auch auf die Schulen übergriff,
und so erscheint es denn als ein ganz natürlicher und darum weit ver-
breiteter Schulsport, daß man gerade antike Gedichte immer wieder
in geschickter Formgebung, und womöglich gereimt, wiederzugeben
suchte. Für diese damals ganz moderne Form, die römische Poesie
der deutschen Schule und dem Bildungsbedürfnis zugänglich und, was
nicht zu unterschätzen ist, auch nutzbar zu machen und sie nach Form
und Inhalt völlig in Fleisch und Blut übergehen zu lassen, bietet sich
ein höchst charakteristisches Beispiel an den Bemühungen des lang-
jährigen Rektors an der Dresdener Kreuzschule, Jacobus Bohemus
(Böhme, 1640—1676). Dieser fleißige und federgewandte Mann inter-
pretierte jahrelang die horazischen Oden und veranlaßte sehr bald
unter seinen Schülern ein certamen poeticum; die begabtesten Primaner
sollten versuchen, diese Gedichte möglichst treffend und gewandt in
deutschen kurzen Reimen wiederzugeben. Die besten Übertragungen
sammelte er und ließ sie 1643 in Dresden bei Gimel Bergen, dem da-
maligen kursächsischen Hotbuchdrucker, in Buchform erscheinen. Überall
ist der Name der jugendlichen Verfasser darunter angegeben: am häufig-
sten erscheint der des späteren Oberhofpredigers Johann Andreas Lucius,
dessen Arbeiten sich durch gewandte Formgebung und ungewöhnliche
Leichtigkeit und Beherrschung des Reimes auszeichnen. Im An-
schluß an die Vorschriften von Martin Opitz in dem Büchlein Von der
deutschen Poeterey wurden lauter kurze deutsche Verse gewählt, und
von Bohemus wurde, in der Vorrede zu diesem Buche, diese neue
Methode, den Dichter durch deutsche Umdichtung zu näherem Ver-
'ständnis zu bringen und der Jugend nutzbar zu machen, als zweck-
entsprechend und vor allem als zeitkürzend angepriesen !). — Diesem
1) Bohemus gab übrigens dies Büchlein 1656 noch einmal heraus, diesmal von
eigener Hand verbessert. Hierbei ereignete es sich, daß er an den Gedichten seiner
— 279 —
Beispiele schlossen sich sehr viele andere an. Die neue Opitzsche
Lehre, daß das Dichten gelehrt und gelernt werden könne und daß
dazu die Übersetzung aus den antiken Dichtern das beste Übungs-
material darbiete, so wie diese selbst die Fundgrube für poetischen
Schmuck jeglicher Art, fand großen Anhang und starken Zulauf.
Degens !) Geschichte der deutschen Übersetzungsliteratur zeichnet
eine große Reihe derartiger Übertragungen auf, die aus mitteldeutschen
Lehrerhänden (von der Mitte und dem Ende des XVI. Jahrhunderts)
stammen. Sie sind gottlob! alle vergessen; denn es ist nichts an
ihnen zu loben als die gute Meinung und das „redliche Gefühl‘, mit
der sie die „schweren Poeten“ in das „geliebte Deutsch“ übertragen.
Wenn schon in dieser Übersetzertätigkeit sich ganz deutlich die
Richtung auf das Nützliche kundtat, so geschah dies in noch weit
höherem Grade in einer zweiten Gedanken- und Literaturrichtung, die
sich ganz speziell um das Schulleben kümmerte und ihm in seinem
eigensten Wesen und innersten Bedürfnissen genugzutun versuchte,
nämlich in der urplötzlich und gleich in gewaltigem Strome auftreten-
den Methodik des Unterrichts.
Nach der oben vorgetragenen inneren Entwicklung des Schul-
lebens war man um 1600 an einem Tiefpunkte angelangt, von dem
aus ein langsamer Anstieg wieder erfolgen mußte. Der damalige
Schulhumanismus zeigte lediglich Betonung des Sprachunterrichts
mit stark konfessionellem Einschlag. Daß dies auch so blieb, dafür
sorgte die staatlich-theologische Beaufsichtigung, und, äußerlich ge-
nommen, hat dieser Zustand gedauert bis tief in das XVIII. Jahr-
hundert hinein. Ein Hauptgrund für den Beharrungszustand war, daß
die Lehrerschaft selbst fast nur aus Theologen bestand und keine
wesentlichen neuen Ideen entwickelte, um anderes als das Längst-
geübte in den Unterricht hineinzubringen. Der Stoff war ein für alle-
mal gegeben und alle irgendwie gearteten realen Zusätze wurden von
der Verwaltung, dem Zeitgeiste und der Lehrerschaft gleichmäßig
abgelehnt.
Doch hat es unter der letzteren nicht ganz an Tatendrang und an
Neuerern gefehlt. Freilich von dem Grundgedanken der Zeit: was
Schüler solche Verunstaltungen vornahm, daß seine Übersetzung später als die der
„dreißig berüchtigten Kreuzschüler‘ zu einer Fundgrube des Ungeschmacks wurde, aus
der man Proben noch bis in die neueste Zeit hinein finden konnte, (Oskar Weißenfels
in der Nauckschen Ausgabe der Oden 1905, S. XXXIV.)
1) Degen, Litieratur der deutschen Übersetzungen der Römer (Altenburg
1794 f., 3 Bde.).
— 280 — ó
ist nützlich? haben auch sie sich nicht entfernt: es hätte ihnen auch
nur zum Rufe eines „Predigers in der Wüste“ verholfen. Und auch
gegen die fast kanonische Heiligkeit des Bildungsstoffes anzugehen,
wäre vergebliches Bemühen gewesen. Da man also an dem Was?
des Unterrichts nicht herummodeln durfte, so richtete sich das Inter-
esse der damaligen pädagogischen Führer durchaus auf die sogenannte
Methode. Damit wurde das XVII. Jahrhundert so recht der Tummel-
platz der schulhumanistischen Methodik: ihre wichtigsten Leistungen
auf diesem Gebiete fallen durchweg in diese Zeit.
Gerade die wichtigsten Methodiker und ihre Hauptleistungen haben
wir aber auf mitteldeutschem Boden zu suchen. Ihr erster Haupt-
vertreter war bekanntlich Wolfgang Ratichius (Ratke, 1571—1635),
der den Lateinunterricht möglichst zu vereinfachen trachtete und vor
allem in dem Herzogtum Anhalt, das von jeher besondere Neigung
zu pädagogischen Versuchen gezeigt hat, und zwar in Cöthen längere
Zeit wirksam gewesen istl). Auch er drängte mit aller Entschieden-
heit darauf hin, den Unterricht möglichst nutzbringend und zeitsparend
zu gestalten ?2). Neben ihm steht eine ganze Reihe weniger bedeutender
Geister, z. B. Valentin Andreä, Johann Heinrich Alsted, Johann Raue
u. a.3), die sich alle mehr oder minder ausführlich auf dem Gebiete
der Didaktik und Methodik bewegt haben. Der bedeutendste und
wichtigste dieser Didaktiker aber war natürlich Comenius (1592 bis
1670). Seine bekannten Bücher, die Janua linguarum reserata, das
Vestibulum und das Atrium, sowie der etwas später erschienene Orbis
pictus haben ja in der pädagogischen Welt einen hohen Ruf und die
Kenntnis von ihnen wird gewissermaßen als eiserner Bestand eines jeden
pädagogischen Wissens vorausgesetzt. Man wird aber, wenn man zu
richtiger Wertung gelangen will, nicht das vergessen dürfen, was die
deutsche Wissenschaft schon längst erwiesen hat, daß des Comenius
Schriften (trotz ihrer unzweifelhaft hohen Bedeutung) nicht wie Athene
aus dem Haupte des Zeus hervorgesprungen sind, sondern ihre
Wurzeln und ihre direkten Vorbilder in einer Reihe Schriften des vor-
1) Vgl. Paulsen, Gesch. d. gel. Unterrichts I?, S. 459f. Schiller, Lehrb.
der Gesch. der Päd., S. 168f. Heubaum, Gesch. des deutschen Bildungswesens,
S. 12 und öfters.
2) Theob. Ziegler, Gesch. der Pädagogik, S. 146 f.
3) Vgl. die zusammenfassende Anmerkung bei Paulsen I, S. 471. Ihr ist bei-
zufügen der Leipziger Methodiker Rhenius, der auch eine große Anzahl nach seiner
Methode gearbeiteter Lehrbücher schuf. Vgl. O. Kämmel, Gesch. des Leipz. Schul-
wesens, S. 132f£ Lattmann, Gesch. d. Methodik d. Lateinunterrichts, S. 88—129.
— 281 —
hergehenden Jahrhunderts gehabt haben, vornehmlich an der Pappa
puerorum des Münsterer Humanisten Jacobus Murmellius: an diesen
schließt sich z. B. der Orbis pictus stofflich sehr stark an. Die be-
fruchtende Methode aber finden wir genau schon so dargestellt bei
Ratke, dessen wir oben gedachten. Trotz dieses notwendigen Ab-
zugs bleiben des Comenius Verdienste doch so groß, und war sein
Einfluß so gewaltig, daß man überall in der Lehrerwelt seine Bücher
las und ihren Wert erörterte.e Ja man versuchte wohl da und dort
auch seine Methoden einzuführen und seinen Ideen praktische Folge
zu geben. In welchem Umfange dies geschah, hat der Dorpater
Lehrer für Religionsgeschichte, Jo. Kvačala, in der großen Comenius-
biographie 1892 und erst wieder neuerdings in einem Bande von
Rud. Lehmanns Deutschen großen Erziehern zur Darstellung gebracht.
Jedoch dürfen wir uns den praktischen Erfolg nicht gar so groß vor-
stellen. Seine theoretischen Anweisungen sind nicht in den eigent-
lichen Schulbetrieb übergegangen und darum fast nur Bibliotheksgut
geblieben: nur der Orbis pictus hielt seinen Siegeszug durch die
Schulwelt. Er wurde außer der lateinisch-deutschen Ausgabe von der
bekannten Nürnberger Schulbuchhandiung von Ender auch noch in
einer westdeutschen, d. h. mit französischem und englischem Texte,
und in einer ostdeutschen Ausgabe mit beigefügtem polnischem oder
wohl auch tschechischem Texte herausgegeben und ist außerordent-
lich viel verwendet worden. Die Hauptveranlassung dazu gab, daß
das Buch in der glücklichsten Weise die Methode zweier alter Schul-
bücher, des Vocabularius rerum und der Colloquia (in ihren verschie-
denen Schattierungen) anwendete und zu verbinden wußte, so daß
man neben einer geradezu erstaunlichen Masse von Vokabeln auch
eine nicht geringe Anzahl der notwendigen lateinischen Unterhaltungs-
floskeln und Alltagsphrasen sich aneignete, — bekanntlich eine noch
vor hundert Jahren blühende und gegenwärtig sehr stark zusammen-
geschwundene (auch nicht mehr so allgemein geachtete) Fertigkeit.
Wenn man nun die große Verehrung dieser Methodiker, die sie
heute noch fast allgemein genießen, und die in den Handbüchern
ihnen beigemessene Bedeutung mit dem vergleicht, was sie in der
wirklichen Welt und dem Tagestreiben der Schulen zu bedeuten ge-
habt haben, so ist es allerdings fast unbegreiflich, wie gering der
Einfluß dieser Männer auf die alltägliche Praxis gewesen ist. Und
am allerdeutlichsten tritt dies uns auf mitteldeutschem Boden entgegen.
Hier waren sie, besonders auf den Schulen des sächsischen Kultur-
kreises, nirgends imstande, die hergebrachten Melanchthonschen Bücher,
— 282 —
die in immer neuen Überarbeitungen unendliche Mengen von Auf-
lagen erlebten, auch nur einigermaßen zu verdrängen.
Alle diese Theoretiker sind nur in der Ideenwelt der Gelehrten
unmittelbar wirksam geworden (darum spielen sie auch in den Hand-
büchern und Universitätsvorlesungen eine so große Rolle), in der
eigentlichen Schulwelt aber waren sie, wie gesagt, nur von unbedeu-
tendem Einflusse!). Wir hören zwar überall das anspruchsvolle Wort
des Ratichius: Ratio vicit, vetustas cessit! oder des Comenius Devise:
Compendiose, iucunde, solide!, aber zwischen der pädagogischen Redens-
art und den Taten ist ein weiter Zwischenraum. Die letzteren sind
ziemlich bescheidener Art gewesen. Wenn wir von der Übertragung
des bildlichen Momentes absehen, das vor allem in den geschicht-
lichen Werken des Buno, Rektors von Lüneburg, mit ihren zu mnemo-
technischen Zwecken beigefügten Bildertafeln?) zutage trat, so sind es
vor allen Dingen in der praktischen Schulwelt zwei Erscheinungs-
formen gewesen, in denen man die zeitgenössischen pädagogischen
Ideale in die Tagesarbeit einzuführen gesucht hat: einmal waren
es eine Anzahl neuangelegte Schulbücher, die in sehr ab-
geschwächter Form dem Neuen sich anbequemten und vor allem den
Standpunkt der Nützlichkeit betonten, und zweitens eine Anzahl
wichtiger Aktenstücke, die freilich in der Hauptsache theoretisieren,
aber doch auch praktische Vorschläge machen, und die sich mit dem
Rückgrate des altklassischen Unterrichts befassen, der Lektüre, für die
sie eine radikale Umgestaltung herbeizuführen wünschen. Den An-
fangsunterricht aber, den bekannten Tummelplatz aller pädagogischen
Theoretiker, überlassen sie diesen, beziehentlich denen, die Lust haben,
solche Theoreme in die Praxis zu übertragen, in der ja doch alles
anders wird, als man es sich gedacht hatte.
Auf die große Masse der neu entstandenen Bücher einzugehen,
lohnt nicht, soweit nicht eine neue Art von ihnen auf den Schau-
platz trat. Dies geschah aber dadurch, daß man in Befolgung des
Nützlichkeitsprinzips einsah, daß das ewige Diktieren in den Schulen
I) Diese Kraft des Beharrens ist den Schulmännern unter den pädagog. Geschicht-
schreibern (Eckstein, Schiller) natürlich nicht entgangen und kommt auch in ihren Dar-
stellungen zur Geltung. Selbst in Lattmanns Gesch. der Methodik (vgl. bes. S. 41 f.
und S. 88f.) ist es charakteristisch, daß allemal den Darlegungen über die Theoretiker
ein Abschnitt ‚Unterrichtsmethode der Wirklichkeit“ folgt, der, weil er auf dem Boden
der Tatsachen steht, natürlich weitaus am interessantesten ist,
2) Vgl. Paulsen I*, S. 471 (in der Sammelanmerkang) und F. Günther in den
Deutschen Geschichtsblättern 8. Bd. (1907), S. 265 f.
— 283 —
eine gewaltige Zeitvergeudung bedeutete, die außerdem auch noch zu
Mißverständnissen Anlaß gab, und deshalb beseitigt werden müsse.
So entstand denn das Buch, das in dem erfindungsreichen Zeitalter
der Reformation noch gefehlt hatte!), und das nunmehr in geradezu
unendlicher Reihe Nachfolger gefunden hat: das deutsch-latei-
nische Übungsbuch. Diese uns heute so selbstverständliche Hilfe
zur Zeitersparnis trat 1633 zum ersten Male in die Erscheinung in dem
vielgenannten, aber in Wirklichkeit wenig bekannten Speccius?),
einem in unendlichen Auflagen erschienenen und doch jetzt recht
seltenen Duodezdrucke, dessen wirklicher Titel ist: 191 kleine deutsche
Argumentlein, eine unendliche Male wiederholte Beispielsammlung, an
der sehr viele Angehörige unserer klassischen Epoche, unter anderen
auch Goethe, ihr Anfangslatein üben gelernt haben. — Das Buch fand
natürlich sehr bald starke Nachahmung, und das Trichterlein (eben-
falls ein deutsch- lateinisches Übungsbuch für Elementarlateiner), das
man gewöhnlich den Nürnbergern zuschreibt, ist ebenfalls ein mittel-
deutsches Erzeugnis und entstammt den Bemühungen eines anderen
Schulmannes, des Joachimstalschen Rektors Muzelius (Mützell)3). Ihre
Reihe setzt sich bis heute fort: sie sind eins der besten und wert-
vollsten Ergebnisse der auf die praktische, zeitsparende Methode aus-
gehenden Zeit, einer Methode, die Comenius nicht erfunden, sondern
der er nur Ausdruck verliehen hat.
Eine ebenso große, vielleicht eine noch größere Bedeutung besitzt
aber eine andere Tendenz, die ebenfalls aus dem auf die Spitze ge-
triebenen Nützlichkeitsprinzip hervorgeht, nämlich auch die Hinlenkung
aller Lektüre, auch in ihren Stoffen, auf das unmittelbar Verwend-
bare und sofort sich in das Alltägliche Umsetzende. Ihre schriftliche
Fixierung fand sie in methodologischen Auseinandersetzungen prak-
tischer Schulmänner, mögen sie nun aktenmäßig erhalten sein oder
sich in den Vorreden alter Schulbücher (bekanntlich einer Fundgrube
pädagogischer Weisheit unserer Altvordern) niedergelegt finden. Hier
leistet uns einmal ausnahmsweise die (im Eingange unserer Darlegungen
beklagte) Schreibseligkeit der Gelehrten des XVII. Jahrhunderts vor-
treffliche Dienste. Eine ganze Anzahl von Schulrektoren jener Zeit
hat es nämlich, sehr im Gegensatz zu der lakonischen Weise des
XVI. Jahrhunderts, für richtig gehalten, in lateinisch oder deutsch
1) Lattmann, Gesch. der Methodik des Lateinunterrichts, S. 88.
3) M. Christophori Speccii Praxis Dechinationum et Conjugationum (Nürn-
berg, Endter). Vgl. Lattmann a. a. O., S. 130.
3) Lattmann.a, a. O., S. 151—167.
21
— 284 —
geschriebenen Tagebüchern (Ephemerides) ihre Tagesarbeit zu schildern
und diesen Heften wichtige Aktenstücke, die an die Behörden gehen
sollten, im Konzepte beizulegen und ihnen Erläuterungen beizugeben.
Diese Gepflogenheit ist uns besonders bekannt geworden durch
zwei kursächsische Beispiele. Aus dem Tagebuche des Rektors T heill
aus Bautzen!) ist freilich der Ertrag nicht unseren Erwartungen ent-
sprechend, da wir fast nur auf Alltäglichkeiten stoßen und fast niemals
prinzipielle Gedanken vorgetragen finden, die einmal in zusammen-
hängender Form uns entgegenträten. Indirekt freilich findet sich gar
manches, was so recht zu dem oben angedeuteten Anschauungswandel
hinsichtlich der Lektüre stimmt.
Von weit höherer Bedeutung aber ist eine eben erst dem all-
gemeinen Studium erschlossene Quelle für Schul- und Bildungs-
geschichte, die Tagebücher des Leipziger Rektors Jacob
Thomasius ?), der zuerst die Nikolai- und dann die Thomasschule
geleitet hat. Sie waren lange Zeit nur handschriftlich bekannt; jetzt
liegen sie in einer sehr splendid gedruckten Ausgabe der Kgl. Sächsi-
schen Kommission für Geschichte vor und sind für die Schul- und
Bildungsgeschichte des XVII. Jahrhunderts von hoher Bedeutung. Die
Schicksale dieses dicken Manuskripts (oder richtiger: dieser zwei
Manuskripte), die den Titel Acta Nicolaitana ?) und Thomana führen,
sind höchst sonderbar gewesen 1). Durch einen unerklärlichen Zufall
gelangten sie von dem Schularchiv auf das Alumnat der Thomas-
schule und wären in den Anfängen des XIX. Jahrhunderts, als gar
viele solche alte Aktenstücke als wertlos beseitigt wurden, mit zu-
grunde gegangen, wenn nicht die Pietät eines alten Alumnus, dem
das schön geschriebene Manuskript in die Hände fiel, davon eine
Abschrift genommen hätte 5). Der Rest, auf das traurigste zerfetzt und
voller Lücken, kam dann später in die Hände des Rektors Stallbaum,
der ihn binden und im Archiv der Thomasschule aufbewahren ließ.
Diese Acta sind eine der wichtigsten schulhistorischen Quellen,
die es auf mitteldeutschem Boden gibt, und wohl geeignet, bis in die
1) R. Needon, Die Lectionum praxis des Magisters Johannes Theile. (Beiheft
zur Zeitschr. für Gesch. der Erziehung und des Unterrichts. Berlin, Weidmann 1911.
110 Seiten.)
2) Acta Nicolaitana et Thomana. Aufzeichnungen von Jacob Thomasius wäh-
rend seines Rektorats an der Nikolai- und Thomasschule zu Leipzig (1670—1684).
Herausgeg. von Richard Sachse (Leipzig 1912).
3) Bereits von J. J. Reiske gerettet.
4) Vgl. Sachse a. a. O. S. XX.
5) Jetzt auf der Comeniusbibliothek in Leipzig.
— 285 —
engsten Falten des Betriebes hineinschauen zu lassen. Trotzdem ist die
Lektüre des dickleibigen Bandes nicht immer kurzweilig; es kommen zu
viel Alltäglichkeiten und vor allem Quisquilien des Alumnatslebens vor,
die in ihrer eintönigen Wiederholung ermüden, und bieten darum nur
lokalhistorisches Interesse. Auch die Schulgeschichte findet hier nicht
überall soviel Förderndes, wie man zu erwarten geneigt war.
Doch gibt es in dem Buche auch Partien, die von nun an jeden
Bildungshistoriker unseres Beobachtungsfeldes interessieren müssen:
es sind nämlich eine ganze Anzahl prinzipieller Erörterungen dem
Gange des Alltags eingefügt, meist Gutachten an E. E. Rat, die päda-
gogisch und bildungsgeschichtlich bedeutsam sind. Sie zeigen uns
den vielgenannten Thomasrektor als pädagogischen Reformator und
Organisator und führen uns seine dahinzielenden Vorschläge aus-
führlich vor.
Für jede der beiden, ihm hintereinander unterstellt gewesenen
Schulen ist es je ein Hauptentwurf !), und beide beziehen sich auf die
Neuorganisation des Unterrichts im Lateinischen und Griechischen,
Ganz genau dem entsprechend, was oben (S. 269) ausgeführt worden
ist, handelt es sich in beiden Entwürfen nicht um das Was?, sondern
um das Wie?. Hierbei entpuppt sich der vielgerühmte Humanist (den
man übrigens nicht mit seinem Sohne, dem vielgenannten Vorkämpfer
für die deutsche Sprache, Christian Thomasius, verwechseln darf) zu
unserem großen Erstaunen als ein ganz überzeugter Anhänger des
Nützlichkeitsprinzips; denn auch ihm schien die Erlernung der klassi-
schen Sprachen nur dann etwas wert, wenn sich daraus ein unmittel-
barer Vorteil für das Leben ergab. Dieser Gedanke hatte sich übrigens
damals durchaus auch der Schulmänner bemächtigt, nur hatte man
gemeint, daß wenigstens die hervorragendsten unter ihnen von ihm sich
innerlich frei gehalten hätten eine optimistische Auffassung, die sich
nun also als irrtümlich erweist. In Verfolgung dieser Gedankenreihe
hatte sich aber in Schulkreisen nach und nach auch der andere Ge-
danke festgesetzt, daß man zu diesem Zwecke mit den eigentlich
klassischen und antiken Autoren nichts Rechtes mehr anfangen könne:
denn sie seien nicht geeignet, Männer zu erziehen, die in glattem
Latein mit den Waffen der formalen Logik und Dialektik für den
Glauben, oder richtiger gesagt: für das protestantisch-lutherische Be-
kenntnis einzutreten vermöchten. Das, was die klugen Niederländer und
ihr Hauptnachfahre, Johannes Sturm, einst gemeint hatten, daß man
1) Für die Nikolaischule vom 22. V. 1671, für die Thomasschule vom 28. VII. 1676.
21°
— 286 —
Ciceros Briefe an seine Freunde lesen müsse, um richtig in den modus
epistolaris einzudringen, und daß man an Terenzens Komödien die
urbanen Umgangsformen der lateinischen Gelehrtensprache zu erlernen
habe, — dieser Gedanke verflüchtigte sich immer mehr. Wie man schon
im Jahrhundert vorher an Stelle des Cato und Publilius die Ge-
sprächbücher der Humanisten gesetzt hatte, so bildete man jetzt den
Gedanken folgerichtig weiter und setzte überall, auch in dem Unter-
richt der Fortgeschritteneren, in der Lektüre Neulateiner, ja, hier
und da neben dem Neuen Testamente auch „Neugriechen‘“ ein, wenn
man den Ausdruck in diesem Sinne anwenden darf. Damit ging der
stolze Humanismus endgültig zur Schultür hinaus, — es war ein Glück,
daß er noch auf den Hochschulen erhalten blieb, von denen er dann
langsam im XVII. und XIX. Jahrhundert das im Gymnasium verlorene
Gelände wiedergewann. Damals aber, in diesem Tiefpunkte unseres
mitteldeutschen, protestantischen Gelehrtenschulwesens, ließ man von
alten Schriften lediglich das Neue Testament gelten, dessen Ein-
prägung das A und O des Unterrichts wurde. Erst wurde es (in den
Elementarklassen) deutsch, dann in den Mittelklassen (wenn auch
seltener) lateinisch, schließlich in den Oberklassen griechisch vor-
genommen, denn dies entsprach dem stark kirchlich gefärbten Unter-
richte der damaligen Zeit. Und dementsprechend stellt sich der Kanon
der Lektüre dar, wie er in des Thomasius Berichten und Vorschlägen
uns entgegentritt. An die Stelle des echten Terenz trat der Terentius
christianus des niederländischen Rektors Cornelius Schonaeus !) oder
die colloquia COorderii, Vergils Aeneis wurde durch die hymni sacri
oder das Psalterium des Johannes Buchanan, eines englischen Poeten,
ersetzt ?), das vielgelesene Buch yọvoč Erın des Pythagoras verschwand,
und an seine Stelle traten Jacob? Posselii carmina evangelica ®), für
Ciceros Reden nahm man die des Muretus oder anderer Hochhuma-
nisten, und für die Briefe des Cicero wurde sogar die Briefsammlung
des Paulus Manutius vorgeschlagen. Bei einer Durchmusterung des
zweiten Bandes der nützlichen Vormbaumschen Sammlung von Schul-
ordnungen ließe sich die Reihe der für die Alten eingesetzten Surro-
gate leicht vermehren. Denn Thomasius war nicht der einzige Rektor
und Leipzig nicht der einzige Ort, welcher die Verdrängung der
Antike auf dem Gewissen hatte; anderwärts war es geradeso: der-
selbe Prozeß vollzog sich sogar, wenngleich in abgeschwächter Form,
1) Goedeke, Grundriß d. deutschen Dichtung 11°, S. 143. 373.
2) Vgl. O. Kämmel, Leipziger Schulwesen, S. 257 f.
3) Ebenda, S. 130 f.
=, gar, =
auch auf den Fürstenschulen, die man sonst gern als die letzten
Schutzstätten des Humanismus hinstellt, und vermochte sich dort
einige wenige Jahre zu halten 1).
Wenn wir von unserem heutigen Standpunkte aus diese Ersetzung
der Antike durch moderne Hilfsmittel betrachten, so erscheint dies
natürlich als die reine Barbarei. Lassen wir aber einmal den Grund-
gedanken der ganzen Bewegung gelten, daß nämlich aller Unterricht
und somit auch alle Unterrichtsmittel nur dann zweckmäßig und brauch-
bar sind, wenn sie ganz direkt auf das unmittelbar Nützliche und
Brauchbare losstürmen, dann haben wir eine durch die Jahrhunderte
sich hindurchziehende, ganz folgerichtige Entwicklung. Der Humanis-
mus beseitigte zunächst die alten Grammatiken, vor allem den Donat:
dann kam die nächste Stufe und schaffte die Lehrbücher für die
Kleinen, den Äsop, Cato und Publilius ab, und die neue Zeit schloß
den Reigen und beseitigte die antike Lektüre auch für die Vor-
geschritteneren.
Wer nun über eine abgetane Kulturepoche nicht nur aburteilen,
sondern sie auch verstehen lernen will, der darf und wird die Mühe
nicht scheuen, dic oben genannten Bücher, die als Ersatzmittel für
die Antike dienen sollten, selbst einmal zu prüfen. Man wird dann
— immer die erste Prämisse (den Gesichtspunkt des unmittelbar Nütz-
lichen) zugegeben — gestehen müssen, daß unsere alten Kollegen
recht geschickt gewählt haben. Denn Posselius ahmt den homeri-
schen Stil auf das glücklichste nach, das Psalterium Buchanans, das
den Vergil ersetzen sollte, steht hinter seinem Vorbilde, dem Pru-
dentius, kaum zurück, die Stücke des Schonaeus sind amüsant
und, wenngleich ohne „ärgerliche Liebessachen “, ganz terenzisch,
der Fluß der Sprache des Mathurinus Corderius ist wohlbekannt
und über die sprachliche Gewandtheit von Manutius und Muretus
und die Anmut ihrer Darstellung ist kein Wort zu verlieren. Sie sind
so leicht und glatt lesbar, daß es eine wahre Lust ist, sie zu lesen:
mühelos schmiegt sich der elegante Vers an den ansprechenden In-
halt, mit spielender Leichtigkeit werden alle die Anforderungen er-
füllt, die man damals (in heute völlig unerreichbarer Höhe) an die
Erzeugnisse der lateinischen Prosa und Poesie stellte. Denn trotz
des groben Papiers und des schlechten Druckes blieb auch im
XVII. Jahrhundert das neulateinische Schalbuch ein feines Erzeugnis:
es war immer noch der Niederschlag des Hochhumanismus mit seiner
1) Flathe, St. Afra, S. 203—233, wo auch das Verhältnis dieser Schulen zu
den Methodikern im allgemeinen erörtert wird.
— 288 —
glänzenden, in allen Farben funkelnden neulateinischen und -griechi-
schen Schriftstellerei, formell auf einer glänzenden Höhe stehend, aber
heute doch so gut wie vergessen, denn die unerbittliche Wahrhaftig-
keit der Forschung hat klargelegt, daß der Kern der äußeren Schale
nicht entsprach. Die nähere Betrachtung zeigte nämlich bald, daß
es neben dem hohen Ruhm auch tiefen Schatten gab. Denn so
kristallklar der Stil der damaligen neulateinischen Prosa sich darstellt,
so formgerecht und so spielend leicht diese Poesie fließt, beide Er-
zeugnisse sind schließlich doch nur formale Schöpfungen, Echoklänge
ohne wirklichen Inhalt. Der antike Flitter ist alles: nimmt man ihn
hinweg, so bleibt wenig genug übrig. Hatte der Späthumanismus
schon auf den Kultus der Form losgesteuert, so ist in den Reform-
vorschlägen des Thomasius der Höhepunkt (oder wenn man will:
Tiefpunkt) der Bewegung erreicht. Soweit war man schließlich mit
dem Betonen der „Methode“ auch in praktischen Schulkreisen ge-
kommen, daß der ursprüngliche Inhalt des altklassischen Unterrichts
sich vollständig verflüchtigt hatte.
Diese Überkultivierung der Form, zumal einer fremden, die nicht
auf vaterländischem Boden erwachsen war, forderte förmlich zum
Rückschlag heraus.
Vorboten davon hatten sich schon seit längerer Zeit bemerkbar
gemacht. Es regte sich der Widerstand gegen die Alleinherrschaft
der lateinischen Sprache und wenigstens in der schönen Literatur
streifte man das Internationale zugunsten des Nationalen immer mehr
ab. Die Gelehrtensprache blieb freilich noch lange lateinisch; erst
das XIX. Jahrhundert schuf hier der deutschen Sprache den ihr ge-
bührenden Platz der Alleinherrschaft.e. Und dies wirkte natürlich auf
das Unterrichtswesen, auch im Betriebe der klassischen Sprachen,
zurück; man besann sich allmählich auch in Schulkreisen wieder darauf,
daß die Antike doch einen gewaltigen Inhalt gehabt habe, und sah
es mit Schrecken, daß er in der Zeit des XVII. Jahrhunderts in großer
Gefahr gewesen war, abermals, und zwar diesmal rettungslos, zu ver-
schwinden. |
Für den ersten Punkt genügt ein Hinweis auf Martin Opitz,
den deutschesten Dichter der Zeit, und doch so vollgesogen von an-
tiker Kunst, wie vielleicht nur noch sein Vorbild Horaz von griechischer
Lyrik. Den Beweis dafür kefert die Trillersche Ausgabe seiner Ge-
dichte !), die die Nachklänge aus der Antike in geradezu staunen-
erregender Anzahl belegt. |
1) Vgl. Goedeke, Grundriß II”, S. 50.
Für den zweiten Punkt aber gewann die deutsche Schule und
damit die deutsche Bildung ihre beste Hilfe von anderer Seite, von
den Franzosen. Dort entdeckte man im XVII. Jahrhundert das
augusteische Zeitalter wieder, und dessen große Gestalten und ge-
waltige Ereignisse gewannen vor allem durch Corneilles Dramen neues
Leben (Britannicus, Cinna). Dieses wichtige und unleugbare Verdienst
der Franzosen und der Anfangsjahre Ludwigs XIV. ist bei uns viel-
fach verkannt und mit Unrecht in den Hintergrund geschoben worden,
als man im XVII. Jahrhundert sich gegen das Franzosentum und
seine Kunst auflehnte. Denn die Franzosen sind es gewesen, die nach
der Epoche der Nützlichkeit zuerst die antiken Bücher wieder in die
Schule zurückführten und damit die Kenntnis der Antike wieder er-
weiterten. Darin freilich lag das Mißliche, daß sie die Antike zu sehr
im neufranzösischen Sinne auffaßten, zur Darstellung brachten und der
Welt einprägten. Dadurch kam es, daß nach einer langen Periode
der Bewunderung schließlich in Deutschland und zwar in Mitteldeutsch-
land zuerst und am nachhaltigsten das nationale Bewußtsein sich durch-
setzte und das, was anfangs ein kostbares Gut gewesen war, beiseite
schob, um dafür eigenes zu bieten. Man hat sich gewöhnt, dies
Endergebnis lange Zeit als eine ausgleichende Gerechtigkeit anzu-
sehen, und es ist ein Gemeingut aller Literatur- und Bildungs-
geschichten, diese „Befreiung vom französischen Kulturstande der
Unnatur“ hochzupreisen. Das ist nur teilweise richtig: bei gerechter
Beurteilung der Vorgänge dürfen wir nicht nur das Ende dieses Pro-
zesses ins Auge fassen, sondern auch den Anfang der ganzen Be-
wegung, einer Bewegung, die vielen trefflichen Deutschen, auch im
Schulfache, als der Beginn einer neueren und besseren Zeit erschienen
war. Und da werden wir doch zugeben müssen, daß man sich in
Frankreich früher als bei uns vom bloßen Nützlichkeitsprinzip los-
machte und überall, wo es auf Bildung ankam, also auch in der
Schule, nach höheren, reineren und geistigeren Sphären strebte. Dann
kam, daran sich anschließend, die Verschwisterung der französischen
und der sich nach und nach ihr zuneigenden deutschen Geschmacks-
bildung (so in der Rhetorik und Poetik die Arbeiten von Batteux
und die vielgebrauchten Bücher Gottscheds) und an diese schloß
sich dann erst die Abwendung vom Franzosentum und der neue Auf-
schwung an, der zu der Aufklärung hinüberführt, — ein Aufschwung,
der in der Schule erziehlich sich im Philanthropismus und unterricht-
lich in einer Abstreifung des stark religiös gerichteten Unterrichts und in
einer Betonung der reinen Antike und des formalen Denkens zeigte. —
— 290 —
Fassen wir kurz zusammen, so ergibt sich für die Bildungs-
geschichte des XVII. Jahrhunderts in Mitteldeutschland, soweit sie sich
im Leben und Wandel des Gelehrtenschulwesens widerspiegelt, eine
vierfache Teilung und Gruppierung, unter dem Leitstern der Nützlichkeit:
I) Die Zeit der Erstarrung und fast völligen Bewegungslosig-
keit. Doch regen sich im stillen neue Kräfte: das sehen wir in der
Verschwisterung des formalen Prinzips mit den erwachenden nationalen
Tendenzen (Übersetzungsliteratur).
2) Die Zeit der theoretischen Methodik, die trotz starker
Selbstüberschätzung nur Theoreme zeitigt, die aber kaum von wirk-
lich nennenswerten praktischen Ergebnissen begleitet sind.
3) Die Zeit der praktischen Methodik, die, mit Anwen-
dung der Theorie und des Nützlichkeitsprinzips, schließlich den Kern
des vorhergehenden XVI. Jahrhunderts ganz verflüchtigt: sie führt
schließlich zu einem Tiefpunkte, an dem die Gelehrtenschule völlig
zu versagen scheint.
4) Die langsame Hinüberneigung zur französischen
Klassizistik, die wiederum hinaufführt zu neuen Bildungsidealen
(Aufklärung, Philanthropismus) und mit der die tiefe Bildungs- und
Schulungsebbe des XVII. Jahrhunderts endgültig überwunden ist.
Zur Beurteilung Kaiser Heinrichs VI.
Von
Heinrich Stindt (Gotha)
Keiner unserer großen Kaiser hat eine ungerechtere und unwür-
digere Behandlung erfahren als Heinrich VI., gerade jener Herrscher,
unter dessen siebenjähriger Regierung (1190—1197) Deutschlands Ruhm
so hoch emporgestiegen ist, wie nie zuvor und nachher im Mittelalter.
Die romantische Darstellung von Richard Löwenherz’ Gefangenschaft,
die übertriebenen Berichte von Heinrichs strengem Strafgericht über
die rebellischen Barone Siziliens waren von so nachhaltigem Eindruck,
daß selbst die Historiker unserer Zeit nicht völlig ein Vorurteil zer-
streuen wollen, welches eine gerechte Auffassung von Heinrichs Per-
sönlichkeit verhindert. In der allgemeinen Anschauung ist Heinrich VI.
noch heute der gewissenlose Fürst, der einem heimkehrenden Kreuz-
fahrer riesiges Lösegeld abpreßte, der finstere Tyrann, der Verschwö-
rungen gegen die deutsche Herrschaft auf Sizilien in entsetzlichen
— 291 —
Greueln erstickte. „Eine großartige Herrschergestalt ist in der Er-
innerung des eigenen Volkes zur gewöhnlichen Tyrannenfigur er-
niedrigt“‘, so klagt bereits vor mehr als sechs Jahrzehnten Abel in
seinem lichtvollen Werke König Philipp der Hohenstaufe (Berlin 1852).
Ist es nicht beschämend, daß dem jetzigen Stande unserer Kenntnis
zum Hohne das Andenken eines Kaisers, auf den stolz zu sein wir
allen Grund hätten, noch so beschmutzt erscheint wie vor 62 Jahren?
Abel erklärte damals, der Geschichtschreiber Heinrichs VI. habe ein
altes Unrecht gutzumachen. Sein Mahnruf hat wenig geändert. Nach
ihm überboten sich Gregorovius!) und Graf Schack?) an Ent-
rüstung, darin kaum hinter Döllinger?°) zurückbleibend, für den
Heinrich VI. ein Schandfleck in der Reihe der deutschen Könige ist.
Winkelmann) setzte den üblich gewordenen und mit Leidenschaft-
lichkeit wiederholten Verleumdungen den Vorwurf der Unfähigkeit
hinzu. Außer den Mitteln der Gemeinheit, Treulosigkeit, Hinterlist,
Habsucht, Geldgier und Grausamkeit hätten lediglich Glücksfälle den
Kaiser emporgehoben. Dieser gehässigen Verkennung trat Maire in
einer glänzenden Würdigung Kaiser Heinrichs VI. (Programm, Berlin
1903) entgegen. Es ist charakteristisch, daß er einleitend feststellen
muß, das abfällige Urteil über Heinrich VI. habe bis in die neueste
Zeit die Oberhand behalten. Und doch hat gleichzeitig mit Winkel-
mann, im Jahre 1867, Toeche in den Jahrbüchern der deutschen Ge-
schichte die Darstellung der Geschichte Heinrichs VI. gegeben, die
den gesamten großen Stoff sammelt und sichtet. Bloch 5), Kindt®),
Caro”), Kneller®) S. J. und andere haben Toeches großen Ent-
wurf, den die Bewunderung Heinrichs krönt, in Einzelheiten ergänzt
und, wo es nötig war, verändert, verbessert. Die neuen Werke über
die Hohenstaufen haben davon Nutzen gezogen. Jastrow und
Winter®), Gerdes 1), Hampe 1!) skizzierten nach dem neuen Mo-
1) Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter (zuerst Stuttgart 1859 fl.).
2) Geschichte der Normanmen in Sizilien (Stuttgart 1889).
3) Lehrbuch der Kirchengeschichte, Bd. II (Regensburg 1843).
4) In der Historischen Zeitschrift Bd. ı8 (1867).
5) Forschungen zur Politik Heinrichs VI. in den Jahren 1191—1194 (Berlin 1892).
6) Gründe der Gefangenschaft Richards I. von England (Diss. Halle 1892).
7) Die Beziehungen Heinrichs VI. zur römischen Kurie (Diss. Rostöck 1902),
8) Des Richard Löwenhers deutsche. Gefangenschaft, Ergänzungsheft 59 zu den
Shenmen von Maria-Laach (Freiburg i. B. 1893).
9) Bd. Y der Bibliothek deutscher Geschichte (1901).
10) Bd. III seiner Geschichte des deutschen Volkes (1908).
11) Deutsche Kaisergeschichte im Zeitalter der Salier und Staufer (Leipzig 1909).
— 292 —
dell, hier und da verfeinernd. Sie hielten sich frei von den ärgsten
Verzerrungen der früheren Vorlagen, die ein ungerechtfertigter Zorn
geschaffen, der sich an verstiegenen Phrasen alter Chronisten entzündet
hatte. Wie kommt es, daß trotz alledem der blinde Eifer den Vor-
rang behauptet vor einer sich allmählich besinnenden Forschung >?
Hauptursache dafür dürfte sein, daß er besonders in den Hand- und
Lehrbüchern fortwütet, die um Aufschluß mehr befragt zu werden
pflegen als Gesamtwerke und Sonderliteratur. Aber auch diese selbst
ist in der Beurteilung noch zu widerspruchsvoll, als daß sie, trotz
ihrer Läuterung von vielen Verleumdungen, den Namen Heinrichs VI.
von jedem Makel befreien könnte. Außer Hampe beschuldigen alle
Darsteller, selbst Maire, Heinrich der Treulosigkeit; Hampe hin-
wiederum nennt Heinrichs Haltung gegenüber Richard Löwenherz un-
ritterlich und unvornehm. Toeche hält Heinrich für mitschuldig, am
Morde des antikaiserlichen Lütticher Gegenbischofs Albert von Bra-
bant und damit für fähig des Meineides, da der Kaiser sich durch
Eid von dem schweren Verdacht gereinigt habe. Solange solche
Auffassungen lebensfähig sind, kann die größte Begeisterung für Hein-
richs Weltmachtstellung seiner Persönlichkeit keine Sympathien er-
ringen; bestätigen sie doch teilweise die wilden Gerüchte, die über
den Kaiser in Umlauf blieben. Heinrichs Charakterbild muß miß-
fallen, wenn sich nicht die noch erhobenen Vorwürfe widerlegen lassen.
Daß sie hinfällig sind, versuchen folgende Erörterungen darzutun.
An den hartnäckigsten Vorwurf, den der Treulosigkeit, hat
bereits Hampe die Axt gelegt. Da er aus den Vorgängen vor
Heinrichs Kaiserkrönung emporgeschossen ist, kann ihn nur deren
Klarstellung vollends entwurzeln. Es handelt sich um die Preisgabe
Tusculums. Heinrich soll die kaisertreue Stadt, die er erst durch eine
Besatzung geschützt hätte, dem Hasse der Römer ausgeliefert haben,
um deren Vermittlung beim Papste zu gewinnen. In Wahrheit hat
der Papst Tusculum in die Gewalt der Römer gegeben. Er war dazu
‚verpflichtet durch einen Vertrag von 1188, der den Päpsten das ihnen
seit 1182 verschlossene Rom wieder öffnete. Aus jahrzehntelangem
Haß gegen Tusculum hatten die Römer die ihrer Republik nicht will-
fährige Stadt, deretwegen sie 1167 so furchtbar gegen Erzbischof
Christian von Mainz unterlegen waren, als Preis für die Rückkehr der
Päpste ausbedungen. Sie erneuerten seit 1190 die Angriffe gegen
Tusculum; denn die Bedingung war noch nicht erfüllt, obwohl
Clemens Ill. als erster Papst wieder zu Rom residierte. Mit ihm hatte
sich Heinrich VI. im Vertrage von 1189 über die Kaiserkrönung ge-
— 293 —
einigt und die Restitution Tusculums und anderer Gebiete dem Kir-
chenstaate zugestanden. Als er sich Rom näherte, starb Clemens,
und der neue Papst, Cölestin III., mißtrauisch gegen den Staufer, der
mit dem kaiserlichen Diadem die Krone Ncapels und Siziliens, das
Juwel des politischen Papsttums, sich sichern wollte, verzögerte die
Krönung. Die Römer drängten ihn aber jetzt zur Entscheidung über
Tusculum, und diese hing ab von Heinrichs Vertragstreue ihm gegen-
über. Mußte dem deutschen König diese nicht wichtiger sein, als
die Unterstützung einer Stadt, von deren Kaisertreue, ohne daß Proben
bekannt wären, übertrieben viel Aufhebens gemacht wird? Dort ge-
bot die Pflicht mit den wichtigsten politischen Interessen, hier im
besten Falle eine Art Tradition, der Heinrich anscheinend gefolgt
war, als er dem bedrängten Tusculum eine kleine Besatzung gegeben
hatte. Die Verhältnisse waren aber anders als in den Jahren 1167,
1183 und 1184, als die Beschirmung der sich im eigenen Interesse
an die Deutschen anlehnenden Stadt der politischen Lage nicht
widersprach. Im Jahre 1191 hätte Heinrich sich Papst und Rom zu
Feinden gemacht mit dem Schutze ihrer Gegnerin. Sollte er darum
die Kaiserkrone opfern, die er unbedingt vor dem Kriegszuge nach
Unteritalien gewinnen mußte? Hob sie ihn doch über die vom Reiche
stets angefochtene Lehnsherrlichkeit hinweg, welche für jene Gebiete
die Kirche an sich gerissen hatte. Unmöglich durfte er sich daher
in diesem Augenblicke zum Schiedsrichter einer Fehde machen, die
nach Erfüllung seines zwei Jahre vorher verbrieften Versprechens voll-
'ends zur Angelegenheit des Papstes geworden war. Mit der Rettung
Tusculums hätte er den Papst wortbrüchig und romflüchtig gemacht.
Es ist deshalb äußerst unwahrscheinlich, daß die nach Tusculum ge-
legte Besatzung eine Parteinahme bedeutete. Sie sollte wohl mehr
das Vertragsobjekt für die bevorstehende Übergabe sicherstellen, als
die Tuskulaner schützen. Und war sie wirklich für diese bestimmt,
so bleibt immer noch fraglich, ob Heinrich zur Zeit der Zusage von
dem Vertrage gewußt hat, worin der Papst den Römern die Ausliefe-
rung der verhaßten Nachbarstadt verbürgte.e Mag ihm unter dieser
Voraussetzung die Zurückziehung der Besatzung einige Überwindung
gekostet haben, einen Treubruch stellt sie auf keinen Fall dar. Die
Ursperger Chronik spricht von unauslöschlicher Schmach, die Heinrich
durch diese Tat auf die Ehre des deutschen Namens geladen habe.
Diese Maßlosigkeit wurde zum Verhängnis für die Charakteristik Hein-
richs. Sie entstellt alle Berichte. Winkelmann reißt sie zu der
ungeheuerlichen Wendung hin: „Dem Deutschen steigt das Blut in
— 294 —
die Wangen und es ballt sich seine Faust, wenn er hören muß, daß
sein König um das Verderben Tusculums seine eigene Erhöhung er-
kaufte. Heinrich hat sich durch diese Gemeinheit erniedrigt.“ Selbst
Maire teilt den Irrtum, der Heinrich Mitschuld gibt an den Greueln
der Römer, unter denen sie Tusculum vernichteten. Er verläßt sich
auf Toeche, indem er sagt: „Der Treubruch an den Tuskulanern ist
das Häßlichste, das noch heute Heinrichs Andenken besudelt.“ An-
gesichts des Tatbestandes ist vielmehr der Fall Tusculums das Häß-
lichste, was eine voreingenommene Kritik gezeitigt hat: das Mitgefühl
mit einer unglücklichen italienischen Stadt scheint ihr wichtiger zu
sein als die Ehre eines deutschen Kaisers. ‚Was war ihm Tusculum?“
fragt Hampe mit Recht, und das erlösende Zeichen, diesen Schatten
vom Bilde Heinrichs VI. zu tilgen, geben seine Worte: „Es wäre
endlich an der Zeit, daß die sentimentale Auffassung dieses Aktes,
die sich, von ungenügend eingeweihten zeitgenössischen Chronisten aus-
gehend, bis in die neuesten Darstellungen hinein findet, schwände.“
Schwinden muß auch der von Hampe selbst noch gegen Heinrich VI.
festgehaltene Vorwurf der Unvornehmheit und Unritterlichkeit,
sobald die weitverzweigten Verwicklungen berücksichtigt werden, die
Heinrichs Haltung gegen Richard Löwenherz beeinflußt haben. Sie
beginnen bereits mit der vertragswidrigen Rückkehr Heinrichs des
Löwen nach Deutschland im Herbst 1189. Die hieraus entstandenen
Wirren waren doppelt schädlich, da sie Heinrich beschäftigten, als
ihm nach dem Tode des letzten Normannenkönigs Wilhelm II. von
Neapel und Sizilien das Erbe seiner Gemahlin Konstanze von Tankred,
einem illegitimen Sprossen der Dynastie Hauteville, entrissen wurde.
Richard Löwenherz hatte sie hervorgerufen, indem er seinen Schwager,
den alten Löwen, aufreizte, die verlorene Macht wieder zu erkämpfen.
Auf Sizilien, wo er die Fahrt nach dem Heiligen Lande unterbrach,
trat Richards Gegnerschaft zu Heinrich VI. dann offen hervor. Er
erkannte in dem Normannenreiche Tankred an, erpreßte von ihm zu-
gunsten seiner Schwester, der Witwe Wilhelms II., beinahe fünf Millionen
Mark !) aus dem von Heinrich ererbten Normannenschatz und versprach
Beistand in dem voraussichtlichen Kampfe gegen den Kaiser. Sein
ungewöhnlich langer Aufenthalt auf Sizilien, vom 23. September 1190
bis 10. April 1191, den er bis zum August verlängern wollte, erklärt
sich lediglich damit, daß er auf Heinrichs Ankunft wartete, um ihn
zurückzuwerfen oder zu vernichten. Heinrich dem Löwen und Tankred
1) Siehe Prutz: Staatengeschichte des Abendlandes im Mittelalter, Bd. I (1909).
— 295 —
wäre damit freie Bahn geschaffen worden. Richard diente also in
Wort und Tat den beiden gefährlichsten Gegnern des Kaisers, zugleich
hierin einer Politik folgend, die Sizilien der englischen Machtsphäre,
die ja ebenfalls normannischen Ursprungs war, erhalten wollte. Heinrich
wirklich anzugreifen, verhinderte ihn im letzten Augenblick das Murren
der enttäuschten Kreuzfahrer und der feste Entschluß des Königs
Philipp August von Frankreich, mit dem zusammen er ausgezogen
war zur Rückeroberung des Heiligen Landes. Als er von dort Ende
1192 zurückkehrte und in die Hände des Herzogs Leopold von Öster-
reich fiel, dessen Banner er auf die unverschämteste Weise vor Akkon
beschimpft hatte, forderte Heinrich VI. die Auslieferung des eng-
lischen Königs, den er mit vollem Recht als Kriegsgefangenen be-
trachtete.
Der Krieg um Sizilien war durch die Ermunterung und Förde-
sung Tankreds für den Kaiser verhängnisvoll geworden. Heinrich
hatte nach der Kaiserkrönung Neapel nicht erobern können. Sein
Heer erlag der Pest. Tankred konnte sich nach der Niederlage des
Kaisers gegen dessen Feldherren behaupten und infolge der Verlo-
bung seines Sohnes mit einer byzantinischen Kaisertochter Ostroms
Hilfe erwarten; die moralische Unterstützung des Papstes, der ihn
1192 feierlich mit Sizilien belehnte, war ihm sicher. Der andere
Schützling Richards, sein Schwager Heinrich der Löwe, hatte unter-
dessen das Schwert wieder erhoben. Sein Sohn, Heinrich von Braun-
schweig, der für den vor der Romfahrt zu Fulda geschlossenen Frieden
als Teilnehmer an dem Feldzuge gegen Tankred bürgen sollte, hatte
aus dem Mißgeschick des Kaisers Hoffnungen geschöpft, die ein
neuer Welfenkrieg alsbald verkündete. Er floh erst zu Tankred, dann
zum Papste und kam endlich nach Deutschland mit der Botschaft,
der Kaiser wäre gefallen. Die Lage des Kaisers war demnach äußerst
schwierig: Unteritalien vom Gegner besetzt, Norddeutschland vom
Welfenaufstand erschüttert. Um das Unglück zu besiegeln, vereinigte
eine Schreckenstat die übelgesinnten Fürsten zu einer Verschwörung
gegen Heinrich, die durch die verwandtschaftlichen Beziehungen ihrer
Teilnehmer und deren Interessengemeinschaft mit dem Schwiegersohn
Heinrichs des Löwen, dem König Knut von Dänemark, mit dem
König von England und mit dem Papste den Untergang des Kaisers
befürchten ließ.
Der von Heinrich abgelehnte, vom Papste bestätigte Lütticher
Bischof Albert von Brabant war zu Reims von Deutschen ermordet
worden. Die Untat gab das Signal zum Aufstand gegen den Kaiser.
— 29 —
Heinrich VI. hieß es jedoch verstummen, indem er Richard Löwen-
herz, das geheime Oberhaupt der Empörung, den Bundesgenossen
Tankreds, den Freund der Welfen, in Gewahrsam nahm. Angesichts
der politischen Konstellation, die der Gefangene teilweise mit ver-
schuldet hatte, die er — in Freiheit — zweifellos hätte verderblich
gestalten können, war die Maßregel ein Gebot der Notwendigkeit, um
nicht zu sagen, Pflicht des Staatsmannes, dessen oberstes Ziel die Be-
ruhigung seines Reiches sein mußte. Unberechtigt war sie in keiner
Hinsicht. Der Jesuit Kneller gibt dies zu, wenn er schreibt: „Hein-
rich durfte als Kaiser ein gewisses Recht beanspruchen, den Streit
eines Vasallen vor seinen Richterstuhl zu ziehen.“ Derselbe Dar-
steller, dem übrigens Richard näher steht als der Kaiser, widerlegt
auch die öfter wiederkehrende wehmütige Klage, Heinrich VI. habe
in dem englischen König den Kreuzfahrer mißachtet, mit dem Hin-
weis darauf, daß die Kreuzbullen von Eugen II., Alexander III.,
Gregor VIII, Klemens IlI., Innozenz Ill. nur Familie und Besitz der
Kreuzfahrer in kirchlichen Schutz nehmen und über die Vergewaltiger
ihrer Person gar nichts enthalten. Den Besitz Richards hat nun
in der Tat Heinrich VI. geschützt. Im Verlaufe der Haft stellte König
Philipp August von Frankreich zweimal den Antrag auf Auslieferung
Richards oder Verlängerung der Gefangenschaft. Wie fast alle Welt
gehörte er gleichfalls zu den von Richard Beleidigten. Als Herr von
Westfrankreich war Richard Vasall des französischen Königs, ein Ver-
hältnis, das er durch Stolz, Anmaßung und Willkür gegenüber dem
weniger begüterten Lehnsherrn untergrub. Persönliche Gegensätze
und sonstige Motive verschärften schon auf Sizilien die Beziehungen
der beiden Herrscher, bis sie in Palästina Philipps vorzeitige Heimkehr
vom Kreuzzuge veranlaßten. Seinem Hasse gegen den unbotmäßigen
Vasallen Genüge zu leisten, erlaubte ihm nun die Ohnmacht des
Gegners. Er belehnte dessen verräterischen Bruder Johann (ohne
Land) mit den französischen Lehen und wollte ihm auch zur engli-
schen Krone verhelfen. Diesem Zwecke dienten seine wiederholten
Unterhandlungen mit Heinrich VI. Der Kaiser vereitelte Philipps
Pläne und enthüllte sie sogar Richard. Unter ihrem Zwange fand sich
Richard bereit, im Juni 1193 die aufständischen Fürsten mit dem
Kaiser zu versöhnen und im Februar 1194 die von Heinrich geforderte
Lebenshuldigung zu leisten. Die eigenartige Entwicklung der Ver-
hältnisse rechtfertigt eine solche Diplomatie.
Noch triumphierte Tankred in Heinrichs süditalischem Erbreich,
noch waren die Welfen unbezwungen, noch ließen die Häupter der
— 297 —
Verschworenen, die Herzöge von Brabant und Limburg, Bruder und
Oheim des ermordeten Bischofs, nicht ab von Verdacht und Groll.
Der Kaiser war im Juni 1193 in einer ähnlich bedrohlichen, ja in einer
noch gefährlicheren Lage als sein Vater Friedrich I. 1187, da schließlich
ein Bündnis mit Frankreich den feindlichen Fürstenbund sprengte, der
sich auf Antrieb des Papstes Urban III. infolge des Trierer Bischofs-
streites gebildet hatte. Scheffer-Boichorst betonte dies schon
1868 1): „Die Pflicht der Selbsterhaltung treibt Heinrich VI., das
Bündnis Barbarossas zu erneuern. Richard hat dies verhütet, um nicht
der Preis des Bundes zu werden.“ Folgte Heinrich dem Beispiele
seines Vaters unter Umständen, die überdies im Zusammenhang stehen
mit den Konflikten der letzten Jahre Friedrichs I., so kann von un-
vornehmer Ausbeutung Richards nicht gesprochen werden. Richard
ist nicht das Opfer einer maßlosen, rücksichtslosen Politik geworden.
Er hat durch rücksichtslose Eingriffe in Heinrichs Rechte, durch Stö-
rung des Reichsfriedens, durch Geringschätzung des deutschen Namens
sein Schicksal selbst verschuldet. Um für alle Zukunft vor seiner
Willkür sicher zu sein, fügte ihn Heinrich dem Reiche ein. Ohne
_ kriegerische Verwicklung war damit die Universalmonarchie gefördert,
die auszubauen Friedrich I. seinem Sohn zur Aufgabe gemacht hatte,
als er ihn mit der Erbin des Normannenreiches vermählte. Im Inter-
esse des Friedens, den Heinrich zur Eroberung Siziliens dringend be-
nötigte, geschah der Akt, der zudem Richard vor dem Verluste seiner
Krone bewahrte. Abgesehen von seiner Wichtigkeit für Heinrichs
Weltherrschaft war er ein Schachzug gegen Frankreich. Heinrich
mußte, um mit Kindt?) zu sprechen, in den französisch - englischen
Wirren das Heft in der Hand behalten.
Philipps Ränke waren gescheitert. Daraus konnte ein Umschwung
in Frankreichs Stellung zum Reiche entstehen. Die romantische Ehe,
welche Agnes, die Base des Kaisers, heimlich mit dem jungen Welfen
geschlossen hatte, war ebenfalls dazu angetan; denn Philipps Werbung
um die staufische Pfalzgrafentochter kam dadurch zu spät. Heinrichs
Belehnungsplan entwertete alle künftigen Tücken Frankreichs. Er
war nach jeder Richtung hin damals ein Vorteil für Kaiser und Reich.
Richard widerstrebte, England als Lehen vom Kaiser zu nehmen, bis
Heinrich den französischen Anträgen Gehör zu geben schien. Wich-
tiger als das französische Geld war für Heinrich die Oberhoheit über
1) In den Forschungen zur deutschen Geschichte, Bd. 8.
2) Vgl. die oben S. 291, Anm. 6 angeführte Schrift, S. 29.
— 298 —
England, und darum war seine Entgegennahme von Frankreichs An-
geboten frei von Habsucht. Heinrich lag Richards Auslieferung an
Frankreich völlig fern. Erst als Richard auch die Vasallität für das
arelatische Reich nicht als Ersatz für die Unabhängigkeit genügen
wollte, stellte ihn Heinrich vor die Wahl, sein Vasall oder Philipps
Opfer zu werden. Richard rettete seine englische Krone als deut-
sches Lehen, und der Kaiser konnte Arelat behalten. Sein zäher
Wille, seine scharfsinnige Diplomatie hatten gesiegt. Dafür bekam
der ehemalige Gegner Freiheit, Thron und Land zurück und durch
den Schutz des Reiches das Übergewicht über seinen französischen
Widersacher. „Die Weltherrschaft war damals nur in Form der Le-
hensmonarchie möglich“, sagt Gerdes!), Mit Richards Belehnung
beschritt Heinrich diesen Weg, der ihm dazu Sicherheit verhieß für
den Erwerb Unteritaliens. Jede englische Einmischung, wie sie Richard
auf Sizilien, vor seiner Landung an der syrischen Küste auch auf
Zypern bekundet hatte, wo er den Herrscher, einen Verwandten
Heinrichs VI. und Leopolds, entthront und den seines Landes be-
raubten König Guido von Jerusalem eingesetzt hatte, war nunmehr
hintangehalten. Frankreich hatte Richards Rache zu fürchten. Die
Welfenheirat störte nur vermeintlich die kaiserlichen Kombinationen;
sic hatte vielmehr den Frieden mit dem alten Löwen im Gefolge.
Die Aussöhnung ist ein Zeugnis für des Kaisers Ritterlichkeit. Daß
diese mit Unrecht angefochten wird, läßt der Verlauf von Richards
Gefangenschaft im einzelnen erkennen.
In kaiserlicher Haft war Richard, seit 21. Dezember 1192 der
Gefangene Leopolds von Österreich, vom 23. März 1193 bis 4. Fe-
bruar 1194. Die ersten drei Wochen dieser zehn Monate wurde er
auf Trifels ehrenvoll bewacht. Vom 19. April 1193 ab war er der
königliche Gast am kaiserlichen Hofe. Ein Brief an seine Mutter
Eleonore zeugt dafür und für seine Verehrung und Dankbarkeit gegen
den Kaiser. Im Juni 1193 mag die Bewachung strengere Formen
angenommen haben, schimpflich und hart war sie nie. Die Dauer
der Gefangenhaltung bestimmte der langsame Eingang der Lösesumme,
für deren rasche Entrichtung in England der Opfersinn fehlte. Erst
Ende 1193 oder Anfang 1194 muß der größte Teil bezahlt worden
sein, sonst hätte Heinrich den Freilassungstermin nicht erst auf den
17. Januar 1194 festgesetzt. Infolge Richards Weigerung hinsichtlich
der Belehnung verzögerte sich die Freilassung noch um drei Wochen.
1) A. a. O., S. 238.
— 299 —
Nach Toeches eine Nachprüfung verdienenden Berechnungen stand
das Lösegeld um mehr als eine Million Mark Metallwert unter jener
Summe, die Richard Heinrichs sizilischen Schätzen entnommen hatte. Sie
beziffert sich auf etwa 3 650000 Mark 1). Kneller S. J. meint ganz richtig:
„Heinrich wollte das Geld nicht aus Habsucht.‘“ Nennt er dagegen
Richard geldgierig (‚Er saugte alles aus; kaum konnte ein vermöglicher
Mann zu seiner Erbschaft kommen“), so erhellt deutlich, daß die Löse-
summe nur der Ersatz war für die aus Heinrichs Erbschaft willkürlich
von Tankred erpreßten fünf Millionen. Zur Rüstung gegen Tankred be-
nötigte der Kaiser natürlich großer Mittel. Die ihm entrissenen wieder
zu erlangen, nutzte er billig die Gelegenheit. Er hat sie wahrgenommen,
aber nicht mißbraucht. Im Lichte der Tatsachen kann sich die rüh-
rende Sage nicht halten, nach welcher den im Burgverlies schmach-
tenden, mit Ketten beschwerten Helden sein treuer Minstrel Blondel
im Gesange ermittelt und ein ungeheures Lösegeld in der Heimat
sammelt, den ritterlichen König aus dem Kerker eines finsteren, hab-
gierigen Wüterichs zu befreien. Der holde Schimmer der Romantik
ist mit der Verleumdung eines hochsinnigen Kaisers zu teuer bezahlt,
Er mag im Brennpunkte der Ereignisse allmählich verblassen. In
ihm sammelte sich nicht der gewissenlose Drang eines herrschgierigen
Fürsten, sondern dort trafen zusammen die Wirkungen von Richards
Taten auf Sizilien, Zypern und im Morgenlande, seine Beziehungen
zu des Kaisers Feinden, die Kriegserklärung Frankreichs an den ge-
fangenen König mit Heinrichs Herrscherpflicht, die seine Ahnen,
vorweg sein Vater Friedrich Rotbart, die seine Zeit zur historischen
Notwendigkeit geformt hatten.
Die schwerste Beschuldigung Heinrichs, die des Mordes, hat
sich mehr und mehr verflüchtigt, doch nicht so ganz, als daß ihre
Zersetzung in diesen Ausführungen fehlen dürfte. In der Kirchen-
geschichte behauptet sie ihren Platz, und Glauben findet sie unschwer
dank den übrigen Anklagen, die gegen Heinrich geschleudert wurden.
Unbegreiflicherweise hat Toeche, der verdienstvolle Geschicht-
schreiber Heinrichs, daran festgehalten. Er, der am Schluß seines
großen Werkes Heinrichs Ernst, Bildung, Gerechtigkeit, Gottesfurcht
und Milde rühmt, hält ihn der Mitschuld an der Ermordung des
Lütticher Bischofs Albert von Brabant fähig und damit des Meineides;
1) Toeche a. a. O. S. 154 u. 284 Anm. 3. Wenn Lamprecht, Deutsche
Geschichte, 3. Bd.* (1895), S. 161, das Lösegeld auf 31 Mill. Mark unseres Geldes be-
rechnet, so will er nicht den Metallwert der 100 000 mittelalterlichen Mark angeben, son-
dern deren Verkehrswert (Kaufkraft) veranschaulichen.
22
— 300 —
denn der Kaiser und der von ihm gegen Albert investierte Bischof
Lothar von Hochstaden haben sich durch Eid von dem schweren
Verdachte befreit. Dieser Eid allein sollte Heinrich entlasten. Wer
ihn mißachtet, erklärt die kaiserliche Ehre für vogelfrei. Wen die
Achtung vor einem der größten deutschen Fürsten davon nicht ab-
hält, der prüfe wenigstens unbefangen die Umstände, unter denen das
Verbrechen begangen wurde. Graf Albert, der Bruder des Herzogs
Heinrich von Brabant und Neffe des Herzogs Heinrich von Limburg,
wurde von deutschen Rittern zu Reims erschlagen, wo er auf päpst-
lichen Befehl vom dortigen Erzbischof zum Bischof von Lüttich ge-
weiht worden war. Vorher hatte Heinrich VI. dem von ihm ernannten
Bischof Lothar mit Nachdruck zur Anerkennung in der umstrittenen
Diözese verholfen; sogar der Bruder des Gegenbischofs hatte dem
kaiserlichen Bischof den Lehenseid schwören müssen. Als Bischof
war somit Albert völlig machtlos und ungefährlich. Die an ihm be-
gangene Gewalttat konnte, das war vorauszusehen, nur seine zahlreichen
mächtigen Verwandten in Aufruhr versetzen und den Zorn der Kurie
erhöhen, den Heinrich bei den Bischofswahlen, die er wie sein Vater
entschied, und durch den Angriff gegen Sizilien auf sich gezogen
hatte. Die Beseitigung eines hohen Prälaten wäre nicht nur gegen
das Gewissen, sie wäre wider alle Vernunft gewesen. Die Folgen,
die 20 Jahre vorher König Heinrich II. von England für die unvor-
sichtig verschuldete Ermordung Thomas Beckets, des Erzbischofs von
Canterbury, zu tragen hatte, standen gewiß jedermann noch vor Augen.
Nur Heinrich, der mit allen Kräften nach der Beruhigung des Reiches
strebte, soll zur Gewalt entschlossen gewesen sein, um den Haß übel-
wollender Fürsten auf sich zu lenken: ein törichterer Verdacht ist
kaum denkbar. Gerdes !) weist ihn zurück, wenn er urteilt: „Bei un-
befangener Erwägung der Verhältnisse wird niemand den Kaiser als
Urheber des Mordes zeihen.“ Hampe nennt den Verdacht ungerecht-
fertigt. Gebhardts Handbuch der deutschen Geschichte (4. Aufl. 1909)
vermerkt dagegen: „Trotz des Reinigungseides, den er später schwur,
bleibt ein Verdacht auf ihm haften, er bestrafte die Mörder nur mit
Verbannung und belehnte sie später mit Grafschaften in Apulien.“
Demgegenüber sei angeführt, daß die Mörder sich der Todesstrafe jeden-
falls durch Flucht entzogen, daß aber ihre Belehnung in Uhnteritalien
dem größten Zweifel begegnen darf. Wo ist bewiesen, daß die in
den Briefen das Papstes Innozenz IlI. erwähnten Otto de Laviano und
ı) a. a. O., S. 225.
— 301 —
Otto de Barenste die deutschen Bischofsmörder sind? Nach Blochs
Forschungen, der wichtigsten Ergänzung von Toeches Werk, schweigen
die der Zeit und dem Ort am nächsten stehenden Schriftsteller, oder
sie berichten ausdrücklich von Gerüchten, die im Umlauf sind. ‚Der
Freund des Gemordeten, der Genosse seiner letzten Tage, weist darauf
hin, daß Albert von Brabant ein Opfer privater Rache Hugos von
Worms, eines lothringischen Reichsbeamten, gew:ı:rden sei.‘ Danach
hat die ruchlose Tat Privathaß begangen. Daß sie auf Geheiß oder
mit Wissen des Kaisers geschehen sei, ist abzulehnen, und dabei wäre
die Entrüstung berechtigter als jene, die so eifrig in Wiederholung
und Steigerung der Schmähungen gegen Heinrich schwelgt. Friedrichs I.
Sohn war weder mordbeladen noch meineidig. Der Mord war ein
fast vernichtender Schlag in die Kombinationen des Kaisers, und um
die unberechenbaren Wirkungen zu lähmen, hatte Heinrich die ernsten
und tiefen Gründe, welche sein Vorgehen gegen Richard Löwenherz
mitbestimmt.
Das Verbrechen wird wahrscheinlich nur deswegen in sein Schuld-
buch geschrieben, weil deutschfeindliche Chronisten und ihre unüber-
legten Nachschreiber ihm den Ruf eines gewissenlosen Tyrannen, dem
alles zuzutrauen sei, angedichtet haben.
Heinrichs Herrschaft in Sizilien ist vielen der dunkelste Abschnitt
seiner ereignisreichen Regierung. Er soll sie mit grausamer Härte
ausgeübt haben. Toeche gebührt das Verdienst, auch diese schwere
Anklage als gehässige Unrichtigkeit aufgedeckt zu haben. Er ent-
wirrte die diesbezüglichen Vorgänge. Ende 1194 kam der Kaiser in
den Besitz der sizilischen Krone, die seinem Gegner Tankred in jähem
Tode entsunken war, ehe die deutsche Heeresmacht nach dem Süden
aufbrechen konnte. Noch in demselben Jahre erhoben sich die An-
gehörigen Tankreds mit ihren Anhängern nach scheinbarer Unter-
werfung. Toeche hat nachgewiesen, daß Heinrich dieser Verschwörung
besonnen begegnete: er verbannte Tankreds Dynastie nach Deutsch-
land. Sein Bestreben war darauf gerichtet, die von alters her zu Re-
volutionen neigende Bevölkerung an die deutsche Führung durch
Milde zu gewöhnen. Drei Jahre später brach sich jedoch ein neuer,
höchst gefährlicher Aufruhr Bahn, dessen. Ziel die Ermordung des
Kaisers und aller auf der Insel weilenden Deutschen bildete. Diese
furchtbare Empörung schlug Heinrich VI. allerdings mit Strenge nieder.
Er verhängte über die mordentschlossenen Rebellen den Martertod.
Die Zeitgenossen rechtfertigten dies Verfahren, ja sie fanden es selbst-
verständlich. Toeche nimmt diese allgemeine Meinung zum Maßstabe
22*
— 302 —
für die Beurteilung einer Strafjustiz, gegen die später die wildesten
Verwünschungen laut wurden. Ihm gilt es für unzweifelhaft, daß
Heinrich das Reich dauernd nur unterwerfen konnte, wenn der Adel
unschädlich gemacht und das Volk in ohnmächtigen Schrecken gesetzt
wurde. „Heinrich wollte keine Schreckenshertschaft über Sizilien
heraufführen; dafür spricht, daß er sich nach der ersten Verschwörung
mit den notwendigsten Maßregeln begnügt hatte. Die Hinrichtung
der Empörer war unerläßlich. Jene Strafen waren gerechtfertigt, und
ihre Verschärfung gereichte dem Kaiser in den Augen der Zeitgenossen
nicht zur Unehre“, so faßt Toeche sein Urteil zusammen. Um zu
zeigen, daß selbst von Deutschen „mit völliger Unkenntnis und im
gröbsten Gegensatz zu den Zeugnissen der Zeitgenossen geurteilt wird“,
merkt er die Auffassung an, zu der sich Gregorovius bekennt:
„Die teuflische Hinterlist, mit welcher dieser habsüchtige und gewissen-
lose Fürst die letzten Nachkommen des Normannenhauses und des
normannischen Adels vertilgte, entrüstete Italien und die Welt.“ Nach
Hampe entsprach das Strafgericht Ort, Zeit und Furchtbarkeit des
Geplanten. Gerdes meint, die Insulaner waren an schlimmere Dinge
gewöhnt, und gibt zu bedenken, daß der Anschlag gegen Heinrichs
Leben gerichtet war. Maire entschuldigt die Strafen, da jene ge-
waltsame Zeit gewöhnt war, durch gewaltsame Mittel regiert zu werden.
„Sie waren die Volkssitte; nur durch dergleichen Schrecknisse war
die verwilderte Nation, deren Phantasie so beweglich war, zur Ruhe
und Ordnung zu fixieren‘, ruft Johannes von Müller aus, als er
im Hugo Falcandus die Geschichte der Adelskabalen unter Wilhelm I.
und II. gelesen hatte. Danach hat Heinrich VI. nicht eine sinnlose,
ihm eigene Grausamkeit offenbart, sondern Gericht geübt nach dem
Brauche der Normannen, Die Berichte darüber sind zweifellos über-
‚trieben. Rankes Weltgeschichte kennzeichnet sie so, und Toeche
nimmt an, daß, ähnlich wie unmittelbar nach der Gefangennahme des
Königs Löwenherz die verschiedensten Erzählungen über diese denk-
würdige Szene umgingen, so auch die Mitteilung einiger grausamer
Strafen genügte, um im Munde des Volkes und in den Aufzeichnungen
der Chronisten die Erzählungen nach Willkür zu vermehren, oder
von alters her bekannte Beispiele grausamer Strafen dem Kaiser zu-
zuschreiben. Eine gerechte Würdigung der einschlägigen Verhältnisse
muß den Makel der Grausamkeit von Heinrichs Andenken entfernen.
Tusculums Fall, Richards Haft, Alberts Ermordung, die sizilischen
Strafen belasten somit Heinrichs Charakter nicht. Diese Vorgänge
sind genügend aufgeklärt für den Beweis, daß nicht unedle Gesinnungen
— 303 —
und schimpfliche Handlungen Heinrichs VI. das Kaisertum zu der
stolzen Höhe führen ließen, die Mit- und Nachwelt bewundert. So
faßt auch Lamprecht, der sich von sittlichen Urteilen überhaupt
frei hält, die Dinge auf, obwohl er von seinem deutschen Standpunkte
aus das Fehlschlagen von Heinrichs Weltpolitik nicht bedauert. In
seiner knappen Erzählung !) berührt er Heinrichs Verhalten gegenüber
Tusculum, das nur in die italienische Politik gehört, überhaupt nicht;
Richards Gefangennahme und Freigabe gegen hohes Lösegeld würdigt
er als meisterhaften Schachzug des Kaisers im Kampfe gegen seine
Widersacher; die Schuld an der Ermordung des Lütticher Bischofs
lehnt er ab; lediglich hinsichtlich des Strafgerichts in Sizilien hält er
an der Überlieferung fest, ohne jedoch daraus irgendeinen Vorwurf
gegenüber dem Kaiser abzuleiten.
Die wahren Quellen von Heinrichs Erfolgen heißen Pflichtbewußtsein,
Umsicht, Ausdauer, Tatkraft. Einige Glücksfälle schmälern des Kaisers
Verdienste kaum. Die freiwillige Unterwerfung Heinrichs von Braun-
schweig nach seiner heimlichen Eheschließung mit der Nichte Bar-
barossas kam der gebieterischen Notwendigkeit zuvor. Der Welfen
Widerstandskraft war nahezu erschöpft gegen die Aufgebote des
Kaisers und der Sachsenfürsten. Die sehnlichst erhoffte Hilfe Däne-
marks ward versagt. Dem Eidam des alten Löwen muß ein Unter-
nehmen gegen den Kaiser zu gewagt erschienen sein. Jene Liebes-
heirat baute den Welfen die goldene Brücke zum Frieden, den der
Kaiser später doch erzwungen hätte. Ohne Richards Mißgeschick
hätte Heinrichs Scharfsinn der Fürstenverschwörung andere Minen ge-
legt. Wenn nicht, hätten die Waffen entscheiden müssen, die für
seinen ÄAlpenzug zu sammeln und zu schonen der Kaiser so gut ver-
stand. Tankreds Tod hat die Eroberung Siziliens begünstigt, aber
nicht entscheidend bedingt. Sie glückte nach fünfjährigem, wechsel-
vollem Kampfe. Heinrich leitete, nicht entmutigt durch die vor Neapel
erlittene Niederlage, von Deutschland aus, inmitten der großen Ver-
wicklungen, unbeirrt durch die für seine Eroberung nachteiligen Städte-
kriege in der Lombardei, rastlos und umsichtig die Vorbereitungen,
welche fraglos zum Siege führen mußten. Barbarossas Staatskunst
sah sich in dem unbeugsamen Willen des Sohnes belohnt, den nicht
maßlose Herrschsucht zum Handeln gedrängt hat, sondern das Ver-
mächtnis von Jahrhunderten. Als dessen Vollstrecker behauptete er
die ererbte und erkämpfte Normannenmacht. Sie gab ihm die An-
1) Deutsche Geschichte, 3. Bd., 2. Aufl. (1895), S. 159—164.
— 304 —
wartschaft auf die Mittelmeerländer. Von den Verhältnissen ermun-
tert, pflegte er die geschichtlichen Traditionen des reichen Erbes.
Ein Thronwechsel zu Byzanz und Streitigkeiten unter den Mauren-
fürsten schufen seinem Einfluß Raum in Spanien, Nordafrika und
Ostrom. Er, dem England, Armenien und Zypern gehuldigt hatten,
durfte den Anspruch auf Aragonien und Kastilien erheben, er konnte
Tribut entgegennehmen von Marokko, Tripolis und Byzanz. Das
römische Weltreich schien wieder hergestellt. Ein Kreuzzug mußte
die Vollendung bringen. Heinrich hatte ihn sorgfältigst erwogen.
Zur See sollten die Kräfte unverbraucht in den heiligen Krieg rücken
und nicht, wie früher, sich auf mübsamen Landwegen vorzeitig und
nutzlos aufreiben. Ihre Führung war einig und brauchte keinen Hader
im Heere zu befürchten. Sie gebot deutschen Waffen allein. So
mochte der Zweiunddreißigjährige hoffen, einen Bau zu festigen, den
Deutschlands Wehrkraft, Siziliens Flotte, Italiens Gold stützten. Um
die Erfüllung seiner Entwürfe betrog ihn ein plötzlicher, mutmaßlich
gewaltsamer Tod.
Heinrich VI. war nicht irregeleitet von einem Phantom. Was er
erstrebte, war das Ziel aller unserer mittelalterlichen Kaiser: die Uni-
versalmonarchie. Er inaugurierte keine neue Politik. Als Be-
herrscher des Normannenreiches konnte er die Idee des Imperiums
der Verwirklichung entgegenführen. Sie war zurückgedrängt worden
im Investiturstreite. Barbarossa gab ihr die Schwungkraft wieder, sein
Sohn erhob sie zur Tat. Heinrich VI. war der treue Hüter des ihm
von seinem Vater Überkommenen. Er wahrte die Königsrechte, die
ihm das Wormser Konkordat gelassen hatte, er sorgte für die Bei-
. legung der zahlreichen deutschen Fehden mit einem Erfolge, der für
seine Herrscherfähigkeit ebenso spricht wie für sein Ansehen. Er be-
hauptete mit zäher Unerschrockenheit sein südliches Reich, un-
bekümmert um den Widerspruch der Kurie, die das Gregorianische
System bedroht sah. Denn Unteritalien war seit Gregor VII. der
Rückhalt der Kirche. Ihren offenen und geheimen Widerstand gegen
den kühnen Staufer beschwichtigte der Kreuzzugsplan nur vorüber-
gehend. Die Spannung blieb und Cölestins III. Milde täuscht nicht
hinweg über die kaiserfeindliche Entschlossenheit der Kurie. Un-
gehemmt brach sie erst hervor, als Heinrich VI. geschieden war.
Innozenz lII., der Nachfolger Cölestins, vernichtete in Italien die
jüngsten Errungenschaften des Kaisers. In Deutschland, wo die zwie-
spältige Königswahl den Streit zwischen Staufern und Welfen wieder
entfachte, begünstigte er Otto von Braunschweig gegen Heinrichs VI.
— 305 —
Bruder Philipp. Die Ablehnung von Heinrichs weitschauendem Plan,
Deutschland zum Erbreich zu machen, rächte sich bald und bitter.
Ein zehnjähriger Thronkrieg riß nieder, was der Kaiser geschaffen
hatte, und aus den Trümmern seiner Machtfülle konnte das Papsttum
die Weltstellung wiedergewinnen, die es an Heinrich VI. verloren hatte.
Man hat diesen jähen Zusammenbruch Heinrichs angeblich maß-
loser Politik zugeschrieben. War seine Herrschaft nicht fest genug
für die Universalmonarchie? Deutschland erfreute sich seit 1194 des
Friedens. Die Fürsten vertrauten dem Kaiser. Sie wählten seinen
Sohn Friedrich zum deutschen Könige. Italien widerstrebte nicht.
Deutsche Statthalter schalteten in Ancona, Spoleto, in den Mathilde-
schen Ländern. Süditalien hatten die Normannen zum bestorgani-
sierten Staate ausgebaut. Heinrich verwaltete ihn weise, gedachte
aber kaum, wie es nachher sein Sohn Friedrich II. getan, Sizilien zum
Mittelpunkte der Regierung zu machen. „Ich darf mit meinen
Deutschen dort nicht bleiben“, sagte er vor der Besitzergreifung zu
den Genuesen. Ihm genügten die reichen Mittel des südlichen König-
reiches. Kern seiner Macht war ihm die deutsche Kraft. Wie hätte
ihr Ostrom widerstehen können, das wenige Jahre nach Heinrichs Tod
im vierten Kreuzzuge eine Beute der Venezianer und einiger Fran-
zosen wurde? Er hätte auch den dortigen Thron bestiegen, den
Islam zurückgeworfen, Jerusalem genommen, als politischer Oberherr
über die Reiche der Christenheit deren Huldigung genossen und das
Papsttum auf das geistliche Gebiet beschränkt. Er wurde abgerufen
von einem Lebenswerke, das in seinen Fundamenten gesichert war.
Diese wurden zerstört durch die deutsche Doppelwahl und durch Papst
Innozenz III. Dessenungeachtet wirkte fort, was Heinrich VI. ge-
schaffen hatte. Daß er, wie der Mönch Otto von St. Blasien ihm
nachruft, „das Volk der Deutschen groß und gefürchtet gemacht hat
bei allen Völkern ringsum‘, bleibt sein unvergängliches Verdienst.
Denn, wenn an den Großtaten der Ottonen, Salier und Staufer sich
in Deutschlands trübsten Zeiten die Sehnsucht nach des Reiches
Herrlichkeit zum unbesieglichen Einheitsgedanken emporrichtete, dann
hat Kaiser Heinrich VI. dem Traume von Kaiser und Reich die
stolzesten und belebendsten Erinnerungen hinterlassen. Wir danken
es ihm, indem wir sein Andenken schützen und in ihm nicht nur den
genialen, furchtlosen Staatsmann bewundern, sondern auch die lautere
Persönlichkeit ehren, die er gewesen ist.
LU L LEE BGE AL GL LLC.
— 306 —
Mitteilungen
Geschichtsunterricht in Bayern. — Der stiefmütterlichen Behand-
lung gegenüber, unter der lange Zeit der Geschichtsunterricht an den bayeri-
schen humanistischen und realistischen Unterrichtsanstalten zu leiden hatte,
haben seit Jahr und Tag Ereignisse eingesetzt, die in ihrem erfreulichen
Tatbestand durch die unlängst erschienene Schulordnung für die hö-
heren Lehranstalten vom 30. Mai 1914 einen krönenden Abschluß
fanden. Von den gewonnenen Errungenschaften wird man auch außerhalb
Bayerns mit Befriedigung Kenntnis nehmen.
Das no@trov evödos des früheren Zustandes der Dinge war in den
völlig unzulänglichen Prüfungsbestimmungen für die Lehramtskandidaten zu
suchen. Es gab einerseits eine „Hauptprüfung aus den philologisch-histo-
rischen Fächern‘, in der aber die ausschließlich mündlich examinierte Ge-
schichte — Altertum, Mittelalter und Neuzeit in einen Topf geworfen —
nur viermal in Ansatz gebracht wurde, während, um allein die lateinische
Sprache herauszugreifen, die schriftliche Übersetzung in das Lateinische fünf-
fach und die aus dem Lateinischen vierfach und außerdem die mündliche
Prüfung aus den lateinischen Schriftstellern gleichfalls vierfach eingeschätzt
wurde. Für die künftigen Lehrer an den technischen Lehranstalten ein-
schließlich der Realgymnasien wurde eine gemeinhin als , Realien-Examen‘‘
bezeichnete Prüfung aus der deutschen Sprache, der Geschichte und der
Geographie abgehalten, ein unorganisches Gemächte, in dem die erste Gruppe
des Rückgrates fremdsprachlicher Studien entbehrte und die Erdkunde außer-
halb ibrer naturwissenschaftlichen Zusammenhänge stand, ein lediglich zu
praktischen Zwecken zugestutztes Ding. In der zweiten Prüfung, der eine
einzureichende wissenschaftliche Arbeit zugrunde gelegt war, wurde es bei
Gelegenheit seitens solcher Kandidaten, die eine Untersuchung aus dem Ge-
biete der griechischen oder römischen Geschichte vorlegten, als drückend
empfunden, daß ihnen die Wahl, ob sie sich als Philologen oder als Histo-
riker prüfen lassen wollten, nicht freigestellt, daß ihnen also für ihre Ab-
handlung die Anwendung der lateinischen Sprache vorgeschrieben war und
sie sich schlechthin in der Archäologie und in der Geschichte der antiken
Philosophie prüfen lassen mußten, nicht aber statt dessen mit den übrigen
Historikern ihre Kenntnisse in der deutschen und bayerischen Quellenkunde,
Paläographie, Diplomatik, Chronologie und historischen Geographie sowie
in der Geschichte der neueren Philosophie bekunden durften. Diese Ein-
schränkung auf den bis zum Jahre 476 n. Chr. reichenden Gesichtskreis
war die Kehrseite zu dem von einem Manne wie Robert Pöhlmann so tief
beklagten Übelstand, daß im Haupt-Examen die alte Geschichte von einem
Nicht-Fachmann geprüft wurde.
Die Blicke derjenigen Geschichtslehrer an bayerischen Gymnasien, die
sich in den bestehenden Nöten nach einem Führer umsahen, mußten den-
selben naturgemäß in dem damaligen Gymnasialprofessor am Kadettenkorps
und Honorarprofessor an der Münchener Universität Doeberl, einem Manne
von erstaunlicher Arbeitskraft und nie versagender Gemütsfrische, erblicken.
Rascher, als wir es zu hoffen gewagt hatten, ging unser sehnlicher Wunsch,
— 307 —
nämlich Doeberls Berufung ins Kultusministerium, in Erfüllung. Dazu kam,
daß gleichzeitig in die neugebildete Ministerialabteilung für die humanisti-
schen und realistischen Mittelschulen als Vertreter der klassischen Philologie
der damalige Gymnasialrektor Melber ernannt wurde, der das Altertum
von jeher mit historischem Auge zu betrachten gewohnt war und sich in
seiner Eigenschaft als Redakteur der Blätter für das bayerische Gymnasial-
Schulwesen unter anderem auch als Freund dieser unserer Zeitschrift be-
währt hat. Unter solchen Auspizien konnte einer gedeihlichen Ausgestaltung
der schon früher geplanten neuen Schulordnung, der bereits in der bei
Gründung der Oberrealschulen für die realistischen Mittelschulen heraus-
gegebenen Verordnung ein frischer Windhauch vorhergegangen war, froh-
gemut entgegengesehen werden.
Unterm 14. September 1912 erschien zunächst die Prüfungsordnung
für das Lehramt an den höheren Lehranstalten, die eine ein-
schneidende Besserung der bisherigen Verhältnisse herbeizuführen bestimmt
ist. Im ersten Prüfungsabschnitt, der die Vorlage einer Zulassungsarbeit aus
einer der drei Prüfungsgruppen zur Voraussetzung hat, treten nunmehr die
deutsche Sprache und die Geschichte vollständig gleichberechtigt neben die
griechische und die lateinische Sprache: zur Feststellung der Hauptnote wird
die Gruppennote der I. Gruppe (beide klassische Sprachen) doppelt, die
Gruppennote der II. und III. Gruppe jedesmal einfach in Rechnung ge-
zogen. Wer in einer Prüfungsgruppe die Note III nicht mehr erreicht, hat
die Prüfung nicht bestanden. Das ‚‚Realien- Examen‘ verschwindet, und
an seine Stelle tritt ein solches, in dem zur deutschen Sprache und Ge-
schichte die französische oder englische Sprache hinzutritt. Die altphilo-
logisch-germanistisch-historischen Examinanden haben in der schriftlichen
Prüfung einen entwickelnden Aufsatz aus der Geschichte anzufertigen, wofür
drei Themen zur Wahl zu stellen sind und zwar je ı Thema aus dem Alter-
tum, dem Mittelalter und der Neuzeit, während die Kandidaten der neu-
philologischen Gruppe ı Thema aus dem Mittelalter und 2 aus der Neu-
zeit vorgelegt erhalten; der Prüfungskommission der altphilologischen Ab-
teilung gehört nunmehr auch ein besonderer Vertreter der alten Geschichte
an. Im mündlichen Examen haben alle Prüflinge auch nähere Bekanntschaft
mit einem von ihnen selbst zu wählenden größeren Abschnitt der Geschichte
nachzuweisen. Im Anschluß an das praktische Seminarjahr wird ein zweiter
Prüfungsabschnitt abgelegt, bei dem unter anderem eine Lehrprobe von der
Dauer einer Unterrichtsstunde aus den drei Prüfungsgruppen zu geben ist.
Schließlich ist noch eine „besondere Prüfung‘ in Aussicht genommen: ihr
Bestehen befähigt vorbehaltlich der Bewährung im Amte vorzugsweise zur
Bekleidung von Vorstandstellen sowie zur Unterrichtserteilung in den drei
oberen Klassen einer neunklassigen höheren Lehranstalt, insbesondere in
dem Fache, aus dem man sie abgelegt hat. Für die Zulassung zu diesem
Examen ist die Einreichung einer Abhandlung aus der klassischen, französi-
schen, englischen, deutschen Philologie, aus der vergleichenden Sprach-
wissenschaft oder aus der Geschichte einschließlich der Bildungs- und der
Kunstgeschichte sowie der mitteleuropäischen Prähistorie angeordnet; dieselbe
soll eine wissenschaftliche Leistung sein und als solche zu einem neuen Er-
gebnis, beziehungsweise zu einer neuen Auffassung führen. Ist das Thema
— 308 —
der mitteialterlichen Geschichte entnommen, so hat der Kandidat unter an-
derem seine Kenntnisse in der Paläographie, Urkundenlehre, Chronologie
und historischen Geographie nachzuweisen.
Unter dem 30. Mai 1914 wurde unlängst die neue Schulordnung
für die höheren Lehranstalten ins Land hinausgegeben. Charak-
teristisch für dieselbe ist, daß sie nicht in Einzelverordnungen für die verschie-
denen Schulgattungen zerfällt, sondern ein zusammengehöriges Ganzes bildet,
in dem die einzelnen Uhnterrichtsgegenstände die Hauptrubren für die An-
stalten insgesamt bilden; bei jedem Fache ist eine eingehende Erörterung
über das betreffende „Lehrziel und Lehrverfahren‘“ an die Spitze gestellt.
So soll der gedächtnismäßig einzuprägende historische Stoff auf das wirklich
Bedeutsame beschränkt werden, anderseits aber neben den äußeren Ereig-
nissen auch die inneren Verhältnisse umfassen. Die Schüler sind nicht bloß
mit dem äußeren Verlaufe der Tatsachen, sondern auch mit ihren Ursachen
und Wirkungen bekannt zu machen. Der Geschichtsunterricht soll auch das
Interesse und das Verständnis für das öffentliche Leben der Gegenwart und
damit für die Staatsbürgerkunde wecken, zu diesem Zweck das Auge für
das staatliche, wirtschaftliche und soziale Leben schärfen, vom Beginne des
XIX. Jahrhunderts ab die staatsrechtliche Entwicklung Bayerns, die deutsche
Einheitsbewegung und die Gründung des Deutschen Reiches sowie die wirt-
schaftlichen und sozialen Strömungen besonders berücksichtigen und mit
einem Überblick über die gegenwärtige Verfassung und Verwaltung des Reiches
und Bayerns sowie über die soziale Reichsgesetzgebung abschließen, wobei
stets an die staatsbürgerlichen Belehrungen angeknüpft werden soll, die die
Schüler in den anderen Stunden, namentlich beim Unterricht ın der deut-
schen Sprache und der Geographie sowie bei Behandlung der deutschen und
fremdsprachlichen Klassiker, gelegentlich empfangen haben. Der Unterricht
in der Geschichte soll endlich zu sittlichem Handeln, namentlich im Dienste
des engeren und weiteren Vaterlands, erziehen; der Lehrer soll Ereignisse
wie Personen aus ihrer Zeit und ihren Verhältnissen heraus entwickeln, die
Menschen nicht bloß nach ihren Erfolgen, sondern auch nach ihren Beweg-
gründen beurteilen und so die Schüler zur Gerechtigkeit und Unparteilichkeit
erziehen. — Wie bisher bestehen an den neunklassigen Anstalten zwei Lehr-
gänge, eine Unter- und eine Oberstufe, welch letztere an den Gymnasien
mit der VI., an der Oberrealschule mit der VII. Klasse ihren Anfang nimmt.
Der auf der Unterstufe zu gebende geschichtliche Überblick soll stets an
historische Erinnerungen des Studienortes und seiner Umgebung anzuknüpfen
suchen; der Lehrstoff ist in diesen Klassen auch künftighin möglichst um
führende Persönlichkeiten zu gruppieren. Auf der Oberstufe tritt zu der Be-
handlung der äußeren Taten und der Persönlichkeiten grundsätzlich die Be-
sprechung der inneren Verhältnisse: Verfassung, Wirtschaft und Gesellschaft,
geistige Kultur. Da zu den bezeichnendsten Äußerungen des geistigen Le-
bens die Kunst gehört, die Eigenart einer Kunstrichtung aber nur aus der
Eigenart der Zeit und ihrer Gesamtkultur zu verstehen ist, hat der Lehrer
bei Würdigung der einzelnen Kulturepochen mit dem Geschichtsunterricht
eine kunstgeschichtliche Unterweisung zu verbinden, die in der Zeichenstunde
uach der technisch-formellen Seite ergänzt werden soll. Den Ausgangspunkt
werden am besten Kunstwerke der engeren Heimat bilden. Die wichtigste
— 309 —
Aufgabe aber auf der Oberstufe ist die Einführung in den ursächlichen Zu-
sammenhang der Dinge und in die Wechselbeziehungen zwischen den ver-
schiedenen Gebieten der äußeren und der inneren Geschichte. — Da der
moderne deutsche Staat nicht im Reiche, sondern in den Territorien ent-
standen ist, so fällt dem Unterricht in der bayerischen Geschichte ganz be-
sonders die Aufgabe zu, die Schüler mit der Entstehung und. Entwicklung
des modernen Staates und damit mit den Grundlagen der Staatsbürgerkunde
bekannt zu machen. — Von entscheidender Wichtigkeit in der Geschichts-
stunde ist das freie, lebendige Wort, der streng zu gliedernde und der Alters-
stufe anzupassende Lehrvortrag, der auch in die Form des Zwiegesprächs
übergehen kann. Zu seiner Belebung dienen auserlesene Stellen aus zeit-
genössischen Quellen und hervorragenden neueren Geschichtswerken, ferner
geographische und historische, auch heimatkundliche Karten, künstlerisch
wertvolle Anschauungsmittel, heimatkundliche Sammlungen, Kunstdenkmäler
und Bodenaltertümer des Schulortes und der Umgebung. Neben den an
den Wänden des Schulzimmers und im Schaukasten ausgestellten Abbildungen
können auch Lichtbilder vorgeführt werden; am fruchtbarsten aber werden
die am Schulort und in dessen Umgebung befindlichen Originalwerke dem
geschichtlichen Unterricht dienstbar gemacht. In den Schulbibliotheken soll
für geeignete historische Lektüre Sorge getragen werden. Der Neigung zum
mechanischen Lernen und Hersagen ist zu begegnen; bei der Rechenschafts-
ablegung soll der Lehrer auf eine freie Wiedergabe des behandelten Stoffes
nach bestimmten Gesichtspunkten dringen und, wenigstens in den oberen
Klassen, längere Entwicklungsreihen verfolgen. Der Geschichtsunterricht kann
durch zusammenhängende Vorträge über einzelne Gebiete der Kunstgeschichte
wie der Staatsbürgerkunde ergänzt werden.
Die Zahl der geschichtlichen Lehrstunden erfuhr eine Vermehrung am
humanistischen Gymnasium in der VI. und VI., am Realgymnasium und
Realreformgymnasium in der IX. und an der ÖOberrealschule in der VII.
und VIII. Klasse. Das humanistische Gymnasium hat auf Grund stärkerer
Betonung der alten Geschichte im ganzen eine Lehrstunde mehr als die
Schwesterschulen. An den Gymnasien ließ sich im Gegensatz zu dem frü-
heren Lehrprogramm auch auf der Oberstufe eine naturgemäße, dem tat-
sächlichen weltgeschichtlichen Verlauf entsprechende Einteilung des Lehrstoffes
vornehmen, indem der VI. Klasse das ganze Altertum und der VII. Klasse
das gesamte Mittelalter zugewiesen ist, die Scheidewand zwischen der VII.
und IX. Klasse aber der Regierungsantritt Friedrichs des Großen und der
Beginn der Aufklärungsepoche bilden. Im Pensum der IX. Klasse stimmt
auch die Oberrealschule mit den Gymnasien zusammen. Eine besondere
Errungenschaft ist die Verfügung, daß sich die Fragen aus der Geschichte
bei der Absolutorialprüfung auf den Lehrstoff der Oberklasse beschränken
sollen; erst dadurch ist es möglich gemacht, daß die neueste Geschichte
mit ihrem tiefen politischen Inhalt zu ungestörter geistiger Verdauung der
jungen Leute gelangt.
Daß im philologischen Lehrplan nunmehr auch die ’Adnvalwv norela
des Aristoteles und das Geschichtswerk .des Thukydides als Klassikerlektüre
vorgesehen sind, darf nicht verschwiegen werden.
Ludwig Wolfram (Dinkelsbühl)
— 310 —
Archive. — Über die Pflege der kirchlichen Archive im Groß-
herzogtum Hessen hat zuerst im September 1909 gelegentlich des Wormser
Archivtags Lic. theol. Herrmann, gegenwärtig Haus- und Staatsarchivar
in Darmstadt, Bericht erstattet !), und über den Fortschritt dieser Bestre-
bungen sind Ende 1912 weiterere Mitteilungen gefolgt ?). Die damals als
bald bevorstehend angekündigte Veröffentlichung der Verzeichnisse liegt seit
Frühjahr 1913 ?) in einem Bande vor, der den Titel trägt Inventare der
evangelischen Pfarrarchive im Großhereugtum Hessen, herausgegeben von
dem Großherzoglichen Oberkonsistorium, bearbeitet von Archivrat D. Fr.
Herrmann, Erste Hälfte (Darmstadt, Großherzogl. Staatsverlag 1913. VUI
und 528 S. 8°). Es ist dies der erste Band einer geplanten umfassenden
Veröffentlichung, die unter dem Öbertitel Inventare der nichtstaatiichen
Archive im Großherzogtum Hessen, herausgegeben auf Veranlassung des
Gro/’hereogl. Haus- und Staatsarchivs, zusammengefaßt werden soll: zu-
nächst ist neben den Inventaren sämtlicher evangelischer Pfarrarchive die
Veröffentlichung des Inventars der älteren Registratur des Großherzoglichen
Oberkonsistoriums, der Inventare der Gemeindearchive in der Provinz Starken-
burg und ebenso in den Provinzen Oberhessen und Rheinhessen in Aus-
sicht genommen.
Die Voraussetzung für diese erfreulichen von der Staatsregierung un-
mittelbar veranlaßten Bestrebungen bildet das Hessische Denkmalschutzgesetz
vom 16. Juli 1902, das die Archive im Lande ganz allgemein der staat-
lichen Aufsicht unterstellt. Dadurch war die Rechtsgrundlage gegeben, auf
der fußend das Oberkonsistornum unter dem 31. März 1908 den Kirchen-
vorständen die richtige Verwahrung und Verzeichnung der Pfarrarchive zur
Pflicht machen konnte. Zugleich wurde im Interesse der landes- und orts-
geschichtlichen Forschung die Drucklegung der einlaufenden Verzeichnisse
ins Auge gefaßt, und der Haus- und Staatsarchivar D. Herrmann unterzog
sich der schwierigen Aufgabe, die Verzeichnisse druckfertig zu machen.
Leider erfahren wir nicht, welche Personen die Inventare bearbeitet haben
(es werden wohl zumeist die Pfarrer selbst gewesen sein); nur soviel ist
bekannt geworden, daß 32 Inventare an die Kirchenvorstände als änderungs-
oder ergänzungsbedürftig zurückgegeben werden mußten. Das Schema für
die Verzeichnung ist jedenfalls geliefert worden; deun es werden ganz gleich-
mäßig bei jedem Pfarıamt die Abteilungen: Kirchenbicher, Protokolle, Chro-
niken, Salbücher, Reskriptenbücher, Rechnungen, Akten, Urkunden und Lite-
ratur unterschieden, wenn natürlich auch bei dem einzelnen Pfarramt die
eine oder die andere Art von Archivalien fehlt. Ganz besonders verdienst-
lich ist die Aufnahme der Literatur über den einzelnen Ort, die strengge-
nommen nicht in das Inventar gehörte, da sie wohl nicht an jedem Ort
wirklich vorhanden ist: es sind dabei dankenswerterweise auch die auf den
einzelnen Ort bezüglichen Stellen aus größeren Werken mit angeführt, so
z. B. sehr oft Simon: Geschichte des reichsständischen Hauses Ysenburg
und Büdingen (Frankfurt a. M. 1864—65, 3 Bde.), wenn auch bei diesem
und manchem andern oft wiederkehrenden Werke der Titel gekürzt ist, so
ı) Vgl. darüber diese Zeitschrift, 11. Bd. (1909), S. 24.
2) Ebenda 14. Bd., S. 88—99.
3) Das Vorwort ist vom 1. April 1913 datiert.
«+
— 3ll —
daß der Benutzer nur schwer den richtigen und vollständigen Titel fest-
stellen kann. Eine bibliographisch genaue Verzeichnung der in dieser Form
genannten Bücher wird später nicht fehlen dürfen.
Schon diese Angaben lassen ahnen, welche Arbeit der Leiter der Ver-
öffentlichung hat leisten müssen, wenn auch vollkommen nur derjenige, der
selbst Ähnliches ausgeführt hat, die aufgewandte Mühe zu ermessen vermag.
Das bei der Inventarisation der evangelischen Pfarrarchive Hessens angewandte
Verfahren stellt sich dar als eine Verbindung der in Baden und der zuerst in
Tirol, dann im Rheinlande und seitdem mehrfach angewandten Arbeitsweise:
in Baden wurden die von den örtlichen Pflegern eingesandten Berichte seit
1884 allmählich, wie gerade die Bearbeitung erfolgte, und im wesentlichen
so, wie sie eingingen, gedruckt, während in Tirol und in der Rheinprovinz
ein Bearbeiter auf die Reise ging, die Inventare an Ort und Stelle aufnahm
und seine Ergebnisse veröffentlichte. Es ist ohne weiteres klar, daß die
letztere Methode eine gleichmäßigere, inhaltlich in höherem Maße erschöp-
fende und kritischere Veröffentlichung gewährleistete. Diese fast dreißig-
jährigen Erfahrungen hat sich Hessen zunutze gemacht und durch eine
formell einheitliche Gestaltung der Verzeichnisse und eingehende Prüfung der
eingesandten Manuskripte eine neue eigenartige Form örtlicher Quellenver-
zeichnung geschaffen. Es ist selbstverständlich, daß eine genaue Anweisung
über die Art der Inventarisierung ergangen ist, und die Nachprüfung und
Aufklärung von Irrtümern wird vermutlich einen beträchtlichen Kraftaufwand
erfordert haben. Ist auf der einen Seite der Charakter des Inventars
vollständig gewahrt, so daß die Akten bis tief ins XIX. Jahrhundert bei dem
einzelnen Pfarramt aufgeführt werden, so ist doch auf der andern Seite nie-
mals vergessen, daß es sich gewissermaßen um eine Quellenveröffentlichung
handelt, die in vieler Hinsicht wertvolle und sofort verwendbare Einzelkennt-
nisse vermittelt. Deshalb sind Dinge, die geschichtlich als wertvoll erscheinen,
ausführlicher behandelt, ja z. T. vollständig mitgeteilt, so z. B. die befor-
chung des kirchenhofs (Pfarrgutes?) zu Georgenhausen von 1651 (S. 171
bis 172) oder die Kirchberger Urkunde von 1390 (S. 298—299, Nr. 6),
oder die Urkunde über die Abtrennung des Filials Holzheim von der Mutter-
kirche Grüningen 1309 (S. 467—468).
Die vorliegende erste Hälfte enthält gerade 200 Archive; die bald zu
erwartende zweite Hälfte soll neben dem Rest der Inventare (es gibt im
ganzen 420 evangelische Pfarrämter) auch eine ausführliche Einleitung und
die nötigen Register, die neben den Namen hoffentlich auch die Sach-
betreffe gebührend berlicksichtigen, enthalten. In der Einleitung dürfen
wohl die Leser und Benutzer, namentlich die außerhalb Hessens wohnenden
— und diese werden vermutlich an Zahl denen im Lande selbst nicht nach-
stehen —, auch Erklärungen, genaue Begriffsbestimmungen für eine ganze
Reihe oft wiederkehrender Worte und Bezeichnungen erwarten. Derjenige, dem
die besonderen hessischen Verhältnisse und in der Amtssprache üblichen
Ausdrücke nicht vertraut sind, will eine Erklärung dafür haben, was er z. B.
unter, Malefikanten (S. 1), Faselhalter (S. 32), Kollateralfällen (S. 48), Rati-
fikationsordnung (S. 56), Präsenzrechnung (S. 60), Wandeltisch (S. 124),
Pferchfahren (S. 190), Glockensichlingen (S. 219), Haingraben (S. 243),
Sapienzfonds (S. 266), Hasselzehnten (S. 314, 317), Zensurordnung (S. 366),
— 312 —
Interkalarfonds (S. 518) zu verstehen hat. Er will die Geschichte der Kom-
petenz- und Reskriptenbücher (S. ı5, 311), die Bedeutung des Wortes
„Kaplan“ (S. 415 und öfter) in der evangelischen Kirchenverfassung, Begriff
und Geschichte des „Ackerbuchs“ (S. 235 gibt einen Anhalt dafür) sowie
des „‚Salbuchs* und mancher anderen Dinge näher umschrieben haben.
Gewiß verbindet der geschichtlich gebildete Leser mit den genannten Worten
gewisse Vorstellungen, aber die Begriffsbestimmung kann nie genau genug
sein, und auch der gelegentliche Be :utzer muß sich Aufklärung holen können.
Da eine beträchtliche Anzahl Pfarrchroniken 1858 angelegt ist, ist anzu-
nehmen, daß damals allgemein deren Führung ‘angeordnet worden ist: über
diese und etwaige ältere und spätere Verordnungen !) will der Leser gern
Näheres hören. Ganz ebenso natürlich über die Gesetze und Verordnungen
bezüglich der Kirchenbuchführung und der in zahlreichen Gemeinden vor-
handenen ‚‚Familienbücher‘ (z. B. Ober-Ofleiden, S. 226). Ganz von selbst
werden sich dabei lehrreiche Beobachtungen ergeben, die eine verschiedene
Behandlung je nach der Zugehörigkeit der Orte zu diesem oder jenem ehe-
maligen Territorium erkennen lassen.
Gehen wir nun dazu über, den positiven Inhalt des Bandes, soweit er
über das rein Örtliche hinausgehend Bedeutung besitzt, etwas näher anzu-
sehen, so ist vor allem festzustellen, daß der Verzeichnung der „Kirchen-
bücher“, d. h. der Tauf-, Trau-, Sterbe-, Konfirmanden- und Kommuni-
kantenregister, eine ganz besondere Sorgfalt gewidmet ist. Es werden aut
diesem Wege in vielen Fällen alte, dem XVI. Jahrhundert entstammende,
wenn auch teilweise bruchstückhafte, Register nachgewiesen, und die ältere
Zusammenstellung der hessischen Tauf-, Trau- und Sterberegister, die Krieg
in den Mitteilungen der Zentralstelle für deutsche Personen- und Familien-
geschichte 4. Heft (1909), S. 9— 34 veröffentlicht hat, verliert dadurch ihre
Bedeutung. Der Ausdruck seelenbuch für ein Kirchenbuch (so in Mettenheim
1682, S. 23) — nicht zu verwechseln mit dem seelbuch = Salbuch (Eppels-
heim S. 261) — wird kaum häufig vorkommen und verdient deswegen Be-
achtung. Das Wort „Matrikel“ dafür scheint nur in der Militärpfarrei
Darmstadt (S. 4) verwendet worden zu sein. Auffallend ist es, daß in Hessen
schon im XVII. Jahrhundert Personenstandsaufnahmen in den Gemeinden
üblich gewesen sind: in Beerfelden (S. 37) findet sich ein Einwohnerver-
zeichnis von 1678, also doch wohl eine Zusammenstellung aller damals an-
sässigen Familien mit ihrer Kopfzahl, wenn nicht gar unter Nennung der
Namen und Angabe des Alters; in Wohnbach (S. 53) sind im Kirchenbuch
nomina familiarum von 1676 und 1700 verzeichnet, und in Pfungstadt
(S. 94) trägt eine undatierte, aber dem Zusammenhang nach ins XVII. Jahr-
hundert gehörige Niederschrift den Titel wie stark iteo das kirchspiel. In
Ober-Ramstadt (S. 166) gibt es Einwohnerverzeichnisse von 1650, 1669
ı) Vgl. über ähnliche Anweisungen in anderen Ländern diese Zeitschrift 9. Bd.
(1908), S. 210, Anm. 1, und 10. Bd. (1909), S. 255—256. — Die S. 89 in Sellnrod
erwähnte „Instruktion für die Führung der Ortschroniken“ ist leider ohne Datum; da-
gegen wird in Wald-Michelbach (S. 185) der Instruktion und Akten über Führung der
Ortschronik 1858 — 1864 Erwähnung getan. Es finden sich aber anch manche ältere
chronikalischen Aufzeichnungen und Bearbeitungen, so S. 177 in Bauschheim und S. 24
in Mettenheim,
— 313 —
und 1708; das „Seelenregister“ von 1761 in Fränkisch-Crumbach (S. 251)
und das 1786 in Ober-Ofleiden (S. 226) angelegte Verzeichnis aller zur
Pfarrei gehörigen Einwohner scheinen verwandter Art zu sein. Auch das
in Seckmauern (S. 69) erhaltene Schriftstück „Namen und Alter der Pfarr-
kinder‘ von 1748 gehört in diesen Zusammenhang, ebenso ähnliche Listen
in Rimshorn (S. 78) und Herchenheim (S. 214). In Rimshorn werden auch
Verordnungen für Bevölkerungslisten erwähnt: bei einer so wichtigen
Sache hätten die Jahreszahlen auf keinen Fall fehlen dürfen! Verfügungen
über die Kirchenbuchführung scheinen ziemlich zahlreich zu sein; es werden
solche genannt von 1783—88 (S. 61), etwa 1806 (S. 319), 1807 (S. 218),
1822 (S. 123), 1829 (S. 106), 1834—64 (S. 448), 1864—76 (S. 511)
sowie eine undatierte (S. 282). Den Inhalt der Kirchenbücher verarbeiten
systematisch die schon berührten Familienbücher, deren häufiges Auftreten
sich nur erklärt, wenn eine allgemeine Anordnung ihre Anlage vorgeschrieben
hat. In Wald-Michelbach (S. 181) hat der Pfarrer 1841 für mehrere Ge-
meinden solche Bücher geschaffen, aber in Seeheim (S. 311) ist das schon
1808 geschehen: hier werden sämtliche Familien der Gemeinde aufgeführt
mit der Angabe der Hausnummer, der Jahre der Geburt, ihrer lebenden
und verstorbenen Gatten, Söhne und Töchter, ihres Standes, ihrer Herkunft
und der Jahre ihrer Verehelichung.
Unter dem Kopfwort „Protokolle“ werden die zumeist dem XVIII.
und XIX. Jahrhundert entstammenden Niederschriften über die Sitzungen der
kirchlichen Gemeindevertretungen zusammengefaßt. Die Bezeichnungen der
Bücher selbst sind verschieden: es findet sich z. B. in Nieder-Ingelheim
(S. 12) ein Presbyterialbuch 1704 ff., in Dreieichenhain (S. 29) ein Pres-
byterialprotokoll 1751—1809, während in Dietzenbach (S. 31) und öfter
die Benennung Kirchenkonventsprotokoll 1739 fl. gewählt ist. In neuerer
Zeit wird „Kirchenvorstandsprotokoll‘‘ gebraucht. Indes, da sich die Be-
arbeiter an äußere Merkmale oder das zufällig verwendete Wort Protokoll
gehalten haben, so sind unter dem Stichwort recht verschiedenartige Auf-
zeichnungen zu finden: z. B. in Wolfskehlen (S. 15) die Aufnahme des durch
Mansfelds Einfall 1622 verursachten Schadens, in Großen-Linden (S. 270)
das Tagebuch eines Pfarrers 1652—1682 oder in Schwanheim (S. 42) die
Niederschrift über Verpachtung von Kirchengütern.
Die in den meisten Gemeinden vorhandenen Reskriptenbücher sollen
ihrem Namen nach alle allgemeingültigen Verfügungen der Kirchenbehörden
in Abschrift enthalten, und es tritt demgemäß gelegentlich (Dietzenbach S. 31)
auch der Name „Dekretbuch‘“ dafür auf. Treffend umschreibt der in See-
heim (S. 311) 1740 gewählte Titel den Inhalt mit den Worten: Collectio
literarum per circulum transmissarum et actorum ec.lesiasticorum. Vielfach
werden die handschriftlichen Sammlungen von Erlassen ergänzt durch eine
Menge gedruckter Verordnungen, die auch über das Kirchenwesen hinaus-
greifen, so in Hopfgarten (S. 27), Kriegsheim (S. 291) oder Sprendlingen
(S. 211). Die Kurpfälzische Kirchenratsordnung von 1564 findet sich in
Selzen (S. 120), die Solms-Laubacher Kirchenordnung von 1603 in Lau-
bach (S. 229), die Ysenburg-Büdingische Kirchenordnung von 1697 in
Büdingen- Rinderbügen (S. 205). Sehr häufig hat man die Reskripten-
bücher nebenher auch zu andersartigen Aufzeichnungen verwendet, z. B.
— 314 —
in Kirchberg (S. 294) für die Buchung der Geburten, Trauungen und Sterbe-
fälle der Juden !).
Unter dem Stichwort Salbücher, bisweilen auch Kompetenzbücher
(so in Wolfskehlen S. 15 und Griesheim S. 20), werden alle Verzeichnisse
des Kirchen- und Pfarrvermögens und der daraus fließenden Einkünfte auf-
geführt. Seit dem XVII. Jahrhundert ist dieser Stoff sehr reichhaltig ver-
treten, aber auch an vergleichsweise alten Stücken fehlt es nicht: in Eppels-
heim (S. 261) gibt es ein Zinsregister von 1433, in Grüningen (S. 464) ein
einsbuch des bues Gruningen von 1471, in Merlau (S. 281) ein Kompetenz-
buch von 1482, in Beerfelden (S. 38) ein ebensolches aus dem Ende des
XV. Jahrhunderts mit Nachträgen bis 1509, während in Osthofen (S. 73)
1608 ein altes Register von 1494 benutzt worden ist. Das XVI. Jahrhun-
dert ist schon ziemlich reich vertreten, so findet sich in Büdingen-Rinder-
bügen (S. 205) ein Kapellenregister von 1543 und in Partenheim (S. 236)
ein Verzeichnis der Kirchen- und Pfarrgefälle 1546—1573. Güter und Zinse
gehören auch bisweilen besonderen Stiftungen; ziemlich häufig wird der
„Kasten“ — doch wohl die Armenkasse? — erwähnt nebst seinem ge-
sonderten Vermögen, so in Nieder-Beerbach (S. 11) ein Kastenbuch, in
Schwanheim (S. 43) Kastenäcker, in Allendorf (S. ı19) und Breungeshain
(S. 258) der Kirchenkasten. Je nach der Art der Aufzeichnung kommen
die verschiedensten Benennungen für diese Zinsbücher vor: Ackerbuch (S. 7,
235), Feldbuch (S. 33), Lagerbuch (S. 7, 29), Baubuch (S. 464), Grund-
buch (S. 264), Hausbuch der Pfarre (S. 56), Flurbuch (S. 213), Gült- und
Wehrbuch (S. 408), Gemarkungsbuch (S. 284) sind ohne weiteres verständ-
lich. Daß auch das Wort „Kirchenbuch‘“ (S. 220, 407) im Sinne von
Vermögens- oder Einkunftsregister der Kirche vorkommt, verdient angemerkt
zu werden; in Dudenhofen (S. 33) dagegen enthält das „Sal- oder Kirchen-
buch“ von 1556 sowohl die Güter als auch mit diesem Jahre beginnend
Getaufte und Getraute.
Auch die Rechnungen über Kirchen-, Bruderschafts- und Stiftungsver-
mögen, Kirchenbau, Kasten u. dgl. sind sehr zahlreich, und recht viele ge-
hören dem XVI. Jahrhundert an: sie beginnen z. B. 1518 in Babenhausen
(S. 60), 1527 in Alsfeld (S. 146), 1534 in Gundernhausen (S. 377), 1551
in Schwanheim (S. 43), 1552 in Griesheim (S. 21), 1553 in Groß-Bieberau
(S. 122) und Jugenheim (S. 217), 1555 in Bauschheim (S. 178), 1562 in
Gräfenhausen (S. 156), 1564 in Ulrichstein (S. 192), 1566 in Beerfelden
(S. 39), 1576 in Hopfgarten (S. 27), ı581 in Gießen (S. 244), 1586 in
Birkenau (S. 101), 1599 in Breungeshain (S. 258).
Die Pfarrarchive, die über einen reicheren Bestand an älteren Urkunden
verfügen, sind nicht selten, und die Zahl der Urkunden an einer Stelle steigt
bis ı5g Stück in Münzenberg. Die älteste Urkunde besitzt die Pfarrei
Friedberg, und zwar ist diese von 1306 (S. 493: Ablaßgewährung durch
Bischof Siegfried von Chur). In Grüningen (S. 467 — 482) liegen über
70 Urkunden 1309—1684, von denen 53 älter sind als 1600. Mit 1321
beginnen die Bestände in Münzenberg (S. 328—368), mit 1327 in Kirchberg
1) Gleich hier sei auf die Judenordnung von 1628 in Gräfenhausen (S. 157) und
auf den Übertritt eines Juden 1755 in Nieder-Wiesen (S. 254) aufmerksam gemacht.
Vgl. auch Allendorf S. 119.
— 35 —
(S. 297— 303), mit 1336 in Alsfeld !) (S. 135—140), mit 1370 in Ulrich-
stein (S. 195), mit 1392 in Wald-Ülversheim (S. 421—431), mit 1419 in
Darmstadt-Bessungen (S. 9), mit 1428 in Alsfeld-Leusel (S. 145), mit 1467
ia Dudenhofen (S. 34), mit 1471 in Gießen (S. 246), mit 1490 in Planig
(S. 306), mit 1566 in Holzheim (S. 221), mit 1589 in Dorheim-Schwal-
heim (S. 502). Inhaltlich bieten diese Pergamenturkunden, die ihrer Form
wegen zunächst auf den Beschauer einen besonderen Eindruck machen, ver-
gleichsweise wenig, und es fragt sich, ob die zum großen Teil recht aus-
führlich gestalteten Regesten ihren Zweck nicht auch bei kürzerer Fassung
erfüllt hätten. Gern hätte man dagegen alle Datierungen — natürlich neben
der Auflösung — in der urkundlichen Form gelesen; warum S. 472, Nr. 23
uff mittwochen sant Johannes tag vor der latinssen porten mit einem Frage-
zeichen versehen ist, verstehe ich nicht, denn die Auflösung 1479, Mai 5,
ist richtig und eindeutig. Dagegen verdient die S. 34 und 35 für 1589
und 1629 und ebenso S. 482 für 1675 bezeugte Datierung øwischen den
sweien unser lieben frauen tagen unbedingt eine Erklärung: gemeint ist die
Zeit zwischen 15. August und 8. September; übrigens erregt die Form
unsrer (1589) statt unser den Verdacht eines Lesefehlers.
Eine fast bei jedem Archiv vorhandene Archivaliengruppe bilden die
Akten, die alles das umfassen, was in die übrigen Gruppen nicht gut ein-
zureihen war, vielfach aber auch Ergänzungen dazu liefern. Der Inhalt ist
natürlich sehr mannigfaltig, und besonders anzuerkennen ist, daß auch das
XIX. Jahrhundert nicht ganz vergessen wurde. So werden in Königstädten
(S. 208) Sammlungen zugunsten der Griechen 1822 erwähnt, in Ober-Ram-
stadt (S. 168) und Wallertheim (S. 176) die kirchliche Union 1818—1819,
in Homberg (S. 416) die zu Ehren Robert Blums 1848 abgehaltenen Trauer-
feserlichkeiten, um nur einige bemerkenswerte Dinge anzuführen.
Damit sei die Kennzeichnung der Veröffentlichung als Ganzen ab-
geschlossen, aber noch eine Auswahl von Einzelheiten, die dem oder jenem
Leser nützlich sein können, sei herausgehoben, um damit zugleich einen
Anreiz zur Benutzung zu geben. Den Anfang mögen einige Versehen und
Isıtimer machen. |
In der Urkunde von 1390 (S. 298, Nr 6) ist Wils als ein Name auf-
gefaßt; tatsächlich ist vorwiln == ehemals, weiland zu lesen. Die Formen
orts. (1586; S. 425) und orisgulden (1533; S. 136) sind mindestens irre-
führend und hätten einer Erklärung bedurft, zumal da dicht dabei (S. 137;
Nr. 29 und S. 136; Nr. 20) auch die einfache Form ort auftritt: der un-
kundige Leser kann sich darunter gar nichts denken, wenn er nicht erfährt,
daß ein ort ein Viertelgulden ist. Die S. 265 einer Ungeldrechnung bei-
gefügte Erklärung „Verzeichnis der Lieferung von Wein und Bier“ ist
falsch: es handelt sich nicht um eine Lieferung, sondern die eingeführten '
Mengen dieser Getränke sind verzeichnet, weil davon das Ungeld, die Ver-
brauchsabgabe, erhoben wurde. Bei den Worten „Beitreibung von Rezessen
1798—1807“ (S. 245) vermag ich mir nichts zu denken und vermute einen
Druckfehler. Als solchen betrachte ich auch S. 299 virkencknisse statt
virhencknisse sowie die fehlerhafterweise nicht getrennten Worte alle nacht
1) Über andere Alsfelder Archivalien vgl. diese Zeitschrift 13. Bd. (2912), $. 303—306.
28
— 316 —
(S. 34) und gu künftiger (S. 36). Die Flurbezeichnung unwendig der sand-
kauten (S. 360) ist bezüglich des ersten Wortes (= „inwendig“, vgl. S. 330
oben) mindestens auffällig, und das letzte wird wohl sandkaulen (Sandgrube)
zu lesen sein. Folgende Worte sind mir unbekannt und hätten, wenn sie
richtig gelesen sind, wohl eine Erklärung verdient: brüderschaft aller elenden
schellen (S. 307), hieger (S. 424), wohl ein Hohlmaß, aber adjektivisch ver-
wendet, ein gebach solle (S. 477) als Armenstiftung, magsamen (S. 386),
gescheid (S. 482), sicher ein Hohlmaß für Korn. Die S. 476 in einem Testa-
ment einer Bürgerin (1572) bedachten Mädchen werden als ihre gote und
in der Mehrzahl goteln bezeichnet: damit sind die Patenkinder gemeint.
Sprachlich ist manches bemerkenswert. Das Wort furche wird 1847
(S. 331—82) im Sinne von Grenze gebraucht, und beforchung (S. 43, 169,
171, 178, 309) ist ganz üblich für Grenzabsteckung. Inbezug auf die
Holzberechtiguug in einer gemeinen Mark (S. 333; 1430) bedeutet schare
die einmalige Ausübung der Nutzung an Holz und Eckern; es gehört zu
scheren. Diese Terminologie findet sich übrigens ganz genau so am Nieder-
rhein 1). Niederfränkische Wortformen fallen mehrmals auf: so kommt in
einer Kirchberger Urkunde von 1390 (S. 298—299) sowohl perrer für
Pfarrer als auch bryp und dit vor, und ganz ähnlich verwendet eine Münzen-
berger Urkunde von 1347 (S. 329), obwohl sie bryf schreibt, die Formen
penge und pernher; dagegen ist der Anlaut in der Form pherner (1490;
S. 306 Nr. ı und jüngerer Rückenvermerk der Urkunde 1321, S. 329) als
pf zu lesen. Eine andere Münzenberger Urkunde (1355, S. 330) enthält
die Formen stede und andirwerp. Als Wort interessant ist die 1380 (S. 298
oben) verwendete Übersetzung von constabularii: stallgenossen. Die Redens-
art aus der schnur zehren ist 1627 (S. 361) bezeugt.
Vermutlich recht lehrreicher und zur Veröffentlichung geeigneter Quellen-
stoff liegt über das Schulwesen vor; es sei nur auf S. 316, 317, 321,
371, 372, 391, 493, 498 und 499 hingewiesen. Da nicht selten über alle
möglichen „,Unsitten“ Beschwerde geführt wird, so findet der Volks-
kundenforscher gewiß manche lehrreiche Mitteilung. Solche sind z. B.
Verordnungen von 1698 gegen Fastnachtsspiele, Mummereien an Neu-
jahr und Walpurgis und von 1771 gegen das Maienhauen und -stecken
(S. 48), von 1757 gegen Unfug bei Hochzeiten (S. 105), gegen Unfug am
Osterfest (S. 112), Berichte über die Kirmesfeier in Ober- Ramstadt 1753
und 1759 (S. 168) sowie die Abschaffung der Kirchweihen 1804 (S. 190).
Von dem „Spinnstubenunfug “ ist um 1825 (S. 222) die Rede, und 1846
von dem in der Fastnachtswoche angeblich stattfindenden Unfug in den
Spinnstuben (S. 452). Ein Bericht über „ortsübliche Gebräuche“ in Gundern-
hausen vom 9. Januar 1853 liegt S. 378 vor, und ohne Zeitangabe werden
S. 259 ältere Verordnungen, betreffend Kirchweihen, Fastnachtsspiele, Neu-
jahrsschießen und Mailehen aufgeführt. Weistümer werden angeführt
S. 36 für Rothenberg und Ober-Hainbrunn, S. 305 für Planig, S. 312 für
die Zent Jugenheim; dazu gehört auch die Berstädter Markordnung von 1716
(S. 288). Das „Hausbuch“ eines Bauern aus Wohnbach aus den Jahren
1) Vgl. Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 23. Bd. (1901), S. 13—14
sowie den Aufsatz von Roese, Das Scharbeil, in der Westdeutschen Zeitschrift
16. Bd. (1897) S. 300—314.
-— 317 —
1725—1750 (S. 54) ist gewiß auch eine lehrreiche Quelle. Bei den S. 164
angeführten fünf Schöffenbüchern aus Münster 1577—1740 und dem Gerichts-
buch von Altenbuseck 1409—1411 (S. 410) hätte der Benutzer gern eine
Angabe über den Inhalt gelesen, ebenso bei dem „alten Seeheimer Gerichts-
buch“ (S. 312) mindestens etwas über die Zeit der Entstehung. In der
Grafschaft Erbach wurde die Konfirmation erst 1697 eingeführt (S. 311),
während sie in Hessen wohl schon früher üblich war. Einem Druck der
Wormser Agende von 1582 ist das hessische Konfirmationsformular band-
schriftlich angefügt (S. 318), aber dessen Entstehungszeit ist nicht genannt.
Im XVIII. Jahrhundert fand die Konfirmation anscheinend zweimal jährlich,
zu Johanni und Advent (S. 449), statt!) Die 1699 den Waldensern er-
teilten Privilegien (Druck) finden sich in Walldorf (S. 66), und die 1698 in
einer allgemeinen Verordnung niedergelegten Privilegien für die, die sich in
Hessen niederlassen (S. 49), beziehen sich offenbar auf die damaligen Hugenotten-
flüchtlinge. Aber auch von einer Regelung der Auswanderung ist die Rede:
aus Hopfgarten (S. 27) und Fränkisch-Crumbach (S. 251) zogen Leute 1766
nach Rußland, andere in einem ungenannten Jahr aus Ober-Ramstadt nach
Ungarn (S. 167), wieder andere 1787 aus Wieseck in fremde Kolonien
(S. 374) und 1853 aus Staden-Stammheim nach Australien (S. 460); ferner
wird S. 49 eine Auswanderungsverordnung von 1794 und ein Aktenstück
„Auswandererfürsorge‘““ S. 93 erwähnt. Über die Blattern und die Schutz-
impfung hören wir 1788 (S. 119), ı804ff. (S. 184), 1801 (S. 390) und in
einem ungenannten Jahre von der Erkrankung der Prinzen (S. 378). Auch
in evangelischer Zeit (1601) hat man in Berstadt das gesonderte Vermögen
von vier Altären aufrecht erhalten (S. 286). Wenn 1731 das Gräflich Solms-
Rödelheimsche Konsistorium verfügt, daß diejenigen Katholiken, welche ihre
Kinder nicht in der lutherischen Religion unterweisen und konfirmieren
lassen wollen, das Land räumen sollen (S. 234), so ist man versucht, dies
als eine Gegenmaßregel gegen die gleichzeitige Verfolgung der Lutheraner
in Salzburg aufzufassen. Falls die Angaben des Bearbeiterss dem Akten-
befund wirklich entsprechen, werden wir annehmen müssen, daß in Herchen-
hain und Umgebung bei der Pest 1635— 36 ein Teil der rettungslos verlorenen
Pestkranken erschossen worden ist (S. 215). Eine Verordnung von 1729
setzte das Mindestalter bei Eheschließungen für Männer auf 26, für Weiber auf
20 Jahre fest (S. 189). Eine landgräfliche Verfügung von 1793 schränkte
das Studieren der jungen Männer ein (S. 241— 242). Die Ausdehnung
des Zehntrechts auf die Nebenfrlichte führte um 1700 zur Einhebung eines Ta-
bakszehnten (S. 46, 380) und Welschkornzehnten (S. 46), während der Hirsen-
zehnten schon 1652 bezeugt ist (S. 50) und der Kartoffelzehnten erst 1767
vorkommt (S. 165). Was unter dem 1783 und 1830 erwähnten „Hassel-
zehnten“ (S. 314, 317) zu verstehen ist, weiß ich nicht. Für die allge-
meine Anwendung des Kerbholzes auch noch im XVII. Jahrhundert zeugen
die Titel von zwei Aktenstücken in Dudenhofen (S. 32): Verseichnus, wie
die huben zur Dudenhoven uff die beithkerben geschnitten werden und
Verseichnus, wie man das viehe pflegt aufzuschneiden. Die Tatsache,
daß zwei Personen zwar in einem Hause gelebt, aber jede ihr eigenes Ver-
1) Vgl. dazu Beobachtungen aus Ostfriesland in dieser Zeitschrift 12. Bd., S. 57.
23*
— 318 —
mögen besessen habe, wird 1572 mit den Worten ausgedrückt, es habe
ein jedes ihr sondere behdekerben gehabt (S. 476), d. h. es sei ein jedes
für sich zur direkten Steuer herangezogen worden. Die für das XV. Jahr-
hundert so bezeichnenden Stiftungen für den Gesang des Salve regina finden
sich z. B. in Münzenberg 1405 (S. 331) und in Dudenhofen 1467 (S. 34).
Über die Übungen der Landwehr ı815—ı816 belehren verschiedene Ver-
fügungen (S. 168, 223, 452). Eine Urkunde über eine Verpachtung von
Acker 1490 ist deswegen lehrreich, weil darin sehr eingehend von der
Düngung die Rede ist (S. 335). Eine Witwenkasse für Pfarrerwitwen ist
1695 bezeugt (S. 316).
Diese Blütenlese bemerkenswerter Einzelheiten mag genügen, um auf
den allgemeinen Wert der durchgängig reichhaltigen hessischen Pfarrarchive
hinzuweisen. Die Hauptsache aber ist, daß die Veröffentlichung im Lande
selbst die rechten Früchte trägt und zur sachgemäßen Verarbeitung des
reichen Stoffes den Anlaß gibt. Aus jedem der oben gegebenen Hinweise
läßt sich die Anregung zu einem kleinen Aufsatz gewinnen, der wesentliche
neue Erkenntnisse vermitteln kann, wenn diese neu erschlossenen Quellen in
den größeren Zusammenhang der kulturgeschichtlichen Forschung hinein-
gestellt werden. T
Beichsritterschaft. — Der Aufsatz Die Reichsritterschaft von Peter
Schnepp, der in dieser Zeitschrift, 14. Bd., S. 157—194 und 315—225
erschienen ist, hat in gewissen Kreisen des Adels Mißstimmung erregt, weil
man darin eine Verunglimpfung des Adels überhaupt, und also auch des
heute unter ganz anderen Verhältnissen lebenden, erblickt hat. Dem ge-
schichtlich Durchgebildeten ist eine solche Auffassung unverständlich; denn
entweder sind die Behauptungen nicht stichhaltig — dann müssen sie sach-
lich widerlegt werden, oder sie erweisen sich als zutreffend — dann sind
es eben geschichtliche Erkenntnisse wie unendlich viele andere, die aber
ganz unmöglich einen Schatten auf die heutigen Nachkommen jener Reichs-
ritter werfen können. Nur mangelhafte geschichtliche Bildung vermag eine
solche Schlußfolgerung zu ziehen. Man muß sich nur klar machen, über
welche Stände und Berufsgruppen bestimmter Zeiten die Geschichtsforschung
abfällige Urteile gefällt hat, ohne daß deren Nachfahren oder die zufälligen
gegenwärtigen Vertreter solcher Berufe sich verletzt fühlten. Es sei nur an
die geschichtlichen Urteile über so manche Fürsten erinnert, deren un-
mittelbare Nachkommen heute die Throne zieren. Es ist mir kein Fall be-
kannt geworden, daß seit Beginn des XIX. Jahrhunderts ein Fürst in einem
ungünstigen geschichtlichen Urteil über einen seiner Ahnen eine persönliche
Beleidigung erblickt hätte, wobei die sachliche Berechtigung des Urteils ganz
außer Betracht bleiben mag.
Von der nach meiner Meinung ganz irrigen Voraussetzung ausgehend,
daß in dem Aufsatze Schnepps eine Beleidigung des Adels an sich vorliege,
hat Freiherr v. Waldenfels (Bayreuth) zunächst im St. Michael, den Ver-
einsmitteilungen des Vereins deutscher Edelleute St. Michael, 1913, Nr. 9
eine Kritik jenes Aufsatzes veröffentlicht. Auf seinen Wunsch habe ich ihm
dann diese Zeitschrift zu einer naturgemäß kurz zu haltenden sachlichen
EB
— 319 —
Entgegnung geöffnet, die oben S. 169— 176 erschienen ist. Aber da darin
der Verfasser des ersten Aufsatzes persönlich angegriffen wurde, mußte: er
selbstverständlich in unmittelbarem Anschluß daran das Wort zur Verteidi-
“gung erhalten. Damit glaubte ich den Streitfall beseitigt zu haben. Doch
tatsächlich traf dies nicht zu; denn im St. Michael 1914, Nr. 7, S. 45—48,
veröffentlichte der Vorsitzende des Vereins deutscher Edelleute St. Michael,
Friedrich Freiherr v. Gaisberg-Schöckingen, einen Aufsatz Zur
Frage der Reichsritterschaft, der ırrıge und irreführende Behauptungen ent-
häk und mir als dem Herausgeber der Deutschen Geschichtsblätter ein-
seitiges Verhalten, d. h. Parteilichkeit in der geschäftlichen Behand-
kung, vorwirf. Dieser Umstand zwingt mich zu einer Richtigstellung.
1. Freiherr v. G. bezeichnet den Aufsatz von Peter Schnepp Die
Reichsritterschaft zweimal als „Tendenzschrift‘“ und will damit sagen,
daß die ganze Arbeit nur verfaßt sei, um dem Adel eins auszuwischen.
Eine solche Unterstellung weise ich nachdrücklich zurück; denn die Deutschen
Geschichtsblätter dienen einzig ünd allein der geschichtlichen Forschung, der
Gewinnung neuer Erkenntnisse, und keinem andern Zwecke. Wem irgend-
weiche in der Zeitschrift niedergelegte Ergebnisse anfechtbar erscheinen, der
mag sie sachlich bekämpfen; aber zu der Unterstellung, daß ein Verfasser
mit seinen Darlegungen sozialpohitische oder sonstige Zwecke verfolge und
etwas anderes niederschreibe als seine wissenschaftlichen Forschungsergeb-
nisse, hat niemand ein Recht, wenn er das nicht beweisen kann. Mich als
den Herausgeber trifft der Vorwurf, bei der Veröffentlichung einer , Tendenz-
schrift‘ als Helfershelfer mitgewirkt zu haben, doppelt schwer, weil darin
ein Zweifel an dem wissenschaftlichen Charakter der Zeitschrift überhaupt
zum Ausdruck kommt. l
2. Freiherr von G. erkennt es als erfreulich an, daß ich Freiherrn vo
Waldenfels das Wort zu einer Entgegnung gegeben habe, aber er fährt dann
fort: „Leider aber hat die Redaktion diese Erwiderung, die naturgemäß
eine gründliche sein sollte, auf den Raum von 7 Seiten zugestutzt und
gleichzeitig Herm Peter Schnepp zu einer ‚Erwiderung‘ den Raum von
8 Seiten überlassen, um des Freiherrn von Waldenfels Ausführungen zu zer-
zausen.“ Es ist eine freie Erfindung, daß ich mich an dem Texte des
Freiherrn von W. vergriffen hätte. Zur Aufnahme einer solchen unfrucht-
baren Polemik war ich durch nichts gezwungen, sondern ich habe ihr ganz
freiwillig aus Entgegenkommen gegenüber anderen Anschauungen Raum ge-
geben, aber mit Rücksicht auf die übrigen Leser mußte ich natur-
gemäß den Umfang von vornherein beschränken. Nicht ich habe den Auf-
satz des Freiherrn von W. „gestutzt‘“‘, sondern ich habe ihm sein Manuskript
zur knapperen Fassung zurückgegeben. Das war sehr gut möglich, weil
sich manche unnötigen Worte streichen und namentlich die zahlreichen
Wiederholungen der Schneppschen Ausführungen sich kürzer wiedergeben
ließen. Darauf ging Freiherr von W. ein und schrieb mir unter dem
10. Februar 1914 wörtlich: „Heute habe ich die Umarbeitung .... voll-
endet und 23 Schriftseiten auf 12 gebracht, ohne einen wichtigen
Gedanken auszuschalten.“ Nach dem eigenen Zeugnis des Verfassers
hat also die Gründlichkeit der Erwiderung durch die Kürzung nicht gelitten,
nach meiner Überzeugung sogar wesentlich gewonnen.
— 320 —
Da sich Freiherr von W. persönlich gegen Schnepp wandte, so lag es
nicht in meinem Belieben, ob ich letzterem das Wort zur Verteidigung geben
wollte, sondern ich war nach den bei wissenschaftlichen Auseinandersetzungen
ganz allgemein anerkannten Grundsätzen dazu einfach verpflichtet, und '
das wußte Freiherr von W. im voraus. Wenn ihm das nicht behagt hätte,
dann hätte er ja seine Entgegnung an andrer Stelle veröffentlichen können.
Da es sich um eine wissenschaftliche Polemik und nicht um eine preßrechtliche
„Berichtigung“ handelte, hing es nur von meinem Entschluß ab, wieviel
Raum ich Schnepp gewähren wollte. Tatsächlich ist jedoch die Auslassung
Schnepps kürzer als die des Freiherm von W.; denn nur auf meinen
Wunsch sind in den Text auf mehr als zwei Druckseiten in Petitdruck einige
lehrreiche, urkundlich erhärtete Beispiele eingeschoben, die in die Ent-
gegnung an sich nicht gehören, und zwar geschah das, um auch den an
dem Streite uninteressierten Lesern etwas zu bieten.
3. Um über die Geschichte des Adels wesentlich Neues zu bringen,
empfiehlt Freiherr von G. die Ausbeutung der großen reichsritterschaftlichen
Archive, die noch undurchforscht seien, und fährt dann fort: ‚In St. Gandolf
freilich ist das nicht möglich, da ist es leichter, den Spuren der Vorgänger
zu folgen und irgendwo Einzelheiten herauszugreifen, um sie zu verall-
gemeinern.“ Darin liegt der Vorwurf, daß ein Unberufener sich in Dinge
eingemischt habe, die er nicht verstehe und über die er an seinem Wohnort
gar keinen Stoff haben könne. Gewiß wirkt Schnepp seit wenigen Jahren
in Kärnten, aber er hat vorher viele Jahre lang in seiner Heimat, dem
Hunsrück, gerade die Adelsarchive durchforscht, und daß er in der Ver-
gangenheit dieser Gegend gut Bescheid weiß, zeigt sein Aufsatz Der Nahegau
in dieser Zeitschrift 12. Bd. (1911), S. 229—247. Von dieser beson-
deren Beschäftigung Schnepps mußte Freiherr von G. Kenntnis haben, wenn
anders er überhaupt das, worüber er schreibt, pflichtgemäß gelesen hat;
denn abgesehen von den vielen seinem engeren Arbeitsgebiet entnommenen
Einzelheiten !) sagt Schnepp Bd. 15, S. 178—179 ausdrücklich: „Ich habe
die urkundliche Geschichte der Burgen Steinkallenfels, Rheingrafenstein, Leyen,
Oberstein, Waldeck, Schöneck, Ehrenberg usw. geschrieben und einen Ein-
blick gewonnen in das Leben und Treiben der rheinischen gesamten Ritter-
schaft.“ Eben weil ich diese reiche Erfahrung des Verfassers auf diesem
Gebiete und seine Bekanntschaft mit vielen ungedruckten einschlägigen Quellen
kannte, habe ich ihn gebeten, einmal auf Grund der Literatur und der be-
sonderen Vertrautheit mit diesen Verhältnissen ein knappes Gesamtbild von
der Entwicklung der Reichsritterschaft zu zeichnen.
Ein Gedanke, den Freiherr von G. entwickelt, verdient Beachtung. Er
meint, um über die Reichsritterschaft etwas wesentlich Neues zu bringen,
sei guter Wille und ein erheblicher Zeitaufwand erforderlich, aber wenn diese
vorhanden wären, wäre dies wohl möglich, „denn noch sind große
reichsritterschaftliche Archive gänzlich undurchforscht“.
Ob für die Fragen, an deren Beantwortung Freiherr von G. zunächst
denkt, der bei der Ausbeutung jener Archive zu gewinnende neue Quellen-
stoff von so besonders großer Bedeutung sein würde, davon wollen wir hier
1) Man vgl. z. B. die Zusammenstellung der Burgen im Hunsrück Bd. 14, S. 164—165.
— 321 —
weiter nicht reden. Aber darüber, daß im allgemeinsten geschichtlichen
Interesse sämtliche Adelsarchive dringend eine baldige Erschließung und
Ausbeutung verdienen, kann ein Zweifel nicht bestehen. Deshalb wäre es
sehr zu begrüßen, wenn die größeren und kleineren Organisationen des Adels,
voran der Verein deutscher Edelleute St. Michael, ihren Mitgliedern
dringend ans Herz legten, ihre Archive wissenschaftlich bearbeiten zu lassen.
Und da man auch mit dem alten Werke des Freihern Roth von Schrecken-
stein, Geschichte der ehemaligen freien Reichsritterschaft (Tübingen 1859),
nicht zufrieden ist, könnten die genannten Adelsorganisationen sich ein großes
Verdienst erwerben, wenn sie die natürlich recht erheblichen, aber auf min-
destens ein Jahrzehnt zu verteilenden Mittel bereit stellten, um einen Fach-
mann mit der neuen Bearbeitung des gewaltigen Stoffs zu betrauen. Daraus
würden alle Beteiligten den größten Nutzen ziehen! Tille
Eingegangene Bücher. -
Doppler, P.: Het oudste burgerboek van Maastricht (1314—1379) [= Pu-
blications de la Société historique et archéologique dans le Limbourg
à Maestricht tome XLIX (1913), S. 305—362].
Hansen, Joseph: König Friedrich Wilhelm IV. und das liberale März-
ministerium Camphausen-Hansemann i. J. 1848 [== Sonderabdruck aus
der Westdeutschen Zeitschrift für Geschichte und Kunst XXXII, Heft 1/2].
Trier, Jacob Lintz 1913. 72 S. 8. M 1,50.
Hasenclever, Adolf: Die Orientalische Frage in den Jahren 1838—1841.
Ursprung des Meerengenvertrages vom 13. Juli 1841. Leipzig, K. F.
Koehler 1914. 320 S. 8. Ææ 7,50.
Huhnhäuser, Alfred: Rostocks Seehandel von 1635—1648 nach den
Warnemünder Lizentbüchern. I: Die Schiffahrt [== Beiträge zur Ge-
schichte der Stadt Rostock, herausgegeben vom Verein für Rostocks
Altertümer, Achter Band (Jahrgang 1914)]. Rostock, Stiller (Franz
Passow) 1914. 149 S. 8°.
Jansen, M. und Schmitz-Kallenberg, L.: Historiographie und Quellen
der deutschen Geschichte bis 1500 [== Grundriß der Geschichtswissen-
schaft, herausgegeben von Aloys Meister. Reihe I, Abteilung 7]. Zweite
Auflage. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner 1914. 130 S. 8°. M 3,00.
Keller, Ludwig: Die Freimaurerei, eine Einführung in ihre Anschauungs-
welt und ihre Geschichte [== Aus Natur und Geisteswelt, 463. Bändchen].
Leipzig und Berlin, B. G. Teubner 1914. 147 S. 8%. Geb. Æ 1,25.
Krudewig, Johannes: Der Königsforst bei Köln. Eine forstwirtschafts-
geschichtliche Studie, I. Teil [= Jahrbuch des Kölnischen Geschichts-
vereins, 2 (1913), S. rn
Mettig, C.: Bemerkungen zur Geschichte der Uhrmacher in Riga [== Sitzungs-
berichte der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde der Ostsee-
provinzen Rußlands aus dem Jahre 1912 (Riga 1914), S. 96—ıo2].
Müller, Ernst: Westfalens Opfer in den Befreiungskriegen 1813—1815.
Gleichzeitige amtliche Darstellung. Münster (Westf.), Franz Coppenrath
1913. 75 S. 8. Æ 3,00. |
— 322 —
Pillet, André: Recherches, faites en Allemagne sur horloger Charles
Guillaume Nauendorff, prétendu fils:de Louis XVI. et de Marie Antoi-
nette. III: Ses antécédens devant le tribunal. Paris, Auguste Picard
1913. S. 117—210. 8°.
Ungern-Sternberg, Paul Freiherr von: Urkunden zur Geschichte des
schwedisch-polnischen Krieges aus den Jahren 1600—1627 [== Sitrangs-
berichte der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde der Ostsee-
provinzen Rußlands aus dem Jahre r912 (Riga 1914), S. 172—204].
Weber, Ottokar: Von Luther zu Bismarck. Zwölf Charakterbilder aus
deutscher Geschichte. Zweite Auflage. a Bände [= Aus Natur und
Geisteswelt, 123. und 124. Bändchen]. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner
1913. 128 und 140 S. 8%. Æ 2,50.
Andreae, Friedrich: Die freiwilligen Leistungen von 1813 [= Zeitschrift
des Vereins für Geschichte Schlesiens, 47. Band (1913), S. 150—197].
Albrecht, Hans: Die freie Reichsstadt Nördlingen und der spanische Erb-
folgekrieg [== Historischer Verein für Nördlingen und Umgebung, 2. Jahr-
buch (1913), S. 32—185].
Arras, Paul: Zeitgenössische Berichte tiber die Schlacht bei Bautzen am
20. und 21. Mai 1813, zusammengestellt und erläutert. Mit einem
Schlachtplan. Bautzen, Weller, o. J. 67 S. 8%. 4 0,40.
Bode, Wilhelm: Karl August von Weimar. Jugendjahre. :: Mit zablreichen
Abbildungen. Berlin, Siegfried Mittler und Sohn 1913. 364 S. 8°.
Geb. Æ 5,00.
Bruck, Robert: Sächsische Schlösser und Burgen, herausgegeben m Auf-
trage des Kgl. Sächs. Ministeriums des Innern vom Landesvereia Sächsi-
scher Heimatschutz, Dresden. Dresden, Landesverein Sächsischer
Heimatschutz 1913. 33 S. und 60 Tafeln 4°.
Bruhns, B.: Das Flurkroquis von Zittau [== Mitteilungen der Gesellschaft
für Zittauer Geschichte, Nr. 9 (1913), S. 3—31].
Diamand, Anton: Inventare und Ordnungen der ehemaligen Burg Waller-
stein = Historischer Verein für Nördlingen und Umgebung, 1. Jahr-
buch (1912), S. 32—79].
Dietz, A.: Meisterverzeichnis der Frankfurter Goldschmiede im Mittelalter
1223—1556 [== Archiv für Frankfurts Geschichte wad Kunst, Dritte
Folge, Bd. 11 (1913), S. 191—211}.
Eberbach, Otto: Die deutsche Reichsritterschaft in ihrer staatsrechtlich-
politischen Entwicklung von den Anfingen bis zum Jahre 1495 [== Bei-
träge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, heraus-
gegeben von Walter Goetz, Heft ıı]. Leipzig und Berlin, B. G.
Teubner 1913. 178 S. 8%. Æ 6,00.
Forst-Battaglia, Otto: Genealogie [= Grundriß der”Geschichtswissen-
schaft, herausgegeben von Alois Meister, Reihe I, Abteilung 4*].
Leipzig und Berlin, B. G. Teubner 1913. 68 S. 8°... Æ 1,80.
Grossart, Karl: Die Landstände in der Reichsabtei Fulda und ihre
Einungen bis zum Jahre 1410. Marburger Dissertation 1914. 114 S. 8°.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Weimar.
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.
KK _—_——o
Deutsche
Geschichtsblätter
Monatsschrift
für Erforschung deutscher Vergangenheit
auf landesgeschichtlicher Grundlage
unter Mitwirkung von
Professor FINKE -Freiburg i. B. Professor v. OTTENTHAL - Wien
Archivdirektor Prof. HANSEN-Köln Professor OSW. REDLICH - Wien
Professor HENNER- Würzburg Professor v. d. ROPP-Marburg
Professor KOSSINNA -Berlin Professor A. SCHULTE -Bonn
Geh. Archivrat KRIEGER - Karlsruhe Geh. Archivrat SELLO - Oldenburg
Ober-Reg.-Rat W. LIPPERT-Dresden Geh. Archivrat WÄSCHKE - Zerbst
Archivdirektor Prot. M. MAYR - Innsbruck Professor WEBER-Prag
Archivdirektor Professor MELL- Graz Professor W EN CK - Marburg
Archivrat M ERX -Münster i. W. Archivdirektor W ITT c - Neustrelitz
herausgegeben von
Dr. Armin Tille
Archivdirektor in Weimar
XVI. BAND
Verlag Friedrich Andreas Perthes A.-G. Gotha 1915
Inhalt.
Aufsätze:
Boerner, Gustav (Fürstenwalde): Die Bildung slawischer Ortsnamen
Dorn, Johann (München): Register su landes- und men Zeit-
schriften . . ..
Horwitz, Hugo Theodor (Leipzig): Geschichte ir. Technik
Kötzschke, Rudolf (Leipzig): Karl Lamprecht .
Müller, Georg (Leipzig): Visitationsakten als Geschichtsquellen
Steinberger, Ludwig (München): Zum Itinerar Kaiser Gratians im Jahre
379 n. Chr. . . . er er a a
Strantz, Kurd v. (Berlin): Dynasten And EEE ar er GE
Tille, Armin (Weimar): Nachwort zu dem Aufsatze von R. Kötsschke,
Karl Lamprecht. Be Mn a a o e a a a
Wäschke, Hermann (Zerbst): Eindrücke vom Kurfürstentag su Regens-
burg 1630. Auszüge aus dem Tagebuch Christians II. von
Anhalt . . 57—76, 103—132,
Wiedemann-Warnhelm, Adolf v. . (Wien): Die Polisei unter Josef TI..
WoH, Rudolf (Halle a. d. S.): Bibliographie zur Geschichte der Deutsch-
ordens-Balleien Er ar a Be er ee ee ee
Wolfram, Ludwig (Dinkelsbühl): Zur Zrinnerung an Karl Theodor von
Hegel . . Br
Mitteilungen:
Archive: Das städtische Archiv in Göttingen (Ferdinand Wagner) 47—52;
Fürstlich-Wiedisches Archiv zu Neuwied, Urkundenregesten
und Akteninventar 52— 54; Repertorium des Stadlarchivs
Colmar i. E. 54—55; Württembergische Archivinvenlare, 2
bis 11. Heft 212—217; Archivalien zur neueren Geschichte
Österreichs, 1. Bd. 259—262.
Ausgrabungsgesetz für Preufsen er ;
Berichtigungen . ;
Eingegangene Bücher 32, ra IOI—102, 133—134, ee 218, 264
bis 266, 315—316.
Seite
219—247
267 — 288
. 195—207
. 159—186
-1—32
248—259
288 — 315
187—193
147—152
33—47
76—98
135—146
152—156
158, 316
Seite
Historische Kommissionen: Historische Kommission für Hessen und
Waldeck 56; Württembergische Kommission für Landes-
geschichte 217—218; Historische Kommission für die Provinz
Sachsen und das Herzogtum Anhalt 262—264; Kommission
für neuere Geschichte Österreichs 264.
Museen: Niederösterreichisches Landesmuseum (Max Vancsa) . . . . . 207—312
Naturschutz . NE ee ran allen Zn ee ee ae ee Me eo
Nekrologe: für Georg Adalbert von Mülverstedt (G. Sommerfeldt) 99
bis 101; für Georg Anton Weber (L. Fränkel) 132—133.
IOI
Personalen. . . 20er en... 99—101, 132—133
a r E a a a T a a a a
: brach und alle Teilnahme auf sich zog, bestand wenig Nei-
| aerae gung zu wissenschaftlicher Betätigung, und da überdies wie
in jedem Wirkungskreise so auch bei uns empfindliche Lücken
entstanden, so hielten es Verlag und Herausgeber für zweckmäßig,
nach dem Schlusse des fünfzehnten Jahrganges der Deutschen Ge-
schichtsblätter eine kleine Unterbrechung eintreten und den neuen
Jahrgang statt mit dem ı. Oktober erst mit dem neuen Kalender-
jahre beginnen zu lassen. Somit sind drei Monatshefte ausgefallen.
Die Tage, da die Weltereignisse auf jeden einstürmen und manche
ungewohnte Arbeit die Kräfte in Anspruch nimmt, erscheinen auf den
ersten Blick zur Vertiefung in landschafts- und ortsgeschichtliche Stoffe
wenig geeignet; denn die Gegenwart und vielleicht noch mehr die
nächste Zukunft beschäftigt vorerst die Geister. Wer indes die Vor-
gänge, die wir in den letzten fünf Monaten erlebt haben, mit ge-
schichtlich geschultem Blicke verfolgt, der erkennt in dem plötzlichen
Wandel, der sich bei der überwiegenden Masse des deutschen Volkes
in geistiger Hinsicht vollzogen hat, ein Ereignis von größter Bedeu-
tung für den Gesamtverlauf der deutschen Geschichte; der weiß aber
auch, daß die Kräfte, die mit einem Schlag lebendig wurden, bereits
vorher vorhanden gewesen sein müssen, wenn auch zumeist unwirk-
sam, und daß wir darin das Gesamtergebnis der letzten vier Jahr-
zehnte in ihrer geistigen Einwirkung auf das Volk in allen seinen
Schichten erblicken dürfen.
Der Inhalt dieser Errungenschaft besteht seinem Wesenskerne
nach in einem harmonischen Ausgleich zwischen dem Volks bewußt-
sein, der Hingabe an das Ganze, und der Stammeszugehörigkeit,
in der wirtschaftlich und geistig ein jeder Deutsche wurzelt: Volks-
bewußtsein und Stammeszugehörigkeit haben endgültig
aufgehört Gegensätze zu scin. Die Anspannung aller geistigen
und körperlichen Kräfte vollzieht sich überall in den gewohnten
Bahnen, die sich aus der engeren Lebens- und Arbeitsgemeinschaft
ergcben, und alle kleineren und größeren Gemeinschaften wetteifern
miteinander in Erfüllung der höchsten vaterländischen Pflichten; da-
durch erst entstehen die llöchstleistungen, die wir auf allen Gebieten
bewundern.
Dieses natürliche Ineinandergreifen zweier cinst gegensätzlicher
Kräfte bedeutet in wissenschaftlicher Hinsicht nichts Geringeres als die
Rechtfertigung des Gedankens, aus dem die Deutschen Geschichtsblätter
hervorgegangen sind, des aus allen ihren Heften hervorleuchtenden
Grundsatzes, die Kenntnis der deutschen Vergangenheit durch Er-
forschung der landesgeschichtlichen Eigentümlichkeiten und
ihre vergleichende Darstellung zu fördern; denn dadurch erst
wird das scheinbar Kleine der örtlichen und landschaftlichen Ge-
schichte für die deutsche Gesamtgeschichte nutzbar gemacht.
Die großen politischen Ereignisse des verflossenen Jahrhunderts
haben sämtlich einen starken Einfluß auf die deutsche Geschichts-
forschung ausgeübt, sowohl ihre Arbeitsweise als auch ihre Richtung
merklich bestimmt und ihr neue Bahnen gewiesen. So wird es auch
sein, wenn das deutsche Volk sicgreich aus dem Weltkrieg hervor-
gegangen ist, und zwar fällt, nachdem auch der letzte Schein parti-
kularistischer Strömung in politischem Sinne verschwunden ist, der
landschaftlichen Geschichtsforschung die große Aufgabe
zu, das so handgreiflich lebendig gewordene deutsch -vaterländische
Empfinden wachzuhalten. Das geschieht am nachhaltigsten und wirk-
samsten dadurch, daß sie den Baustcin, den jeder deutsche Stamm
und jede deutsche Landschaft in zwei Jahrtausenden zum Aufbau der
deutschen Gesamtkultur geliefert hat, herausarbeitet und so die all-
mähliche Entstehung des deutschen Volkes, wie es heute erscheint,
verständlich macht. In der so vielfach erhobenen Klage über den
einst bestehenden Widerstreit der Stämme, Territorien und Einzel-
staaten untereinander darf ein gerecht wägender Urteiler einen Ana-
chronismus erblicken, insofern für jene vergangenen Zeiten das
Einheitsvolk und der Einheitsstaat mehr in der Vorstellung der Nach-
lebenden als in der Wirklichkeit vorhanden waren, so daß dasjenige,
was man bisher zumeist als Abfall von dem Volksganzen, als Ver-
neinung der Volksidee hinzustellen pflegte, als natürliche Auswirkung
der grundsätzlich vom Stamme verkörperten tatsächlichen größten
Gemeinsamkeit anzusprechen ist. Das Zusammenwachsen der
alten Stämme und der auf dem von ihnen besiedelten
Kolonialboden neu entstandenen Volksgebilde zu einem
deutschen Volke stelit den Inhalt der deutschen Geschichte
dar. Und das Merkmal der deutschen Entwicklung, das sie von dem
Werdegang der meisten anderen Gegenwartsvölker unterscheidet, be-
steht in dem Umstand, daß die völkische Einheit der Deutschen auf
natürlichem Wege langsam allein durch kulturelle Arbeit er-
rungen worden ist und daß sie selbst zuletzt die für ihre Eigenart
passende Staatsform gefunden hat, während bei der Mehrzahl der
europäischen Völker die Volkskultur im Rahmen eines Staates
und unter dessen starkem Einfluß entstanden ist.
Gerade in unseren Tagen, da die Völker so heftig wie nie zuvor
aneinander prallen, muß der landschaftliche und örtliche Geschichts-
forscher, der scheinbar am Kleinen hängt, sich diese Zusammenhänge
vergegenwärtigen. Er wird dadurch die Überzeugung gewinnen, daß
auch er an dem großen Werke der nationalen Volkserziehung mit-
schafft, wenn er in irgendwelchen sachlichen Beziehungen die in den
einzelnen Landschaften bestehenden Verschiedenheiten darstellen und
dadurch die verschlungenen Pfade, auf denen sich der Werdegang
des Volkes abgespielt hat, aufhellen hilft. Für diese Zeitschrift aber,
die sich die Erforschung deutscher Vergangenheit auf landes-
geschichtlicher Grundlage zu ihrer Aufgabe gemacht hat und
die jetzt in ihren sechzehnten Jahrgang eintritt, ergibt sich aus
diesen Erwägungen die Gewißheit, daß das von ihr in anderthalb
Jahrzehnt verfolgte Ziel das richtige gewesen ist. Die Unterzeichneten
halten es für ihre Pflicht, den bisherigen Grundsätzen getreu das
Werk fortzusetzen; sie hoffen bestimmt auf die Fortdauer der bisher
von so vielen Seiten bewiesenen Änhänglichkeit und nicht minder
auf die Gewinnung neuer Freunde.
Gotha und Weimar, Ende Dezember 1914.
a
Der Verlag: Der Herausgeber:
Friedrich Andreas Perthes Dr. Armin Tille,
A.-G. Direktor des Großherzogl. Sächs. Geheimen
Haupt- und Staatsarchivs.
Deutsche Geschichtsblätter
Monatschrift für Erforschung der deutschen Ver-
gangenheit auf landesgeschichtlicher Grundlage
XVI. Band Januar 1915 1. Heft
Visitationsakten als Geschiehtsquellen
Von
Georg Müller (Leipzig)
Seit dem Abschlusse meiner Studie im 8. Bande (1907) dieser
Zeitschrift, S. 287—316, ist eine Reihe von Arbeiten erschienen, die
ar die "Wichtigkeit der Visitattomsakter als (:cschichtsquellen beredtes
Zeugnis abgelegt haben. Schon das von H. Caselmann bearbeitete
Register zu A. Haucks Realenzyklopädie für protestantische Theologie
zeigt (Band 22, S. 243) mit seinen fast 50 Stichworten zu Kirchen-
visitationen den Reichtum der Beziehungen vom Mittelalter bis in die
neueste Zeit. Hauck selbst hat dazu einen Nachtrag in der Notiz
„Kirchenvisitationen“ in dem 23. (Ergänzungs-)Bande der Realenzy-
klopädie, S. 764 geliefert.
Auch ausländische Gelehrte sind mit wertvollen Arbeiten beteiligt.
Rhallis!) in Athen bietet einen Überblick von der ältesten Zeit der
Kirche bis zur Gegenwart. Nur kurz ist der Abschnitt über das Visi-
tationsrecht der Metropoliten (S. 382—384), dagegen sehr ausgiebig
auf 37 Seiten mit reichen Anmerkungen die bischöfliche Visitation be-
_ handelt. Vor allem wird die deutsche Forschung verwertet, aber auch
englische und französische Quellenarbeit herangezogen. Von beson-
derem Interesse sind die Bestimmungen über die einzelnen Gebiete
der Balkanhalbinsel, Rumänien und Österreich-Ungarn. Nach Darstel-
lung der Anfänge in der Kirche des Orients findet die Lehre und
Übung der abendländischen Kirche des Mittelalters eingehende Be-
rücksichtigung.
Aus dem frühen Mittelalter war das Sendgericht, auf das die
Universität Tübingen 1888/89 mit einer Preisarbeit über „die Zuständig-
keit und das Verfahren der kirchlichen Sendgerichte in Deutschland
1) Rhallis, Konstantin: Die bischöflichen Visitationen (Iep tüv Enıoxon&v
nemodeav) nach dem Recht der orthodox morgenländischen Kirche in: Zeitschrift
Byzantis Bd. I (1909), S. 382—421. (S.-A.)
1
2.9 se
während des XII.— XV. Jahrhunderts“ die Aufmerksamkeit gelenkt
hatte, mehrfach Gegenstand der Bearbeitung. A. Hauck!) gab eine
gründliche und anschauliche Zusammenfassung, C. Borchling ?) wies
auf das Rüstringer Sendrecht hin, in einer umfangreichen Arbeit be-
handelte A. M. Koeniger?°) Entstehung, Verfassung, Verfahren, Ver-
breitung und Bedeutung, gab auf S. IX— XV ein Verzeichnis der
Quellen, brachte auch mehrere wichtige alte Ordnungen mit sachlichen
und kritischen Erläuterungen zum Abdruck.
Die Bedeutung der Visitationsprotokolle für die Kulturgeschichte
ergibt sich aus den fesselnden Zügen, die V. Carritre) in seiner
Studie Une visite synodale dans Vancien archidiacone de Carden ent-
wirft. Auf Grund der Bestimmungen der Lateransynode von 1179 unter
‚Alexander III. schildert er u. a. das glänzende äußere Auftreten der
Visitatoren, das den besuchten Gemeinden große Kosten verursachte.
Der Papst verbot den Erzbischöfen, mit einem Gefolge von mehr als
50 Pferden zu erscheinen; der Kardinal sollte nicht mehr als 25, der
Bischof nicht mehr als 30 mit sich führen; der Archidiakon soll sich
mit 5 bis 7, der Dekan mit zweien begnügen. Von der Kirche sollte der
Visitator nichts verlangen, von den Pfarrern keine glänzenden Feste
fordern, nicht als Jäger mit Hunden und Falken erscheinen, seines
priesterlichen Amtes eingedenk sein. Aber noch aus einem späteren
päpstlichen Erlasse erfahren wir 5), daß ein Archidiakon in Richmond
seine Besuche mit 97 Pferden, 21 Hunden und 3 Jagdfalken, ohne
das sonstige Gefolge, machte. Im Gegensatze dazu wurde für den
Bischof von Trier festgesetzt: So wan mein gnediger herr von Trier
den [enth besitzet, der soll kommen gerieden mit funffschen perden und
fo manchen man 5).
Aber der Durchführung dieser Bestimmungen stellte sich heftiger
Widerstand entgegen. Deshalb machten sich immer wieder Verhand-
1) Hauck, A.: Send, Sendgerichte, in: Hauck, Realenzyklopädie f. prot. Theol.
u. Kirche XVII’, S. 209—215.
2) Borchling, C.: Die älteren Rechtsquellen Ostfrieslands.. (Aurich 1906.
Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands, Heft V, S. 88.)
3) Koeniger, A. M.: Die Sendgerichte in Deutschland. 1. Band. München
1907. Auch u. d. T.: A. Knöpfler, Veröffentlichungen aus dem Kirchenhistorischen
Seminar München. III. Reihe, Nr. 2, 1. Band. — Koeniger, A. M.: Quellen zur
Geschichte der Sendgerichte in Deutschland. (München 1910.)
4) Revue des Questions Historiques. 47. année, nouvelle série. Tome XLVII
(Paris 1912), p. 119.
5) Haureau, M.: Journal des savants 1885, p. 678.
6) Grimm, J.: Weistümer II, 424 f.
ae
lungen nötig. Päpste und Konzilien voran, aber auch die Organisationen
der einzelnen Orden suchten das Ansehen der Visitatoren zu stützen,
wie die Rechtsgültigkeit und praktische Durchsetzung der erlassenen
Bestimmungen zu sichern.
Von großer Bedeutung wurde das IV. Laterankonzil vom Jahre
1215, auf dem Innozenz Ill. neben der Neueinführung der Provinzial-
kapitel die Visitationen in ihren Rechten bestehen ließ.
Auch die Päpste Honorius III. und Gregor IX. verstärkten die
Macht der Visitatoren, indem sie ihre Beschlüsse gegen selbstsüchtige
Einsprüche schützten.
Während Innozenz IV. ihnen einige Rechte entzog, haben Alex-
ander IV. und Urban IV. sich auf der Bahn des Fortschritts bewegt.
In England traten die Beschlüsse zuerst ins Leben, in Deutsch-
land war zunächst noch wenig zu merken.
Da nahm Benedikt XII. mit der Bulle Summit magistri vom 20. Juni
1336 die Frage wieder auf und regelte die Rechte der Visitatoren.
Immer deutlicher merkte man den Fortschritt. Die Generalkapitel
und Visitationen dienen nicht mehr bloß der Aufsicht und Kontrolle,
sie stellen sich in den Dienst der Reform: Visitation und Reform ge-
hören eng zusammen.
Dies zeigt sich in zahlreichen Aktenstücken, die uns z.B. aus dem
Zisterzienser- und Benediktinerorden erhalten sind. Je größere Be-
deutung die Visitationen und ihre Beschlüsse erlangten, um so wich-
tiger wurde ihre schriftliche Feststellung und dauernde Erhaltung 1).
In der charta visitationis wurden die vereinbarten Bestimmungen nieder-
gelegt, die uns in wertvollen Stücken zur Verfügung stehen. O. Grilln-
berger 3) hat aus einem Formelbuche des österreichischen Klosters
Wilhering, das wohl auf eine ältere Vorlage zurückgeht, eine Reihe
von Beispielen veröffentlicht, die uns in den Visitationsbetrieb um die
Mitte des XIV. Jahrhunderts einen guten Einblick gestatten. Es ist
die Frage, ob sie wirkliche Erlasse in Abschrift sind oder nicht viel-
mehr Musterbeispiele, in denen die Namen, Zeiten und Verhältnisse
willkürlich angenommen werden. Sie beziehen sich z. B. auf die Visi-
tation des Stiftes Hohenfurt in Südböhmen. Am ı. Juni 1340 visi-
ı) Ein Protokollführer, scriba, wird in Erfurt erwähnt, Linneborn: Die Re-
formation usw., S. 300.
2) Grilinberger, O.: Das Wilheringer Formelbuch ‘De cartis visitationum’,
in: Stndien und Mitteilungen aus dem Benediktiner- und Cisterzienserorden. Jahrgang XIX
(1898), S. 229—246. 418—425. 587—601; Jahrgang XX (1899), S. 127—137. 482
bis 492.
19
nd: Be
tierte es Abt Hermann von Wilhering und urkundete über den ge-
fundenen Vermögensstand; am 19. Mai 1351 visitierte Abt Wernhard
von Wilhering mit dem Abte Heinrich von Säusenstein und hinterließ
eine carta visitationis. Da werden die verschiedensten Verhältnisse
erörtert. Vorwiegend sind es wirtschaftliche Angelegenheiten, die ge-
ordnet werden, so die Aufbewahrung des Geldes in der öffentlichen
Kasse. Aber auch die mönchische Disziplin, die regelmäßige Abhal-
tung des Gottesdienstes, sowie die Beteiligung der Brüder an dem-
selben, das Verhältnis der Alten zu den Jungen, des Abtes zu den
Brüdern, die Fürsorge für die Kranken, Verhandlung über die Klei-
dung, u. a. m., kehrt mehrfach wieder.
Zum Teil sind es recht umfangreiche Bestimmungen. Die Nieder-
schrift vom 19. Mai 1351 umfaßt im Druck drei ziemlich eng gedruckte
Seiten. Genaue Vorschriften wurden für die Bekanntmachung erlassen:
Die carta, heißt es, alternis mensibus et in capitulo prelegatur, ne quis-
quam ad sui excusationem ignorantiam valeat allegare. Ein anderes Mal
wird die viermalige Vorlesung, einmal auch VI vicibus ante futuram
visitationem vorgeschrieben.
Eine neue Anregung bekam die Visitationsbewegung im XV. Jahr-
hundert. Die verschiedenen kirchlichen Instanzen wirkten hier zu-
sammen, um Visitationen durchzuführen, deren Ergebnisse uns in Pro-
tokollen und anderen Urkunden erhalten sind. Das Kloster St. Jakob
in Lüttich war der Herd, von dem die Anregung ausging. Von hier
zog Johannes Rode mit vier Mönchen nach St. Matthias in Trier. Den
im Mutterkloster geltenden Ordinarius, die 1418 für das Kloster Ab-
dinghof getroffenen Bestimmungen der Cluniacenser- Visitatoren und
einige Erklärungen der Benediktinerregel benutzte er dazu, um für die
ihm unterstellten Klöster neue Bestimmungen abzufassen. Als General-
visitator führte er sie in der ihm unterstellten Köln -Trierer Provinz
ein !). Auch päpstlicher Hilfe durfte er sich erfreuen.
Zahlreiche höchst instruktive Dokumente sind uns aus dieser Zeit
erhalten. Erwähnt sei ein solches über eine Visitation in der Abtei
St. Jakob in Lüttich, das von U. Berlitre veröffentlicht worden ist.
Gerade im Zusammenhange mit dieser Bewegung entstehen hie und
da die Vorschriften: der modus visitandi wird genauer festgesetzt und
namentlich auch die schriftliche Niederlegung der Beschlüsse und Maß-
regeln genau betont. Aus einer Veröffentlichung von O. Grilln-
1) Linneborn, J.: Die Reformation der westfälischen Benediktinerklöster im
XV. Jahrhundert durch die Bursfelder Kongregation, in: Studien u, Mitt. aus dem
Benediktiner- und Cisterzienserorden. XX. Jahrgang (1899), S. 270.
Br er
berger !) hebe ich einige charakteristische Stellen heraus. Da heißt
es: Post actum computationis secunda die ante tertium capitulum fiat
charta visitationis, si fuerit renovanda, et petatur ab abbate, si voluerit
poni aliqua specialia. Quibus factis dicat assessor: Nos facimus ali-
quas ordinationes, prout potuimus, sicut vos audietis. Et tunc legantur
per commissarium. EL finita charta visitatoris dicat: Observetur melius
solito et legatur per cantorem, prout in ipsa continetur.
Im allgemeinen wird geraten: ab initio visitationis severitate, in
progressu diligentia, in fine iustitia utatur ?). Auch spezielle Weisungen
werden erteilt.
Auch den Visitatoren werden Anweisungen über den sachgemäßen
Vollzug der Visitation gegeben.
Ich erwähne folgende Bestimmung bezüglich der Prüfung der wirt-
schaftlichen Angelegenheiten nach einer Düsseldorfer Handschrift 3):
Sed caveatur, ne existimatio aliqua jungatur cum summa aliqua
clara vel recipiendorum vel expensorum. Ezxistimatio fallit multos visi-
fatores. Quodsi existimatio ponatur, debet sequi per se et in sequentis
anni fine, quanta fuerit summa de claro sive sine claro, sine fraude
monstrari.
Nikolaus von Cusa trat in dieser Zeit als Visitator maßgebend auf
und wußte auch pflichteifrige Visitatoren zu seinem Beistande heran-
zuziehen, deren Tätigkeit er der Kurie in seinem Berichte rühmte. So
hatte sich der Abt Johann von Bursfelde seiner Anerkennung zu er-
freuen, die ihm auch vom Papste ausgesprochen wurde mit dem
Wunsche 4): ne in commisso visitationis officio tepescas, sed cum fervore
spiritus continues. Dies machte sich auch notwendig, denn allerlei
Widerstand stellte sich ihm entgegen, den der Papst nicht zu dulden
erklärte: num nullo pacto paciemur eos in refugiis gloriari: quin iusto
presidio tibi in ommbus assistamus et succurramus remediis oportunis.
Die Visitatoren werden auch angewiesen, die Durchführung der Be-
schlüsse der Generalkapitel zu überwachen. So heißt es bezüglich des
Abtes von Iburg: R. D. Iburgensis praesentataque litera unionis, quae
1) Grillnberger, O.: Kleinere Quelen und Forschungen zur Geschichte
des Zistersienser-Ordens, in: Studien u. Mitt. aus dem Benediktiner- und Cisterzienser-
orden. Jahrg. XVII (1897), S. 96 — ior: Modus quem debet observare visitator
commissarius in visitatione.
2) Veit, A. L.: Kirchliche Reformbestrebungen im ehemaligen Erzstift Mainz
(Freiburg i. B. 1910), S. 55.
3) Grillnberger, O.: Kleinere Quellen, S. 93.
4) Linneborn, J.: Die Reformation usw., S. 281, Anm. 3.
as BG: Se
quia non fuit in debita forma et defectum habuit in sigillis, promisit
futuris proximis visitatoribus literam aliam praesentare !).
Allerlei Konflikte und Reibungen entstehen in dieser Zeit. Da
handelt es sich um Abgrenzung der Rechte der einzelnen Länder, so-
wie der verschiedenen kirchlichen Instanzen und Behörden, namentlich
der Bischöfe ?), die den Exemtionen der Klöster scharf entgegentraten.
Je mehr die einzelnen staatlichen Gebiete selbständiger wurden,
um so mehr war die Gefahr vorhanden, daß die Zentralinstanzen der
mönchischen Organisationen an Macht und Bedeutung verloren.
Das zeigte sich namentlich in England. Noch 1412 visitierte der
Prior von Lewes im Namen Clunys die englischen Klöster ?). Kurz
nachher mischte sich die weltliche Gewalt hinein. Auch die geist-
lichen Behörden suchten ihre Macht zu erweitern. Während früher
päpstliche Erlasse die Exemtion der Klöster bezüglich der Visitationen
‚sichergestellt hatten, wandte sich Bischof Heinrich von Winchester
mit dem Gesuche um Vollmacht der Klostervisitation nach Rom;
andere Bischöfe machten gleiche Ansprüche geltend. Vergeblich ver-
suchte 1458 Abt Johann Bourton von Cluny das Recht der Visitation
wiederzuerlangen. Die Entscheidung Sixtus’ V. vom 20. Oktober 1480
fiel gegen den Orden aus. Über diese Verhandlungen hat Duckett 4)
wertvolles Material veröffentlicht, U. Berliere 5) ergänzend berichtet.
Während hier die Bischöfe die Selbständigkeit der Klosterorgani-
sationen bezüglich des Visitationsrechtes beschränkten, trat ihr die
fürstliche Gewalt z. B. in Thüringen und Sachsen entgegen.
Neuerdings hat Wintruff ®) nachgewiesen, daß auch Herzog Wil-
helm III. von Thüringen bei seiner Klosterreformation selbständig vor-
ging, ohne das Einverständnis des Erzbischofs von Mainz oder seines
Erfurter Provisors einzuholen. Er macht auch auf die Bestimmungen
Wilhelms des Jüngeren aufmerksam, die bemerkenswerter Art sind:
1) Ebenda, S. 537, Anm, 4.
2) Wenzel, A.: Urkundenbuch der Stadt und des Kreises Langensalza wäh-
rend des Mittelalters. ı. Band. (Langensalza 1908.)
3) Vgl. auch Rose Graham: Besiehungen Clunys zu andern mönchischen Re-
formbewegungen: Baume, Canterbury, Hirsau, Citeaux, Fontevraud, Tiron, Sa-
vigny, Grandmont, Karthäusern, in: The Journal of theol. Studies XV, 58.
4) Duckett, S.: Visitations and chapters-general of the Order of Cluni.
(London 1893.)
5) Berlitre, U.: Die Cluniacenser in England, in: Studien u. Mitt, aus dem
Benediktiner- und Cisterzienserorden. XI, Jahrg. (1890), S. 414—424.
6) Wintruff, W.: Landesherrliche Kirchenpolitik am Ausgang des Mitiel-
alters (Halle a. d. S. 1914), S. 81. 78 Anm. 232.
u q a
Speisegebote über die den Jungfrauen zu den einzelnen Mahlzeiten zu
reichenden Speisen, Vorschläge zur wirtschaftlichen Erziehung der
Nonnen (sie sollen kochen, waschen, spinnen lernen, ihre Kleider
selbst herstellen), Verpflichtung des Propstes zur Vereinnahmung der
Zinsen und jährlichen Verrechnung mit dem Visitator über seine Wirt-
schaftsführung. Wie die geistlichen und weltlichen Behörden zur Her-
beiführung einer Besserung nach Feststellung der Mängel zusammen-
wirkten, wird an dem Beispiele des Katharinenklosters zu Eisenach
und des Klosters zu Roda im einzelnen aufgezeigt !).
Einige Jahrzehnte später spielten sich ähnliche Vorgänge im Kur-
fürstentume Sachsen ab, wo die landesherrliche Gewalt ihre Rechte
geltend machte.
Im Jahre 1491 handelte es sich um Visitation eines sächsischen
Klosters im Auftrage des Abtes Johannes von Citeaux, die der Abt
Konrad von Heilsbronn vornehmen sollte. Über Kloster Georgenthal
waren „wiederum schwere und große Klagen über die schlechte und
irreligiöse Leitung“ (iterum graves et magne querele super malo et
drreligioso regimine) an den General gelangt. Sein Bevollmächtigter
schrieb daher an den Kurfürsten, da in der Zeitlichkeit diesem das
Kloster unterworfen sei und der Visitator ohne des Fürsten Hilfe und
Rat sein Werk nicht vollbringen könne, so möge der Fürst ihm be-
hilflich sein, sein Amt zu vollbringen, durch schrift oder ander bei-
stand. Er möge dem Abt und Konvent Befehl tun, daß diese das
Verhör des Kommissars vor sich gehen ließen, und so sie verhört
wären, ihm nach Inhalt des Ordens zu handeln gestatteten. Er möge
den Visitator durch den Boten durch des Fürsten Land hin, allda und
zurück mit freiem Geleit versorgen, auch einen Verhandlungstag
zwischen Ostern und Pfingsten bestimmen. Das Gesuch wurde ge-
nehmigt; über das Ergebnis findet sich keine Nachricht in dem Akten-
stück ?).
Ganz anders wurde ein späterer Antrag bezüglich des Klosters
Buch behandelt. Diesmal schrieben die kursächsischen Räte an den
Abt aus Altenburg am 27. Mai 1497 3):
1) Wintruff, ebenda, S. 70, wo in Anm. 7 auch auf die Anordnung des Papstes
Bezug genommen wird.
2) Gemeinsames Ernestinisches Archiv zu Weimar. Reg. Kk Nr. 565. Schriften
betr. die dem Abt Conrad zu Hailsbronn übertragene Visitation des Klosters Georgenthal.
3) Gemeins. Ernest. Archiv zu Weimar. Reg. Kk Nr. 128. 1497. Schriften betr,
die von den sächsischen Räten gerigte Visitation und Reformation des Klosters Buch
durch welsche Äbte aus Frankreich.
= 8
Wir werden worlich von namhaftigen, den wol gu gleuben stehet,
bericht, wie etliche wellisch epte auf Franckreich und von andern enden
als visitatores und reformatores awir closter visitieren und besuchen,
doselbst vormeslich geistlicher observancion, die von awirn vorfarn und
auch noch satzung awirs orden und regeln, von euch und awirn brudirn
bip nuher gehalden, furnemenß sein, abbroch gu thun, und auch etliche
noth gebawe den personen, die ir von wegen der pfarrkirchen und andir
awirs closterß guttirn do halden must, zu begwemlichkeit sich desterbaß
und sichirlicher in geistlicher gucht und observancion zu enthalden, itzunt
bawet und schire zu ende bracht hapt, solen die genanten visitatores
auch in vornemen sein zu hindern. Wann ir dann wissens tragt, was
derhalben unfer gnedigen hern euch geschrieben und von euch unnoch-
leßlichen fleis anzukeren, das zu volbrengen, begeret haben, ist dorumb
anstat unser ... und g. hern fleissig begeren, so ir dieselben visitatores
von gehorfßam wegen des ordens zulassen wolt. das ir das ane irer gna-
den wissen nicht thun woldet, so sie inlendisch sein wurden ...
Wie hier die landesherrlichen Rechte gewahrt wurden, so auch
im Herzogtum Sachsen unter Herzog Georg, wie dies Geß im ein-
zelnen nachgewiesen hat !).
Der zu seinem Gebiete gehörende Bischof von Meißen Johann VII.
hat im Jahre 1522 seine Visitation auch auf das Kurfürstentum aus-
gedehnt, worüber K. Pallas?) auf Grund der urkundlichen Quellen
berichtet, während der Nachfolger, Johann VII., kurz nach Antritt
seines Amtes den Dechanten des Domstiftes zu Bautzen zu einer Vi-
sitation der Oberlausitz auffordert und ihm dazu nähere Anweisungen
gibt, indem er zugleich die Hoffnung ausspricht, daß die weltliche
Obrigkeit, wenn nötig, mit Hilfe und Beistand zur Seite stehen werde.
Aus dem Schreiben erfahren wir, wie die Untersuchung vorgenommen
werden soll: jeder Erzpriester soll an seinem Sitze eine convocation
` celebrieren und halten, jeder Geistliche soll sein Einkommen und die
entgegenstehenden Hindernisse anzeigen, damit reformiert und berat-
schlagt werden möge. Binnen Monatsfrist soll dies geschehen, auch
festgestellt werden, wieviel Dörfer zur Pfarre oder in die Beikirche
gehören, ob auch etliche Dörfer einer andern Kirche näher gelegen,
was, wie und durch wen einem Lehen Schaden zugefügt worden seien,
1) Geß, F.: Akten und Briefe sur Kirchenpolitik des Herzogs Georg von
Sachsen. Band I. (Leipzig 1905.)
2) Pallas, K.: Die Visitationsreise des Bischofs Johann VII. von Meißen,
in: Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte in der Provinz Sachsen, Bd. VI (1909),
S. 25 f.
= 59:
ob Pfarren wüste lägen und weshalb man an diesen Orten Pfarrer
nicht habe, wer die Lehen vergebe. Diese Berichte sollen von den
Erzpriestern durch den Dekan dem Bischof zugestellt werden. Leider
ist es mir bisher nicht gelungen, die Antworten auf diese Anfragen
ausfindig zu machen !).
Wie die Visitationen, namentlich in der katholischen Kirche West-
deutschlands, sich entwickelten, darüber macht W. E. Schwarz in
der Einleitung zu seinem Urkundenwerke über den Bischof J. von Hoya
zu Münster ausgiebige Mitteilungen ?). Die Bestrebungen wurden von
Rom unterstützt.
Als an der Kurie zu Rom Verhandlungen wegen Wiedergewinnung
der abtrünnigen deutschen Provinzen gepflogen wurden, wurden be-
stimmte Anweisungen des Papstes für Visitationen als wichtiges Mittel
empfohlen. Ein Gutachter riet: Ad quem effectum summopere condu-
ceret, si summi pontificis iussu formula aliqua sive modus visitandi
dioeceses brevis conscriberetur et ad fingulos Germaniae episcopos trans-
mitteretur; aber genaue Kenntnis der Verhältnisse sei zur Abfassung
nötig ?). |
Als Beispiel dafür, wie diese Visitationen durchgeführt wurden,
sei noch auf den Bischof Johann von Manderscheid zu Straßburg
1569— 1592 hingewiesen. Er nahm die Oberaufsicht über alle in
seiner Diözese gelegenen Ordensniederlassungen in Anspruch, setzte
1576 eine Kommission ein, zog die Jesuiten ins Land, die den Visita-
tionen große Bedeutung beimaßen, verlangte auch im Hofrat 1581 öfter
wiederkehrende Besuche der Klöster, um die Ordnung herzustellen $).
Auch die klösterlichen Organisationen nahmen die Visitationen
in die Hand. Höchst charakteristisch ist ein Bericht, den der Abt
Nikolaus Boucherat von Citeaux über eine Visitation der Abteien
Marienfelde, Bredelar und Hardehausen im Sommer 1574 nach Rom
gesandt hat). Der Gegensatz des feingebildeten französischen Visi-
tators zu den ungelehrten, disziplinlosen und weinfreudigen, freilich
1) Das bischöfliche Ausschreiben befindet sich in dem Domstiftlichen Archiv zu
Bautzen, Es ist um so wichtiger, als über Visitationen in der Lausitz bisher wenig be-
kannt ist.
2) Schwarz, W. E.: Visitationsakten des Bistums Münster. (Münster 1913.)
3) Schwarz, W. E.: Zehn Gutachten (Paderborn 1891).
4) Hahn, K.: Die kirchlichen Reformbestrebungen des Straßburger Bischofs
Johann von Manderscheid 1569—1592. (Straßburg 1913.)
5) Aus dem Geheimen Archiv im Vatikan mitgeteilt von W. E. Schwarz, Vist-
tationsakten usw. S. CXXX Anm, 1.
s 40.
kirchlich korrekten und noch im Ordensgewande einhergehenden Brü-
dern tritt stark hervor. Er schreibt: In istis tribus monasteriis monachi
sunt barbarı et indociles, disciplinae monasticae ignari, quamvis fre-
quenter ab abbate veteris montis vicario nostro visitentur. Vivunt tamen
in communi, omnia divina officia canunt et regularium habitum suae
professiom convenientem deferunt, verum funt admodum rudes. Ego
multa apud illos disserui de abstinentia et sobrietate, quod illos prae
ceteris crapulae et ebrietati deditos videbam. Sunt tamen satis simplices
neque mihi videntur maliciosi ut barbari et ipsi quidem promiserunt,
se decreta reformationis executioni demandaturos ac, ut verum fateor,
mirum sane, quod adhuc in fimili provincia funt monachi, qui ta distincte
divina officia canant ac regularem deferant habitum.
Die Visitationstätigkeit des XVII. Jahrhunderts war sehr rege. Am
4. April 1652 erließ Papst Innozenz X. an die deutschen Bischöfe
ein Sendschreiben, in dem er die Beobachtung der Trienter Reformen
durch Visitationen und Synoden ihnen zur Pflicht machte. Mehrere
Veröffentlichungen bieten darüber wertvolles Material. K. Reinfried
druckt mit einer Einleitung die Visitationsberichte aus der zweiten Hälfte
des XVII. Jahrhunderts über die Pfarreien der Landkapitel Otters-
weier, Offenburg und Lahr ab (Freiburger Diözesan-Archiv, Band XXIX),
streift die Generalvisitation des Bischofs Johann IV. von Manderscheid-
Blankenhain vom Jahre 1576, sowie die Kirchenvisitation von 1592,
auch die Bemühungen aus der ersten Hälfte des XVII. Jahrhunderts,
eingehend aber behandelt er die Visitation von 1666 auf Grund einer
Handschrift im erzbischöflichen Archiv zu Freiburg. Sie ist deshalb
von Gewicht, weil hier die Schulverhältnisse eingehend berücksichtigt
und die Namen der Ludimoderatoren angegeben sind. Die Visi-
tationsberichte von 1692 sind in einem Kodex der Universitäts-
und Landesbibliothek Straßburg erhalten, während die Visitations-
protokolle von 1699 sich in einer Handschrift der Registratur des
Landkapitels Ottersweier befinden. Auch das XVIII. Jahrhundert wird
in neun Visitationsberichten aus den Jahren zwischen 1705 und 1791
gestreift. Seine Ergebnisse faßt der Verfasser in dem Satze zusammen:
Eine auch nur oberflächliche Vergleichung zwischen ehemals und jetzt
konstatiert die großen Fortschritte, welche das kirchliche Leben und
die kirchliche Kunst trotz allen Mißständen unserer Zeit gemacht hat.
Als Beispiel für die Tätigkeit der Visitatoren wird folgender Beschluß
angeführt (S. 180): Scribendum Serenissimo Marchioni Badensi, ut
fiat ordo generalis per totum Marchionatum, ut singulis diebus dominicis
hora 12a usque ad primam habeatur Catechismus et etiam juvenes ma-
=, i e
jores adigantur ad frequentationem Catechismi et non excurrant cum
equis ad pascua misi audito sacro. Interessant ist, wie der Patronus
bzw. die Patrona coeli, d. h. der bzw. die Heilige, denen die Kirche
geweiht ist, dem Patronus terrestris, dem kirchenrechtlichen Kirchen-
patron, entgegengestellt und mit großer Genauigkeit verzeichnet wird.
Von Interesse ist, daß in Iffezheim ursprünglich, so 1470, die heilige
jungfrauwe sant Bride, d. h. die Heilige der Irländer !), als Patronin
verehrt wurde, während nach dem Dreißigjährigen Kriege als Patrona
coeli S. Brigitta Vidua, d. h. Brigitta von Schweden ?), wie der Ver-
fasser meint, wohl aus Unkenntnis der früheren Verhältnisse, diese
Ehre genoß. Über die Ausbildung der Geistlichen finden sich zahl-
reiche Notizen, z. B. ist von Interesse der Anteil, den die Gesellschaft
Jesu an der Besetzung der Stellen hat. Über das Verhältnis von
Kirche und Gemeinde unterrichtet der Beschluß 8): Mandatum est, ut
claves ecclesiae, quas praetendebant duo Decemviri communitatis, in die
Natali Domini ipsi parocho loci tradantur. Auch folgende Bestimmung
unter den Emendanda (S. 167) sei hervorgehoben: Ut Stabhalterus t)
Michael Lehmann extradat oeconomo ecclesiae colligendas. NB. Danda
resolutio: Quisnam teneatur coemiteria restaurare et muros reparare?
Der Verfasser hat auch andere wichtige Aktenstücke eingefügt, z. B.
einen im Jahre 1663 gefertigten ausführlichen Informationsbericht über
die Pfarrei Stollhofen und deren Filiale Söllingen aus der Feder des
Schwarzacher Konventualen Alexius Speyrer, damals Pfarrers zu Stoll-
hofen, der sich unter den Stollhofener Archivalien des General- Lan-
desarchives zu Karlsruhe befindet und manche geschichtliche Notizen
enthält, z. B. (S. 182) über die Errichtung der Pfarrei im Jahre 1504
durch den Bischof von Straßburg, Albrecht von Bayetn 5). Zahlreiche
Bestimmungen betreffen die Einnahmen der Kirche und des Geist-
lichen, wobei z. B. beim Zehnten die verschiedenen Getreidearten ge-
nannt werden, so triticum, siligo, avena,. Flachs, Erbsen, Linsen.
Einwohnerzahlen werden genannt: Stollhofen hat 1666 ungefähr 536
Seelen; Güterpreise finden Erwähnung: in banno Leiberslum werden
le Tagen Matten ®) um 30 fl. gekauft.
1) Hauck, Realenzyklopädie. Bd. III®, S. 405—408.
2) Ebenda, Bd. II”, S. 239—244.
3) Reinfried a. a. O., S. 167.
4) Weigand-Hirt, Deutsches Wörterbuch. Bd. II®, S. 940.
5) Hauck, Realenzyklopädie. Bd. XIX °, S. 76, Z. 36.
6) H. Jansen: Deutsche, österreichische und schweizerische Maße, Gewichte
und Münzen (Berlin 1900), A XXXV.: Tagmat, Tiroler Feldmaß in Innsbruck = 44.6485 a.
— 1? —
J. Jungnitz !) hat seine Veröffentlichung der Visitationsberichte
der Diözese Breslau fortgesetzt; diesmal wird das Archidiakonat Glogau
behandelt. Einiges Material bringt er über die Visitation des Jahres
1580, die im Auftrage des Bischofs Martin Gerstmann der Glogauer
Archidiakonus Johann Brieger veranstaltete. Ungleich umfangreicher
war die, die Archidiakonus Jakob von Kuba 1670 unter Bischof Se-
bastian von Rostock, 1679 unter Bischof Kardinal Friedrich von
Hessen abhielt; auch die unter Bischof Franz Ludwig von Pfalz-
Neuburg vom Archidiakonus Ignaz Hueber enthält sehr ausgiebiges
Material. Natürlich spielen die kirchlichen Verhältnisse die Haupt-
rolle. Die Zeitverhältnisse treten mit großer Deutlichkeit hervor, die
Verwüstung des Dreißigjährigen Krieges an Kirchen, Pfarren, Schulen
und Kirchhöfen, die finanzielle Zerrüttung zahlreicher Kirchgemeinden.
Das Verhältnis von Katholiken und Protestanten wird an zahlreichen
Stellen geschildert, namentlich der Zustand der Neugläubigen, ob sie
überzeugungstreu sind: obstinax haereticus Lutheranus, nullius fpei
conversionis, oder ob sie lau sind und den kirchlichen Verpflichtungen
nicht nachkommen. Die Gegenreformation in ihren Bemühungen und
Erfolgen wird geschildert: ecclesia ... non consecrata, haereticis erepta
et reconciliata. Kaiserliche Edikte gegen den Besuch neugegründeter
evangelischer Kirchen werden erwähnt, evangelische gottesdienstliche
Stätten geschildert: templum Calvinisticum rotundum; vielbesuchte evan-
gelische Sammelpunkte treten hervor, z. B. Kriegheide. Als erster
Ort im Fürstentum Sagan, wo 1522 die evangelische Lehre Einzug
hielt, wird Gräfenhain bezeichnet. Wenn so für die Kirchengeschichte
reiches Material in der Veröffentlichung enthalten ist, so ist die Lan-
desgeschichte im allgemeinen mit zahlreichen Notizen vertreten. Zur
Adelsgeschichte finden sich vielseitige und charakteristische Angaben,
zahlreiche bekannte Namen und Persönlichkeiten treten auf. Nament-
lich die so vernachlässigte Dorfgeschichte wird wertvollen Stoff aus
den Protokollen ziehen: die Zahl und soziale Gliederung der Bewohner,
die nationale Zusammensetzung, die Vermögensverhältnisse treten aus
den Mitteilungen klar hervor. Von den Handwerkern scheinen die
Schmiede besonderes Ansehen genossen zu haben. Auch die dürf-
tigen Formen der Gemeindeverwaltung und ihr ungünstiger Einfluß
treten aus den einzelnen Notizen klar hervor. Die Rechnungen sind
oft jahrzehntelang nicht abgelegt und geprüft worden, infolgedessen
1) Jungnitz, J.: Visitationsberichte der Diözese Breslau. Archidiakonat
Glogau. 1. Teil. (Breslau 1907.)
u. 49, zei
frühere Einnahmen der Geistlichen und Lehrer in Wegfall gekommen.
Über diese werden eingehende Angaben gemacht: ihre Heimat, Vor-
bildung, ihre Dienstzeit und Leistungen werden eingehend geschildert,
so daß sie klar und bestimmt in zahlreichen Fällen vor unser Auge
treten. Auch die Bau- und Kunstgeschichte ist mit zahlreichen An-
gaben vertreten. Da handelt es sich um den Kirchenbau und die Er-
neuerung der gottesdienstlichen Stätten mit ganz charakteristischen Bei-
spielen. Eine genaue Schilderung z. B. wird uns von den Verhand-
lungen mit dem Kirchenpatron über die Baupflicht unter Anrechnung
einer Schuld von 952 Saganer Mark gegeben. Die Verpflichtung
wurde später von dem Grafen von Promnitz übernommen, der das
Gut gekauft hatte. Freilich die Schwierigkeiten waren groß, einzelne
Dörfer waren ganz verschwunden. Einmal heißt es: Parochia hic
non extat, sed tantum locus, ubi quondam stetit. Zur Geschichte des
Volksschulwesens werden ausgiebige Mitteilungen gemacht, vielfach
wird auch die Anzahl der Schüler angegeben.
Im XVIII. Jahrhundert lebten die Visitationen in einzelnen Ge-
bieten neu auf, so in Ostfriesland, das nach dem Übergange an
Preußen 1766 eine neue Visitationsordnung bekam; aller drei Jahre
wurden die Gemeinden durch einen weltlichen und einen geistlichen
Kommissar besucht. Noch 1799 wurden Consideranda bei künftiger
Kirchenvisitation niedergeschrieben. Doch begnügten sich die Visi-
tatoren vielfach, z. B. in Sachsen, mit der Prüfung der Kirchrech-
nungen. Die durch die Reisen entstandenen hohen Kosten bereiteten
vielfach Mißvergnügen in Anbetracht des geringen Erfolgs 1).
Je mehr der Staat sich dagegen der Universitäten, des gelehrten
und Volksschulwesens annahm, um so mehr erlangten diese Verhand-
lungen, die jetzt meist Revisionen ?) genannt wurden, an allgemeinem
Interesse und an praktischer Bedeutung.
Als glänzendes Beispiel dieser zielbewußten, gründlichen und
vielseitigen Verwaltungstätigkeit seien die zahlreichen Berichte, Ver-
handlungen und Verfügungen des Preußischen Oberschulkollegiums
genannt, die P. Schwartz 8) in mustergültiger Weise herausgegeben
_
1) Pauls, Th.: Aus dem Archive einer ostfriesischen Landgemeinde. (Aurich 1910.)
2) Vgl. auch Revisiones bonorum praestimonialium usw. bei Dudik, in: Archiv
f. österr. Geschichte. 39. Band, S. 367. — Über die letzte Visitation des Reichskammer-
gerichts vgl. A. Winkler, Kaiser und Reich. Jahresbericht der Vereinsrealschule im
13. Bezirk Wiens 1907.
3) Schwartz, P.: Das Gelehrtenschulwesen Preußens unter dem Oberschul-
kollegium und das Abiturientenexamen. (Berlin 1910—12.) 3 Bände.
Ss Ji =
hat. Von verschiedenen Gesichtspunkten aus erregen diese ausgie-
bigen Aktenstücke des Lesers Interesse. Zunächst vom politischen
Standpunkte. Während man allgemein annahm, daß das Unglück der
Schlacht von Jena dem preußischen Staat den Anstoß zu neuer Tä-
tigkeit gegeben habc, beweisen diese Schriften, welch eifrige und ver-
ständnisvolle Tätigkeit auf dem Gebiete der Schule in Preußen in den
letzten Jahrzehnten des XVIII; Jahrhunderts herrschte und wie diese
gerade durch das Unglück der Schlacht von Jena auf längere Zeit
zurückgedrängt wurde. Auch über die opferfreudige, selbstlose und
sachkundige Arbeit der Räte des Oberschulkollegiums, wie über die
einzelnen pädagogischen Strömungen der Zeit, z. B. über den Ein-
fluß der französischen Revolution, geben die Protokolle genaue Auskunft.
Auch jetzt noch sind die Kirchenvisitationen in der kirchlichen
Verwaltung lebendig. Aus der katholischen Kirche wird berichtet:
„Gemäß dem Dekrete A remotissima vom 13. Dezember 1909 can. II
$ 2 sind die Bischöfe Deutschlands, Österreich-Ungarns und der
Schweiz im laufenden Jahre zur Romreise und Berichterstattung über
den Zustand ihrer Diözesen verpflichtet. Ein Teil der hochwürdigen
Herren hat die visitatio ad limina ss. Apostolorum bereits ausgeführt.
Diejenigen Bischöfe, die erst innerhalb der letzten beiden Jahre vor
dem Beginn des Verpflichtungsjahres oder noch später ihr Amt an-
getreten haben, sind für dieses Mal von der Romreise und Bericht-
erstattung frei !).“
In den evangelischen Landeskirchen werden die Visitationen von
den Superintendenten, die Generalvisitationen der Superintendentur-
bezirke von der obersten Kirchenbehörde, im Königreich Sachsen
z. B. von dem Oberhofprediger gehalten ?).
1) Hilling, Archiv für katholisches Kirchenrecht. 93. Band. 4. Folge ı. Band.
1913. 3. Quartalhefl. S. 540. Vgl. auch Pater, Johannes: Die bischöfliche Visitatio
liminum sanctorum apostolorum. Eine historisch-kanonistische Studie. Paderborn 1914.
(Veröffentlichungen der historischen Sektion der Görresgesellschaft. 19. Heft.)
2) Leipziger Zeitung 1913, Nr. 102, vom 6. Mai: Generalvisitation des Super-
intendenturbezirks Plauen- Vogtland.
Über Gemeindevisitationen in neuester Zeit vgl. H. Lindemann, Organisation
des Gesundheitswesens in: Kommunales Jahrbuch VI (1913/14), S. 12.
Über ältere Visitationen zu wirtschaftlichem Zwecke vgl. C. Reinhardt, Tschirn-
haus oder Böttger, in: Neues Lausitzer Magazin. Bd. 88, Heft ı (Görlitz 1912),
S. 29. — Manersberger, Zur Entwickelungsgeschichte der niedersächsischen Land-
wirtschaft in: Archiv für Kulturgeschichte IV, 51—80.
Literaturübersicht,
alphabetisch nach Landschaften geordnet.
(Fortsetzung zu: Deutsche Geschichtsblätter, Band VIII, August/September 1907,
Qu.:
ı1./12. Heft, S. 305—316 !).)
Anhalt, Fürstentum.
: Heine, Fr., Die ersten Kirchenvisitationen im Cöthener Lande wäh-
rend des Reformationszeitalters. Cöthen 1907.
Heine, Fr., Geschichte von Wörbzig und Frenz. Cöthen 1902.
Augsburg, Bistum.
: Die Augsburger Sendordnung, in: Königer, A. M., Die Sendgerichte
in Deutschland. Bd. I (München 1907), S. 191—194.
Baden, Großherzogtum.
Beiträge zur Geschichte des Volksschulwesens und der Katechetik im
Landkapitel Ottersweier, hauptsächlich während des XVIII. Jahr-
hunderts, in: Freiburger Katholisches Kirchenblatt 1892, Nr. 1—5.
Reinfried, K., Visitationsberichte aus der zweiten Hälfte des XVII. Jahr-
hunderts über die Pfarreien der Landkapitel Ottersweier, Offenburg
und Lahr, in: Freiburger Diözesanarchiv. Bd. XXIX, S. 151—193.
Rieder, K., Die kirchengeschichtliche Literatur Badens im Jahre 1906
und 1907, in: Freiburger Diözesanarchiv. Bd. XXXVI, S. rof.
Franz, H., Alter und Bestand der Kirchenbücher, insbesondere im
Großherzogtum Baden mit einer Übersicht über sämtliche Kirchen-
bücher in Baden, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins..
Ergänzungsheft ı. (Heidelberg 1912), S. 53 (1569).
Bamberg, Bistum.
Weber, Die Pfarrsynoden im alten Bistum Bamberg, in: Archiv für
katholisches Kirchenrecht. Bd. LXXII (1894), S. soft.
Bayern, Königreich.
: Knöpfler, A., Kelchbewegung in Bayern unter Herzog Albrecht V.
Qu.:
(München 1891), S. 45—54: Visitationsschema.
Lurz, Mittelschulgeschichtliche Dokumente Altbayerns (Berlin 1907).
Bd. I, S. 251—303: Auszüge aus den Visitationsprotokollen.
Duhr, B., Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge.
Bd. I (Freiburg i. B. 1907).
Schmidlin, J., Die kirchlichen Zustände in Deutschland vor dem
30jährigen Kriege. Erläuterungen zu Janssen, Geschichte des deut-
schen Volkes. Bd. VII.
1) Den Einsenden von Ergänzungen danke ich herzlich für ihre Mitarbeit. Auf
den mehrfach ausgesprochenen Wunsch füge ich meine Wohnung bei: Leipzig, Moltke-
straße 22.
Um die einzelnen Schriften in ihrer Wichtigkeit und Ergiebigkeit dem Leser
schärfer zu kennzeichnen, habe ich drei Bezeichnungen vorausgeschickt: Qu. == Quelle,
Textabdruck, D. == Darstellung, Bearbeitung, N. — Nachricht, Hinweis auf einzelne
Visitationen. |
N.:
Qu.:
N.:
J 22 D 2 Z
=, de
Schornbaum, K., Zur 2. Nürnberger Kirchenvisitation (1560/61),
in: Beiträge zur Bayerischen Kirchengeschichte XIX, 1, 22—27.
Instruktion des Domkapitels (von Sct. Veit zu Freising) für den Dom-
propst Wilh. von Königsfeld als Kommissär für Visitation der Unter-
tanen 1609 in Kaumberg, Hollenburg und Ebersdorf, in: Notizen-
blatt. Beilage zum Archiv f. Kunde österr. Geschichtsquellen.
8. Jahrg. 1858. (Wien 1858), S. 314.
Brandenburg, Mark.
Haß, M. und Meusel, Fr., Die ältesten Entwürfe einer Konsistorial-
ordnung für die Kurmark Brandenburg, in: Forschungen zur branden-
burgischen und preußischen Geschichte. Bd. XXVII, ı. Hälfte
(1914), S. 1—54.
: Sehling, E., Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahr-
hunderts. Bd. III (Leipzig 1909).
Heidemann, Die Reformation in der Mark Brandenburg (Berlin
1889).
Hennig, Br., Die Kirchenpolitik der älteren Hohenzollern in der
Mark Brandenburg (Leipzig 1906).
Steinmüller, Einführung der Reformation in der Mark Brandenburg
durch Joachim II. (Halle a. S. 1903).
Holtze, Fr., Geschichte der Mark Brandenburg (Tübingen 1912).
Unger, E., Geschichte Lichtenbergs bis zur Erlangung der Stadtrechte
(Berlin 1910).
Gebauer, Die Einführung der Reformation in den Städten Alt- und
Neustadt Brandenburg, in: Forschungen zur brandenburgischen und
preußischen Geschichte. Bd. XII, S. 433 — 474.
Die Visitation des Joachimthalschen Gymnasiums in Berlin durch
A. F. W. Sack 1751—1766, in: Hauck, Realenzyklopädie 3 XVII,
S. 319, Z. 34.
Ernst, Zur Entstehung der Gutsherrschaft in Brandenburg, in:
Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte.
Bd. XXII (1909).
: Schwartz, P., Das Gelehrtenschulwesen Preußens unter dem Ober-
schulkollegium und das Abiturientenexamen (Berlin 19r0— 12).
3 Bände.
Braunschweig, Herzogtum.
Scholz, A., Bugenhagens Kirchenordnungen in ihrem Verhältnis zu
einander, in: Archiv für Reformationsgeschichte von W. Friedens-
burg. Nr. 37. 10. Jahrgang, Heft ı (Leipzig 1913).
: Die Generalkirchenvisitation im Herzogtum Braunschweig unmittelbar
nach dem 30jährigen Kriege, in: Braunschweigisches Magazin 74
(1861), Stück ır.
Loewe, V., Bibliographie der hannoverschen und braunschweigischen
Geschichte (Posen 1908), S. ı69 ff.
Generalkirchenvisitation in der altländischen Präpositur, in: Zeitschrift
für niedersächsische Kirchengeschichte. 18. Jahrgang (1913).
2 y U 2
z
Qu.:
Qu.:
Breslau, Fürstbistum.
: Jungnitz, J., Visitationsberichte der Diözese Breslau. Archidiakonat
Glogau. I. Teil (Breslau 1907). [Veröffentlichungen aus dem fürst-
bischöflichen Diözesanarchive zu Breslau. Bd. II.]
Eichsfeld.
Wolf, J., Historische Abhandlung von den geistlichen Kommissaren im
Erzstift Mainz, besonders von denen im Eichsfeld (Göttingen 1797).
Burghard, W., Die Gegenreformation auf dem Eichsfeld. Bd. I. II
(Marburg 1890. Hannover 1891).
Knieb, Ph., Geschichte der Reformation und Gegenreformation auf
dem Eichsfelde (Heiligenstadt 1900).
Wolf, J., Eichsfeldia docta (Heiligenstadt 1797).
Eichstätt, Bistum.
Riezler, S., Das Bistum Eichstätt und sein Slawensendrecht, in:
Forschungen zur deutschen Geschichte. Bd. XVI (1876), S. 397
bis 408.
Eisaß-Lothringen.
Röhrich, T. W., Die erste evangelische Kirchenvisitation in den
straßburgischen Landgemeinden 1535 (Straßburg 1846 [S.-A.]).
Franken. |
Berbig, G., Die erste kursächsische Visitation im Ortsland Franken, in:
Archiv für Reformationsgeschichte I. II. II. Bd. III, S. 336 ff.;
Bd. IV, S. 370fl.; Bd. V, S. 398 fl. f
Freiburg, Erzbistum.
Heiner, Die kirchlichen Erlasse, Verordnungen und Bekanntmachungen
der Erzdiözese Freiburg. 2. Aufl. (1898).
Gnesen, Erzbistum.
Codex diplomaticus Majoris Poloniae. Tom. V (Posen 1908).
Constitutiones synodorum metropolitanarum ecclesiae Gnesnensis ...
usque ad a. 1579, studio et opera Stanislai Karnkowski. Cracoviae
1579. 4
Einiges von den Provinzial-Synoden der Gnesener Erzdiöcese, in:
A. Kastner, Archiv für die Geschichte des Erzbistums Breslau.
ı. Band. (Neiße 1858), S. 254.
Göttingen, Fürstentum.
Kayser, Die Generalvisitation des D. Gesenius im Fürstentum Göt-
tingen 1646 und 1652, in: Zeitschrift der Gesellschaft für nieder-
sächsische Kirchengeschichte. Bd. XI (1906), S. 147—207.
Greifswald, Universität.
: Visitations-Receß der Universität, 1568, in: Dähnert, J. C., Samm-
lung pommerscher und Rügener Landesurkunden. Bd. II (1767),
S. 8ıgf.
Weitere Fortsetzung der merkwürdigen fürstlich-pommerschen Erbteilung
zu Jasenitz, 1569 geschlossen, in: Dähnert, J. C., Pommersche
Bibliothek. Greifswald, 4. Bd. II (1754), S. 218.
2
Qu.:
Qu.:
Qu.:
Qu.:
— 18 —
Hadeln, Land, s. Lauenburg.
Hamburg, Freie Reichsstadt.
Sehling, E., Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jabr-
hunderts. Bd. V (Leipzig r91 3).
Hannover, Provinz.
Loewe, V., Bibliographie der hannoverschen und braunschweigischen
Geschichte (Posen 1908), S. 169.
Henneberg, Gefürstete Grafschaft in Franken.
Koch in den Schriften des Hennebergischen Geschichtsvereins V,
Nr. 6 (1913), S. 34—39: Bestellung des Dr. Johann Forster als
Visitator.
Hessen, Großherzogtum.
Heß, F., Die Entwicklung der Volksschule in der Grafschaft Erbach-
Fürstenau von ihren Anfängen bis zum Jahre 1830, in: Diehl, W.
und Messer, A., Beiträge zur hessischen Schul- und Universitäts-
geschichte. Bd. II, 3. Heft (Gießen 1914).
Hermsdorf, B. E., Johann Ferdinand Schlez. Sein Leben und seine
pädagogischen Ansichten. Nach authentischen Quellen bearbeitet.
Leipzig, K. F. Köhler, 1914. (Köhlers Lehrerbibliothek, heraus-
gegeben von Dr. Fritzsch. x14. Band.)
Hildesheim, Hochstift.
.: Hoogeweg, H., Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim und seiner
Qu.:
Bischöfe. II. II. IV. V. Teil ‚(Hannover und Leipzig 1901— 1907).
Döbner, R., Brüder des gemeinsamen Lebens zu Hildesheim (1903).
Jena, Universität.
Ankündigung der Visitation: Rector academiae Jenensis Phil. Müllerus
. civitati academicae S. D. .... die XV. Martii .... 1669.
Jenae ...
Ankündigung der Ankunft der Visitatoren: Rector academiae Jenensis
Phil. Müllerus .... Civibus Academicis S. D. .... Cal. Maji ....
1669.
Köln, Erzbistum.
: Die Kölner Sendordnung, in Koeniger, A. M., Die Sendgerichte in
Qu.:
Deutschland. Bd. I (München 1907), S. 198f.
Heß, J., Die Urkunden des Pfarrarchivs von St. Severin in Köln,
bearbeitet und herausgegeben von J. H. (Köln, H. Theißing, 1901).
Enthält Visitationsprotokolle, Reformationsdekrete auf Grund statt-
gehabter Visitation und Visitationsordnungen aus dem XVI. und
` XVII. Jahrhundert.
Schwarz, W. E., Die Akten der Visitation des Bistums Münster
1571—1573 (Münster 1913). S. XXXV: Mitteilungen über die Visi-
tation vom 2. Juni ı569ff. zu St. Pantaleon zu Köln.
Farragines Gelenii. Bd. 24 im historischen Archiv der Stadt Köln:
‘ Mitteilungen über die Visitation von 1569.
Qu.:
— 19 —
Löhr, J., Methodisch-kritische Beiträge zur Geschichte der Sittlichkeit
des Klerus, besonders der Erzdiözese Köln am Ausgang des Mittel-
alters (Münster 1910).
Konstanz, Bistum.
Constitutiones et decreta Synodalia Constantiensis dioecesis, Konstanz
1569, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. Er-
gänzungsheft rı. (Heidelberg 1912), S. 54.
Lauenburg, Herzogtum, mit Land Hadeln.
Sehling, E., Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahr-
hunderts. Bd. V (Leipzig 1913).
Leipzig, Universität.
: Visitations-Decret Churfürst Johann Georgens des I zu Sachsen über
XII decidierte Gebrechen bey der Universität Leipzig, den ıı1. Juni
1616, im Codex Augusteus (Leipzig 1724). Tom. I, p. 915—920.
Erläuterungen zu dem vorstehenden Dekret vom 7. September 1616
im Codex Augusteus. Tom. I, p. 921—924.
: Chur- und Fürstlich Sächsisches Visitation-Decret die Universität Leipzig
betreffende de Anno 1658, in: Historie Der Weißheit und Thorheit
zusammengetragen von Christian Thomas (Halle). Th. II (1693),
S. 46—113.
Visitations-Decret die Universitäten Leipzig und Wittenberg hèti, d. d.
Dresden, den 19. Februar 1773, in: Petri Car. Guil. 1. b. ab Hohen-
thal liber de politia (Lips. 1776), p. 69—71.
Lübeck, Freie Reichsstadt.
: Sehling, E., Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahr-
hunderts. Bd. V (Leipzig 1913).
Mainz, Erzbistum.
: Vigener, Fr., Synodalstatuten des Erzbischofs Gerlach von Mainz
von 1355 und 1356, in: Beiträge zur Hessischen Kirchengeschichte.
Bd. I, 4 (1905).
Veit, A. L., Kirchliche Reformbestrebungen im ehemaligen Erzstift
Mainz unter Erzbischof Johann Philipp von Schönborn 1647—1673.
Freiburg i. B. 1910. Auch u. d. T.: Studien und Darstellungen
aus dem Gebiete der Geschichte. Im Auftrage der Görres-Gesell-
schaft .... herausgegeben von Dr. Hermann Grauert. Bd. VII, 3. Heft.
Baumgartner, E., Geschichte und Recht des Archidiakonates der
oberrheinischen Bistümer mit Einschluß von Mainz und Würzburg
(Stuttgart 1907).
Mecklenburg, Großherzogtümer.
: Sehling, E., Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahr-
hunderts. Bd. V (Leipzig 1913).
Sachsse, Das geistliche Ministerium in Rostock und sein Super-
intendent, in: Sehling, E., Deutsche Zeitschrift für Kirchenrecht.
Bd. XXIV, ı. Heft, S. 79.
Qt
Qu.:
Qu.:
Qu.:
Qu.:
— 20 —
Meißen, Bistum.
: Bitte des Bischofs Johann VIII. von Meißen um Befreiung von der
Verpflichtung der visitatio liminum apostolorum vom Jahre 1543,
in: Cardauns, L., Nuntiaturberichte aus Deutschland 1533— 1559.
Bd. VII (Berlin 1912), S. 418.
Münster, Bistum.
Schwarz, W. E., Visitations-Akten des Bistums Münster aus der Zeit
Johanns von Hoya 1571—73 (Münster 1913). Auch unter dem
Titel: Die Geschichtschreiber des Bistums Münster. Bd. VII.
Niederlausitz, Markgraftum.
Sehling, E., Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jabr-
hunderts. Bd. IH (Leipzig 1909).
Oberlausitz, Markgraftum.
Bönhoff, L., Die Einführung der Reformation in den Parochieen der
sächsischen Oberlausitz, in: Beiträge zur sächsischen Kirchen-
geschichte. 27. Heft.
Sehling, E, Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahr-
hunderts. Bd. III (Leipzig 1909).
Oldenburg, Großherzogtum.
Borchling, C., Die älteren Rechtsquellen Ostfrieslands (Aurich 1906).
Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands. 5. Heft.
Öls, Fürstentum.
Hähnel, Georg, Relation der in diesem Fürstenthumb und in specie
Oelssnischen Districtu anno 1638 gehaltenen Kirchenvisitationen.
II. Teil. Programm 1913, Nr. 289.
Ostfriesland, Provinz.
Borchling, C., Die älteren Rechtsquellen Ostfrieslands (Aurich 1906).
Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands. 5. Heft.
Suur, H., Geschichte der ehemaligen Klöster in der Provinz Ostfries-
land (Emden 1838).
Pauls, Th., Aus dem Pfarrarchive einer ostfriesischen Landgemeinde
(Aurich 1910). Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ost-
frieslands. ı2. Heft.
Brünig, C., Die alten Sendgerichte und Sendrechte der Friesen im
frühen Mittelalter, in: Unterhaltungs-Beilage zum Jeverschen Wochen-
blatt. x117. Jahrg., Nr. 110, 12. Mai 1907.
Pfalz,
Reißiger, K., Dokumente zur Geschichte der humanistischen Schulen
im Gebiet der Bayerischen Pfalz. Mit historischer Einleitung heraus-
gegeben. Monumenta Germaniae Paedagogica. Bd. XLVI und XLVIII.
Stich, H., Aus der 35ojährigen Geschichte des Gymnasiums beim
Festaktus (Kaiserslautern). S.-A. aus: Pfälzisches Museum. Bd. XXVI.
Neubauer, A., Die Schule zu Hornbach, ihre Entstehung und ihr
erstes Jahr. Eine Jubiläumsgabe für das Gymnasium Zweibrücken
— a — l aa a aMiŘneII
z
022
Q
e
22
Qu.:
Qu.:
Qu.:
Qu.:
— 21 —
1559—1909 (Zweibrücken, F. Lehmann). Mitt. d. hist. Vereins
der Mediomatriker für die Westpfalz in Zweibrücken. Bd. V.
Historisch-pädagogischer Literaturbericht 1909 (Berlin 1911), S. 284f.
(Visitationsbericht von Hornbach-Zweibrücken 1559).
Pommern, Provinz.
Wehrmann, M., Geschichte von Pommern. Bd. H (Gotha 1906).
Wehrmann, M., Geschichte der Stadt Stettin (Stettin ıgır).
Wehrmann, M., Von Bugenhagens Visitationstätigkeit in Pommern,
in: Archiv für Reformationsgeschichte. Bd. X, S. 350ff.
: Visitationes archidiaconatus Pomeraniae. Cur. Stanisl. Kujot (Thorn
1897—99).
Müller, Die evangelischen Geistlichen Pommerns. Bd. II (Stettin 1912).
Schultz, Materialien zu einer Geschichte des Hauses Krockow, in:
Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins. 45. Heft.
: Sehling, E., Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahr-
hunderts. Bd. IV (Leipzig 1911).
Posen, Provinz.
Codex diplomaticus Majoris Poloniae. Tom. V (Posen 1908).
Sehling, E., Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahr-
hunderts. Bd. IV (Leipzig 1911): Die ehemals polnischen, jetzt
preußischen Gebiete.
Preußen, Herzogtum.
Sehling, E., Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahr-
.hunderts. Bd. IV (Leipzig 1911).
Preußen, Königreich.
: Schwartz, P., Das Gelehrtenschulwesen Preußens unter dem Ober-
schulkollegium und das Abiturientenexamen (Berlin 1910— ı2).
3 Bände.
Rheinprovinz.
: Eicken, G. v., Eine Revision im Kloster Machern (1785), in:
Monatsschrift für rheinisch-westfälische Geschichtsforschung und
Altertumskunde, herausgegeben von Pick. Bd. III (Bonn 1877).
Duhr, B., S. J., Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher
Zunge im XVI. Jahrhundert. Bd. I (Freiburg i. B. 1907).
Rostock, Universität.
Oratio panegyrica ad ... Ulricum Ducem Megapolitanum Visitationem
Academiae Rostochiensis instituentem, et propterea urbem suam
Rostochium 20. Martii anni 1599 ingredientem .... conscripta à
Martino Braschio .... Rostochii MDXCIX.
: Panegyricus .... Udalrico, Duci Megapolitano .... Scriptus à Joanne
Simonio .... 1599.
: Visitationis Ducalis Decretum vom 14. März 1599, in: Cothmann, E.,
Responsorum juris et consultationum academ. liber singularis (Francof.
1618 und 1662), p. 262—265.
Qu.:
— 22 —
: Relation. von der ersten Visitation der Academie i. J. 1599 (15. bis
24. März), in: Eschenbachs Annalen der Rostocker Academie.
Bd. VII, S. 186—189; 194—200; 201—206; 213f.
: Visitation Abscheidt Anno 1599, den 24. Martii gegeben, in: Etwas
von gel. Rost. Sachen (1742), S. 276—282.
: Spezial-Visitations-Abschied über die Universität Rostock, deren Intraden
und Professoren de 1599. — Revision der Universitäts- und Kirchen-
Ordnung (1599), in: Franck, D., Des Alt- und Neuen Mecklen-
burgs Eilftes Buch (Güstrow und Leipzig 1755), S. 120—124;
124—129.
Visitationsabschied wegen der Akademie zu Rostock. 24. März 1599,
in : Gesetzsammlung für die Mecklenburg-Schweriner Lande. r. Samm-
lung (Wismar und Ludwigslust), 2. Aufl. Bd. I, S. 671—673.
Rottenburg, Bistum.
: Vogt, Sammlung kirchlicher und staatlicher Verordnungen für das
Bistum Rottemburg.
Sachsen, Königreich.
Schwabe, Ernst, Das Gelehrtenschulwesen Kursachsens von seinen
Anfängen bis zur Schulordnung von 1580. Leipzig und Berlin
1914. Aus Sachsens Vergangenheit. Heft 2.
Zieschang, R., Die Anfänge des landesherrlichen Kirchenregiments
in Sachsen am Ausgang des Mittelalters (Leipzig 1909).
Die Sequestration der geistlichen Güter in den kursächsischen Land-
kreisen Meißen, Voigtland und Sachsen 1531—1543. Mitteilungen
des Altertumsvereins Plauen i. V. 22. Jahresschrift (1912).
: Verzeichnis aller Pfarreien Einkommen im Fürstenthumb Sagan dem
Herrn Verweser eingestellet von der Sächsischen Regierung im
1540. Jahre, in: Jungnitz, J., Visitationsbericht der Diözese
Breslau. Archidiakonat Glogau. I. Teil (Breslau 1907), S. 7 34—744.
: Berichte der Visitatoren im Vogtlande von 1533 über die damals in
Plauen, Ölsnitz und Adorf vorgefundenen Kirchengeräte, in: Mit-
teilungen des Altertumsvereins Plauen i. V. 24. Jahresschrift (1914),
S. III—I16. -
Hilpert, A., Eine Darstellung der Säkularisation des Dominikaner-
klosters zu Plauen, in: Mitteilungen des Altertumsvereins Plauen i. V.
23. Jahresschrift, S. 1—22.
Sehling, E., Geschichte der protestantischen Kirchenverfassung.
2. Aufl. (Leipzig 1914).
: Meyer, P., Christoph Schellenberg de visitationibus seu inspectionibus
anniversariis scholae illustris Grimanae (1554—1575) mit den amt-
lichen Berichten der Visitatoren, in: Mitteilungen der Gesellschaft
für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte. Bd. VIL, Heft 3.
Happach, P., Mit der Kirchen- und Schulvisitation von 1671 auf
den Orten des Chemnitzer Kirchenkreises, in: Mitteilungen des Ver-
eins für Chemnitzer Geschichte. ı5. Jahrbuch für r1r90o8—ı9ırır
(Chemnitz 1912), S. 36—48.
Qu.:
— 298, —
Acta, die Visitation und Examination ... bel. Ao. 1639. — Akta
betr. die Visitation der Stadt und Vorstädte allhier, 1626—1653. —
Getreidevisitation, in: E. Sparmann, Dresden während des
30jährigen Krieges. S. 138f. Mitteilungen des Vereins für Ge-
schichte Dresdens. 24. Heft. Dresden 1914.
Sachsen-Coburg und Gotha, Herzogtümer.
: Waas, Fr., Die Generalvisitation Ernst des Frommen im Herzogtum
Sachsen- Gotha 1641—1645, in: Zeitschrift des Vereins für thü-
ringische Geschichte und Altertumskunde, herausgegeben von
O. Dobenecker. N.F. Bd. XX und XXI.
Zimmer, H., Herzog Ernst der Fromme. Ein deutsches Volksbuch
(Langensalza 1913).
: Visitationsausschreiben vom 5. Januar 1641. Gedruckt in Erfurt bei
Melchior Dedekind 1640. Vgl. Mitteilungen der Gesellschaft für
deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte. Bd. XI, S. 79—111;
Historisch-pädagogischer Literaturbericht 1909 (Berlin 1911), S. 336.
Berbig, G., Ein adeliges Testament aus dem Jahre 1512, in: Deutsche
Zeitschrift für Kirchenrecht. 3. Folge. Bd. XIX, S. 84.
Berbig, G., Die erste kursächsische Visitation im Ortslande Franken,
in: Archiv für Reformationsgeschichte. I. II. IH. Bd. m, S. 336 fl.;
Bd. IV, S. 370ff.; Bd. V, S. 398 ff.
Sachsen-Meiningen, Herzogtum.
Berbig, G., Das Visitationswerk in den Ämtern Eisfeld pp. vom
Jahre 1528, in: Dorfzeitung (Hildburghausen), ı5. September
1907.
Berbig, G., Die erste kursächsische Visitation im Ortslande Franken,
in: Archiv für Reformationsgeschichte. I. I. III. Bd. III, S. 336 fl. ;
Bd. IV, S. 370f.; Bd. V, S. 398 ff.
Sachsen, Provinz.
Zieschang, R., Die Anfänge des landesherrlichen Kirchenregiments
in Sachsen am Ausgang des Mittelalters (Leipzig 1909). .
Pallas, K., Die Visitationsreise des Bischofs Johann VII. von Meißen
im Kurfürstentum Sachsen 1522 auf Grund der erhaltenen urkund-
lichen Nachrichten dargestellt, in: Zeitschrift des Vereins für Kir-
chengeschichte in der Provinz Sachsen. Bd. VI (1909), S. 25 fl.
: Pallas, K., Die Registraturen der Kirchenvisitationen im ehemals
sächsischen Kurkreise. II. Abt., 5. Teil. Die Ephorien Lieben-
werda und Elsterwerda (Halle 1914). Auch unter dem Titel: Ge-
schichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete.
Herausgegeben von der historischen Kommission für die Provinz
Sachsen und das Herzogtum Anhalt (Bd. XLI).
Obst, E., Die Geschichte der Kirche zu Bitterfeld. Abschnitt VI:
Die Reformation und die Kirchenvisitationen im XVI. Jahrhundert
(Bitterfeld 1907).
Naumann, Geistliche und Gemeinden der Ephorie Eckartsberga vor
dem großen Kriege. S.-A.
Qu.:
Qu.:
Qu.:
— 924 —
Böttcher, K., Beiträge zur Geschichte der Landesschule Pforta in
den Jahren 1630— 1672. Beilage zum Jahresbericht der Kgl.
Landesschule Pforta 1909. Pr. Nr. 336.
Wenzel, A., Urkundenbuch der Stadt und des Kreises Langensalza
während des Mittelalters. Bd. I (Langensalza 1908).
Schlesien, Provinz.
Sehling, E., Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahr-
hunderts. Bd. III (Leipzig 1909).
Jungnitz, J., Visitationsberichte der Diözese Breslau. Archidiakonat
Glogau. I. Teil (Breslau 1907). (Veröffentlichungen aus dem fürst-
bischöflichen Diözesanarchive zu Breslau. Bd. II.)
Schwarzburg-Sondershausen, Fürstentum.
Einicke, G., 20 Jahre Schwarzburger Reformationsgeschichte. 1523
bis 1541. Teil I: Nordhausen (Haacke 1904). Teil I: Rudol-
stadt (Müller 1909).
Historisch-pädagogischer Literaturbericht 1909 (Berlin 1911), S. 342.
Speyer, Hochstift.
: Speyerer Visitationsakten vom Jahre 1683, in: Lurz, Historisch-
pädagogischer Literaturbericht 1909 (Berlin 1911), S. 282f. Lurz,
Historisch-pädagogischer Literaturbericht 1908 (Berlin 1910), S. 195.
Straßburg, Bistum.
Hahn, K., Die kirchlichen Reformbestrebungen des Straßburger Bischofs
Johann von Manderscheid 1569—ı592. Ein Beitrag zur Geschichte
der Gegenreformation (Straßburg 1913). (Quellen und Forschungen
zur Kirchen- und Kulturgeschichte von Elsaß-Lothringen. 3.)
: Reinfried, K., Visitationsberichte aus der zweiten Hälfte des XVII. Jahr-
hunderts über die Pfarreien der Landkapitel Ottersweier, Offenburg
und Lahr, in: Freiburger Diözesanarchiv. Bd. XXIX, S. 151—193.
Thüringen.
Zieschang, R., Die Anfänge des landesherrlichen Kirchenregiments
in Sachsen am Ausgang des Mittelalters (Leipzig 1909).
Wintruff, W., Landesherrliche Kirchenpolitik am Ausgang des Mittel-
alters (Halle a. d. S. 1914). Forschungen zur thüringisch-sächsischen
Geschichte. Herausgegeben von dem mit der Universität Halle-
Wittenberg verbundenen Thüringisch - Sächsischen Geschichtsverein.
5. Heft.
Hermann, Rudolf, Die Generalvisitationen in den Ernestinischen
Landen zur Zeit der Lehrstreitigkeiten des XVI. Jahrhunderts (1554/55,
1562, 1569/70, 1573), in: Zeitschrift des Vereins für Thüring.
Gesch. u. Altertumskunde. N. F. XXI, 75f.
Trier, Bistum.
Blattau, J. J., Statuta synodaliä .... archidioecesis Treverensis
(Trier 1840—1859).
: Fabricius, Visitationsregister des Archidiakons Johann von Vinstringen
im Archidiakonat Carden 1475, in: Trierer Archiv Bd. IX (1906).
Qu.:
wi, BE w
Carrière, V., Une visite synodale dans l’ancien archidiacone de
Carden (Diocèse de Trèves) au moyen âge, in: Revue des Questions
historiques. 47. année. Nouvelle série. Tome XLVIII (Paris 1912).
p. 117—141.
Die dem Erzbischof Jakob von Trier gewidmete Anleitung zur Diözesan-
visitation aus 1567 in der Trierer Stadtbibliothek, Mskr. 1531. Vgl.
Hansen, J., Rheinische Akten zur Geschichte des Jesuitenordens
1542—1582 (Bonn 1896), S. 554 Anm. ı und S. 570.
Hüllen, Die erste tridentinische Visitation im Erzstifte Trier 1569
(enthält Instruktionen an die Archidiakone, Dekane, Pfarrer und
Synodalen, nebst den Visitationsprotokollen tiber die Dekanate
Piespont und Zell [Mosel]), in: Triersches Archiv Bd. IX (1906)
und Bd. X (1907).
ʻi Heydinger, Archidiaconatus tit. St. Agathes in Longuiono .... de-
scriptio (Visitationsprotokolle von 1570 über die Dekanate Remich,
Luxemburg, Bazailles, Longuion, Juvigny, Jovis, Arlon, Mersch und
Kyllburg-Bitburg). Augustae Trevirorum 1884.
: Volk, H., Visitationsprotokolle von 41 Pfarreien des Niedererzstifts
Trier aus den Jahren 1772 und 1773, in: Triersches Archiv, heraus-
gegeben von Keuffer, Kentenich, Lager, Reimer, Bd. XII.
Tübingen, Universität.
Schmoller, Dekan, Eine Universitätsvisitation vor 300 Jahren a (a 593).
Nach den Originalien im Kgl. Hauptstaatsarchiv, in: Reutlinger Ge-
schichtsblätter, Jahrgang VII (1896), S. 24—28; 41—44; 59—635;
68—73; 85—90.
: Visitations-Recesse, betr. das theologische Stipendium zu Tübingen, vom
7. Oktober 1704, in: Reyscher-Hirzel, Württembergische Schul-
gesetze (Stuttgart 1847), S. 173—196.
Tübingen, Universitätsvisitation 1751, in: Critische Nachrichten aus
dem Reiche der Gelehrsamkeit. Auf das Jahr 1751. S. 254—255.
: Statuten des Fürstlichen Theologischen Stipendü zu Tübingen, Wie
solche .... Aus sammtlichen zuvor ertheilten Recessen zusammen-
gezogen .... (Stuttgart 1752). Dasselbe in: Reyscher-Hirzel,
Württembergische Schulgesetze (1847), S. 211—237.
Hoch-Fürstliche Visitations- Recessus für das Stipendium Theologicum
zu Tübingen. Im Jahre 1757, erwähnt in Reyscher-Hirzel,
Württembergische Schulgesetze (1847), S. 254f.
Westfalen, Provinz.
Linneborn, J., Die westfälischen Benediktinerklöster in den letzten
50 Jahren vor ihrem Anschlusse an die Bursfelder Kongregation.
Inauguraldissertation (Münster 1898). [Vgl. die Besprechung von
U. Berlitre in der Revue Bénédictine (Maredsous 1898). 11. Heft,
S. 5sı6f.
Linneb st] J., Die Reformation der westfälischen Benediktiner-
Klöster im XV. Jahrhundert durch die Bursfelder Kongregation, in
Studien und Mitteilungen aus dem Benediktiner- und Cistercienser-
Orden. Bd. XX (1899), S. 266 ff.
Qu.:
Qu.:
ii di a
Linneborn, J., Die Bursfelder Kongregation während der ersten
hundert Jahre ihres Bestehens, in: Deutsche Geschichtsblätter.
Bd. XIV, S. 3—30 und 33—58.
Westpreußen, Provinz.
Freytag, Die Reformation in der Starostei Schlochau, in: Zeitschrift
des Westpreußischen Geschichtsvereins. 48. Heft.
: Visitationes archidiaconatus Pomeraniae. Cur. Stanislaus Kujot (Thore
1897 — 1899).
Über Mathias Wannovius (1547—1589), Stammvater der ostpreußischen
Familie Wannow, in: Mitteilungen des Westpreußischen Geschichts-
vereins. Bd. XII (1913), Nr. 3, S. 54—59.
Wittenberg, Universität.
: Visitations-Abschied der Universität Wittenberg, von Churfürst Johann
Georgen dem I. zu Sachsen, den 22. Octobr. Anno 1614, in:
Lünig, J. Chr., Codex Augusteus. Bd. I, Sp. 963—970.
Visitations-Decret der Universität Wittenberg, von Churfürst Johann
Georgen dem I. zu Sachsen, den 9. Januar. Anno 1624, in:
Lünig, J. Chr., Codex Augusteus. Bd. I, Sp. 969—974.
Visitationsacten der Universität Wittenberg aus den Jahren 1614 und
1624. Mitgeteilt von Opel, J. O., in: Neue Mitteilungen aus
dem Gebiet historisch-antiquarischer Forschungen. Bd. XI (1867),
S. 206—222.
: Interims -Visitations - Decret der Universität Wittenberg, von Churfürst
Johann Georgen dem II. zu Sachsen, den 12. Juli, Anno 1665,
in: Codex Augusteus. Bd. I, Sp. 979—982.
: Visitations- Decret der Universität Wittenberg und des dasigen Geistl.
Consistorii von Churf. Johan Georgen dem II. zu Sachsen, den
19. Aug. Anno 1668, in: Codex Augusteus. Bd. I, Sp. 981—990.
Worms, Bistum.
: Johann Philipp, ...., Bischof zu Wormbs etc. Erneuerte Kirchen-
ordnung .... 1669, Sept. 18. Württembergische Archivinventare.
5. Heft, S. 19.
Württemberg, Königreich.
Kirchenvisitationen in Württemberg, in: Journal in und für Deutsch-
land 1786. ıı. Stück, S. 405—412.
: Bossert, G., Die Visitationsakten des Herzogtums Württemberg, in:
Evangelisches Kirchen- und Schulblatt (1883), 44, 22.
: Fischer, A., Die älteste evangelische Kirchenordnung und die
frühesten Kirchenvisitationen in Hohenlohe, in: Zeitschrift für Kir-
chenrecht. Bd. XV (1880), S. 1—48.
: Kirchenordnung, wie es mit der Lehre und Cerimonien der löblichen
Grafschaft Hohenlohe .... soll gehalten werden. Nürnberg, Kath.
Galatin und Johannes von Burg Erben 1578. Wieder gedruckt 1688.
Mergentheim. Markung: Visitation 1587. Württembergische Archiv-
inventare (= WA.) 5. Heft, S. 12.
Bietigheim. Spezialsynodalreskripte 1606. WA. 4. Heft, S. ı5.
O2
N.:
Qu.:
ZZZ 2222 Z 2222 ZZ ZZ Z 2222
u 39T: ee
Gutenzell. Carta visitationis 1640, 1661, 1662, 1667, 1681, 1683,
1686, 1696, 1727. WA. 9. Heft, S. 136.
Erolzheim. Kirchenvisitationsrezesse 1651. WA. 9. Heft, S. 135.
Keidel, K. Fr., Eine Kirchenvisitation in Geislingen im Jahre 1666,
in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte. Bd. II (1887),
S. 13f.; 22—24; 29f.
Frauenzimmern. Kirchenvisitationsrezesse 1686 f. WA. 7. Heft, S. 8.
Bietigheim. Schulvisitationsrezesse 1698—1728. WA. 4. Heft, S. 18.
Schozach. Kirchenzensurprotokolle ı7ı5f. WA. 4. Heft, S. 40.
Biberach. Revisionsakten über Pfarrpflegamtsrechnungen 1713—1723.
WA. 9. Heft, S. 57.
Beilstein (Oberamt Marbach). Apothek-Visitationsprotokolle 1721 bis
1825. WA. 6. Heft, S. 4.
Dürrmenz. Visitationsrelation auf 1723. WA. 7. Heft, S. 52.
Zußdorf. Copiae recessus visitationum 1737—1744, mit Zinsrodel
1688—1673. WA. 2. Heft, S. 70.
Braunenweiler. Visitationsrezesse 1739, 1763. WA. 2. Heft, S. 79.
Mengen (Kapitel). Visitationsrezeß 17. Dezember 1739. WA. 2. Heft,
S. 135.
Untersulmetingen. Kirchenvisitationen 1741 ab. WA. 9. Heft, S. 147-
Bietigheim. Modus visitandi 1743. WA. 4. Heft, S. ı5.
Ötisheim. Modus visitandi ecclesias 1743. WA. 7. Heft, S. 65.
Großbottwar (Oberamt Marbach). Vorschriften über Kirchenvisitation
und kirchliche Amtsführung 1744. WA. 6. Heft, S. 35.
Münster (Oberamt Cannstatt). Kirchenvisitationen 1744—1807. WA.
4. Heft, S. 67.
Reinstetten. Recessus visitationis episcopalis 1748. WA. 9. Heft, S. 144.
Renhardsweiler. Visitationsrecesse 1748—1773. WA. 2. Heft, S. 119.
Bietigheim. Schulrezeßbuch 1764. WA. 4. Heft, S. ı5.
Kirchberg a. Murr. Schulvisitations- und Proklamationsprotokoll 1765 ff.
WA. 6. Heft, S. 40.
Massenbach. Schulvisitationsberichte 1790—ı805. WA. 7. Heft, S. 32.
Ölbronn. Visitationsrelation auf 1795. WA. 7. Heft, S. 62.
Rielingshausen. Schulbesoldungsrevisionsakten 1797. WA. 6. Heft, S. 59.
Rippmann, L., Kirchenvisitationen im Ulmer Land 1557, 1699 und
1722, in: Württembergische Vierteljahrshefte (1914), S. 120fl.
Würzburg, Bistum.
: Das Sendrecht der Main- und Rednitzwenden, in: Koeniger, A.W.,
Die Sendgerichte in Deutschland. Bd. I, S. 194—198.
Baumgartner, E., Geschichte und Recht des Archidiakonates der
oberrheinischen Bistümer mit Einschluß von Mainz und Würzburg.
Stuttgart 1907.
Veit, A. L., Kirchliche Reformbestrebungen im ehemaligen Erzstifte
Mainz unter Erzbischof Johann Philipp von Schönborn 1647—1673
(Freiburg i. B. 1910).
Johann Philipp, Erzbischof von Maintz, Erzkanzler, Kurfürst, Bischof
zu Würtzburg und Wormbs usw. Erneuerte Kirchenordnung, wo-
Qu.:
Qu.:
: Marschroute der Wirzburg. Visitations-Commissarien Sept. 1766 durch
Qu.:
22
— HE
nach sich in deren Ertz- und Stiften Maintz, Würtzburg und Wormbs
die Pfarrherrn, weltlichen Beambten, Diener und Unterthanen zu
richten. 1669, Sept. 18. (Orig. Pap. Dtsch.) Württemb. Archiv-
inventare (= WA.), 5. Heft, S. 19.
Observationes de Inspectione per Suffraganeum herbipol. et collatione
Sacramenti Confirmationis. 1632, Juni. Mergentheimer Archiv.
WA. 5. Heft, S. 21.
Kirchenordnung des Hochstifts Wirtzburg vom Jahre 1693. WA.
5. Heft, S. 55.
Dompfarrer und geistlichen Rat Naubach und Fiskal Rotmund.
WA. 5. Heft, S. 31.
Krieg, Julius, Der Kampf der Bischöfe gegen die Archidiakonate
im Bistum Würzburg. Kirchenrechtl. Abhh., hggb. v. Ulrich Stutz.
82. Stuttgart 1914.
Österreich-Ungarn.
Sickel, Th., Die Klostervisitationen in Österreich im J. 1561,
in: Archiv für österreich. Geschichte. Bd. XLV (Wien 1871),
S. 4—96.
Duhr, B., Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge
im XVI. Jahrhundert. Bd. I (Freiburg i. B. 1907).
Franz, H., Alter und Bestand der Kirchenbücher insbesondere im
Großherzogtum Baden mit einer Übersicht über sämtliche Kirchen-
bücher in Baden, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins.
Ergänzungsheft 1912. (Heidelberg 1912), S. 43 (18. Jahrhundert).
Böhmen, Königreich.
Grillnberger, O., Das Wilheringer Formelbuch De cartis visita-
tionum, in: Studien und Mitteilungen aus dem Benediktiner- und
Cistercienser-Orden. Jahrgang XIX (1898) und XX (1899).
: Dudik, B., Statuten der Prager Metropolitankirche vom Jahre 1350,
in: Archiv für österr. Geschichte. Bd. XXXVII (Wien 1867),
S. 411—455.
: Dudik, B., Reformations-Artikeln des Erzbischofs von Prag Anton Brus
aus dem Jahre 1564, in: Archiv für österr. Geschichte. Bd. XLVI
(Wien 1871), S. 215—234.
Gradl, V., Die Reformation im Egerlande (Eger 1893).
Kroeß, Gutachten der Jesuiten am Beginn der katholischen General-
Reformation in Böhmen.
Innerösterreich.
Loserth, J., Reformation und Gegenreformation in den inneröster-
reichischen Ländern im XVI. Jahrhundert (Stuttgart 1897).
Wiedemann, Th., Geschichte der Reformation und Gegenreformation
im Lande unter der Enns (Prag 1879/86).
Loserth, J., Innerösterreich, in: Hauck, Realenzyklopädie für prot.
Theologie und Kirche. 3. Aufl. Bd. XXIII, S. 685—687.
we m —-.
Qu.:
Qu.:
Qu.:
Qu.:
— 29 —
:- Fuchs, A. Fr., Urkunden und Regesten zur Geschichte der auf-
gehobenen Kartause Aggsbach. Wien 1906. Fontes rer. Austria-
carum II. Abt. LIX. Band.
: Loserth, J., Akten und Korrespondenzen zur Geschichte der Gegen-
reformation in Innerösterreich unter Ferdinand II. 2 Teile. Wien
1906/7. Fontes rer. Austriacarum II. Abt. 58. u. 60. Band.
Fuchs, A. Fr.: Urkunden und Regesten zur Geschichte des Bene-
diktinerklosterstifts Göttweig. 3 Teile. Wien 19or—o2. Fontes
rer. Austr. II. Abt. 51., 52. und 55. Band.
Mähren, Markgrafschaft.
Dudik, B., Statuten des Metropoliten von Prag, Arnost von Pardubitz,
für den Bischof und das Capitel zu Olmütz um das Jahr 1349,
in: Archiv f. österr. Geschichte. 41. Band. (Wien 1869), S. 195—218.
Salzburg, Erzbistum.
Hübner, K., Die Provinzialsynoden im Erzbistum Salzburg bis zum
Ende des XV. Jahrhunderts, in: Deutsche Geschichtsblätter. Bd. X
(Mai 1909), 8. Heft.
Hübner, K., Die salzburgischen Archidiakonalsynoden, in: Deutsche
Geschichtsblätter. Bd. XI (Juli 1910), ro. Heft.
Widmann, H., Die Regierung des geistlichen Staates Salzburg im
XVI. Jahrhundert, in: Deutsche Geschichtsblätter. Bd. XV (Oktober
1913), 1. Heft.
Salzburg, Universität.
Decretum Visitationis Universitatis Salisburg. (14. Aug. 1741, quo novus
praelectionum ordo in theologia et philosophia praescribitur), in:
Ziegelbauer, M. et Legipontius, O., Historia rei literariae or-
dinis S. Benedicti. Pars II (1754), p. 284—285.
Dasselbe in: Pachmayr, M., Historico-chronologica series abbatum
et religiosorum monasterii Cremifanensis. Pars IV (1782), p. 676
bis 677.
Briefe aus Salzburg. 1785. .... Eine prälatische Schulvisitation, in:
Der deutsche Zuschauer (herausgegeben von Winkopp, P. A.).
Bd. II (1785), S. 242—247.
Über die prälatische Schul-Visitation in Salzburg (1785). Ebenda Bd. IV
(1786), S. 307—313.
Brixen, Bistum.
Hübner, K., Die Brixener Diözesansynoden bis zur Reformation, in:
Deutsche Geschichtsblätter. Bd. XV (Januar 1914), 4. Heft.
Galizien, Königreich.
64 Bände Generalvisitationen, die mit dem Jahre 1565 beginnen und
1795 enden, befinden sich im Kapitelarchiv bei der Domkirche zu
Krakau. Siehe Dudik, B., Archive im Königreiche Galizien und
Lodomerien, in: Archiv für österr. Geschichte. Bd. XXXIX (Wien
1868), S. 6, Nr. 6; S. 36, Nr. 9.
Qu.:
Qu.:
H 90 —
: Libri visitationis dioecesis Cracoviensis von 1595 bis 1606, im Kon-
sistorialarchiv zu Krakau. Siehe Dudik a. a. O., S. 46, Nr. ı.
: Acta visitationis exterioris ecclesiarum ad decanatum seu Archipresbite-
ratum Cracoviensem pertinentium tam in urbe, quam extra urbem,
vom Jahre 1599 im Konsistorialarchiv zu Krakau. Dudik a. a. O.,
S. 46, Nr. 2.
: Decreta executiva visitationum et alia ad correctionem et reformationem
vitae et morum cleri pertinentia aus den Jahren 1601, 1609, 1646,
1663, 1675, 1678, 1679, 1682, 1699, 1703, 1708, 1748, 1791.
57 Bände im Konsistorialarchiv zu Krakau. Dudik a. a. O.,
S. 467, Nr. 3.
: Tabulae eorum, super quibus in visitatione inquirendum est. Visitations-
Instruktion, bestehend aus 140 Fragen, für die Generalvisitation des
Jahres 1748. Dudik a. a. O., S. 48, Nr. 12.
: Visitations-Act der Klöster B. M. V. de Poenitentia aus dem Jahre
1693 im Archiv der Kirche B. M. V. in circulo maiori zu Krakau.
Dudik a. a. O., S. 50.
Russische Ostseeprovinzen: Livland, Estland, Kurland.
: Sehling, E., Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahr-
hunderts. Bd. V (Leipzig 1913).
Schweiz.
Dierauer, J., Geschichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft.
Bd. III (Gotha 1897).
: Kluckhohn, Die Visitationsprotokolle der Diözese Konstanz im
XVI. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte. Bd. XVI.
Duhr, B., S.J., Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher
Zunge im XVI. Jahrhundert. Bd. I (Freiburg i. B. 1907).
Belgien, Königreich.
: Berlière, U., Contributions à Phistoire de l’ordre bénédictin: Visite
de Pabbaye St. Jacques à Liége (6. mars 1447), in: Revue Béné-
dictine (XIV. année), p. 375 sqq.
Frankreich.
Chevalier, U., Répertoire des sources historiques de moyen âge.
Topo-Bibliographie. II. partie (Montbéliard MCMIII), Sp. 3316.
Vykoukal, E., O. S. B., Les examens du clergé paroissial à l'époque
carolingienne. Rev. hist. ecclés. 1913, p. 81—97.
Lecacheux, Les statuts synodaux de Coutances de lannde 1479,
in: Bibl. de PEcole des Chartes. LXII, livr. 5 et 6, Sept.—Dec.
1901.
Fontaine, J., Visites pastorales de l'archevêque d’Albi, Le Goux de
la Berchere en 1700. Albia Christiana 1911 —ı2.
Leplus, P., Une visite canonique à l'abbaye de Beaupré en 1770.
Bull. comité flamand France (1912), p. 83—87.
Taudière, H., Des droits de évêque en matière de discipline ecclé-
siastique. Rev. institutions cultuelles (1912), p. 25—41.
Qu.:
Qu.:
Qu.:
— 31 —
Über die Einrichtung von jährlichen Schulvisitationen sämtlicher euro-
päischer Schulen in Tunis 1888 vgl. Eckardt, J. v., Lebens-
erinnerungen. Bd. II (Leipzig 1911), S. 273.
Griechenland.
Rhallis, Konstantin, Die bischöflichen Visitationen (lIeol tæv èu-
oxonðv negioĝerðy) nach dem Recht der orthodox morgenländi-
schen Kirche, in: Zeitschrift Byzantis. Bd. I (1909), S. 382
bis 421 (S.-A.).
Großbritannien.
: Groß, Ch., The sources and litterature of English History (London
1900). |
Berlitre, U., Die Cluniacenser in England, in: Mitteilungen und
Studien aus dem Benediktiner- und Cisterzienser-Orden. XI. Jahr-
gang (1890), S. 414—424.
Coulton, G. G., The Interpretation of Visitation-Documents, in: The
English Historical Review. Vol. XXIX, Nr. r13 (January 1914),
p. 16—40.
Visitation records preserved at St. Alvans, in: The English Historical
Review. Vol. XXIV, Nr. 94 (April 1909).
Vetus registrum Sarisberiense: the register of S. Osmund, ed. W. H. R.
Jones. Rolls Series. 2 vols. (London 1883—84).
Duckett, S., Visitations and chapters-general of the order of Cluni
(London 1893), p. 152—164.
Gasquet, A., Henry and the English monasteries. An attempt to
illustrate the history of their suppression (London 1906). In deut-
scher Übersetzung von Elsässer, Th. (Mainz, Kirchheim).
: Jessopp, Visitations of the diocese of Norwich 1492—1532, printed
for the Camden Society (London 1888).
Addy, S. O., Historical memorials of Beauchief abbey (Oxford 1878).
: Visitations of English Cluniac foundations in 1262, 1275—76 and
1279. Translated by Duckett, G. J. (Londor 1890), p. 52.
: Visitations and chapters-general of the order of Cluni in respect of
the province of Germany, 1269—1529, with notices of early
Cluniac foundations in Poland and England, ed. Duckett, G. F.
(London 1893).
Episcopal visitations of the monasteries in the diocese of Lincoln
in the fifteenth and sixteenth centuries, ed. Gibbons, Alfred.
Lincoln: James Williamson.
Domesday (The) of St. Paul’s of the year 1222, or Registrum de visi-
tatione monasteriorum per Robertum decanum, and other original do-
cuments relating to the manors and churches belonging to the dean
and chapter of St. Paul’s, in the twelfth and thirteenth centuries, ed.
Hale, W.H. Camden Society (London 1858).
Visitations of churches belonging to St. Paul’s cathedral, 1249, ed.
Simpson, W. S. Camden Society, Miscellany, IX, 1—38
(London 1895).
— 32 —
D.: Visitations of churches belonging to St. Pauls cathedral in 1297 and
in 1458, ed. Simpson, W. S. Camden Society (London 1895).
Qu.: Visitations and memorials of Southwell Minster (Notts), ed. Leach, A. F.
Camden Society (London 1891).
Qu.: Bayne, C. G., The Visitation of the Province of Canterbury 1559,
in: The English Historical Review. Vol. XXVIII (1913, October),
Nr. CXII, p. 636—677. Hier p. 660: Appendix II. Instructions
to the Visitors.
Phillimore, Ecclesiastical Law of the Church of England. I.
Graham, Rosa, Beziehungen Clunys zu andern mönchischen Be-
strebungen, in: The Journal of theological Studies XV, 58 (Jan.
1914), p. 179sqq.
N.: Gairdner, J.: Lollardy and the Reformation in England, an Historical
Survey. London 1908. — Vgl. die Anzeige von A. Zimmermann,
S. J., in; Histor. Jahrbuch. 30. Band (1909), S. 606.
Italien, Königreich.
Qu.: Strocchino, Giuseppe, Manuale per la visita pastorale all’ uso del
clero. Vıcenza; Sozieta anonime.
22
Mitteilungen
Eingegangene Bücher.
Guericke, Otto SS Die Belagerung, Eroberung und Zerstörung der Stadt
Magdeburg am N Mai 1631. Nach der Ausgabe von Friedrich Wil-
helm Hoffmann neu herausgegeben von Horst Kohl. Mit einer An-
sicht der Belagerung nach einem alten Stiche und Plane [== Voigt-
länders Quellenbücher, Band 6]. Leipzig, R. Voigtländer 1912. 83 S. 8°.
AM 0,70.
Guttenberg, Freiherr von: Bilder aus der Vergangenheit der fränkischen
Herrschaft und Burg Plassenberg. Mit 21 Illustrationen, 3 Profilen
und 2 Skizzen. München, Max Kellerer 1913. 56 S. 4°.
Hammer, Heinrich: Traktat vom Samaritanermessias. Studien zur Frage
der Existenz und Abstammung Jesu. Bonn, Carl Georgi 1913. 101 S. 8°.
.M 2,50.
Haenel, Erich: Alte Waffen. Mit 88 Abbildungen [= Bibliothek für
Kunst- und Antiquitätensammler, Bd. 4]. Berlin W 62, Carl Schmidt
& Co. 1913. 172 S. 8%. Geb. # 6,00.
Jung, R.: Die Niederlegung der Festungswerke in Frankfurt a. M. 1802
bis 1807 [= Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, Dritte Folge,
Bd. ıı (1913), S. 117—190].
Kern, Arthur: Neue Kriegstagebücher aus den Freiheitskriegen [== Zeitschrift
des Vereins für Geschichte Schlesiens, Bd. 27 (1913), S. 111—130].
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Weimar.
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengeselischaft, Gotha.
Deutsche Geschichtsblätter
Monsatsschrift für Erforschung deutscher Ver-
gangenheit auf landesgeschichtlicher Grundlage
XVI. Band Februar 1915 2. Heft
Die Polizei unter Josef II.
Nach archivalischen Quellen!)
Von
Adolf v. Wiedemann -Warnhelm (Wien)
Mächtig und geachtet stand unter den Großmächten Europas das
Österreich Maria Theresias da. . Doch man hatte noch im Innern auf
allen Gebieten des staatlichen Lebens zu reformieren, Versäumtes
nachzuholen, sollte die Monarchie die Stellung im europäischen Kon-
zerte bewahren, welche sie der großen Kaiserin verdankte. Denn
die nebeneinander wohnenden Völker Österreichs steckten zum Teil
noch tief im Mittelalter, in dem eine bevormundende, jede Aufklärung
abwehrende Zensur sie gefangen hielt. Wenige Jahrzehnte dieser un-
erbittlich strengen Zensur hatten genügt, alle geistige Regsamkeit
zu ersticken und viele Kulturfortschritte, deren sich das angrenzende
Deutschland erfreute, zu verhindern.
Unter dem Namen „Verbesserung der Polizei und Abstellung des
ÄAberglaubens‘“ begann die Theresianische Regierung viele alte Ein-
richtungen’ umzugestalten ?).
Wien z. B. hatte um das Jahr 1740 noch keine nächtliche Be-
leuchtung, in seinen engen Straßen standen, den Verkehr hindernd,
Pumpen vor den Häusern; das Pflaster in der Stadt war schlecht und
in den Vorstädten fehlte es ganz. Man bemühte sich, diese Übel-
stände abzustellen, und ging überdies daran, die Bevölkerung zu er-
ziehen: sei es, indem man gewissen Ungezogenheiten und schlechten
1) Allgemeines Archiv des k. k. Ministeriams des Innern: Karton IV M. ı Nr. 1083
und Ältere Polizeiakten (1780—1792) Fasz. 10—23; Archiv und Hauptregistratur der
Stadt Wien: Polizeiakten.
2) Beidtel: Geschichte der österreichischen Staatsverwaltung (1740 — 1848),
herausgegeben von Huber (Innsbruck 1896— 1897), S. 46. — Bei dem Worte „Polizei“
müssen wir uns vergegenwärtigen, daß dieses Wort nicht in dem engeren, heute gebräuch-
lichen Sinne, sondern in dem weiteren, im XVIU. Jahrhundert üblichen zu verstehen
ist, der sich mehr dem Begriff „innere Verwaltung“ nähert.
3
z $A =
Gewohnheiten (man schlachtete die Schweine auf der Gasse statt im
Hause) energisch entgegentrat, sei es, indem man, um den Wohlstand
bzw. die Steuerfähigkeit zu heben, die Zahl der Festtage verminderte,
die der Arbeitstage vermehrte, und jede unnütze Ausgabe (den Auf-
wand bei Taufen und Hochzeiten) verbot. Zu einer recht lästigen,
den Säckel des einzelnen in Anspruch nehmenden Unsitte war das
Beschenken zu Neujahr geworden. Subalternbeamte, der Schreiber
im Waghause, der Marktrichter u. a. m. warteten darauf, und wie wir
hören, beschränkte sich das Neujahrsgeschenk nicht immer auf einen
der Stellung des Nehmers angemessenen Geldbetrag, sondern bestand
zuweilen aus kostbaren Gegenständen !).
Doch mit dem Bekämpfen solcher Übel schien die Aufgabe der
Polizei noch lange nicht erfüllt zu sein, diese sollte außerdem — nach
Ansicht der Hofkanzlei — über die Religion und die guten Sitten
der Bürger wachen. Da heißt es in einer Verordnung an die Nieder-
österreichische Landesregierung u. a.: „In Ansehen der Religion muß
die Polizei sich ein Hauptgeschäft daraus machen, über die Ehrerbie-
tigkeit gegen die Kirche und ihre Diener und über die Heiligung der
Sonn- und Feiertage zu wachen.“ Ebenso lag es der Polizei ob, dar-
auf zu sehen, daß die fremden Glaubensgenossen (Protestanten und
Griechen) durch ihre Religionsgebräuche nicht öffentliches Ärgernis
gaben, und daß aller Gefahr für die katholische Religion vorgebeugt
wurde ?).
Damit die Polizei nun allen diesen verschiedenen Obliegen-
heiten nachkommen könne, war eine Reform an ihr vonnöten,
denn sie entsprach in ihrer damaligen Verfassung nicht mehr,
weder qualitativ noch quantitativ, den Anforderungen der Zeit. Das
sahen die maßgebenden Faktoren im Staate ein und darum or-
ganisierten sie nach Pariser Muster wenigstens das Polizeiwesen für
Wien.
Stadt und Vorstädte wurden in zwölf Polizeibezirke geteilt, an
deren Spitze je ein Regierungsbeamter stand, dem etliche bürgerliche
Unterkommissarien untergeordnet waren. Diesen zwölf Polizeibezirken
stand als leitende Behörde ein Polizeiamt vor, das aus einem Polizei-
Oberaufseher (Direktor), einem Adjunkten und acht Protokollschreibern
1) So schenkten die Apotheker den Medicis zu Neujahr kostbare Silbersachen,
Seidenwaren, Spezereien usw. Die Hof-Verordnung, Wien 29. Februar 1770, verbot
dies (Fasz. 10).
2) Verordnung der böhm.-österr. Hofkanzlei, Wien 10. April 1773 (Karton IV
M. ı Nr. 1083).
— 35 —
bestand t). Ein fürwahr sehr bescheidener Beamtenkörper für eine
Haupt- und Residenzstadt von 175400 Einwohnern (1754)! Aber wir
sollen auch das damalige Wien uns vor Augen halten, das, eingeschlossen
von Befestigungen und durch die breite Esplanade von den ländlich
aussehenden Vorstädten getrennt, noch räumlich sehr besçhränkt war
und bei der Gutmütigkeit und dem kulturellen Zurückgebliebensein
seiner Bevölkerung sich noch väterlich regieren ließ. Um sich von
dem damaligen Wien ein Bild zu machen, lese man die Kund-
machungen der Regierung an die Bevölkerung ?). Was der als , Bezirks-
_ aufseher‘ bestellte Polizeibeamte nicht alles zu tun bekam! Sogar
um die müßig auf der Straße angetroffenen Kinder mußte er sich
kümmern. Ihm unterstand eine Polizeiwache, die bezirksweise unter
dem Befehl je eines Feldwebels und einer Anzahl Korporale in Quasi-
Kasernen untergebracht war) Noch gab es privilegierte Häuser
(ständische und sonstige Freihäuser), in welche die Polizei nicht ein-
dringen durfte, und es mußte die Kaiserin beispielgebend vorangehen
und der Polizei (in Ausübung ihres Dienstes) den Eintritt in die Burg
und in die übrigen Hofgebäude freigeben, um ein Gleiches den Pri-
vilegierten zumuten zu können t).
Auch an die geheime Polizei, die man unter Josef Il. den „ge-
heimen Dienst“ nannte, wurde gedacht, denn es beantragte die Nieder-
österreichische Landesregierung, der das Polizeiwesen in Wien und in
Niederösterreich unterstand, die Belohnung verschiedener Geheimer
Kundschafter, der sogenannten Mouches, wie man sie in Paris be-
zeichnete. Aber sie kam mit ihrem Vorschlage schlecht an, als sie
für vier Vertraute ein jährliches Fixum -und überdies 100 fl. für un-
genannte Ausgaben beanspruchte, um z. B. dann und wann in
Wirtshäusern verschiedenen Bedienten einen Trunk zu bezahlen, in
der Absicht, diesen dann die Geheimnisse ihrer Dienstherren zu ent-
locken. Empört über solche Schleichwege lehnte sich der Hofkanzler,
Graf Blümegen, dagegen auf, worauf die Kaiserin vermittelnd ent-
schied, daß sie sich zwar niemals zu einem solchen Fixum verstehen
ı) Vortrag der Hofkanzlei an die Kaiserin, Wien 16. Jänner 1773 (Karton IV):
„Den bürgerlichen Unter- Commissarien könnte zur Aneiferung und Entschädigung die
Gewerbesteuerfreiheit bewilligt werden.“
2) Z. B. Vortrag der Hofkanzlei an die Kaiserin, Wien 9. Jänner 1773 (Karton IV).
3) Kundmachung, Wien 2. März 1776, und die a. h. Entscheidung auf den Vortrag
der Hofkanzlei vom 12. August 1774: der Hofkriegsrat wurde beauftragt, 200 — 300
Halbinvalide an die Polizeiwache abzugeben (Karton IV).
4) Verordnung der Hofkanzlei, Wien 2. Dezember 1775 (Karton IV).
53%
ein. 236
werde, aber vom Illuminationsfundo jährlich 2000 fl. für geheime Aus-
gaben resolvieren wolle !).
So etwa stand es mit der Polizei unter Maria Theresia; nur vor-
sichtig und zögernd war die Kaiserin an Neuerungen herangetreten,
bestrebt, historische Rechte möglichst zu schonen. Josef II. refor-
mierte dagegen mit Feuereifer, ohne sich um das Althergebrachte zu
kümmern. Es gab kein Gebiet staatlicher Tätigkeit, dem er nicht
seine Aufmerksamkeit geschenkt hätte, keine Frage dünkte ihn zu
gering, um sich mit ihr zu beschäftigen; das weite Gebiet des Polizei-
wesens gibt genug Gelegenheit, das wahrzunehmen.
Wenden wir uns zuerst dem Armenwesen zu, jenem Bereich,
in dem Josef wirklich segensreich gewirkt hat. Obwohl die Armen-
und Krankenhäuser durch Maria Theresia erweitert und vermehrt wor-
den waren, wollten die Klagen über Mangel an Raum und nicht zu-
friedenstellende Verpflegung nicht verstummen. Trotz der errichteten
Waisen- und Arbeitshäuser lungerte ein Teil der verwahrlosten Jugend
auf den Straßen herum. Es war da einmal das Moment der Bevöl-
kerungszunahme außer acht gelassen worden, und dann hatte man
die Wurzel der Übelstände nicht erkannt; sie lag nach Josefs Dafür-
halten in dem Mangel an Organen, welche mit Sachkenntnis und un-
eigennütziger Hingabe sich der Erforschung der Ursachen der Armut
widmeten und, mit der Bevölkerung in unmittelbarer Verbindung ste-
hend, die individuellen Eigenschaften der Hilfsbedürftigen kannten ?).
Ein Graf Bouquoy hatte 1779 auf seiner Herrschaft eine Gesellschaft
gegründet, die unter dem Namen ‚die Vereinigung aus Liebe des
Nächsten“ den Zweck verfolgte, allen wirklich Armen ihre Lage zu
erleichtern und den Nächsten zur Hilfe zu bewegen. So ein Armen-
institut beabsichtigte der Kaiser sowohl in Wien als auch auf dem
flachen Lande einzuführen; um dessen Bestand zu sichern, zog er die
Kapitalien der aufgelösten Bruderschaften heran. Flugschriften sollten
die Bevölkerung über das, was beabsichtigt war und vor sich ging,
aufklären. „Das Armeninstitut hat die Bestimmung “ — so erläuterte
eine der Flugschriften —, „die Frucht einer freiwilligen Vereinigung
zu sein.“ Durch die Zeichnung von Beiträgen und das Geben von
Almosen in geschlossene Büchsen hoffte man die Armut zu lindern.
Auf die Größe des Betrages komme es nicht an, und jedermann, dem
die Erfüllung der edelsten Menschen- und Religionspflicht am Herzen
ı) Vortrag der Hofkanzlei, Wien 16. April 1779 (Karton IV).
2) Karl Weiß: Geschichte der öffentlichen Anstalten, Fonde und Stiftungen
für die Armenversorgung in Wien (Wien, Braumüller 1867), S. 216 ff.
za S7 e
liege, ward gebeten, dem Institut beizutreten 1). Im September 1783
trat das Armeninstitut in Wien unter der Leitung des Grafen Bouquoy
ins Leben. An der Spitze jedes Pfarrbezirkes stand der Pfarrer mit
mehreren Bürgern als Armenvätern, denen das Ausfindigmachen und
Bestimmen der Hilfsbedürftigen oblag. An den Sammlungen betei-
ligten sich alle Stände, und der Erfolg war überraschend ?).
Hierdurch wurde den Armen, d. i. den Erwerbsunfähigen und
Dürftigen, geholfen; was geschah aber mit den Beschäftigungs-
losen? Für diese, die infolge von Arbeitsstockungen oder beim Ein-
tritt der kalten Jahreszeit ihren Erwerb verloren, schuf Josef die
„Freiwillige Arbeitsanstalt‘‘, welche er in dem neuen Polizeihaus unter-
brachte. Die Räume des in Wien bestehenden Polizeistockhauses
(bestimmt zur Bestrafung von Polizeiübertretungen) und des Bettler-
kotters genügten schon lange nicht mehr. Um dem Vagabunden-
unwesen und der mutwilligen Bettelei wirksamer entgegentreten zu
können, beschloß der Kaiser, das aufgehobene Kloster der Sieben-
bücherinnen für das neue Polizei- und Arbeitshaus herrichten zu lassen.
Vier Stock hoch erhob es sich: die Kasematten waren für geheime,
sehr gefährliche Staatsverbrecher bestimmt, der Stock zu ebener Erde
für die Polizeiarrestanten; im ersten Stock wurden die Bettler und
Vagabunden untergebracht, im zweiten nur die freiwillig arbeitenden
Leute, für die ein besonderer Eingang bestand. In allen Stockwerken
war Licht, Luft und Wasser — das versicherte der niederösterreichische
Landmarschall und Regierungspräsident Graf Pergen dem Kaiser. Frei-
lich in diesem Hause wurde Arbeit zur Pflicht, sowohl für den Arre-
stanten als auch für den, der freiwillig hier Arbeit suchte; jedoch er-
hielt letzterer seinen Verdienst in die Hand. Die Arbeiten an dem
Hause, welche die ehemaligen Klosterräume der neuen Bestimmung
anpassen sollten, schritten sichtlich fort. Graf Pergen, der das Ver-
trauen seines Herrn-besaß, erhielt diesen auf dem laufenden; trotz-
dem erschien gelegentlich der Kaiser persönlich am Bauort, um mit
Pergen und mit dem Baumeister über Raum und Einteilung zu be-
ratschlagen 8). Auch fragte es sich, was für eine Inschrift über dem
Eingang anzubringen wäre, durch den die Armen, wenn sie freiwillig
Arbeit suchten, das Haus betraten. Pergen schlug vor, darüber zu
"schreiben: Spinnhaus zum Verdienst für die Armen, wogegen der
Kaiser, der die Bedrückten durch die Bezeichnung „arm“ nicht noch
ı) Kundmachung ddto. Wien 1. August 1783 (Fasz. 10).
2) Weiß a. a. O. S. 217.
3) Handbillett des Kaisers an Pergen, Wien 19. März 1783 (Fasz. 11).
E.
mehr niederdrücken wollte, sich für folgende Aufschrift entschied:
Hier können Arbeitsuchende einen Verdienst finden ').
Im Oktober 1783 begann die freiwillige Spinn-Arbeitsanstalt ihre
Tätigkeit; sie war derart organisiert, daß hier alle Arbeitsuchenden
auf Grund der Anweisung der Vorstände der Armeninstituts - Bezirke
Beschäftigung finden und die Anstalt wieder verlassen konnten, so-
bald sie einen besseren Erwerb fanden. Josef, der sein eigener Mi-
nister war und gern mit eigenen Augen sah, besuchte bereits am
25. November 1783 unangemeldet das neue Polizei- und Arbeitshaus
und fand gleich einiges rügend abzustellen: es sollten in Zukunft die
jungen Burschen von den Mädchen während der Nacht getrennt wer-
den, und weiterhin sollten sehr alte Leute, welche, da sie zu keiner
Arbeit verwendbar seien, dem Hause nur zur Last fielen, entfernt werden.
Wir kehren jetzt zur Organisation der Polizeibehörden in Wien
zurück: ihr Personal war trotz wiederholter Bitten des Grafen Pergen,
dem das gesamte Sicherheitswesen unterstand, nicht vermehrt wor-
den; desgleichen hatten die Gehälter nur eine sehr bescheidene Auf-
besserung erfahren; denn Joset bezahlte die Beamten, obschon er viel
von ihnen verlangte, schlecht. Er hob die Polizeikanzlei auf, die
unter Maria Theresia bestanden und viel gekostet hatte, und der
Polizeidirektor von Beer mußte, um die Kanzleiarbeiten bewältigen
zu können, verschiedene Individuen mit so geringem Gehalt als
immer möglich aufnehmen ?). So kam die Polizei, wie Pergen es
dem Kaiser auseinandersetzte, dem Ärar um 1300 fl. billiger zu stehen
als unter Maria Theresia; allerdings ließ sich diese Ersparnis nur da-
durch erzielen, daß man im Exekutivdienst stehende Polizeikommissare
und Praktikanten nach Erfordernis auch zu Kanzleiarbeiten heranzog.
Jedenfalls verdienten die Gehaltsaufbesserungs-Gesuche dieser Leute,
deren Kräfte man so stark in Anspruch nahm, nach Pergens Dafür-
halten Berücksichtigung. Aber da predigte Pengen tauben Ohren,
und welche Momente er auch immer zugunsten der Beamten vor-
brachte (deren bedrängte Lage, die zunehmende Teuerung), der Kaiser,
dem der kostspielige Krieg gegen die Türken große Sorgen machte,
war nicht zu erweichen und wollte mit der Personalvermehrung bis
zur Herstellung des Friedens zuwarten 3).
1) A. h. Resolution auf den Vortrag des Grafen Pergen, Wien 7. August 1783 (Fasz. 11).
2) Vortrag des Grafen Pergen an den Kaiser Leopold den II, Wien 19. IV. 1790
(Fasz. 19).
3) A. h. Resolution auf den Vortrag des Grafen Pergen, Wien 20, November
1789 (Fasz 19).
— 39 —
Nicht besser sorgte Josef II. für die militärisch organisierte Po-
lizeiwache in Wien, die bereits unter Maria Theresia aufgestellt worden
war. Sie zählte nur 280 Mann (halbinvalide Soldaten), von denen
der Zeitgenosse Johann Pezzl sagt, daß die meisten leider zu alt
seien, um ihren Dienst hurtig und mutig versehen zu können !). Und
der Dienst war nicht leicht, zumal da die Polizeiwache außer ihren
Pflichten den nächtlichen Patrouillendienst auf dem Glacis besorgen
mußte, um das in den Vororten hausende Vagabunden- und Räuber-
gesindel von der Stadt fernzuhalten. Während nun Graf Pergen dem
Kaiser die Verstärkung der Polizeiwache als notwendig darstellte, fand
dieser an der Hand der Wachrapporte im Gegenteil, daß man den
Sicherheitsdienst übertreibe, und verfügte daraufhin das Einziehen der
Nachtposten, von denen er behauptete, daß sie „höchstens auf die
Rangierung des ein- oder anderen Fiakers oder auf die Beleuchtung
zu sehen hätten“ ?). Auch befahl er den Patrouillendienst auf dem
Glacis einzustellen, der sich bei den beruhigend lautenden Nacht-
rapporten als überflüssig erwiesen habe 3). Freilich laut der Nacht-
rapporte waren die nächtlichen Vorfälle harmloser Natur: vereinzelte
Arretierungen von Unterstandslosen und Bettlern, dann und wann
wurde ein Dieb oder eine Dirne aufgegriffen $). Lebhafter gestaltete
sich das Leben der Stadt bei Tage. Das brachte schon die Pferde-
liebhaberei der Wiener mit sich. Pezzl sagt: „Die Gefahr ist unauf-
hörlich, besonders in den Hauptstraßen; und an Feiertagen viel hef-
tiger als an gemeinen Tagen. Stellt man sich an einem Sonntags-
abend im Sommer auf dem Stock-im-Eisen-Platz, auf dem Graben
oder Kohlmarkt, so befindet man sich zwischen 9—ı0o Uhr in einem
beständigen Donnergerassel. Die Wägen dringen zu allen Toren
herein: alles, was den Tag auf dem Lande, in den Vorstädten, im
Prater und Augarten genossen hat, eilt dann nach Hause 5)“ Auch
Pergen erwähnt in einem Vortrag an den Kaiser des Schnellfahrens
der Herrschaften und der Lohnwägen, was zur Verhütung von Un-
glücksfällen die Gegenwart der Polizeiwache erheische; weiter bemerkt
er, daß das Publikum mit Hinweis darauf, daß die Wache zum Teil
1) Pezzl: Skizze von Wien (Wien u. Leipzig, Kraußische Buchhandlung 1787),
S. 191.
2) A. h. Resolution auf den Vortrag des Grafen Pergen, Wien 23. Juli 1786
(Fasz. 19).
3) Handbillett des Kaisers an den Grafen Pergen, Wien 14. Nov. 1787 (Fasz. 22).
4) Siehe Auszüge aus den Polizeiwachrapporten (Fasz. 13).
5) Pezzl: Skizze von Wien, S. 67.
E ve
von den Beiträgen der Hausinhaber bezahlt werde, bei der geringsten
Unordnung nach dieser rufe !).
Zu allen diesen dienstlichen Verrichtungen hatte die Polizeiwache
noch Wachposten aufzustellen vor der Hofkanzlei, vor dem Tabak-
amt usw. Nun gelang es wohl dem Grafen Pergen, den Kaiser zu
bestimmen, daß künftighin solche Wachdienste von dem Militär be-
sorgt würden, doch vermochte er der Polizeiwache eine Lohnauf-
besserung nicht zu erwirken. Hartnäckig weigerte sich der Kaiser,
der Bitte zu willfahren, daß man der Polizeimannschaft das Brot, das
sie aus dem Militärverpflegsmagazin gegen Abzug von zwei Kreu-
zern pro Tag erhielt, unentgeltlich verabfolge. Vergeblich erinnerte
Pergen daran, daß die ganze Löhnung der Wache nur zehn Kreuzer
für den Tag betrage, daß die Leute nicht Menage halten könnten
wie das Militär, weil sie oft zwei bis drei Tage im Dienst stünden ?).
Aber es fruchteten da weder die Bitten des Polizeidirektors noch die
des Grafen Pergen; der Kaiser, der selbst vom frühen Morgen bis
spät in die Nacht für den Staat arbeitete, verlangte den gleichen
Diensteifer von seinen Untergebenen, ohne hierfür Überstunden be-
zahlen zu wollen. Selbst mäßig und anspruchslos, mutete er ein
Gleiches den anderen zu. Im Jahre 1787 erschien eine Broschüre,
betitelt: Warum wird Kaiser Joseph von seinem Volke nicht geliebt?
Unter den vielen Gründen wird auch seine Sparsamkeit erwähnt.
„Sparsamkeit‘‘ — heißt es da — „ist eine schöne Tugend des Für-
sten ... allein auch diese Tugend hat ihre Grenzen und die Edlen
im Volke wünschen, daß Josephs Sparsamkeit nie auf die Linie
kommen möge, wo sie aufhört eine Tugend zu sein ®).“
Es war ferner Aufgabe der Polizeiwache, die Sträflinge der großen
Kasematte bei ‚Gassenarbeiten und bei dem Aufspritzen des Praters
zu beaufsichtigen, wobei jene bei Auflehnungen dieser sich so schwäch-
lich und zaghaft benahm, daß des Kaisers militärisches Herz darob
außer sich geriet. „Die Wacht muß berechtigt sein“ — schrieb der
Kaiser an Pergen —, „die Widerspenstigen mit Stockstreichen, auch
allenfalls mit dem Bajonett zurechtzuweisen und sich auf der Stelle
respektieren zu machen. Zu Hause sind sie nach Maß ihres Ver-
brechens mit 30—50 Prügeln zu strafen, krumm zu schließen und so
drei Tage gespannt liegen zu lassen t).“ Harte Worte aus dem Munde
1) Pergen an Josef IIL., Wien 18. Nov. 1787 (Fasz. 22).
2) Gesuch der Polizeiwache u. Vortrag des Grafen Pergen, Wien 21. März 1788(Fasz 22).
3) Gräffer: Josenhinische Curiosa (Wien 1848 bei J. Klang), I. Teil, II. Kap., S. 63.
4) A.h. Resolution auf den Vortrag des Grafen Pergen, Wien 19. März 1789 (Fasz. 22).
s Ai se
des Reformkaisers, des uns in Anekdoten und Erzählungen als Men-
schenfreund gepriesenen Josef II. Allein wir dürfen zwei Momente
nicht übersehen: erstens, daß wir es noch mit der Zeit zu tun haben,
da der Stock herrschte, und zweitens, daß dem Gemütszustand des
Kaisers, den die damaligen ernsten Tage stark beeinflußten, Rechnung
getragen werden muß. Im Winter 1788 auf 1789 war Josef schwer
erkrankt; seine Auflösung schien nur eine Frage der Zeit zu sein,
aber seine Willenskraft überwand noch einmal den Tod. Obschon
körperlich heruntergekommen, arbeitete er unablässig weiter. Dazu
kamen die Verhältnisse der inneren und äußeren Politik, die ihm
wirklich keine Zeit ließen, krank zu sein. Belgien, die Türken, die
Gärung in Ungarn, die Opposition in den österreichischen Provinzen,
alles zusammen war genug, um einen schwer erkrankten Mann zu
verwirren und niederzudrücken. Nur aus seiner krankhaften Über-
reizung heraus läßt es sich erklären, daß er im Oktober 1789 eine
Illumination in den Vorstädten Wiens, die man, um die Eroberung
von Belgrad zu feiern oder der Hetz halber veranstalten wollte, verbot
und gegen einige Burschen, die bei dieser Gelegenheit die Ruhe und
Ordnung zu stören vorhatten, umfangreiche Vorkehrungen (Polizei-
aufgebot und Militärassistenz) traf!). Auch sein Vorgehen im nach-
stehenden Fall ist auf Rechnung seiner gereizten Nerven zu setzen.
In Wien wurde ein Buch verkauft, das nach des Kaisers Mitteilung
an Pergen garstige und abgeschmackte Verleumdungen gegen die
Königin Marie Antoinette vorbrachte. Kein Wunder, daß er die Ver-
breitung des Buches verbot; was jedoch an dem in Zensursachen
sonst toleranten Josef befremdet, ist seine Strenge gegen die Ver-
käufer des Buches. Sein Befehl lautete: „Ohneweiters arretieren und
als Fremde von hier abschaffen“ — er richtete sich gegen die fran-
zösische Modistin Heloin und gegen deren Mann, der in Wien fran-
zösische Stunden gab und vielleicht um den heimlichen Buchhandel
seiner Frau wußte. Es ist dem Grafen Pergen zu danken, daß dem
Gatten Heloin vor seiner Abschaffung aus der österreichischen Mon-
archie eine Frist zur Ordnung seiner Angelegenheiten (er besaß zwei
Häuser auf dem Kahlenberg) gewährt wurde, die Frau aber mußte
unverzüglich fort; Josef bestand darauf ?).
Solchen Anwandlungen von unerbittlicher Strenge und Härte
stellen die Akten eine Fülle von Fällen gegenüber, die für Josefs
I) Josef an Pergen, Wien 17. Oktober 1789 (Fasz. 14).
2) Fall Heloin, 1789 (Fasz. 18).
Pflichtgefühl, Gerechtigkeitssinn und väterliche Fürsorge sprechen.
Er sorgte dafür, daß die kranken Zuchthaussträflinge nicht wie bisher
nur einmal in der Woche, sondern öfter von dem Anstaltsarzt besucht
wurden. Kriminal- und politische Verbrecher hatten bis jetzt Arrest-
gelder zu bezahlen, die in die Tasche des Polizeihauptmannes und
seiner Leutnants flossen. Josef fand es unanständig, daß Arrestanten
dafür, daß sie bestraft werden, noch bezahlen sollen und verbot
diesen Unfug. Ende Oktober 1787 überschwemmte die Donau einige
Stadtteile Wiens. Der Kaiser gab sich mit den Polizeiberichten nicht
zufrieden, sondern ritt selbst dorthin, wo die Not am größten war.
In den Rapporten heißt es: „Seine Majestät der Kaiser sind an der
Unglücksstätte gewesen, allwo Höchstdieselben alles in Augenschein
genommen haben.“ Ja der sparsame Josef schickte sogar dem Grafen
Pergen 2000 Dukaten, damit er sie sofort an die Bedürftigsten ver-
teile). Ging Josef auf Reisen, um seine Provinzen zu besuchen, so
hatte ihn Pergen über alles auf dem laufenden zu erhalten: ob für
Holz während des strengen Winters Vorsorge getroffen, ob die Leopold-
stadt im Falle einer Überschwemmung verproviantiert sei usw.?).
Es ist ja richtig, Josef II. kümmerte sich um alles, oft um Dinge,
die in den Wirkungskreis eines Polizeikommissars oder eines Wach-
mannes fielen. Ihn beschäftigte ein Unglücksfall an der Favoriten-
linie (ein verheirateter Tagelöhner wurde durch den Einbruch eines
Sandhügels verschüttet) ebenso wie die Ankündigung, daß in einem
Hause auf dem Kohlmarkt nackte Figuren, „aus einer dem lebenden
Fleische überaus ähnlichen Masse“ verfertigt, zur Ausstellung gelangten.
In beiden Fällen traf er Verfügungen: im ersten Fall verlangte er,
daß der Arbeitgeber zur Verantwortung gezogen werde, im zweiten
gab er sich erst dann zufrieden, als ihm der Polizeidirektor versichert
hatte, daß die Figuren teilweise verschleiert worden seien. Wir finden
das heute kleinlich, vergessen jedoch dabei, daß der Reformkaiser mit
dem Schlendrian, den man der altväterischen Verwaltung der Stände
verdankte, aufzuräumen hatte. Galt es nicht, verschlafene Völker zu
einem neuen Staatsleben aufzurütteln, ein den neuen Aufgaben ge-
wachsenes Beamtentum zu schaffen?! Wollte Josef diese Riesenarbeit
bewältigen, da durfte er keine Arbeit scheuen, nichts als zu gering-
fügig von sich weisen, sondern mußte überall zum Rechten sehen
I) Überschwemmungsakten Oktober— November 1787 (Fasz. 22).
2) Vortrag des Grafen Pergen an den Kaiser, Wien 15. Febr. 1784 (Fasz. 10):
„Da es mir bekannt, wie Ew. Majestät die Sicherheit und Ruhe des Publikums sich zu
Herzen nehmen usw.“,
— 4 —
und, wo es nötig war, persönlich eingreifen. So ist er gleich einem
nur das Beste wollenden, wenn auch strengen Landesvater rücksichtslos
auf sein Ziel losgeschritten.
Rühmend ist sein Gerechtigkeitssinn hervorzuheben, oder besser
gesagt, sein ehrlicher Wille: gerecht zu sein. Folgende Fälle mögen
das beleuchten.
Ein Weltpriester wird wegen schlechter Aufführung auf ein Jahr
zur Korrektionshaft in das Arbeitshaus gebracht. Auf Pergens An-
frage, wie man sich gegen den Priester zu benehmen habe, ob man
ihn zu den gewöhnlichen Hausarbeiten, zu denen laut Hausordnung
jeder Sträfling in diesem Straf- und Besserungshause verpflichtet war,
verhalten dürfe, entscheidet der Kaiser wie folgt: „Dieser Geistliche
ist wie alle anderen ÄArrestanten zu behandeln, nur mit dem Unter-
schied, daß er keine Schläge bekömmt, und falls er solche verdiente,
ist er statt deren mit Fasten und Anschließung zu bestrafen !).“
Laut Hausordnung durfte man die Arrestanten auch durch Schläge
zur Arbeit zwingen. — Einem jüdischen Großhändler entfloh die
Tochter, weil sie von ihm wegen eines Liebesverhältnisses gezüchtigt
worden war, und fand in einem Kloster Aufnahme. Auf das Maje-
stätsgesuch des Vaters entschied der Kaiser, daß Vater und Tochter
in der Polizeidirektion einander gegenübergestellt und verhört werden
sollten. Allein das Mädchen blieb standhaft und erklärte so bestimmt,
im katholischen Glauben leben und sterben zu wollen, daß der Vater
sich damit abfand; nur bat er, die Tochter, um ihr jede weitere Ge-
legenheit zu Liebeshändeln zu benehmen, in ein Kloster einzusperren.
Diesem Begehren meinte Graf Pergen nicht stattgeben zu können, da
die Tochter durch die Religionsänderung aus der Gewalt des Vaters
getreten sei, diesem folglich kein Recht mehr zustehe, die Lebensart
des Kindes zu bestimmen. Nicht gleicher Ansicht war der Kaiser;
er fand, daß dem Vater als Vater ein billiger Einfluß auf den Lebens-
wandel seiner Tochter zugestanden werden müsse, um so mehr, als sie
ihm in moralischer Hinsicht zu Klagen Anlaß gegeben habe ?).
Von einer für die Zeit erstaunlich freien und großmütigen Den-
kungsweise zeugt die Bestimmung seines Zensurgesetzes: daß Kritiken,
wenn es nur keine Schmähschriften sind, sie mögen treffen, wen sie
wollen, vom Landesfürsten bis zum Untertan, nicht zu verbieten seien.
Broschüren schossen wie Pilze aus dem Boden, man schrieb über alles
ı) Vortrag des Grafen Pergen an Joset, Wien 9. März 1786 (Fasz. 10).
2) Vortrag des Grafen Pergen an Josef, Wien 19. Jänner 1786 (Fasz. 22).
und unterzog auch natürlich die Regierungshandlungen einer Kritik.
Ja einige richteten ihre Spitze ganz verwegen gegen den Kaiser, so
daß man in maßvollen Kreisen sich darüber erstaunt ansah. Wie
lange noch? betitelte sich eine Flugschrift, die sich an die Behörden
wendete und entrüstet fragte, ob man gegen den Groß- und Buch-
händler Wucherer, bei dem die literarischen Attentate gegen Josef II.
gedruckt wurden, nicht endlich einschreiten werde. Unerhörtes Auf
sehen machte die Broschüre: Freimütige Bemerkungen über das Ver-
brechen und die Strafe des Garde- Oberstlieutenants Szekely von einem
Freunde der Wahrheit‘). Dieser Szekely hatte die Hauptkasse be-
stohlen und der Kaiser hatte zur Strafe (vier Jahre Festungsarbeit)
die öffentliche Ausstellung am Pranger hinzugefügt. Darob giftige
Ausfälle gegen den Kaiser wegen der Strafverschärfung. Doch Josef
ging großmütig über die Beleidigungen hinweg, für die er nur Ver-
achtung hatte. Wenn der Buchhändler Wucherer in der Folge be-
straft und aus der Monarchie abgeschafft wurde, so hatte er das dem
Druck und der heimlichen Verbreitung religionsfeindlicher Schriften
zuzuschreiben und wohl auch der Verdächtigung, daß er der gegen
die Monarchien gerichteten Deutschen Union angehöre ?). Denn als
der Kaiser von der Staatsgefährlichkeit dieses Mannes hörte, was die
beschlagnahmten Bücher und Manuskripte zum Teil bezeugten, hatte
es mit der Nachsicht ein Ende. Wie wir aus dem Vortrage Pergens
an Leopold II. erfahren, war im Falle Wucherer nicht das Polizeiamt,
sondern der Kaiser der Richter gewesen: der Kaiser selbst hatte die
hohe Geldstrafe bestimmt und die Landesverweisung verfügt, die für
den durch Geschäftsinteressen an Wien gebundenen Wucherer dessen
wirtschaftlichen Ruin bedeutete. Es ist ja möglich, daß Josef, durch
Wucherers Betragen gereizt (welche Begünstigungen hatte der Aus-
länder nicht dem Kaiser zu danken!), in diesem Falle zu hart mit dem
Schuldigen verfuhr, da Kaiser Leopold sich bemüßigt sah, das Vor-
gehen gegen Wucherer nachprüfen zu lassen, und diesem zur Ordnung
seiner Geschäfte in Wien befristeten Aufenthalt gewährte.
Des geheimen Dienstes der Polizei unter Maria Theresia und der
Art, wie man sich damals bei der Wahl der Mittel noch von Rück-
sichten leiten ließ, wurde bereits gedacht. Skrupelloser ging man
unter Josef II. vor. Es gab da erstens drei ständig bezahlte Ver-
traute, welche bei den in der Residenzstadt unumgänglich nötigen,
1) Gräffer: Josephinische Curiosa, IH. Teil, S. ı.
2) Siehe die Akten über den Fall Wucherer (Fasz. 13).
= dB:
bald auf allerhöchsten Befehl zu machenden beschwerlichen Beobach-
tungen verwendet wurden !). Sie legten, wie aus den Vorträgen des
Grafen Pergen zu ersehen ist, bei der heimlichen Beobachtung der
Fremden und bei der Beaufsichtigung der in Wien akkreditierten Ge-
sandten sehr viel Geschick und Umsicht an den Tag, wenn auch nicht
immer zur Zufriedenheit des Kaisers. Man benutzte bereits die Post
als Ausspähungsmittel, wo die Briefe Verdächtiger kunstfertig geöffnet
und nach Einsicht wieder geschlossen wurden. Eine besondere Über-
wachung war über die preußische Gesandtschaft verhängt worden, die
sich vorzüglich einiger aus Preußen eingewanderter Juden bediente,
um Wissenswertes auszukundschaften 2). Diese Juden wußten in Mitteln
und Wegen Bescheid, wie man sich in Wien und in den österreichischen
Provinzen häuslich niederlassen könne, und verstanden durch ge-
schicktes Betragen sich Zutritt zu vielen großen Häusern und bei den
Beamten zu verschafien 8). Um der preußischen Späher jüdischer Nation
Herr zu werden, d. i. um den Inhalt ihrer in jüdischer Sprache und
Schrift abgefaßten Korrespondenzen nach Preußen zu erfahren, be-
diente sich Graf Pergen gleichfalls der Juden. Ganz ausgezeichnete
Dienste leistete in dieser Richtung ein Jude aus Breslau, namens
Heymann Kieve. Er war für nennenswerte Entdeckungen mit der
Erteilung der Großhandlungsfreiheit belohnt worden, belästigte aber.
dessenungeachtet den Kaiser immer wieder mit neuen Anliegen #),
und daß er schließlich die Verlegerstelle beim Tabakgefälle in Prag
erhielt, dankte er nur der Fürsprache des Grafen Pergen, der Kieve
wegen seiner Verwendbarkeit den übrigen jüdischen Spähern, die
übrigens viel kosteten, vorzog. Außer den Juden und einigen Polizei-
beamten standen noch Leute aus verschiedenen Bevölkerungsschichten,
meistens aber kleine Leute im Dienst der geheimen Polizei. Diese
Menschen bestürmten den Kaiser fortwährend mit.Bitten, sei es um
Geldunterstützungen, sei es um kleine Anstellungen, und da Graf
Pergen oft zu ihrem Anwalt wurde, so liegt die Vermutung nahe,
daß der Kaiser auch im Haushalt des Geheimen Dienstes sparte.
1) Pergen an Leopold IIl., Wien 19. April 1790 (Fasz. 19).
2) Convolut „Preußen, politische Umtriebe‘ (Fasz. 17).
3) Ich führe als Beispiel die Tätigkeit des Juden Königsberger an (Fasz. 13).
4) A. h. Resolution auf den Vortrag des Grafen Pergen, Wien 6. XI. 1784
(Fasz. 13): „Für den Quark, was Heymann bis dato angezeigt hat, ist er durch Er-
baltung der Großhandlung und anderer Vorteile hinlänglich vergolten worden.‘ Ein
anderes Mal beauftragt der Kaiser den Grafer Pergen, Kieve 900 fl, zu zahlen, mit dem
Bemerken, daß hiermit diese Familie ein für allemal abzufertigen sei,
a. AR
Wenn nun behauptet wird, daß unter den Spähern Josefs II. herunter-
gekommene Gräfinnen sich befunden hätten, die ihren Mitteln auf-
helfen wollten, ferner Geistliche, Professoren, Offiziere usw., denen
ihr Gehalt nicht genügte !), so ist das unrichtig; denn wer seinen
Finanzen authelfen wollte, der durfte, wie wir es an dem folgenden
Fall sehen können, auf den Geheimen Dienst unter Josef seine
Hoffnungen nicht setzen. Ein Graf aus den Niederlanden war, nach-
dem er, um zu heiraten, seine Hauptmanıscharge niedergelegt hatte,
beim Tabakgefälle mit einem Gehalt von monatlich 20 fl. angestellt
worden. Da er mit dieser Summe sich und seine Familie nicht er-
halten konnte, so ließ er sich gegen geringen Entgelt als Vertrauter
verwenden; aber das genügte noch immer nicht, um den Unterhalt
für Frau und Kinder zu bestreiten, die (wie Graf Herberstein, der
Präsident der Niederösterreichischen Landesregierung, dem Kaiser vor-
stellte) weder Kleider noch Schuhe besaßen, um die Kirche besuchen
zu können. ‚Wenn S. Majestät sich bewegen ließe“ — schrieb Graf
Herberstein im Vortrage an den Kaiser —, „dem Grafen einen Teil
der Schulden zu bezahlen oder wenigstens zu diesem Zweck ihm
jährlich eine kleine Pension aus der Niederländischen Kasse anzu-
weisen!“ Hierauf resolvierte der Kaiser wie folgt: „Zur Bezahlung
privater Schulden kann von seiten des Staates ohne bedenkliche Folge
nicht eingegangen werden. Leistet er besondere Dienste, so soll er
davor nach Billigkeit belohnt werden, und ist seine Frau so wahrhaft
arm, so hat sie Almosen da zu suchen, wo man es verteilt ?).“
Ebensowenig läßt sich die Behauptung erweisen, daß Josef II.
alle Provinzen mit einem dichten Netz geheimer Spionage überzogen
habe und daß Geheimpolizisten überall umhergelaufen seien 8). Unter
diesem Kaiser sah der Geheime Dienst seine Aufgabe noch nicht so
sehr in der verstahlenen Erkundung der politischen Meinung in den
Bevölkerungskreisen, als vor allem in der Beobachtung der Staats-
diener, ob sie nicht bestechlich seien, und in der Beaufsichtigung
der Geistlichkeit, ob sie nicht verbotenen Verkehr mit Rom unterhalte.
Im allgemeinen aber sollte die Polizei nach Josefs Anweisungen sich
um die Gunst aller Welt bemühen, weil darin „ihre Stärke“ beruhe ).
1) Mitrofanow-Demelid: Josef II., seine politische und kuliurelle Tätig-
keit (Wien u. Leipzig, Stern, 1910), S. 13—14.
2) Graf Herberstein an Josef, Wien 5. XII. 1780 (Fasz. 19).
3) Mitrofanow-Demelida.a O., S. 13—14
4) Fournier: Kaiser Josef II. und der Geheime Dienst (Hist. Studien und
Skizzen, dritte Reihe, Wien, Tempsky, 1912), S. 4.
Ze AT:
Er sandte in jede der Provinzialhauptstädte einen in Wien geschulten
Polizeikommissar, der dort eine Polizeidirektion einzurichten und dem
Landesgouverneur zur Seite zu stehen hatte. Die Landesgouverneure
hingegen wurden angewiesen, ihre Berichte direkt an den Grafen Pergen
als Vorstand der österreichischen Staatspolizei einzusenden. Aller-
dings, als die letzten Jahre der Josefinischen Regierung Verwicklungen
der Monarchie nach außen und Gärungen im Innern brachten, da
schenkte man den Stimmungen im Publikum mehr Aufmerksamkeit
als früher !), doch war man von dem Polizeistaate, wie er sich später
unter Kaiser Franz herausbildete, noch ein gutes Stück entfernt. So
beschaffen war die Polizei Josefs II., unter dem der Begriff des Staats-
wohls sich mit dem der Volksinteressen weit mehr deckte, als das
in der Folgezeit der Fall war.
ANNIE
Mitteilungen
‚Archive. — Das städtische Archiv in Göttingen bewahrt neben
seinen zahlreichen Urkunden einen reichen Bestand an mittelalterlichen
Stadtbüchern und Briefen in einer Vollständigkeit, wie sie selbst größere
Archive selten aufweisen können 2). Es bedurfte einer Folge von glück-
lichen Zufällen, um diesen reichen Bestand der Nachwelt zu erhalten. Die
Hauptsache war, daß das Rathaus nie von einem Brande heimgesucht wor-
den ist; hier bargen die dicken Mauern und starken Gewölbe der 1368 bis
1372 erbauten „Alten Ratsstube“ bis zum Jahre 1898 den Hauptteil der
Archivalien. Ferner kamen die zur Zeit der Errichtung der Universität 1733
bis 1735 geplanten großen Umbauten des Rathauses bei der mißlichen Lage
der städtischen Finanzen nicht zur Ausführung, zum Glück, muß man sagen,
für die in allen Räumen des sogenannten „Hinterhauses“ und auf den
Dachböden lagernden Archivalien; denn es ist ausgeschlossen, daß man im
Falle eines Umbaues Zeit und Kräfte auf Sichtung und Erhaltung der Akten
verwandt hätte; sie wären mit Ausnahme der Urkunden, wie in so vielen
andern Städten, einfach kassiert worden. Auch traf es sich sehr günstig,
daß man am Ausgange des XVIII. Jahrhunderts die Neuordnung des Ar-
chivs einem Manne anvertraute, der ein Verständnis für den Wert der alten
Archivschätze besaß, wie man es sonst in jener Zeit nicht fand.
Ursprünglich mag auch in Göttingen ein Buch, schlechthin das rades-
ı) Graf Pergen an Josef, Wien 21. I. 1790 (Fasz. 18), betreffend die Verstim-
mung in den Erblanden und eine strengere Zensur der Zeitungen.
2) Siehe Ferd. Wagner: Aus dem Stadtarchive zu Göttingen in der Zeitschrift
des Vereins für Geschichte Niedersachsens, Jahrgang 1907, S. 1—38 und Das Archiv
und die Kanzlei der Stadt Göttingen im Jahrbuch des Geschichtsvereins für Göttingen
Bd. III (1910), S. 16—49.
— 48 —
bok genannt !), den Bedürfnissen der Stadtverwaltung genügt haben, da-
neben dienten Wachstafeln zu Aufzeichnungen von Notizen vorübergehender
Art. Die älteste auf dem Archive verwahrte Handschrift ist der Liber
parvus copiarum, von 1328 bis 1378 im Gebrauch. In ihm stehen die
von der Stadt verkauften Renten abschriftlich eingetragen, am Schlusse des
Buches war eine Lage für Abschriften von Urkunden historischen Inhalts
bestimmt. Die Namen der neu aufzenommenen Bürger sind seit 1328 er-
halten. Sie sind später in das Bürgerbuch der Stadt Göttingen, das kurz
vor 1380 angelegt worden ist, übertragen worden, stammen also aus einer
älteren Vorlage. Die zweitälteste Handschrift ist ein Schadensverzeichnis,
eine Lage von zehn Pergamentblättern mit Eintragungen aus dem Jahrzehnt
von 1331 bis 1341; mit diesem Jahre brechen die kurzen Notizen leider
ab. Nur drei Jahre jünger (1334) ist das Tinsböck von der wörden, es
enthält den Wordzins der einzelnen Grundstücke der inneren Stadt, der
von den Eigentümern dem Herzoge als Grundherrn zu entrichten war. Aus
der Zeit vor 1340 stammt auch das Rauhe Buch, eine Redaktion von der
stad lovede, die der alte und neue Rat verfaßte. Gleichzeitig wurden Ver-
ordnungen und Strafbestimmungen mehr polizeilicher Art auf sieben mit-
einander verbundenen Wachstafeln eingeschrieben ?). Bis zum Jahre 1354
waren diese Wachstafeln im Gebrauch, ihr Inhalt wurde nach 1380 in eine
zum Teil erhaltene Papierhandschrift übertragen, aus dieser etwa 1422 auf
Pergamentblätter und diese wurden dann mit dem Rauhen Buche vereinigt.
Außer diesen erhaltenen Stadtbüchern gab es einen verlorengegangenen
Liber antiquissimus, der seinen Namen erst am Anfang des XV. Jahrhun-
derts erhalten haben kann, als neben ihm das Oide bok und der Liber novus
(später Liber copiarum papireus) existierten. Aus dem Jahre 1357 stammt
die älteste erhaltene Papierhandschrift des Stadtarchivs, das oben genannte
Olde bok, später Liber certorum gestorum genannt. Der Inhalt ist sehr
mannigfacher Art, neben Abschriften erhaltener und ausgefertigter Urkunden
stehen Verträge mit den Pächtern der Mühlen -und den Bediensteten des
Rates, Verzeichnisse der Teilnehmer an verschiedenen herzoglichen Turnieren,
Rentenverkäufe der geistlichen Korporationen an Bürger usw. In den Jahren
1365 und 1367 wurden zwei weitere Papierhandschriften eingerichtet, von
denen jede eine bedeutsame Serie von Stadtbüchern eröffnete: Erstens das
Sunebok, aus dem sich die beiden Abteilungen der Gerichtsbücher, die
Libri damnorum und die Libri mandatorum entwickelten. Aus einer Unter-
abteilung der letzteren entstanden wieder die Urfehdebücher. Zweitens das
Olde kundige bok, das die vom Rate jährlich verkündeten burspraken auf-
nahm. Zahlreiche Bursprachen aus späterer Zeit schließen sich an. Die
Epoche des Kampfes mit dem Landesherrn Herzog Otto von Braunschweig
und Göttingen ließ zwei wichtige Stadtbücher entstehen, das „Fehdebuch“
und den Liber antiquorum gestorum. In diese letztere Handschrift schrieb
der damalige Stadtschreiber einen ausführlichen Bericht der Fehde des Jahres
1387, die mit dem Siege der Stadt endigte. Zwei weitere tüchtige Stadt-
1) Vgl. über die Stadtbücher Göttingens diese Zeitschrift 11. Bd. (1910), S. 171
bis 173.
2) Die Wachstafeln hat Dr. A. Ulrich in der Zeitschrift des Vereins für Geschichte
Niedersachsens, Jahrgang 1885, S. 129 - 162 beschrieben und herausgegeben.
— 49 —
schreiber Johannes Münter und Heinrich von Poelde, die nacheinander
von 1393 bis 1428 im Dienste der Stadt standen, haben die Kanzlei und
das Rechnungswesen den neuen Bedürfnissen der Zeit entsprechend um-
gestaltet. Die von Poelde eingeführte Ordnung in der Führung der Kämmerei-
bücher !) blieb bis zum Jahre 1708 bestehen. Die Urkunden wurden ver-
zeichnet, und endlich auch ein Privilegienbuch, der Liber copiarum papireus
angelegt, so daß von nun an die Libri copiarum ausschließlich für die
Eintragungen der verkauften Renten und städtischen Grundstücke dienten.
Gleich nach 1410 wurde ein Ordinarius angelegt, der in alphabetischer
Folge die zahlreichen Verordnungen, Verträge, Vereidigungen usw. des Rates
aufnahm, die man bisher zerstreut in andere Handschriften eingetragen hatte.
Etwa zwei Jahrzehnte später wurde ein Ordinarius novus in Gebrauch ge-
nommen, eine Pergamenthandschrift, die demselben Zwecke diente. Beide
Ordinarien sind nebeneinander geführt worden. |
Sehr verdient machte sich am Ende des XV. Jahrhunderts um die
Ordnung im städtischen Archiv der Stadtschreiber Heinrich Meier oder
Meyger aus Netteldingen. Unter anderem katalogisierte er die zahlreichen
Urfehdeschwörungen des Archivs und verfaßte ein alphabetisches Repertorium,
das nach Stichworten geordnet aus den Privilegien, Kopial- und Gerichts-
büchern alles, was ihm für die Verwaltung, Rechtspflege und Geschichte
der Stadt von Bedeutung schien, in sich vereinigte. Im ganzen sah Meyger
für dieses Repertorium ı5 Stadtbücher ein: seine Nachfolger fügten Nach-
träge aus drei jüngeren Stadtbüchern des XVI. Jahrhunderts hinzu. Von
diesen 18 Handschriften ist nur eine einzige, der Liber mandatorum B
(1434—1473), verloren gegangen, während von einer zweiten, dem Liber
magnus copiarum papiraceus, nur die ersten 160 Blätter fehlen.
Im XVI. Jahrhundert führte man die eine große Abteilung der Ge-
richtsbücher, die der Libri damnorum, nicht weiter; dafür erfuhren die
Libri mandatorum eine weitere Differenzierung, indem die einzelnen Ab-
teilungen dieses einen Buches selbständig als Liber mandatorum, Liber sen-
tentiarum und Urfehdebuch fortgeführt wurden. Hieraus entwickelten sich
dann am Ende des XVI. Jahrhunderts die großen Serien der Zivil- und
Kriminalbücher; die Urfehdebücher hören mit dem Jahre 1693 auf.
Bald nach 1575 wurden ein besonderes Eidbuch, ein Bestallungsbuch
und ein Inventarium agrorum et praedorum angelegt, die einzelne Rubriken
der beiden Ordinarien fortsetzten, die um 1530 und 1648 außer Gebrauch,
gekommen waren.
Ein arges Mißgeschick traf das Archiv im Dreißigjährigen Kriege. Bei
der Erstürmung der Stadt in den Morgenstunden des 11. Februar 1632
durch den Herzog Wilhelm von Sachsen-Weimar bildete das Rathaus die
letzte Zuflucht der kaiserlichen Besatzung. So blieben die Sitzungs- und Ge-
schäftszimmer des Rathauses von der allgemeinen Plünderung nicht verschont,
wenn auch der den Archivalien zugefügte Schaden nicht so groß war, wie
man nach dem Notariatsinstrumente, das der Rat drei Monate später über
den Zustand des Archivs aufnehmen ließ, annehmen sollte. Es ist das große
1) Die Kämmereiregister beginnen 1393/94. Zum Vergleich sind die in dieser
Zeitschrift, 1. Bd. (1899), S. 72—73 zusammengestellten Angaben über den Anfang der
Rechnungen in anderen Städten heranzuziehen,
4
= u. ee
Verdienst des damaligen Stadtsekretärs Hans Heinrich Gercken und seines
Nachfolgers Johannes Christianus Philippi, daß der größte Teil der Ur-
kunden und des Aktenarchivs vom Untergange gerettet wurde. Trotz der
Ungunst der Zeiten begann Gercken mit der Wiederherstellung der Ordnung
in der Registratur und im eigentlichen Archiv; sein Nachfolger setzte das
Werk fort und registrierte eine große Anzahl von Akten und Urkunden, be-
gann auch im Friedensjahre 1648 die Ausarbeitung eines neuen Repertoriums.
Der tiefe Niedergang der Stadt, die sich erst am Anfange des XVIII. Jahr-
hunderts langsam von den Schäden des Krieges erholte, hat auch im Archive
seine Spuren hinterlassen. Ein Teil der Archivalien ging auf dem Dach-
boden des Rathauses zugrunde; ausgeliehene Stücke sind nicht zurück-
geliefert worden. So wird z. B. eine Anzahl wichtiger Urkunden, die Philippi
in seinem Register als vorhanden verzeichnete, seit 1736 vermißt. Alle
Versuche einer Neuordnung des Archivs blieben Stückwerk, obwohl es die
Landesregierung an Ermahnungen nicht fehlen ließ, bis gerade noch im
rechten Augenblicke vor der französischen Besitzergreifung der am ı. No-
vember 1797 zum zweiten Syndikus erwählte Privatdozent der Rechte, Dr. iur.
Joh. Anton Ludwig Seidensticker aus Andreasberg, mit großer Tatkraft
sich dieser Arbeit unterzog. Die vom besten Erfolge gekrönte Wirksamkeit
Seidenstickers ist an anderer Stelle!) gewürdigt worden; hier sei nur er-
wähnt, daß es sechs Jahre angestrengter Tätigkeit seinerseits bedurfte, um
die jetzt noch ‘geltende Ordnung herzustellen. Die Urkunden sind in einem
aus drei Bänden bestehenden Hauptrepertorium eingetragen; ein chronologi-
sches Verzeichnis bildet eine sehr nötige Ergänzung dazu. Die Zahl der
Nummern (1929) fällt nicht zusammen mit der der Urkunden, denn Ur-
kunden gleichen Inhaltes hat Seidensticker zu Sammelnummern vereinigt,
auch wichtige Briefe, die Prozeßakten aus dem Mittelalter und Abschriften
von Urkunden in die Urkundenabteilung aufgenommen.
Dank zweier Urkundenrepertorien des XV. Jahrhunderts, die allerdings
nur zwei Gruppen von Urkunden berücksichtigen, läßt sich der Prozentsatz
der verlorengegangenen Originale annähernd bestimmen. Im ersten Viertel
des XV. Jahrhunderts wurden unter den Stadtschreibern Münter und Poelde
die wichtigsten breyve und privilegien des rades von Gottingen in acht Ab-
teilungen mit fortlaufenden Buchstaben verzeichnet und zugleich mit denselben
Buchstaben in einem Hefte in Schmalfolio registriert; leider ist diese Arbeit
nicht über 1436 hinaus fortgesetzt worden. Von den 172 eingetragenen
Urkunden befinden sich noch 128 als Originale im Archive, fünf Originale
sind im XVII. Jahrhundert an die Regierung zurückgelangt und liegen nun
im Staatsarchive zu Hannover; demnach fehlen die Originale von 39 Ur-
kunden. Fast der gleiche Prozentsatz an verlorenen Originalen findet sich
in der vom Stadtschreiber Meyger registrierten Sammlung der Urfehde-
schwörungen der Jahre 1402—1493; in dieser Rubrik stehen 293 Originale,
von ihnen haben sich bis jetzt 234 zerstreut in der Urkundenabteilung
wieder vorgefunden. Auf Grund dieser beiden Verzeichnisse kann man an-
nehmen, daß etwa der vierte Teil des Urkundenbestandes des Archivs ver-
loren gegangen ist. Dem widerspricht nicht, daß von den Originalquittungen
1) In den S. 47 Anm, 2 angeführten Aufsätzen.
we 5
über den Empfang der Bede aus der Zeit von Otto dem Quaden nur acht,
und aus der von Otto Cocles nur 21 sich vorfinden, denn auf die Bewahrung
dieser Quittungen wird man naturgemäß weniger Wert gelegt haben. Die
Zahl der erhaltenen und in der Specificatio Documentorum verzeichneten
Original-Urkunden des XIII. Jahrhunderts beläuft sich auf 26; aus dem
XIV. Jahrhundert sind nach meiner Zahlung 304 Originale in dem ge-
nannten Repertorium eingetragen, nämlich
von 1301 bis 1325 = 33,
von 1326 bis 1350 = 56,
von 1351 bis 1375 = 83,
von 1376 bis 1400 = 132.
In dem oben genannten kleinen Repertorium (breyve und privilegien des
rades von Goettingen) finden sich 22 Originale des XIII. und 105 Originale
des XIV. Jahrhunderts verzeichnet. Von diesen Urkunden sind 18 Orig.nale
des XIII. und 82 des XIV. Jahrhunderts noch im Archive vorhanden und
in der Specifi: atio Ducumentorum registriert 1), wohlmerkt ohne Innehaltung
irgendeiner chronologischen Ordnung. Nicht aufzufinden sind demnach
4 Originale aus dem XIII. und 23 aus dem XIV. Jahrhundert. Recht be-
trächtlich ist auch die Zahl der Originalurkunden des XV. und XVI. Jahr-
hunderts, wenn ihnen auch inhaltlich zum großen Teile nicht mehr die Be-
deutung wie in früheren Jahrhunderten zukommt; auch erschwert die Art
ihrer Ordnung (oft sind viele Stücke unter einer Nummer zusammengefaßt)
die Feststellung genauer Zahlen.
Die mittelalterlichen Stadtbücher sind glücklicherweise vor dem Untergange
oder vor Verschleuderung bewahrt worden. Von den Kopial- und Privilegien-
büchern hat nur der Liber magnus copiarum papiraceus (1404?— 1583) die
vordere kleinere Hälfte verloren; der Liber antiquissimus scheint schon vor
1500 nicht mehr existiert zu haben. Die fünf erhaltenen Libri pensionum,
welche die Namen der Rentenkäufer nach den Terminen, an denen die Renten
zu zahlen waren, geordnet enthalten, sind von 1392—1554 im Gebrauch
gewesen, aus früherer Zeit sind nur Bruchstücke erhalten.
Die Gesetzbücher und Bursprachen sind fast lückenlos auf uns ge-
kommen. In der großen Serie der Gerichtsbücher ist ein Totalverlust, und
zwar der des Liber mandutorum B (1436—73), zu bemerken. Die Rats-
bücher (Libri contractuum, Wilkore-Bücher) beginnen erst mit dem Jahre
1402 und sind auch später nicht vollständig erhalten. Die Kämmereibücher
stehen seit 1393/94 fast lückenlos auf dem Archive, größere Verluste haben
die Nebenrechnungen, die Libri propinatae, Schoß- und Weinrechnungen
usw. erlitten. Die Schlußkonten dieser Rechnungen wurden jedoch in die
Hauptrechnung des betreffenden Jahres übertragen.
Die gesamte Masse an Akten und Briefen hat Seidensticker in drei
große Abteilungen gegliedert: a) das ältere Akten-Archiv in alphabeti-
scher Folge mit elf Nebenabteilungen; b) die Briefsammlung, die in
22 Faszikeln die Korrespondenz der Stadt aus dem Mittelalter und der
Reformationszeit umfaßt. Praktische Gründe haben Seidensticker zur Bildung
3) Weitere 4 Originale (über Münze) sind im Staatsarchive Hannover seit dem
XVII. Jahrhundert niedergelegt.
4%
Eu, p a
dieser Gruppe, die eine Ergänzung der ersten Abteilung bildet, bewogen;
c) die „ältere Registratur“. Sie ist die Fortsetzung der ersten Ab-
teilung, in ihr befinden sich die Akten der neueren Zeit, die man in der
Registratur sofort zur Hand haben wollte.
Die beiden zuerst genannten Abteilungen haben namhafte Verluste er-
litten, einen guten Teil der Papiere fand Seidensticker in einem Boden-
raume, der sogenannten „Blutkammer“. Es sei noch erwähnt, daß nach
Einführung der Reformation die Archivalien der städtischen Kirchen, der
milden Stiftungen, vor allem des Kreuzhospitales, und der Kalande in das
städtische Archiv aufgenommen und mit den dortigen Akten und Urkunden
vereinigt wurden. Auch das Archiv der Familie v. Boventen ist zum großen
Teile bei der Belehnung des Rates mit den Gütern des Hans v. Boventen
von seiten des Herzogs Wilhelm 1488 in den Besitz der Stadt gekommen
und dadurch erhalten geblieben.
Eine rege Geschichtschreibung hat es in Göttingen nicht gegeben.
Wichtige Niederschriften zeitgenössischer Ereignisse der Jahre 1387—1514
stehen, von den Stadtschreibern verfaßt, in dem Liber antiquorum gestorum.
Die Chronik des Pfarrers Lubecus ist in der zweiten Hälfte des XV]. Jahr-
hunderts niedergeschrieben unter Benutzung älterer Aufzeichnungen aus dem
XV. Jahrhundert. Während des Dreißigjährigen Krieges führte ein Mitglied
des Rates sogenannte Diaria, tagebuchartige Aufzeichnungen, von denen
das Archiv einen Teil verwahrt. Dann schweigt in Göttingen die Historie,
bis 1734—38 die Inauguration der Universität die Zeit- und Geschicht-
Beschreibung der Stadt Göttingen entstehen ließ.
Ferd. Wagner (Göttingen)
Wie reich manche standesherrlichen Archive sind, haben die
verschiedenen Berichte, die über solche in dieser Zeitschrift veröffentlicht
wurden !), gezeigt, aber wohl über kein zweites sind wir durch ein ausführ-
liches gedrucktes Inventar so gut unterrichtet wie über das Fürstlich
Wiedische zu Neuwied. Durch gemeinsames Wirken der Kgl. Preußi-
schen Archivverwaltung, des Kgl. Staatsarchivs zu Koblenz, dessen Beamte
Knipping und Johannes Schultze die Arbeit ausführten, der Gesellschaft
für Rheinische Geschichtskunde und der Fürstlich Wiedischen Rentkammer
ist das Buch geschaffen worden, das für die Forschung in einem ziemlich
großen Gebiete neuen wertvollen Quellenstoff erschließt: Fürstlich Wiedisches
Archiv zu Neuwied, Urkundenregesten und Akteninventar, herausgegeben
von der Fürstlich Wiedischen Rentkammer zu Neuwied (Neuwied, Kom-
missionsverlag Franz Gützkow ıgır. XV und 419 S. 8°). Auf 288 Seiten
sind 2929 Urkunden verzeichnet; die wesentlich kürzer gefaßte Beschreibung
der Akten, die trotzdem eine Menge Aufschlüsse gibt, füllt die Seiten 289
bis 320 und gliedert sich in die Nummern 2930—3051, deren jede einer
Abteilung gewidmet ist. Für die verschiedensten Zwecke bequem verwendbar
wird aber das Buch erst durch das eingehende Orts- und Personenverzeichnis
(S. 321—419).
1) Es sei hier erinnert an die Archive za Castell (3. Bd., S. 174), Köstritz
(8. Bd., S. 197—199), Amorbach (9. Bd., S. 112—116), Dyck (13. Bd., S. 68—71)
und Westerburg (15. Bd., S. 261—266).
ei. BI, a
Das heute in Neuwied aufbewahrte Archiv setzt sich aus sehr verschie-
denen Bestandteilen zusammen, die leider bei der 1837—1843 vorgenommenen
Neuordnung miteinander vermischt worden sind. Unberührt von dieser Ver-
mischung ist lediglich das Archiv der 1726 an die Obergrafschaft Wied ge-
fallenen lothringischen Herrschaft Kriechingen geblieben, welches jetzt unter
Wahrung des Wiedischen Eigentumsrechts im Bezirksarchiv zu Metz verwahrt
wird. Die Hauptmasse der Neuwieder Archivalien betrifft das regierende
Haus Wied und seine Landesbehörden, und von Rechts wegen müßten sich
die Archivalien nach den verschiedenen durch Landesteilung entstandenen
Linien gliedern. Nach dem Aussterben der alten Grafen von Wied 1243
erbten zunächst die Söbne von zwei Schwestern des letzten Grafen, die
Herren von Isenburg- Braunsberg und Eppstein. Als auch das Haus Isen-
burg-Braunsberg 1454 im Mannesstamm erlosch, fiel Wied durch die Erb-
tochter an die Herren von Runkel und gehört seitdem dem Haus Wied-
Runkel. Die zuerst 1581 vorgenommene Teilung. in eine Ober- und eine
Untergrafschaft wurde 1698 endgültig; der Mittelpunkt der letzteren wurde
das neugegründete Neuwied, der der ersteren” Runkel (an der Lahn) bzw.
Dierdorf. Diese Teilung in die zwei Linien bestand bis 1824, in welchem
Jahre nach dem Aussterben der in der Obergrafschaft herrschenden Linie
beide Teile wieder in einer Hand vereinigt wurden. Für die Zeit 1698 bis
1824 handelt es sich daher um zwei ganz getrennte Archive, die sich auf
räumlich ziemlich weit voneinander gelegenen Besitz beziehen. Trotzdem
wurden die Hauptbestände des Runkeler Archivs nach Neuwied übergeführt,
während sich ein kleinerer Teil (darunter z. B. Akten des Westfälischen Grafen-
kollegiums XVII. und XVIII. Jahrhunderts 'und solche über die Herrschaft
Massow in Pommern) noch in Runkel befindet. — Außer diesen den alten
Besitz der über Wied gebietenden Geschlechter betreffenden Archivalien ruhen
in Neuwied auch die der Grafschaft 1803 durch Säkularisation einverleibten
Gebiete: der Klöster Beselich bei Hadamar, Ehrenstein, Villmar und der
kurkölnischen Ämter Altenwied und Neuerburg. Auch die Archive von
Landesteilen, die einmal ganz oder teilweise zu Wied gehörten, finden sich
ganz oder teilweise vor; solche Besitzungen sind Olbrück, Reichenstein,
Maischeid-Isenburg, Seck und Obertiefenbach. Dieser Überblick zeigt, wie
weitverzweigt der in Neuwied ruhende archivalische Stoff ist. Für Refor-
mationsgeschichtsforscher sei noch ganz besonders betont, daß die kur-
kölnischen Akten des Erzbischofs Hermann von Wied besonders verzeichnet
sind (S. 318 — 320); bemerkenswert sind vor allem mehrere von Martin
Butzer herrührende oder ıhn betreffende Schriftstücke.
Gegenwärtig wird das Urkundenarchiv (in 17 Gruppen gegliedert)
vom Aktenarchiv (72 sachliche Gruppen) unterschieden, und zwar be-
treffen davon ı5 Familien- und 57 Landesangelegenheiten. In Wirklichkeit
ist jedoch die Trennung zwischen Urkunden und Akten nicht streng durch-
geführt, so daß sich unter den Akten tatsächlich Urkunden, und in dem
Urkundenarchiv Akten befinden. Im gedruckten Inventar schließen sich die
Angaben über die Akten eng an die archivalische Anordnung an, während
die Urkunden zu folgenden Gruppen vereinigt sind: a) Wiedische Urkunden
mit Ausschluß der Lehnsurkunden (ältestes Original 1194), b) Kauf- und
Tauschbriefe, c) Passivlehen (1277 ff.), d) Aktivlehen (1337 ff.), e) Urkunden
zas BA aS
aus kurkölnischen Archiven (1308 ff.), f) Kurkölnische Lehenbriefe (138 ff.),
g) Urkunden des Klosters Ehrenstein (1460 ff.).
„Die Regesten der mittelalterlichen Urkunden suchen deren Rechts-
inhalt möglichst zu erschöpfen und streben Vollständigkeit in der Aufführung
der Personen und Orte an.‘ Diese durchaus zweckmäßige Beschränkung
bei der Gestaltung der für den Druck bestimmten Regesten sagt dem Kun-
digen genug. Belangıeiche Einzelheiten, die sich bei ausführlicherer Fassung
der Regesten in Masse mitteilen lassen, finden sich deshalb wenig, aber
wer nach bestimmten Dingen sucht, wird durch Vermittlung der Namen
leicht feststellen können, ob das Wiedische Archiv für seine Zwecke Stoff
enthält, und darin liegt der hauptsächlichste Zweck eines solchen Inventars.
Da die veröffentlichten Urkunden durch Hinweis auf die Druckstelle kenntlich
gemacht und die Regesten der unveröffentlichten ausführlicher gefaßt sind,
so läßt sich auch für das XIII. und XIV. Jahrhundert übersehen, was bisher
unbekannt gewesen ist. Dahin gchören z. B. die Nummern ıı (1259), 12
(1259), 21 (1270), 29 (1277), 34 (1288), 37 (1294), 40 (1299), 2169
(1315, Ludwig der Bayer), 2203 (1308, betrifft Heidelberg), 2310 (XIV. Jahr-
hundert: Isenburg war Lehen von Fulda). Unter den Akten verdienen die
zahlreichen Briefwechsel aus dem XVI. bis XVIII. Jahrhundert (S. 297 bis
304) besondere Aufmerksamkeit, bei denen vielfach auch der Gegenstand an-
gegeben ist. Im übrigen kann die Durchsicht dieses Inventars nur empfohlen
werden: auf welchem Gebiete ein Forscher auch tätig sein mag, er wird immer
wertvolle Hinweise finden, deren Weiterverfolgung Gewinn verspricht. T
Dem 1907 erschienenen ersten Hefte der Veröffentlichungen aus dem
Stadtarchiv Colmar !) ist ein zweites Heft gefolgt, und zwar enthält dies
die erste Lieferung vom Repertorium des Stadtarchivs Colmar i. E., auf-
gestellt von Prof. Carl Engel, Stadtarchivar (Straßburger Druckerei und
Verlagsanstalt, Filiale Colmar 1913. X und ı13 S. 4°). Wie wir aus der
Einleitung entnehmen, hatte Colmar seit 1638 einen besonderen Archiv-
beamten, aber ein erstes Repertorium, das sich jedoch auf die Urkunden
beschränkt, liegt schon von 1495 vor; ein besseres, aber auch lediglich
die Urkunden berücksichtigendes entstand infolge Ratsbeschlusses von 1517.
Das nächste, wiederum bessere und auch die Akten einbeziehende Reper-
torium war 1662 abgeschlossen, aber das von Mathias Hüffel 2) 1719—1733
bearbeitete, das sowohl das „MHauptarchiv“ als auch das „Rechnungs-
gewölbe‘“ berücksichtigt, ist die beste Arbeit, und die damals hergestellte
Ordnung gilt im wesentlichen noch heute, nachdem der jetzige Archivar (seit
1908) in richtiger Erkenntnis seiner Aufgabe die von seinen letzten Vorgängern
vorgenommenen Änderungen nach Möglichkeit wieder rückgängig gemacht hat.
An die Hüffelsche Ordnung, deren Schema mitgeteilt ist, schließt sich
nun das Repertorium an, und zwar lernen wir in dieser ersten Lieferung‘
das Scrinium A (5 Laden), B (12 Laden) und C (13 Laden) kennen.
Da finden wir vor allem die Freiheitsbriefe der Stadt (1255—1717), die
1) Vgl. diese Zeitschrift 9. Bd. (1908), S. 178 — 179.
. _2) Damals gab es einen katholischen und einen lutherischen Archivar; Hüffel
war der katholische. (S. 82.)
ai BR O us
Reichssteuerquittungen (1299—1630), kaiserliche Mandate (1331— 1676),
sehr umfangreiche Akten über Stadtverwaltung, Wirtschaft und staatlichen
Einfluß in französischer Zeit (1674 ff.), Akten der schwedischen Regierung
(1632—1646), Akten der französischen Protektion (1634—1669), Akten
des französischen Gouvernements Colmar (1635—1649), Akten des Kom-
mandanten und des Miltärs sowie über den Verkehr der Stadt mit den
Militär- und Zivilbehörden XVII. und XVII. Jahrhunderts (S. 50—68).
Die Stadtverfassung und Verwaltung vom XIV. bis XVIII. Jahrhundert mit
13 Unterabteilungen (das Scrinium C) lernen wir auf Seite 69—113 kennen
und staunen über den Reichtum. Weitere Lieferungen sollen das Werk fort-
setzen, und ein Register der Personen- und Ortsnamen soll mit der letzten
Lieferung erscheinen, die hoffentlich nicht zu lange ausbleibt. Die Ver-
öffentlichung ist wichtig genug und verdient weit über den engen Kreis der
örtlichen und landschaftlichen Forschung hinaus Beachtung. Einige Einzel-
heiten, die vielleicht manchen zu weiterem Nachschlagen veranlassen, mögen
das bestätigen.
Vom Wirkungskreis der elsässischen Landvögte erhalten wir durch recht
viele Zeugnisse ein anschauliches Bild, ebenso von den Beziehungen Colmars
zu den übrigen elsässischen Reichsstädten und von dem Städtebund. Der
1305 neu eingerichtete St. Martinsmarkt wird nicht vom König verliehen, son-
dern von den Organen der Stadt geschaffen (S. 1). Reichhaltige Münzakten
liegen seit dem XIV, Jahrhundert vor (S. 105—107), und das Recht, selbst
Münzen zu schlagen, erhielt Colmar 1376 durch Karl IV. (S. 105). Von
den inneren Unruhen in der Stadt 1331 ff. und zwei feindlichen Parteien,
der schwarzen und der roten, erfahren wir mancherlei (S. 14, 69). Land-
adlige aus der Umgegend pflegten wichtige Urkunden zur sicheren Auf-
bewahrung beim Colmarer Rat zu hinterlegen: Zeugnisse dafür liegen seit
1393 vor (S. 98—99). Über städtische Schulden an Auswärtige gibt es
Urkunden seit 1331 und ganze Listen auswärtiger Gläubiger von 1397,
1404, 1408, 1434 und 1450—1455 (S. 93). Die Urkunden über das
Stadtschultheißenamt umfassen die Zeit 1347 — 1479 (S. 77— 78). Die
älteste Bestallung eines städtischen Werkmeisters (Eberharts von Mainz) ist
von 1429 (S. 83), während die Bestallung eines Organisten ı522 (S. 85)
und die von Schulmeistern (S. 86). 1530—31 bezeugt ist. Der Zolltanf
von Thann 1508 (S. rrr) ist überliefert, und die Akten über den Stadt-
läufer, die dann in die Postakten überleiten, sind seit 1538 erhalten (S 68,
84). Die Stadt tritt uns 1555 als Verleger entgegen, indem sie einen deut-
schen Plutarch drucken läßt (S. 91). Maximilian I. ächtete 1512, Sept. ıı,
den Grafen Emich von Leiningen, weil er in französische Dienste getreten
war (S. 15), und Karl V. belobte 1530, Okt. ız, Colmar, weil es nicht
„der lutherischen opinion anhange und nicht in die Eidgenossenschaft ein-
treten wolle (S. 16). Eine Bevölkerungszählung wurde 1709 vorgenommen
(S. 68); den Verkauf von Kaffee und Schokolade regelte eine Verordnung
von 1692 (S. 33); 1717 entstand eine Compagnie d'Occident als Gegen-
stück zur Ostindischen Kompagnie (S. 31); Verordnungen von 1736 und
1787 beschäftigen sich mit der Führung der Tauf-, Ehe- und Sterberegister
(S. 27); 1771 erging eine Warnung vor der Auswanderung nach Ungarn
und Siebenbürgen (S. 66).
o We cs
Kommissionen. — Seit den letzten Mitteilungen über die Tätigkeit
der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck !) sind
zwei Jahresberichte im Sommer 1913 und 1914 ausgegeben worden,
denen folgende Angaben zu entnehmen sind. Als Bd. 2 der Abteilung
Klosterarchive ist erschienen: Klöster, Stifter und Hospitäler der Stadt
Kassel und Kloster Weißensten, Regesten und Urkunden, bearbeitet von
Johannes Schultze (Marburg, Elwert 1913), dagegen liegt von Bd. 1, der
den Werraklöstern gewidmet ist, bearbeitet von Stadtarchivar Huyskens
(Aachen), zwar der Text fertig gedruckt vor, aber Einleitung und Register
fehlen noch. Prof. Stengel (Marburg) hat vom Urkundenbuch des Klosters
Fulda die erste Hälfte des ı. Bandes (Marburg, Elwert 1913), bis 779
reichend, veröffentlicht. Dem 1909 erschienenen ersten Bande der Chro-
niken von Hessen und Waldeck ist 1914 (Marburg, Elwert) ein zweiter ge-
folgt: Waldecker Chroniken, bearbeitet von Paul Jürges, Albert Leist
und Wilhelm Dersch; den Inhalt bilden die Knüppelsche, Trygophorussche
und Flechtorfer Chronik. Die übrigen begonnenen Arbeiten sind zum Teil
gut fortgeschritten. Von den Regesten der Landgrafen von Hessen, von
denen seit 1909 die ı. Lieferung (1247—1308) vorliegt, wird bald der
Druck einer zweiten Lieferung (bis 1328), bearbeitet von Rosenfeld, be-
ginnen; letzterer hat die Arbeit bis 1413 übernommen, während Arm-
brust (Berka) die Regesten des Landgrafen Ludwig I. (1413—1458) unter
den Händen hat. Die bisher unter dem Titel Quellen zur Geschichte des
geistigen und kirchlichen Lebens geplante Veröffentlichung wird unter dem
Namen Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte, bearbeitet
von Sohm, erscheinen und mit einer einleitenden Darstellung beginnen.
Das Hessische Klosterbuck hat Archivar Dersch (Meiningen) im Manuskript
vollendet. Für den Hessischen Lehenstant sind bereits 14000 Lehens- .
reverse bearbeitet. Die Quellen zur Rechts- und Verfassungsgeschichte der
hessischen Städte wird der Marburg gewidmete Band, bearbeitet von Archiv-
direktor Küch, eröffnen, und zwar hat die Marburger Stadtverwaltung dazu
einen besonderen Zuschuß von 1000 Æ bewilligt.
In den Vorstand der Kommission traten an Stelle verschiedener aus-
geschiedener Herren ein Bibliotheksdirektor Brunner (Kassel), Oberbürger-
meister Koch (Kassel), Archivrat Rosenfeld (Marburg) und Prof. Troeltsch
(Marburg). Stifter zählt die Kommission 4, Patrone 46, Mitglieder 104.
Die Jahreseinnahme belief sich 1913 auf 7308 Æ, 1914 auf 7289 M.
Der Kassenbestand betrug ı. April 1913 10546 A, ı. April 1914 da-
gegen nur 5634 æ. Außerdem ist die Hälfte der Stifterbeiträge (2500 M)
zinstragend angelegt.
Eingegangene Bücher.
Kisky, Wilhelm: Die Erhebung Kölns zur freien Reichsstadt [= Jahrbuch
des Kölnischen Geschichtsvereins, ı (1912), S. 1—24].
I) Vgl diese Zeitschrift 13. Bd., S. 310.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Weimar.
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.
Deutsche Geschichtsblätter
Monatsschrift für Erforschung deutscher Ver-
gangenheit auf landesgeschichtlicher Grundlage
XVI. Band März/April 1915 3./4. Heft
Eindrücke vom Kurfürstsntag zu Regens-
burg 1630
Auszüge aus dem Tagebuch Christians Il. von Anhalt
Mitgeteilt von
Hermann Wäschke (Zerbst)
Der Kurfürstentag, der im Juni 1630 zu Regensburg anberaumt
war, sollte zwei wichtige Aufgaben zur Erledigung bringen: die Wahl
eines römischen Königs und die Sicherung des Reiches gegen äußere
Feinde. Mit diesen beiden Fragen verknüpften sich zwei andere: die
Sicherstellung des protestantischen Bekenntnisses im Reich und die
Opposition gegen den kaiserlichen Generalissimus Wallenstein; die
letzteren namentlich schlossen in sich den großen, nun schon lange
dauernden Kampf der deutschen Fürsten (der Territorialgewalt) gegen
den nach unumschränkter Herrschaft im Reiche strebenden Kaiser
(die Zentralgewalt); so konnte die Tagung zu einem wichtigen Er-
eignis deutscher Geschichte werden, wie sie das mindestens nach
einer Richtung hin auch tatsächlich geworden ist.
Der Kaiser war, noch ehe die Tagung begann, in Ungarn ge-
wesen und hatte dort diplomatische Erfolge gehabt. Berichte aus
Wien vom 19.|29. Mai meldeten, der Kaiser „habe alle Satisfaction,
Contribution etc., was er begehrt, aus Ungarn empfangen“ gegen
Freigebung der Religion. Es seien ihm stattliche Legata zukommen
an Gold, Pferden und Geschmück von Bethlen Gabor. „Dem
Kaiser ein kostbarer Demantring, ein schön Roß mit allem Zubehör,
von lauter gediegenem Gold gemacht, und 40000 Ducaten, dem
Könige 40000 Ducaten, der Kaiserin 20000 Ducaten und Erzherzog
Leopold Wilhelm 10000 Ducaten.“
Am 17.|27. Mai war der Kaiser mit starkem Komitat von 600 Wagen
von Wien nach Regensburg aufgebrochen, wo er bestimmt am
4.14. Juni einzutreffen hoffte.
Just einen Monat vor diesem Ereignis, am 17. April 1630, war
der einstige Gegner des Kaisers, der Fürst Christian I. von Anhalt-
5
— 68 —
Bernburg, gestorben und dessen Sohn Christian II. zur Regierung
gekommen. Der neue Herrscher hatte die Belehnung mit dem Fürsten-
tum beim Kaiser nachzusuchen und zu empfangen, — das legte ihm
den Wunsch nahe, die Anwesenheit des Kaisers in Regensburg für
diesen Zweck zu nutzen. Zugleich aber veranlaßten ihn zum Er-
scheinen in Regensburg auch andere Verhältnisse, Angelegenhejten
seines Landes und solche rein persönlicher Art.
Die Angelegenheiten des Landes standen im Zusammenhange
mit dem Restitutionsedikt von 1629 und mit dessen Durchführung im
Lande Anhalt, sowie ferner mit der Belastung durch Einquartierung
der kaiserlichen Regimenter und durch Kontributionen.
Gemäß dem Restitutionsedikt war bekanntlich alles nach dem
Passauer Vertrag (1552) säkularisierte Stiftsgut unrechtmäßiger Besitz,
und dessen Rückgabe an die Kirche wurde verlangt: „diejenigen
aber, so dergleichen Ertz- und Bisthümer, Praelaturen, Clöster,
Hospitalia, Pfründen und ander geistl. Güter und Stifftungen inne haben,
daß sie sich alsbald von Insinuation dieses unsers Kayserl. Edicts zu
Abtretung und Restituirung solcher Bisthumen, Praelaturen und anderer
geistlichen Güter gefaßt halten und auf Anhalten unserer Kayserl.
Commissarien dieselbe unaufhältlich samt allem dero An- und Zu-
gehör einräumen und restituiren‘, widrigenfalls sie der Acht und Ober-
acht zu gewärtigen haben würden.
Diese Bestimmungen trafen auch Anhalt, welches die Abtei Nien-
burg, die Abtei Gernrode mit der Propstei Gr.-Alsleben und
dem Schlosse Plötzkau, sowie das Kloster Kölbigk säkularisiert
hatte. Die Herausgabe dieser Güter, die mindestens 13000 Taler
jährliches Einkommen gewährten und für sich beinahe die Hälfte der
Einnahmen des gesamten Fürstentums Anhalt-Bernburg bildeten, hätte
tief in den Bestand des Fürstentums und in das erst 1606 durch-
geführte Werk der Landesteilung eingegriffen.
Die Kaiserlichen Kommissarien für Niederdeutschland und damit
auch für Anhalt waren der Bischof von Osnabrück und der Kaiserliche
Statthalter v. Metternich, ihre Subdelegierten: Hemmerle, Ob.
Becker und der Pater Stricerius. Die Subdelegierten waren eifrig
an das Werk der Gegenreformation herangegangen und hatten einer-
seits Jesuiten und Franziskanermönche zu Gehilfen, anderseits be-
waffnete Trupps kaiserlicher Völker aus den in Anhalt lagernden
Regimentern.
Nun beriefen sich die anhaltischen Fürsten auf die Kaiserliche
Zusage im Mandat von 1562, auch auf die weitere Zusage, daß niemand
ei 0
de facto, sondern nur de iure aus dem Besitz gesetzt werden solle,
aber ihren Widerstand suchte v. Metternich dadurch zu brechen,
daß er dem Kaiser in einem Schreiben empfahl, die Belehnung des
Fürsten Christian II. nicht eher zu vollziehen, als nicht der Handel
mit den Stiftern und geistlichen Gütern erledigt sei.
Fürst Christian II. befand sich also in einer Zwangslage, als er
den Gedanken faßte, nach Regensburg zu reisen und dort in persön-
lichen Verhandlungen seine Sache zu führen. Die Zwangslage ver-
schärften noch die finanziellen Nöte, denen er durch irgendeine
Dienststellung im kaiserlichen Heer oder im diplomatischen Dienst
begegnen zu können hoffte. Vermutlich aus diesem Grunde hatte er
sich durch einen vertrauten Diener an den General Wallenstein ge-
wendet und diesem zugleich mit der Bitte ein kaiserliches Empfeh-
lungsschreiben vorlegen lassen, Wallenstein aber, der früher dem
Fürsten stets freundlich gesinnt gewesen war, lehnte diesmal das Ge-
such ab, und zwar in Worten, die sein Verhältnis zum Kaiser in jener
Zeit bekunden, disant, que quand je lui envoyerais 2000
lettres de V Empereur qu’il n’en ferait rien et quand même
il aurait de largent, comme il nen avait point, il Temploserait mieux.
Der vom Fürsten Christian II. geplanten Reise stimmten jedoch
die übrigen anhaltischen Fürsten nicht ohne weiteres zu. Sie be-
fürchteten, die voraussichtlich bedeutenden Kosten würden die be-
stehenden finanziellen Schwierigkeiten nur vermehren, der Fürst werde
am Kaiserhofe seiner Religion wegen mancher Kränkung und vielleicht
sogar Verfolgung ausgesetzt sein, außerdem könnte man vom Ein-
greifen des Kurfürsten von Sachsen sowie des Schwedenkönigs eine
Änderung der Lage erwarten und dann würde es dringend notwendig
sein, daß die regierenden Fürsten persönlich im Lande anwesend
seien.
Die hier ausgesprochene Hoffnung gründete sich auf ganz be-
stimmte Nachrichten. Kursachsen hatte (10. Mai) den Kaiser be-
schickt, wegen der Reformation, und kategorisch Antwort verlangt,
ferner que lElecteur de Saxe lève maintenant (25. Mai) 1) 4000 chevaux
und (23. Mai) „der König von Schweden habe 40000 Mann beisammen,
Rügen eingenommen, werde mit Macht einbrechen. Beide Herzöge
von Mecklenburg würden ein jeder 1000 Mann zu Fuß und 500 zu
Roß [stellen]. Administrator von Halle läge in Hamburg im Wirts-
hause, verzehre wöchentlich 40 Thaler, hätte jährlich vom König in
1) Die einfachen Daten des Tagebuchs sind die „alten Stils‘.
5*
u 60: ze
Schweden 10000 Thaler zu verzehren. Wo aber der Schwede Victoria
hätte, müßten wir gedenken, daß die Kaiserlichen alles würden in
Brand stecken. Wo Cap. Oldehöft nicht gewesen, wäre der König
von Dänemark unerkannterweise von 50 Hamburg. Musketirern, auf
welche er unsinniglich hineingesetzt, erschossen worden; der Capt. aber
hat ihnen das Schießen verboten, wiewohl einer bereits Feuer gegeben“,
Gegenüber den ausgesprochenen Befürchtungen berief sich Fürst
Christian auf viele Gnadenbeweise, die er bereits erhalten habe, wie
seine und seines verstorbenen Vaters Begnadigung, seine gute Auf-
nahme beim Kaiser zu Regensburg im Vorjahre und andere, die
Kosten würden sich bezahlt machen, wenn es gelänge, Nienburg,
Gernrode usw. dem Lande zu erhalten, betreffs der Religion sei er
doch kein Kind mehr, um Verlockungen oder Drohungen nachzugeben,
und der erwartete Wechsel in der politischen Lage des Reiches werde
sobald nicht eintreten; übrigens würde dies auf ihn keinen Einfluß
haben, da er ja bei seiner Befreiung aus der Haft und Acht!) dem
Kaiser Treue geschworen habe.
Da nun die immer kräftiger einsetzende Gegenreformation auch
die übrigen anhaltischen Fürsten mit großer Besorgnis erfüllte, so ließen
sie nicht allein ihre Bedenken gegen die Reise fallen, sondern er-
munterten zum Teil den Fürsten, sein Vorhaben auszuführen.
Am 10. Juni 1630 reiste er ab. In seiner Begleitung befanden
sich der Rittmeister v. Wietersheim als Interimshofmeister, der
Kanzler Dr. Müller, der Stallmeister Axt und der junge v. Röder
an Stelle der ausgebliebenen v. Knoche und v. Eiche. Außer
diesen schloß sich des Fürsten Bruder, Fürst Friedrich, dem Zuge
an, um in Gesellschaft den Weg nach Weimar zu machen.
Die Reise ging am 10. Juni von Ballenstedt nach Sandersleben, Eis-
leben, Querfurt, am ıı. nach Buttstedt, Weimar, am ız. war Stillager in
Weimar, am ı3. nach Rudolstadt, am 14. war dort Stillager, am 15. nach
Saalfeld, Gräventhal, Neustadt, am 16. nach Coburg, am ı7. nach Bam-
berg, am 18. nach Nürnberg, wo noch am 19. Stillager war, am 20. nach
Neumarkt, Leiningen, am 2ı. nach Hemmar und Edritzhausen an der Nab,
am 22. nach Regensburg.
Die ganze Reise hatte also 13 Tage gedauert oder, nach Abrechnung
der Stillager, ro Tage. Der Grund für die Dauer lag zum Teil in den
Wegen. „Schlechte Wege“ werden ausdrücklich hinter Nürnberg erwähnt.
Immerhin war die Vorwärtsbewegung gering. Daß man zu derselben Zeit
1) Christian II. war in der Schlacht am Weißen Berge gefangen worden, hatte
aber dann die Gunst des Kaisers erworben und die Aussöhnung zwischen diesem und
seinem Vater vermittelt,
NE i
bedeutend schneller vorwärtskommen konnte, bezeugt der Fürst selbst. Am
17. Juni traf er nämlich in Bamberg mit seinem Bruder Ernst zusammen.
Der war in 7 Tagen von seinem Quartier bei Mantua in Oberitalien bis
nach Bamberg geritten, am ı8. früh ritt er von Bamberg auf Bernburg,
das er am 19. zu erreichen hoffte, so daß er denselben Weg, den Christian UI.
in 6 Tagen zurückgelegt hatte, in 2—3 Tagen zurückzulegen hoffte 1).
Die Tagung zu Regensburg, an welcher der Fürst nun teilnahm,
vollzog sich in den Formen der früheren Reichstage. Zur Teilnahme
an den Verhandlungen war der Kaiser erschienen, mit ihm kam die
Kaiserin, der zum römischen König ausersehene Sohn des Kaisers,
dazu der Hofstaat des Kaisers und der Kaiserin. Anwesend war auch
der Kurfürst von Bayern mit seiner Gemahlin und seinem Hofstaat.
Fürst Christian II. schildert den Kurfürsten: „ein leutseliger, sach-
verständiger, beredter und feiner, tugendsamer Herr, — ist er wohl
an Tugend und Qualitäten ein rechter Bruder des Kurfürsten von
Cöln. Er führt sonst einen stattlichen Hof und hat viele Leute bei
sich, aber es geht alles still zu.“ Das Urteil ist um so beachtens-
werter, als es ein evangelischer Fürst abgibt. Persönlich anwesend
waren ferner die drei geistlichen Kurfürsten, der von Köln, Ferdi-
nand von Bayern, der von Mainz, Kasimir Wambolt, und der
von Trier, Philipp Christoph v. Sötern; ferner weltliche und
geistliche Fürsten, Grafen und Herren; Staatsmänner wie Fürst von
Eggenberg, Graf von Meggau, Graf von Fürstenberg, sowie
Slawata, der gern von der vierfachen Rettung aus Lebensgefahr
beim Prager Fenstersturz erzählte; dazu noch berühmte Heerführer,
wie Montecucoli, Piccolomini, Marradas, Tiefenbach.
Lebhaft vermißt wurden die Kurfürsten von Sachsen und Branden-
burg, an ihrer Stelle waren nur Gesandte erschienen, von Branden-
burg Sigmund v. Götze, von Sachsen Plantzdorf. Das Ausbleiben
beider Kurfürsten wurde um deswillen bedauert, weil für Erledigung
der Geschäfte die erforderliche Autorität fehlte, was wohl kaum etwas
anderes bedeuten kann, als die Unmöglichkeit persönlicher Einwirkung
auf deren Entschließungen.
Wie leicht erklärlich, lockte die Tagung auch viele an, die nicht
der diplomatischen und politischen Geschäfte wegen kamen, sondern
um ihre Neugier und andere Wünsche und Gelüste zu befriedigen.
Es sollen bereits am 13. Juli 24000 Fremde in Regensburg gewesen
1) Alle derartigen Angaben der Quellen über Reisegeschwindigkeit und Reiseweg
verdienen sorgsamste Beachtung, weil nur durch die Masse der Belege das Gewöhnliche
in der Schnelligkeit von dem Ungewöhnlichen zu unterscheiden und die übliche
Verbindungsstraße zu ermitteln ist.
u Ge
sein. Die Versorgung und Überwachung einer solchen Menschen-
menge beschäftigte den Rat der Stadt wie auch den Kurfürsten
Maximilian von Bayern, der aus der Verproviantierung einen nicht
unwesentlichen Nutzen zog. Schwerer als diese Aufgabe war die
Überwachung und Fürsorge in sanitärer Hinsicht. Boten die alten
Städte an sich schon manche Gefahren für die Gesundheit, so steigerten
sie sich bei einem solchen Zustrom, in welchem Bettler, Abenteurer
und dazu noch Exulanten, d. h. arme, durch das Restitutionsedikt
und die Maßregeln der Gegenreformation von Haus und Hof, von
Amt und Stelle vertriebene Leute. Wie ein Vorwurf gegen die
Reichsregierung lagerten sie an der Stätte, da diese Reichsregierung
selbst tagte. Von diesen Armen und Elenden, bestimmt von denen,
die aus Wien kamen, wurde die Pest eingeschleppt, die Tag für Tag
Opfer forderte. Die Not dieser Leute verlangte dringend Abhilfe.
Der Rat der Stadt errichtete eine Almosenkasse. „Es ist eine Ordnung
hier zu Regensburg gemacht worden wegen des vielfältigen Über-
laufens der Bettler und Exulanten, daß man in eine Almosenbüchse
wöchentlich etwas gibt, — jeder Fürst und jeder Stand, wer da will —,
und dieselbige wird dem Rat consigniert, damit die armen Leute
dorthin gewiesen [werden] und bei jetziger Contagionszeit einen nicht
also anlaufen und etwa Böses bringen.“
Im Gegensatz zu diesen Armen und Elenden lebte die vornehme
Welt im Genuß dahin. Vergnügungen mancher Art wurden geboten.
Zur Hetzjagd zogen der Kaiser und die Kaiserin mit den Herren und
Damen vom Hofe, Abendgesellschaften und andere festliche Veran-
staltungen am Hofe wie bei dem Kurfürsten von Bayern lösten ein-
ander ab, dazu traten auch musikalische Veranstaltungen. In fürst-
lichen Kreisen setzten sich die Vergnügungen fort. Auch das Spiel
im Ballhaus wurde geübt; gelegentlich auch im Glückstopf mit hohen
Einlagen, aber geringen Gewinnen das Glück versucht, oder aber
irgendeinem Abenteurer, wie dem Tausendkünstler Schilpke, Aufmerk-
samkeit geschenkt, der teils als Improvisator ungezählte Verse aus
dem Stegreif zum besten gab, teils sich zur Abwechslung als Zahn-
künstler produzierte und mit den Zähnen einen Mann vom Boden
emporhob. Große Pracht wurde am 9. Juli, dem Geburtstage des
Kaisers, entfaltet. Der Kaiser hielt öffentlich Tafel, Springbrunnen
sprudelten Wein. Festlich wurde auch der Geburtstag des Kaisersohnes
Ferdinand, der am 13. Juli 22 Jahre alt wurde, begangen. Immer-
hin vergaß man der ernsteren Aufgaben nicht, welche die Kirche in
ihren Ordnungen stellte. Der Kaiser mit der Kaiserin und allem, was
zum Hofe gehörte, versäumte' keinen Gottesdienst, keine Vesper. Er
sah es gern, wenn auch die evangelischen Fürsten sich ihm beim Kirch-
gang anschlossen.
Die religiöse Frage war sonst der wichtigste Grund, der diese
stattliche Gesellschaft in zwei große Parteien zerfallen ließ. Den
Widerstreit beider gegeneinander zu entfesseln, bot diese Versammlung
in ihrem letzten Zwecke reichlich Anlaß, aber politische Erwägungen
geboten Vorsicht. Dennoch unternahmen die Katholiken geflissent-
lich Bekehrungsversuche, die nicht immer standhaft zurückgewiesen
wurden. Abgesehen von diesem tiefer gegründeten Gegensatz gab
es noch Anlaß zu Verstimmungen hüben und drüben infolge poli-
tischer Strebungen und Maßregeln, ja auch das Erbübel solcher
Tagungen machte sich hier breit, Etikettefragen, Streit über Vorrang,
über Hutabnehmen, über Rechtsgehen und solche Dinge, in denen
damals Macht und Geltung symbolisiert war.
Was der Zweck der Tagung war, konnte dem Beobachter fast als
Nebensache erscheinen. Die Verhandlungen fanden nur in den Ge-
mächern des Kaisers statt, und nur mit den Kurfürsten und deren
Vertretern. Die übrige Welt erfuhr von dem Gange der Beratungen
und von dem Stande der Sachen nur durch Indiskretion der Beamten
oder aus gelegentlichen Äußerungen, in denen Kurfürsten und Ge-
sandte ihrer Freude oder ihrem Unmut Luft machten. Freilich
eine zuverlässige Quelle konnte auch dies, was so gelegentlich durch-
sickerte, wegen der subjektiven Färbung kaum bilden. In wohlmei-
nender Absicht sprach es gelegentlich einer der Teilnehmer geradezu
aus: man solle den umlaufenden Nachrichten und Gerüchten unter
keinen Umständen trauen. Wer Gelegenheit hatte, tagtäglich den
Kaiser zu sehen, fand in dessen Antlitz, ob es freundlich, ob es un-
freundlich blickte, wie an einem Barometer der kaiserlichen Gemüts-
stimmung, den untrüglichsten Beweis für die augenblickliche Lage
auf dem Kampfplatz des diplomatischen Streites.
Über alles das hat der Fürst Tag für Tag ausführliche Berichte
seinem Tagebuch eingereiht, so daß es mindestens für die wechselnden
Ereignisse und Stimmungen eine wichtige historische Quelle bildet.
Aus diesem Grunde dürften die folgenden Auszüge Beachtung ver-
dienen, in denen ich nicht nur das für die allgemeine Geschichte
Wichtige, sondern auch das auf Anhalt sich Beziehende niedergelegt
habe, weil man daran einen Einblick in die Art und Weise der Durch-
führung des Restitutionsedikts gewinnt.
* *
x
sa Sl
22. Juni] Regensburg. Nach Hof in Ih. Kais. Mayt. Anticamera,
im Bischofs hof, allda viel Cavaglieri beisammen gewesen, die ich
angesprochen, als Graf Bruno v. Mansfeld, die Grafen v. Meggau und
Trautmannsdorf, der Gr. v. Schwartzenburg, Hofmarschalk,
Gr. Kysel, Ob. Kammerherr, der Fürst Aldobrandini, der Herzog
von Guastalla, der junge Fürst von Eggenberg, der Ob. Monte-
cuculi, Ob. Piccolomini, Ob. Don Balth. de Marradas, Ob.
Tiefenbach zu Neuhäusel, der junge Gr. v. Altheim, der Bischof
von Regensburg, von Geschlecht einer v. Döhring!), ist ein
Fürst, der Reichsmarschall einer v. Pappenheim, der Chur-Sächs.
Gesandte einer v. Brandenstein, den Herrn Kinsky, den Grafen
Max von Wallenstein, den Marchese Ajazzo und noch viel an-
dere mehr, insonderheit auch den Abt von Kremsmünster, Hof-
kammerpräsidenten. — Mein Wirth hier zu Regensburg heißt ein
Sperrle?), ist Umgelder allhier. — Die drei geistl. Churfürsten
und der Churf. v. Bayern sind noch zur Zeit persönlich hier.
23. Juni] Heute bin ich nach Hof geritten, allda die drei geistl.
Churf. und ein weltl., als der v. Bayern, beim Kaiser gewesen, die
Proposition anzuhören. Darnach habe ich bei Ih. Kais. Maj. Au-
dienz gehabt, darinnen sie sich aller Gnade, Freundschaft und billig-
mäßiger Bezeugung gegen mich und meinen H. Vattern 3) erboten,
auf die Sachen mit den Räthen zu communiciren, im Reichshofrat zu
erledigen und nach Billigkeit zu befördern, sich offerirt, gar gnädigst
mich nach meiner Reise gefragt und aufzusetzen 4) zweimal mir offe-
rirt. Mais je ne Vai pas fait par respect. Der güldene 5) Schlüssel
ist mir auch wieder gegeben worden. Der Beleihung [mit dem Fürsten-
tum] halber waren Ih. Maj. auch gar willig.
Es haben mich die 4 Churfürsten beim Kaiser auch angesprochen
und mir die Hand geboten. So habe ich auch mit dem Bischofe von
Osnabrück Bekanntschaft gemacht; er ist ein Graf von Wartenberg
aus Bayern €} Er entschuldigt sich gar hoch wegen Einziehung
Nienburgs, davon er nichts gewußt, legt auch die Schuld auf den
Herrn v. Metternich, mit welchem er gleichfalls daraus geredet,
wiewobl sich ein jeder excusiren will. Der Bischof aber sagt aus-
drücklich, er hätte an H. Vater sel.) und an mich geschrieben,
ı) Albrecht IV. Graf von Törring, 1613—1649.
3) Paul Sperl. 3) Die übrigen drei anhaltischen Fürsten.
4) Den Hut! 5) Kammerherren-,
6) Franz Wilhelm Graf von Wartenberg 1625—1634.
7) Fürst Christian],
ee
dieweil er nicht eigentlich wüßte, wer unter uns die Regierung gehabt)
und uns gewarnt, es möchten uns die geistl. Güter eingezogen werden,
wir sollten unsre Jura dagegen einbringen, wo wir welche hätten.
Mais nous n'avons pas reçu les lettres. |
Mit Graf Hans Ludwig von Nassau bin ich auch aufs neue
wieder bekannt geworden und mit andern Cavalieren mehr.
Bei der Kaiserin habe ich Audienz durch den v. Dietrich-
stein begehrt; werde sie ühermorgen, ein Viertel vor 10 Uhr er-
langen, dieweil heute die Kaiserin ins Bad geht; morgen wird sie mit
dem Kais. hinaus aufs Jagen etc.
Der v. Zollern, welcher beim Churf. von Bayern ist, ist auch
zum Fürsten gemacht worden. NB. Les princes seculiers marchent de-
vant L’ Emp. et les Ecclesiastiques après; L Emp. les accompagne jusqu’
aux degrés devant toutes les antichambres.
Ich habe gegen Abend zum Fürsten v. Eggenberg den
v. Wietersheim geschickt und um Nennung einer Stunde gebeten.
Er hat sehr höflich antworten, zu einer Visite sich offeriren, da er
nicht krank wäre, und mir morgen Vormittag 10 Uhr, da mir es also
beliebig, nennen lassen.
Jai parlé aussi ce matin à Mr de Questenberg, touchant ses
promesses, mais il a dit, que le General!) avait ses quintes et qw'il le
fallait laisser faire.
Il conte di Montauto s'è lasciato oggi vedere nel anticamera e
m'ha riguardato da lontano senga salutare; io ho fatlo il medesimo, non
so, se la cosa andera ancora più inanzi. — —
24. Juni] Heute bin ich zu Hof und hernach beim Fürsten
v. Eggenberg gewesen, welchem ich die Sachen, so ich Ih. Kays.
Maj. übergeben, höchlich recommandiret et puoi la mia cosa propria
et puoi il Wietersheim. I. Lbd. waren sehr höflich, bedankten
sich der zuentbotenen freundl. Grüße und offerirten sich zu aller Will-
fahrung nach Billigkeit und Möglichkeit. Quant à mes affaires pro-
pres il me conseilla, den dresser un Memorial a Sa. Maj. et la prier
de me contenter dailleurs, puisque le General ne lavait pu faire. Wegen
Wietersheim sagten Ih. Lbd., dieweil er mir wirklich diente und seinen
pardon weg hätte, wenn ich wohl mit ihm zufrieden wäre, wollten sie
ihn um meinetwillen guts erzeigen und alle Beförderung thun. Dis-
curirten auch sonst ganz familiariter mit mir wegen der Gernrodischen,
Nienburgischen, Ascanischen und Sanderslebenschen, auch meiner
ı) Wallenstein.
s pE a
Lehnssache, sollten dieselbigen im Reichshofrath od. Reichscanzlei
erledigt und durch den Vicecanzler, den Herrn v. Strahlendorf
befördert werden, inmaßen ich gestern beim Herrn Grafen v. Fürsten-
berg, Reichshofrathspräsidenten, auch gehabt den Secretarium Paulum,
welcher sich erboten zu aller höflicher Willfahrung. — Zu Mittag sind
der hessische Agent Breithaupt und Hauptmann Holtzinger,
der der (!) Religion ist, meine Gäste gewesen.
Man sagt, die gestrige in Ih. Kays. Maj. Zimmer geschehene
Proposition den 4 Churfürsten und dem Brandenb. Abgesandten Gözen
beruhe auf 4 Hauptpunkten ohne die Incidentia, als ı. wie die bis-
hero verliehene Religionsconcession !) zu erläutern und zu restringiren,
damit diejenigen, so nicht katholisch, solche nicht etwa mißbrauchten,
unrecht verstünden, oder etwa zu weit extendirten. 2. Wie Ih. Maj.
den Reichsfeinden mit Macht zu begegnen und was für media vor-
handen, solchem Unheil vorzubauen? 3. Dieweil Ih. Kais. Maj. nun-
mehr ziemlich zu Jahren gekommen und der Last der Regierung der-
halben sehr schwer fiele, ob man nicht Ihr. Maj. einen Successorem
wollte an die Seite setzen, der Ihr. Maj. die schwere Bürde tragen
helfe und ob die Hn. Churfürsten König Ferdinand III. zum Röm.
König zu wählen nicht Beliebung tragen möchten. 4. Wie man die
Execution des Kays. Edicts im ganzen Röm. Reich zu Werk zu
richten. Etliche sprachen auch, des Friderici Sachen würden auch
vorgenommen werden, dafern er sich submittiren wollte und Ihr. Kays.
Maj. Erkenntniß alles anheim stellen.
Le pr. € Eggenberg me disait aussi que Sa Maj. Ecrirait une
lettre (ein Handbrieflein) à mon frère Ernest, le remerciant de s'être
st bien comporte et signalé contre les Venitiens.
Schreiben von Haus ..., daß die Papisten immer weiter um sich
griffen, auch nach Ballenstedt, Plötzkau und Kölbigk trachteten, sich
auch ohne Scheu verlauten ließen, der Passausche Vertrag ginge uns
nichts an, wir seien darin nicht begriffen.
Ich habe gegen Abend in der Donau gebadet bei unseres Haus-
herrn, des Sperle, Lustgarten außer der Stadt.
25. Juni] Ihre Maj. mit der Kaiserin hinaus aufs Jagen. — Ge-
neral Tilly ist angekommen. — Ich habe Fürstenauern bei mir
gehabt und den Canzler Dr. Müller, it. den alten D. Agricolam. Sie
haben mit mir Mahlzeit gchalten. — Gegen Abend ist der Bischof
von Osnabrück zu mir in mein Losament kommen und hat mich be-
1) Der Passauer Vertrag.
Far aan ae EEE
= 67. 2
sucht, nachdem er ein paar Stunden zuvor einen vom Adel zu mir
geschickt und fragen lassen, ob mir’s gelegen wäre. Er hat sich gar
höflich gegen mich erboten, unter anderm auch mich ein Schreiben
sehen lassen, welches er an mich und meinen Hn. Vater sel. abgehen
lassen und uns erinnert, wir möchten innerhalb 3 Wochen unsere Noth-
durft einbringen gegen die Mönche und Bischof von Verden, die uns
anklagten und dem Orden das Kloster zuerkennten, wollten auch be-
weisen, daß að 1582 ein Abt (von Geschlecht ein Graf von Mander-
scheid) wäre allda Abt und Dompropst zu Cöln gewesen. Nun
dieses Schreiben mußte der Abt von Verden und die Mönche nebst
den Beilagen und produzierten Dokumente der Mönche hinterhalten
haben und uns nicht präsentiert, wäre auch von seiner, des Bischofs,
Commission resilirt und hätten ihm den Schimpf angethan, daß sie
sich an Hemmerle, den er nicht kenne, und an Ob. Becker, den
er kaum in transitu gesehen, als richtige subdelegirte Commissarien
gehängt und von seinen Commiss. resilirt warnen: er wolle dem Abt
einen guten Filz dafür geben, denn sie hätten deswegen keine Com-
mission vom Kaiser. Er, der Bischof, und Herr Sien wären Kays.
Commissarien zwischen: der Elbe und Weser, in selbigem ganzen
tractu, die Justitiam des Religionsfrieden und die Reichsconstitutiones
zu befördern. Wollte mir gern dienen, worin er nur Occasion wüßte.
Er hörte, es wäre ein gut Kloster, hätte wohl 7 a 8000 Thlr jährlich
Einkünfte. Ich verneinte es nicht. Der Herzog von Braunschweig
hätte sich sonst der Kais. Commission (als Loccum wäre eingezogen
worden) gar nicht widersetzt, nur allein sich darüber beschwert, daß
die Mönche de facto selbst wären zugefahren und hätten die Klöster
eingezogen, als wären sie über sich selbst judices und zugleich Par-
theien mit sein könnten, welches er, der Bischof, selbst nicht appro-
biren könnte. Il s’offrait fort à mes services, et je m’offrais de le re-
visiter. Mit Gernrode hätte es viel eine andere Beschaffenheit, und
wir hätten kein Recht dazu. Wie ich aber unsere Jura replizirte, da
sagte er, die könnten wir alle behalten, wenn nur .das Capitel ersetzt
würde. Er wollte auch selber dazu helfen, das wir alles wieder be-
kämen, wenn wir nur unser Recht beweisen könnten.
26. Juni] Wir haben ein paar Tage und Nächte her viel Klopfen
hören. — Das weiße Mensch im Hemde, so ich diese Nacht um ı Uhr
an der Wand gesehen.
An!) heute dato hat der Hn. Sperl zu Regensburg Meinem gnäd.
1) Der in kleinem Druck wiedergegebene Abschnitt ist von einer anderen Hand
geschrieben.
= 68. a
Fursten und Herrn unterth. überreichen lassen eine Abschrift derer Punkte,
so auf ietzigem Collegial-Tage, den 3. Juli Ao 1630 von der Röm. Kays. auch
zu Ungarn und Böheim Kgl. Maj. proponirt und tractirt werden sollen. Also:
ı. Das Kays. im Reich publizirte Edict von Restitution der geistl.
Güter Collegiali imperiali decreto zu confirmiren und per modum certum zur
Execution zu bringen.
2. Das Decretum Ferd. I. von der Religionsfreiheit, den mittelbaren
Ständen ertheilt, collegiali Imperiali decreto wieder zu cassiren.
3. Ferdinandum Ernestum, König in Ungarn und Böhmen, zum
Röm. König zu eligiren.
4. Collegiali Imperiali decreto zu beschließen, wie und welchergestalt
perpetuus miles im Reich zu unterhalten und bei den Reichsständen und
Städten sein ungehindert Quartier haben könne und möchte, selbigen zur
Execution aller Reichscammer Urthel, Item wider den Einfall der Turken
und aller anständigen Feinde zum Nothfall zu gebrauchen.
Ich bin heute nach Hof geritten und habe bei der Kaiserin Au-
dienz gehabt, welche mich denn gar gnädig gehört, sich zu aller
meiner Willfahrung in meinen petitis anerboten und gar familiariter
mit mir conversirt, auch condolirt, wegen Absterben meines Hn.
Vaters sel.
Pfalzgraf Ludwigs Secretär Paraeus ist mit dem Brandenb.
Agenten zu mir gekommen. Il dü, que le roi de Suede est entré avec
dix Regts en Prusse.
Gegen Abend um 6 Uhr habe ich beim König Ferdin. Ill. zu
Ungarn und Böhmen Audienz gehabt. Ih. Kgl. Würde erklärte
sich gar gnädig, offerirte sich für mich und meine Vettern beim
Kaiser zu intercediren, damit die Sachen, so zur Conservirung unseres
Landes und fürstl. Standes gereichten, möchten befördert werden und
condolirten mit mir über Hn. Vater selig. Redeten auch familiariter
mit mir von meiner Reise und jetziger übergewöhnlichen Hitze, auch
hiesigen Losamentern dieser Stadt. Die Kaiserin sagte auch, es wäre
die 8 Jahre über, weil sie in Deutschland sich aufhielte, keine solche
Hitze gewesen, die da also inständig continuirt hätte, wiewohl sie in
Italien größer, aber nicht so langwierig wäre.
Ich habe heute Sauerbrunnen getrunken, den man hier sehr gut
bekommen kann; ein großer Krug von etwa 3 Maß kostet ungefähr
ı f. — — —
27. Juni] Ich habe heute in unserm Hause die Betstunden an-
gestellt und morgens angefangen ein Kapitel vorlesen zu lassen aus
der Bibel und vor und nach dems. Lection gebetet im Eßsaal durch
Paulum, Secret.
Vormittags bin ich mit meinem Bruder F. Friedrich nach Hof ge-
ritten und habe ihn zum ersten Mal in die Anticamera introduzirt und
bekannt gemacht. — NB. Dieweil ich auch den florentinischen Ab-
gesandten in der Anticamera gesehen, als habe ich erstl. den Reichs-
marschall, dann den Kays. Hofmarschall, endl. den Oberkammerherrn
Kysel (wiewohl ich auch an den Oberhofmeister, Gr. v. Meggau,
verwiesen worden bin) gefragt, dieweil ich nunmehr regierender Herr
wäre und meiner Vettern Stelle zugleich mit repräsentirte, ob es Ih.
Kays. Maj. nicht gefallen möchte, daß ich dem florent. Abgesandten
vorginge; denn bei der Kays. Tafel zu zanken um die Präcedenz,
werde mir übel anstehen; so wollte ich auch nicht gern andern Fürsten
einiges Präjudiz entziehen oder von ihnen eines Vorwurfs gewärtig
sein. Es würde auch dem Kaiser rühmlicher sein, wenn seine Reichs-
fürsten andern ausländ. Fürsten vorgezogen würden, als wenn sie
ihnen sollten nachgehen. Jedoch wollte ich hierin Kays. Befehls er-
' warten und sonst für meine Person Ihr. Maj. nach dero Commando
mich gern unter die Füße legen und nach Möglichkeit mit aller Sub-
mission mich demüthigen. |
Auf den Abend um 3 Uhr vor der Vesper werde ich Bescheid
bekommen und um 4 Uhr soll mein Bruder Fritz Audienz haben.
Der Oberkammerherr hat mir noch keinen vollkommenen Be-
scheid können bringen, als ich um 3 Uhr mit meinem Bruder zu Hofe
geritten und den Kaiser, Kaiserin, den König und die Kais. Frauen
zur Vesper begleitet, welche in der Domkirche ist gehalten worden.
Der Kaiser hat meinem Bruder gar gnädig Audienz gegeben und,
als Ih. Maj. zur Vesper gingen, zu mir gesagt, mein Bruder sähe mir
ähnlicher als Bruder Ernst, man sähe es wohl, daß es mein Bruder
wäre etc. Ich und mein Bruder sind vor dem König hergegangen
und haben im Rückwege die Hüte aufgesetzt, dazu wir freundlich
invitirt wurden vom Könige, welcher vorm Kaiser herging und auf
der rechten Seite Don Balthasar de Marradas, Hatschirer Hauptmann,
auf der linken Seite Gr. Philipp von Solms, Trabanten-Hauptmann.
In der Anticamera haben wir gesehen den Duca Doria, extraord.
Span. Abgesandten, welcher eigentlich dem Königl. Beilager beiwohnen
soll; hält sich stattlich und sind ihm neulich noch 70000 Kronen
durch Wechsel übermacht worden, welche er hier spendiren soll, seines
Königs Reputation zu erhalten.
Herr Sien, der Nebenkommiss. des Bischofs von Osnabrück
in der Reformationssache, hat mich auch angesprochen und sich zum
Höchsten entschuldigt wegen der ihm anbefohlenen Commission, sich
auch gewaltig zu meinen Diensten entschuldigt.
==, 70: es
Gegen Abend habe ich zum Bischof von Osnabrück einen vom
Adel geschickt; er ist aber nicht einheimisch gewesen, sonst hätte ich
ihn besucht.
Mit Gr. Hans Ludwig von Nassau habe ich allerlei conversirt
wie auch mit dem von Isenburg.
NB. Ich habe den Conte di Montauto angesprochen wegen
des Briefs, so ich an ihn geschrieben, da hat er sich zum Höchsten
entschuldigt, daß er ihn nicht bekommen. Sonst wollte er mir wieder
aufzuwarten nicht manquirt haben.
28 Juni] Mit dem Agenten Löben, so nunmehr ankommen,
conversirt von unsern Negocis.
Der Bischof von Osnabrück kann wegen des Raths erst morgen
mich erwarten. — Heute sind die Churfürsten zu Rath gegangen. —
Als wir heute Morgen in der Anticamera aufgewartet, hat mir der
Oberhofmeister Gr. v. Meggau angedeutet, Ihr. Kays. Maj. wollten
wegen der Präcedenz es noch zur Zeit n suspenso lassen, erst mit
den Churfürsten darauf communiciren. Man könnte unterdessen durch
einander gehen und stehen, wie es bisher gebräuchlich gewesen,
sonderlich was junge Herrn und nicht regierende seien, — und ich
könnte es auch meinem jungen Bruder sagen bevorab wegen des
Hutaufsetzens, — daß er nicht aufsetzen sollte, sondern ich allein,
. wenn mir der Kaiser winken thäte. Wegen des florentinischen Ge-
sandten, so könnte ich meine Stelle zwar nehmen, aber um Vermei-
dung von allerlei Unordnungen willen, könnte ich auf die andere Seit
treten neben die Kaiserin oder den Kaiser. In der Kirche, da könnte
ich mich auf die Fürstenbank setzen, denn Ihre Maytt. sähen es gar
gern, daß ich nur oft zu der Vesper und der Messe käme und etwas
davon hielte.
Es hat mich der von Gleißenthal, mein alter Bekannter, nun-
mehr Hiltpoldsteinscher Hofmeister, besucht, mir aufgewartet am Kays.
Hofe und mit mir Mahlzeit gehalten.
Mit dem Hofkammerpräs. Hn. Franz Bräuner habe ich auch
geredet. Der sagt, anitzo hätte man wenig Mittel allhier bei diesem
kostbaren Stilllager, mir zu gratificiren oder zu helfen. Man müßte
nur darauf denken. Er offerirte sich zu aller Willfahrung. Ingl. habe
ich in der Reichshofrathssache mit Hn. Grafen v. Fürstenberg mich
unterredet, der erbot sich auch zu aller ersprießl. mögl. Assistenz.
Nachmittags gegen 4 Uhr habe ich mit Bruder Fritz und unsern
Junkern im kalten Wasser der Donau gebadet.
Ich habe Hn. Peltinger, Obristen Hofmeister der Kais. Frauen
u u, ee
oder Prinzessin angesprochen, mir eine Complimentaudienz bei ihnen
zuwege zu bringen. So ist mir von ihm zur Antwort worden, die
Kaiserin wollte es nicht mehr haben, daß sie sollten Audienz geben,
die weil sie keine selbstständigen Frauen wären, bis sie Männer kriegten,
ob es schon vor diesem geschehen wäre; jedoch wollte er sich er-
kundigen und mir Bescheid wieder sagen. —
Heute ist meine Sache im Reichshofrath deliberirt und ad re-
ferendum gegeben worden.
29. Juni] An die Hn. Vettern ein Handschreiben abgehen
lassen wegen der Executionssache und wegen des Bischofs von Os-
nabrück. — — —
NB. Gestern sagte mir auch Gr. Meggau, ich hätte nunmehr an-
sehnliche Lande und Leute, würde mich nunmehr nicht leichtlich in
Bestallung einlassen oder derselben bedürfen, sondern zu Haus bleiben,
und Ih. Kais. Mayt. könnten nunmehr schwerlich zu Geld gelangen.
C’est à dire: Vous n’aureg rien de vôtre pension. Je le trouve un peu
contraire en mon endroit et faux. —
‚Heute zu Mittag haben Ihre Kays. May. mit der Kaiserin, dem
König und den 3 geistl. Churfürsten, wie auch mit dem Churf. v.
Bayern und dessen Gem. und den Kays. Frauen öffentlich Tafel ge-
halten in der Ritterstuben, auch eine stattliche Musica dabei gehabt,
stattlich Schauessen mit Springbrunnen, Herrliche Aufwartung, und
ist alles Kaiserlich -bestellt gewesen. Ihre Maj. haben wegen großer
Hitze nicht aufgesetzt. —
Hptm. Knoche hat mir seine Relation gethan. Heute ist des
Kaisers Geburtstag, daran S. Maj. 53 Jahr alt werden.
Nachmittags um 5 Uhr bin ich zu dem Bischof von Osnabrück
in sein Losament mit meinem Bruder gefahren, da er sich denn sehr
höflich erzeiget. Die Einziehung der geistl. Güter, so nach dem Passau-
schen Vertrag eingenommen worden wären, betr., als auch der Burs-
feldischen Benedictiner Mönche Petitum an den Kaiser, ihnen solche
Klöster, als Ilsenburg in der Grafschaft Stolberg, Münchennienburg
im Fürst. Anhalt, und eines zu Lüneburg einzuräumen, da sie nach
dem Passauer Vertrag wären eingezogen, und sie es nicht vermöchten,
den Difficultäten, so da movirt und eingeschoben würden, abzuhelfen
möchten, wo sie nicht einen solchen ‚Schutz und Hohen Advokaten,
wie Ihro Kais. Mayt. wären, hätten. —
Er sagte auch, es wären heute noch zwei Mönche bei ihm ge-
wesen, welche die Einräumung des Klosters Mönchennienburg begehrt
hätten. Er hätte ihnen geantwortet, sie könnten wohl ein paar Mo-
u. g
nate warten, bis man uns recht gehört hätte, damit man in modo
procedendi nicht verstieße und die justiciam nicht removirte. Wegen
Gernrode, da hielte er dafür, es könnte die Separation ihrer jurium
von den Stiftssachen gar wohl vorgenommen werden. — Der Agent
Löben ist abends mein Gast gewesen.
30. Juni] Heute habe ich Wietersheim zu dem Churf. von
Mainz geschickt und ihn besuchen wollen, so ist er im Rath ge-
wesen. — —
J'ai fait presenter par F. B.? 1!) un pocal environ pres de 40 Dal.
au Conte de Meggau. — — —
Brandt, einer vom Adel, und Schilpke sind unsere Gäste zu
Mittag gewesen. Schilpke ist so ein Stocknarr, bei großen Herrn
wohl daran, kann gewaltig er tempore auf alle Sachen wohl reimen
und ist sehr ingenios mit Einfällen, weiß daneben auch wohl, was er
thun soll und offendirt Niemand. Er hat solche Stärke in Zähnen,
daß er damit 2 meiner Pagen in ziemlicher Größe aufheben können,
auch den größten Kerl, er sei so stark und so schwer, als er wolle.
I. Julil Wegen Müdigkeit meiner Kutschpferde bin ich nicht
mit dem Kaiser aufs Jagen hinausgegangen. Mein Bruder F. Friedrich
ist aber mit hinausgeritten. — — — Bruder Fritz ist mit dem Kaiser
von der Jagd bei Schireding zurückgekommen. Man hat 2 Hirsche,
ı Wolf, ı Fuchs, ı Fasan, ı Schweinchen gefangen. —
2. Juli] Herr Heinr. Wilh. v. Starhemb[erg], ein alter Be-
kannter von 1608 her, und sein Bruder, den ich 1617 in Genf ge-
sehen, — ersterer katholisch worden aus einem Lutherischen, anderer
reformirt, nebst Löben mit mir gegessen. — Nach Hofe gefahren. —
Le Conte de Fürstenberg ma regardé à travers aujourd’hui à
Vantichambre comme je pensais lui parler; devant que je commençais
il me dit, qwil savat bien ce que je lui voulais et que cela était déjà
en autres mains, quil ne lut en fallait parler; que tout était entre les
mains du referendaire, duquel il me voulait dire le nom, m'assurant,
que ce n'estait pas la coütume de dire de telles choses, mais je sais bien
que cest D. Melander. — — Jai vu et salué aussi à lantichambre
le Général Tilly.
3. Juli] ... On dit, que Emp. a déjà donné cette ville de
Ratisbonne à VElect. de Bavière et celui fait acheter toutes les vivres
en façon de monopole, pour avoir le gain de.ce, que se vend à Ratis-
bonne et il semble, que cette ville ne soit pas grande amie du dis
Elect. — —
1) Franz Bräuner?
Heute ist des Königs Ferd. II. Geburtstag, daran I. Kgl.
Würden 22 Jahr alt werden. Sie haben beide Churf. von Cöln und
v. Bayern heute zu Gaste gehabt...
Gegen Abend, um 4 Uhr, bin ich nebst Bruder Fritz zum Churf.
v. Mainz gefahren, welcher von Geschlecht ein Wambold ist. Er
hat mich unten in seinem Hause empfangen, die Oberstelle gegeben
und wieder hinunter begleitet bis an die Kutsche, sehr freundlich bei
8/4 Stunden hindurch mit mir conversirt, da wir nicht allein gesessen,
sondern auch alle drei die Hüte aufgesetzt. Meinem Bruder hat er
die oberste Stelle auch angeboten, er hat dieselbe aber nicht an-
genommen. Es ist ein verständiger feiner Herr von sehr gutem Ver-
stande und schönen Qualitäten. Ist wohl bewandert und in fremden
Landen gewesen; es wird im August ein Jahr werden, daß er Chur-
fürst geworden ist. Er, wünscht gar sehr den Frieden in Deutsch-
land, sagt, daß ıı Rgtt. in seinem Erzstift lägen und alle die andern
Churfürsten wie er des Krieges überdrüssig seien. — — — Er sagte
von Neuem, Schweden sollte mit 20000 Mann ausgesetzt haben, es
würde ihm aber mit 40000 M. begegnet werden. — — Wegen des
Königs Beilager meinte er, es würde innerhalb 6 oder 5 Wochen
geschehen. Er wollte, daß der Collegialtag ein Ende hätte. — — —
Es wäre ein altes deutsches Sprichwort: Die Kriege, so in Deutsch-
land sich anfıngen, pflegten in Italien sich zu enden, das könnte wieder
so kommen. |
4. Juli] D. Rosa hat mir andere vier Propositionspunkte
gesagt:
1. Wie eine sincera solidaque conjunctio omnium statuum Imperis
contra hostes pacisque publicae turbatores oder ein beständiger Friede
und Ruhe im Reich zu stiften und aufzurichten.
2. Wegen des exulirenden Hn. Pfalzgrafen, weil ders. nach
dem voto und consilio der Hn. Churfürsten, auf dem Mühlhauser Con-
vent gegeben, welches nämlich dahin gegangen, daß er sich gegen
Ih. Maj. kumtiliiren, submitiren und depreciren, allen Prätensionen
an dem Königreich Böhmen und dems. incorporirten Ländern, wie
nicht weniger der Churf. Dignität und Landen renunciren, ferner ver-
sicherung thun, daß er von allen schädlichen Consiliis und machi-
nationibus abstehen wollte, sich nicht accomodirt, sondern die Hol-
länder und andere mehr Reichsfeinde anzureizen beharre, daher denn
neue Gefahr und Unruhe entstanden, nun nicht mehr iure meritissimo
der Hn. Pfalzgraf von aller Hoffnung der Reconciliation und Gnade
gänzlich auszuschließen.
6
Ss A
3. Wenn die Holländer das Reich ferner molestirten und Hn.
Pfalzgrafen in die Unterpfalz einzusetzen sentirten, wie denselbigen zu
begegnen, sowohl dasjenige, das sie dem Reich entzogen und ab-
genommen, restituirt werden und wie man eine Macht von Kriegsvolk
gegen sie erhalten möge. 7
4. Dieweil Ihr. Kays. Mayt. mit dem König in Schweden
nichts Streitiges hätten außer wegen Stralsund, daher der König
eine Armada wider das Reich führte, als hätten I. Maj. aus freiwillig
dargebotener Interposition des Königs in Dänemark ihren Gesandten
nach Danzig gesandt, durch freundliche Tractaten den Mißverstand
hinzulegen; da nun wider Verhoffen nichts Fruchtbarliches verrichtet
werden und der König in Schweden sein intent feindlich fortsetzen
sollte und fernere motus im Reich anrichtete, wie demselbigen mit
Macht zu begegnen und zu widerstehen etc.
Heute zu Mittage habe ich Kais. Mayt. und der Kaiserin, auch
dem König bei der Tafel in der Anticamera aufgewartet und dieselbe
essen sehen, bis der Kaiser zum dritten Male getrunken. Ich hatte
mich einer starken Competens befahren, dieweil der florentinische Ab-
gesandte droben war und daß I. Maj. (des Gr. v. Meggau Vorgeben
nach) die Sache noch nicht sollten decidiret haben. Nun wollte ich
vor der Mahlzeit nicht weggehen, damit es nicht das Ansehen ge-
winne, als müßte ich dem Florentiner weichen. Es wurde mir auch
stark widerrathen. Sollte ich bleiben bei unerörterter Sache, mußte
ich eines Präcedenzstreits gewärtig sein und wollte mir gleichwohl auch
nichts Präjudicirlichs zuziehen lassen, damit ich auch bei andern
Fürsten deswegen keinen Vorwurf hätte. Resolvirte mich derowegen,
bei der Kays. Tafel die Oberstelle zu behalten und mich nicht ver-
drängen zu lassen, es möchte auch daraus werden, was es wollte
Sobald nun, als der Kaiser in die Anticamera kam, ersah ich meinen
Vorteil und trat neben des Kaisers Sessel, daß mir Niemand wider
meinen Willen dürfte vortreten, ohne die Mundschenken und wirkliche
Kammerherrn, denen ich so viel Platz ließ. Der Florentiner aber
trat in die Mitte des Gemachs, hinter den Vorschneider, damit er ja
nicht mir zunahe käme, wie er meine endliche Resolution vermerket,
daß ich mich kurzum nicht hätte wollen verdrängen lassen, welches
er von Ändern mochte erfahren haben. Der Kaiser, nachdem er mit
dem König seinen Hut aufgesetzt, hieß mich am ersten zwei mal
meinen Hut aufsetzen, ich thats, sowohl für mich als ein ohne das
regierender Herr, und dann auch als der meiner Hn. Metter Stelle
allerseits vertrat.
=... MB. e
Eine Weile hernach ließ der Kaiser, durch Erinnerung der
Kaiserin, den florent. Abgesandten gleichfalls seinen Hut aufsetzen,
und wie der Kaiser das erste Mal getrunken hatte, wollten wir (wie
bräuchlich) hinweggehen. Der Florentiner besann sich aber und
meinte, ich sollte erstlich abtreten, inmaßen ich aus seinen Augen
und Geberden wohl vermerken konnte. Damit es nun nicht das An-
sehen hätte, als hätte ich ihm abermals weichen müssen, blieb ich
standhaftig da, bis Ihr. May. zum dritten Male getrunken hatten. Er
ging aber weg kurz zuvor, ehe Ih. Maj. zum andern Male getrunken
hatten, machte auch sehr viele Reverenzen vor Allen und uns auch.
Ih. Kay. Maj. waren gar gnädig gegen mich, sprachen mir auch aller-
gnädigst zu wegen meines Losamentes, danach sie mich befragten
etc. und hießen mich zu unterschiedlichen Malen den Hut aufsetzen.
Da ich aber meine und meines Hauses Reputation erhalten hatte,
setzte ich aus Höflichkeit, die weil ich Ih. Maj. so nahe war, nicht
mehr auf, bevorab wie der Florentiner weg war. — — |
Auf den Abend um 6 Uhr hat mir der Rath zu Regensburg
condolirt, gratulirt und mich beschenkt mit Wein, stattlichen Fischen
und einem Wagen mit Hafer. Unter den Fischen war ein köstlicher
großer Karpfen, als ich bald einen (!) gesehen, von 18 Regensb. &.
Ich habe den Stadtkämmerer mit noch 3 des Raths abends zu Gaste
gehabt.
5. Juli] Der Reichsmarschall, Gr. zu Pappenheim, hat mich
zu Gaste eingeladen. Ich habe ihm aber zu entboten, daß ich in
dieser tiefen Trauer nicht zu Gaste ginge oder kein Gastgebot hielte.
Seine Gemahlin aber, eine geb. v. Leiningen, welch bei meiner
Großfraumutter von Darmstadt sich hat pflegen aufzuhalten, wollte ich
besuchen. Darüber habe ich allda essen müssen und bin stattlich
tractirt worden. Er hatte auch eine Tochter bei sich, gar ein schönes
Fräulein. Sein Sohn war auch bei ihm, gar ein feiner Herr. — Mein
Bruder Fritz hat diesen Abend Audienz beim König gehabt. —
Zu Mittage habe ich abermals Ih. Kais. Maj. bis zum ersten
Trunke in dessen Anticamera aufgewartet, da sie mich dann zweimal
haben aufsetzen heißen. —
Ich habe heute vermeint meine Expedition zu erlangen, sed
frustra. —
On dit, que VArchiduc Léopold prétend la couronne de Roi des
Romains et s'abandonne sur Vassistance du Duc de Friedland contre
Emp. et son fils, le Roi d Hongrie et de Bohème.
6. Juli] — — —
6*
Zi Go
7. Juli] Gestern haben die Churf. ihr Bedenken auf die be-
schehene Proposition Kays. Maj. übergeben, sed contenta adhuc igno-
raniur. —
Heute haben wir abermals Sr. Kays. Maj.. in der Anticamera auf-
gewartet und bei der Tafel, dabei auch der König und auch die
Kaiserin gewesen.
Wir haben meinen Schwager Graf Hans Ludwig v. Nassau,
der päpstisch worden, in meinem Losament. mittags zu Gaste ge-
habt. — — —
Der Kaiser ist hinaus schießen gefahren, etliche 20 Kutschen
stark. Weil ich aber dessen zu spät avisirt worden, bin ich nicht
mitgefahren. —
8. u. 9. Juli] Ausflug des Fürsten nach Hiltpoltstein.
10. Juli] Rückkehr nach Regensburg. — — — Schreiben von
Churbrandenb. en fort bons termes an uns, an Chur-Sachsen. It. von
Chur-Sachs. an uns plus froidement, alles in der Geistl. Güter
Sache. — — —
Churmainz hat heute hergeschickt, hat mich besuchen wollen,
mais jetais absent. — Unsere Expedition protrahirt sich immer noch.
Heute hat der Kaiser Chur-Mainz und Chur-Trier bei der Kaiserin
zu Gaste gehabt, Chur-Cöln und Chur-Bayern aber nicht, obschon
Churbayern noch kurz vor der Mahlzeit beim Kaiser gewesen, hat
sich aber hernachmals absentirt. On dit, que Sa Maj. est très occupée
maintenant et quelle regarde de mauvais oeil les Electeurs de Cologne
et de Baviere; je ne sais, ce qui en est. (Fortsetzung folgt.)
Bibliographie
zur Gesehiehte der Deutsehordens-Balleien
Von `
Rudolf Wolf (Halle a. d. S.)
Die neuere Literatur zur Geschichte des Deutschen Ordens im
allgemeinen wie zur Geschichte der einzelnen Balleien im besonderen
ist ebenso reichhaltig wie zersplittert. Jeder, der sich mit der Ge-
schichte der Deutschordens-Balleien beschäftigt hat, wird erkannt ha-
ben, ein wie dringendes Bedürfnis eine systematische Gesamtübersicht
über die vorhandenen Einzelbearbeitungen und Monographien zur
Deutschordens-Geschichte ist. Wohl haben sich neuerdings einzelne
= T] a
Darsteller bemüht, wenigstens die für ihr Spezialgebiet in Frage kom-
mende Literatur zu sammeln !), jedoch eine notwendige, die einzelnen
Arbeiten zusammenfassende Übersicht fehlte bisher.
Diesen Mangel will die vorliegende Bibliographie auszugleichen
versuchen, indem sie einen Überblick über die im großen und ganzen
seit Joh. Voigts grundlegendem, in vielen Punkten allerdings jetzt
durch die Einzelforschung überholten Werke 2) erschienene Literatur
zur Geschichte der Deutschordens-Balleien zu geben sich bemüht.
Natürlich konnte bei einer so umgrenzten Aufgabe auf die all-
gemeinen Werke über den Deutschen Orden, auf Quellen sowohl wie
Darstellungen (z. B. Hennes, Strehike, Voigt, v. Pettenegg, Perlbach,
Ziesemer, Prutz, Lohmeyer, Oehler, usw.), nur ganz ausnahmsweise ver-
wiesen werden 8), und diese sind bei der Darstellung der Geschichte
einer einzelnen Ballei oder Kommende immer 'mit heranzuziehen.
Ebenso mußte die fast unübersehbare Zahl der in den letzten
Jahrzehnten erschienenen Arbeiten zur Geschichte des eigentlichen
Ordenslandes Preußen und seiner Nachbarländer (Livland, Estland,
Kurland, Samland, Polen, Litauen, Rußland, Pommern, England und
die Hanse) t), soweit sie nicht in unmittelbarer Beziehung zu den
ı) Es verdienen in dieser Beziehung hervorgehoben zu werden die Arbeiten von
Reimer, Holthaus, Fischer, Schreiber (s. unten); auch E. Heydenreich: Hand-
buch der praktischen Genealogie I (Leipzig 1913), S. 109 ff.
2) Joh. Voigt: Geschichte des DRO in seinen zwölf Balleien in Deutschland
(2 Bde. Berlin 1857—1859).
3) Noch viel weniger konnte auf die allgemeine Literatur des Ordenswesens über-
haupt, die in mancher Beziehung auch den DO berührt, eingegangen werden; das Haupt-
sächlichste hierzu findet man zusammengestellt bei A. Werminghoff: Verfassungs-
geschichte der deutschen Kirche im MA. in Meisters Grundriß f. GWiss. I, 6? (Leipzig
u. Berlin 1913), S. 168 ff. Über die laufende Literatur für Ordenswesen s. Bibliographie
in ZKirchenG,.
Zur ersten Orientierung und zur allgemeinen Charakteristik des DO sind zu vergleichen
die Stellen im Kirchenlexikon von Wetzer und Welte (ed. Hergenröther) IIL’, S. 1591 ff.
(B. Dudik); Realencyklopädie für protestantische Theol. und Kirche IV®, S. 589 ff.
(Uhlhorn); Konversationslexika von Brockhaus und Meyer, Artikel „Deutschorden “,
4) Für die hierfür in Betracht kommende Literatur sind einzusehen neben Dahl-
mann-Waitz: Quellenkunde zur Dischen Gesch.® 1913 [Nr. 2273—2275, 5515—5522,
6136 — 6137, 6420— 6422, 6468, 6480, 7083] die bibliographischen Berichte zur Ge-
schichte des DO in Ost- und Westpreußen in den JBGWiss, seit 1878 von P Simson
herausgegeben, wo auch die Quellenwerke genau verzeichnet sind. Die umfangreiche
Zeitschriftenliteratur behandelt eingehend: O. Rautenberg: Ost- und Westpreußen,
ein Wegweiser durch die Zeitschriftenliteratur (Leipzig 1897). Von da ab vgl. die
Bibliographie im Anhang der Altprenß. Mschr. Vgl. auch den bibliographischen Anhang
u.
Deutschordens - Besitzungen in Deutschland standen — und eine Ab-
grenzung war in diesem Falle immer schwer zu ziehen —, bis auf
weiteres beiseite gelassen werden.
Die älteren, oft unkritischen Werke und Traktate aus dem XVII.
und XVIII. Jahrhundert über den „Hohen Teutschen Ritterorden “
glaubte ich fortlassen zu können, da sie zumeist durch neuere Bearbei-
tungen überholt worden sind. Es kam mir besonders auf eine Zu-
sammenstellung der stark zersplitterten neueren Ordensballei-Literatur
der letzten 50 Jahre an, wobei ältere Werke — teils wegen ihrer
grundlegenden Bedeutung, teils weil sie die einzigen für das betreffende
Gebiet waren — nur ausnahmsweise mit herangezogen sind.
Die Anordnung ist eine sachliche. An die Übersicht über die
Literatur der einzelnen Deutschordens-Balleien, wie sie in zeitlicher
Folge nacheinander entstanden sind, schließen sich in einem kurzen
Abschnitt die Arbeiten über die Beziehungen des Deutschen Ordens
zum Reiche und zur Kurie an. Eine Zusammenstellung der haupt-
sächlichsten Beiträge, die sich mit den außerdeutschen Beziehungen
des Ordens beschäftigen, bildet den Abschluß. |
Innerhalb der einzelnen Balleien sind die Werke grundsätzlich in
der Weise angeordnet, daß urkundliche Sammlungen — soweit über-
haupt solche vorhanden sind — an erster Stelle stehen, sodann folgen
die allgemeinen, die Geschichte der betreffenden Balleien umfassenden
Darstellungen und schließlich Einzelbeiträge zur Geschichte einzelner
Kommenden und Ordenshäuser oder besonderer mit dem Orden in
Beziehung stehender Fragen.
Eine Scheidung zwischen Quellen oder urkundlichen Sammlungen
und Darstellungen ließ sich bei den einzelnen Balleien nicht immer
durchführen, weil oft in derselben Arbeit beides vereinigt oder eine
systematische Sammlung der Urkunden der betreffenden Balleien und
Ordenshäuser überhaupt noch nicht vorhanden war. Da das letztere
bei A. Werminghoff: Die Schlacht bei Tannenberg (Berlin 1910, Deutscher Ost-
markenverein), S. 53 #. Für Livland, Estland, Kurland vgl. E. Winkelmann: Biblio-
theca Livoniae historica (Berlin 1878). Für die polnische Literatur ist heranzuziehen:
L. Finkel: Bibliografia historyi polskiej (3 Bde. Krakau 1901—1905).
Über preußische Urkundenpublikationen vgl. die Aufsätze von M. Perlbach: Zwest-
preuß GV. Jg.47. S. 17ff.; 52. S. 107 fl. und den Aufsatz von P. Ostwald: DGBil
15 (1913), S. 27—39. Über die DOArchivalien und ihre Verteilung auf die einzelnen
Archive im allgemeinen vgl. G. v. Pettenegg: Die Urkunden des DOCentralarchtivs
su Wien I (Prag und Leipzig 1887), Einl. S. vu ff.; ebenso Salles: Annales de
Pordre teutonique (Paris und Wien 1887), Appendice S. 515—524.
u; TO
leider recht häufig der Fall ist, steht hier für Urkundenpublikationen
noch ein weites Gebiet offen.
Unberücksichtigt bleiben mußten hier natürlich die in den all-
gemeinen und speziellen Urkundenwerken der einzelnen Gegenden
zerstreuten, aber oft zahlreichen, den Deutschen Orden betreffenden
Urkunden. Diese Werke sind bei einer Weiterarbeit auf einem Spe-
zialgebiet immer heranzuziehen.
Das beigefügte Abkürzungsverzeichnis wird ebenso wie das Au-
torenregister zur schnellen Orientierung einige Dienste leisten.
Es bleibt mir nur noch die angenehme Pflicht, einigen Herren,
die mich bei der mühevollen Arbeit des Sammelns durch nützliche
Winke und Beiträge in freundlicher Weise unterstützten, meinen Dank
auszusprechen; besonders Herrn Professor Dr. K. Heldmann, der
die erste Anregung zur vorliegenden Arbeit gab und dem ich auch
sonst für mannigfache Belehrung zu Dank verpflichtet bin, Herrn
Professor Dr. A. Werminghoff, durch dessen gütiges Entgegen-
kommen ich Kenntnis von einigen neueren Werken erhielt, und Herrn
Archivar Dr. Schindler in Wien, der in dankenswerter Weise die
Literatur zur Ballei Österreich und Bozen einer Nachprüfung und Er-
gänzung unterzog.
Wie wohl keine Bibliographie Anspruch auf Vollständigkeit er-
heben kann und will, bin auch ich mir bewußt, daß zumal bei den
so weit verzweigten Deutschordens-Niederlassungen über ganz Deutsch-
land und darüber hinaus und den auf diese Weise sehr zerstreuten
und schwer aufiindbaren Arbeiten mir hier und da ein Artikel ent-
gangen sein mag; aber trotz dieser nicht zu vermeidenden Lücken,
die aus obigen Gründen entschuldigt werden mögen und bei deren
Ausfüllung und Ergänzung ich jede weitere Hilfe dankbar begrüßen
würde, wird doch dieser erste Versuch einer Bibliographie zur Ge-
schichte der Deutschordens -Balleien für die weitere Forschung von
Nutzen sein ?). |
Wenn diese Zusammenstellung anderen zur Anregung dient, na-
mentlich in den einzelnen Landschaften Beifall findet und zur Weiter-
arbeit anspornt, hat sie ihren Zweck erfüllt.
1) Übrigens ist die Arbeit schon im August 1914 abgeschlossen, und da der Ver-
fasser damals sofort in das Heer eintrat, war eine weitere Vervollständigung unmöglich.
Abkürzungen.
A = Archiv MIÖG = Mitteilungen des Instituts f. österr.
Ann == Annalen Geschichtsforschung
Beil. = Beilage MVG == Mitteilungen des Vereins f. Ge-
Beitr. == Beiträge schichte (u. Altkde)
D = Deutsch MSchr = Monatsschrift
DO == Dentscher (Ritter-) Orden (DO, | N = Neu
DRO, RO) O = Orden
F = Folge Progr = Programm
G = Geschichte Rev = Revue
GBll == Geschichtsblätter SB == Sıtzungsbericht
Ges == Gesellschaft SBAk = Sitzungsberichte der Akademie
GQ == Geschichtsquellen der Wissenschaften
GV = Geschichtsverein V == Verein
H(hist) = historisch Vjsh = Vierteljahrshefte
Jb == Jahrbuch Z = Zeitschrift (für, des ...)
JB = Jahresbericht ZG = Zeitschrift für Geschichte
Je = Jahrgang Ztg = Zeitung
M = Mitteilungen ZV == Zeitschrift des (historischen) Ver
MA == Mittelalter eins für ...
I. Die einzelnen Deutschordens-Balleien
in Deutsehland.
ı. Die Ballei Thüringen !).
ı. Joh. Voigt, Urkunden ?) zur Geschichte der Deutschordens -Balleı
Thüringen: ZVthürG 3 (1859), S. 313—334.
2. A. Leitzmann, Die Balley Thüringen: NM a. d. Gebiet hist. antiquar.
Forsch., ed. Förstemann. 4, ı (Halle 1839), S. 113 fl.
3. Joh. Voigt, Die DOBallei Thüringen: ZVthürG 1, 2 (Jena 1853),
Einl.
S. 91—128. l
Joh. Voigt, Geschichte des DRO in seinen zwölf Balleien in Deutsch-
land. (2 Bde. Berlin 1857—1859) I, S. 2—11, 597—606.
. Joh. Alberti, Der DRO in Thüringen und im Vogtlande: 47—49.
JBvogtlAltV Hohenleuben (Weida 1879), S. ı fl.
. F. Völkel, Die Geschichte des DRO im Vogtlande. Plauen 1888.
R. Hermann, Verzeichnis der in Thüringen bis zur Reformation
vorhanden gewesenen Stifter, Klöster und Ordenshäuser: ZVthürG 8
(1871), S. ı— 176 behandelt kurz die einzelnen DOHäuser.
Joh. Alberti, Geschichte des Deutschen Hauses zu Schleiz. Schleiz
1877.
Gabelentz, Die Aufhebung des DOHauses zu Altenburg.
1) Vgl. meine Arbeit über die DOKommende St. Kunigunde bei Halle (s. Nr. 24,
Anm. I), wo die hauptsächlichsteu Arbeiten zur Geschichte der DO-Ballei Thüringen
schun aufgezählt sind.
2) Ein die ganze Ballei Thürinzen umfassendes Urkundenbuch ist in Bearbeitung,
scheivst aber dem Abschluß noch nicht nahe zu sein.
sa il =
10. O. Deichmüller, Geschichte des Dorfes Liebstädt: ZVthürG NF ı2
(1912), S. 150—216; 489—546.
11. O. Dobenecker, Chorherrnstift und DOKommende Porstendorf:
ZVthürG NF ı3 (1903), S. 362—372.
12. J. Vogel, Das DOHaus in Plauen: Festschr. 30jähr. Bestehen AltV
Plauen 1903.
13. J. Vogel, Ein Kampf ım Komturhof zu Plauen: MANN Plauen 17
(1906), S. 142 f.
14. R. Ausfeld, Über die Beziehungen des Deutschen He oder RO
zur Kaiserlichen Reichsstadt Mühlhausen: Aus alter Zeit. Zwanglose
Beibll. z. Mühlhäuser Anzeiger 1905. Nr. 64 (März 21).
142. W. Wintruff, Die Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen im Kampfe
mit dem DO während der Jahre 1357—1362: Mühlhäuser GBbll,
Jg. 14 (1913/14), S. 53—133 (mit 156 Regesten: 1356—1363).
15. Cl. Pfau, Zur Geschichte des Münsters zu Zschillen und des DO.
Rochlitz 1909 = Progr städt. Realschule, S. 8 ff.; vgl. ders.,
Grundriß der Chronik über das Kloster Zschillen: VRochlitzG 5
(1909).
16. E. Caemmerer, Konrad, Landgraf von Thüringen, Hochmeister des
DO (1240 +): ZVthürG NF 19,2 (1909), S. 349—394; 20. I
(1910), S. 43—80.
17. H. Koch, Reise der von dem DO im Jahre 1451 ausgesandten Visi-
tatoren: ZVthürG NF 20, ı (1910), S. 198—204.
17a. L. Naumann, Die Visitation der Ämter Dornburg und Kamburg und
der Komturei Zwätzen im Jahre 1540. Ein Beitrag z. zweiten Visi-
tation im Albertinischen Thüringen. Naumburg a. d. S. 1914.
18. CL Pfau, Grabdenkmäler von Deutschherren im Königreich Sachsen:
Unsere Heimat. MSchr Erzgeb. u. Vogtl. 4 (1905), S. 86—92;
410fl.; vgl. dazu: ZVthürG NF 16 (1906), S. 364 ff.; NAsächsG
28 (1907), S. 137 fl.
19. Cl. Pfau, Die Nachgrabungen im Kloster Kronschwitz und die dabei
entdeckten Deutschherrensteine: ZVthürG NF 17 (1907), S. 353—383;
vgl. dazu: B. Schmidt, ZVthürG NF ı9 (1909), S. 435—460.
20. Th. Schön, Beziehung der Herren von Schönburg zum DO: Schönb.
GBI 3 (1897), S. 129—140.
21. R. v. Flanss, Die von Köckritz in Preußen. Beiträge zur preußischen
Familiengeschichte : SBAltGes „Prussia‘ (Königsberg), Heft 6, S. 65
bis 83.
23. A. v. Mülverstedt, Woher stammt Hermann Bart, Hochmeister des
DO (1206—1ı210)?: ZHarzV 4 (1871), S. 46—76; vgl. über diesen
Meister noch: F. Buchholz, Hermann Bart, der dritte Hochmeister
des DO: Altpreuß. MSchr 48 (1911), S. ı59 fe O. Schreiber,
Zur Chronologie der Hochmeister des DO. Diss. Königsberg 1912
(wird vollständig in den Oberländ. GBll 1915 erscheinen, mit Unter-
suchungen über Personal- und ‚Amtsdaten aller Hochmeister bis
1525), S. 2.
23. H. Grumblat, Urkundenfälschungen des Landkomturs von Thüringen,
Eberhard Hoitz: ZVthürG NF ı8 (1908), S. 307 ff.
24.
25.
26.
27.
28.
29.
30.
31.
32.
33-
34.
35.
36.
31.
38.
39.
40.
~ 32 —
R. Wolf, Das DOHaus St. Kunigunde bei Halle a. d. S. von seiner Ent-
stehung bis zu seiner Aufhebung (1200—1511), unter besonderer
Berücksichtigung seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse.
Diss. Halle 1915 (== Forsch. thür sächs. G. 7. Heft, Halle 1915).
2. Die Ballei Österreich.
Joh. Hönisch, Codex dipl. ord. Theut. Regni Austriaco - Hungarici.
Ders., Monumenta hist. ord. S. Maria Theut. Regni Austr. - Hun-
garici. Diese beiden in den SBAkWien, 62, S. 92; 66, S. 236 als
Manuskripte angezeigten Urkundensammlungen sind als Druckwerke
bisher nicht erschienen.
E. G. Graf v. Pettenegg, Die Urkunden des DOCentralarchivs zu Wien.
I. Prag. Leipzig 1887.
B. Dudik, Des Hohen Deutschen Ritterordens Münzsammlung in Wien,
Wien 1858.
B. Dudik, Kleinodien des DRO. Wien 1865.
Tracht der Profeßritter und Ehrenritter des hohen DRO. Wien 1869,
1874 und 1898.
E. G. Graf v. Pettenegg, Sphragistische Mitteilungen aus dem DO-
Centralarchiv. Wien 1884.
Nedopil, Deutsche Adelsproben aus dem DOCentralarchiv. 3 Bde.
Wien 1868. |
Instruktion für die Legung der Ahnenprobe bei dem DRO. Wien 1902.
E. v. Mirbach-Harff, Zur Personalgeschichte des DO: Jb k. k.
herald. Ges. „Adler“ II. (Wien 1892), S. 174 fl.
Rangsliste und Personalstatus des DRO (hrsg. von der DOKanzlei zu
Wien). Wien 1869 ff.; vgl. auch: Des Hohen DRO Staats- und
Standeskalender. Mergentheim 1791, 1796, 1800 und 1805.
K. Fuchs, Der Bestand des DOArchivs in Wien. Wiener Ztg 1905,
Apr. 16.
Kozina, Regesten zur Geschichte des DRO in Krain: MhistV Krain,
Jg ı7 (1862), S. 77—81; Fortsetzung Jg 18 (1863), S. 34—38.
Regesten, den DO in Laibach betreffend: MhistV Krain, Jg 15 (1860),
S. 97—104.
Fr. Schumi, Einzelbeiträge zur Geschichte des DO in Krain, be-
sonders der Ordenshäuser Laibach und von der Möttling: A Heimat-
kunde, Laibach I (1882/83), S. ııf. 27. 81—386; II (1884/37),
S. 211f. 244. 253. 256fl. 283. Einzelne Hinweise auf den DO,
besonders die Kommende Friesach, finden sich auch: A vaterländ.
G u. Topographie (ed. GV Kärmten), Klagenfurt 1894 ff.; ebenso in
Z Ferdinandeums f. Tirol u. Vorarlberg.
A.Jaksch, Beiträge zur Geschichte der Stadt Friesach. Carinthia I(1905).
B. Dudik, Ablaßtafeln in der DOKirche St. Elisabeth zu Wien: SBAk
Wien, phil.-hist. Kl. 58 (1868), S. 155—180.
. M. Perlbach, Fragment eines Ausgabeverzeichnisses der DOKommende
Wienerisch-Neustadt: Altpreuß. MSchr ıı (1874), S. 88 ff.
42.
43-
44.
45.
46.
41-
43.
49.
50.
51.
52.
53-
54.
55-
56.
57-
58.
59.
60.
— 83 —
J. Voigt, a. a. O. (vgl. Nr. 4) I, S. 11—19. 606—619.
H. Hennes, Kommenden des DO in den Balleien Koblenz, Alten-
biesen, Westfalen, Lothringen, Österreich und Hessen (Mainz 1878),
S. 209 ff. (Kommenden zu Möttling, Tschernembel, Laibach).
E. v. Mirbach-Harff, Beitrag zur Geschichte des DO: Jb k.k. herald.
Ges. „Adler“ VII (Wien 1897), S. 207 ff.
J. Stöger, Maximilian Erzherzog von Österreich-Este, Hoch- und Deutsch-
meister. Wien 1865.
S. Klein, Sammlung historischer Bildnisse: Maximilian Erzherzog von
Österreich-Este, Hoch- und Deutschmeister. Freiburg 1875.
B. Dudik, Des Hoch- und Deutschmeisters Erzherzog Maximilian I.
Testament und Verlassenschaft vom Jahre 1619: AösterG 33,
S. 233—252.
'A. Ilg, Donners und Hildebrand’s Wirken für den DO in Linz:
MCentralkommission Erf. u. Erh. kunst-hist. Denkmale NF zz,
S. 81—93.
L. Eber, Der Wiener Neustädter Altar Erzherzogs Maximilian III.:
Z Ferdinandeums 3. F 49 (Innsbruck 1905), S. 339—356.
E. G. Graf v. Pettenegg, Ludwig und Karl, Grafen und Herren
von Zinzendorf. Wien 1879.
J. Stöger, Der DRO nach seinen neusten Bestimmungen: ÖsterRev
1866 (Augustheft).
Fr. Ilwof, Die sogenannte „freie“ Schule des DO zu St. Kunigund
am Lerch bei Graz (1278): ZhistV Steiermark ro (1912), S. 208—216.
B. Dudik, Über die DOSchwestern: SBAk Wien, phil.-hist. Kl. 16
(Wien 1855), S. 307 - 326.
F. E. Krönes, Das Leben und Wirken der DOSchwestern im Laza-
rette zu Schleswig aus Anlaß des schleswig-holstein’schen Krieges im
Jahre 1864. Troppau (ohne Jahreszahl).
Die freiwillige Sanitätspflege des DRO im Krieg und Frieden. Wien
1872 ff.
General-Bericht über die Hilfsaktion des DRO während des Serbisch-
Bulgarischen Krieges 1885—1886. Wien 1886.
Fr. Pick, Der DRO. SA aus Öster. a > 1848
bis 1898. Wien 1900.
G. Amon v. Treuenfest, Geschichte des k. k. Infanterie-Regiments
Hoch- und Deutschmeister Nr. 4. Wien 1879.
Fr. Schultz, Vorgeschichte des Regiments Hoch- und Deutschmeister.
Wien 1896.
A. Veltze, K. k. Infanterieregiment Hoch- und Deutschmeister Nr. 4.
Wien 1906.
Beziehungen des Deutschen Ordens zu Ungarn, Böhmen,
61.
Siebenbürgen und Mähren.
H. v. Zwiedineck-Südenhorst, Über den Versuch einer Trans-
lation des DO an die ungarische Grenze: AösterG 56 (1866),
S. 403—446.
63.
65.
66.
67.
68.
69.
70.
71.
12.
13.
74-
15-
76.
11.
78.
19.
80.
81.
82.
83.
84.
sa Å a
W. Erben, Die Frage der Heranziehung des DO zur Verteidigung der
ungarischen Grenze: AösterG 81,2 (1895), S. 513—599.
. Burgen des DRO in Ungarn: Wiss Beil LeipzZtg 1902, Nr. 82.
64.
E. Joachim, König Sigismund und der DRO in Ungarn 1429—1432:
MIOG 33 (r911), S. 87—119.
P. Babendererde, Nachrichtendienst und Reiseverkehr des DO um
1400. Diss. Königsberg 1913. S. 44 ff.: Der Verkehr mit Ungarn.
Millauer, Der DRO in Böhmen. Prag 1832.
J. Voigt, Geschichte der Ballei des DO in Böhmen: Denkschriften
der phil.-hist. Kl. der k. k. AkWiss. Wien 1863.
Alexis Bethlen, Geschichtliche Darstellung des DO in Siebenbürgen.
Wien 1831.
Schmeller, Der DRO im Burzenlande: AKenntnis siebenbürg. Vorzeit 1.
Fr. Philippi, i, Die Deutschen Ritter im Burzenlande: Progr Gym Kron-
stadt 1860.
W. Morres, Die Deutschen Ritter im Burzenlande. Kronstadt 1900.
M. Perlbach, Der DO in Siebenbürgen: Zur Kritik der neuesten
polnischen Literatur: MIÖG 26, 2 (1905), S. 415—430.
F. Obert, Hermann von Salza und die Besiedlung des Burzenlandes
(Wien 1905); vgl. Rez. MIÖG 27 (1906), S. 174 fl.
W. Bergmann, Reste von DOBurgen in Siebenbürgen nebst einer
Geschichte des DRO in diesem Lande ız1ır —ı225. Freudenthal
(Öster. Schlesien) 1909.
J. v. Pfeiffer, Forstgeschichte der Deutschen - Ritter - Ordens - Domäne
Freudenthal. Brünn 1391.
W. Bergmann, Die Eulenburg, eine DOVeste in Mähren. Roda
(Papiermühle) 1904.
M. Blumenwitz, Kurze Chronik der Burg und Domäne Busau.
Busau 1899.
K. Fuchs, Geschichte dëi DOBurg und Herrschaft Busau. Wien 1905;
vgl. hierzu Rez.: ZG KulturG Öster Schles. 1905/06 (2. Heft), S. 95.
V. Pinkawa, Die Burgen Mährens: Die Burg Busau. Olmtitz 1905.
3. Die Ballei Hessen.
Wyss, Hessisches Urkundenbuch. Abt. I: Urkundenbuch der Balleı
Hessen. Bd. 1—3 (1879—99) = Publik. aus Kgl. Preuß. Staats-
archiven Bd. 3, 19, 23; daneben zu vgl. Abt. II, hrsg. von Reimer:
Bd. 1—3 (1891—94).
G. R. Frhr. v. Pappenheim, Mitteilung über ein unediert ge-
bliebenes Verzeichnis der DORitter der Ballei Hessen: VjsSchr
„Herold“ f. Herald. Sphrag. Geneal. 1892.
M. Becker, Aus einem hessischen DONekrolog (15. Jhd): M oberhess
GV NF ro (1902), S. 136 f.
F. Schillmann, Kellereirechnung des DOHauses in Marburg aus dem
14. Jhd: AKulturG 8,2, S. 141; Rez. K. Heldmann: ZVhessG 44,
S. 358f.
J. Voigt, a. a. O. (vgl. Nr. 4) I, S. 20—31; 634 ff.
= Bh
85. H. Hennes, a. a. O. (vgl. Nr. 43), S. 221—226 (Kommenden zu
Oberflörsheim und Mainz).
86. R. Andersonn, Der DO in Hessen bis 1300. Diss. Königsberg 1891.
87. K. Heldmann, Geschichte der DOBallei Hessen nebst Beiträgen zur
88.
89.
90.
91.
92.
93-
94.
95-
96
97-
98.
99.
I00.
IOI.
102.
103.
Geschichte der ländlichen Rechtsverhältnisse in den Ordenskom-
menden Marburg und Schiffenberg. I. Teil (bis 1360). Beide Ar-
beiten, die erste Hälfte eine Preisarbeit, die andere Diss. Marburg
1894, sind zusammengedruckt in ZV hess G NF 20 (1895), S. ı ff.
A. Huyskens, Philipp der Großmütige und die DOßBallei Hessen:
ZVhessG NF 28 (1904), S. 99—184.
G. R. Frhr. v. Pappenheim, Konrad Klos, Landkomtur der Ballei
Hessen und Komtur zu Marburg (1631—1638): Hessenland, Jg 8
(1894), S. 234 f.
L. Anderson, Geschichte der Kommende Griefstedt. Erfurt 1866.
Rady, Geschichte der Klöster Schiffenberg und Zella: M oberhess GV r
(1889).
L. Müller, Das Deutsche Haus zu Marburg: Hessenland, Jg 16 (1902),
S. 158 fl. ıgı fl.
K. Heldmann, Das Spital der hl. Elisabeth und die Anfänge des
DRO in Marburg: Hessenland, Jg 16 (1902), S. 203—207.
H. Kalbfuß, Die DOKommende Schiffenberg: Moberhess GV NF
ı8 (1910), als Fortsetzung und Schluß des im Bd. ı7 derselben
Zeitschrift unter dem Titel: „Das Augustinerchorherrnstift Schiffen-
berg“ erschienenen Arbeit, auch als Diss. Gießen 1909.
W. Kürschner, Jagdrecht und Jagdausübung der DOHerren zu
Marburg im ı7. Jhd: Hessenland, Jg 26 (1912), S. 315 fl. 331 fl.
350 fl. 364 fl. 381 fl.
4. Die Ballei Utrecht.
. J. de Geer tot Oudegein, Archieven der Ridd. Duitsche Orde,
Balie van Utrecht I. II. (Haag 1871), hat die meisten Urkunden
dieser Ballei (ca. 690; 1190—1615) in diesem monumental an-
gelegten Werk gesammelt.
Wapenboek de Ridders der Duitsche Orde, Balye van Utrecht, se-
dert ı581. Haag 1871.
A. Matthaeus, Praefecti Ultrajectini, dit sijn die Lantcommandeurs
van den Balye van Utrecht: Aldaar V S. 855 ff.; X S. 343—372.
Ridderlijke Duitsche Orde, landcommandeurs der Utrechtsche balie,
1260—1620: Tijdschrift voor Gesch. ... van Utrecht (red. von
de Monde) VII, S. 73 fi.
J. Voigt, a. a. O. (vgl. Nr. 4) L, S. 87—9ı (Ballei Utrecht).
G. Muller Fzn, De Duitsche Orde, Balije van Utrecht. Eigen Haard
1879, S. 490 fl.
De Balije van Utrecht en de Duitsche Orde: Vragen van den Dag II,
S. 508 fl.
De Balije van Utrecht: Centrum ıgıı Maart 4.
104.
105.
106.
107.
108.
109.
IIO.
III.
II2.
113.
114.
115.
116.
117.
118.
— 86 —
Verdrag tusschen de Duitsche orde, Balye van Utrecht, en de stadt
Doesburg: Maandblad v. h. geneal. herald. Gen. De Nederl. Leeuw.
V, S. 30 fl.
A. deRijckel & J. de Chestret, Commanderie de Haneffe. Leod
1906.
5. Die Ballei Franken.
M. Fuchs, Nachweise über die frühere Geschichte des DO in Mittel-
franken: 19. JBhist V Mittelfranken (1850), S. 1—20.
O. Schönhuth, Der DRO in Franken (nach den Quellen darge-
stellt): ZV württ. Franken II, 3 (1852), S. 1—48; 85—90; III, 2
(1854), S. 49—80.
J. Voigt, a.a O. (vgl. Nr. 4) I, S. 31—64; 593—596 (Ballei Franken).
O. Schönhuth, Gründung und Zuwachs der DOKommende Mergent-
heim: ZV württ. Franken I, 2 (1848), S. 20—29.
H. Bauer, Die DOBesitzungen in und um Mergentheim. Mehrere
kleine Aufsätze: ZV württ. Franken I, 2 (1848), S.92—98; Nach-
trag S. 1—ı2; I, 3 (1849), S. 92—98; I, 3 (1852), S. 85—90;
II, ı (1853), S. 30—32; III, 3 (1855), S. 74ff. 5; IV, ı (1856),
S. 118—121; IV, 3 (1864), S. 488—490.
Die Hochmeisterkapelle in Mergentheim. Wiener Ztg 1905, Nr. 223.
H. Schmitt, Das letzte Centgericht unter dem Deutschmeister Erz-
herzog Maximilian Franz v. Österreich. (Aus städtischen Aufzeich-
nungen (Mergentheim 1796): WürttVjsh NF 4 (1895) S. 19ọ f.
H. Schmitt, Rückblicke auf die letzte Zeit der Hoch- und Deutsch-
meister in Mergentheim (1712—1835): Württ Vjsh NF 19 (1910),
S. 455—463.
G. Hartmann, Wie die Pfarrei Edelfingen württembergisch wurde:
Württ Vjsh NF 3 (1894), S. 280 ff.
Über die Burg Neuhaus (bei Igersheim), wie sie an den DO gekom-
men: ZV württ. Franken II, 2 (1851), S. ı6fl.
H. Schmitt, Verpachtung des deutschmeisterischen Hofguts Neuhaus
bei Mergentheim (nach einer Originalurkunde): AltV Mergentheim
1894/95, S. 24—29.
Fr. v. Stälin, Deutschherrischer Besitz in Liebenzell und Winnenden:
Württ Jbb 1853 (Heft 2), S. 202—206.
H. Bauer, Das Deutschmeisterische Neckow-Oberamt und die Kom-
mende Archshofen: ZV württ. Franken V, 3 (1861), S. 329 ff.
118a. Die Kommende Heilbronn: ZV württ. Franken VI, ı (1862), S. 164 ff.
119.
H. Schmitt, Amtmann Rot zu Talheim bei Heilbronn am Neckar.
Ein Stück DOGeschichte aus dem Jahre 1707. Nach Mergentheimer
Akten im Kgl. Staats-Archiv: Heilbronner Unterhaltungsbl. (Beil. z.
Neckar-Ztg) 1909, Nr. 23 u. 24.
120. Niedermayer, Die DOKommende Frankfurt am Main. Frankfurt
121.
1874, ed. Euler.
G. Weiss, Aus Wachbacher Jurisdiktions-Rezessen: Württ Vjsh NF 2
(1893), S. 363—382 behandelt Vereinbarungen zwischen dem DO
122.
123.
124.
125.
126.
127.
128.
120.
130.
131.
132.
133.
134.
135.
136.
137.
138.
139.
140.
— 87 —
und dem Freiherrn v. Adelsheim über das Verhältnis von Cent und
Vogtei aus dem 16. Jhd.
F. Schrod, Die Gründung der DOKommende Sachsenhausen : M ober-
hess GV NF 13 (1905), S. 33—63.
F. Schrod, Zur Geschichte -der DOKomturei Sachsenhausen bis zur
Mitte des 14. Jhds.: A Frankf GKunst 3. F 9 (1907), S. 94—156.
L. Brunner, Geschichte der Deutschherrn-Ordenskomturei und des
Marktfleckens Neubrunn. Würzburg 1894.
J. Baader, Urkunden-Auszüge über Besitzungen des DOAmtes Nürn-
berg und Eschenbach: 29. JBhistVMittelfranken (1861), Beil. 3,
S. 46—81; Fortsz. u. Schluß im 30. JB (1862), S. 1—29.
G. Schrötter, Das DOHaus in Nürnberg: Festgabe für Grauert z.
7. Sept. 1910. Freiburg ıg10, S. 56—69.
A. Gerlach, Chronik von Lauchheim. Geschichte der ehemaligen
DOKommende Kapfenburg. Ellwangen 1907.
A. Gerlach, Das Medizinalwesen der ehemaligen DOKommende
Kapfenburg: MedKorrBl 76 (1906), S. 609—617.
K. Christ, DOBesitz in der badischen Pfalz: MannhGBll 1901,
S. 255—262; 1902, S. 40—43 behandelt besonders das Ordens-
haus zu Weinheim.
'P. Beck, Das DOHaus in Ulm mit der Kirche St. Elisabeth: Frank-
furt Bl 3, S. 177—180.
K. Maier, Was der hochlöblich Ritterlich Teutsch Orden in Ulm
für Pfarreien und Frühmessen zu verleihen hatte: Der Hausfreund —
Ulmer Volksbote Nr. 1, 2, 4—6
K. Maier, Die religiösen Kämpfe der Deutschherrn in Ulm mit der
Reichsstadt Ulm seit der Reformation: SchwäbA 28 (1910), S. 8f.
]5 f. 102 fl. 120 f.
F. Platz, Der Streit zwischen dem Fürsten von Öttingen und dem
DO: ZhistV Neuburg 24, S. 24—44.
H. Kaiser, Eine Richtung zwischen dem Deutschen Hause zu Weißen-
burg und dem fg Rudolf I. von Baden (1264 April 9): ZG Ober-
rheins NF 18 (1903), S. 157 ff.
O. R. Landmann, Die Kirchen, Ordenshäuser und Hospitäler der
Stadt Weißenburg: JBV Erhaltung Altertümer Weißenburg 4 (1908),
S. 47 fl.
A. Marquardt, Die DOKapelle auf dem Schlosse Horneck : Achristl
Kunst 26 (1908), S. 63f.
Epitaphien der Hoch- und Deutschmeister in Horneck: Allg Ztg 1896,
Nr. 90, S. 7f.
M. E DOBesitzungen in Zöschingen: Ji tusty Dillingen 19
(1906), S. 250—252.
Volz, Die DOHerrschaft in Bieberach: Bll württ KirchenG NF ır
(1907), S. 33—62.
B. Stengele, Inventuraufnahme bei den im Jahre 1803 dem DO
zugewiesenen Klöstern im Bereiche des jetzigen Kgr. Württemberg:
DiözA Schwaben 2 (1835), S. ı8f. 28f. 34f. 42f. sof. 69f. 76f.
3 (1886), S. 4f. ııfl.
r41.
142.
143.
144.
145.
146.
147.
148.
149.
150.
151.
152.
153.
u. OR a
H. Schöllkopf, Schulwesen !) im ehemaligen DOGebiet des Kgr.
Württemberg unter der Herrschaft des DO: Württ Vjsh NF 14
(1905), S. 293—334.
Schwäbische Deutschherrn in Ostpreußen: ZV RegBez Marienwerder 8
(1883), S. r1 fi.; vgl. dazu H. Tümpel, Die Herkunft der Be-
siedler des DOLandes: JbV niederdeutsche Sprachforsch. 27 (1901),
S. 43—57, besonders S. 51 ff.
Th. Schön, Beziehung Württembergs zum DO in Preußen. Einzelne
Artikel im DiözA Schwaben, Jg 21—23 (1903—1905).
P. Ostwald, Nürnberger Kaufleute im Lande des DO: DGBI 14
(1913), S. 97 — 98.
6. Die Ballei Elsaß-Burgund.
H. Roth v. Schreckenstein, Einige Urkunden zur Geschichte der
DOßBallei Elsaß-Burgund, zunächst die Kirche Jettenhausen bei Tett-
nang betreffend: ZGOberrheins 23 (1871), S. 45—55.
Urkunden und Regesten (1218—1789) zur Geschichte der DOKom-
mende Beuggen: ZG Oberrheins 28 (1876), S. 78f. 278f.; 29
(1877), S. 163 f.; 30 (1878), S. 213f.; 31 (1879), S. 168 fl.
Buck, Jahrbuch des Teutsch-Ritterhauses Hizkirch : GFreund = M hist V
5 Schweizer Kantone ıı (Einsiedeln 1855), S. 92 ff.
J. Segesser, Der Kirchturm zu Altishofen: GFreund = MhistV 5
Schweizer Kantone 18 (1857) behandelt auch das „, Teutschhaus“
daselbst mit und bringt mehrere DOUrkunden; überhaupt finden
sich in den einzelnen Bd (1—60) dieser M noch zahlreiche DO-
Urkunden und Regesten zur Geschichte der Ballei Elsaß - Burgund
verstreut (vgl. RegBd).
Gatschet, Jahrzeitbuch des St. Vincentiusmünsters in Bern: AV Kanton
Bern IV, 2 (1864), S. 309. 312. 325 ff. enthält ebenfalls allgemeine
Notizen über den DO.
Stettler, Versuch einer Geschichte des DO im Kanton Bern. Bern
1842.
J. Voigt, a. a. O. (vgl. Nr. 4) I, S. 76—83. 636—639.
Th. Walter, Zur Geschichte des DRO im Oberelsaß (Kommenden
Rufach-Suntheim, Kaisersberg, Gebweiler-Rixheim und Mühlhausen):
JbG ElsaßLothringen 14 (1898), S. 3—55; vgl. dazu Nachtrag:
ebd. 15 (1899), S ä
K. Müller, Das Finanzwesen der DOBallei Elsaß - Burgund und Loth-
ringen im Jahre 1414. Ein Beitrag zur Ordens- und Wirtschafts-
geschichte: HJb 34 (1913), S. 781—823.
. G. Studer, Die Kirche zu Köniz und die DOPriester. Studien über
Justinger: AV Kanton Bern V (1865), S. 527.
1) Die Arbeit von M. Zimpel, Weimarfahrt der Frankfurter Deutschherrn (Jb
Volks-Jugendspiele 20 [1911]) bezieht sich nicht auf den DO, sondern behandelt eine
Fahrt der Schüler der nach dem DOHause genannten „Deutschherrn-Mittelschule“ zu
Frankfurt a. M.
ze, BO o
155. H. Roth v. Schreckenstein, Urkunde von 1239 über die Grün-
dung der DOKommende Mainau: ZG Oberrheins 32 (1880), S. 331 ff.
156. H. Roth v. Schreckenstein, Die Insel Mainau, Geschichte einer
DOKommende vom 13. bis 19. Jhd. Mit Urkundenbuch (153 Urkk.:
1271—1716). Karlsruhe 1873.
157. J. Klentschi und E. Zeller, Das DOHaus Beuggen (Buckein)
einst und jetzt (1246—1894). Basel 1894.
158. Ruppert, Nekrologien des DO in Freiburg: Freib DiözA zo,
S. 293 ff.
159. Die Kapelle des Marienhauses zu Freiburg: A christl Kunst 33 (1890).
160. P. Dold, Untersuchungen zur Martina Hugos von Langenstein. Diss.
Straßburg 1912 behandelt S. 4ff. das Leben des Hugo von Lange-
stein als DOBruder und Komtur mehrerer DOHäuser.
160a. E. Wiegmann, Beiträge zu Hugo von Langenstein und seiner
Martina (Teil II mit ca. 50 Regesten) erscheint als Diss. Halle 1915.
7. Die Ballei Bozen.
161. Justinian Ladurner, Urkundliche Beiträge zur Geschichte des DO
in Tirol: ZFerdinandeums f. TirolVorarlberg 3. F (Heft ro) 1861,
S. 1—272.
162. B. Dudik, Beiträge zur Geschichte des DO in Tirol: AösterG 17
(Wien 1857), S. 113—130, bringt meist Urkunden zur Geschichte
der DOPfarre Mareith in Tirol aus dem ı5. bis 18. Jhd.
163. M. Koch, Beiträge zur Geschichte des DO in Tirol: AösterG 2
(Wien 1849), S. 53—76 behandelt auf Grund des Bozener Ordens-
archivs die DOHäuser zu Bozen, Lengmoos, Slanders, Sterzing und
Trient. | |
164. J. Voigt, a. a. O. (vgl. Nr. 4) I, S. 83—87. 625—633.
165. C. Atz, Der Ansitz Weggenstein oder das Gebäude der DOKommende
in Bozen: M k. k. Zentralkommission Wien 26. Jg NF (Wien 1900),
S. 26 ff. i
166. A. Reiterer, Der DRO in Lana: Der Tiroler 1910, Nr. 109. 110.
167. A. Reiterer, Lana. Vergangenheit und Gegenwart. Lana ıgıı.
168. C. Strompen, Die Margarethen-Kapelle in Lana: M k. k. Zentral-
- kommission Wien 26. Jg NF (Wien 1900), S. 2f.
169. R. Schwab, Der DRO im Emmental: D milchwirtschaftl. Ztg (ed.
Brocks) 1903, Nr. 48, gibt einen Einblick in die moderne wirt-
schaftliche Tätigkeit des DO.
8. Die Ballei Koblenz.
170. G. Urchs, Mehrere Urkunden !) betreffend die DOKommende in Gürath
(== Judenrode) und Elsen: AnnVNiederrhein 28 (1876), S 217 fl.
1) Weitere urkundliche Nachweisungen über die rheinischen DOHäuser bes. Köln
(St. Katharinen) und Elsen und ihre Besitzungen s. bei Tille und Krudewig: Über-
sicht über den Inhalt der kleineren Archive der Rheinprovinz (4 Bde. Bonn 1899 fl.).
Der Hauptbestand der ungedruckten Urkunden befindet sich im StaatsA zu Düsseldorf
(Ilgen: Rhein. A [== 2. Ergänzungsheft der Westd. Z 1888], S. 52).
7
171.
172.
173.
174.
175.
179.
180.
181.
182.
183
184.
185.
186.
187.
R. Pick, Urkunden-Register der DOKommende zu Rheinberg: Ann
VNiederrhein 39 (1883), S. 41—62; dazu Nachtrag: ebd. S. 175
bis 179, und Ergänzungen: ebd. 41 (1884), S. 148f.
H. Cardauns, Regesten des Kölner Erzbischofs Konrad von Hoch-
staden (1238—1261): AnnVNiederrhein 35 (1880), S. ıfl., ent-
halten zahlreiche auf den DO bezügliche Urkunden. Ebenso die
Gräfl. von Mirbachschen Urkunden (ed. L. Korth): AnnVNieder-
rhein 57 (1894), Reg. S. 371.
P. Wagner, Urkundliche Nachricht von der Kreuzfahrt rhein Herren
nach Preußen 1321/22: Altpreuß. MSchr 26 (1889), S. 485 ff.
J. Voigt, a. a. O. (vgl. Nr. 4) I, S. 64—76. 619—625.
H. Hennes, DOBesitz in Rheinland und Westfalen: MSchr rhein-
westfälGForsch (ed. Pick) I (Bonn 1875), S. 173f., behandelt
die Kommenden Traar, Rheinberg, Muffendorf; ebd. S. 438 ft.
Waldbreidbach; ebd. 3 (1878), S. sı4 fl. Koblenz.
.H. Hennes, a. a. O. (vgl. Nr. 43), S. 3—ıı5 (Kommenden zu
Koblenz, Köln, Waldbreidbach, Muffendorf, Gierath, Traar und
Rheinberg).
Reimer, Verfall der Ballei Koblenz im ı5. Jhd.: Trier A (Heft 11)
1907, S. 1—42. |
. Eugen Schneider, Die DOKommende Bigenburg (bei Blitzenreute):
Lit Beil Staats-Anz Württ. 1886, Nr. 63 ff.
Th. Schön, Beziehung des oberrhein.-badischen Adels zu Ost- und
Westpreußen: ZGOberrheins 1903, S. 151—185.
H. Strupp, Aufnahme des Grafen von Waldstein in den DO am
17. 6. 1788: RheinGBll Jg 2, S. 327—-30.
9. Die Ballei Alten-Biesen.
Franquinet, Notice historique sur la Grande Commanderie de
Ordre teutonique des Vieux-Joncs: Annuaire de la prov. de Limb.
Maestricht 1850.
Perreau, Rechersches hist. et numismatiques sur la Commanderie
des Vieux-Joncs: Rev. de numismatique belg. II.
J. Cuvelier, Les archives de la Grande Commanderie de l'Ordre
teutonique des Vieux-Joncs à Düsseldorf: Bull. de la Comm. royale
d’hist. Bruxelles 1902. Bd. 71, Serie 5, S. 275—82.
L. Bon de Crassier, Ordre teutonique; Histoire du baillage des
Vieux-Joncs et des 12 commanderies, qui en dépendaient. La com-
manderie de Touron Saint Pierre: Publ. de la Soc. hist. et arch.
dans le duché de Limb. 1905. Bd. 41, S. 197—308.
A. Flamant, Land-Commandeurs en commandeurs des Duitsche
Orde in 1550—1603: De Maasgouw. Orgaan voor Limb. Gesch.
1907, S. 40fl. .
J. Voigt, a. a. O. (vgl. Nr. 4) I, S. 92—96. 640f.
W. Schaepkens, La grande Commanderie teutonique des Vieux-
Joncs: Ann. de Ac. d’archeol. de Belg., tome 22 (1866).
188.
189.
190.
191.
192.
193.
194.
195.
196.
197.
198.
199.
200.
201.
202.
203.
204.
205.
206.
207.
ae. Gi. a
W. Schaepkens, L'ordre Teutonique: Le Messager des Sciences
hist. 1869, S. 461 ff.
H. Hennes, a. a. O. (vgl. Nr. 43), S. 127—r61. (Kommenden zu
Siersdorf, Aachen, Lüttich, Bernissem).
H. Hennes, Kommenden Siersdorf und Aachen: MSchr rhein. westfäl.
GForsch (ed. Pick) 3. (1878), S. 95.
W. Ritz, Die DOKommende Siersdorf bei Aachen: Ledeburs AllgA
15 (1834), S. 213—239. g
W. Ritz, Die DOKommende St. Gilles (St. Agidii bei Aachen):
Ledeburs NAllgA I, 3 (1836), S. 237—254.
Herzenmaus, De Commanderij der Duitsche Orde te Vucht met
een aanhangsel over die te Gemert. 1887.
J. van den Berg, L’ordre Teutonique dans le Pays de Liège. La
Chronique mondaine; Bruxelles 1899.
Daris, Notes hist. sur les Commanderies de l’Ordre teutonique au
diocèse de Liege: Bull. de !’Instit. archéol. liegois, tome XVII.
D. Petit, Repertorium ... der Gesch. des Vaderlands. I. II. Leiden
1907, 1913 ist für weitere Literatur zu vergleichen.
10. Die Ballei Sachsen.
E. Jacobs, Urkundenbuch der Kommende Langeln: GQProv Sachsen
15 (1882), gibt auch eine Geschichte dieser Kommende.
Th. Mühlmann, Urkunden der Kommende des DRO zu Dansdorf
im ehemaligen kursächs. Amte Belzig: NM a. d. Gebiet hist.-an-
tiquar. Forsch., ed. Förstemann. ı5 (Halle 1882), S. 401 ff.
W. Pierson, Papierschnitzel (Nachrichten über Bestand und Aus-
gaben einer thür. oder sächs. Kommende, abgedruckt aus dem Ein-
bande eines in der Herzogl. Bibl. zu Dessau befindlichen Manu-
skriptes der DOStatuten): Altpreuß. MSchr 8 (1871), S. 567 ff.
J. Voigt, a. a. O. (vgl. Nr. 4) I, S. 102fl. 641 fl.
E. Behr, Des DRO Ballei Sachsen und Kommende Burow : Oster-
Progr herzgl. Franzisceums Zerbst. 1895.
E. Behr, Zur Geschichte der DOKommende Aken: Magd. GBil Jg 31
(1896), S. 221— 29. Zur Geschichte dieser Kommende vgl. auch
O. Gorges, Geschichte der Stadt Aken a. d. Elbe: BeitrAnhG,
Heft 1o (1908), S. 9. 21. 26 fl. 37.
H. Freytag, Dr. Johann von Kitzscher im Dienste des DO (1508
bis 12): NA sächs G 28 (1907), S. 117— 122.
E. Jacobs, Hoier von Lauingen, Komtur zu Langeln. Ein Kultur-
bild aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Kriege: ZHarzV 22
(1889), S. 161—201.
E. Jacobs, Zur Kirchengeschichte der Stadt Stolberg: ZHarzV 2, 2
(1869), S. 201 fl.
M. Hildebrandt, Ein harzisches Wappen in Ostpreußen: ZHarzV
26 (1893), S. 464.
7#
— 92 —
Zur Ballei Sachsen sind wohl auch die sonst wenig hervorgetretenen
DOHäuser in Lübeck und Bremen zu rechnen:
208. K. Wehrmann, Das Haus des DO in Lübeck (1268—1525): ZV
LübG 5, S. 461 ff.
209. R. Ehmck, Die Fahrt der Bremer und Lübecker nach Akkon und
die Stiftung des DO: BremJbb (ed. KünstlerV brem G) Bremen 1866,
S. 156—184.
210. H. Schumacher, Die Deutsch-Herren-Kommende zu Bremen: Brem
Jbb (1866), S. 184—244.
211. S. Loschen, Die Überreste der Bremischen Komtureigebäude: Brem
Jbb (1866), S. 244—253.
212. K. Koppmann, Zur Preußenfahrt der Herren von Ghistelles (1402):
Altpreuß. MSchr 15 (1878), S. 309 ff.
213. Paul van Niessen, Geschichte der Stadt Dramburg z. Z. der Herr-
schaft des DO in der Neumark: Progr Schiller-Realgym. Stettin 1895;
vgl. Forsch brand.-preuß. G ı0 (1898), S. 472.
214. A. v. Mülverstedt, Der oberlausitzische Adel im großen preußischen
Bundesgenossenkrieg (1454—1466): Forsch brand.-preuß. G 4 (1892),
S. 635 f.
215. G. Roloff, Der DRO und die Hohenzollern: VossZtg 1911, Nov. 22.
11. Die Ballei Lothringen.
216. J. Voigt, a. a. O. (vgl. Nr. 4) L S. 96— 102. 639f.
317. H. Hennes, Die Kommende Metz: MSchr rhein westfäl GForsch (ed.
Pick) 3 (1878), S. 437 fl.
218. H. Hennes, a. a. O. (vgl. Nr. 43), S. 190—250 (Kommenden zu
Metz und Saarburg).
219. H. Lempfrid, Die Komtureien der DOBallei Lothringen: I. Die
Komturei Metz: Beil Gym Progr Saargemünd 1887, S. ıff.
220. H. Lempfrid, Die Komtureien der DOBallei a Saar-
gemünd 1888.
221. H. Lempfrid, Die ehemalige DOKapelle in Hundlingen: JbGes
LothrGAltkde, Jg 2 (1890), S. 142—151.
222. K. Müller, a. a. O. (vgl. Nr. 153).
32. Die Ballei Westfalen.
223. J. Voigt, a, a. O. (vgl. Nr. 4) I, S. 104— 108. 633—634.
224. C. Geisberg, Beziehung Westfalens zu den Ostseeländern, besonders
Livland: ZVGWestfal. 30 (1872); 33 (1875); 34 (1876).
225. Sudendorf, Kommende der Ritter des DO in Osnabrück (Hannover
1842); vgl.: BeitrGStadtOsnabr; ZVGWestfal. 5 (1842); MhistV
Osnabr. 1r (1878), S. 195 f. 183.
226. K. Rübel, Die Westfälische Ordenskommende Brakel: BeitrGDort-
munds II/II (1878), S. 81—139, darin auch 70 Urkunden und
Regesten (1290— 1581); vgl. für die Kommende Brakel auch
H. Hennes: MSchr (ed. Pick) 3 (1878), S. 87f.
227.
228.
229.
230.
231.
232.
233.
II.
235.
236.
237.
239.
240.
241.
242.
=. 03
Th. Esch, Die Kommende Welheim: ZVOrts- u. Heimatskde i. Veste
u. Kreise Recklinghausen ıı (1901).
K. Holthaus, Die Georgskommende in Münster, eine Niederlassung
des DRO von ihrer Gründung bis zum Westfälischen Frieden: Beitr.
G Niedersachs u. Westfal. (ed. Erler) 5, Heft 30; Hildesheim 1911;
vgl. dazu zwei Aufsätze über die Georgskommende: Münst. Anz.
1896, Juni 9. 10. ı1.
C. Böckler, Geschichtliche Mitteilung über die Stadt Belecke ... und
Kloster Mülheim (Meschede 1866), gibt auch einen kurzen Abriß
der Geschichte der Kommende Mülheim; vgl. H. Hennes, Kom-
mende Mülheim: MSchr (ed. Pick) I (1875), S. 445 ft.
H. Hennes, a.a. O. (vgl. Nr. 38), S. 170—ı83 (Kommenden Mül-
heim und Brakel).
Pieler, Die Landkommende der DOBallei Westfalen zu Mülheim:
Bil näheren Kunde Westfal. Jg 3.
J. Hoffmann, Die DORKommende zu Mülheim a. d. Möhne, kunst-
historisch dargestellt. Diss. Münster 1895.
Fr. Fischer, Die Kommende Mühlheim a. d. Möhne, eine Nieder-
lassung des DRO, von ihrer Gründung bis zu ihrer Aufhebung im
Jahre 1809. Diss. Münster 1913; auch: BeitrGNiedersachs. u.
Westfal. (ed. Erler) Sonderheft. Hildesheim 1913.
Beziehungen des Deutsehen Ordens zum
Reiche und zur Kurie.
Peter Opladen, Die Stellung der deutschen Könige zu den Orden
im 13. Jhd. Diss. Bonn 1908.
J. Holzapfel, Der DRO in seinem Wirken für Kirche und Reich.
Wien 1850.
J. Voigt, a.a. O. (Nr. 4) I, S. 395 ff. 461 ff.: Verhältnis des DO
zu Kaiser und Reich.
H. Prutz, Die geistlichen Ritterorden, ihre Stellung zur kirchlichen,
politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung des
MA. (Berlin 1908), S. 102 ff. 107 ff.
. H. Ulmann, Maximilian I. in dem Konflikte zwischen dem DO in
Preußen und Polen, besonders in den Jahren 1513—1515. FDG
18 (1878), S. 91—109.
R. Hausmann, Über das Verhältnis des livländischen Ordens zum
Römischen Deutschen Reiche im 16. Jhd. Balt. Mschr 63 (1908),
S. 1—23.
K. Lohmeyer, Kaiser Friedrichs II. goldene Bulle über Preußen und
Kulmerland vom März 1226: MIÖG. Ergbd. 2, S. 380- 420.
H. Grumblat, Über einige Urkunden Friedrichs II: für den DO.
Diss. Gießen 1908; Kap. ı und 2 auch in MIÖG 29, Kap. 3 in
ZVthürG NF 18 (1908), S. 307 ff.
M. Emmelmann, Die Beziehungen des DO zu König Johann von
Böhmen und Karl IV. Diss. Halle ıgıo.
243.
244.
245.
346.
247.
248.
249.
250.
251.
252.
253.
254.
255.
256.
257.
259.
260.
E: e
H. Vetter, Die Beziehungen Wenzels zum DO (1384—1411). Diss.
Halle 1912.
E. Joachim, a. a. O. (vgl. Nr. 64).
A. Werminghoff, Die Urkunden Ludwigs des Bayern für den Hoch-
meister des DO vom Jahre 1337: AUrkkForsch 5 (1913).
A. Werminghoff, Der Hochmeister des DO und das Reich bis
zum, Jahre 1525: HZ ııo (3 F. 14) 1913, S. 473 ff.; vgl. aber
G. v. Below, Der Deutsche Staat des MA I (Leipzig 1914),
S. 319 (Anm. 2).
P. Babendererde, a. a. O. (vgl. Nr. 65) S. 9— 21: Die Verkehrs-
beziehungen des DO zu Deutschland.
G. Schreiber, Kurie und Kloster im 12. Jhd. Studien zur Prvi-
legierung, Verfg. und bes. zum Eigenkirchenwesen. I. II. Kirchen-
rechtl. Abh. (ed. U. Stutz). Stuttgart rgro, ist auch für die RO
von allgemeiner Bedeutung.
J. Voigt, a. a. O. (vgl. Nr. 4) I, S. 352 ff. 506 ff.: Das Verhältnis
des DO zum Papst und zur hohen Geistlichkeit.
P. Babendererde, a. a. O. (vgl. Nr. 65), S. 41—54.
H. Prutz, a. a. O. (vgl. Nr. 237), S. 110 f.
J. v. Pflugk-Harttung, Der Johanniter und der DO im Kampfe
Ludwigs des Bayern mit der Kurie (Leipzig 1900); vgl. Rez. Perl-
bach: Altpreuß.MSchr NF 37, S. 332 ff.; vgl. auch: O. Staven-
hagen, Urkunden zur Geschichte des DO und ihre kritische Ver-
wertung bei J. v. Pflugk-Harttung: SBGesG Ostseeprov. Rußl.
Jg 1900, S. 186 ff.
J. v. Pflugk-Harttung: Johanniter und DO. Anhang, Gegner und
Hilfsmittel Ludwigs des Bayern in seinem Kampfe mit der Kurie:
ZKirchenG 21 (1901), S. 230 ff.
Hauber, Die Stellungnahme der Orden und Stifter des Bistums
Konstanz im Kampfe Ludwigs des Bayern mit der Kurie: Württ
Vjsh NF 15 (1906), S. 284 ff., für den DO besonders S. 303 fl.
B. Beß, Johannes Falkenberg (O.P.) und der preußisch - polnische
Streit vor dem Konstanzer Konzil: Forsch brand.-preuß. G 10,
S. 393 ff.
P. Niebowoski, Die Preußische Botschaft beim Konstanzer Konzil
bis Ende Febr. 1416. Diss. Breslau 1910.
L. Dombrowski, Die Beziehung des DO zum Baseler Konzil bis
zur Neutralitätserklärung der deutschen Kurfürsten. (März 1438.)
Diss. Berlin 1913.
. H. Freytag, Die Geschäftsträger des DO an der Römischen Kurie
(1309—1525): ZwestpreußGV 49 (1907), S. 185 fl.
H. Diederichs, Über die Prokuratoren des DO in Rom (von 1313
an): SBKurländGes. 1908, S. 8 ff.
L. Arbusow, Die Beziehung des DO zum Ablaßhandel seit dem
15. Jhd. Diss. Göttingen 1909; auch MGesGOstseeprovRußl. 20
(Riga 1909).
=. Gp.
II. Aufserdeutsehe Beziehungen des Deut-
sehen Ordens.
I. Beziehungen zum Orient.
261. R. von Toll, Zur Chronologie der Gründung des RO vom St.
Marienhospital des Hauses der Deutschen in Jerusalem. Riga 1865.
| == MGebietG Livl. Estl. Kurl. 9 (Riga 1868). |
262. R. Ehmck, Die Fahrt der Bremer und Lübecker nach Akkon und
die Stiftung des DO: BremJbb (ed. KünstlerV brem G) Bremen 1866,
S. 156—184.
263. H. Prutz, Kulturgeschichte der Kreuzzüge; Geistliche RO (a. a. O.
vgl. Nr. 237), S. 62 fl.
264. H. Prutz, Die Besitzungen des DO im Heiligen Lande. Ein Bei-
` trag zur Kulturgesch. der Franken in Syrien. Leipzig 1877.
265. H. Prutz, Die Anfänge des DO in Preußen und seine Beziehung
zum Heiligen Lande: Altpreuß. MSchr ı5 (1878), S. 1—26.
266. H. Prutz, Zur Geschichte des DO im Heiligen Lande: Altpreuß.
MSchr 15 (1878), S. 625—631, behandelt besonders die Arbeit von:
267. G. Rey, Recherches geogr. et hist. sur la domination des Latins en
Orient. Paris 1877.
268. De Mas Latrie, De quelques seigneuries de Terre Sainte: Rev
hist VIII (1878), S. 107—120.
269. R. Röhricht, Die Besitzungen des DO im Heiligen Lande: ZD
PalästinaV ro (1887), S. 267—278.
270. Ferd. Khull, Zweier deutscher Ordensleute Pilgerfahrt nach Jeru-
salem im Jahre 1333 und 1346, nach ihren eigenen Aufzeichnungen
erzählt. Graz 1895.
2. Beziehungen zu Griechenland (Ballei Romanien).
271. K. Hopf, Veneto-byzantinische Analekten: SBAk Wien (phil.-hist.
Klasse) 32 (1859), S. 367—378 behandelt zuerst eingehend die
Geschichte des DO in Griechenland; vgl. dazu: L. Dombrowski,
a. a. O. (vgl. Nr. 257), S. 175 fl.
272. Fr. Rühl, Der DO in Griechenland: Nord u. Süd 89 (Berlin 1899),
S. 327—341. |
3. Beziehungen zu Italien !) (Balleien Lombardien und Apulien).
273. A. Mongitore, Monumenta hist. sacrae domus Mansionis ss. Trini-
tatis militaris ord. Theut. urbis Panormi (Panormi 1721) ist als
wichtigster älterer Spezialbeitrag über das reiche OHaus in Palermo
zu nennen.
274. Mortillaro, Elenco cronologico delle antiche pergamene pertinenti
alla real chiesa della Magione (Palermo 1858) enthält viele Urkun-
den tiber die sizilischen Ordenshäuser.
275. H. Simonsfeld, Italienische DOUrkunden (47 Regesten): Forsch-
DG 21 (1881), S. 497 fi.
1) Eine besondere, zusammenfassende Untersuchung über die DONiederlassungen
in Italien und Sizilien fehlt bisher noch, würde sich aber wohl lohnen.
276.
277.
279.
280.
281.
282.
284.
285.
286.
288.
289.
290.
291.
292.
293.
294.
205.
— 96 —
M. Perlbach, Die Reste des DOArchivs in Venedig: Altpreuß.
MSchr 19 (1882), S. 630—650.
H. Prutz, Elf DOUrkunden aus Venedig und Malta: Altpreuß.MSchr
20 (1883), S. 385—400.
R. Predelli, Le reliquie dell’ archivio dell’ ordine Teutonico in
Venezia: Atti del R. Instit. Veneto de Scienze. t. 64. II. 1905.
M. Perlbach, Das DOHaus Venedig: Altpreuß.MSchr 17 (1880),
S. 269—285.
K. Schellhaß, Die DOKommende zu Padua und die Jesuiten.
Beitrag zur Geschichte des DO 1511—1575: QForschitalA Bibl 7
(1904), S. 91—120.
K. H. Schäfer, Deutsche Ritter und Edelknechte in Italien während
des 14. Jhds.: Q Forsch Gebiet G (ed. Görres- Ges.) 15, ı u. 2
(Paderborn 1911) bringt einiges auf den DO Bezügliches.
4. Beziehungen zu Frankreich.
Lalore, Chartes de la commanderie de Beauvoir de l’ordre Teu-
tonique. Collection des principeaux Cartulaires du diocèse de
Troyes. 3 Bde. Paris 1878.
. H. d’Arbois de Jubainville, L’ordre Teutonique en France:
Bibl. de École des Chartes 32 (1871), S. 63—83.
Kalkstein, Die Besitzungen des DRO in Frankreich: SBGes ,Prussia‘‘
35 (1878), S. 42 f.
F. Salles, Annales de l’Ordre teutonique (Paris, Wien 1887) bringt
einen Exkurs über die ehemaligen DOBesitzungen in Frankreich,
appendice S. 420—430.
Flamare, La cinquième croisade et les chevaliers Teutoniques en
Nevernais. Nevers 1886.
. M. Constatin, L’Extension de lOrdre teutonique en France: Re-
ferat, gehalten auf dem 4. internationalen wiss. Kongreß in Frei-
burg. Paris, Freiburg 1898.
5. Beziehungen zur See.
K. v. Schlözer, Die Hanse und der DRO. Berlin 1851.
.C. Sattler, Das Ordensland Preußen und die Hanse bis zum Jahre
1370: Preuß Jbb 41, S. 327—349; HansGBll 1877, S. 61 ff.;
1882, S. 69 ff.
C. Sattler, Der Handel des DO zur Zeit seiner Blüte: HansGBil
1877, S. 61—85 = Altpreuß.MSchr 16 (1879), S. 242 ff.
v. Schack, Eine Seeexpedition aus Preußen 1398: DAdelsBll Jg 2,
Nr. 35—37.
O. Kehlert, Die Insel Gotbland im Besitz des DO (1398—1408):
Altpreuß MSchr 24 (1887), S. 385—442 ; auch Diss. Königsberg 1887.
K. Perels, Grundzüge der Seepolitik des DRO: MarineRundschau
1898, 1906.
K. Lohmeyer, Geschichte von Ost- und Westpreußen I® (Gotha
1908), Kap. 7: Der Ordensstaat als Vormacht auf der Ostsee,
S. 304—317.
P. Babendererde, a. a. O. (vgl. Nr. 65), S. 21—32.
|
’
97
l Autorenre
(Die Zahlen bedeuten, wenn nichts anderes bemerkt, gi a
Alberti, J enden Nummern der einzelnen Arbeiten.)
Anderson, L 5, 8 | Geisberg, C
Andersonn, R 2. lan A = a
Arbois de Jubainvill orges, O , I2
Ar J nville, H. de 283 Grumblat, H a. 203
Atz, C 260 | H „ 241
6 artmann, G
Ausfeld, K = A Hauber ` 114
Baader, J : es R 254
Babendererde. P 25 eldmann, K 239
Bur ” 65, 247, 250, 295 | Hennes, H 43, 85, 1 83, 87, 93
Beck, P 110, 118 217, 218, 226, : 75, 176, 189, 190,
Becker, M 130 Hermann, R : ‚ 229, 230
Behr, E 82 | Herzenmaus 7
Below, G. v. 201, 202 Heydenreich, E s 193
Berg, J. van den 246 | Hildebrandt, M . 77, Anm. ı
Bergmann, W 194 | Hönisch, J 207
Beß, B 74, 76 ie, J 25
Bethlen, A 255 olthaus, K 232
Blumenwitz, M 68 | Holzapfel, J S. 77, Anm, 1; 228
Böckler, C 77 | Hopf, K 235
Brunner, L 229 | Huyskens, A 271
Buchholz, F Jakobs. E 88
’
Buck Ip Jaksch, A 197, 205, 206
Caemmerer, E lg, A 39
Cardauns, H 16 | Ilwof, Fr 48
Christ, K 172 | Joachim, E 6 52
Constatin, M t29 | Kaiser, H 4, 244
Base L. Bon de er Kalbfuß, H 134
velier, J 19: | Kalkstein 94
Daris 3 | Kehlert, O 284
Deichmüller, O 195 | Khull, F 292
eo H = ar G Er
obenecker, O entschi und Zel
Dold, B ý 11 | Koch, H J LT 157
eg L de = oe M H
i , oeniger, M
udik S, 77, Anm. 3; 27, 28, 40,47, 53, 162 Kopienn K 138
Eber, L Korth, L ` 212
Ehmck, R 2 > Kozina 113
Emmelmann, M 09, 292 | Krönes, F. E 36
Erben, W 242 | Kür S 54
62 schner, W
Ealer 227 adurner, J
F nkel 120 Lalore 1%
inkel, L Landmann, O. R. >.
Fischer, F S. Tat nnm. 4 | Latrie, De Mas 135
Flemare , Anm, I, 233 | Leitzmann, A 268
Flamant, A 286 | Lempfrid, H s
18 pind, 2I
Flauß, R. von 5 Lohmeyer, K 9, 220, 221
eu = Loschen, S 240, 294
reytag H . aiı
Fuchs, K 204, 258 Maier, K 131, 132
F 35, 78 Maquardt, A 3
uchs, M ’ 06 | Mattacus, A 136
Gabelentz Millauer 2
Gatschet u ba a, E. von m A
Geer tot i ongitore, A ’
Oudegein, J. de 96 | Morres, W 273
71
Mortillaro 274
Mühlmann, Th 198
Müller, K 153, 222
Müller, L 92
Mülverstedt, A. von 22, 214
Muller Fzo, G 101
Naumann, L 17a
Nedopil 3I
Niebowoski, P 256
Niedermayer 120
Niessen, P. von 213
Obert, F 73
Opladen, P 234
Ostwald, P S. 78, Anm. 4; 144
Pappenheim, G. R. Frhr. v. 81, 89
Perels, K 293
Perlbach, M S. 78, Anm. 4; 4I, 72, 252,
276, 279
Perreau 182
Petit, D 196
Pettenegg, E. G. Graf von S. 78, Anm. 4;
26, 30, 50
Pfau, Cl 15, 18, I9
Pfeiffer, J. von 75
Pflugk-Harttung, J. von 252, 253
Philippi, Fr 70
Pick, Fr 57
` Pick, R 171
Pieler 231
Pierson, W 199
Pinkawa, V * 79
Platz, F 133
Predelli, R 278
Prutz, H 237, 251, 263, 264, 265, 266, 277
Rady 91
Rautenberg, O S. 77, Anm. 4
Reimer S. 77, Anm. ı; 80, 177
Reiterer, A 166, 167
Rey, G 267
Rijckel, A. de und Chestret, J. de .IoS
Ritz, W 191, 192
Röhricht, R 269
Roloff, G 215
Rübel, K 226
Rühl, Fr 272
Ruppert 158
Salles S. 78, Anm. 4; 285
Sattler, C 289, 290
Schack, H. von 291
Schäfer, K. H, 281
Schaepkens, W 187, 188
Schellhaß, K 280
Schillmann, F 83
Schlözer, K, von 288
98
Schmeller 69
Schmidt, B 19
Schmitt, H 112, I13, 116, IIQ
Schneider, E 178
Schöllkopf, H 141
Schön, Th 20, 143, 179
Schönhuth, O 107, 109
Schreckenstein, H. Roth von 145, 155, 156
Schreiber, G 248
Schreiber, O S. 77, Anm. I; 22
Schrod, F ‚122, 123
Schrötter, G 126
Schultz, Fr 59
Schumacher, H 210
Schumi, Fr 38
Schwab, R 169
Segesser, J 148
Simonsfeld, H 275
Simson, P S. 77, Anm. 4
Stälin, F. von 117
Stavenhagen, O ' 253
Stengele, B 140
Stelter 150
Stöger, J 45, SI
Studer, G 154
Strompen, C 168
Strupp, H 180
Sudendorf 225
Tol, R. von 261
Treuenfest, Amon von 58
Tümpel, H 142
Ublhorn S. 77, Anm. 3
Ulmann, H 238
Urchs, G. 170
Veltzé, A 60
Vetter, H 243
Völkel, F 6
Vogel, J 12, 13
Voigt, J S. 77, Anm. 2; I, 3, 4, 42, 67,
84, 100, 108, 151, 164, 174, 186,
200, 216, 223, 236, 249
Volz 139
Wagner, P 173
Walther, Th 152
Wehrmann, K 208
Weiß, G 121
Werminghof, A S. 77, Anm. 3; S. 78,
Anm. 4; 245, 246
Wiegmanı, E 1608
Winkelmann, E S. 78, Anm. 4
Wintrufi, W 148
Wolf, R 24
Wyß 80
Zimpel, M S. 88, Anm. ı
Zwiedineck-Südenhorst, H, von óI
— 99 —
Mitteilungen
Personalien. — Ein Altmeister ist dahingegangen in dem am 29. Sep-
tember 1914 zu Magdeburg, fast neunzigjährig, verstorbenen Geheimen Archivrat
Archivdirektor a. D. Georg Adalbert von Mülverstedt. Obwohl seiner
Bildung nach Jurist, hat M. vermöge ihm innewohnenden Erkenntnistriebs als
Urkunden- und Aktenforscher bis zu einem gewissen Grade, recht speziell
auf dem Gebiet preußischer Adels- und Militärgeschichte, bahnbrechend ge-
wirkt. Auf seinen Arbeiten über diesen vielseitigen Wissenszweig, der zum
Teil entlegene, der Mehrzahl, auch der höher Gebildeten, wenig bekannte
Gebiete umfaßt, wird man so lange fußen müssen,. bis etwas Besseres vorliegt.
Georg Adalbert von Mülverstedt ist am 4. Juli 1825 zu Neufahr-
wa:ser (bei Danzig) geboren als Sohn eines ehemaligen Offiziers, der noch
unter König Friedrich II. — man sagt, als Fahnenjunker — gedient haben
soll, und dann die Stellung eines Königlichen Salzinspektors, zuletzt in Tilsit,
bekleidete. Adalbert, der 1844 in Tilsit sein Abiturientenexamen gemacht
hatte, kam mit der Mutter und den zwei jüngeren Brüdern Rudolf und
Heinrich, die weit weniger alt wurden als er, nach Königsberg und widmete
sich hier rechtswissenschaftlichen Studien unter Schweikart, Simson, Jacobson
und Sanio, beschäftigte sich daneben angelegentlich mit den historischen
Schriften der Königsberger Universitätsprofessoren Joh. Voigt, W. Drumann
und F. W. Schubert. Auch die Gelehrsamkeit eines Lobeck, Rosenkranz,
Lehrs, deren Tätigkeit sich auf andere Wissenszweige erstreckte, ist auf ihn
nicht ohne Einfluß geblieben. Im Jahre 1850 Referendar geworden und
dem Tribunalsgericht in Königsberg zur Ausbildung tiberwiesen, dehnte er
seine Tätigkeit auch auf die Akten des dortigen Geheimen Archivs (jetzigen
Königlichen Staatsarchivs) aus und arbeitete sie, dem Beispiel Voigts fol-
gend, schon seit etwa 1848 aufs gründlichste durch, indem er besonders
diejenigen Abteilungen berticksichtigte, die für Familiengeschichte und Ge-
schichte des Beamtenwesens Ausbeute gewährten. Sein Heim hatte er zuerst
im Hause Mitteltragheim Nr. 15, seit 1849 Steindamm 157, und hier hat
er als Ergebnis seiner zeitraubenden und mühevollen Studien zahlreiche Ab-
handlungen bearbeitet, die er in den damals von E. A. Hagen herausgege-
benen Neuen Preußischen Provinsialblättern erscheinen ließ. Am ı. April
1857 schied er aus der Stellung beim Gericht aus und trat infolge einer
Berufung in die Archivlaufbahn über. In Magdeburg, wo er zunächst als
Königlicher Archivar Dienst tat, wurde er bald Archivvorstand und blieb es
bis 1898, seit 1890 mit dem Titel eines Geheimen Archivrats. Auch um
die Ordnung des Domkapitelarchivs in Magdeburg, das ihm zeitweilig unter-
stellt war, hat sich M. Verdienste erworben. |
Die reifste Frucht der weitumfassenden Tätigkeit nun, die von M. in
Magdeburg entfaltete, waren die zwei Bände Adel Preußens, die 1874 in
dem Riesenwerk des zu Nürnberg seit Jahrzehnten zur Veröffentlichung
kommenden großen Wappenbuchs, dem Neuen Siebmacher, erschienen sind).
I) Ergänzungen zu den zwei Bänden gab M. 1900 und später in demselben Wappen-
buch, in mehrere Hefte abgeteilt, heraus. Auch den abgestorbenen Adel Preußens hat
er in einem eigenen Bande bearbeitet.
— 10 —
Weitere Publikationen, teils Urkundenbücher, so das Werk über die Herren
von Alvensleben (2 Bände, Magdeburg 1879) folgten, und ihnen schlossen sich
an die entsprechende Urkundensammlung über die Freiherren und Grafen zu
Eulenburg (Diplomatarium Ileburgense, 2 Bände, 1379), die Regesta archi-
episcopatus Magdeburgensis (1876 fi.), die Geschichtlichen Nachrichten von
dem altpreußischen Geschlecht von Ostau (1886); die Abteilungen Adel An-
halts und Mecklenburgs, ferner Sächsischer Adel und Schwarzburgischer Adel,
im Neuen Siebmacher, auch fachwissenschaftliche Untersuchungen, nament-
lich solche über einzelne Gegenstände zur Geschichte des Deutschritterordens
und des Altmärkischen Adels, gingen jenem erstgenannten Werk teils voraus,
teils schlossen sie sich später an.
Im Jahre 1898 trat M. als Archivdirektor zu Magdeburg in den Ruhe-
stand, hat aber auch jetzt in seinem rastlosen Wirken keine Pause eintreten
lassen, sondern, seine reichhaltigen Sammlungen beständig vermehrend, publi-
zierte er u. a. das aus zwei Teilen bestehende Urkundenbuch gur Geschichte
der Grafen von Kalckstein (Magdeburg 1904— 1906), vieles zur Geschichte ost-
preußischer Rittergüter, zuletzt eine Geschichte des Ritterguts Loszainen (bei
Rössel), recht zahlreiche Zusammenstellungen auch über Militärgeschichte im all-
gemeinen und über einzelne Regimenter im besonderen, z. B. über das Riesen-
burger Dragonerregiment, jedesmal unter Heranziehung weit abgelegener und
schwer aufzufindender Archivalien. Über diejenigen Dinge, die er in diesem
selben Zeitraum zur Geschichte des Beamtenwesens, speziell mit Rücksicht auf
Ostpreußen, zur Veröffentlichung brachte, urteilt P. Ostwald in seinem Preußen
betreffenden bibliographischen Beitrag !): „Diese Arbeiten von Mülverstedts,
an sich trockene Aufzählungen der einzelnen Beamten der Komtureien, Vog-
teien, Pflegen, sind deshalb recht wertvoll, weil sie uns über die Heimat
der einzelnen Beamten belehren und wir dadurch die Spuren verfolgen
können, die sie als Eigentümlichkeit ihrer Heimat in die neue Welt [Preußen]
mitbrachten.‘‘ — Eine Geschichte der Herren von der Diehle, die von Mül-
verstedt um 1910 beschäftigte, zum Abschluß zu bringen, war ihm nicht
mehr vergönnt, da ein zunehmendes Augenleiden ihn zwang, diese Arbeit
abzubrechen.
Dem Eifer in der Sammlung und Herbeischaffung verborgener Bücher-
schätze und Geschichtsmaterialien ging bei M. ein gewisser Grad von Hart-
näckigkeit im Verfechten einmal gefaßter theoretischer Meinungen, auch wenn
sie schwer oder unmöglich zu beweisen waren, nebenher, so daß es an
mancherlei Verfehltem und Unrichtigem in seinen Darstellungen und Nach-
weisen nicht mangelt ?). Es kranken seine Arbeiten an Verkehrtheiten, die
aus bewußter, den Zweifel etwaiger Zufälligkeit ausschließender Übertreibung
des deduktiven Prinzips hervorgegangen sind. Das haben mehrfach auch
die Rezensenten hervorgehoben, die einigen der älteren Veröffentlichungen
M.s eingehende Besprechungen gewidmet haben, so ein Ungenannter (wahr-
scheinlich der verstorbene Staatsarchivar A. von Wyß) und F. Meinecke in
1) Diese Zeitschrift 15. Bd. (1913), S. 34.
2) Solches gilt insbesondere auch von dem mit äußerst vielen Unrichtigkeiten durch-
setzten Diplomatarium Ileburgense, das eine Nachrufsnotiz in der Ostpreuß, Zeitung
1914, Nr. 290 als v, M.s „großartigstes Werk“ angesehen wissen will.
— 101 —
der Historischen Zeitschrift Bd. 49, S. 146—151; Bd. 61, S. 500—503
und Bd. 63, S. 478—480.
Gleichwohl sind die zahlreichen Ehrungen, die M. von wissenschaft-
lichen Gesellschaften, von Behörden und Privatpersonen zuteil wurden, als
wohlverdient anzusehen, so daß sein Andenken sowohl wegen des stets
regen Forschungstriebes, als auch wegen der überall bei ihm zum Ausdruck
kommenden ungeschminkten und echten Vaterlands- und Heimatsliebe ach-
tungsvoll bleiben und sich noch lange erhalten wird. Die von 1849
bis 1898 zur Veröffentlichung gekommenen Beiträge, nach Fächern in sach-
liche Reihenfolge gebracht, hat M. selbst den Titeln nach zur Kenntnis-
nahme zusammengestellt in seinem 1898 zu Magdeburg im Druck erschienenen
Rechenschaftsbericht über eine 5Njährige literarische Tätigkeit auf dem
Gebiete der vaterländischen Geschichtsforschung (als Manuskript gedruckt;
32 Seiten). Gustav Sommerfeldt (Königsberg i. P.)
Naturschutz. — Die Staatliche Stelle für Naturdenkmal-
pflege in Preußen (Berlin-Schöneberg, Grunewaldstr. 6/7) ist damit be-
schäftigt, eine Bibliographie für Naturdenkmalpflege, Naturschutz, Vogelschutz
und verwandte Bestrebungen zu bearbeiten. Dafür sind die einschlägigen
Bestimmungen und Verordnungen aus früherer Zeit, die in ihrer Wirkung
den Naturschutz förderten, wenn sie auch aus ganz anderen Beweggründen er-
lassen wurden, von besonderer Wichtigkeit. Deshalb ergeht an alle Forscher,
denen derartige Dinge bekannt geworden sind oder die sie gelegentlich
finden, die Bitte, der genannten Stelle davon Mitteilung zu machen.
Um welche Art von Nachrichten es sich handelt, zeigen zwei Beispiele.
Die Fürstlich Liegnitzische Regierung erließ ı. September 1660 eine Ver-
ordnung, nach welcher die Zerstörung der Vogelnester, dadurch Eier und
Junge verderbet werden, soll ernstlich verboten sein bei Pön eines schweren
Schocks (Staatsarchiv Breslau). Der Danziger Rat erließ 1r. März 1544
eine Verordnung zum Schutze der Zeisige.
Eingegangene Bücher. -
Klohn, Otto: Die Entwicklung der Corveyer Schutz- und Vogteiverhältnisse
von der Gründung des Klosters im Jahre 823 bis zum Abschluß der
Erbschutzverträge des Jahres 1434 [== Beiträge für die Geschichte
Niedersachsens und Westfalens, 43. Heft. Hildesheim, August Lax
1914. 112 S. 8%. M 2,80.
Kohut, Adolph: Friedrich der Große, Studien und Skizzen. Breslau,
Walter Markgraf 1913. 172 S. 8%. MA 2,50.
Krause, K. E. H.: Rostock im siebenjährigen Kriege [== Beiträge zur
Geschichte der Stadt Rostock, VII. Band (Jahrgang 1913) S. 97—111].
Leimbach, Carl: Victor von Prendel, Oberst und Kommandant von Leipzig
nach der Völkerschlacht 1813—1814. Leipzig, Dieterich (Theodor
Weicher) 1913. 96 S. 8%. Æ 1,80. |
Lindner: Die Weltlage Europas seit den Befreiungskriegen [= Vorträge
der Gehe-Stiftung zu Dresden, 6. Bd., Heft 4]. Leipzig und Dresden,
B. G. Teubner 1914. 27 S 8%. M 0,80 |
— 102 —
Paffrath, Jos.: Ältere Beiträge zur Klimatographie und Naturchronik des
Landes Vorarlberg [= Archiv für Geschichte und Landeskunde Vorarl-
bergs, IX. Jahrg. (1913), S. 49—64].
Pauls, Volquart: Die holsteinische Lokalverwaltung im XV. Jahrhundert
[> Sonderdruck aus Bd. 43 der Zeitschrift der Gesellschaft für
Schleswig-Holsteinische Geschichte (Kiel 1913). 255 S. 8°.
Rexhausen, Anton: Die rechtliche und wirtschaftliche Lage der Juden
im Hochstift Hildesheim [= Beiträge für die Geschichte Niedersachsens
und Westfalens, 44. Heft. Hildesheim, August Lax 1914. 167 S. 8°.
AM 3,00.
Robrecht, H.: Die Stadt Kempen im Siebenjährigen Kriege. Kempen-
Rhein, Thomasdruckerei o. J. rr S. 8°.
Rudkowski, Wilhelm: Franz Passow in der Demagogenverfolgung. Ein
Nachtrag [= Zeitschrift: des Vereins für Geschichte Schlesiens, 47. Bd.
(1913), S. 301—326].
Schmidt, Ludwig: Die germanischen Reiche der Völkerwanderung. Mit
8 Tafeln und 2 Karten [= Wissenschaft und Bildung Nr. 120]. Leipzig,
Quelle & Meyer 1913. rrr S 8%. Geb. Æ 1,25.
Schultze-Gallera, Siegmar: Giebichenstein, Alte Burg, Oberburg und
Unterburg. Eine ausführliche Widerlegung des Herrn Major a. D. Rauch-
fuß nebst neuen Beiträgen. Halle a. d. S., Curt Nietschmann 1914.
94 S. 8°.
Seifert, Fritz: Die äußere Politik Franz Egons von Fürstenberg, Fürst-
bischofs von Paderborn und Hildesheim 1789 bis 1802 [= Beiträge
für die Geschichte Niedersachsens und Westfalens, 45. Heft]. Hildes-
heim, August Lax 1914. 69 S. 8%. M 2,40.
Stöbe, P.: Die erste Zittauer evangelische Kirchenordnung vom Jahre 1564
[= Mitteilungen der Gesellschaft für Zittauer Geschichte, Nr. 8 (1912),
S. 31—43|.
ME, Walther: Kulturelle Beziehungen Kölns und des Nieder-
rheins zum europäischen Osten [= Jahrbuch des Kölnischen Geschichts-
vereins, ı (1912), S. 25—51].
Uhde, Richard: Entwicklungsgang der Deutschen Geschichte, für die Unter-
offiziere des deutschen Heeres bearbeitet. Mit vier Karten. Berlin,
Ernst Siegfried Mittler und Sohn 1914. 148 S. 8%. Æ 1,50.
Unger, W. v.: Gneisenau. Mit vier Bildnissen und 17 Skizzen im Text.
Berlin, Ernst Siegfried Mittler und Sohn 1914. 448 S. 8%. `Æ 9,50.
Warncke, J.: Handwerk und Zünfte in Lübeck. Mit 80 Illustrationen.
Lübeck, Gebr. Borchers, G. m. b. H. 1912. ısı S. 8. Æ 1,80.
Wolff, Georg: Frankfurt am Main und seine Umgebung in vor- und früh-
geschichtlicher Zeit: Höchst, Frankfurt, Hanau, Heddernheim, Saalburg.
Mit ı Karte, ı Plan und 56 Abbildungen [= Hendschels Luginsland,
Heft 41]. Frankfurt a. M., M. Hendschel 1913 116 S. 8%. M 2,50.
Woyte, Curt: Antike Quellen zur Geschichte der Germanen. Erster Teil:
Von den Anfängen bis zur Niederlage der Cimbern und Teutonen
[= Voigtländers Quellenbücher, Bd. 15]. Leipzig, R. Voigtländer 1912.
83 S. 8. A 0,70.
ze und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Weimar.
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.
Verlag von Friedrich Andreas Perthes A.-G. Gotha
Soeben ist erschienen:
Quellenkunde
der deutschen
Refiormationsgeschichte
Von
Gustav Wolf
Erster Band:
Vorreformation und Allgemeine
Reformationsgeschichte
Preis: geheftet 16 Mark
Zu beziehen durch jede Buchhandlung
Reformationsgeschichte (Quellen und Denkmäler)
Quellen und Forschungen zur Geschichte der
Reformation. Von D. Theodor Brieger, ordentlichem Professor
der Kirchengeschichte an der Universität Leipzig.
I. Band: Aleander und Luther 1521. Die vervollständigten Aleander-Depeschen
nebst Untersuchungen über den Wormser rar
1. Abteilung. Die Depeschen Aleanders 1520—1521. XVI u. te 8°,
Analecta Lutherana. briete und Actenstücke zur Geschichte
Luthers. Zugleich ein Supplement zu den bisherigen Sammlungen seines
Briefwechsels. Von D. Theodor Kolde, ord. Professor der histo-
rischen Theologie an der Universität zu Erlangen.
XVI u. 479 S. M. 4.—
Briefe und Acten zu der Geschichte des Religions-
gespräches zu Marburg 1529 und desReichstages zu Augs-
burg 1530, nach der Handschrift des Joh. Aurifaber nebst den Be-
fichten der Gesandten Frankfurts a. M. und den Regesten zur Geschichte
dieses Reichstages herausgegeben und bearbeitet von Friedrich Wil-
heim Schirrmacher, Professor an der Universität Rostock.
XXIII u. 575 S. M. 3.—
Die Augsburgische Konfession ıateinisch una
deutsch, kurz erläutert von D. Theodor Kolde. Mit fünf
Beilagen. 1. Die Marburger Artikel. — 2. Die Schwabacher Artikel. —
3. Die Torgauer Artikel. — 4. Die Confutatio pontificia. — 5. Die
Augustana von 1540 (Variata).
VII u. 230 S. 2. Aufl. M. 4.50; geb. M. 5.50
Beiträge zur Reformationsgeschichte. Herm
Oberkonsistorialrat Professor D. Köstlin bei der Feier seines siebzigsten
Geburtstages ehrerbietigst gewidmet von P. Albrecht, Prof. D. Brieger,
P. D. Buchwald, Prof. D. Kawerau, P. Lic. Koffmane, Prof. D.
Kolde, Prof. Lic. Dr. Müller, Prof. D. Rietschel, Prof. D. von
Schubert. VII u. 228 S. M. 5.—
Wegweiser zur Quellen- und Literaturkunde
der Kirchengeschichte.
Eine Anleitung zur planmäßigen Auffindung der literarischen und monumen-
talen Quellen der Kirchengeschichte und ihrer Bearbeitungen.
Von Lic. Dr. Eduard Bratke.
VI u. 282 S. 8°. M. 2.—
Verlag von Friedrich Andreas Perthes A.-G. Gotha.
Deutsche Geschichtsblätter
Monsatsschrift für Erforschung deutscher Ver-
gangenheit auf landesgeschichtlicher Grundlage
XVI. Band Mai 1915 5. Heft
Eindrücke vom Kurfürstentag zu Regens-
burg 1630
Auszüge aus dem Tagebuch Christians II. von Anhalt
Mitgeteilt von
Hermann Wäschke (Zerbst)
| II. $) |
11. Juli] Ich habe den Churfürsten von Mainz durch Hptm.
Knochen besuchen lassen und ihm gebührlicher und höflicherweise
freigestellt, wann er mich besuchen wollte, wiewohl es gar zu viel
wäre, daß er sich so viel gegen mich demüthigen sollte. Er hat sehr
höflich geantwortet, aber sich noch nicht recht erklärt, die weil er
gestern vergebens in mein Haus geschickt. Bei der Kays. Tafel auf-
wartend, habe ich wiederum meine Stelle genommen, und Ihre Maj.
haben mich erst heißen den Hut aufsetzen, darnach dem Florentiner
Gesandten. Wie Ihr. Maj. hatten getrunken das erste Mal, ging ich
hinweg mit meinem Bruder. — — Herzog Franz Julius von Sachsen
hat mich in der Anticamera angesprochen. Item der Oberst Haus-
mann und andere Cavaglieri.
Heute Abend bei der Vesper haben wir Ih. Kays. Mayt. auf-
gewartet. Jai cause avec le Comte Slawata, qui ma conté d’avoir
été quatre fos en danger de vie, comme il fut jété par la fenêtre à
Prague; la première comme il tomba sur la pierre de la fenêtre plus
basse sous celle, dont ù fut jété; et se fit grand mal au chef. La se-
conde, tombant de là sur les pierres, qui étaient en bas sur la terre et
point du papier comme on nous a voulu à croire bien serré sur son
visage, la 3. tombant du bas encore à cöle jusque à rouler dedans le
fossé, la première chüte de la fenêtre en terre estant de 32 aünes, la
seconde du rempart au fossé de 20 aünes. La 4. S’dant en tortille es
chütes dans son manteau, ainsi quil fallut s'étouffer dans le fossé, si
Schmeschantzky ne laurait développé et oint de baümes, ainsi que
I) Der erste Teil findet sich oben Seite 57—76.
— 104 —
Dieu Ta miraculeusement conservé avec ses compagnons. Il me conseilla
si Vobligation sur les Bohcmes était écrite ou assignée in solidum, que
nous nous en devrions prévaloir et de nous attaquer à un seul comme
Terschka, lequel était encore en vie æ avait bien les moyens de nous
payer. — Le Conte S. est maintenant Grandchancelier de Bohème.
12. Juli] Dieweil Mariae Magdalenae Fest heute einfällt, als
haben wir Ih. Kays. Maj. aus der Kirche gehend allerunterthänigst
aufgewartet, dabei der Spanische Extraordinary Ambassator auch ge-
wesen, der Duc d’Oria [Doria], ein Genueser, ein wackerer Cavalier,
commandirt 18 Galeeren allda und hat sich gar höflich gegen mich
erzeigt, auch viel Gutes von mir geredet. Ich ging neben ihm vor
dem Kaiser und dann vor dem König her aus der Kirche, und nach-
dem ihn der König aufsetzen heißen, hieß er mich’s auch. Er wußte
mir keine Gewißheit von dem Köngl. Beilager zu sagen, nur allein,
daß wegen der eingefallenen Pest in Italien die Köngl. Braut so lange
sich aufhielte, sonst wäre sie vorlängst schon heraus gekommen. Er
könnte nicht wissen, was sie für einen Weg heraus nehmen würde,
dasselbe stünde bei deren Disposition, welche bei der Königin wären
und alle zufallende Umstände erwägen können. Er sagte auch, er
freuete sich, der deutschen Chur- und Fürsten Grandezza Alemana
allhier zu sehen. Sonst, da ich seinen schönen Palast, den ich in der
strada nova in der Stadt Genua gesehen, sehr lobte, gefiel es ihm
wohl und bekannte er selber, es wäre kein schönerer Palast in ganz
Italien, oder doch über einer nicht.
Mein Canzler, D. Müller, ist bei dem Brandenb. Gesandten
abermals gewesen. Dieselben rathen, man solle in specie nichts beim
Churf. Collegio suchen, sonst möchte man eine ganz abschlägige Ant-
wort bekommen und die Sache mehr verderben als gut machen;
es wäre besser, man ließe es also în suspenso, bis etwan Gott durch
den König in Schweden ein ander Mittel drein schickte, und solches
hätten . die Chursächs. Gesandten ihnen, den Brandenb., auch gerathen,
sonst möchte man dadurch dem ganzen Evangel. Wesen ein Präjudiz
zuziehen. Jedoch, wenn wir es begehrten, so wollten sie gern in
genere die Sachen dem Churf. Collegio vortragen. —
Heute Abend haben Ih. Kays. Mayt. Churcöln und Churbayern
zu Gaste gehabt gleich wie gestern Churmainz und Churtrier, in
der Kaiserin Zimmer, welche etwas mit Schwachheit beladen ist.
Zeit[ung]: daß der Schwede Rügen gar gewiß eingenommen
habe, wie auch Wolgast, welches zwar noch ungewiß sein soll; er
soll auch mit 2 Armeen auf 50000 M. stark ans Land gesetzt haben.
— 105 —
13. Juli] — — — Churmainz hat mich heute früh durch einen
von Adel, seinen Rath, besuchen und mir sagen lassen, er wollte um
3 Uhr nachmittags, da es mir gelegen wäre, zu mir zu kommen etc. —
Churcölln haben meine Leute wieder nicht gefunden. — — —
Der Churfürst von Mainz hat mir die Ehre gethan und mich in
meinem Losament besucht, mit großer Höflichkeit. Entre autres il
dit, que le Roy de Suede aurait pris toute Tile de Rugen, mais rien
en terre ferme. Quil était destitue Targent. Qu’il s'est plaint aux
Electeurs de ce qwils n’auraient donné son juste titre et cependant ils
lui auraient écrit Regi Suevorum etc. ayant peut-être obmis Vandalorum
ou Finlande par ignorance, pas par malice. Qu’il souhaitait au Général
de Friedland et à ses gens d'être en un lieu (da ihm wohl wäre), c'est
à dire ou hors d Allemagne ou en Paradis, étant tous les états @ Alle-
magne las de la guerre. Que l'Empereur avait envoyé aujourdhui une
replique contre la declaration des Electeurs sur la proposition. Que
lui, ÜElecteur, était las de cette diète, souhaitant un bref retour. Que
le Duc d’Oria (Doria), Ambass. extraord. d Espagne, vivait en Prince,
voir en roi très splendidement, VElect. Payant visité hier en sa maison,
après que lui avait été premierement au logis de Mr. V Elect. de Mayence
le voir. Qwil ne fallait pas croire à toutes les nouvelles de Ratisbonne,
car selon les passions des personnes elles sonnaient. Il s’excusait, de ne
m’avoir visité plutôt à cause de mon voyage de Hilpoltstein, qw'il avait
cru, s’etre fait à Neuburg. Quant à mes afaires, que je l'avais prié de
recommander à V Emp., il ny manquerait pas, lors qwil saurait mon ex-
peditim auprès des Con”? de Sa Maj. et du Reichshofrath.
Des Churf. von Köln Oberkämmereramts Verwalter hat Hptm.
Knochen, den ich nunmehr zum 5. Male hinschickte, gar froide mine
gemacht u. s. gnädigsten Herrn gegen Abend nicht molestiren wollen.
Axt ist auch einmal dagewesen, also daß ich in wenig Tagen sechs-
mal hingeschickt habe, u. meistentheils ist der Churf. nicht zu Hause
gewesen, wiewohl es scheint, daß sie böse darauf sind, daß ich den
Churf. nicht eher besuche. Meine Negotiationes, Kays. Königl. Au-
dienzen sind natürlich vorgegangen.
14. Juli] Heute Morgen habe ich abermals Hpt. Knochen
zum Churf. v. Cöln geschickt, welcher sich gar höflich gegen mich
erboten, um 9 Uhr zu ihm zu kommen, welches ich auch gethan und
bin an der Stiege von ihm empfangen worden. Er hat mir auch die
Oberstelle gegeben und mir gar freundlich zugesprochen, sich ex-
cusirt, daß meine Leute ihn nicht gefunden, mir condolirt und gratu-
lirt, auch mich wieder bis an die Stiege begleitet. KSes discours son-
gt
— 106 —
naient le désir de la paix, que voulait promouvoir de tout son pou-
voir. Que Sa Maj. wavait pas suivi lon conseil, Tavoir commencé la
guerre en Italie et de s'être chargé tant d’ennemies sur les bras. Que
le roi de Suede était dégoûté à cause du pays de Mecklenbourg. Qwil
fallait ôter causam mali, c. à. d. le Duc de Fridlande et son armée.
Que nous étions plus miserables que les états de Hongrie ou de Bohème
lesquels étaient encore convoqués aux Diètes de leurs pays pour contri-
buer à U Emp. avec ordre, mais nous, électeurs et princes de l'Empire,
serions contraints par les contributions extraordinaires, que les soldats
nous prenaient par force et sans ordre, sans nous convoquer aux Diètes
de devenir chétifs. Ft Elect. craint, que des excès contre les consti-
tutions de VEmpire tireront après soi la coutüme et la conséquence à
notre grand préjudice. Il s'imagine, que la Principauté d Anhalt a
été fort épargnée, mais il se trompe en cela et je lui ai montré le con-
traire. Pour lédict il dit, que Emp. vise en Vexecution d’icelu la
justice et que la paix de Passau a été extorquee par force à Emp.
Ferdinand I., mais que la réunion des protestants à la Religion Ca-
tholique Romaine ferait le vrai remède et moyen, qwalors le Pape par
le pouvoir, que Dieu lui a donné, pourrait permettre les Evêchés à ceuz,
qui les possèdent maintenant, si la conscience ne leur dictait autrement,
et qwil faudrait, que Elect. de Saxe même perdrait trois Evêchés
principaux, qwil avait confisqué après la paix de Passau. Que lElect.
de Saxe wavait point de contract particulier, touchant ses biens Ecclé-
siastiques, mais quà Mühlhausen il aurait eu une promesse de Sa Maj.
Imp. et des Electeurs non seulement son particulier, mais aussi au
nom de tous les Evangeliques, de ne les point inquiéter aux biens Eccle-
stastiques confisques avant la paix Passavienne, mais que pour les autres
on se servirait de la voie du droit et legitime connaissance etc. Qu’alors
l Elect. de Saxe avait rendu de très grands services à Sa Maj. et cette
promesse ne deroyait en rien Védict. — Que le roi de Suede etait dé-
stitue dargent. Que si le Turc venait nous attaquer nous étions telle-
ment déstitué de tous moyens, que nous ne pourrions assister V Emp.
contre le Turc ains donner en proie toute T Allemagne.
15. Julil Heute Morgen habe ich zum Churf. von Trier Hptm.
Knochen geschickt, gegen den er sich sehr höflich bezeigt, meines
Hn. Vaters sel., auch meiner gar höflich gedacht und mir zwischen
2 und 3 Uhr nachmittags die Stunde ihn zu besuchen genennet. Er
hat gegen H. Knochen meinen H. Vater sel. hoch gerühmt um seines
hohen Verstandes u. mit ihm drei Jahre lang gepflogener guter Corre-
spondenz willen, hielte davon F. G. sel. hätten den Ruhm des aller-
— 107 —
weisesten Fürsten im Reich mit sich in dero Grab getragen u. wäre
ihm, dem Churf. leid, daß er nicht noch vor I. G. sel. Ende sich
mit derselben besprechen u. Abschied von derselben hätte nehmen
können. —
Der Kaiser begeht das Fest St. Jacobi heute. —
Ich bin nachmittags zum Churf. von Trier gefahren, er heißt
Philipp Christoph !), hat sich der alten Bekanntschaft erinnert, viel
gute Gespräche mit mir gehabt. —
Unter anderm auch von der Religion, da er dann gesagt, man
solle mit beten u. Glimpf die Leute bekehren u. keinem der Religion
halber Feind sein; er hielte nichts von denen, welche einen um der
Religion willen sein Land nehmen u. ihn mit dem Schwert bekehren
wollen. Mansfeld hätte barbarisch und unchristlich gehandelt, Fried-
land hätte es von ihm gelernt, er thäte desgleichen.
Der Kaiser reizte sich gar zu viel Feinde auf den Hals. Es
könnte in der Länge keinen bestand haben. Frankreich u. die Staaten
säßen wohl stille, wenn man sie nicht unnöthiger weise reizte. Er, der
Churf. müßte es hernachmals auch entgelten.
Schweden hätte zwar gar einen bösen affectum u. wäre übel
disponirt, hätte aber neulich die Insel Usedom über die Insel Rügen
dazu noch eingenommen, darüber der Kaiser gar traurig wäre.
Er lobte meinen sel. Hn. Vater fast sehr wegen seines hohen un-
vergleichl. Verstandes und daß sie ihn auch darin leuchten lassen,
daß sie dero Lande conservirt und in des Kaisers devotion bis an
dero Ende beständig verharret waren. Er, d. Churf., hätte sich einmal
gegen Rustorfen offerirt, für König Friedrich ?) einen Fußfall zu
thun, zum Kaiser auf seine selbst eigene Kosten zu ziehen u. ein
30000 Thir. daran zu wagen, aber man hätte es nicht acceptiren
wollen. Ingleichen hätte er Dr. Pastorn als Abgesandten von Chur-
pfalz prophezeiet, daß es ihm also ergehen würde, wenn er die Köngl.
Böhm. Krone acceptirte etc. sed frustra; wäre noch damit ausgelacht
worden. Wünschte höchlich den Frieden, beklagte sein ungütlich
Tractament, so er im Stift Speyer erleiden müssen. Die Execution
des Kays. Edicts verstände sich nur bloß auf die geistl. Güter, so
nach dem Passauschen Vertrag eingezogen worden wären. Was welt-
liche Fräuleinstifte betreffe, die könnten den Jesuiten nicht zukommen,
sondern nur allein den Fräulein, die katholisch u. Stand des Reichs
1) Ph. Chrph. v. Sötern [1623—1652].
2) Gemeint ist Kurfürst Friedrich von der Pfalz, der König von Böhmen.
— 108 —
sein könnten, der ersten fundation gemäß. Er disputirte auch von
der Religion gar moderate. Begleitet mich hinunter ins Haus, im hin
u. her fahren u. gab mir höflich die Oberstelle.. Condolirte mir u.
gratulirte mir auch sehr treuherzigerweise. — — —
Nachrichten über die Fortschritte der Schweden an der pommer-
schen Küste, doch nur gerüchtweise.
In Berlin stirbt’s an der Pest ums Schloß herum, wie auch zu
Leipzig u. in der Mark. —
16. Juli] Nach Hofe bin ich geritten. Schlechten Trost von
dem Hofkammerpräs. Preuner erhalten, wie nämlich I. Maj. es bei
voriger Resolution bewenden ließen; ich sollte selber Mittel vor-
schlagen oder mich an den Herzog von Friedland weisen lassen,
denn I. Kays. Maj. bedürfen dero Kammergefälle selbst. —
In der geistl. Güter Sache habe ich auch wegen derer Erledigung
schlechten Trost erlangt, sintemal mir nun mehr zum dritten Mal ver-
sprochen worden, daß diese Sachen sollten im Reichshofrath erledigt
werden. Es ist aber nichts daraus worden u. man muß allhier liegen,
sich lento igni zu consumiren, damit man sich wohl ausmatte u. ver-
zehre, weil sie mit den Attentaten u. Executionen fortfahren u. unser-
einen nichts ausrichten können, damit das Kays. Edict wegen der
geistl. Güter Einziehg. exequiret werde. Vorstellungen von Gauklern
u. Springern (des bäteleurs et sauteurs), die sehr angesprochen haben. —
Mon chancelier a été chez les Ambass. de Saxe, mais il wen a
pas rapporté, sinon response (!) generale, et il semble, qu'üls ne se
veuillent mäler de nos griefs, remettant à notre volonté, si nous vou-
lons requérir tout le collège Electorale par quoi nous gäterions plutôt
nos affaires et offenserions Sa Maj. Imp., à laquelle seule nous avons
eu recours au commencement.
Auprès des Electeurs de Brandenb. il fut dernièrement mieux
vu, mais ils conseillèrent, qwon ne devait tant presser la reponse, car
on préjudicierait plutôt aux affaires de tous les Evangeliques par un
plat refus, que de les laisser en suspens ou en la voie du droit jusquà
ce que les affaires ayant une autre face par les victoires du Roi de
Suede ou autrement etc. etc.
Ich bin gegen Abend hinaus spazieren gefahren bei dem Oöl-
nischen Quartier vorüber und im hereinfahren ist mir der spanische
Botschafter mit einem prächtigen Comitat begegnet, hat sehr höf-
lich sich erzeigt, am ersten den Hut vor mir abgezogen, seinen Wagen
am ersten halten lassen u. gewollt, ich sollte am ersten fortfahren,
mir auch gar höflich zugesprochen, wo ich hinführe u. dergl. Ich
— 109 —
hatte gar wenig Leute bei mir, nur 2 auf der Kutsche u. 4 zu Roß
hinter derselben sammt 2 Lakaien. NB. Ich halte diese große Cour-
toisie für eine Erinnerung, daß ich ihn besuchen sollte. —
Diesen Abend spät ist mein Bruder Friedrich, mit Hn. Casp.
v. Starhemberg, einem wackern rührhaftigen Herrn, Raken u. den
beiden Pagen Lythauen u. Münchausen fröhlich u. wohlgemuth wieder
kommen, nachdem sie in den wenigen Tagen eine schöne Reise ge-
than, München gesehen, dann die Stadt Augsburg, von dannen sie
sich in die neue Fahrt auf den Lech gesetzt, u. aus dems. auf der
Donau, auch Neuburg u. Ingolstadt im herunterfahren gesehen.
17. Julil Ich habe zu Churbaiern Knochen zwei mal ver-
gebens geschickt, weil er nicht inne gewesen. — Der Kaiser ist auf
die Jagd gefahren, ich habe nichts davon gewust, aber auch wegen
der churbayerischen vorhabenden Visite nicht abkommen können. —
Diese ist dan auf abends 5 Uhr angesetzt worden. — ...
Gegen Abend um 5 bin ich zum Churf. von Bayern gefahren,
er hat mir die Oberstelle gegeben, ist im hinaus und hineingehen
mir bis an die Stiege entgegen gegangen u. mir das Geleite gegeben.
Wir’hatten allerhand discours, Ourialia, Recommandationes, It. vom
hiesigen Collegialtag. Beklagte Chursachsens u. Churbrand. Ab-
sag; durch ihre Autorität hätte mehr verrichtet werden können. Dann
sprach er über die Jagd, die politischen Verhältnisse, die uns schon
bekannten Erfolge der Schweden, wünschte sehr den Frieden. —
Wenn er von Bayern sprach, sagte er „mein Land“, wenn von der
Pfalz: „die alte Pfalz“.
Ich gab ihm das Prädicat: „Ew. Durchl. u. Libd.“, bisweilen
eines, bisweilen das andere, zu Anfang u. zuletzt beides zugleich.
Wir setzten die Hüte auf, auf sein vielhaltiges höfliches Geheiß u.
Begehren, (mein Bruder war mit mir). — Er vermeinte auch, im Für-
stenthum Anhalt würde alles noch wohl stehen; ich erklärte ihm aber
unser Leiden u. elenden Zustand. Er sagte auch, ich wäre beim
Kaiser genugsam recommandirt, bedürfte seiner gar nicht, doch offe-
rirte er sich zu allem Guten u. nahm diese Visite sehr wohl auf. Im
hinabgehen sagte der General Tilly zu mir, wir hätten nunmehr
gute Nachbarn, id est, den König von Schweden, wie ers selbst ex-
plizirte. — |
Gerücht von Wallensteins Tode, das keinen Glauben findet. —
Der Churf. von Cöln hat uns den Abend seinen Besuch ange-
sagt. Desgl. hat der Bischof von Osnabrück mir die Zeit zu einem
Besuche genannt.
— 110 —
18. Juli] Zu Hof aufgewartet u. Ihre Kais. Mayst. sind zu Chur
Bayern zu Gaste gefahren, wiewohl der König allein gebeten ge-
wesen. — Ich bin in mein Losament gefahren u. habe Hn. Casp.
v. Starhemberg zu Gaste gehabt, auch des Kaisers guten Theor-
bisten !) gehört, welchen ich vor diesen zu Padua u. zu Sonderburg
gesehen. Er singt gar wohl in die Laute. — Mein Bruder ist mit dem
H. v. Starhemb. nachmittags zu Churbayern gefahren, dem Kaiser
aufzuwarten. — Ich bin beim Bischof von Osnabrück gewesen, der
begehrt Bericht in der Gernrodischen Sache, was ich angebracht.
It. er erbietet sich, unsere Beschwerde dem Kaiser anzubringen, die
Woche in der Audienz der Commissarien. Bekannte auch, daß der
Kaiser ihm Befehl gegeben, Vorschläge zu thun, wie das Stift Gern-
rode möchte ersetzt werden. Je lui proposais nos filles d’Anhalt. Er
sagte auch, was die Aitentata mit Nienburg anlangte, da hätte er
nichts mit zu thun. Er hätte auf Anhalten der Mönche zu Subdele-
girten gemacht He. patrem Stricerium u. Filing, den Offizial von
Hildesheim, die hätten zu Gernrode das Ihrige gethan, dieweil es
notorium gewesen; zu München-Nienb. aber hätte es Metternich u.
Dr. Hemmerle wegen ihrer Administration in Stiften sich unter-
fangen u. sich dessen angemaßet, das ihnen doch nicht gebührt hätte,
darum hätte auch Filing nichts wollen mit zu thun haben. Was
Notorium wäre, darin bedürfte es keines Beweises, was aber könnte
mit Gegenberichten besser docirt worden, dasselbe stände einem Jeden
frei. Ich sagte: Wir begehrten nur Suspension der Sache, bis wir
unser Recht ausgeführt, u. daß man uns erst hören wollte. Er offe-
rirte sich zu aller Willfahrung, fragte nach Ballenstedt, u. als ich
sagte, es wäre unser Stammhaus, da sagte er, Schiera wäre der Her-
zoge von Bayern Stammhaus, u. dennoch ein Kloster, das hülfe nichts
zur Sache, sonst wäre des Passauischen Vertrags halben keine Un-
. richtigkeit. Der Churf. v. Cöln hat s. Besuch auf andere Zeit ver-
schoben. — Starhemb. u. Löben waren abends meine Gäste.
19. Juli) Ich habe durch Axt den Span. Ges. besuchen u. um
Ansetzung einer Stunde zum Besuch bitten lassen. Er hat nach vielen
Anerbietungen, selbst die Zeit bestimmen zu wollen, endlich zwischen
3 u.4 die Stunde angesetzt. Bei Hofe war das gewisse Gerücht, der
König von Schweden habe Güstrow u. Wismar auch eingenommen. —
Mein Bruder F. Friedrich hat s. Abschied vom Kaiser ge-
nommen u. alsbald gar gnädigste Audienz bekommen. — Ich habe
1) Das ist Lautenspieler.
— 11 —
auch zu Hofe mit dem Grafen von Thun geredet, des Königs Ober-
sten Kammerherrn wegen Frl. Anna Maries Sachen. Er hat die Graf-
schaft Hohnstein pfandschillingsweise u. ein Gut dabei, welches Ihr
zuständig, das soll er mit Geld ablösen. Er remittirt sich auf den
Kaiser, wenn es Ihr. Maj. befehlen und schaffen würde, so wollte er
es thun. Man müßte es bei Ihr. Maj. suchen.
Ich bin zum König Span. Ambass. u. Herzoge Carlo Doria
(einem Genueser) mit meinem Bruder gefahren, da er mich dann unten
im Hause durch seinen Sohn annehmen lassen, mich selber an der
Treppe empfangen, mir u. meinen Bruder die Oberstelle gegeben,
in sein herrliches Zimmer durch viel Anticammern geführt, uns mit
ihm niedersetzen lassen u. eine große Stunde mit uns gar amice
conversist, bis ich meinen Abschied genommen. Da er mich denn
bis ganz hinunter, unangesehn meines Bittens u. Protestirens, geführt
u. unter dem Thor ist stehen geblieben, bis ich hinweg gefahren mit
meinem Bruder. Sein Sohn stand bei der Kutsche, bis wir wegfuhren,
wie auch seine Hofjunker.
Ich habe mich nach einem andern Losament umgehört u. nach-
fragen lassen. Meine Sachen, welche im Reichshofrath vorgenommen
werden sollen, sind abermals verschoben u. werden von einer Zeit zur
andern protrahtrt.
Ich habe Wietersheim diesen Abend zum Fürsten von Eggen-
berg geschickt u. um Bestimmung einer Stunde auf morgen bitten
lassen, er hat 10o Uhr genannt, wenn es mir beliebte.
20. Juli] Heute bin ich nach Hof gefahren mit meinem Bruder
Fürst Friedrich, wo wir in des Kaisers Zimmer gesehen den Ob.
Lt. des Colalto, Chiesa genannt (aus d. Görzer Lande gebürtig),
von Ihr. Maj. selbst zum Ritter schlagen.
Der Kaiser saß auf seinem Stuhl, der alte Graf von Pappenheim
hielt d. Schwert (das Reichsschwert hat ein vergüldet Kreuz u. eine sehr
alte Wolfsklinge). Als nun der Ob. Lt. in der Thür niedergeknieet, in der
Mitte des Zimmers auch, wie ingleichen auf dem ausgebreiteten Teppich vor
dem Kaiser, ließ ihn der Kaiser, nachdem es Ih. Maj. von dem von Pappen-
heim genommen, den Knopf am Schwerte küssen, darauf schlugen ihm, dem
Ob. Lt. Ihr. Kais. Maj. das bloße Schwert auf die linke Acssel dreimal also
knieend, darnach sagte der neue Ritter etwas zum Kaiser u. Ih. Maj. redete
= wieder etwas u. gaben ihm darauf die Hand, darauf stand der Ritter wieder
auf, knieete wieder dreimal anstatt der Reverenzen, u. damit war dieser
Actus vollbracht in unsern u. Geheimer Räthe Präsenz.
Den Pater Lemmermann, des Kais. Beichtvater, habe ich
heute in der Anticamera zum ersten Male gesehen.
— 12 —
Der alte Fürst von Eggenberg ist jählings an der Cholica u.
Reißen krank worden, als ich ihn um ıo Uhr besuchen wollen, daß
auch darüber die Kaiserin zu ihm kommen u. er nachmittags um
3 Uhr mich bitten lassen unbeschwert als dann zu ihm zu kommen,
wofern es ihm um seiner Schwachheit willen möglich wäre mich zu
hören. Herzog Franz Julius von Sachsen-Lauenb. sagt, er sei
‚ schon 4 Mal in der kurzen Zeit bei ihm gewesen, u. mache nicht so-
viel Ceremonien mit ihm wie ich, ginge nur stracks zu ihm hinein.
Der junge Herzog Ulrich von Holstein, des Königs in Dänemarck
Sohn, soll in kurzem hierher kommen u. stattlich logirt, tractirt und
gehalten werden, auf Kosten des Generals von Friedland, der will,
man soll ihn so stattlich tractiren, als wenn er selbst hin käme. Es
sind seltsame mutationes. Mit dem Tode des Friedländers ists also
nichts. Der Kaiser hat wieder ein Schießen angestellt und ist mit
großer pompa hinausgefahren. Il me semble, quaujourď hui Sa Maj.
Imp. m’a un peu regardee de travers, je ne sais pourquoi, si quel-
quun my a peut-tre disgracie. C'est le cours du monde et des courts
des Grands.
Der Fürst von Eggenberg hat mir um 3 Uhr sagen lassen,
es verhinderte ihn nicht allein seine Schwachheit, sondern auch andere
Zufälle, so ihm oblägen, zu expediren, daß er mir nicht könnte Gehör
verstatten. Er bäte herzlich um Verzeihung, er wolle morgen sehen,
wie es sich mit ihm anließe etc. Mein Bruder F. Fried. hat sich
auf eine vorhabende Reise nach Prag, Dresden und Anhalt gefaßt
gemacht, |
Herr Löw ist bei mir gewesen u. hat abermals geklagt, daß
meine Sachen nicht wären im Reichsrath vorgenommen worden, wegen
der Dänischen und Lübeckschen Sachen.
Auf den Donnerstag aber, vertröstet er, soll es geschehen. Am
Mittwoch u. Sonnabend werde keine Consilia gehalten, weil es Post-
tage sind. Il dit aussi, que les Elect. de Cologne et de Trèves se
sont opposé à la replique de TEmp. ne voulant point se conjoindre
en aucune facon aux Espagnols contre Mrs Les Etats. Et Von crot,
que Mayence et Bavière feront le même. Il y en a, qui sont
d'opinions, que TEmp. ne demeurera encore ici, que 15 jours ou
3 semaines. Mais pour mois, fen doute grandement, presupposant
exemple des années 1622 etc. 1623 où VEmp. demeura ici près d'un
demi an et davantage encore que plusieurs maintenaient le contrarié.
21. Juli] Mein Bruder F. Friedrich ist auf der Post geritten
nach Böhmen u. Prag zu, von dannen aus wird er sich zu Leitmeritz
— 13 —
auf die Elbe setzen u. hinunterfahren bis ins Fürstenthum Anhalt.
H. Knoche ist bei ihm, sein Page Münchau u. noch ein Diener. —
Ich habe mein Losament verwechselt u. bin in das schöne Haus
des Hans Prasch gezogen, daraus ich wöchentlich 50 #_ zahlen
muß.
Nachmittags zum Fürsten von Eggenberg. Nach langem
Warten, da der spanische Gesandte u. dann der Savoyische Agent
vor mir da waren, ward ich hinein gerufen. Der Fürst hat sich auf
~- dem Bett krank liegend höflichst u. höchlichst wegen des lange
warten lassens entschuldigt, hat sich auf mein Anbringen zu aller
Willfahrung erboten, auch dem Reichshofrathspräs. Gr. v. Fürsten-
berg, wie auch dem Reichsvice-Canzler v. Stralendorf sagen lassen,
sie sollten meine Sachen befördern u. bald vornehmen, damit ich
bald könnte expedirt werden. In privatis NB., wäre noch kein rechter
Bescheid ergangen, er wüßte es wohl. H. Preuner wird es nicht
recht wissen. Ich möchte aber dennoch wohl bei H. Preunern darum
anhalten, damit ich in etwas Satisfactian bekäme. Für den Pfalz-
grafen Ludwig möchte ich wohl beim Kaiser intercediren, denn es
wäre doch nur eine Bitte. Für den ältern Pfalzgrafen im Haag,
da nähme sich seiner Chur-Cöln eifrig an, damit er möchte Pardon
bekommen. I. Kais. M. hätten auch auf dessen inständiges Anhalten
erlaubt, daß der Pfalzgraf möchte einen Abgesandten anherschicken,
das möchte wohl einer von Rudorf sein. Jedoch hätten ihm erst-
lich Ih. Maj. etliche conditiones zugeschickt, darauf die Abschickung
sollte erfolgen, welche Conditiones auch der Pfalzgraf sollte approbirt
haben, wiewohl er damals nicht alsobald zur Stelle im Haag gewesen.
Es würde auch ein Franz. Abgesandter Mr. de Lion früher kommen,
wenn er nicht etwa schon da wäre, auch vielleicht ein eng-
lischer. Es gäbe eine Negotiation zwischen Ih. Maj. u. den Churf.
zur Beförd. des allgem. Friedens. Für den H. v. Dona könnte ich
auch wohl bitten, wenn nur dem Stylo nach in seinem Namen eine
Supplikation, wenn auch mit einer andren Hand unterschrieben, bei-
gelegt würde u. meine Intercession dabei, so würde es mehr Nach-
druck haben. Er selbst habe für den Pfalzgrafen Ludwig gebeten,
weil derselbe u. dessen Mutter zweimal bez. Schreiben an ihn hätten
abgehen lassen. Die Nachricht von der Einnahme von Wolgast,
Güstrow u. Wismar durch die Schweden hielt er nicht für wahr,
da die pommereschen Gesandten nichts davon wüßten, dagegen be-
stätigt er die von Rügen u. Usedom. Ich pries dann den Sieg
der Kaiserlichen bezüglich Mantuas als eine sehr glückselige u.
— 114 —
rühmliche Impresa. Er sagte darauf, der Kaiser hätte gar guten Con-
cept von mir, hätte meiner noch gestrigen Tages erwähnt, daß Ih.
Maj. auf dero Beilager zu Innspruck keinen Beistand aus dem Reich
gehabt hätten als mich, wären desselbigen noch wohl eingedenk. Des-
gleichen hätte es auch gar neulich noch die Kais. erwähnt, daß kein
Fürst aus dem Reich dem Kaiser assistirt hätte als ich in derselb.
Occasion u. erinnerten sich oft desselben.
Er bat mich stracks im Anfang, ich wollte ihm nur Occasion
geben mir zu dienen, weil er es im Anfang unterlassen hätte durch
seine Unpäßlichkeit, Unvermögen, Vielheit der Geschäfte u. Mangel
an Occasion. |
Meinen Bruder Fritzen wollte er sich gar gern recommandirt
sein lassen, so wie unser ganzes Haus etc. Offerirte sich im Übrigen
sehr höflich zu meinen Diensten, er möchte krank oder gesund sein.
22. Juli] Schreiben von Ad. Börstel in Paris mit Condolenz u.
der Mittheilung qu’on a en France une copie de la lettre de Sa Maj.
au Duc de Fridland, touchant ma pension.
Heinrich Börstel schreibt, die Amtleute zu Gernrode u. Gr. Als-
leben hätten gewisse Nachricht erlangt, daß die Kais. Commiss. nach-
dem die zur Räumung der Ämter bewilligte 6wöchentl. Frist vorüber,
vorhaben sollten, sie den 13. od. 14. Juli auszustoßen. Es sei darauf
den Amtleuten befohlen, man wolle nicht hoffen, daß die Commiss.,
da die Sache bereits beim Kaiser vorgebracht u. ich in kurzen gnä-
digster Resolution gewärtig sei, solcher Entscheidung vorgreifen u.
präjudiciren wollten. Die Amtleute sollten daher vor gewaltsamer
Ausschaffung bitten u. protestiren u. aus den Ämtern durchaus nicht
weichen, bis sie mit Gewalt heraus geschleppt würden. Der Fürst
sollte beim Bischof von Osnabrück um fernere Inhibition anhalten
(Sed nihil impestrabo). Zu Grimschleben u. Borgesdorf ist Frey-
berger neben seinen Soldaten, weil sie diese Orte mit Gewalt occu-
piren wollen, ausgeschaft. H. B. [Börstel] befürchtet aber, sie dürften
bald stärker wiederkommen u. also, daß wir ihnen nicht gewachsen
sein können, und daß diese Ausschaffg. am Kais. Hofe gehässig
möchte vorgebracht werden.
Der franz. Gesandte u. der junge Prinz von Dänemark sind
angekommen. Künftigen Dienstag wird der Kaiser etliche Tage der
Jagd wegen abwesend sein. — Paräus, Pfalzgr. Ludwigs Agent, u.
Dr. Agricola, sowie des Kaisers Theorbist waren meine Gäste.
Paräus sagt, d. Churf. Colleg. wäre sehr für Restitution des Pfalzgr.
Ludwig Philipp und der Churf. v. Cöln habe neulich gesagt, das
— 15 —
Spanische Volk müsse mit Liebe oder mit Leid aus der Pfalz heraus. —
Schreiben von den H. Vettern, daß Bauern in ihrem u. unser aller
Namen vom Vorwerk Borgesdorf 5 Kais. Soldaten mit ihrem Gefreiten
abgetrieben u. desarmirt haben, coram notario et testibus ohne Prä-
judiz Ihr. Kays. Majst. dieweil derselben Ausschlag in der Sache noch
nicht ankommen u. wie gleichwohl dasselbe von den Kaiser gar übel
aufgenommen wird. It. wie sie mit Gewalt die Beamten zu Gernrode
u. Alsleben ausschaffen wollen etc. Ich solle es wieder gut
machen. —
Mit Wietersheim Ticktack gespielt, was ich seit vielen Jahren
nicht gethan. — Heute ist abermals nichts im Reichshofrath von uns.
Sachen vorgenommen worden. — — —
23. Julil Heute ist der Churf. von Cöln vormittags in mein
Losament zu mir kommen. Unter andern Discursen klagte er über
den Modum procedendi bei uns u. daß man den Prozeß ab executione
anfınge, wie wohl er auch seine Rede auf Schrauben setzte u. sagte,
Kais. Maj. hätten ein hohes Juramentum auf dero Gewissen bei der Wahl
eines Röm. Königs, daß er die Röm. Cath. Religion conserviren u. resti-
tuiren müssen. Einmal wäre es gewiß, der Kaiser könne die geist. Güter,
welche violenta manu den Kathol. aus Händen extorquirt worden,
wohl wieder begehren u. dasselbe wäre der heilsamen Justiz gemäß
rrr. Den modum procedendi aber betr. so sollte man wohl nicht ab
executione anfangen. Kays. Maj. vermeinte vielleicht bei jetziger Oc-
casion einen großen Vortheil gehabt zu haben, dennoch aber könnte
man nicht wissen, wo es noch hinaus schlagen möchte.
Er, d. Churf. hielte dafür, man könnte noch wohl die Sachen ein
Wenig in suspenso lassen, damit ich nicht wider meine Gelegenheit
so lange aufgehalten würde u. so lange ohne Bescheid versehen, auch
unterdessen der rechtliche Austrag der Sachen befördert, der pro-
cessus execulionis aufgehalten, die subdeleg. Commissarien legitimirt
u. alles der Justiz gemäß legitimirt würde, wir begehrten nichts
anders als das Recht u. die Kays. Justiz etc. Er offerirte sich
übrigens zu meinen u. meines Hauses Diensten. Dann sprach er über
die politischen Sachen, war über den schwedischen Einfall nur mäßig
unterrichtet u. sagte dabei: Der General von Friedland habe eine
seltsame Art u. Procedere Frieden zu machen. Er würbe immerdar
noch mehr Volk u. machte darüber seinen Gegentheil so bange, daß
sie sich scheueten Frieden zu tractiren, weil sie solche Verfassungen
sähen. Ihre Maj. wären zwar Kaiser u. hätten eine große Gewalt als
das Oberhaupt, allein daß sie einen jeden Fürsten u. Stand des Reichs
— 116 —
pro libitu sollten zwingen, wie sie wollten, dasselbe vermöchten die
güldene Bulla, die Reichsconstitutiones u. Capitulation auf dem Reichs-
tage gar nicht. — Den Lutherum nannte er den neuen Apostel der
Augsburgschen Religionsverwandten. —
Anstatt daß ich heute, wie ich hoffte, meine Expedition erlangt,
erfahre ich, daß nichts davon im Reichshofrathe vorgenommen worden,
sondern daß unser Antagonist Dr. Hemmerle angekommen u. in
den Rath gefordert worden; der wird uns schwarz genug machen.
Auf den Abend, bin ich zu Hof, allda ich einen Competenzstreit
mit Herzog Franz Julius von Sachsen-Lauenburg gehabt. Endlich
nach vielen Disputiren haben wir uns dahin geeinigt, einer den andern
bei Solenitäten nicht zu nahe zu kommen oder einander auszuweichen,
wenn solennia vorhanden; wenn einer dabei, sollte sich der andere
absentiren. — Der franz. Ges. Mr. de Lion hat beim Kaiser Audienz
gehabt. |
24. Juli] Ich habe noch gestern Abend einen Bescheid aus
der Hofkammer bekommen, wegen meiner Pension u. Anticipation.
Ich sollte selber Ihr. Kais. Maj. Mittel vorschlagen, weil der Herzog
v. Friedland nichts thun könnte aus den Reichsgefällen, die ihm
nicht unterworfen wären.
Morgen soll ich bei Kays. Maj. Audienz haben. — NB. Der
Oberste Hofmstr. Gr. v. Meggau sagte gestern zu mir, meiner
Schwestern eine sollte Röm. Kathol. werden, so könnten wir sie wohl
vor Fremden in unsere Stifter bringen. Allein sie müßten nicht fin-
giren, als ob sie kathol. wären. —
Der Graf von Trautmannsdorf sagte gestern ausdrücklich,
wo Reichsfürsten in Person wären, da müßte man ihnen billig eher
helfen, als den Abgesandten in ihren Anliegen etc. — Dem Fürsten
von Eggenberg habe ich auch meinen Bescheid aus der Kays.
Hofkammer zugeschickt, welcher ihm auch nicht gefallen; er hat sich.
aber entschuldigt, daß er dem Hofkammerpräsid. nichts zu befehlen
habe, offerirt sich sonsten zu meinen Diensten, worinnen er mir würde
gratificiren können. —
Christoph Rieck ist endlich glücklich mit meinen Sachen
von Wien ankommen. Zeitlung] Durch Paräus von Berlin, daß der
Schwedenkönig reißende Fortschritte mache; er habe Stettin
durch Capit. eingenommen, desgl. Greifenhagen, Gartz, Prenzlau u.
von dort die Kais. vertrieben. Fürst Ernst sei in Berlin an-
gekommen. — l
Ich habe heute um 9 Uhr bei Kays. Maj. Audienz gehabt. ı. Sie
— 117 —
erinnert an die Sachen, die ich dem Reichshofrath übergeben, bevor
ab wegen der geistl. Güter u. um Inhibition gebeten der fernerer
Attentaten bis zum restlichen Austrag der Sachen, habe auch des-
wegen eine Supplikation übergeben. 2. So habe ich wegen Pfalzgraf
Ludwigs angehalten, damit er zur Restitution seiner Lande möchte
in Betrachtung seiner Unschuld gelangen. 3. So habe ich für
H. Chrph. v. Dona so schriftlich als mündlich intercedirt. 4. So
habe ich den Kays. gratulirt wegen Eroberg. der Stadt Mantua u.
mich der allergnädigsten Audienz allerunterth. bedankt.
Ad. ı. Ihre Maj. wollten die Billigkeit verfügen u., was Recht
sein würde, gnädigst verordnen.
2. Auch sich sowohl in dem 1. als 2. Punkt allererst informiren
lassen. Ich mußte nur fleißig bei der Reichscanzlei sollicitiren.
Fragte gar fleißig danach, was es für ein Pfalzgraf wäre, da ich auch
mit inferirte, er wollte sich gern verbeirathen u. nicht in das Luder-
leben gerathen etc., welches er wüßte, daß es dem Kaiser bei jungen
Herrn mißfiele, darob der Kaiser lachte und sagte, er wollte es reif-
lich berathschlagen u. ihm Nachricht von meiner Intercession zugehen
lassen. 3. In dem 3. stellte er es auch auf Information u. Nach-
dencken u., was sie würde thun können, dasselbe nicht unterlassen.
4. Da bedankten sie sich für meine Gratulation u. guten Wünsche. —
Nach mir hatte des Königs von Dänemarck jüngster Sohn, Herzog
Ulrich Audienz. — Ich habe die Bekanntschaft des Gr. Georg Albr.
v. Erbach gemacht, welcher in seiner Jugend zwischen Malta u.
Sizilien von türckische Seeräuber gefangen worden, desgl. habe ich d.
Ob. Gr. v. Sulz gesehen. Paraeus war bei mir zu Gaste. — Der
Churf. v. Bayern will mich um 4 Uhr besuchen. — J’ai écrit an
die Pfalzgräfin Wittwe nach Berlin, an den Herzog Louis Philippen,
an Chrph. v. Dona etc.
Beim Besuch des Churfürsten v. Bayern ward wiederum viel
über die politische Lage gesprochen u. war er mit den getroffenen
Maßregeln nur wenig einverstanden, war übrigens nicht der Ansicht,
daß der König von Schweden viel Erfolg haben werde, u. tadelte,
daß man es stets bis zum Äußersten kommen ließe. Das Reich
würde dadurch ruinirt. Er war sonst auch gar freundlich u. höflich
gegen mich, wie es denn ein leutseliger, sachverständiger, beredter
u. feiner tugendsamer Herr ist u. ist wohl an Tugend u. Qualitäten
ein rechter Bruder des Churfürsten von Cöln. Er hält sonst einen
stattlichen Hof u. hat viele Leute bei sich, aber es geht alles sehr
still zu.
— 118 —
25. Juli) An Gehring in Nürnberg in Geldsachen ge-
schrieben. — Ich habe zu Hof aufgewartet u. zuvor noch den alten
Fürsten von Eggenberg in meinen Sachen angesprochen, welcher
sich zu aller Willfährigkeit erboten. Auch er sprach viel über po-
litische Verhältnisse u. fand den schwedischen Einfall unmotivirt, denn
die Gründe fand er nicht stichhaltig, u. der Kaiser habe den Schweden
` in seinem Reiche noch nicht molestirt. Er kam weiter auf meine
günstige Stellung in den Augen des Kaisers u. wiederholte das An-
erbieten seiner Dienste. — Der Churf. von Bayern hat einen Hirsch
von 6 Enden geschickt. —
Spazieren gefahren mit Axt, dem Kanzler u. Röder. — —
26. Juli] Einen Besuch beim Herzog von Sachsen!) beab-
sichtigt, dieser hatte aber Abhaltung, er stellte seinen Besuch in nahe
Aussicht.
Der junge Gr. v. Pappenheim, H. Caspar v. Starhemberg
u. H. Sperle, der frühere Wirth, waren Tischgäste, der Kais. Theor-
bist spielte dabei auf. Jai parlé au General Tilly a l Antichambre,
mais sans l'effet attendu.
Der Graf v. Fürstenberg hat mich heute mit Höflichkeit um
Geduld gebeten, weil so viel Kays. Geschäfte in den Weg kämen.
Morgen sollte die Sache vorgenommen werden. Das Cras aber
währet lange. Weil mein Nürnberg. Factor Gehring selbst hier ge-
wesen habe ich mit ihm geredet à cause des gentilshommes du Mar-
quis et lavance dargent.
Zeit. Daß der König in Schweden großen Progreß habe in
Nieder Sachsen.
27. Juli) J'ai envoyé Jean Gehring en poste pour traiter avec
les nobles entre Noremb. et Bamb.
Ich habe mich in Wachs bossiren lassen zu goldenen Contre-
faiten. Mein Stalldiener ist plötzlich erkrankt; Gott beschütz uns vor
der Pest, die jetzt hier herrscht. — Ich habe Wietersheim zum
Besuch zum Prinzen von Dänemark geschickt, er hat es wohl sehr
gut aufgenommen, ist aber im Begriff gewesen weg zu ziehen. —
Johann Löw ist zu mir kommen mit der Vertröstung, unsere
angebrachten Sachen würden zwar erledigt werden u. man hätte heute
einen Anfang zu der Nienbg. Sache gemacht, wir würden aber gar
einen schlechten Bescheid bekommen, denn der H. Hemmerle u.
der Abt von Verden wären uns sehr zuwider u. hätten ihre Docu-
1) Wahrscheinlich der Herzog von S.-Lauenburg, mit dem der Fürst am 23. einen
Kompetenzstreit hatte.
— 119 —
mente produzirt, daß der Abt zu Nienburg hätte auch nach dem
Passau. Vertrage Session in Reichsversammlungen gehabt u. alle Re-
galia etc. Joh. Löw ist zu Mittag mein Gast gewesen, er hat mir
gerathen, mit meiner Gem. an den Kays. Hof zu kommen, wenn der
Schwede käme.
Daß der Herzog von Savoyen gestorben ist, mein erster General
1617 im Piemont. Kriege. Er hieß Carl Iman [uel].
28. Julil Ich habe heute unsern Kanzler D. Müller zum
D. Melander geschickt, der hat seine Antwort ziemlich, wie wohl
höflicherweise, auf Schrauben gestellt. Dann hat er sich meinetwegen
beim Grafen v. Fürstenberg anmelden lassen, welcher sich gegen
ihn, d. Canzler, gar ewrisch (?) gezeigt und es für eine inportunität
aufgenommen. —
Schreiben von Haus durch eigenen Boten erhalten von Vetter
F. Aug. von H. Borstel, ich sollte ja nicht fortgehen u. die Sache
halb unverrichtet stecken lassen, sonst wäre es die Ruin unseres
Fürstenhauses. F. Ernst würde erst. auf Barthol. aus Pommern
zurückkommen. Die Papisten legen bereits Contributionen aufs Stift
Gernrode, da doch solche zur Erbvogtei gehörig sind. —
In Rudolstadt herrscht die Pest, wie die Frau Muhme
schreibt — — —
Ich habe durch Axt die Chursächs. Gesandten besuchen lassen
u. eine Zusammenkunft begehrt, welche sie zwar höflich auf morgen
abgelehnt u. sich entschuldigt, daß sie wegen vielfältiger Geschäfte
nicht eher zu mir kommen könnten, wie es ihre Schuldigkeit er-
forderte. Ich habe wieder einen gemeinen Diener hingeschickt u.
antworten lassen, ich hätte zwar verhofit, sie heute zu sehen, weil
aber ein eigener Bote mit wichtigen Schreiben von Hause eben an-
kommen, so wollte es meine Gelegenheit heute nicht wohl leiden.
Stellte es aber dahin, ob sie morgen wollten einen anher schicken
u. mir die Zeit nennen lassen, wo es ihnen gelegen wäre, mich zu
“ hören, oder ob ich einen der Meinigen zur Beförderung der Zusamen-
kunft zu ihnen schicken sollte.
Jai commencé à ne boire pas (sans durée longue).
Es ist eine Ordnung hier zu Regensburg gemacht worden
wegen des vielfältigen Überlaufens der Bettler und Exulanten, daß man
in eine Almosenbüchse wöchentlich etwas giebt (jeder Fürst und
Stand wer da will) und dieselbige wird dem Rath consignirt, damit
die armen Leute dorthin gewiesen u. bei jetziger Contagionszeit einen
nicht also anlaufen und etwa Böses bringen. —
9
— 120 —
Der Spanische Gesandte Herzog v. Doria hat mich in meinen
Losament besucht. Ich habe ihn am Thor meines Hauses empfangen,
auch ihn wieder hinunter an die Kutsche begleitet. Sein Sohn war
bei ihm, ich habe demselben weder die Oberstelle gegeben noch ihn
mit ins Gemach gehen lassen. Er hats auch nicht begehrt. Das
Gespräch drehete sich selbstverständlich um die polit. Verhältnisse,
namentlich aber um den Tod des Herzogs von Savoyen u. dessen
Familie. |
Mio consiglio nel affare della pensione [von Savoyen] ch'io dovessi
scriver due lettere al Duca Vittorio di Savoya, l'una condolente sopra
la morte del padre, Taltera ricordandolo alla pensione promessa del
padre in ondeci annı e domandar che cosa se ne debba sperare, se lo
vuol continuar o se si deve, ritrarne qualche benefizio o miente, o se si
debba rimandargli Vobligazione etc. Diceva, che volesse poi raccomman-
darlo al Agente del Rè in Torino, per ritrarne la riposta. S’egli fosse
stato meco all’ hora ch’io hebbi la pensione, m’haria consigliato di farmi
incontinenti assignare ad una intrata certa per riscuotere gli denari di
qualche beni, di qualche terra, o di qualche dazio per poter riscuoter
sicuramente ogni anni quella pensione. — Parlant de la pension ù dit
. m, l ; |
aussi: Comment 74 Us west pas peu de chose, ni une petite somme,
qu’on devroit negliger. Em onze ans =% doppie font cela.
29. Juli] Ich habe die Chursachs. Gesandten besucht, Plantz-
dorf, Hohmann, v. Mültitz u. D. Tiesel. Sie hörten mich wohl
aus, nachdem wir uns an eine Tafel gesetzt, bedankten sich für die
Gnade, so ich ihnen angethan, offerirten sich ad referendum an ihren
Herrn, riethen man solle die geistl. Gütersache absonderlich beim
Kaiser u. bei jedem Churfürsten einzeln suchen, nicht beim gesammten
Churfl. Colleg, damit man sich kein Präjudiz in der allgem. Sache
durch einen platten Abschlag zuzöge. Man hätte zu bitten, man wolle
uns nicht überreden, nicht alles also auf die Spitze stellen u. die Ge-
müther im Reich verbittern, sondern auf erträglichere Mittel u. Wege
bedacht sein, damit die Prozesse nicht ab executione angefangen
würden. Nach ihren Nachrichten wäre der Schwede schon in
Schlesien, u. Stettin hätte er gewiß inne.
Sie waren sonst im Reden gar höflich u. machten viel Curialia.
Dr. Tiesel sagte auch, wer da sagte, wir hätten wenig gelitten, der
müßte entweder gar keinen Bericht von der Sache haben oder sehr
malitiosus sein. Man wüßte gar wohl, was das Fürstenthum Anhalt
— 121 —
ausgestanden hätte. Beim hinuntergehen begleiteten sie mich alle
vier bis an die Kutsche. —
Ich habe einen Vogel singen hören: D. Tertz (?), daß wir in der
Nienburger Sache keinen guten Bescheid bekommen würden.
Der Kaiser ist von der Jagd zurück.
Kanzler Müller räth mir, ich solle bei den Geh. Räthen an-
halten, daß uns doch Copei von den eingebrachten Sachen u. ein-
gegebenen scheinbaren Beweißthumben Herrn Hemmerles u. des
Abts von Verden möchte zukommen u. wir mit unserer Gegen-
nothdurft u. Gegenberichten, vermöge aller Rechten möchten gehört
werden in der Nienb. Sache u. nicht übereilt werden. Wir hätten es
verhoffentlich um Ihr. Kays. Mayst. verdient, ich, Bruder Ernst u.
Vetter Aribert, daß man uns solches zugleich nicht abschlagen
könne. Dieweil wir drei deshalben wirklich dienten u. unser ganzes
Fürstenthum an 30 Tonnen Goldes Schaden erlitten, auch sonsten in
Ihr. Kais. Maj. Diensten u. Unterhalt dero Armee fast unsere ganze
Substanz aufgewendet. Mit Gernrode implorirte man Ihr. Maj. Clemenz
u. Gnade u. verhofite derselben in etwas fähig zu werden, auch um
dieselbe sich etwas verdient gemacht zu haben. Man bäte sie, die
H. Räthe möchten die Sachen aufs Beste recommandiren. —
30. Juli] Schreiben vom Präsidenten H. B. daß pat. Mart.
Stricerius stark in unsere Beamten dringt u. will sie ausschaffen.
It. daß ein Fräul. v. Mansfeld soll Äbtissin werden zu Gernrode. —
Heute habe ich in der Anticamera mit dem Obersten von
Kroneuburg Bekanntschaft gemacht, auch Gr. Berthold von Wallen-
stein angesprochen.
Zeitung, daß große Furcht in Pommern vor den Schweden sei,
daß Stettin, Stargard, Wolgast, Rügen, Usedom eingenommen sei u.
daß viel Kays. Volck an der Dessauer Schanze liege.
Ich habe heute gar eifrig um Bescheid angehalten, besond. beim
Grafen von Fürstenberg, der mir zwar gar höflich geantwortet,
aber sich mit des Referenten zugestandener Schwachheit entschuldigt.
J'ai envoye à VAmbass. d’Espagne la copie de la pension de
Savoye. Jai recommandé aux Contes de Meggau et de Traut-
mannsdorf comme aussi à Mr. de Werdenberg mes affaires, afin
que nous soyons ouis devant qu’eire condamné, avec nos exceptions et
demonstrations à Vencontre de ceux de Hemmerle et de VAbbé de
Verden.
Der Churf. von Bayern hat mir wieder ein Stück Wild ver-
ehrt. —
9 Ei
— 122 —
Ich habe nach Hause geschrieben, auch an meine Gem. — Es
hat in der Nacht schrecklich gedonnert, u. ich habe es nicht gehört.
Es ist ein furchtbares Wetter gewesen u. man hat in der Stadt mit
allen Glocken geläutet.
31. Juli] Ich habe mit Wietersheim geschossen. — Dem
Grafen von Fürstenberg 2 Becher von 164 Thlr. Werth präsentiren
lassen, nicht das Kleinod.
Nach Hof gefahren mit dem Sulzbachschen Ges. Mich. Meyer.
J’ai rebu, ayant laissé le boire trois jours durant et bien mangé cepen-
dant comme de contume.
Zeitung, daß der Schwede allbereit bei der Dessauer Brücke
angesetzt habe u. daß große Furcht und Schrecken seinethalben
allenthalben sei.
Graf Georg Friedrich von Hollach hat mich in der Anticamera
angesprochen. In der Vesper habe ich dem Kaiser wieder auf-
gewartet et marchant devant, fai pris sa main droite et la préséance
devant le Duc de Saxe jusqwäa la chambre de Emp. Sa Maj. a été
aujourd hui melancolique et ma regardé fort à travers ce matin et à
ce soir. Peut être que cest à cause de la nouvelle de Suede, dont je
nen peux, mais Sa Maj. a tenu conseil cette nuit jusquà trois heures
du matin.
Ich habe den Brandenb. Gesandten meinen Besuch angekün-
digt, sie haben die Stunde mir zu bestimmen überlassen.
I. August] Ich habe heute Ihr. Kais. Maj. bei der Messe u.
hernach in der Anticamera bei der Mahlzeit aufgewartet, da ich dann
abermals den Fürstenstand vor dem Florentiner erhalten. Sa Maj.
ma regardé de bon oeil aujourd'hui. Le Conte Pandolphe de Mans-
feld mwa voulu couvertir et ma confessé entre autres, que sa file avait
promesse de Emp. d'être Abbesse à Gernrode lorsqgwelle serait en age
de majorennité et en cas qwelle aurait elle même envie de devenir reli-
gieuse.
Nachmittags habe ich dem Kaiser u. König in der Vesper auf-
gewartet u. den Fürstenstand eingenommen.
Zuvor aber habe ich die Brandenb. Gesandten in ihrem Losa-
ment besucht; sie haben mich alle vier unten im Hause an der Treppe
empfangen u. sich gar höflich im Übrigen anerboten. Entschuldigten
sich auch, daß sie in der Anticamera nicht erschienen oder sich sehen
ließen wegen einer Competenz, die ihres gnädigsten Churfürsten u.
Herrn hoher Reputation präjudizirte; wann dieselbige beigelegt wäre,
wollten sie sich darinnen öfter sehen lassen. Sie hätten Befehl vom
— 123 —
Churf. dem Edict zu contradiciren u. dawider zu protestiren, auch den
Evangelischen ihre Jura (so sie dagegen einwenden könnten) zu re-
serviren. In Religionssachen würden die Chursächsischen [sich] zu
keiner Separation der Evangel. verstehen; :. e. daß die Reformirten
ausgeschlossen sollten werden aus dem Religionsfrieden, würden sie
nicht leiden. Man müßte das gewaltsame Procedere mit den geistl.
Gütern nicht gültig sein lassen und seine jura behaupten, so gut man
sie könnte. Der König in Schweden hätte Stettin inne, marschirte
aber gegen den Oderstrom zu, hätte drei Armeen. Ob er schon
übel disponirt sein sollte, müßte er doch vielleicht durch Gottes
Schickung so lange leben, bis er eine mutationem status u. Unglück
im Reiche hätte angerichtet. Die Ungarn movirten sich auch. Es
dürfte noch seltsam zugehen. Sie offerirten sich zu guter Correspon-
denz u. fleißiger Communication dessen, was ihnen zukommen möchte.
Sie heißen Siegmund von Götz, Churf. Brand. Rath u. Canzler,
Ribbeck, Pfuel u. Adam Neßler.
Ich habe Axt zum Französ. Gesandten geschickt, welcher über
allemaßen höflich von mir u. meinen Herrn Vater geredet, auch mir
den morgenden ganzen Tag freigestellt zur Visite, mir auch zuvor-
kommen wollen, wenn er nicht krank wäre.
Gehring ist wiederkommen de Stüber et de Rotenhan. D'un
a été fort étonné, le Stüber, et wa rien fait contre L Emp., Vautre,
Rotenhan, nwa pas seulement été effrayé, mais il s'est aussi mis en co-
lere contre moi disant quil viendrait ici s'excuser envers moi même, que
. Sil avait à faire à un Colonel ou à quelque autre, il y laisserait sa
vie, et qwil wa rien fait contre Emp. Ainsi ils s’opiniätrent sur leur
droit et raison, qu'ils prétendent d'avoir.
Die Chursächs. Abgesandten haben zwei mal zu mir in mein
Losament geschickt u. mich besuchen wollen, so bin ich allemal
außen gewesen u. nicht zur Stelle.
2. August] Ich bin nach Hof gefahren u. habe einen franz.
Edelmann, Mr. de Lormond, mit dem ich bekannt geworden, bei
mir gehabt u. mit mir essen lassen, auch ihn mit mir genommen zum
französ. Gesandten Mr. de Lion des Brularts, den ich um halb
zwei Uhr besucht habe. Er ist ein alter feiner Cavalier, hat mich
auf der Stiege empfangen, mir die Oberstelle u. gar oft den Titel
Altesse gegeben, ich ihm aber nur vous, hat auch bei einer Stunde
lang gar höflich mit mir conversirt. Er sagt, sein König wäre geneigt
zum Frieden, devot u. tugendsam, auch in allem humor unserm Kaiser
gleichförmig, also daß sie wohl mit einander übereinstimmen könnten.
— 124 —
Zudem, so hätte sein König in Frankreich Land u. Leute genug, daß
er keiner andern bedürfe, ja würde viel eher das Seinige entrathen,
als daß er den Frieden in der Christenheit zerstören oder hindern
sollte. — — Meinen H. Vater lobte er trefflich und sagte gwil avait
éte la meilleure tête d’Allemagne auch in großem Ansehn bei den
Französ. Königen. Dann fragte er, ob wir wären verderbt worden in
unsern Lande, u. von der Dessauer Schanze u. lobte die Macht des
Hauses Sachsen, ließ sich auch darinnen in ein Gespräch ein. Den
Kaiser erkannte sein König pour le premier prince de la Chretiente u.
darum begehrte er ihm nirgends keinen Eingriff zu thun, oder aber
auch seine Lehen zu kränken, wie etliche vorgäben u. ombrages machen
wollten. — |
Er offerirte sich trefflich zu meinen Diensten u. war sehr höf-
lich, ging auch mit mir bis an den Wagen u. half mir gar auf den
Wagen hinauf, machte auch sehr viele Complimente u. wie er das
Haus Anhalt so hoch ehrte. Er entschuldigte sich auch, daß er so
einen geringen Train hätte, da ihn der König nur zwei Tage Bedenk-
zeit gegönnet, hierher zu ziehen an diesen vornehmen Ort, da der
Kaiser u. soviele Chur- u. Fürsten zusammen kämen. Will mich
wieder visitiren u. verwundert sich über des Königs in Schweden
Progressen. Dieser Mr. de Lion ist sonst ein sehr verständiger u.
wohlgeschickter, alter glimpflicher Mann. Ist etwas kränklich anitzo.
Er sagte, ich sähe meinem H. Vater sel. gar ähnlich von Lineamenten
oder traits de visage, nur daß sel. Gn. rousseau wären gewesen und
ich blond. — Der Fürst von Hohenzollern hat mir nachmittags
seinen Besuch gemacht u. sich vieler Höflichkeiten zu mir erboten.
Er ist des Churf. v. Bayern Oberhofmeister. —
Lewin Han u. der Ob. Lt. Trota haben mich diesen Abend
besucht, letzterer hat auch mit mir gegessen.
3. August] Ich habe zwei meiner Leute mit 2 Pokalen,
164 Thlr. an Werth, zum Grafen von Fürstenberg geschickt. Er
hat sich gar höflich entschuldigt, das Präsent anzunehmen sich ganz
verweigert, weder für sich, noch für seine Gemahlin u. gesagt, er
könnte es weder vor Gott, noch vor ehrlichen Leuten verantworten,
- wollte sonst dennoch daran sein, daß meine Sachen befördert würden
u. seine Schuldigkeit in Ertheilung der heilsamen Justiz in acht ge-
nommen werde. Man möchte den Präsenten Namen geben, wie mans
wollte, so könnte er doch dieselben nicht annehmen. Hat zum
Höchsten gebeten, ich möchte es ja nicht übel nehmen u. hat sich
sehr cortesisch erzeigt. —
— 125 —
Hans Gehring hat mir Geld verschafft. —
Zeitung, daß der Schwede ganz Pommern inne habe u. Chur-
sachsen Volk würbe. Die Chursächs. Gesandten haben durch Leb-
zelter um Bestimmung einer Stunde zum Gegenbesuch gebeten, u.
ich habe sie um 2 Uhr zu kommen ersucht. Sie sind gekommen u.
haben sich gar höflich offeriert. Sie sagen, der Churfürst habe
noch nicht einen einzigen Mann geworben, man machte ihn nur
durch solche Gerüchte verhaßt.
In Religionssachen wäre es nicht Zeit einiger Separation zu ge-
denken, will geschweigen, davon zu reden. Es müßten nur die Evan-
gel. zusammenhalten. — Ich empfing sie an der Stiege, gab dem
v. Miltitz die Oberstelle, setzte mich ihnen gegenüber u. begleitete
sie im hinausgehen ziemlich weit die Stiege hinunter, dem Churf. zu
Ehren. Abends spazieren gefahren mit dem Kanzler, Löwen u.
Rödern. — Heute hat man sich abermals wegen meine[r] Expedition
entschuldigt, daß der Referent krank geworden wäre. —
4. August] Der alte Graf von Pappenheim, der Reichs-
marschall, hat mich besucht u. die Zeitung mitgetheilt, daß Magdeb.
dem Schweden u. Administratori sich ergeben, 4000 Mann annehme,
u. es lägen nur 250 M. Kais. Volk in der Elbschanze. Der Schwede
hätte 3 Armeen, eine führte er, die andere der Graf von Turn, die
dritte der Oberste Gent. Die Staaten steckten mit unter der Decke.
Wolgast u. Stettin wären erobert.
Les raisons que prétend le Roy de Suede sont: Que VEmp. a
bouché le passage à ses soldats levés année passée, comme ils devaient
aller en Prusse contre Pologne. Car les Allemands osent servir pour
de largent à qui ils veulent, si ce west contre V Empereur ou qwil y ait
une défense et inhibition spéciale de Sa Maj., laquelle n'était pas en-
core promulguée alors. 2. Quon a de ce costé ici intercepté les lettres
Suedoises sans raison et apparence. 3. Qu’on a empêché le Roi de
Pologne de faire la paix tant qu’on a pu. 4. Que même on a envoyé
du secours au Roy de Pologne contre Suède, sous le Colonel Arnheim
Mar. de camp de Emp. 5. Quon a empêché le commerce et le trafic
des Suédois avec les Allemands tant qwon a pu. 6. La ruine d la
déposition des Ducs de Mecklenbourg.
Die Churbr. Ges. haben mich besucht in meinem Losament. Ils
mont relationné tout plein de nouvelles et entre autres, qu’hier ils n'ont
voulu venir au conseil eux et les Ambass. de Saxe, sachant, que les
Electeurs en persorme diraient choses odieuses à Emp. Que l Elect.
de Brand. aurait écrit à VEmp. la prise de Stettin, et que Sa Maj.
— 126 —
ne remediait aux désordres des soldats et pilleries, Mr VElect. même
ne les pourrait plus traiter pour soldats de Emp. contravenant a sa
volonté et ruinant les états de U’ Emp. insolament, ains comme voleurs
et brigands. Ils disaient aussi, que la coutume en la maison Electorale
de Br. aurait été autrefois que V’Elect. recevait au nom de tous le fief,
mais que depuis les Marquis de Br. en Francomie auraient change cette
coutume et auraient reçu les fiefs toutefois en avertisant lElect. et il
les en aurait toujours averti u. also würde es in gesammter Hand
empfangen, mais de Pommeranie Mr. Elect. seul le recevait.
Mit dem reichen Kaufmann Eiermann von Nürnb., der allda
das schöne Burckhartsche Haus besitzt, über den jetzigen status con-
versiri. —
Nauwach, der Theorbist des Kays. war bei mir zum Mittagessen.
5. August] Ich habe heute vormittag in der Kirche dem Kais.
nicht aufgewartet, sondern mich von des berühmten Malers Abr.
Blumart zu Utrecht Sohn abconterfeien lassen, u. als ich nach Hof
gewollt, bin ich eben am Thor den Churfürsten begegnet u. deshalb
nach meinem Losament zurückgefahren.
Eyermann ist zu Mittag mein Gast gewesen. C’est un homme
fort jovial et libre en discours. Einen ohne Hände Geborenen ge-
sehen, der mit den Füßen viele Kunststücke macht. —
In der Vesper habe ich Kays. Mayst. aufgewartet, darin denn
eine überaus liebliche Musik gewesen. Ich habe den Fürstenstand
abermals eingenommen ziemlich weit unterhalb des Königs, dessen
Stuhl ohne das durch einen Abschnitt von dem Fürstenstuhl ab-
gesondert ist. Der König sitzt dem Kays. Thron gegenüber. An
des Kaisers Stuhl unterhalb saßen die geistl. 3 Churf., ich ihnen
gegenüber. In der Mitte der Kirche zwischen der geistl. u. der
weltl. Fürstenbank sitzen die Botschafter, von denen eben der Floren-
tiner auch dazu kam. Im hinausgehen habe ich die Präcedenz über
ihn erhalten u. bin mit dem Kaiser vor dem König her ins Kais. Ge-
mach hineingegangen, damit ich mit dem Florentiner auch in der
Anticamera nicht competiren durfte, denn er hatte die erste Stelle an
der Thür occupirt et ne croyait pas, que j’entrerais tout à fait. Also
daß ich in der Kirchen, vor der Kirchen in dem langen Gang, in
der Ritterstube, in der Anticamera überall die Präcedenz über ihn
manulteniret, u. der Kaiser hat mich auch aufsetzen heißen erst, ehe
er es dem Florentiner Botschafter geheißen.
Der neulich angekommene päpstl. Nuntius hat beim Kaiser
Audienz gehabt. Es soll noch die ganze Liga hier zusammen-
— 127 —
kommen. — Sa. Maj. ma regardé aujourd’hui, de fort bon oeil, mais
à la cour quelques des principautes mont regardé à travers voir mur-
murer assez haut, de ce que je disputais avec le jeune Conte de Bou-
quoy du purgatoire proche de la porte de Emp. durant audience du
Nonce, et nous parlions trop haut, aussi sa matière leur était, dés-
agréable, dont je fus marri et men allai tôt après.
Gr. v. Hollach hat einen Bescheid bekommen, daß er schon
gerechte Sache habe, so wollten doch Kays. Maj. dieweil die Exe-
cution bereits über seine geistl. Güter erlanget, daß es bei der
jetzigen Inhaber Possession gelassen werde unterdessen die Sachen in
Verhör gezogen werden, wie die Kays. Commiss. Befehl gehabt, das
Edict zu exequiren, zu deren Verantwortung es dann gestellet wurde.
Ich gedenke, ich kriege auch einen solchen Bescheid. D. Reichs-
marschall hat mir das Vorstehende referirt. Eine Ladung zu Tische
vom Churf. v. Bayern, habe mich aber entschuldigt mit der tiefen
Trauer u. mit der Sächs. Competenze, habe mich aber offerirt ihm
sonsten aufzuwarten u. gar an dem Tische zu dienen.
6. August] Der Churf. v. Bayern bat abermals den von
Curtenbach zu mir geschickt, viel Höflichkeiten mir entbieten
lassen u. gebeten, ich möchte mich der Competenz halber mit dem
Herzoge von Sachsen erst vergleichen, ehe ich hinkäme, davon der
Churfürst nichts gewußt u. von Herzen darüber erschrocken. Ich habe
zu dem Herzoge den v. Wietersheim geschickt u. ihn ansprechen
lassen, was er zu thun vermeint sei. Er hat aber von seiner Com-
petenz nicht abstehen wollen u. vielerlei eingewendet zur Behauptung
seines Rechts, da es doch kein Competenzstreit der Häuser ist, sondern
ein Personalstreit, dieweil ich ein regier. Herr bin und [er] nicht. Der
von Curtenbach ist zum 3. Male zu mir kommen u. hat mich ein-
geladen, in Gottes Namen zu kommen, weil der von Sachsen außen
bleiben wollte. — Schreiben von Hause. Ich habe den churbayr.
Bancket beigewohnt, dabei die Tractation die vielfältige mancherlei
Musica, die Schauessen, die Gesellschaft, alles miteinander herrlich,
stattlich und ansehnlich gewesen, auch alles gar ordentlich, still, aber
doch prächtig zugegangen. Nachdem wir vor der Mahlzeit in des
Churf. Losament zusammen kommen u. uns nach der Ordnung ge-
setzt gehabt, auch untereinander eine Weile conversirt, sind wir da-
nach zu der Tafel in einem langen Saale gefordert worden, allda man
sich ordentlich gewaschen u. an die lange Tafel sich gesetzt, darauf
wohl bis ein 40 Speisen standen.
Oben an saß der Churf. v. Mainz u. Churf. v. Trier (wegen
— 123 —
der tägl. Alternation mit Cöln) vorm Tisch, der Churf. v. Cöln u.
dems. gegenüber der v. Miltitz, chursächs. Gesandter. Neben dem
Churf. v. Cöln setzte sich der Churf. v. Bayern. Neben dem Chursächs.
saß der Churbr. Siegmund Götze. Bei diesem stand ein Vor-
schneider u. gegenüber ein anderer. Auf der rechten Seite nämlich
vorm Tisch saß weiter unterhalb des Vorschneiders der Bischof von
Regensb. u. ich. Gegen uns über saß der Bischof von Osna-
brück und der alte Fürst von Eggenberg, welcher sich hatte
dahintragen lassen. Neben mir saß ferner der junge Fürst von
Eggenberg u. der Churbayr. Oberhofmeister, näml. der Fürst von
Hohenzollern, gegenüber der Duca di Guastalla. Es ging alles
gar friedlich, ordentlich und sittsam zu, man wurde mit großer So-
lennität stattlich bedient, u. es wurden etliche Gesundheiten heraus-
getrunken, als des Kaisers, der Kaiserin, des Königs, der b. Churf.,
jeglichens besonders, auch aller derer, die dem Hause Österreich wohl
wollten, It. Herzog Albrecht aus Bayern, des hochlöbl. Erzherzog]
Hauses Osterreich où il y a noter, que comme je fis dire par Axt à
TElect. de Trèves, que je luy buvais cette santé il ne demeura pas
debout et incontinent la santé demeura ainsi en suspens, ce qui fâcha
le jeune prince d Eggenberg et il sen plaigna à moi, mais je wen
pouvais. '
Apres le diner on ne demeura ensemble quun quart d'heure et puis
on se départit prenant congé.
NB. Über der Tafel haben die Chursächs. und Churbrand. Ge-
sandten ihrer Herrn Stelle vertreten.
Des lettres de nos princes.
NB. Ch. R(inck?) a dit vouloir vivre 10 années peutêtre encore,
souhaitant ma grandeur cependant.
7. August] Ich bin mit Ihr Kays. Mayst. hinaus hetzen geritten.
In Geißlingen, einem Dorf 3 M. von hier, haben wir Mittagsmahlzeit
gehalten, da mir dann der Kais. die Ehre angethan u. mich auch mit
sich essen lassen. Die Kays., der König, die beiden Erzherz., der
Churf. von Cöln waren auch mit dabei in einem schlechten Bauern-
hause, wiewohl die Tafel mit einem rothen Sammethimmel verdeckt
u. mit einer rothen sammetene Rückwand hinter Ihr. Maj. geziert war.
L’Emp. et le Roi om bu à moi et wont pas voulu, que je demeu-
rasse debout à leur santé, mais je Vai fait et leur ai aussi rendu
obéissance. Sa Maj. ma regardé de fort bon «il ce jour d'hui. Apres
diner le Roi prenant la serviette je pris le bassin et laiquiere et donnai
à laver à les Maj. VEmp. et VImper., mais le Roi ne voulut souffrir
— 129 —
en façon quelconque, que je lui donnasse à laver, P’Emp. men empecha
aussi. Apres les Maj.s. jouèrent aux cartes en la Premiere avec le
Roi et V’Elect. de Cologne, durant ce jeu je me tenais debout derrière la
chaise de Emp. encore que le bon prince me commandät de m'asseoir.
Songe mauvais.
8. August] Hier fai aussi observé, que Imp. parle fort bon
Allemand, ce que je ne savois pas auparavant. Le chancelier Felsch
ma salué à lantichambre de la part du Marg. Christian de Brandenb.
Ich habe auch den Bischof v. Eichstedt zu Hof angesprochen. —
D. Ob. Lt. Trota u. Levin Hane sind meine Gäste zu Mittag ge-
wesen. |
Ich habe nachmittags mit Ihr. Kays. Maj. u. den Herrn Churf.
zugesehen, wie der König u. etl. Cavaglieri zu Ring gerennet. Es
waren an drei Orten drei Ringe aneinander aufgehängt mit blauem,
rothen u. weißem Papier, jeglicher unterschieden. Man durfte nur
das weiße wegnehmen, den ersten Oberring, den zweiten Mittelring
u. den dritten Unterring. Wer in die übrigen Ringe. rannte, dem
galts nichts u. also mußte man in einer Carrière drei Ringe nach
einander wegnehmen. Jeglicher dreifacher Ring hing von dem andern
etwa 20 Schritt u. die Carriera war 170 Schritt lang. Den ersten
Gewinst bekam der König, den andern Roway, ein Ungar, den 3. der
junge Graf v. Pappenheim, den 4. der junge Graf von Eggen-
berg. Die Kaiserin u. die ganze Kays. u. Bayr. Frauenzimmer sahn
auch mit zu. It. der Span. Ambass. u. H. F. Jul. v. Sachs. halfen
mit judiciren, nebst dem Fr. Eggenberg u. Gr. v. Meggau. Ich
blieb beim Kays. der Kays. u. den Churf., der Spanier aber u. der
von Sachsen saßen auf dem Judicirhause mit den Judicirern. Herz.
Albrecht v. Bayern kam auch zum Kais. und habe ich ihn zum ersten
Male gesehen u.’angesprochen. Es ist ein feiner Herr et le plus haut
de ses frères de taille, car aujourdhui je les vis tous les trois ensemble.
9. August] Je me suis fait achever de peindre ce matin, n’ayant
assis chaque fois que deux heures et ceci cest seulement la deuxième
fois, par [Schluß fehlt]
Löben u. Egermann Mittagsgäste. — Ein Schu lenb. u. ein
Rantzau, Kgl. Dänische Abgesandte, haben mich besucht. — J'ai
tiré des armes avec Wietersh. —
Ich habe ein silb. Waschbecken u. Wasserkanne 9 m ı Lth
schwer für Madame gekauft, kostet I04!/; af. |
10. August] Zu Hofe geritten u. den Königl. dän. Abges.
Heinrich Rantzau gesprochen, dann neben Ändern den Grafen Phil.
— 130 —
Reinh. v. Solms, der Wolfenbüttel vertheidigt. — Graf von Schwar-
zenburg, oberster Hofmarschall, hat mich wohlmeinend erinnern
lassen, ich sollte doch auf ein ander mal vor dem Kais. u. König
herfahrend, Cavaglieri von den principalsten Offizieren vom Hof in
die Kutsche zu mir nehmen, denn meine Stelle gönnten sie mir billig,
aber meinen von Adel gebührte nicht, über die Hofcavaliere zu gehen.
Wietersh. sollte es doch glimpflich mir vorbringen etc.-
Rathsverbot des Redens mit den Einwohnern über Relig. Strei-
tigkeit. u. des Verbreitens ungewisser Nachrichten über Kais. u.
Reich. —
Besuch beim Dän. Gesandt. Heinr. v. Rantzau. Er ist ein
schöner langer Mann, verständig u. ein guter Politicus, wir haben lange
gar wohl discurirt. Er hat seinen Gem. bei sich. IL IL me disait
entre autres, que les Elect. ici voulaient demeurer neutres avec le Roi
de Suede. Que VElect. de Trèves était doux prince, qui deconseillait
la contrainte et la force, principalement en ce, qui concerne Vedict. Que
tous les Elect. étaient porté pour la restitution des Ducs de Mecklenb.
Que le Duc de Fridlande avait conseillé au Duc de Wirtemb. de
s’aller plaindre à VEmp. à cause quon le voulait déposséder des biens
Ecclesiast. et que le Duc de Fridlande avait à contreceur l'exécution
de Edict. Que le dit Duc de Fridlande serait cassé du Generalat;
que le roi de Suede prétendait la preseance de tous les rois de la
Chrétienté, devant France, Espagne, Angleterre, Dannemark, voire devant
VEmp. même, sans aucune raison ni apparence, encore que le Roi de
Dan. cédait non à Suède mais aux trois susdits rois.
Que le Roi de Suede se serait saisi de toute la Pommeranie
comme de Stettin, Wolgast, Stargard, Gartz, Greifenhagen et Barth et
nentreprendrait guère plus cet été. — Que ce matin Mr U’ Ambass. (il
m'averti que le frère de Wietersh[eim] est devenu Papiste) ayant
audience avec T Ambass. du Duc de Gottorf à la cour on ne leur aurait
point envoyé audevant une carosse, comme de coutume aux Ambass. des
Rois, ains ils seraient venu en leur carosse même, qwils auraient em-
prunté des Ambass. de Saxe et cela se serait fait, parcequ’ils auraient
eu à traiter des afaires concernantes la principauté de Holstein, fief
de l'Empire et ce ensemble le Roi et le Duc. Or le Roi aussi comme
Duc de Holstein étant feudataire de l'Empire on l’aurait traité en
Prince et non en Roi. Mais une autre fois, quand lAmbass. Rantzau
viendra seul, pour traiter de la part du Roi seul avec l Emp., il attend
honneur accoutumé, qwil a aussi reçu à Vienne. — Man hat mich
abermals vergeblich auf meine Expedition vertröstet.
— 131 —
ı1. August] Ich bin hinaus schießen gefahren zur Scheibe.
Le General duc de Friedlande sera cassé en Allemagne, mais il
demeurera General de Emp. contre le Roi de France et en Italie.
Mais le General de Tilly ira contre le Roi de Suede.
Der Abges. v. Culmbach Casp. von Feiltsch (Feilitz?) hat bei
mir Audienz gehabt u. mit dem Ob. Lt. Trotha bei mir gegessen.
Er vertritt s. Herrn u. den Fränck. Kreis evangl. Theils u. bringt Be-
schwerde wegen der Kriegspressuren u. der Execution des Restit. Edicts.
Sa Maj. a soupiré aux plaintes, mais quant à suspendre l’execution
de Vedict, elle a tourné son visage et a été fâché, comme le chancelier
et conseiller secret du Marquis ma conté.
Heute Morgen habe ich meinen Kanzler zu dem von Mainz, H[errn]
v. Metternich geschickt, in meinem Anbringen zu sollicitiren. Er
hat sich erboten, selbst um Bescheid anzuhalten, damit ich expedirt
werde. — General Tilly, (ob er schon mir drei mal zugesagt, zu mir
in mein Losament zu kommen, mich zu besuchen) hat unvermerkter
weise einen Diener lassen in mein Losament gehen, welcher meiner
Diener einen im Namen des Tillyschen Secretarii fragen müssen, ob
er nicht wüßte, ob ich den Gen. Tilly besucht hätte, id est: cape
tibi hoc! eine höfliche Erinnerg., daß man den großen unwissenden
Herrn erst besuchen solle, sed frustra, es wird wohl dabei bleiben. —
Jai écrit une lettre à ma chère femme.
= 12., August] Gestern Abend habe ich noch in etwas Bescheid
bekommen, näml. in der Sanderleb, Contrib. Sache: dieselbige sollte
mit der Wittib zu Sandersleben communicirt werden, u. in 6. Wochen
sollte sie ihre Nothdurft einbringen.
2. in der Belehnungssache, wenn ich würde wegen meine Vettern
Augl/[ust], Ludw[ig] u. Joh. Cas[imir], sowohl in Vormundschaft der
unmünd. Fürsten v. Anhalt Johannsen u. Georgen Vollmacht, wie
auch ultimae investiturae copias rite collationatas beilegen, so soll als-
dann der gebetenen Lehen halber ergehen, was recht ist. Beides war
von Joh. Söldner unterschrieben. Songe. J’ai commencé de me
préparer à la retraite.
Mitteilung über die Antwort Brandenb. an den Kais. Feldmarschall
Torquato Conti. Magdeburg soll bestimmt in des Administrators
Händen sein. J’ai fait présenter par VAgent Löben au Conte de
Fürstemberg un joyau à la valeur de ca 250 Thl, à Arnoldin un
pocal d'environ 50 Thl. au Secret. Söldner un pocal de 30 Thl., à
Löben même fai donné un pocal de 42 Thl
Der französ. Ambass. Mr. de Lion hat mich um 4 Uhr besucht,
— 132 —
mir große Höflichkeit erwiesen, auch gar vertraulich mit mir con-
ferirt, jedoch ohne Präjudiz des Kaisers, hat mir auch das friedliebende
Gemüth seines Königs zu erkennen gegeben. Ich habe ihn auch
ao 1614 zu Venedig gesehen. Da hat er mich zu Gaste gehabt. Er
sagt, sein König hätte keine Correspondeng mit Schweden, wäre ge-
neigt zum Frieden, darin er, der Ges. viel gearbeitet hätte, wegen
Italien. IL croit, que le Duc de Fridlande ne se laissera ainsi
casser. Que les Elect. sont bons francais. — Que le Roi me donnera
une fois une charge selon Tancienne coutume, qwil fallait redresser
davoir des Princes Allemands en son service. J’y ai acconsenti, hormis
quand ce serait contre Sa Maj. Imp. mon maitre, ce qwil na pas
désiré aussi. Il dit, que le Roi a 25000 bons soldats, qui combattront
contre 60000. Outre ccux-là fantassins il en a encore 10000 moindres
et outre ceux-là il a 5000 bons chevaux. Il me porta beaucoup d’affec-
tion et a fait très honorablement mention de feu S. A. Monseig[neur]}
mon Père. Il ma prié de tenir bonne correspondance de lui, de même
qu’il tiendrait avec moi et avec tous les Ambass. des Princes de l Emp. —
Il ma donné par fois le titre d Altesse, et moi à lui de l Exellence.
Ich habe Löben mit einem Kleinod von 350—360 Thl. Werth
zum Oberhofm., den Grafen von Meggau, geschickt u. Thomas B.
zum Grafen v. Pappenheim mit einem Pokal von etlichen u. 80 ag.
Graf Meggau hat es durchaus nicht annehmen wollen u. es zurück-
geschickt, Pappenh. ist nicht zu Hause gewesen, er hat aber behalten.
Unserm Agenten u. Rath Löben habe ich einen güldenen Gnaden-
pfennig gegeben, welches der erste ist, so ich machen lassen und
weggeschenckt. Er kostet mir 11 Goldkronen, weniger ein Ort, das
er an Golde wiegt. Es sollen ihrer noch mehrere gemacht werden,
aber leichter, zu 8 Goldkronen, zu 9 u. dergl. —
Schreiben von meiner Gemahlin, von Ad. Börstel, (ayant peur
des soupcons) u. ein Condolenz schreiben von Mad. Desloges;
letzterer habe ich gleich geantwortet. (Schluß folgt.)
Mitteilungen
Personalien. — Am ı. März traf in dem Augenblick, da er die
Messe lesen wollte, ein Schlaganfall den ordentlichen Hochschul- und Lyzeal-
professor zu Regensburg, Geistlichen Rat Dr. Georg Anton Weber,
einen eifrigen Pfleger kirchen- und kunstgeschichtlicher Gelehrsamkeit. Am
27. Juni 1846 zu Hammelburg geboren, wirkte Weber 1870—89 als philo-
— 133 —
logischer Gymnasiallehrer zu Würzburg, Augsburg und Amberg, seitdem als
Professor der Kirchengeschichte, christlichen Archäologie und mittelalter-
lichen Kunstgeschichte zu Regensburg, und zwar mit unermüdlicher Hin-
gabe. Sowohl die Kirchengeschichte des Mittelalters als die
christliche Kunstgeschichte erleiden durch seinen Tod einen höchst
empfindlichen Verlust. Denn Weber war einerseits ein überaus gewissen-
hafter Forscher, der, wo er nicht auf eigenen Ergebnissen fußen konnte,
den übernommenen Stoff gründlichst nachprüfte.. So bereiste er kunst-
historischer Studien halber nahezu ganz Europa, auch Kleinasien. Anderseits
verwertete er als gewandter und fruchtbarer Schriftsteller seine Studien
eifrigtt. Von seinen zahlreichen Veröffentlichungen sind auf kirchenhistori-
schem Gebiet zu nennen: „Literae a Truchsesso ad Hosium datae ex co-
dice Augustano primum editae“ (1891), „Die Bildung des Klerus zur Zeit
Karls des Großen“ (1902), „Gamelbert‘“ (1902), „Leo XII.“ (1903),
„Gregor der Große“ (1904), „Die vier heiligen Evangelien‘ (1905), „Die
Reliquien des heiligen Emmeram“ (1906), „Das Grab des heiligen Emmeram‘“*
(1908). Überaus ausgedehnt war seine literarische Tätigkeit für die Kunst-
geschichte: „Til Riemenschneider“ (1874, 3. Aufl. ıgıı), „Albrecht
Dürer“ (1894, 3. Aufl. 1903), „Die römischen Katakomben“ (3. Aufl.
1906; auch französisch 1903), „Regensburgs Kunstgeschichte“ (1898),
„ Die Albertuskapelle in Regensburg“ (2. Aufl. 1908), „Zur Streitfrage über
Dürers religiöses Bekenntnis“ (1899), „Der hlg. Hieronymus (Dürers) “
(1901), „ Dürer-Studien “ (1907), „Fabiola“ (2. Aufl. 1910), „Die größten
Maler und das positive Christentum‘ (1909), „Dürers schriftlicher Nach-
laß“ (1912). Auf verwandtem Felde liegen Schriften wie „Gutenberg und
seine Erfindung‘ (1900), „Palästina-Fahrt‘“‘ (1906), der „Führer zum Ober-
ammergauer Passionsspiel“ (7. Aufl. 1900), seine Mitarbeit am „Allgemeinen
Lexikon der bildenden Künstler“, an „Bayern in Wort und Bild‘ und dem
„Kirchenlexikon‘“. Als Verfasser eines Büchleins über „Die Touristik“ (1902)
hat er auch treffliche Führer für Regensburg und die Oberpfalz, Aschaffenburg
und den Spessart, Würzburg, den Bayerischen Wald geschrieben. Auf seinen
Studienreisen öfters durch geschickte Funde beglückt, hat er auch Albrecht
Dürers verloren geglaubtes Gemälde „Der heilige Hieronymus“ ı901
zu Lissabon entdeckt. — Zu Webers Nachfolger wurde Anfang Mai bestellt.
der Priester Dr. Franz Heidingsfelder (München), bisher ständiger Mit-
arbeiter der „Gesellschaft für fränkische Geschichte“.
L. Fränkel (Ludwigshafen)
Eingegangene Bücher.
Wulffius, Woldemar: Livländische Geschichtsliteratur 1912. Riga, R.
Kymmel 1913. 70 S. 8°.
Zehntbauer, Richard: Gesamtstaat, Dualismus und Pragmatische Saakin
Erweiterter Sonderabdruck. Freiburg (Schweiz), Universitätsbuchhandlung
1914. 73 S. 8°.
Arnecke, Friedrich: Drei zeitgenössische Quelen aus den Tagen der
Gießener Schwarzen [= Mitteilungen des Oberhessischen Geschichts-
vereins, Neue Folge, 21. Bd. (1914), S. 54—65].
— 134 —
Hegemann, Ottmar: Die Gegenreformation in Bischoflack [= Jahrbuch
der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich,
35. Jahrgang (1914), S. 1—80].
Fuchs, Albert: Die Glocken des Straßburger Münsters [= Zlsässische Monats-
schrift für Geschichte und Volkskunde, ı. Jahrg. (1910), S. 385—406].
Körber, K.: Die im Jahre ıgıı gefundenen römischen und frühchrist-
lichen Inschriften und Skulpturen mit 2 Tafeln und 45 Abbildungen
im Text [= Mainzer Zeitschrift, Jahrg. 7 (1912), S. 1—27].
Kühn, Hugo: Das Wartburgfet am 18. Oktober 1817. Mit einem An-
hang: Die Feier des dritten evangelischen Jubelfestes auf der Wartburg.
Zeitgenössiche Darstellungen, archivalische Akten und Urkunden. Hierzu
ı2 Tafeln und 3 Textabbildungen. Weimar, Alexander Duncker 1913.
191 S. 8%. Geb. æ 3,00.
.Missalek, Erich: Der Trebnitzer Grundbesitz des schlesischen Herzogs
im 12. Jahrhundert [= Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schle-
siens, 48. Bd. (1914), S. 241—262].
Rothert, H.: Das St. Patroklusstift zu Soest von seinen Ursprüngen bis
in die Tage der Reformation [= Jahrbuch des Vereins für die Evan-
gelische Kirchengeschichte Wesifalens, 16. Jahrg. (1914/15), S. 1—92].
Sauerlandt, Max: Fabrikmarken und Malersignaturen der Thüringischen
Fayencemanufakturen des XVIII. Jahrhunderts [= Thüringisch-Sächsi-
sche Zeitschrift für Geschichte und Kunst, 2. Bd. (1912), S. 73—89].
Seppelt, Franz Xaver: Nicolaus von Cues und das Bistum Breslau [=
Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens, 47. Bd. (1913),
S. 267—275].
Seraphim, August: August Wilhelm Heidemann, Oberbürgermeister von
Königsberg i. Pr. * 1773, + 1813. Ein Lebensbild. Mit einem
Bildnisse Heidemanns und 10 Beilagen. Königsberg i. Pr., Ferd. Beyer
(Thomas und Oppermann) 1913. 171 und LVI S. 4%. M 5,00.
Ueberhorst, Gustav: Der Sachsen-Lauenburgische Erbfolgestreit bis zum
Bombardement Ratzeburgs 1689—1693 [= Historische Studien, ver-
öffentlicht von E. Ebering, Heft 126]. Berlin, Emil Ebering 1915.
271 S. 8°.
Wolf, Heinrich: Angewandte Kirchengeschichte. Eine Erziehung zum na-
tionalen Denken und Wollen. Leipzig, Dieterichsche Verlagsbuchhand-
lung (Theodor Weicher) 1914. 470 S. 8°. M 5,00.
Clauß, Hermann: Vagierende Exulanten 1630—1689 [== Jahrbuch der
Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich,
35. Jahrg. (1914), S. 133—152].
Oxe&, A.: Die große Juppitersäule im Altertumsmuseum der Stadt Mainz
mit 2 Tafeln und 6 Abbildungen im Text [= Mainser Zeitschrift,
Jahrg. 7 (1912), S. 28—35].
Schüßler: Sendgerichtsprotokolle des 16. Jahrhunderts aus den Gemeinden
Ende, Herdecke, Volmarstein und Wengern [== Jahrbuch des Vereins
> die Evangelische Kirchengeschichte Westfalens, 16. Jahrg. (1914/15],
. 93—113].
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Weimar.
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.
Deutsche Geschichtsblätter
Monatsschrift für Erforschung deutscher Ver-
gangenheit auf landesgeschichtlicher Grundlage
XVI. Band Juni 1915 6. Heft
Zur Erinnerung an Karl Theodor von Heigel
Von
Ludwig Wolfram (Dinkelsbühl)
Inmitten der blutigen Ereignisse, die vor unseren Augen auf den
europäischen Schlachtfeldern geschehen, hat auch am häuslichen Herd
der vor den unmittelbaren Schrecken des Krieges bewahrt gebliebenen
Heimat der Tod nach wie vor sein Opfer verlangt und mit ungewöhn-
licher Raschheit vier hervorragende, eigenartige Vertreter der Ge-
schichtswissenschaft aus dem Leben gerissen: zuerst Reinhold
Koser, den Biographen des größten Fürsten eines deutschen Volkes,
dann Robert Pöhlmann, der berufen war neue, wahrhaft zeitgemäße
Pfade in der historischen Ergründung des Altertums zu beschreiten,
an dritter Stelle einen Mann, der den Genannten persönlich nahestand,
Karl Theodor von Heigel, den Präsidenten der bayerischen Aka-
demie der Wissenschaften, und in den allerletzten Tagen den viel
bewunderten, viel gescholtenen Karl Lamprecht. Unter ihnen
sind Koser und Heigel durch ein engeres Band verknüpft: sie traten
nicht nur äußerlich nebeneinander, indem in dem Gefüge der Biblio-
thek deutscher Geschichte an die Leistung des einen die des anderen
sich unmittelbar anschließt, sondern gerade dasjenige, was beim ersten
Blick als trennend erscheinen mag, der Preuße und der Bayer,
der straffe Norddeutsche und der geschmeidige Süddeutsche, macht
sie zu Ästen aus einer Wurzel, stempelt gerade sie beide zu leben-
digen Beweisführern der Tatsache, daß sich wahrhaft deutsche Ge-
sinnung immer dann am ursprünglichsten und echtesten äußert, wenn
sie aus der Erde des Stammes, dem der einzelne entsproß, ihre
Säfte zieht. Solche Denkart, deren Verfechtung dieser Zeitschrift ihr
Gepräge verleiht, bekundet sich auch allezeit in aufrichtiger gegen-
seitiger Anerkennung ihrer Träger, und es war kein Zufall, daß Heigels
Schwiegersohn nach Kosers Tod „die edelste Verkörperung altpreußi-
schen Wesens“ in ihm gegeben sah. Die edelste Verkörperung
altbayerischen Wesens dürfte ohne die Gefahr einer Übertreibung
10
— 136 —
in Heigel gefünden wenden, und es möge dem: Schreiber dieser
Zeilen vergönnt sein, dem verehrten Manne unter diesem Gesichts-
punkt eben: an dieser Stelle ein Blatt. der Erinnerung zu weihen. Als:
Vertreter bayerischer Geschichisforschung im Rahmen: der allgemein:
deutschen Geschichte hat er den Bestrebungen der Deutschen Ge-
schichtsblätier und der Arbeit ihres Herausgebers von Anfang an rege
Teilnahme entgegen gebracht, und sein Name hat fast sechzehn Jahre
in der Reihe der „Mitwirkenden“ auf dem Titel gestanden.
In München wurde Karl Theodor Heigel am 23. August 1842
geboren, in München lebte und wirkte er, in München ist er am ver-
gangenen 23. März gestorben. Sein Vater, dessen er sich frühe be-
raubt sah,. war Hofschauspieler gewesen. Als Zögling des Hollandschen
Erziehungsinstituts besuchte er das Münchener Ludwigsgymnasium,
ohne daß den lebhaften, frobgemuten Knaben mit seinen dortigen
Lehrern herzlichere Beziehungen verkettet hätten. Wenn er indes:
seinen Ehrgeiz darauf richtete wie in der deutschen Sprache so auch
in der Geschichte sich. hervorzutun, so hatten neben Heigels. natür-
lieber Neigung und Anlage doch sicher auch die wackeren Bene-
diktiner, deren Obhut er anvertraut war, an Belebung solchen Strebens.
ein Mitverdienst. Wie er uns nämlich in dem. Nachruf erzählt, den.
er vor Jahrem seinem Universitätslehrer Giesebrecht widmete, stieß im
dem erwähnten Institut: der Speisesaal der Patres an den der Schüler
an, beide Räume nur durch eine dünne Tapetentüre geschieden, und
da trug es sich zu, daß am: Mittagstische: der. regsamen Mönche Giese-
brechts Kaisergeschichte vorgelesen wurde und auch er dieser Lektüre
lauschen konnte. Im Herbst 1861 bezog er die Hochschule. Nicht
sofort, aber im. zweiten: Jahre seines Studiums erkor er die Geschichte
zu. seinem: Fache und. trat in das historische Seminar ein, das Giese-
brechts Leitung unterstand. An letzterem, den er als Geschichts-
forscher, Geschichtsschreiber und Menschen vollauf zu würdigen. wußte,
gewann er nicht bloß: einen wissenschaftlich: anregenden Führer, son-
dern auch einen treubesorgten väterlichen Freund. Stark fesselten
iha außerdem die „gedankenreichen und formvollendeten“ Vorträge-
von: Karl Corneliusa, den er nachmals. als: chevalier sans peur et:
reproche der Ludwig-Maximilians-Universität feierte. Der Philosoph:
Prantl wan ein: Mann von anderer Gemütsart als sie Heigel eigen
war; dennoch blieb ihm dieser stets dankbar für die erteilte Lehre,
daß man jedes gesprochene oder geschriebene Wort beim. Worte müsse
nehmen können.
Im Jahre 1866 sehen wir den jungen Historiker, der es tief be-
— 137 —
klagte, im Feldzuge nieht die Waffen tragen zw dürfen, in dem Archiv-
dienst eintreten. Einige Jahre später (1873) habilitierte er sich. Un-
beschadet des hohen Wohlwoltens, das ihm wie: seinem: älteren Bruder,
dem: Dichter Karl August Heigel, König Ludwig IL entgegentrug;
erhielt er erst nach zehn Jahren (1883) eine: ordentliche Professur
und zwar zunächst an der Technischen Hochschule. Im: Jahre r885
jedoch widerfuhr ihm die Auszeichnung, den: Lehrstuhl Giesebrechte:
und auch die Leitung des historischen Seminars: an der Uhiversität
übertragen zu erhalten. Hatte Giesebrecht seine kritischen Seminar-
übungen in der eigenen Wohnung abgehalten, so streute: jetzt Heige?
im stattlichen, von der allgemeiner Benutzung. leicht. zugänglichen
Bibliothek umsäumten Seminarsaal eine vielseitige und‘ erfrischende
Anregung aus und rief muntere Meinungsaussprachen wach. Durch
die in Gemeinschaft mit Hermann Grauert herausgegebenen: Histori-
schen Abhandlungen wurden die Schüler beider Männer in die Lage
versetzt, ihre Erstlingsarbeiten an geeigneter Stätte zu: veröffentlichen.
Während die akademischen Vorlesungen des Privatdozenten: Heigel
nur wenige Besucher angezogen hatten, wuchs jetzt sein Hiörerkreiß:
mehr und mehr ins Ungemessene an; auch ältere Zuhörer fanden:
sich ein, und Heigel wurde einer der gefeiertsten Dozenten. Sein:
hohes Ansehen und: seine Beliebtheit im Lehrkörper der Universität,
veranlaßt ebenso durch seine liebenswürdigen: Eigenschaften wie: durch
die aufrechte Art seines Wesens, kam zum Ausdruck, als er 1897
zum Rektor magnificus gewählt wurde. Einen im. folgenden Jahre am
ihn ergangenen Ruf nach Wien lehnte er ab', se: mächtir auch die
Vorliebe war, die er für die ‚majestätisch-liebliche Kaiserstadt‘‘ empfand.
Vielen Lesern dieses Nachrufs wird Heigel als regelmäßiger Be-
sucher der deutschen Historikertage persönlich bekannt geworden: sein,
an deren Begründung er ein wesentliches Verdienst hať; in: der Frank-
furter Versammlung 1895 führte er mit Takt, Humor und: Geist: dem
Vorsitz. Bereits 1877 zum außerordentlichen, r887 zum: ordentliches
Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu München ernannt, wurde
er 1904 zu deren Präsidenten erhoben und: vor neue, weitausgreifen-
dere Aufgaben gestellt. Als er vor nicht langer Zeit. sein: Lehrams
an der Universität niederlegte, konnte er sich mit reinem Gewissen
das Zeugnis ausstellen: „Mit ganzer Seele war ich Professor.“ Die
Leitung der Akademie behielt er in seiner sicheren: Hand und blieb»
bis ans Ende wissenschaftlichen Problemen hingegeben', bis der aus-
gebrochene Völkerkrieg ihn auch diesen noch von hoher historischer
Warte betrachten ließ.
10*
— 138 —
“Schon auf dem Gymnasium war ein Mitschüler Heigels Sigmuna
Riezler gewesen. Als 1866 die philosophische Fakultät als Preis-
aufgabe das Thema stellte: Quellenmäßige Darstellung des Überganges
des Hersogtums Bayern vom welfischen Geschlechte an das Haus Wittels-
bach, der herzoglichen Rechte und der welfischen wie wütelsbachischen
Hausmacht, traten beide Freunde an die Bearbeitung heran und beide
erhielten den Preis zuerkannt. In gemeinsamer Veröffentlichung ihrer
Forschungsergebnisse gaben sie 1867 das Hersogtum Bayern sur
Zeit Heinrichs des Löwen und Ottos I. von Wittelsbach in Druck. Es
war der erste Schritt gewesen zu jener im Geiste der modernen histo-
rischen Wissenschaft geübten Pflege der bayerischen Geschichte, deren
Begründung Heigels und Riezlers unvergänglicher Ruhm bleiben wird.
. Auf Döllingers Ratschlag gab Ludwig lI. 1869 dem noch jungen
Heigel den stolzen Auftrag, eine Biographie seines Großvaters Ludwig I.
zu verfassen, und mit frischem Jugendmut trat jener an die Bewälti-
gung des umfangreichen Quellenmaterials heran, über das er selbst
klaren Aufschluß erteilt. Das aus solcher Arbeit und Anstrengung
erwachsene Buch erschien bereits 1872. Es ist die bedeutendste zu-
sammenhängende Darstellung, die bisher über Ludwig I. vorhanden
ist, und wenn kein abschließendes, so doch für alle Zukunft ein grund-
legendes Werk über eine der wichtigsten Perioden der bayerischen
und einen äußerst belangreichen Ausschnitt auch aus der allgemein
deutschen Geschichte des XIX. Jahrhunderts. Das letzte Wort konnte
mit ihm schon deshalb nicht gesprochen sein, weil nach König Lud-
wigs I. testamentarischer Verfügung in sieben Koffern verwahrte Pri-
vatpapiere desselben erst 1918, jetzt also in naher Zukunft, der Öffent-
lichkeit übergeben werden dürfen. Der Verfasser selbst hat dem ge-
zeichneten Bilde späterhin in Einzeldarstellungen manch ergänzenden
Strich hinzugefügt, zunächst nach der ihm besonders am Herzen ge-
legenen kunstgeschichtlichen Seite. So behandelte er die Beziehungen
seines fürstlichen Helden zu Thorwaldsen, dann zu Martin Wagner,
dem neben dem König hauptsächlich das Zustandekommen der Mün-
chener Kunstsammlungen zu verdanken ist, und in einem dritten Auf-
satz zu Karl Haller von Hallerstein, der mit drei anderen Genossen
die Ägineten auffand, während das mit Mühe, ja Gefahr verbundene
Verdienst ihrer Erwerbung unverkümmert Wagner verbleibt. Sehr
beachtenswert sind Heigels Ausführungen über die strittige Angelegen-
heit der Venus von Milo, d. h. die Frage, ob diese nicht auf dem
von Haller für den Kronprinzen von Bayern angekauften Grundstück
entdeckt wurde und somit in die Hand eines unrechtmäßigen Besitzers
— 139 —
gelangt sei. Für den Historiker als solchen bieten Heigels Mittei-
lungen über Ludwig I. als Freund der Geschichte besonderes Interesse.
Eindrucksvoll schildert er dessen Verhältnis zu Johannes von Müller;
auch der Lektüre der antiken Geschichtsschreiber, in die sich der
geistvolle Wittelsbacher vertiefte, des Thukydides, Diodor und be-
sonders des Herodot, wird gedacht. Heigel rühmt des Königs
warme Teilnahme an der Heimatsgeschichte, erwähnt seine Anord-
nungen für Erhaltung der historischen und Kunstdenkmäler und für
Bildung der historischen Vereine; als erster bildete sich 1830 der
historische Verein des Regatkreises, den der Präsident von Mieg und
der bekannte Ritter von Lang leitete. In anderer Richtung bewegten
sich Studien und Abhandlungen Heigels über den Kronprinzen Ludwig
in den Feldzügen von 1807 und 1809, dann weiterhin im Befreiungs-
jahre 1813, über seinen Anteil am bayrischen Verfassungswerk und
über Ludwig I. von Bayern als Erzieher seines Volkes. Nachdem er
schon früher Ludwiy I. von Bayern und die Münchener Hochschule
zum Thema einer Festrede genommen hatte, kam Heigel in seiner
Rektoratsrede von 1897 noch einmal auf die Verlegung der Ludwig-
Maximilians- Universität nach München im Jahre 1836 zu sprechen.
Er will, ohne den dankenswerten und belangreichen Anteil zu ver-
kleinern, den der Mediziner Ringseis an den hierauf bezüglichen Ent-
- schlüssen seines Monarchen hatte, doch auch letzterem ein selbstän-
diges Verdienst gewahrt wissen. |
Heigels Habilitation 1873 war mit der Arbeit: Der österreichische
Erbfolgestreit und die Kaiserwahl Karls VIT. erfolgt. In Ausgestaltung
zu einem Buche, das Leopold von Ranke zugeeignet ward, erschien
dieselbe 1877 unter dem gleichen Titel. Auch hier berichtet er aus-
führlich über sein Quellenmaterial. Er freute sich der Hoffnung, daß
es ihm gelungen sei, über ein „bisher dunkles Blatt‘ in der Ge-
schichte Bayerns ein günstigeres Licht zu verbreiten und Karl Albert
„von unverdientem Makel zu reinigen‘, wollte aber seine Beweis-
führung nicht als „Ehrenrettung‘‘ verdächtigt sehen. Vornehmlich
der Tatbestand aber war ihm über jeden Zweifel erhaben, daß jener
„Nymphenburger Vertrag‘, den Karl Albert mit Frankreich und zwar
im Sinne einer bedeutenden Gebietserweiterung dieses Staates auf
Kosten des Deutschen Reiches im Mai 1741 abgeschlossen haben
soll, „in der Tat nur eine Fiktion“ sei. Auch an dem Thema , Karl
Albert“ hielt Heigel künftighin mit treuer Beharrlichkeit fest. Bei
Versteigerung der Bibliothek des Schlosses Neubeuern gelangte 1883
in den Besitz der Münchener Staatsbibliothek ein Manuskript Memoire
— 140 —
ser Ta condwitte, gue j'ai tonu depuis la mort de l'empereur Charles FT.
et tout ce, qui s'est passe ù cet egard“. Heigel erkannte in der Hand-
schrift die Kaiser Karls VII. und veröffentlichte dieses Tagebuch noch
1883. Nach einiger Zeit konnte er sich über Neuaufgefundene Tage-
‚bücher Kaiser Karl VII. verbreiten und ein andermal über die Korre-
spondenz Karls VIL mit Joseph Franz Graf von Seinsheim zugleich
mit Veröffentlichung der betreffenden Schriftstücke. Mit seiner An-
sicht von der Ugechtheit des oben gekennzeichneten „Nymphenburger
Vertrags“ war er im allgemeinen durchgedrungen, Wilhelm Oncken,
Adam Wolf, Dove, Alfons Huber und Grünhagen waren ihr beigetreten.
„Nur ein Historiker glaubte trotz der jüngsten Angriffe an der Existenz
des Vertrags festhalten zu müssen, einer, aber ein Ranke.“ Es
galt deshalb dieser wuchtigen Autorität gegenüber der Frage erneute
Aufmerksamkeit zu widmen, die indes zum alten Ergebnis führte.
In neuerer Zeit verfocht Heigel die Fälschung noch einmal mit
HWatschiedenheit gegenüber dem österreichischen Hauptmann Oskar
Criste, beziehungsweise dessen Ausführungen in der vom k. und k.
Kriegsarchiv zu Wien herausgegebenen Geschichte des österreichisches
Enbfolgekriegs. Er schloß diese seine letzten Erörterungen mit den
Worten: „Criste selbst gibt zu, daß in bezug auf den berüchtigten
Traktat noch nicht alles gelichtet sei. Das ist richtig. Die eia-
schlägigen Urkunden, vor allem die sogenannten Memoiren Belleisies
im Pariser Archiv müssen noch gründlicher durchforscht, im Haag
die Gerichtsakten zu dem Prozeß wider Drucker und Herausgeber des
Traktats aufgespürt werden. Dadurch kann noch manches, was bisher
dunkel blieb oder nicht genügend festgestellt ist, in helleres Licht
gerückt werden. Immerhin steht auch jetzt schon fest, daß der
Nymphenburger Vertrag, der den häßlichen Verrat eines Kaisers an
deutschem Gut und Blut bedeutet, aus der deutschen Geschichte zu
streichen ist.“
Die akademischen Abhandlungen Heigels sind teilweise in den
Quellen und Abhandlungen zur neueren Geschichte Bayerns neu ab-
gedruckt, die 1884 und 1890 herausgegeben wurden. Die allseitige
und gediegene Umschau, die er in letzteren auf dem Gebiete der
bayerischen Geschichte seit dem Westfälischen Frieden gehalten hatte,
bot Anlaß, daß ihm schon nach Erscheinen des ersten Bandes mehr-
fach die Aufforderung zuging, eine zusammenhängende Darstellung
der Geschichte Ferdinand Marias und seiner Nachfolger in Angriff zu
achmen. Doch Heigel schreckte davor zurück und hielt es für frag-
lich, ob sich diese Aufgabe wirklich schon lösen lasse. Mit Fug und
— 141 —
Recht aber durfte er jedenfalls in ediem Selbstgefühl bemerken: ‚Da
aan auch meine Abhandlungen ohne Ausnahme auf Studien erster
Hand und zwar auf sehr umfassenden archivalischen Forschungen be-
ruhen, so darf ich wohl hoffen, daß sie dereinst für denjenigen, der
die neuere Geschichte Bayerns, die Geschichte der Entwicklung des
bayerischen Staates schreiben wird, von Nutzen sein werden.“ Jetzt
haben sich in diesem Sinne Riezler und Doeberl erfolgreich auf seine
Schultern gestellt, aber Heigel darf für sich dauernd den Ruhm in
Anspruch nehmen zur wissenschaftlich-kritischen Erkenntnis der neueren
Geschichte Bayerns den festen Grund gelegt zu haben.
Und sollen wir wirklich ernsthaft beklagen, daß nicht er selbst
bereits jenen allgemeinen Wurf getan hat? Ganz abgesehen davon,
. daß dieser auch den Genannten gelang, auch davon, daß dies einem
Verzicht auf seinen nachmaligen Anteil an der Bibliothek deutscher
Geschichte gleichgekommen wäre, würden wir wohl auch großenteils
um die Gabe kostbarster Perlen betrogen worden sein, die der an sich
mehr zur Verästelung als zum Zusammenschluß neigende Verfasser
uns in seinen ebenso reizvollen als originellen Einzeldarstellungen
hinterließ. Dank seinem wundersamen Drang, im kleinen Bild den
Makroko-mos aufzufangen und über den ernsten Gegenstand, wenn
gend möglich, den Schimmer heiterer, anmutiger Grazie zu gießen
und auch da, wo Unwille und Tadel unerläßlich waren, ihm einen
gewissen feierlichen Ernst zu verleihen, ist ‘er einer der bedeutend-
sten Meister des geschichtlichen Essays im unserer deutschen
Literatur geworden: auf diesem Felde hat sich, um ein Wort Virchows
anzuwenden, seine „schöne und ehrliche Persönlichkeit“ am reinsten
verausgabt.
Zu allen Zeiten werden zwei Hauptgruppen der Historiographie
zu unterscheiden sein, die epische und die dramatische: die natürliche
Lust am Fabulieren und eben auch die Freude an der Detailmalerei
reihten Heigel mit aller Klarheit in die erstere ein. Aber wenn wir
den Künstler Heigel — und das war er in vollem Maße — ganz und
im Kern zu erfassen bemüht sind, so tritt immer wieder neben dem
Erzähler der Lyriker in den Vordergrund und dieses lyrische Be-
dürfnis fand im Essay die lohnendste Befriedigung. Hier war die
Möglichkeit gegeben, nicht nur den Zeitgeist zu beleachten, sondern
auch die Zeitstimmung erklingen zu lassen, und gerade hier durch-
drangen sich auf engem Raume die vielverschlungenen Fäden seiner
reichen Einsicht und Erfahrung, seines feinen Geschmacks und seines
sauberen Urteils, seiser Herzensgüte und seiner Vornehmheit, seines
— 142 —
Humors und seiner sanften Ablehnung. Und dabei galt ihm stets der
Grundsatz: „Während der Maler bei aller Rücksicht auf die Ähnlich-
keit eines Porträts doch in erster Linie sein künstlerisches Gewissen
zufriedenstellt. wird der Historiker über dem Wunsche, die Teilnahme
für seinen Vorwurf zu erwecken und zu fesseln, nun und nimmer die
Wahrhaftigkeit verletzen dürfen.“ Einer der früheren der einschlägigen
Sammlungen von Vorträgen und Studien setzte er als Motto die Worte
Boileaus voran: Rien mest beau que le vrai; le vrai seul est aimable.
Auch im Essay wollte er seine Kenntnisse „nicht von zweiter Hand“
herholen und auf neuem, selbstgeschürftem urkundlichen Beweismaterial
aufbauen. Doch warum sollten dann „Kleine und Große, Staatsmänner
und Staatsfeinde, französische und bajuwarische Schöngeister in einer
Sammlung historischer Essays nicht ebensogut zusammengestellt
werden dürfen, wie in einer Gemäldesammlung niederländische Zech-
brüder und römische Vestalinnen, in einer Blumenlese Klopstock und
Béranger?“ Und im Einzelnen wurde, wie gesagt, von Heigel stets
Jas Allgemeine gesehen, „der Maler, der einen Tannenzweig malt,
muß eine richtige Vorstellung von der Tanne haben.“
Ausdrücklich möchten wir davor warnen, in Zukunft nur nach
jenen Zwölf Charakterbildern aus der neueren Geschichte zu greifen, in
denen Heigel aus der großen Fülle, die, von den Quellen und Ab-
handlungen abgesehen, in sieben Bänden vorliegt, 1913 seine eigenen
Lieblingsstücke zusammenstellte. Aus der Reihe der zahlreichen Bilder,
die sich vor unseren Blicken entrollen, sei nur auf ganz wenige hin-
gewiesen, so auf die einzigartige Studie über die Tulpenmanie in Holland,
in der nationalökonomische Erörterung und farbenreiche Schilderung in-
einandergewoben eine köstliche historische Gesamtanschauung erzeugen.
In seinem ureigentlichen Element bewegte sich Heigel beispielsweise
in dem Vortrag über einen Schöngeist in der Soutane vor hundert
Jahren. Gemeint ist der Pfarrer und spätere Professor der Ästhetik
Georg Alois Dietl, ein typischer Vertreter jener Richtung der Auf-
klärungsepoche, die nicht in platte Nüchternheit versank, vielmehr
mit dem Aufklärungsstreben Gemütswärme und Phantasiefrische ver-
band. Wiederholt werden rein kunstgeschichtliche, auch in das Ge-
biet der Musik einschlagende Stoffe behandelt. Daß ihn auch sprach-
geschichtliche Probleme anzogen, verrät der Aufsatz über Ialianismen
in der Münchener Mundart. Oft wird mit einem kurzen Wort gerade
in den Essays das Wesen der Sache getroffen, so wenn es von
Metternich heißt: „Gegen die Zukunft kämpfte er.“ Auch das an
sich Sensationelle weiß der Verfasser, indem er die Neugierde zur
— 143 —
Wißbegierde erhebt, in angenehme Beleuchtung zu rücken, wie er es
in seinen Ausführungen über einen armenischen Abenteurer am kur-
pfälzischen Hofe tat. Die Schlußakkorde sind häufig von packender,
ja ergreifender Wirkung, so in dem Vortrag über den „Prinzen Eugen
von Savoyen“, so in dem bereits erwähnten über Ludwig I. und
Martin Wagner, zu dessen Ende er des Abschieds gedenkt, den der
von Todesahnung erfüllte König im Frühling 1867 von Rom ge-
nommen hat, so in dem tiefernsten Verdammungsurteil über Metternich.
Und wie herzerquickend lautet dann wieder der landsmännische Scheide-
gruß an den Mineralogen und Dialektdichter Kobell: „Schmücken
wollen wir unseren Kobell Franz mit Lorbeer und mit Alpenrosen!“
Von landesgeschichtlichen Themen war auch das Essay Heigels aus-
gegangen; bis zu welcher Höhe allgemeiner Auffassung es empor-
stieg, zeigt die Studie: Hippolyte Taine. In einer Reihe von Vorträgen
lieh er seiner deutsch-nationalen Gesinnung beredten und energischen
Ausdruck. Wir heben denjenigen über die geschichtliche Entwicklung
der deutschen Seemacht heraus, der in dem Satze gipfelt: „Eine
Wirkung in die Ferne übt nur ein Staat mit starker Flotte.“
Jedermann; der seinerzeit den Verlauf der Feier anläßlich der Ent-
hüllung der Bismarckbüste in der Walhalla verfolgte, sind die treuen
und die flammenden Worte im Gedächtnis haften geblieben, die da-
mals aus Heigels Munde kamen.
Auch als Territorialhistoriker war Heigel unentwegt von dem Ge-
danken getragen gewesen, in der Heimatsgeschichte die deutsche sich
spiegeln zu lassen, und sein akademisches Lehramt zwang ihn über-
dies, aus der engeren Umfriedung hinauszuschreiten. Seinem viel-
seitigen Geiste ist diese Ausweitung des Gesichtskreises nicht schwer,
sondern leicht gefallen, und so durfte er es wagen für die von seinem
Freunde Zwiedineck-Südenhorst herausgegebene Bibliothek deut-
scher Geschichte die Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen
bis zur Auflösung des alten Reichs zu übernehmen. Und diesem
Werke kam doch auch wieder seine landesgeschichtliche Betrachtungs-
weise zustatten. Mit dem ihm tief eingeprägten Charakterzuge der
Pietät, gerade auch der wissenschaftlichen, blickte er zu seinen hervor-
ragenden Vorarbeitern Häusser und Sybel empor, erkannte aber in
Ergänzung ihres Standpunktes seine eigene Aufgabe in einer mehr
reichsgeschichtlichen Darstellung, für die ihm wertvoller archivali-
scher Schatz zur Verfügung stand. Auch Ereignissen wie den Kämpfen
in den Niederlanden, die sich auf der Peripherie abspielten, aber das
Gesamtbild wesentlich vervollständigen, widmete er eine ausführliche
Behandlung. Dem Leser Ouellengeschmack darzubieten und ihn
Stimmen des beschriebenen Zeitalters unmittelbar vernehmen zu lassen,
war sein grundsätzliches, vielleicht sogar etwas übertriebenes Bemühen.
So schöpfte er auch ausgiebiger aus Zeitungen und Flugschriften, als
es bis dahin geschehen war, indem ihm alles daran lag, in die Wand-
lungen der „öffentlichen Meinung“ hineinsehen zu lassen. Von -jeher
war ihm dieses Problem und seine Lösung am Herzen gelegen, jetzt
konnte er ihm in stolzerem Umfange als früher nähertreten. Ich ver-
weise in erster Linie auf den Abschnitt: Die französische Revolution
und der deutsche Volksgeist. Nimmt den breitesten Raum die Erörte-
rung der politischen Vorgänge und Zusammenhänge ein, so vertiefe
man sich zugleich in das Kapitel: Deutsches Land und deutsches Vokk
um die Wende des ach'zehnten Jahrhunderts und die darin durchgeführte
allseitige Berücksichtigung der verschiedenen Zweige der materiellen wie
der geistigen Kultur jener Epoche. Für die in Anmerkungen gegebenen
Quellen- und Literaturnachweise wird jeder Forscher dem Verfasser
Dank wissen. Je liebevoller der Leser sich in die sorgsam abge-
wogenen Einzelbetrachtungen des Buches versenkt, desto fruchtbringen-
der wird für ihn der Gewinn des Ganzen sein; ich denke z.B. an die
da und dort, über die einzelnen Abschnitte hin verstreuten Bemer-
kungen über die Charakterzüge und Regierungsmaximen Josephs Il.,
Bemerkungen, die nicht in einen Guß gebracht worden, aber am jedes-
mal passenden Orte gefallen sind. Der Eindruck des Buches steigert
sich bei wiederholter Lektüre. Und was der bescheidene Verfasser
mit dem Worte „Nachschlagebuch‘“ besagen wollte, das wird san
ganz dem Sachverhalt gemäß eine reiche Fundgrube nennen
dürfen: gerade in diesem umfassenden Werke hat der mit Freuden
das Kleine beachtende Essayist in seiner Weise Großes geleistet.
Das den Mittel- und Kleinstaaten und ihren Kulturverhältaissen
zugewendete Interesse Heigels führte ihn auch auf Universitäten und
die an diesen wirkenden Männer der Wissenschaft, und es liegt anf
der Hand, daß uns gerade seine aus solchem Anlaß gefällten Urteile
über Geschichtsschreiber wertvoll erscheinen müssen. Es ist begreif-
lich, daß ein Mann wie August Ludwig von Schlözer, dem er „Ver-
achtung des bel esprit“ zum Vorwurf machen mußte, ihm nicht als
„liebenswürdig“ galt; trotzdem sprach er sich unverhohlen dahin aus,
daß dessen Verdienst „gar nicht hoch genug anzuschlagen‘“ sei. Noch
ganz am Schlusse seines Werkes setzt er dem prophetischen Weit-
blick des Göttinger Professors ein ehrenvolles Denkmal, mdem er
seine Worte zitiert: „Deutschland wird sich wieder aufrafican aus
— 145 —
Schmach und Elend... wie wenn uns nun das Schicksal einst andre
Leithammel gäbe?“ Anch in diesem Buche sind wieder knappe und
zugleich von tieíster Besonnenheit zeugende Aussprüche bemerkens-
wert, so das kurze Urteil: „Ein Verrat war der Baseler Separatfriede
nicht, aber ein politischer Fehler.“ Dem Ursprung der Revolutions-
kriege ging Heigel besonders emsig nach. Ein Lieblingsthema von
ihm war der Rastatter Gesandtenmord. Über Napoleon, dessen Geniali-
tät, Arbeits- und Willenskraft er mit nichten seine Bewunderung ver-
sagt, äußert er sich doch dahin: „Für Aufklärung des Volksgeistes, für
Förderung echter Wissenschaft und Kunst fehlte ihm jedes Interesse;
ihm genügte es, die Franzosen durch Aussicht auf Ruhm und Gewinn
gehorsam und dienstfertig zu machen; er wollte Feuer, nicht Licht;
er suchte das Große und schätzte das Nützliche, für das Schöne fehlte
ihm das Verständnis.“ Auf die Frage, ob Napoleon nach dem Bruch
des Friedens von Amiens ernstlich eine Landung in England plante,
gibt er eine bejahende Antwort. Bei Besprechung der Rheinbund-
frage weist Heigel auf die in Deutschland allgemein verbreitete Er-
bitterung gegen England hin und schreibt: „Die rheinbündlerische
Bewegung darf nicht bloß vom politischen und vom volkspsychologi-
schen, sie muß auch vom wirtschaftlichen Standpunkt beurteilt werden.
Deutschland hatte das größte Interesse an der Freiheit der Meere und
des Handels, deren unerbittlicher Feind England war.“ Mit der Auf-
lösung des alten Reichs nimmt der gestellten Aufgabe gemäß Heigels
Werk seinen Abschluß. An sich eben doch ein tief betrübender
Einschnitt! Der Verfasser aber blickt, wie es Schlözer getan, in die
Zukunft und krönt sein Werk mit den Worten: „Der preußische Staat
hatte durch seine Baseler und Pariser Zettelungen am meisten dazu
beigetragen, daß über Deutschland die Fremdherrschaft verhängt
wurde; von Preußen ging auch die Befreiung aus. Nur der Speer,
der den Herakliden Telephos verwundet hatte, konnte ihm die Heilung
bringen.“
Eine ruhige, geklärte Weisheit war am Ende der bezeichnendste
Charakterzug der Heigelschen Geschichtsschreibung und ein natür-
licher Ausfluß seiner klaren und harmonischen Persönlichkeit. Ein
freundlicher Lebensabend, von der erfrischenden Gunst der Klio weiter-
hin getragen, schien ihm verdientermaßen beschieden zu sein. Da
brach der Völkerkrieg mit rauher Gewalt herein und ließ dem fried-
vollen Manne, dem die Friedenskonferenz des Jahres 1899 „wenigstens
symptomatisch erfreulich“ gewesen war, weil „nicht mehr der glor-
reiche Krieg, sondern der segensreiche Friede auch den Starken das
— 146 —
Wünschenswerte, das Ideal“ dünkte, die Zornesader hoch anschwellen,
und indem ihm der althellenische Vers durch den Sinn fuhr: „Denn
nicht zu hassen, mitzulieben bin ich da“, fügte er unerschrocken hinzu :
„An das schöne Wort der Antigone wollen wir uns morgen wieder
erinnern, heute müssen wir es vergessen.‘ Vor seiner Seele stand
der Aufbau eines neuen Reichs und „eine innere Läuterung, eine sitt-
liche Erhebung‘‘ des deutschen Volksgeistes. Tiefbeglückt war er
inmitten ernster Sorge durch die Einigung der Angehörigen der ver-
schiedenen Bekenntnisse, aus wie treuem Herzen quoll sein heißer
Wunsch, daß „unheilvoller Sondergeist‘‘ die deutschen Stämme fortan
nicht mehr entzweien, daß der Gegensatz der Parteien „nicht wieder
in häßliche Feindschaft ausarten“, daß die soziale Frage glücklich
gelöst werden möge! Ausgetilgt wünschte er dann auch die „Aus-
wüchse einer zu Alexandrinertum hinneigenden, nur sich selbst dienen-
den Wissenschaft und einer sensationslüsternen Kunst, einer über-
mütigen Mode, eines volksfeindlichen Ästhetentums“. Ein Ideal von
unermeßlicher Größe stellte er zum Abschied seiner Nation vor Augen,
indem er verkündete: „Das Volk der Krieger und der Denker hat
den weltgeschichtlichen Beruf, Sparta und Athen zu vereinigen.“
Solch froher, aufrichtender Glaube an die Zukunft, mit dem der
Edle aus unserer Mitte schied, entsprach dem innersten- Kern seiner
historischen Lebens- und Weltanschauung; deutlich legte er selbst
einmal das Bekenntnis ab, daß er einen Fortschritt in der Ge-
schichte der Völker annehme, und das Beste an der Geschichte, die
Heigel seine Schüler lehrte, war das, daß sie den Optimismus er-
zeugte. Wir sprechen von seinen Schülern und wir betonen zugleich,
daß er trotzdem nie Schule machte und nie machen wollte; seiner
innersten Natur widersprach die Sucht, andere wie der Sterne Kreis
um seine Person zu stellen. Das ungleich Köstlichere, was Heigel
leistete, bestand in der ganz ungesuchten, aber mit Treffsicherheit
geübten Kunst in einem jeden einzelnen den besten Funken zu wecken,
Individualitäten nicht zu kneten, sondern aus sich herauszulocken
und sie dann doch von seinem Geist einen Hauch auf die Dauer
verspüren zu lassen. Jetzt ist sein guter, sein deutscher, sein lieber
Blick für uns erloschen, verklungen seine herzliche und treuherzige
Stimme, aber der geistige Sonnenschein, den er in alle Herzen goß,
wird nicht erkalten und der herrliche und starke Mensch immer vor
uns stehen, so wie er selbst vom Prinzen Eugen es sagte, „ein Name
ohne Makel, eine Erinnerung ohne Schatten“.
ANANA AN SAANA A AAAA
— 147 —
Eindrücke vom Kurfürstentag zu Regens-
burg 1630
Auszüge aus dem Tagebuch Christians Il. von Anhalt
Mitgeteilt von
Hermann Wäschke (Zerbst)
II.)
13. August] Gestern noch mit dem Ob. Schömberg, Gen.
Wachtm. in der Liga Armee, bekannt geworden. — Allé à la cour. —
Heute hat der junge Blomont mein Contrefait, ein Brustbild, mir
geschickt. Ist gar wohl gemacht und ich habe ihm nur dürfen 10 4f.
dafür geben. —
Rotenhan u. Stüber sind. bei mir gewesen, haben mir ihre
Unschuld angedeutet u. sich zum höchsten entschuldigt, wegen ihrer
Auflage, sodann bei mir gegessen. Briefe von Mad., den Vettern u.
dem Präs., wie Feckler u. Becker ausreißen etc.
Der gewesene Administrator ist neben einem Schwed. Gesandten
in der Stadt Magdeb. angekommen, sich erst unbekannt gehalten,
hernach hat er sich zu erkennen gegeben mit großem Jubiliren des
Volks. Hpt. Föckler hat sich darauf den 4. Aug. mit Sack u. Pack
aus Staßfurth gemacht, seinen hinterlassenen Wein u. Vieh unter seine
Freunde getheilt u. also selbigen Ort ganz verlassen, desgl. haben
andere Kays. Offiziere, so im Eızstift gelegen, auch gethan. Obr.
Becker rüstet sich auch zum Abzug von Halberstadt. Den 5. Aug.
sind die Städte Salza, Calbe u. Staßfurth durch etwa 300 Mann, so
mehrentheils Koth- und Schifferbursche gewesen, eingenommen u.
schlecht besetzt worden. Zu Magdeb. liegen nur noch 2 Comp. Man
präsumirt, es käme Schwed. Volk nach.
Meine Schwester Sibylle Elis. hat mir von Eger aus geschrie-
ben, wohin sie mit der Frau Muhme von Cöthen gelangt ist. Ge-
antwortet ...
Der Dän. Ges. Rantzau, hat sich gegen Wietershl[eim] ent-
‘schuldigt, mich noch nicht wieder besucht zu haben, wird sich aber
bestimmt seiner Schuldigkeit entledigen, hatte noch nicht heraus-
kommen können.
14. August] Ich habe zu Hofe aufgewartet. — Nachricht von
einem verfehlten Attentat auf den König v. Schweden. — La vérité,
=
I) Die beiden ersten Teile finden sich oben S. 57—76 und 103—132.
— 18 —
que fai dit aujourd'hui au B. de Baar et au Col. de Tiefenbach,
de Schoppius et la fausseté du dit C. de T. de le lui aller redire.
Die Gesandten von England u. vom Pfalzgr. Friedrich sind
in Nürnberg angekommen, man wird sie hierher kommen lassen. —
Ich habe dem Marqwese de! Monte meine braunen Kutschpferde
um 700 f baares Geld verkauft. — Nach der Vesper aufgewartet, da
sich denn Schoppius trefil. gegen mich purgirt u. erwiesen, daß
er die Reichsfürsten nicht geschmähet hat. — Ich habe Audienz u.
Abschied von Ih. Kays. Majst. genommen, zugesagt, wiederzukommen
u. meine Sachen zu ordiniren, wegen Einfalls der Magdeburger u.
meines Bruders Ernst. Will die Lehnsvollmacht auch mitbringen,
mich in Ihr. Majst. Devotion recommandirt. Ihr Maj. haben mich zu
beständiger Treue ermahnt u. sich deren versichert. H. Börst[els]
Schreiben gelesen u. gesagt, daß sie ab eod. dato vom Ob. Becker
Schreiben empfangen, dasselbige melde nichts solches. Ich sollte in
Gottes Namen wiederkommen, wenn ich wollte, ich sollte sowohl. als
die H. Vettern allezeit vor wie nach einen allergnädig. Kaiser an Ih.
Maj. finden. Sie waren mit meiner ÄAufwartung gar wohl zufrieden,
gaben mir die Hand gar gnädigst u. wünschten mir viel Glück u.
Heil auf die Reise, —
Der Ober Kammerh. Rysel entschuldigte es. gegen mich zum.
Höchsten, daß der Kaiser dem Herzog von Sachsen vor mir Audienz
gebe, denn er hätte dieselbe schon vor 2 Tagen begehrt u. es wäre
der Brauch, dem am ersten Audienz zu geben, der sie am. ersten
begehrte.
15. August] Beim Fürsten von Eggenberg gewesen — Der-
selbe sagt, man solle beim Edict stricte verbleiben, was vor dem
Passauer Vertrag eingezogen, behalten, was hernach, wieder geben,
sonst irritirte man nur die Gemüther. Er wäre allezeit der Meinung
gewesen. Je lui présentai un joyau, qwil refusa longtemps, enfin je
Ten suppliai tant, qwil le prit à condition de le rémunerer. Er offe-
rirte sich gewaltig zu mein u. uns. Hauses Diensten u. improbirte
das Magdeburgsche procedere. Dasselbe that auch der Fürst von
Hohenzollern, den ich hernach besuchte, u. hat gar ein gut deutsch
Gemüth, er ist nicht pfäffisch. Ich bat ihn auch, in meinem Namen
vom Churf. v. Bayern Abschied zu nehmen, dieweil ich so sehr zu
eilen hätte, wegen des Magdeb. Einfalls zu Staßf. nahe bei Bernb.
2. wegen meines Bruders Ernst u. 3. wegen der Lehnvollmacht. —
In der Anticamera habe ich von vielen Caval. Abschied ge-
nommen, unter andern auch vom Ajazzoo. Schulenburg u. den
— 149 —
jungen Ranzow. zw Mittag gehabt. — Vor der Vesper beim König
Asdienz. gehabt. Ihre Kays. Mayst. haben: sich gar höflich erwiesen,
sieh alles: guten u. Intercessiom erboten, auch gar gnädig u. freundlich.
mit. min conversirt von dem Ringrennen: mit den. drei: Ringen, das sie
selbst erfunden. Sie ließen mich aufsetzen, gingen mir an die Thür
entgegen u. begleiteten mich wieder bis dahin: Zwei Kammerherrn
empfingen mich an der Treppe. Levin Han w. der hessische Agent
begleiteten mich auch dahin mit meinen Junkern.
Abends nach der Vesper Audienz bei der Kaiserin gehabt, die
hab sich gar gnädig gegen mich erzeigt, mich drei mal aufzu-
setzen: geheißen, u. mir gar einen gnädigsten: Abschied gegeben, auch
gesagt, ich wäre beim Kais. genugsam recommandirt u. ich sollte
meine Gem. von ihr freundliehst grüßen. Der Oberste Hofmeister der
Kaiserin, Gr. v. Dietrichstein, ging mir bis an die Trabantenwacht.
entgegen und begleiteten mich auch. wieder bis dahin beim Rück-
wege. —
Der Churf. v. Bayern hat auf den ihm durch Hohenz. über-
brachten: Abschied sich sehr empfehlen lassen: u. sehr Jeani mich.
nicht noch: sprechen zu können.
16: August] Der Span. Ges. hat mir die Savoyenschen Con-
cepte wiedergeschickt, ich werde ihn noch: besuchen, —
Causae sed potius iniuriae realiter illatae, ob: quas Sereniss. et
potentiss. Rex Sueciae belum in Germaniam movere compulsus. fuerit,
sunt. sequentes:
1:. Interceptio et resecatio litterarum ad princinem. Transsylvaniae.
2: Subditorum. ministrorum ac militum suorum. spoliatio. et in servi-
tutem abductio.
Communium natura commerciorum interdicio:
Dissuasio pacis hosti facta et contra coronam Sueciae instigatio.
Innoxii transitus, quem Sueciae Rex ab. Imperatore. postulavit,
denegatio.
& Amicorum, vicinorum et consanguincorum sub sui nominis invidia
oppressio et dominiorum feudorumque privatio, unicä plenariĝ:
exstirpatione restante.
7%. Oratorum pacis supra barbarum morem ignominiosa rejectio.
. & Bina hostilis exercitus absque omni data causa vel praetextu im-
missio.
Ich habe den Span. Ambass. besucht u. Abschied von ihm
genommen. Er hat sich erboten, in der Savoyischen Angelegenheit
mein: Agent zu sein. Doch räth er mir, es. auch durch Colalto zu
Otu e w
a 10 =
suchen, denn viel Zucker verdürbe nie das Gewürz. Er hat mich
zwei mal Altesse geheißen, gleichsam unvermerkt, sonst V. Excellensa.
Sagt, sein Vater habe immer gesagt, (Gio. Andrea Doria) ein Fürst
sollte keinen andern, als dem Kais. u. Königen dienen, auch dem
Papste selbst nicht, denn dieser lebte vielleicht 6. 7. u. 8 Jahr, dann
wäre die Herrlichkeit seines Hauses dahin mit ihm, da hingegen d.
Kais. u. König. Haus Osterreich nimmer stürbe. Ich sagte auch, es
hätte der Papst vor zeiten so gar große Gewalt nicht gehabt, als wie
jetzt, sintemal ihn die Kaiser eingesetzt hätten, itzt wäre es umgekehrt.
Er klagte mir auch, daß der franz. Abges. einen Kapuziner bei sich
hätte, der alle seine Negotia tractirte, es wäre eine Schande, daß sie,
die Politici, nicht selbst so klug wären u. Negotia traktiren könnten,
ohne einen solchen teufelischen Pfaffen (senza un tel Diavolo di frate
oder di prete) Er lobte sonst treffl. den französ. Ambass. wie er
so gute Manier zum tractiren hätte. Sagte auch, der König von
Schweden hätte einen unnöth. u. unzeitigen Krieg angefangen; hätte er
sich zu beschweren gehabt, so hätte er die Antwort dieses Oollegialtages
erwarten sollen u. danach zu thun gehabt, was er nicht lassen könne,
wenn man ihm keine Satisfaction gegeben. Er würde nur durch sein
Auftreten verursachen, daß man ihm alles nehmen u. den Frieden in
Italien machen, darnach eine unüberwindliche Macht gegen ihn schicken
würde, der er nicht gewachsen sein dürfte. Der General v. Fried-
land würde abgesetzt. — Dem franz. Botschafter wegen eingetretener
Abhaltung den auf heute versprochenen Besuch auf morgen ansagen
lassen. — Zwei Seydlitz aus Schlesien, Eiermann und Hans
Prascha haben mit mir gegessen. — Hans Blumart des berühmten
Kupferstechers Abrah. B. Sohn hat mich heute noch einmal abkonter-
feiet. Kanzler Müller hat in meinem Namen von den Chursäch. u.
Churbrand. Gesandten Abschied genommen. Der Sperrung der Com-
merzien halber haben sie gerathen, es mit beiden Churf. zu commu-
niciren. Der Protectorium zu suchen, wäre unnöthig, da es besser
wäre, fernere Nachfrage nach den Lehnschaften nicht zu erregen. Die
Elbschanze bei Dessau wäre von dem Administrator zerstört u. er
-selbst bei den H. Vettern zu Cöthen gewesen. —
Ich habe an den Herzog v. Savoyen ein Condolenzschreiben
wegen Äbsterben seines Vaters u. eine Erinnerung wegen der Pension
gerichtet, wie mir der span. Gesandte gerathen, u. habe diese Schreiben
dem Letztern übergeben lassen (der sie besorgen will). —
17. August] Zeit: Herzog Bernh. v. Weimar habe mit 2000
M. staatisch Volk Halle eingenommen u. der Kaiser habe vom Churf.
- 11 —
v. Sachsen verlangt sich rotunde zu erklären, ob er ihm Freund oder
Feind sein wolle. — Ferner: der Administr. habe bei Strafe des
Henkens alle seine gewes. Lehnsleute aufgemahnt. Er habe Bernburg
eingenommen und die Brücke daselbst abgebrannt, wobei ein Kais.
Soldat geblieben. Die Moritzbrücke solle noch in den Händen der
Kaisl. sein u. von ihnen gegen des amt u, Staat. Volk verthei-
digt werden. —
Besuch beim franz. Gesandten: Il a dit, sein König müsse.
mich noch einmal in seine Dienste nehmen, er wolle schon dafür
wirken — Il a dit aussi, que le Roy de France ne ferait pas la paix
comme cela, comme se limaginaient les Esp. et la maison d Autriche,
mais quil ferait la paix ou par toute la Chretiente ou la guerre pour
défendre la liberté de tous les princes de l'Empire et envoyer une armee
de 30000 hommes en Allemagne etc.
Que les 4 Elect. ici étaient bien disposés à une union et conjonction
avec France, qwù les trouvait fort unis entre eux en cela. Que Emp.
avait voulu, qu’on proposät à U’ Amb. de France la reddition de Metz,
Toul et Verdun. It. de devoir abandonner toutes ligues et confédérations
contre Emp. — It. de devoir sousmettre Taffaire de Mantoue à la
décision de VEmp. seul etc. Mais les Elect. Vauraient dissuadé à Sa
Maj disans (!), que V Amb. ne ferait rien de tout cela et sen irait plutôt.
Que le Duc de Fridlande ne se laisserait dégrader. — Il se mon-
trait très aftechonne à moi et à ma maison et très marri de mon dé-
part, s’enquerant fort particulièrement de mes raisons et de mes nou-
veles. Il ma accompagné jusque en bas du degré et me vint audevant
au degré. |
Rotenhan, Stüber u. Löben ist bei mir gewesen. Auch der
dänische TGesandte war bei mir u. theilte mir mit, daß die Restit.
der Pfalz u. der Herz v. Mecklenb. von allen Seiten gewünscht u.
betrieben würde. —
Paräus, der Pfälzische, u. Breithaupt, der Hessische Agent,
von mir Abschied genommen. Desgl. auch d. franz. Ges., der mich
noch in meinem Losament besuchte u. noch Vielerlei mit mir be-
sprach. —
Der Culmbachsche Ges. hat bei mir Abschied genommen.
fDer Dänische Gesandte erzählte mir noch manches über die Dif-
ferenzen seines Herrn mit den Hamburgern. Johann Löw soll in
meinem Namen von den geistl. Churf. Abschied nehmen, da ich so
schnell verreisen muß. —
Der Gr. v. Hollach hat den Bescheid bekommen, er solle er-
11
— 152 —
weisen, daß alle Mönche vor dem Passauschen Vertrage ausgestorben
wären, ob er schon die Güter 1532 cingezogen u. der P. Vertrag ao.
1552 gemacht worden. Man solle allenthalben die Contrib. per forza
dem Kaiser geben und helfen den Schweden verfolgen, sonst will
man einen mit Gewalt dazu bringen.
Löben, Breithaupt u. Paräus haben mein gülden Bildniß
bekommen, auch D. Agricola, welcher heute Abschied von mir
genommen. —
G. Stahlmann, H. Vett. F. Ludwigs Rath, sei Kgl. Schwed.
Commiss. in Magdeb. geworden.
18. August] Von Regensb. aufgebrochen nach Amberg. Unter-
wegs verschied. Schreiben von Hause erhalten, wegen des unversehenen
Einfalls des Administr. in Bernb., welches er mit 2 Comp. eingenom-
men, die Brücke allda abgeworfen u. fort passirt die Kays. zu ver-
folgen.
Man brachte mir ein Instrumentum darüber coram Not. et testibus,
das ich dem Kaiser vorlegen sollte. —
Ich habe diese Sachen nach Regensb. geschickt u. bin doch
fortgezogen.
man nA A, ` anann
Mitteilungen,
Ausgrabungsgesetz für Preußen. — Im 14. Bande dieser Zeit-
schrift, S. 196—200, wurde der Entwurf eines preußischen Ausgrabungs-
gesetzes mitgeteilt, den die Regierung 1913 den beiden Häusern des Land-
tags zur Beratung vorgelegt hatte. Seit einem Jahre bereits ist die Vorlage
verabschiedet und unter dem 26. März 1914 ist das Ausgrabungsgesetz
veröffentlicht worden !)}. Die im $ 29 vorgesehenen Ausführungsbestimmungen,
die der Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten zu erlassen
hat, sind noch nicht erschienen. Das Gesetz besteht aus 29 Paragraphen,
während die Vorlage nur 26 hatte. Schon das läßt auf mannigfache Ver-
änderungen schließen, und deswegen sollen hier die Unterschiede, die zwischen
Vorlage und Gesetz bestehen, zusammengestellt werden.
Das Gesetz gliedert sich in sechs Abschnitte: Ausgrabungen ($ 1—4),
Gelegenheitsfunde ($ 5—7), Ablieferung ($ 8—21), Beschwerde
($ 22—23), Strafbestimmungen ($ 24—25), Übergangs- und
Schlußbestimmungen ($ 26—29). In § 1,1 heißt es jetzt statt „„Gegen-
stände von kulturgeschichtlicher oder naturgeschichtlicher Bedeutung‘: „Ge-
genstände, die für die Kulturgeschichte einschließlich der
Urgeschichte des Menschen von Bedeutung sind“. — Der $ 3,
1) Preußische Gesetssammlung, Jahrgang 1914, Nr. 10, S. 41—46.
— 153 —
der den Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten zu Aus-
nahmen von den Vorschriften des $ ı ermächtigt, ist genauer gefaßt worden:
„Der Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegen-
heiten kann im Einzelfall oder allgemein, namentlich zu-
gunsten der im $ 8, Abs. 2 bezeichneten Körperschaften Aus-
nahmen von den Vorschriften des $ ı zulassen“. — Neu ein-
geschoben ist der $4: „Die Vorschriften der $$ 1 —3 finden auf
eine Grabung nach Gegenständen, die für die Urgeschichte
der Tier- oder Pflanzenwelt von Bedeutung sind, ent-
sprechende Anwendung“; dadurch ist das in $ ı,ı weggefallene Wort
„naturgeschichtlich“ durch eine wesentlich bessere Begriffsbestimmung_ er-
setzt worden. — In $ 5, ı (Vorlage 4, ı) ist der Gegenstand genau so wie
in $ ı, ı näher bezeichnet, aber vor „Bedeutung“ ist das Wort „erheb-
lich“ eingefügt worden. Ferner wird der Ortspolizeibehörde aufgegeben, „un-
verzüglich die Erwerbsberechtigten zu benachrichtigen“. —
In $ 6 (Vorlage 5) ist der Absatz 2 gestrichen worden. — Hinter $ 6 (Vor-
lage 5) ist ein neuer $ 7 eingefügt worden, der dem Minister eine Aus-
nahmebefugnis zubilligt, „sofern eine sachgemäße Behandlung von
Gelegenheitsfunden gewährleistet ist“. — In $8, r (Vorlage 6, ı)
ist statt von einer „Erstattung des Wertes“ nur noch von einer „Ent-
schädigung“ die Rede. — In $ 8,3 (Vorlage 6, 3) ist als Entschädigung
allgemein der „Ersatz des gemeinen Wertes“ bestimmt und dafür die
Möglichkeit einer Veräußerung ins Ausland ganz außer Betracht gelassen
worden. — Neu angefügt ist aber ein $ 8,4, der den Ersatz etwaiger Auf-
wendungen vorsieht, „die zur Erhaltung des Gegenstandes oder der
Entdeckungsstätte“ erforderlich erscheinen. — Nach $ 12 (Vorlage 10)
ist nunmehr für die Entscheidung der Frage, ob in einem bestimmten Falle
die Voraussetzungen für eine Ablieferung vorliegen, nicht der Regierungs-
präsident, sondern der Bezirksausschuß zuständig. — Hinter $ 22
(Vorlage 20) ist als $ 23 die neue Bestimmung eingefügt: „Die Be-
schlüsse des Bezirksausschusses sind mit Gründen zu ver-
sehen. Gegen diese Beschlüsse steht den Beteiligten binnen
zwei Wochen nach Zustellung die Beschwerde an den Pro-
vinzialrat zu.“ — Als neuer $ 24,2 wird dem $ 24, ı (Vorlage 21)
hinzugefügt: „Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des Regie-
rungspräsidenten ein; die Zurücknahme des Antrags ist zu-
lässig.“ — $ 25, ı (Vorlage 22, 1) setzt die Geldstrafe von zwanzigtausend
Mark auf zehntausend Mark herab und streicht die Möglichkeit der
Bestrafung mit Gefängnis. Dafür aber wird ein neuer Absatz $ 25, 2
eingefügt: „Ist der Täter eine Person, die aus der Veranstal-
tung von Ausgrabungen oder aus der Verwertung ausgegra-
bener oder gelegentlich entdeckter Gegenstände ... ein Ge-
werbe macht, so kann die Geldstrafe bis zu zwanzigtausend
Mark erhöht werden, auch kann auf Gefängnis bis zu drei
Monaten sowie auf die Geldstrafe neben der Freiheitsstrafe
erkannt werden.“ Weiter kommt dann noch ein $ 25,4 hinzu: „In
den Fällen des Absatz ı (also dann, wenn es sich um Leute handelt,
die aus Ausgrabungen oder Verwertung ausgegrabener oder zufällig ent-
| 11°
— 154 —
deckter Gegenstände nicht ein Gewerbe machen) tritt die Verfolgung
nur auf Antrag des Regierungspräsidenten ein; die Zurück-
nahme des Antrags ist zulässig. Eine nicht beizutreibende
Geldstrafe ist in Haft umzuwandeln.“
Wie sich aus diesen Angaben erkennen läßt, beruhen sämtliche Ände-
rungen auf dem Wunsche, die Absicht des Gesetzgebers in möglichst hohem
Maße sicherzustellen. Die für die ‘Altertumsforscher wichtigste unter allen
Bestimmungen ist die, daß jede willkürliche Grabung untersagt ist, daß viel-
mehr für eine beabsichtigte Ausgrabung stets zuerst die Genehmigung
des Regierungspräsidenten eingeholt werden muß. Ferner besteht
die Pflicht, bei gelegentlichen Funden sofort der Ortspolizei Anzeige zu
erstatten und dieselben auf Verlangen an Gemeinde, Kreis, Provinz oder
Staat gegen Entschädigung abzuliefern. Die Möglichkeit, vor- und früh-
geschichtliche Sammlungen zu begründen, ist demnach für Privatpersonen in
Preußen außerordentlich gering geworden, und da der als Entschädigung
zu gewährende Preis behördlich bestimmt wird, sind dem Handel mit vor-
und frühgeschichtlichen Gegenständen enge Grenzen gezogen.
Es ist hier der Ort, auf einen Aufsatz 1) von Georg Wolff (Frankfurt
a. M.) hinzuweisen, der noch, ehe das Ausgrabungsgesetz verabschiedet war,
an der Hand seiner eigenen reichen Erfahrungen hinsichtlich der Abgrenzung
des Frankfurter Bodenforschungsgebietes gegenüber dem der benachbarten
Vereins- (Hanau) und Provinzialmuseen (Wiesbaden) auf drohende Schwierig-
keiten hinwies, die nur durch die noch fehlenden Ausführungsbestim-
mungen zu beseitigen sind.
Nach § 8, 2 des Gesetzes besitzen Staat, Provinz, Kreis und Gemeinde
nebeneinander die Befugnis, die Ablieferung eines entdeckten Gegenstandes
zu verlangen, aber eine Norm dafür, nach welchen Gesichtspunkten diese
vier Berechtigten sich teilen sollen, fehlt, und der früher ?) lebhaft geführte
Streit zwischen Zentral- und Provinzial-(Territorial-)Museen einerseits und
Provinzial- und Ortsmuseen anderseits wird nur zur Ruhe kommen, wenn
feste Regeln bezüglich der jedem von ihnen zufallenden Stücke aufgestellt
werden, welche die Lebensinteressen jeder Museumsart berücksichtigen.
Wolff bezieht sich dafür auf Äußerungen des Bonner Museumsdirektors
Lehner, der 1907 und 1908 die natürlichen Grenzen der Sammelgebiete
der drei verschiedenen Museumsarten umschrieben hat. Danach sollen die
Zentralmuseen ein Bild der gesamten Kulturentwicklung eines Staates
oder des ganzen Reiches geben, soweit diese in den beweglichen Denkmälern
zum Ausdrucke kommt. Sie können dies nur erreichen, wenn sie, unter
Verzichtleistung auf alles überflüssige Detail, sich mit der Sammlung und
Aufstellung typischer Gegenstände begnügen. Wenn Lehner bei der Erwer-
bung dieser Kulturdenkmäler von den Leitern der Zentralmuseen loyales Vor-
gehen gegenüber den Territorial- und Lokalmuseen verlangt, loyaleres als es
seitens der Vertreter besonders des Berliner Völkermuseums früher üblich
war, so können wir ihm aus eigener Überzeugung und Erfahrung nur bei-
1) Das städtische Historische Museum und die heimatliche Bodenforschung
in der Vierteljahrschrift Al-Frankfurt, 5. Jahrg. (1913), S. 97—107.
2) Vgl. dazu diese Zeitschrift 5. Bd., S. 25. =
— 155 —
stimmen. Eine Durchführung der von Schuchhardt !) 1908 in Dortmund an-
gedeuteten Grundsätze würde der Zentralanstalt selbst nur förderlich sein,
insofern sie die Leiter der Territorial- und Lokalmuseen geneigter machen
würde, die Verwaltung der Zentralanstalt bei dem Bestreben nach Vervoll-
ständigung ihrer Typensammlung zu unterstützen.
Viel wichtiger ist für uns (d. h. die Frankfurter Forscher) das Verhältnis
zu den Territorialmuseen. Für die letzteren können wir im allgemeinen
die Grundsätze billigen, die bei der Gründung der beiden rheinischen Pro-
vinzialmuseen zu Bonn und Trier aufgestellt worden sind. Von berufener
Stelle sind sie folgendermaßen formuliert worden: „Die beiden Museen haben
die Aufgabe, die innerhalb der Rheinprovinz erhaltenen wichtigen, dem Unter-
gange oder der Verzettelung ausgesetzten beweglichen Denkmäler der’ Vor-
zeit zu sammeln, die Aufdeckung, Erforschung und wissenschaftliche Aus-
nutzung insbesondere der den älteren Perioden rheinischer Kunstgeschichte
angehörigen Reste zu betreiben und die historisch-antiquarischen Interessen
innerhalb der ihnen zugewiesenen Gebiete zusammenzufassen. Sie sollen
Territorialmuseen sein, Sammlungen, welche die gesamte Kultur einer geo-
graphisch begrenzten Landschaft zu veranschaulichen berufen sind.“ Auf
Grund dieser Bestimmungen beansprucht Lehner für sein Bonner Museum
das Recht, „aus allen Teilen seines Rayons, d. h. also der Regierungsbezirke
Koblenz, Köln, Düsseldorf und Aachen, Altertümer auszugraben, zu erwerben -
und in Bonn zu vereinigen“. Den Widerspruch, daß ‚andererseits Staat
und Provinzialverwaltung die zahlreichen Lokalvereine des Rheinlandes und
deren Sammlungen begünstigen“, sucht er dadurch zu lösen, daß er verlangt,
im Provinzialmuseum sollen „Proben aller alten Kulturerzeugnisse aus dem
ganzen Sammelbezirk vorhanden sein‘, während die Lokalmuseen, unter
strengster Beschränkung auf ihren Bezirk, hier das gesamte örtliche Mate-
rial — abgesehen von den aus Territorialmuseen abgegebenen Proben —
zur Ausstellung bringen oder wenigstens der wissenschaftlichen Forschung
zugänglich machen.
Um einen Ausgleich der widersprechenden Interessen herbeizuführen,
schlägt er vor, daß, wie einerseits das Provinzialmuseum von den bei Aus-
grabungen der Lokalvereine gewonnenen Funden ausgewählte Stücke bean-
spruche, es anderseits die große Masse der bei seinen eigenen Arbeiten zu-
tage geförderten Altertlimer. dem jedesmal in Betracht kommenden Lokal-
museum tiberlasse. Einschneidender ist die Forderung, daß alle Denkmäler,
die weit über den Interessenbezirk eines einzelnen Vereins oder Museums
allgemein wissenschaftlichen Wert haben, ins Provinzialmuseum kommen,
während die Lokalmuseen von diesen in ihrem Bezirk gefundenen Denkmälern
auf Kosten des Provinzialmuseums Gipsabgüsse erhalten, außerdem aber — als
Entschädigung für den Verlust der Originale — auch noch Abgüsse solcher
Denkmäler aus anderen Gebieten, die allgemein geschichtliches Interesse
bieten und das Studium der im Bezirk gefundenen analogen Gegenstände
erleichtern.
Diese Ausführungen eines anerkannten Fachmannes sind vielleicht ge-
eignet, als Grundlage für die erforderliche Grenzfestsetzung zwischen den
1) Dem damals eben ernannten neuen Direktor des Völkermuseums.
— 156 —
Sammelbereichen der drei Arten von Museen zu dienen. Den Nächst-
beteiligten aber ist zu empfehlen, ihre besonderen Verhältnisse auf die An-
wendbarkeit der entwickelten Grundsätze zu prüfen und rechtzeitig ihre
Stimme zu erheben. Tille.
Eingegangene Bücher.
Vogt, Ernst: Mainz und Hessen im späteren Mittelalter [= Mitteilungen
dcs Oberhessischen Geschichtsvereins, Neue Folge, ı9. Bd. (1911),
S. 1—41 und 21. Bd. (1914), S. 12—53].
Wendt, Heinrich: Kirchenpolitik und Stadtbefestigung in Breslau 1529 bis
1533 [= Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens, 48. Bd.
(1914 , S. 74—88].
Arnold, Robert F.: Die Kultur der Renaissance. Gesittung, Forschung,
Dichtung. Zweite Auflage. [= Sammlung Göschen Nr. 189.) Berlin
und Leipzig, G. J. Göschen 1914. 136 S. 16°. M 0,90.
Bähnisch, Alfred: Die deutschen Personennamen. Zweite Auflage. [=
Aus Natur und Geisteswelt, 296. Bändchen.) Leipzig und Berlin,
B. G. Teubner 1914. 126 S. 8. M 1,25.
Bär, Max: Das K. Staatsarchiv zu Danzig, seine Begründung, seine Ein-
richtungen und seine Bestände. Mit 2 Abbildungen. [== Mitteilungen
der K. Preußischen Archivverwaltung, Heft 21.] Leipzig, S. Hirzel
1912. 94 S. 8%. M 3,00.
Bleymüller, Hans: Germanentrotz, die Tragödie eines Vielgefeierten.
Hamburg, F. W. Vogel [1915]. 131r S. 8. Æ 1,50.
Chronik des Deutschen Krieges nach amtlichen Berichten und
zeitgenössischen Kundgebungen. Erster Band: Bis Mitte November
1914. Zweiter Band: Von Mitte November 1914 bis Mitte Januar
1915. München, C. H. Beck 1915. 484 und 468 S. 8%. Geb.
M 2,80 für jeden Band.
Ebbinghaus, Therese: Napoleon, England und die Presse 1800— 1803
[= Historische Bibliothek, 35. Band]. München und Berlin, R. Olden-
bourg 1914. zıı S. 8%. Æ 5,00.
Flammenzeichen. Zeitgemäße Görres-Worte. Mit einem Geleitwort von
Bernhard Achtermann. Kempten und München, Jos. Kösel r915.
136 S. 16°.
Lamprecht, Karl: Krieg und Kultur. Drei vaterländische Vorträge [=
Zwischen Krieg und Frieden, 7|. Leipzig, S. Hirzel 1914. 88 S.
80, M 1,00.
Löwenthal, Fritz: Der preußische Verfassungsstreit 1862—1866. München
und Leipzig, Duncker & Humblot 1914. 342 S. 8%. Ææ 8,50.
Macke, Reinhold: Der Höhepunkt im Leben Bismarcks und die Bedrohung
seines Werkes durch unsere Feinde, ein Vortrag, gehalten im Januar
1915 [= Pädagogische Abhandlungen, Neue Folge, XVI. Band, Heft 12].
Bielefeld, A. Helmich 1915. 20 S. 8°. Æ 0,40.
Nowotny, Eduard: Die Grabungen im Standlager zu Carnuntum 1908
bis 1911 mit einem numismatischen (Friedrich v. Kenner) und einem
epigraphischen (E. Bormann) Anhang. Mit 7 Tafeln und 46 Ab-
— 157 —
bildungen im Text [= Der Römische Limes in Österreich, Heft XII].
. Wien und Leipzig, Alfred Hölder 1914. 342 Spalten 4°.
Pfannkuche, August: Staat und Kirche in ihrem gegenseitigen Verhältnis
seit der Reformation [= Aus Natur und Geisteswelt, 485. Bändchen].
Leipzig und Berlin, B. G. Teubner 1915. 118 S. 8%. Geb. Æ 1,25.
Ribbeck, Konrad: Geschichte der Stadt Essen, herausgegeben von der
Stadt Essen auf Grund einer Stiftung des Herrn Albert von Waldt-
hausen. Erster Teil. Mit einer Wappentafel, einer Ansicht der
Stadt Essen und einem Plane der Stadt. Essen, G. D. Baedeker r915.
505 S. Gr.-8%. Geb. Æ 5,00.
Ried, Karl: Die Durchführung der Reformation in der ehemaligen freien
Reichsstadt Weißenburg i. B. [== Historische Forschungen und Quellen,
herausgegeben von Dr. Joseph Schlecht, Professor der Geschichte
am K. Lyzeum in Freising, ı. Heft]. München und Freising, Datterer
& Cie. 1915. 136 S. 8%. M 4,50.
Schauerte, Heinrich: Reinold der Stadtpatron Dortmunds. Dortmund,
Gebr. Lensing 1914. 52 S. 8. Ææ 0,75.
Schierenberg, Heinz: Blüte und Verfall der lippischen Leinenindustrie
[>= Mitteilungen aus der lippischen Geschichte und Landeskunde,
Bd. X (Detmold, Meyer 1914), S. 1— 108].
Schmidt, Otto Eduard: Aus der Zeit der Freiheitskriege und des Wiener
Kongresses, 87 ungedruckte Briefe und Urkunden aus sächsischen Adels-
archiven herausgegeben und geschichtlich verbunden [= Aus Sachsens
Vergangenheit, Einzeldarstellungen, dem sächsischen Volk dargeboten
von der Kgl. Sächsischen Kommission für Geschichte, Heft 3]. Leipzig
und Berlin, B. G. Teubner 1914. 186 S. 8%. Geb. Æ 3,60.
Schulze, Rudolf: Quellensammlung zur Staats- und Bürgerkunde. 1. Teil:
Altertum und Mittelalter. 2. Teil: Die Neuzeit [= Ferdinand Schö-
ninghs Sammlung von Quellenstoffen für den Geschichtsunterricht an
höheren Lehranstalten, ı. und 2. Bändchen]. Paderbom, Ferdinand
Schöningh 1914 und 1915. 73 und 148 S. 8%. Æ 0,75 und 1,00.
Schwahn, Lukas: Die Beziehungen der katholischen Rheinlande und Bel-
giens in den Jahren 1830—1840, ein Beitrag zur Vorgeschichte der
kirchlichen und politischen Bewegung unter den rheinischen Katholiken
[= Straßburger Beiträge zur neueren Geschichte, herausgegeben von
Prof. Dr. Martin Spahn, XI. Band]. Straßburg i. E., Herder 1914.
208 S. 8°,
Siedel, Adolf: Untersuchungen über die Entwicklung der Landeshoheit
und der Landesgrenze des ehemaligen Fürstbistums Verden bis 1586 [=
Studien und Vorarbeiten sum Historischen Atlas Niedersachsens, 2. Heft].
Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 1915. 69 S. Groß-8°. M 5,00.
Venne, J. van de: Anniversarium der Parochiekerk van St. Martinus te
Horne [= Publications de la Société historique et archéologique dans
le Limbourg à Maestricht, Tome L (Maestricht, Leiter — Nypels
1914), S. 257—306]. |
Benzerath, Michael: Die Kirchenpatrone der alten Diözese Lausanne im
Mittelalter [= Freiburger Geschichtsblätter, 20. Jahrg. (Freiburg i. Ü.
1913), S. 1—219].
— 158 —
Beyhoff, Fritz: Stadt und Festung Gießen im Zeitalter des Dreißigjährigen
Krieges I: Die Stadt Gießen [== Mitteilungen des Oberhessischen Ge-
schichtsvereins, Neue Folge, 22. Band (Gießen 1915), S. 1ı—ı38].
Borckenhagen, Fritze: National- und handelspolitische Bestrebungen in
Deutschland (1815—1822) und die Anfänge Friedrich Lists [= Ab-
handlungen zur mittleren und neueren Geschichte, hggb. von Georg
v. Below, Heinrich Finke und Friedrich Meinecke, Heft 57]. Berlin
und Leipzig, Walther Rothschild 1915. 83 S. 8°. # 2,60.
Bücher, Karl: Die Berufe der Stadt Frankfurt a. M. im Mittelalter [=
Abhandlungen der philologisch-historischen Klasse der Kgl. Sächsischen
Gesellschaft der Wissenschaften, Bd. 30, Nr. UI]. Leipzig, B. G.
Teubner 1914. 143 S. 8°. Æ 4,50
Cartellieri, Alexander: Deutschland und Frankreich im Wandel der Jahr-
hunderte. Rede, gehalten zur Feier der Akademischen Preisverteilung
in Jena am 20. Juni 1914. Jena, Gustav Fischer 1914. 39 S. 8°.
Deneke, Th.: Sprachverhältnisse und Sprachgrenze in Belgien und Nord-
frankreich. Mit 2 Karten. Hamburg, L. Friederichsen & Co. 1915.
35 S. 8. Æ 1,50.
Dreher, Ferdinand: Eine bisher unbekannte zeitgenössische Schilderung
der „Schlacht am Johannisberg bei Friedberg in der Wetterau“ 1762,
August 30'”. Friedberg (Hessen), Carl Bindernagel 1915. 21 S. 80.
Gerber, Harıy: Drei Jahre reichsstädtischer, hauptsächlich Frankfurter
Politik im Rahmen der Reichsgeschichte unter Sigismund und Albrecht II.
1437—1439. Marburger Dissertation 1914. 132 S. 8°.
Herrmann, Rudolf: Die Generalvisitationen in den Ernestinischen Landen
zur Zeit der Lehrstreitigkeiten des 16. Jahrhunderts (1554/55, 1562,
1569/70, 1573) [= Zeitschrift für Thüringische Geschichte und Alter-
tumskunde, 30. Band (1914), S. 75—156].
Hoeniger: Die Armeen des Dreißigjährigen Krieges. Vortrag, gehalten
in der Militärischen Gesellschaft zu Berlin am 12. November 1913.
Berlin, Ernst Siegfried Mittler und Sohn 1914. 26 S. 8°.
Humborg, Ludwig: Die Hexenprozesse in der Stadt Münster, ein Beitrag zur
Kulturgeschichte Münsters [== Münstersche Beiträge sur Geschichtsfor-
schung, N. F. 31]. Münster, Franz Coppenrath 1914. 135 S. 80. M 2,70.
Koken, Hermann: Die Braunschweiger Landstände um die Wende des
16. Jahrhunderts unter den Herzögen Julius und Heinrich Julius 1568
bis 1613 im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel. Kieler Dissertation.
Braunschweig, Appelhans & Comp. 1914. 5r S. 8°.
Berichtigung. — In dem trefflichen Aufsatze Die Polisei unter Josef II.
von Adolf v. Wiedemann-Warnhelm wird oben S. 33 einleitungsweise
bemerkt, daß Wien vor dem Jahre 1740 noch keine nächtliche Beleuchtung
gehabt habe. Demgegenüber möchte ich darauf hinweisen, daß schon am
5. Juni 1688 eine Beleuchtung mit Klauenfett durch 2000 Laternen ein-
geführt und daß zur Bestreitung der Kosten ein eigener Illuminationsaufschlag
angeordnet wurde. M. Vancsa
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr, Armin Tille in Weimar.
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.
untl BT
Pu E S a
—
—
Deutsche Geschichis!:: -..
` =.
Monatsschrift für Erforschung deuisuier vi.
gangen: ~.i cef laridesge
Mti Aures ni-
XVI. Banc Band
3 i
i, u U
ki;
In -
Deutschl: T
des Welth: TEES g
Tode dahing l
gekehi
v
Le i
reibe:
wie vo
erlosche
s Le!
I’ A NN tt
frot.. - "i b’
bannt te
großer sie. | Zr
seines Nix . cs IE
zäh seinen h < - ı em
gefügten Stuf.i..: a.
zu seiner letzten I: *ı miee
ae ae Ds PN E
Jaak remor GrUNdids
AE Fe git
a! Pi
(i
iin
l s y-
T re E, F ar A ge
ın storiker verloren: amn Io. Mai
r Karl Lamprecht sn inem
et ist er erlegen; heim-
ch 7 Belgie
| eo?7
H
sem
tnis und
auf-
euchten,
em Verglühen
gen, S50 mannig-
„uprechts kampfes-
se steter Unruhe gc-
resenen verlie » ~ Entwicklung in
h blitzten ihmi «..-
vhlicher Folgerichtigkeit schritt er
‚egen. Wie in einem breiten, fest-
s sein Lebenswerk immer höher bis nahe
‚rundgedanken
12
Deutsche Geschichtsblätter
Monatsschrift für Erforschung deutscher Ver-
gangenheit auf landesgeschichtlicher Grundlage
XVI. Band Juli 1915 7. Heft
Karl Lamprecht
Von
Rudolf Kötzschke (Leipzig)
„Der Historiker soll der Vergangenheit Gegen-
wart einhauchen können gleich Ezechiel dem Pro-
pheten; er schreitet durch Gefilde von Totengebeinen,
aber hinter ihm rauscht das Leben.“
Sinnspruch Lamprechts im Gedenkblatt der „Leipziger
Neuesten Nachrichten“ zum Universitätsjubiläum 1909.
In schicksalsvoller, politisch aufs stärkste bewegter Zeit hat
Deutschland seinen namhaftesten Kulturhistoriker verloren: am Io. Mai
des Weltkriegsjahres 1915 wurde zu Leipzig Karl Lamprecht in jähem
Tode dahingerafft. Nicht tückischer Krankheit ist er erlegen; heim-
gekehrt von einer Reise ins Kriegsgebiet Nordfrankreichs und Belgiens,
wo er als Augenzeuge Eindrücke des großen Geschehens der Gegen-
wart. sammeln und seine Gedanken über den künftigen Neubau deutscher
und menschheitlicher Kultur abklären wollte, hat er einen Zustand
völliger Erschöpfung nach übermäßigen körperlichen und geistigen
Anstrengungen nicht mehr zu überwinden vermocht. In rastlosem
Schaffensdrang immer größere Aufgaben menschlicher Erkenntnis und
Lebensgestaltung stürmisch ergreifend hatte er in langjährigen auf-
reibenden Kämpfen seine vollste Kraft eingesetzt; nun ist dies Leuchten,
wie von unsichtbarem Hauche berührt, in raschem stillem Verglühen
erloschen.
Ein wunderbar reiches Leben ist zu Ende gegangen. So mannig-
fach die Widerstände waren, deren Bewältigung Lamprechts kampfes-
frohe Natur immer von neuem lockte und doch in steter Unruhe ge-
bannt hielt, auf das Innerste gesehen verlief seine Entwicklung in
großer stetiger Harmonie. Schon früh blitzten ihm die Grundgedanken
seines Wirkens auf; mit unvergleichlicher Folgerichtigkeit schritt er
zäh seinen höchsten Zielen entgegen. Wie in einem breiten, fest-
gefügten Stufenbau hob sich sein Lebenswerk immer höher bis nahe
zu seiner letzten Bekrönung.
12
— 160 —
In dem für die deutsche Geistesgeschichte so fruchtbaren ober-
sächsisch-thüringischen Kulturgebiet, wo einst auf der Höhe des Mittel-
alters das erste große Geschichtswerk in deutscher Prosa der heimi-
schen Laienwelt geschenkt ward, ist Karl Gotthart Lamprecht zu Jessen
an der Schwarzen Elster, auf ostelbischem kolonialem Boden, am 25. Fe-
bruar 1856 als Pfarrerssohn geboren und aufgewachsen. Als früheste
Erinnerung an ein öffentliches Ereignis bewahrte er das Bild einer abend-
lichen Feier, die am Krönungsfeste König Wilhelms I. auf dem Markt-
platz seines Heimatsstädtchens mit einer bedeutsamen Ansprache
seines charaktervollen Vaters veranstaltet wurde, wie ein Symbol
kommender ernster Tage. Noch im Alter knabenhaften Beobachtens,
doch mit heller werdendem Bewußtsein erlebte er die große Zeit, die
dem deutschen Volke mit der Gründung des Reichs die Erfüllung
nationaler Hoffnungen brachte und Vorbedingungen zu neuem Auf-
stieg schuf. Für ihn selbst waren es Jahre, in denen die Pflicht galt,
Anfangsgründe für die eigene Bildung zu gewinnen: zunächst in der
Lutherstadt Wittenberg, die damals noch Festung war, wo er in dem
altertümlichen, mit Bildern Cranachs geschmückten Hause der Lufft-
schen Buchhandlung weilte, und danach in Schulpforte, inmitten der
lieblichen und doch eines markigen Zuges nicht entbehrenden Land-
schaft des Saaletals, die mit ihren mannigfaltigen geschichtlichen
Denkmalen einen wundervollen Ausschnitt deutscher Kulturgeschichte
in lebendigster Anschaulichkeit vor den Augen ausbreitet und höchst
eindrucksvoll zu einem feinen empfänglichen Gemüt von versunkenem
menschlichen Wesen spricht. Diese Stätte seiner Jugendbildung be-
hielt L. stets in dankbarem Gedächtnis: der Alma Mater Schulpforte
widmete er seine wissenschaftliche Erstlingsarbeit, wobei er hervor-
hob, daß Rektor Herbst zuerst den Sinn für geschichtliche Auffassung
in ihm weckte; und auch als reifer Mann erkannte er gern an, daß
die dort ihm zuteil gewordene humanistische Schulung und die Ge-
wöhnung an umsichtig philologische Texterklärung ihm eine wertvolle
Mitgabe für sein künftiges Wirken gewesen sei. |
Auf die Schulzeit folgten die Wanderjahre des Universitätsstudiums
zu Göttingen, Leipzig und München (1874/79). In die Geschichte als
Wissenschaft führte ihn Weizsäcker ein, sowie E. Bernheim, dessen
feinsinnige literargeschichtliche und auf das Seelische eingehende Er-
klärung mittelalterlicher Quellen ihn anzog. Sodann ließ er die ge-
wissenhafte Forschungsweise W. Arndts auf sich wirken, der, aus-
gerüstet mit dem kritischen Werkzeug aus der Schule der Monumenta
Germaniae, den verfassungsgeschichtlichen Problemen des Mittelalters
— 161 —
zugewandt war, und lernte auch v. Noordens Behandlung der euro-
päischen Staatengeschichte sowie die Übungen im Leipziger Histori-
schen Seminar, dem ersten Deutschlands, kennen. Doch sehr viel
weiter legte er seine Studien an, als es damals Gepflogenheit eines
jungen Historikers war. Bezeichnend ist, daß er die ihm in W.
Roschers Vorlesungen zuerst erschlossene Nationalökonomie und
danach in München die Kunstgeschichte mit Vorliebe betrieb und
sich so mit den beiden Wissensgebieten aufs gründlichste vertraut
machte, auf denen er später bei seiner Auffassung der großen Zusammen-
hänge historischer Erscheinungen das Selbständigste geleistet hat.
Aber L. ließ sich nicht genügen, Nachbildner eines glücklichen
Vorbilds zu sein. Wohl bewährte sich die Unterweisung und Beratung
durch jene Männer in der im Februar 1878 abgeschlossenen Arbeit,
mit welcher er sich die Doktorwürde errang; doch schon dabei zeigte
sich, daß er eigene Bahnen zu suchen begann. Seine ursprüngliche
Absicht war es gewesen, eine Arbeit über Gregor VII. und den In-
vestiturstreit abzufassen. Im Zusammenhang damit hatte ihn eine Auf-
gabe hilfswissenschaftlicher Art, die Datierung der Briefe des Bischofs
Ivo von Chartres, zur Beschäftigung mit den Zehnten in Frankreich
geführt, und nun verfaßte er seine Beiträge zur Geschichte des franzö-
sischen Wirtschaftslebens im elften Jahrhundert!) mit dem Bewußt-
sein, eine Erstlingsarbeit auch dem Stoffe nach zu bieten; schon da-
. mals fühlte er sich als Pfadfinder. Doch nicht eine rein wirtschafts-
geschichtliche Studie wollte er schreiben; ihm galt es, die Lebensart
des Volkes im Ackerbau zu zeichnen, einen Ausschnitt französischer
Kulturgeschichte in zeitlicher Begrenzung quellenmäßig zu behandeln.
Weit bedeutsamer für L.s innere Entwicklung ist ein nur wenige
Monate später, im Sommer 1878, zu München niedergeschriebener
Aufsatz Über Individualität und Verständnis für dieselbe im deutschen
Mittelalter ?), ein genialer Wurf, in welchem sich das Wesentlichste
der künftigen Geschichtsschreibung Lamprechts schon klar vorbereitet
findet. Erstaunlich ist es zu sehen, wie der jugendliche Verfasser alle
Zweige mittelalterlichen Lebens, Staat und Gesellschaft, Wirtschaft
und Recht, bildende Kunst, Dichtung, Wissenschaft, Religion und
Weltanschauung ins forschende Auge faßt; eine ganz ungewöhnliche
1) Erschienen in G. Schmollers Staats- und sosialwissenschaftlichen For-
schungen. I, Heft 3. Eine französische Ausgabe erschien: Essais sur letat économique
de la France pendant la premiere partie du moyen-âge. trad. par A. Marignan.
(Paris 1889.)
2) Veröffentlicht im Ankang zur Deutschen Geschichte. Bd. XI, S. 3 fl.
12*
— 12 —
Kenntnis von Quellen und Darstellungen muß ihm dafür zu Gebote
gestanden haben. Aber nicht diese Vielseitigkeit ist am meisten be-
merkenswert; entscheidend ist die Art, wie all dies Verschiedene unter
einheitlichem Gesichtspunkt betrachtet wurde. Während seiner Stu-
dienjahre hatte L. die Quellen zur deutschen Kirchengeschichte, so-
dann allgemeiner zur deutschen Geschichte des X. Jahrhunderts, in
vollem Zusammenhang gelesen: nicht, indem er in kritischer Unter-
suchung Ereignisse festzustellen sich bemühte, sondern sie als Denk-
male historischer Literatur voll auf sich wirken ließ, die ganze Art der
darin bekundeten Auffassung menschlicher Lebensvorgänge und die
Fähigkeit mehr oder minder deutlicher Kennzeichnung der Personen,
Handlungen und Zustände beobachtete. Dabei ergaben sich ihm
gemeinsame Grundzüge eines ganzen Zeitalters, das sich von der
Gegenwart durch auffallende Armut an Einzelzügen bei Darstellung
des Gesehenen und Gehörten, durch die geringe Intensität in der Er-
fassung der Umwelt unterschied. Einblicke in die Art der Wieder-
gabe von Naturgegenständen, menschlichen Figuren und Szenen, die
er bei der Untersuchung mittelalterlicher Federzeichnungen und Bild-
werke gewonnen hatte, führten zu ganz entsprechenden Wahrnehmungen.
So kam L. zu einem historischen Problem eigener Art, dessen Lösung
er zunächst in jener nur für sich selbst entworfenen Aufzeichnung in
großen Umrissen versuchte. Nicht auf neue Feststellungen über Tat-
sachenreihen in der Geschichte und ihre ursächliche Verknüpfung war
es abgesehen; alles diente der Lösung der einen Aufgabe, das innere
Wesen der mittelalterlichen Einzelpersönlichkeit in ihrem Verhältnis
zu Sippe und Stamm, Volk und Stand herauszuarbeiten und darzutun,
wie es sich von urzeitlicher Gleichförmigkeit zu reicherer Mannig-
faltigkeit der Motive und Lebensäußerungen entfaltete.e Ein Problem
der Erkenntnis des seelischen Grundgehalts einer Entwicklungsperiode
war aufgeworfen, untersucht am deutschen Mittelalter, weil hier eine
glückliche Überlieferung dem Geschichtsphilosophen und dem Kultur-
historiker einzigartige Blicke in das Jugendleben eines Volkes gewährt.
Die so gewonnene Auffassung entwickelte er in lebendig darstellender
Form; noch fehlte die scharfgeprägte Begrifisbildung zur Kennzeich-
nung einander folgender kulturgeschichtlicher Zeitalter.
Eine glückliche Lebensfügung führte L. nach Abschluß seiner
Studien an den Rhein, wo er in reizvollster Umwelt seine frohesten
Jahre des ersten selbständigen Schaffens genoß: umgeben von Freund-
schaft und warmer Anerkennung, in jener wunderbaren Landschaft,
— 163 —
die so tiefinnerlich das Gemüt des gebildeten Deutschen ergreift, wo
charaktervolle Naturschönheit, umsponnen von sinniger Sage und
Legende, wie übersät von tausend kulturgeschichtlichen Erinnerungen
seit den Tagen der Ubier und dem Bau des hochragenden Doms
in hilliger stat se Kolme und dazu ein noch heute mit echter Über-
lieferung gesättigtes Volkstum den Menschen der Vorzeit so seelen-
und blutvoll vor dem Geiste wiedererstehen läßt, wie nirgendwo im
weiten deutschen Vaterland. Wie mußte Karl Lamprecht bei seiner
Fähigkeit zu feinnervigem Einfühlen in Naturstimmungen und All-
gemeinmenschliches den Zauber rheinischer Kulturlandschaft in sich
aufnehmen!
Die nächste Aufgabe galt nicht der Wissenschaft. L. ist einer
der wenigen in die akademische Laufbahn eingetretenen Historiker,
die zuvor den Lehrerberuf in eigener Wirksamkeit kennen gelernt
und geübt haben: als Erzieher in der vornehmen Kölner Familie
Deichmann und zugleich als Lehrer am Friedrich-Wilhelm- Gymnasium
unter Leitung des markigen Vorkämpfers für den humanistischen
Unterricht, Oskar Jäger, der ein offenes Verständnis für alles Ge-
schichtliche hegte und sich später in seinem auf Grund von Unter-
richtserfahrungen geschriebenen vaterländischen Geschichtswerk zu
dem Grundsatz bekannte „im Ganzen leben ist Geschichte“.
Indes sehr bald trat in L.s Leben eine Wendung ein durch die
Begegnung mit Gustav v. Mevissen. Hier trafen zwei wahlverwandte
Naturen zu gemeinsamem fruchtbarem Handeln zusammen. Eine der
geistig am höchsten stehenden Persönlichkeiten der westdeutschen
Kaufmannswelt, einer der bedeutendsten Führer des rheinischen
Liberalismus, hatte Mevissen die idealistische Gesinnung und Welt-
anschauung seiner Jugend bewahrt. Sein Streben ging dahin, „daß
aus den großartigen materiellen Schöpfungen der Gegenwart als wert-
vollste Blüte ein erhöhtes geistiges Leben hervorsprieße“. Vor allem
war er philosophischen und historischen Studien geneigt und umschloß
mit warmer Liebe die Geschichte seines rheinischen Heimatlandes.
So ging er mit tiefem Verständnis auf den von Lamprecht 1880 ihm
schriftlich vorgetragenen Plan ein, aus den (Quellen heraus eine Ent-
wicklungsgeschichte der realen Kultur des platten Landes zu bearbeiten,
zunächst in der durch die Fülle des Stoffes gebotenen Beschränkung
auf die Landschaft an der Mosel und am Mittelrhein, wenn auch stets
mit der Absicht, das Allgemeine im räumlich Besonderen zu geben.
Er ermöglichte dem jungen aufstrebenden Gelehrten, einige Jahre
hindurch ohne äußere Sorgen sich der Ausführung dieses umfassenden
— 164 —
Planes zu widmen; L. trat in die akademische Laufbahn ein und
habilitierte sich noch in demselben Jahre als Privatdozent an der Uni-
versität Bonn. Darüber hinaus aber galt es, eine Organisation zu
schaffen, um eine planmäßige Erschließung der reichen echten Über-
lieferung zur rheinischen Geschichte zu ermöglichen. L.s sprühende
Unternehmungslust gab dem älteren Freunde historischer Studien die
Anregung, auf einstige Wünsche zurückzugreifen; die wissenschaft-
lichen Kräfte und Vertreter der wirtschaftlich und politisch führenden
Kreise der Rheinprovinz vereinten sich in günstigem Zusammenwirken
zur Gründung der ‚Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde“ (1881).
So begann für Lamprecht mit einem schönen organisatorischen
Erfolg und großen Aussichten die erste Epoche seiner geschichtlichen
Forschertätigkeit, die der Landesgeschichte in einem überaus locken-
den Bereich voll dankenswerter Aufgaben gewidmet war. Als Frucht
mehrjähriger angestrengtester Arbeit gab er sein erstes großes Werk
heraus: Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter (Leipzig 1885/86) in
vier stattlichen Bänden, von denen l, und I, der Darstellung mit
einzelkritischen Nachweisen gewidmet sind, II das statistische Material
nebst einem Abriß der Quellenkunde enthält und IlI eine Auswahl
neu veröffentlichter Urkunden und Quellen statistischer Art bietet.
Damit war eine große Aufgabe bewältigt in ganz exaktem Forschungs-
verfahren nach induktiver Methode. Wohl wurde hierin nach all-
gemeiner Anschauung gestrebt, aber nur unter Abstraktion aus einer
Reihe erforschter Tatsachen. „Keine Behauptung ohne Beleg‘ war
der Grundsatz; aus überreich scheinender Fülle von Quellen hatte
der Verfasser geschöpft. Dabei war eine dem Historiker noch un-
gewohnte Aufgabe der Massenbeobachtung zu stellen gewesen. Wich-
tige Erscheinungen des geschichtlichen Lebens galt es zahlenmäßig
zu erfassen, mit mathematischer Sicherheit berechnen zu wollen: eine
auf deutschem Boden noch unbekannte Methode historisch-statistischer
Untersuchung kam hier zur Anwendung und Ausbildung. Die Dar-
stellung der Entwicklung des ganzen Organismus der materiellen Kultur
wurde nach einleitenden Ausführungen historisch-geographischer Art in
die Untersuchung verschiedener Teilentwicklungen des Rechtes, der Ver-
fassung und der Wirtschaft gegliedert; nur zum Schluß ward versucht,
das Allgemeine in knappem Überblick zusammenfassend zu verdeutlichen.
In solcher Anlage schuf L. ein aus historisch-kritisch bearbeitetem
Rohstoff der Überlieferung breit aufgebautes Werk zur deutschen Wirt-
schaftsgeschichte, als erster unter den damals hervortretenden Histori-
kern, wenige Jahre nach den frühesten Schriften der jüngeren historischen
— 165 —
Schule der Nationalökonomie. Danach galt er vielfach als Wirtschafts-
historiker; und ganz gewiß betonte er weit über das in der Geschichts-
schreibung übliche Maß die Bedeutung des Wirtschaftlichen für die
gesamte geschichtliche Entwicklung. Aber keineswegs dachte er sich
deren Verlauf als im tiefsten Grunde stets durch die materielle Kultur
bestimmt; selbst in seinem eigens der Wirtschaft gewidmeten Buch
sprach er, wenn auch nur andeutend, aus, daß jede Errungenschaft
der idealen Kultur in Glaube und Wissen, Dichtung und Kunst den
materiellen Kräften ihren Stempel aufdrücke.
Immer behielt er, sogar in der Zeit seiner vornehmlich wirt-
schaftsgeschichtlichen Studien, jene anderen Erscheinungen für seine
Forschung im Auge. Bevorzugt wurde dabei, wie schon früher, die
Kunstgeschichte. In den Jahren seines Kölner Aufenthalts vertiefte
er sich in die Geschichte des Dombaus. Sodann reifte als Neben-
frucht bei der Durchsicht der rheinländischen Handschriftenschätze
die Initial-Ornamentik des VIII. bis XIII. Jahrhunderts (Leipzig 1882),
in der eine Auswahl von Beispielen zur Übersicht über die Geschichte
des deutschen Geschmacks bis zur Gotik veröffentlicht und damit ein
bis dahin noch wenig ausgenutztes Material dem kunst- und kultur-
geschichtlichen Verständnis erschlossen wurde. In besonderem Sinne
bemerkenswert ist die Herausgabe der Trierer Adahandschrift (Leipzig
1889). Es galt, dieses einzigartige, altehrwürdige Denkmal rheinischer
Buchmalerei in seiner allgemeingeschichtlichen Bedeutung zu beleuch-
ten, seine Stellung nicht nur in der Geschichte der karolingischen
Miniatur, sondern ebenso der damaligen Schriftreform und Gestaltung
des Bibeltextes zu klären. Um dies Ziel zu erreichen, hat L. das
Zusammenwirken einer Gruppe vor ausgezeichneten Fachgelehrten
organisiert; ihm selbst blieb die Leitung vorbehalten. Auch sonst
war L. für die rheinische Geschichte tätig. Er beteiligte sich an der
Herausgabe der Westdeutschen Zeitschrift für Geschichte und Kunst
(Trier 1882 ff... In der großen Ausgabe der Chroniken deutscher
Städte übernahm er die Auswahl und Leitung der Chroniken der west-
fälischen und niederrheinischen Städte, deren Ausführung einzelnen
Mitarbeitern übertragen wurde (Leipzig 1887/89) 1). Im Bereich der
Veröffentlichungen der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde
ı) Eine eindringende Studie mit wertvollen eigenen Beobachtungen bot L. in dem
Aufsatz Zur Sosialstatistik der deutschen Stadt im Mittelalter (Archiv für soziale Ge-
setzgebung und Statistik Bd. I, S. 485 ff.), wozu ihm K. Büchers Werk über die Be-
völkerung Frankfurts a, M. (1886), diese „erste umfassende soziale Anatomie und Physio-
logie eines Gemeinwesens im Mittelalter‘‘, Anlaß bot.
— 166 —
leitete er persönlich die Ausgabe der Rheinischen Urbare in die Wege
und stellte dafür als Vorarbeit ein Verzeichnis niederrheinischer Ur-
barialien (Marburg 1890) zusammen; doch ist dies Unternehmen ein
Schmerzenskind rheinischer Quellenedition geworden. Als eine Samm-
lung anschaulich und geistvoll geschriebener Aufsätze, womit er sich
an einen weiteren Leserkreis wandte, gab er die Skissen sur rheini-
schen Geschichte (Leipzig 1887) heraus; es ist gleichsam die Abschieds-
gabe seiner der Landesgeschichte gewidmeten Forschertätigkeit gewesen.
L. war keine nur stiller Gelehrtenarbeit zugewandte Natur; leb-
haft fühlte er in sich den Drang nach breiteren Lehrwirkungen. Gern
trug er allgemein fesselnde Ergebnisse seiner Studien einem weiteren
Hörerkreis vor. Besonderes Glück aber gewährte ihm seine Lehr-
tätigkeit an der Universität Bonn. Mit selbstgewissem Frohmut suchte
er neue Bahnen, die abwichen von den Wegen der überkommenen
und alterprobten Gewohnheit im Hochschulunterricht. Wohl ver-
mochte er zunächst nur eine kleine gefolgsbereite Schar um sich zu
sammeln. Aber er wußte sie zu begeistern: durch die Stoffwahl,
welche Reize des Neuen auslöste, — so bei der Vorlesung über
Wirtschaftsgeschichte, die eine neue Welt den Blicken erschloß, —
durch die lebendige Art des Vortrags und die persönlich eindring-
liche Unterweisung der fast gleichaltrigen Arbeitsgenossen in den
Übungen und in freundschaftlichem Verkehr auf Ausflügen in Bonns
herrliche Umgebung, wo er die verschwiegene Zeugnissprache erd-
gewordener kulturgeschichtlicher Überlieferung in feinfühliger und
kenntnisreicher Erklärungskunst zu deuten verstand.
So war L., wenig über dreißig Jahre alt, zu einer wissenschaft-
lichen Persönlichkeit von ganz eigenartigem Gepräge geworden. Lei-
stungen lagen von ihm vollendet vor, wie sie recht wohl das Mannes-
alter eines tüchtigen Gelehrten auszufüllen vermocht hätten. Aber
L. strebte über das Erreichte, über sich selbst hinaus. Wäre er von
rein wirtschaftsgeschichtlichen Neigungen erfüllt gewesen, so würde
es nahe gelegen haben, ein Werk zur deutschen Wirtschaftsgeschichte
jüngerer Zeiten folgen zu lassen; aber er wählte diesen Plan nicht.
Unter dem Gesichtspunkt landesgeschichtlicher Forschung war es
möglich, der ersten Hauptarbeit eine zweite zur Geschichte der gei-
stigen Kultur des Rheinlands an die Seite zu stellen. Wirklich wandte
er sich vom Wirtschaftsleben jetzt einem Unternehmen zu, das ihn
wieder ganz unmittelbar zur historischen Erfassung des Seelenlebens
führte; aber er tat dies auf breitester Grundlage, indem er ganz all-
gemein die Aufgabe ergriff, eine Deutsche Geschichte zu schreiben.
— 167 —
Die Geschichte des eigenen Volkes in einem zusammenfassenden
Werk zu behandeln, wird einem Historiker, der über Einzelprobleme
großzügig zum Ganzen strebt, stets als eine besonders reizvolle Auf-
gabe erscheinen, zumal in einer Zeit ungewöhnlich starker nationaler
Erregung. So wählte sich Karl Lamprecht die Entwicklung einer
Volksindividualität, seiner Nation, zum Forschungsgegenstand, an den
er eine Lebensarbeit wagte — zunächst, wie er später bezeugt hat,
vor allem in der Absicht, seine eigenen Anschauungen darüber zu
klären. Eine Leistung allumfassender Art mußte geschaffen werden.
Doch bedeutsamer als die Vielseitigkeit der Stoffbeherrschung war
dabei die Eigenart der Durchdringung des gewaltigen Stoffs. Alle
die verschiedenen Teilentwicklungen in der Geschichte des deutschen
Volkes galt es voll und gleichmäßig darzustellen: nicht in losem Ge-
füge nebeneinander nur durch das Band zeitlicher Zusammengehörig-
keit verknüpft, sondern in tiefinnerlichster Verbindung miteinander zu
einer wirklichen Einheit verwoben. Dabei sah er die geistige und
die wirtschaftlich-soziale Kultur als gegenseitig bedingt an; doch die
entscheidendsten Merkmale zur Charakteristik der einander folgenden
Zeitalter, deren Gesamtindividualität zum Ausdruck zu bringen war,
entnahm er den Erscheinungen des geistigen Lebens.
In einer einleitenden Skizze über die Entwicklung des National-
bewußtseins deutete er die ihm vorschwebenden Grundgedanken an:
die Entwicklung von einem nur symbolisch-mythologisch bestimmten
Bewußtsein nationaler Zusammengehörigkeit zur Auffassung der Na-
tion als eines Typus unter andern Stämmen und Völkern, danach zu
einem konventionellen, nach ständischen Gruppen verschiedenen Be-
wußtsein deutscher Art und sodann zu neuen Formen des National-
bewußtseins auf Grund individualistischen, den Einzelnen im wesent-
lichen auf sich selbst stellenden Denkens bis endlich zum subjek-
tivistischen Nationalbewußtsein des XIX. Jahrhunderts, wo der nationale
Staat in einer Zeit freien Verkehrs, freier Meinung und Berufswahl
das reich sich entfaltende Leben so frei wie nie zuvor dastehender
und nur auf den nationalen Bestand festgegründeter Einzelpersönlich-
keiten schützt und zusammenhält.
In dem Werke selbst trat die Charakteristik des Seelischen einer
Epoche nicht beherrschend hervor; sie folgte der Behandlung anderer
Lebensgebiete. Breiter Raum war den äußeren Erlebnissen des Volkes
gewidmet; denn wohl war der Verfasser sich dessen bewußt, daß Er-
zählen eine Hauptaufgabe des Historikers bleibt. Die natürliche Glie-
derung von Urzeiten her, das Wesen der staatlichen Verbände, die
— 168 —
Wirtschaftszustände, Recht und Sitte erfuhren oft überraschende Be-
leuchtung. Besonders bedeutsam waren die Ausführungen über die
Gesellschaftsverfassung, in denen die Stellung des Einzelnen zu den
sozialen Mächten des Daseins gekennzeichnet ward. Doch das Eigen-
artigste bildeten entschieden die Abschnitte über den Charakter des
geistigen Lebens, welcher sich in der gesamten Kultur auswirkt, am
faßbarsten aber in Dichtung und Kunst. So schilderte er uraltertüm-
liches Seelenleben „symbolischer‘ Art, wo der Mensch noch ganz im
Anschauen das Leben um sich auffaßte, wo die Handlungen mit einem
Sinnbild knapp angedeutet, in der Rede nur Wichtigstes wuchtig mit-
geteilt und in schmückender Kunst Motive allereinfachster Art ver-
wendet wurden. Daraus bildete sich im frühen Mittelalter, gefördert
durch Aufnahme von Elementen antiker Kultur und die Ausbreitung
des Christentums, ein Geistesleben, in welchem die Gebundenheit
der Persönlichkeit noch fortbestand, doch schon ein wenig mehr
Spielraum zu selbständiger Entfaltung gelassen ward, wo die norm-
mäßige Verständniskraft nur zu „typischer“ Auffassung der Außen-
welt gelangte, in der Kunst die Wiedergabe der Erscheinungen nur
in den äußersten Umrissen üblich, Denken und Sitte noch grob naiv
waren. Und wiederum vollzog sich auf der Höhe des Mittelalters
ein Fortschritt zu einem Seelenleben „konventioneller“ Art, wo die
Formen der umgebenden Welt schon genauer erfaßt wurden, die
Einzelpersönlichkeit in einer nach Berufen gegliederten Gesellschaft
sich schon freier bewegte, aber doch noch in ritterlichen oder bürger-
lichen Modevorstellungen befangen war, so daß die Mitte eingehalten
ward zwischen der massiven Typik der überwundenen Zeit und dem
ausgeprägteren Individualismus der erst kommenden Geschlechter. Auf
solchen Anschauungen waren die ersten drei Bände der Deutschen
Geschichte (Leipzig 1891 ff.) aufgebaut. Ohne Belege für die Be-
hauptungen wurden sie dargeboten, ohne theoretische Erörterung:
rein durch sich selbst sollte die Darstellung wirken, wie ein Kunst-
werk. Bei der gedrängten Fülle des Gehalts und den ungewohnten
Gedankengängen war sie bisweilen nicht leicht verständlich. Doch
zeigte die Sprache trotz mancher seltsamen Wendungen glückliche
Kraft zur Anschaulichkeit; einzelne Abschnitte erreichten ein hohes
Maß gelungener künstlerischer Formgebung !).
1) Als Einzeluntersuchung über eines der schwierigsten Probleme frühmittelalter-
licher politischer Geschichte veröffentlichte L. die gründliche urkundenkritische Studie
über Die römische Frage von König Pippin bis auf Kaiser Ludwig den Frommen
(Leipzig 1889),
— 169 —
Inzwischen war eine Veränderung in Lamprechts äußerem Leben
vor sich gegangen durch raschen Fortschritt in der akademischen Lauf-
bahn. In Bonn war ihm 1885 die Stellung eines außerordentlichen
Professors verliehen worden; 1890 wurde er als Ordinarius der Ge-
schichte nach Marburg berufen, schon im Jahre darauf in gleicher
Eigenschaft nach Leipzig.
Damit kehrte L. in das Übergangsgebiet vom mutterländischen
Deutschland zum kolonialen Osten zurück. Nicht so eindringlich, wie
am Rhein, spricht in der Kulturlandschaft um Leipzig die um ein
Jahrtausend jüngere Überlieferung, wenn auch das weite Blachfeld von
großem Kampfesgeschehen erzählt; nur tiefer grabendem Verständnis
erschließt sie sich, wie auch die natürlichen Reize des flachwelligen
Ebenenlandes nur bei verfeinertem Empfinden aufnehmbar sind. Nicht
so unmittelbar anziehend durch Eigenschaften alteingewurzelten Stammes-
tums erscheint Sachsens Bevölkerung, deren bestes Teil neben arbeits-
williger Schaffensausdauer wohl eine tieferliegende feine Empfänglich-
keit ist. Aber Leipzig bot auch merkliche Vorteile: eine recht günstige
Verkehrslage inmitten Deutschlands, das rege Leben in einer kräftig
aufstrebenden Großstadt, das Wirken an einer großen Universität, in
einem Staat, der sich nach guter sächsischer Tradition stets eifrig der
Kulturpflege annahm und gerade dadurch seine Bedeutung im größeren
Vaterland zu erhalten bedacht sein muß.
Ein erstes nach außen eindrucksvolles Ereignis aus den Anfangs-
jahren von Lamprechts Leipziger Zeit war der unter seiner Leitung
Ostern 1894 hier abgehaltene Historikertag. So zahlreich war die
Tagung besucht, wie niemals eine andere; außer den Historikern be-
teiligten sich viele Gelehrte verwandter Wissenschaften; stattlich ver-
treten war auch die Lehrerschaft der höheren Schulen. Neben be-
deutsamen, rein wissenschaftlichen Vorträgen wurden mit glücklichem
Erfolg praktische Fragen in lebhafter Aussprache erörtert; damals
geschahen auch die einleitenden Schritte zur Begründung der „Kon-
ferenz landesgeschichtlicher Publikationsinstitute“, die regelmäßig seit
1895 ihre Zusammenkünfte zugleich mit dem Historikertag abgehalten
hat. L. stand auf einem Höhepunkt seines Lebens.
Eine größere Aufgabe landesgeschichtlicher Forschung in Sachsen
übernahm L. nicht; die Zeit mühsamer Editionsarbeit und archivali-
scher Ergründung eines Einzelproblems war für ihn vorüber. Wohl
aber glückte es seiner Tatkraft, einen in Sachsen schon früher auf-
getauchten Plan mit Überwindung mancher Schwierigkeiten zu ver-
wirklichen und eine Organisation zur Förderung der Landesgeschichte
— 170 —
ins Leben zu rufen. Im Dezember 1896 wurde die Königlich
Sächsische Kommission für Geschichte begründet. Fast zwei
volle Jahrzehnte hindurch war L. ihr geschäftsführendes Mitglied. Die
meisten bedeutungsvollen Anregungen gingen von ihm aus; er war
es auch, auf dessen Rat die Kommission Fühlung mit den durch staat-
lichen Einfluß, Besitz und Bildung hervorragenden Kreisen des Landes
durch Eröffnung einer Subskription auf ihre Schriften gewann und
damit zugleich eine erwünschte Stärkung der ihr verfügbaren Mittel
erzielte. So gelang es der Kommission sehr bald, sich durch eine
rasche Folge namhafter Veröffentlichungen eine geachtete Stellung
unter ähnlichen Kommissionen und Gesellschaften zu erringen.
Seine eigene wissenschaftliche Arbeit galt dem Weiterbau an der
deutschen Geschichte. Indes nachdem er im vierten und fünften
Bande die starkbewegte Zeit des erwachenden Individualismus vom
XIV. bis XVI. Jahrhundert, das Aufkommen der Geldwirtschaft, die Ent-
wicklung freier Formen des gesellschaftlichen Daseins, die mit reger
Entdeckerfreude errungene individuelle Erfassung der Welt und des
Menschen und vornehmlich den entscheidenden Durchbruch auf reli-
giösem Gebiet zur Darstellung gebracht hatte, unterbrach der so rüstig
vorwärts geeilte Verfasser die Fortsetzung seines Werks auf eine Reihe
von Jahren. Lamprecht trat in einen lebhaft geführten Kampf um
seine geschichtswissenschaftlichen Grundsätze ein.
Wie ein jedes Geschichtswerk großen Stils, so wandte sich
Lamprechts Deutsche Geschichte ebenso an mitstrebende Forscher,
wie an einen weiteren Leserkreis; die Aufnahme hier und da wurde
ihm zu einem zwiespältigen Erlebnis. In der deutschen Bildungswelt,
wo, zumal unter den Nachwirkungen eines oft allzu einseitig auf die
Ereignisse eingestellten Geschichtsunterrichts, Empfänglichkeit für Er-
weiterung und Vertiefung der geschichtswissenschaftlichen Probleme
vorhanden war, wurde L.s Werk weithin freudig begrüßt. - Die Größe
des Unternehmens, der imponierende Versuch einheitlicher Erklärung
des gesamten deutschen Geschichtsverlaufs, die gebotene künstlerische
Leistung machten tiefen Eindruck. Auch in fachwissenschaftlichen
Kreisen ward damals ein Bedürfnis nach zusammenfassender Bearbeitung
der deutschen Geschichte empfunden. Aber L.s besondere Art der
kulturgeschichtlichen Behandlung erschwerte es ihm, damit durch-
zudringen.
Auf Deutschlands Hochschulen herrschte ein geschichtswissen-
schaftlicher Betrieb vor, dessen Ausbildung durch die kritische Schule
der Monumenta Germaniae und die bahnbrechenden Arbeiten Rankes
— 11 —
bestimmt war. Im Mittelpunkt der geschichtlichen Betrachtung stand
der Staat. Wohl wurden Kirche, Wissenschaft und Kunst, auch die
Volkswirtschaft mit berücksichtigt; aber meist geschah dies nur in
beigeordneten Abschnitten, obgleich es an einzelnen Proben glänzen-
der kulturgeschichtlicher Darstellung nicht fehlte. Seit Jahrzehnten
war Jakob Burckhardts Kultur der Renaissance in Italien in immer
neuen Auflagen verbreitet; K. W. Nitzsch hatte in der Deutschen
Geschichte bis sum Augsburger Religionsfrieden (freilich erst aus hinter-
lassenen Papieren 1883/85 herausgegeben) grundlegende Erscheinungen
der Kultur in tiefem Verstehen aufgehellt; ja schon grundsätzlich
hatte E. Gothein in seinem Meinungsaustausch mit D. Schäfer
über das eigentliche Arbeitsgebiet der Geschichte die Aufgaben der
Kulturgeschichte zu umschreiben unternommen (1889). In solcher
Lage begegnete L.s Bestreben bei den Fachgenossen, trotz mancher
Anerkennung, einer gewissen Zurückhaltung; nur unter den Jüngeren
löste es eine stärkere Wirkung aus.
Allgemeine Erörterungen über L.s Problemstellung waren in der
Kritik zunächst kaum erfolgt; die erhobenen Einwendungen richteten
sich meist gegen einzelne Mängel in der Behandlung des rein Tat-
sächlichen. , Aber L. selbst wünschte die Auseinandersetzung über
seine Grundanschauung. Als nun, mittelbar von ihm herausgefordert,
ein Angriff von allgemeiner Bedeutung !) gegen sein Buch gerichtet
ward, erwiderte er mit Darlegungen über geschichtliche Auffassung
und Methode: es begann der „geschichtswissenschaftliche Streit“, der
von ihm vor breiter Öffentlichkeit, mit Broschüren und Artikeln in
der Zukunft ?), geführt wurde. Scharf trat er in seiner Schrift über
Alte und neue Richtungen in der Geschichtswissenschaft (Berlin 1896) °)
den Anhängern der historisch -politischen Schule, insbesondere den
von der Ideenlehre ihres Meisters beeinflußten Historikern jungranke-
scher Richtung entgegen und verfocht zukunftsgewiß seine ganz auf
1) F. Rachfahl, Deutsche Geschichte vom wirtschaftlichen Standpunkt. Preuß.
Jahrbücher, 83, S. 48 fi.
2) Zukunft. 1896 Febr. 8: Die gegenwärtige Lage der Geschichtswissenschaft.
April 4: Das Arbeitsgebiet geschichtlicher Forschung. Novbr. 7j14: Die geschichts-
wissenschaftlichen Probleme der Gegenwart. 1897 Jan. 2: Eine Wendung im ge-
schichtswissenschaftlichen Streit. Juli 31: Der Ausgang des geschichtswissenschaft-
lichen Kampfes. — 1899 Febr. 11: Was ist Weltgeschichte? — 1902 Nr. 30: Ent-
wicklungsstufen.
3) Vgl. auch in der Historischen Zeitschrift 77 (N. F. 41), 257 f.: Zum Unter-
schiede der älteren und jüngeren Richtungen der Geschichtswissenschaft. Danach
eine kurze Erwiderung von Fr. Meinecke.
— 172 —
das Kausalitätsprinzip begründete entwicklungsgeschichtliche Auf-
fassung !). Noch klarer legte er seine Gedanken in einem Aufsatz
nieder, den er ohne unmittelbar polemische Form der Frage widmete:
Was ist Kulturgeschichte? ?). Schon glaubte er, den Ausgang des
geschichtswissenschaftlichen Kampfes verkünden zu dürfen ®): den Sieg
der neueren Anschauung, nicht durch sein persönliches Verdienst,
sondern weil sie dem Gesamtcharakter des modernen Geisteslebens
entspricht (Juli 1897) 4). Indes zwei Jahre danach hatte er sich gegen
einen neuen Angriff zu verteidigen, der gegen seine Anwendung des
Entwicklungsbegriffs in der Geschichte und die Annahme historischer
Gesetze gerichtet war. Der Erwiderung darauf 5) ließ er eine Schrift
Die kulturhistorische Methode (Berlin 1900) folgen, in welcher eine
knapp entwickelnde Darlegung seiner Gedanken enthalten war 6).
Wirklich ausgetragen wurde der Streit damals nicht; man kann nur
sagen, daß es für einige Zeit still ward. Wenige Jahre später bot
die Aufforderung zu Vorträgen in St. Louis und an der Columbia-
Universität zu New York Lamprecht den Anlaß, ein Büchlein zu schreiben
Moderne Geschichtswissenschaft (Berlin 1904) 7), in welchem sich seine
inzwischen noch gereiften und erweiterten Anschauungen über die
Aufgaben der Geschichtswissenschaft, ergänzt durch eine Skizze des-
allgemeinen Verlaufs der deutschen Geschichte, übersichtlich und ab-
geklärt ausgesprochen finden. Als dann Lamprechts Hauptwerk zum
Abschluß gebracht war, erneute sich noch einmal die Auseinander-
1) Zwei Streitschriften, den Herren H. Oncken, H. Delbrück, M. Lenz zu-
geeignet. (Berlin 1897.)
2) Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. N. F. Jahrg. 1896/97. S. 75fl. —
Vgl. auch den Aufsatz: Individualität, Idee und sozialpsychische Kraft in der Ge-
schichte. Jahrbücher f. Nationalökonomie u. Statistik 68, S. 880 ff,
3) Artikel in der Zukunft 1897, Nr. 44.
4) Vgl. K. Lamprecht, Über die Entwicklungsstufen der deutschen Geschichts-
wissenschaft. Zeitschrift für Kulturgeschichte V, 385 fl. Ferner: Die Entwicklung der
deutschen Geschichtswissenschaft vornehmlich seit Herder (Vortrag auf dem Historiker-
tag zu Nürnberg), Beilage zur allgemeinen Zeitung 1898 Nr. 83. — Herder und Kant
als Theoretiker der Geschichtswissenschaft. Jahrbücher f. Nat. u. Stat. 69, S. 161 ff.
5) Die historische Methode des Herrn v. Below (Berlin 1899). — Vgl. dazu
Die Kernpunkte der geschichtswissenschaftlichen Erörterungen der Gegenwart. Zeit-
schrift für Sozialwissenschaft II, S. 11 fl.
6) In den Annalen der Naturphilosophie II schrieb er Über den Begriff der Ge-
schichte und über historische und psychologische Gesetze. 1902. Ebd. III, 442 ff.:
Biopsychologische Probleme.
7) In englischer Ausgabe: What is history? Translated by E. A. Andrews,
(New York 1905.)
— 13 —
setzung in verbindlicheren Formen, mit merklicher Annäherung in der
Wertung der kulturgeschichtlichen Forschung, wenn auch die Ab-
weichung des grundsätzlichen Standpunkts festgehalten ward !). Als
jüngste zusammenhängende Darlegung seiner Methode und Auffassung
schrieb er mit besonderer Frische die Einführung in das historische
Denken (Leipzig 1912) ?) nebst bildlichen Beigaben und Beispielen für
Quellenverwertung, die seine Arbeitsweise glücklich dem allgemeineren
Verständnis erschließen.
Nicht von einem bestimmten philosophischen System aus hat L.
seine Geschichtsauffassung gestaltet. Die einseitigen Lehren des
historischen Materialismus lehnte er ab, obschon er von wirtschaftlich-
sozialen Voraussetzungen des geistigen Daseins sprach; nach seiner
ausdrücklichen Versicherung ist er auch nicht von dem französischen
Positivismus August Comtes ausgegangen. Unter den Philosophen
der Gegenwart wirkte am einflußreichsten auf ihn Wilhelm Wundt,
später Theodor Lipps. Indes die philosophischen Denkelemente
gewann er sich zu nicht geringem Teil durch eigene Kopfarbeit, nicht
ohne mancherlei Wandlungen; denn gerade im Streite der Meinungen
rang er sich zu größerer Klarheit der Anschauungen durch.
Eine volle Schilderung des Werdens der Menschheit, so äußerte
sich L. in jüngeren Jahren, ist nur von intuitivem künstlerischem
Standpunkt möglich; das historische Leben in seiner Gesamtheit
wiederzugeben ist der wissenschaftlichen Forschung versagt, mit deren
Mitteln nur die einzelnen Glieder des Organismus faßbar sind. Über
der Forschung stand ihm die Geschichtsschreibung, die Lösung
der künstlerischen Aufgabe, „das Leben historischer Organismen auf
dem Wege der Nachempfindung zu dauernder Gegenwart zu erwecken“.
Daran hielt dieser so fein ästhetisch veranlagte Historiker fest, der
auf die Architektur und den Rhythmus der Gliederung seines Buches
aufs sorgsamste 'bedacht war. Aber sein heißes Bemühen in den
Kämpfen um die Geschichtsauffassung galt gerade der Begründung
der Geschichte im Sinne voller und reiner Wissenschaftlichkeit. Darum
forderte er die strenge und folgerichtige Durchführung des Grund-
satzes der kausalen Erklärung. All die unentbehrliche Beschäftigung
mit dem bunten Vielerlei des Besonderen und Einmaligen zielte ihm
auf die Feststellung des Allgemeinen ab, auf die Erkenntnis der Ge-
1) W. Goetz, Geschichte und Kulturgeschichte. Archiv für Kulturgeschichte
VIII, ı ff, Dagegen K. Lamprecht, Historische Methode und historisch-akademi-
scher Unterricht (Berlin 1910).
2) Veröffentlichung der „Pädagogischen Literatur-Gesellschaft Neue Bahnen“,
— 114 —
setzmäßigkeiten in der Geschichte. Dabei handelte es sich ihm darum,
den Wandel des Zuständlichen nachzuweisen; in diesem Sinne ver-
langte er Handhabung der genetischen Methode statt der bloß be-
schreibenden und vertiefte die Lehre von der Entwicklung. Den hervor-
ragenden Persönlichkeiten schrieb er nicht eigentlich schöpferische
Bedeutung zu; er sah bei ihnen vielmehr in erster Linie die Ab-
hängigkeit von den Kulturzuständen ihres Zeitalters, die auch sie
nicht willkürlich zu durchbrechen vermögen. Dagegen betonte er
die Wichtigkeit der Beobachtung von Massenerscheinungen in der
Geschichte, welche die gesicherte. Feststellung regelmäßig sich
wiederholender Vorgänge ermöglicht. Von den Naturgesetzen schied
er solche für das geschichtliche Leben gewonnene Sätze, obwohl
er auf die gleichen Aufgaben der Bildung typischer Urteile und
die Anwendung des Entwicklungsbegrifis als gemeinsame Grund-
lage für Natur- und Geisteswissenschaften hinwies. Zu Zeiten ver-
glich er die Stellung der Geschichtswissenschaft und der Biologie
unter den Wissenschaften. Vor allem jedoch schärfte er unermüdlich
die Bedeutung der Psychologie für die Geschichtsforschung ein, be-
sonders die Ergründung der sozialpsychischen Erscheinungen. Die
Geschichtswissenschaft im weitesten Sinne des Wortes war ihm die
Wissenschaft von den seelischen Veränderungen menschlicher Gemein-
schaften, ihre eigentliche Aufgabe die Beschäftigung mit der Entwick-
lung des menschlichen Seelenlebens: nicht die Untersuchung der ge-
schichtlichen Ereignisse und Erlebnisse und ihrer gegenseitigen Ver-
kettung, sondern die Aufdeckung der allgemeinen seelischen Verfassung
der einander folgenden Zeiten führt den Historiker wirklich in die
Tiefen seiner Forschung. In diesem Sinne bildete er die Lehre von
einer mit innerer Notwendigkeit fortschreitenden Folge von Kulturzeit-
altern durch, welche als die des symbolischen Seelenlebens, der Typik
und des Konventionalismus, des Individualismus und des Subjektivis-
mus bezeichnet wurden: mit Namen, die, unter Beobachtung der
Phantasietätigkeit größerenteils schon vor ihm geprägt, nun zur Ver-
deutlichung gradweise zunehmender Intensität und Kraft des seelischen
Lebens, einer allmählich wachsenden Breite des Bewußtseins verwendet
wurden. Als Ursache solchen Fortschritts sah er die ungewöhnliche
Vermehrung seelischer Reize an, worauf sehr verschiedene Anlässe
einwirken können. Neben diesen Grunderscheinungen seelischer Ent-
wicklung beachtete er, zumal in späteren Jahren mit gesteigerter Auf-
merksamkeit, die besonderen Abwandlungen des normalen Verlaufs,
welche durch räumliche Bedingtheit sowie durch Kulturübertragungen
— 175 —
von Volk zu Volk, von Zeit zu Zeit in den wichtigen Vorgängen von
Rezeption und Renaissance entstehen.
In sicherem Vertrauen auf die Macht logisch zwingender Beweis-
führung hatte I. gehofft, der neuen Geschichtswissenschaft, sobald
sich nur ihre Gegner zum Wortgefecht mit ihm stellten, den Sieg zu
erstreiten. Es war ein Kampf mit zwei Fronten; nach beiden Seiten
war der Erfolg nicht gleich. In der öffentlichen Meinung errang sich
L. die Geltung des berufenen Führers der jungen kulturgeschichtlichen
Bewegung. Einem großen Kreise der Fachgenossen aber rückte er
allzufern; er trug es im Gefühl der unverlierbaren eigenen Bedeutung.
Auch die Rückwirkung innerlicher Art blieb nicht aus. Die Neigung
zu erkenntnistheoretischen und philosophischen Erörterungen, die schon
früh vorhanden gewesen sein mochte, verstärkte sich merklich. Ab-
strakter wurden die Grundbegriffe gefaßt, die allgemeinsten Entwick-
lungszüge einfacher herausgearbeitet, diescharfgeprägten Formulierungen
und die so oft fremdsprachlich gebildeten Kunstausdrücke häufiger in
Anwendung gebracht. Neben der empirisch-induktiven Methode, deren
Bedeutung für den Historiker L. nie verkannt hat, bediente er sich
nun reichlicher der deduktiven Denkmittel. Solche systematische
Bearbeitung der gesammelten historischen Erfahrungen wirkte natürlich
auch auf seine Geschichtsschreibung ein. Sie verlieh ihm eine er-
staunliche Fähigkeit, Erscheinungen der Geschichte und des Lebens
in weite große Gedankenreihen einzuordnen und oft in blitzartiger
Auffassung geistvoll zu beleuchten; aber sie konnte auch dazu ver-
leiten, einzelne Ereignisse und Personen allzuschematisch unter be-
stimmtem Gesichtswinkel zu sehen und einen Zusammenhang zu kon-
struieren ohne genügenden Anhalt in der Wirklichkeit.
Inzwischen hatte L. nach längerer Pause von neuem die Feder
ergriffen, um sein darstellendes Hauptwerk weiterzuführen. Dem Be-
dürfnis folgend, vorerst Klarheit über die neueste Entwicklungsphase
des subjektivistischen Zeitalters zu gewinnen, ließ er zunächst eine
Darstellung der zeitgenössischen Geschichte bis zur unmittelbaren
Gegenwart als Ergänzungswerk (Band I, II, und IIz, Berlin 1902/4) er-
scheinen. Danach ward in der kurzen Zeitspanne von sechs Jahren
mit weiteren sechs mehrfach geteilten Bänden die Deutsche Geschichte
zur Vollendung gebracht.
Die Denkarbeit der Jahre, in denen Lamprecht um die erkennt-
nismäßige Rechtfertigung seiner Geschichtsauffassung gerungen hatte,
ist in den jüngeren Bänden seines Hauptwerks deutlich merkbar. Beim
Eintritt in einen neuen Zeitabschnitt der Kulturentwicklung ist überall
13
— 116 —
die Charakteristik der allgemeinen seelischen Haltung vorangestellt.
Gern ergeht sich der Verfasser in großen Perspektiven mit allgemeinster
Überschau über die Entwicklung durch eine lange Folge von Jahr-
hunderten. Mehrfach greift er dabei auf frühere Gedankengänge zurück,
um zu ergänzen, zu vertiefen, schärfer zu formulieren und wohl auch
zu berichtigen ; besonders bemerkenswert ist dies bei den Ausführungen
über die als notwendig erkannte Psychisierung der Wirtschaftsstufen.
Überhaupt ist eine Neigung zu theoretischer Darlegung spürbar; die
Zahl der schlagwortartig charakterisierenden Kunstausdrücke hat zu-
genommen.
Aber bei alledem bleibt das Wesentliche, daß das individualisti-
sche und das subjektivistische Zeitalter „mit Nerven und Muskeln
ausgestattet, durch und durch körperhaft vorgeführt“ wurden. Welch
unendliche Fülle und Mannigfaltigkeit der Erscheinungen des geschicht-
lichen Lebens breitete sich da aus: ein schwer auflösbares Gewirr
durcheinandergreifender politischer Geschehnisse, die Entwicklung einer
Volkswirtschaft, in welcher Millionen von Einzelwirtschaften von sehr
verschiedener Art in täglichem vielverschlungenem Verkehr miteinander
stehen, ein neues Gesellschaftsleben, in dem die Einzelpersönlichkeit,
innerlich selbständig geworden, doch in tausendfache wechselreiche
Beziehungen von Mensch zu Mensch verwoben ist, ein unerschöpflicher
Reichtum neuer künstlerischer Probleme des Lichts und der Farbe,
des Stoffs und der Form in Bildnerei, Malerei und Baukunst, als
reinster und unmittelbarster Ausdruck ` nationaler Kultur die gemüts-
tiefen, durch edle Klangschönheit und wundersame Beseelung des
Tons ergreifenden Meisterwerke deutscher Musik, ein starkbewegtes
Neben- und Durcheinanderfluten der literarischen Strömungen, das
Wachstum der Wissenschaften in die Breite und feine Verästelung,
das Wirken der Weltanschauungen aufeinander in gegenseitiger
Duldung und Abwehr. Aber nicht nur Zuständliches und Ent-
wicklungsrichtung waren zu charakterisieren. Bei der gesteigerten
Bedeutung des persönlichen Lebens in neuer Zeit galt es auch außer-
gewöhnliche Männer oder Frauen in ihrer Wirksamkeit zu zeichnen;
L. hat dies oft mit sichtlicher Gestaltungsfreude getan !). In der Wür-
digung der Vorgänge und Schicksalswendungen nach ihrer vollen
historischen Bedeutung lag seine Stärke nicht; hat er doch eine Dar-
stellung des größten geschichtlichen Dramas auf deutschem Boden,
1) Porträtgalerie aus Lamprechts Deutscher Geschichte. Mit einer Einleitung
von H. F. Helmolt (Leipzig 1910).
— 177 —
der Leipziger Völkerschlacht, in seinem Buche vermieden. Überhaupt
gründeten sich die Ausführungen zur politischen Geschichte meist auf
Vorarbeiten anderer Gelehrten; freilich das historische Urteil war dabei
stets sein Eigengut !). Neues und Eigenartiges aber bot er zur Geistes-
geschichte der behandelten Zeit; aus einer Fülle von Quellen oft recht
entlegener Art wurde hierfür ein reicher Schatz gehoben. Dabei kam
es nicht nur darauf an, die Haupterscheinungen zu schildern: im Zeit-
alter des Individualismus die nach Lösung von mittelalterlicher Ge-
bundenheit geistig selbständig als Mikrokosmos ihr Innenleben führende,
vor allem die Verstandeskräfte übende Persönlichkeit, im Subjektivis-
mus aber die reichere Entfaltung des Menschen mit bewußterem Hervor-
treten der anderen Seelenkräfte, des Gemüts und Willens, der Triebe
und Empfindungen und nun auch das breitere Wirken in die Welt
hinein, die mannigfaltigste Entwicklung der Gemeingefühle. Bis ins
Feinste war die Schilderung ihres Wesens durchzuführen; die Gliede-
rung nach älteren und jüngeren Entwicklungsabschnitten, die Über-
gangserscheinungen, die ganze Art des Ablaufs auf den einzelnen
Lebensgebieten mußten klargelegt werden. Mit liebevollster Ver-
senkung tat er dies insbesondere für die Durchbruchszeit des Früh-
subjektivismus seit der Mitte des XVIII. Jahrhunderts. Hier sprach
er von den ‚Pforten, die der nationale Historiker nur in ehrfürchtiger
Scheu und in dem freudigen Bangen überschreiten wird, ob es ihm
auch gelingen werde, diese Größe schöpferisch nachzuempfinden und
in das neue Leben geschichtlichen Vortrags zu bannen“. Was die
Darstellungskraft in dem später geschriebenen Teil der Deutschen
Geschichte betrifft, so bewährte er, trotz der inzwischen erlebten
Schärfung des rein wissenschaftlichen Sinns, die Eigenschaften echten
Künstlertums, mit denen der jugendliche Historiker den Aufbau be-
gonnen hatte,
Die Absicht, eine ‚Neueste Deutsche Geschichte‘ folgen zu lassen
ist nicht mehr zur Ausführung gekommen., Wohl aber ließ L. eine
historisch-politische Bildnisstudie Der Kaiser (Berlin 1913) erscheinen,
die durch die Lösung der Aufgabe merkwürdig ist. Auf breitem ge-
schichtlichen Unterbau von Urväter Zeiten her erhebt sich die Ge-
stalt des gegenwärtigen Herrschers; doch dienen die geschicht-
lichen Darlegungen nicht nur zu allgemeiner Einführung, sondern zu-
gleich zur Beleuchtung des historischen Bewußtseins des kaiserlichen
1) Eine Veröffentlichung aus der Deutschen Geschichte ist die Schrift: 1809—1813 —
1815. Anfang, Höhezeit und Ausgang der Freiheitskriege (Berlin 1913).
13*
— 178 —
Herrn. Darauf folgt ein Doppelbildnis: eine knappe, aus der Deut-
schen Geschichte wiederholte Charakteristik Wilhelms II. für die Zeit
um 1900, sodann eine wesentlich reichere und vertiefte, durch den
Vergleich die innere Entwicklung andeutende Charakterschilderung
um etwa ein Jahrzehnt später, worauf die Stellung des regierenden
Herrn zur inneren geistigen und zur wirtschaftlich-sozialen Bewegung
gekennzeichnet wird.
Am 25. August 1909 hatte L. das Deo gratias sagen dürfen im
Nachwort zu seinem Werk, das nun in 18 handlichen Bänden nebst
einem Registerband vollendet vorlag, eine Leistung mehr als eines
Vierteljahrhunderts rührigsten Schaffens. Aber mit wachsenden Flügeln
strebte er höher hinauf; noch Größeres sollte erreicht werden. Ein
so philosophischer Kopf hatte eine nach Kulturzeitaltern gegliederte
deutsche Geschichte nicht schreiben können, ohne nach der Kultur-
entwicklung anderer Völker zu fragen; streng wissenschaftliche Bedeu-
tung konnte seiner Auffassung ja nur dann zukommen, wenn sie nicht
nur für eine Volksindividualität zutraf, sondern in allem Wesentlichen
allgemeinere Geltung beanspruchen durfte. Überdies galt es jene
universalen Beziehungen zu untersuchen, in denen eine Nation, so
gewiß ihre Entwicklung nach innerlichen Ursachen verläuft, doch tat-
sächlich von außen durch andere menschliche Gemeinschaften Ein-
wirkungen erfährt. So ward L. in universalgeschichtliche Studien ge-
führt; förderlichen Dienst leistete ihm dabei nach seiner Aussage
Fr. Ratzels Völkerkunde. Aber er betrat dies unendliche Gebiet mit
einem gewissen Zagen, wie er bekundet hat, erfüllt von Ehrfurcht vor
der Vielseitigkeit und Fruchtbarkeit des menschlichen Tuns, in dem
vollen Ernst religiöser Gefühle.
Schon 1899 erwog er Gedanken über, eine Weltgeschichte, eine
Geschichte der gesamten Menschheit auf Erden; und praktische Ge-
stalt gewann dieser Plan in der Form, daß er das von ihm seit
1894 geleitete Sammelwerk Geschichte der europäischen Staaten 1901
in eine Allgemeine Staatengeschichte umwandelte. Wesentliche Förde-
rung brachte ihm die Reise durch die Vereinigten Staaten im Jahre
1904, deren Ergebnis an Eindrücken und Gedanken er in den frisch
geschriebenen Americana (Freiburg i. Br. 1906) niedergelegt hat. Auf-
nahmefreudig beobachtete er dort zum ersten Male eine fremde Kultur,
die der entwicklungsgeschichtlich geschulte Historiker einer alten
Kulturnation sogleich in universalgeschichtlichen und kosmopolitischen
Zusammenhang einordnete: neben den Kulturen auf vorderasiatisch-
— 179 —
europäischem Schauplatz und in Ostasien eine in wunderbarem Werden
begriffene neue Kultur. Es ist innerlich begründet, daß L. damals
zuerst der Darlegung seines geschichtswissenschaftlichen Standpunkts
Ausführungen über universalgeschichtliche Probleme hinzufügte !).
Mit ausgesprochener Vorliebe wandte er sich sodann der Kultur-
geschichte Ostasiens zu, besonders dem Vergleich der Entwicklung
des japanischen Volkes mit dem deutschen. Auch hier diente ihm
die höchst reizvolle kunstgeschichtliche Überlieferung neben Über-
setzungen aus der japanischen Literatur zur Einarbeitung in das kultur-
geschichtliche Problem. Er glaubte, eine im Grunde ähnliche Kultur-
entwicklung, aber mit bemerkenswerten, vornehmlich durch Rasse und
Landesnatur bedingten Unterschieden feststellen zu können ?). Später `
wurde ihm die Geschichte Chinas besonders wichtig, weil sie ihm ein
Beispiel des Verfalls einer hochentwickelten Kultur bot.
Erfüllt von dem Gedanken an die weittragende Bedeutung dieser
universalgeschichtlichen Studien ging L. zunächst daran, sie durch
eine Organisation, der über das Einzelleben hinaus Dauer beschieden
ist, zu fördern und sicherzustellen. Anfänglich wünschte er, seine
Absichten im Rahmen der bisherigen Lehreinrichtungen der Leipziger
Universität zu verwirklichen. Indes da sich Schwierigkeiten einstellten,
schritt er dazu, etwas ganz Neues zu 'schaffen. Schon einmal war
unter seiner Mitwirkung ein Universitätsinstitut entstanden, das Histo-
risch-Geographische (1898/99), aus dessen mittelalterlich-neuzeit-
licher Abteilung das Seminar für Landesgeschichte und
Siedelungskunde hervorgegangen ist (1906). Nun glückte es
seiner Tatkraft und Umsicht, das Institut für Kultur- und Uni-
versalgeschichte bei der Universität Leipzig zu be-
gründen, dank dem wohlwollenden Eingehen der Regierung auf seine
Pläne und den Stiftungen zahlreicher Freunde seiner Studien 3); am
15. Mai 1909 fand die feierliche Eröffnung statt‘). Es ist L.s Lieb-
lingsschöpfung geworden. Eine echte Heimstätte wissenschaftlicher
1) Moderne Geschichtswissenschaft, Kapitel V.
2) Zur unwersalgeschichtlichen Methodenbildung. Abhandlungen der philol.-hist.
Klasse der Kgl. Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften (1909), S. 33 fl. Ferner: Rede
bei Übernahme des Rektorats 1910. (Zwei Reden zur Hochschulreform, S. 29 fi.)
3) Die kultur- und universalgeschichtlichen Bestrebungen an der Universität
Leipzig. Internationale Wochenschrift 1908 Nr. 5. Vgl. dazu Deutsche Geschichts-
blätter 10. Bd. (1909), S. ı81fl. Kulturgeschichte im akademischen Unterricht.
4) Die dabei gehaltene Ansprache enthält die Schrift: Das Königlich Sächsische
Institut für Kultur- und Universalgeschichte bei der Universität Leipzig (Leipzig
1909). — Auch in den Zwei Reden zur Hochschulreform abgedruckt.
— 180 —
Arbeit war sein Institut: in dem Breitkopfschen Hause mit dem „Gol-
denen Bären“, das einst der junge Goethe betreten hatte, mit feinstem
künstlerischen Sinn angelegt, der in der Anordnung der Räume und
den Maßverhältnissen, in der Farbenwahl und dem Schmuck mit Büsten
und Bildern ein harmonisches Ganze schuf, aufs reichste, wenn auch
natürlich noch nicht gleichmäßig, ausgestattet mit Sammlungen zur
Geschichte der Menschheit. Eine doppelte Aufgabe war ihm gestellt,
Reform des Lehrbetriebs und Förderung universalgeschichtlicher
Studien. In den Seminarübungen wünschte L. eine wirkliche Arbeits-
gemeinschaft, ein persönliches Verhältnis zwischen Lehrenden und
Lernenden; darum sollte die Zahl der veranstalteten Übungen groß,
die Zahl der Teilnehmer an einer jeden aber nur mäßig stark sein.
: Die Kurse wurden in drei Gruppen so gegliedert, daß ein geordnetes
Fortschreiten vom Einfachen zu den schwierigsten und höchsten Pro-
blemen ermöglicht ward: auf einführende Kurse folgten die Haupt-
kurse zur Einzelforschung in deutscher und fremdländischer Geschichte,
endlich die vergleichenden. Pflichtmäßig auferlegt wurde nur der
Besuch von Kursen, in denen der Grund zur Ausbildung gelegt ward;
im übrigen galt der Grundsatz der freien akademischen Studienwahl,
wie überhaupt der freien Meinungsbildung. Auch die Lehrkräfte, bei
deren Auswahl er sich nicht auf den Kreis der Universitätsdozenten
beschränkte, erfreuten sich voller Freiheit der wissenschaftlichen Über-
zeugung und Methode. Der Kulturgeschichte im weitesten Sinne sollte
das Institut dienen, nicht der Pflege irgend einer bestimmten Ge-
schichtsauffassung oder etwa der historischen Psychologie. Wohl aber
prägte ihm das Bemühen um die Geschichte der menschlichen Seele
einen besonders eigenartigen Zug auf: wie in der Zusammensetzung
der Bücherbestände, so auch in den Übungen nicht nur des Leiters
selbst; wurden doch eigene Kurse zur Einführung in die psycho-
genetische Forschung abgehalten, teils in Beschäftigung mit den Kul-
turen primitiver Völker, teils in Ausbeutung einer umfänglichen Samm-
lung an Kinderzeichnungen aus verschiedenen Ländern und Erdteilen
in der auf dem biogenetischen Grundgesetz beruhenden Annahme,
daß in der Entwicklung der Kindesseele Parallelen sich finden zur
seelischen Entwicklungsgeschichte des Menschen.
So war eine bedeutende Aufgabe organisatorischer Art glücklich
gelöst. Mancher in L.s jüngerem Freundeskreis mochte nun wohl
Erwartung und Wunsch hegen, daß eine Zeit still gesammelter wissen-
schaftlicher Arbeit an der Weltgeschichte folgen möchte. Aber noch
fühlte er in sich zu stark nach außen sprudelnde Lebenskraft. Nicht
— 181 —
die der Weltbetrachtung zugewandte Forschernatur in ihm drang durch,
sondern der reformatorische Wille: immer völliger ging er auf in der
Kulturpolitik.
Zunächst ergriff er das große Problem der Hochschulreform }).
Nachdem ihn schon längere Zeit hochschulpädagogische Fragen be-
schäftigt hatten, ward entscheidend dafür das Jahr seines Rektorats
Oktober 1910/11. Mit verlockenden Farben in kühner Phantasie schil-
derte er ein Zukunftsbild der Universität Leipzig im Grünen vor der
Großstadt, fern ihrem Getriebe und zugleich nahe genug. Einen wirk-
lichen Fortschritt erreichte er in der bunten vielgestaltigen Welt des
Studententums. Gezwungen, die freie Studentenschaft aufzulösen, nützte
er die schwierige Lage, um eine Verfassung der gesamten Studenten-
schaft zu schaffen, bei welcher die Korporationen und die Nicht-
inkorporierten in zwei genügend selbständigen und doch zum Zu-
sammenwirken fähigen Ausschüssen allgemeinere studentische Ange-
legenheiten in anerkannter Ordnung behandeln konnten; er hatte
die Freude, dies Vorbild auch außerhalb Leipzigs wirksam zu sehen.
Indes darüber hinaus strebte er Reformen an, die den Lehrkörper
und die Studierenden insgemein betrafen. Eine Ausgestaltung des
gesamten Lehrbetriebs nach den Grundsätzen, die er in seinem In-
stitut zu verwirklichen wünschte, wurde gefordert: zweckmäßiges Ver-
hältnis in der Zahl der Lehrenden und Lernenden, um eine voll ein-
dringliche und persönliche Lehrwirksamkeit zu ermöglichen. Zugleich
hoffte er, durch die dafür nötige Zuweisung zahlreicher Lehraufgaben
eine günstige Lösung der Frage des akademischen Nachwuchses zu
erzielen. Hemmende Wirkungen der überkommenen Gliederung nach
Fakultäten sollten überwunden werden. Im Kreise der Geisteswissen-
schaften muß, dies war Lamprechts Gedanke, der Kulturgeschichte
die führende Stellung zukommen, wie er auch für die höheren Schulen
eine Unterrichtsreform im kulturgeschichtlichen Sinne empfahl. Be-
sonders eindringlich aber verlangte er, um den künftigen Fortschritt
der reinen Forschung unbehindert durch die zunehmenden Lehrauf-
gaben und akademischen Verwaltungsgeschäfte zu sichern, die Errich-
tung geisteswissenschaftlicher Forschungsinstitute mit selbständiger
Verfassung, aber im Anschluß an die Universitäten, um so in neuer
Form die Entfaltung reger Forschertätigkeit in befruchtender Wirkung
auf die Hochschulstudien zu ermöglichen. Es gelang seinem rastlosen
ı) Vgl. Internationale Wochenschrift 1909 Dezbr. 4: Zur Fortbildung unserer
Unwersitäten. Ferner: Ersiehungsfragen und Hochschulprobleme. Leipziger Lehrer-
zeitung 1915 Nr. 6f. l
— 182 —
Bemühen, Förderer dieses Werkes in Leipzigs Bürgerschaft und die
Bereitstellung staatlicher Mittel zu gewinnen. Im Winter 1914/15
wurde die förmliche Gründung der „König-Friedrich- August -Stiftung “
vollzogen; neben einem Institut für Völkerkunde und anderen war
auch ein Forschungsinstitut für Kultur- und Universalgeschichte unter
L.s Leitung vorgesehen.
Aber L.s alles überfliegender Geist strebte in noch größere
Weiten. Schon vordem bewegte ihn der Gedanke der Nationalpolitik
als einer angewandten universalen Geschichtswissenschaft; zu einzelnen
politischen Fragen von wirklich großer Bedeutung hatte er öffentlich
Stellung genommen !). Nun hatte die Erfahrung ihm einst gezeigt,
wie schief die japanische Kultur bei uns beurteilt wurde, als dieses
Inselvolk seine überraschenden Erfolge über Rußland errang; mit
freudigstem Stolze hatte er die Einwirkung deutscher Eigenart auf die
Bildung der großen amerikanischen Nation beobachtet. Aber auch
manche Wahrnehmungen ließen sich machen, wie deutsches Wesen
im Ausland mißverstanden ward. So wurde die Überzeugung in ihm
lebendig, daß mehr geschehen müsse, um deutscher Geisteswissen-
schaft und Hochkultur ihre weltgeschichtlichen Bahnen zu erschließen 2).
Mit großer Kraft setzte er sich ein für die Notwendigkeit einer plan-
vollen äußeren Kulturpolitik des Deutschen Reichs. Er forderte eine
Reform des Auswärtigen Amts, Besserung des Nachrichtendienstes, eine
der höchsten Ziele bewußte Förderung des deutschen Bildungswesens
an geeigneten Stätten auf dem ganzen Erdball; v. Bethmann-Hollweg
(einst in Schulpforte sein Mitschüler) war ihm dafür so recht der berufene
Reichskanzler der neuesten idealistischen Zeit deutscher Geschichte.
Einen verheißungsvollen Anfang dazu bildete die unter seiner
Leitung entstandene glanzvolle Kulturhistorische Abteilung in der
großen Halle der Kultur auf der Internationalen Ausstellung für Buch-
gewerbe und Graphik zu Leipzig im Sommer 1914. Sein eigenstes
Werk darin war die zur Einführung bestimmte Grundausstellung, von
1) Die Entwicklung des wirtschaftlichen und geistigen Horizonts unserer Na-
tion. (Handels- und Machtpolitik. Reden und Aufsätze, hrsg. von Schmoller, M. Sering,
A. Wagner I.) Stuttgart 1900. — Freiheit und Volkstum, Worte zur heutigen po-
litischen Lage. Köln 1906. (Uve conference de Karl Lamprecht: Inberte et na-
tionalité [L Reau]. Revue de synthèse historique. XII, 3 nr. 39. Paris 1906.) —
Die nationale Bedeutung der Reichsfinansreform. Drei Reden gehalten in Berlin
am 6. Novbr. 1908. — Vgl. auch: Staatsform und Politik im Lichte der Geschichte.
(Handbuch der Politik I, 19 fi.)
2) Deutsche Kultur und deutsches Volkstum im Ausland. (Das Deutschtum
im Ausland.) 1909,
— 183 —
ihm mit sorgsamster Liebe vorbereitet, in einer neuen künstlerischen
Darstellungsform der gedrängte sinnfällige Ausdruck der reichen Er-
rungenschaften dieses Forscherlebens. In die Mitte der Runde war eine
Gruppe „Kindheit“ gerückt, um Vorstellungen über die geistige Entwick-
lung des Menschen aus allerfrühesten Zeiten vor aller Überlieferung
anzudeuten; ringsum aber wurde die Entwicklung der wichtigsten Völker
nach den Hauptkulturstufen der Vorzeiten und Urzeiten, der Mittelalter,
der Neuen Zeiten und Neuesten Zeiten, nebst dem klassischen Beispiel
der Rezeptionen und Renaissancen der Antike vorgeführt durch eine
zum Vergleich lockende Veranschaulichung des Wirtschaftslebens und
der bildenden Kunst, jener beiden Lebensgebiete, denen L.s eigenste
Forschertätigkeit von Jugend auf am meisten gegolten hatte.
Da brach der Weltkrieg herein: eine Zeit stärkster Anspannung
des Staatsgedankens, aber furchtbarer Zerstörung großer Kulturwerte,
schroffer Scheidung deutscher Kultur von der Weltkultur — für einen
Mann, dessen rastlose Lebensarbeit der Geschichte menschheitlicher
Kultur gegolten hatte, kein leichtes Erlebnis. Aber ihn trug und hob
sein kerniges starkes Deutschtum, das durch die Weltoffenheit und
Weite seines Bewußtseins nur vertieft worden war, seine Fähigkeit, in
innerlich großen Augenblicken aufzuschauen zu der Kraft aus der
Höhe, das Allwalten zu fühlen, in dem wir leben, weben und sind.
In solchen Tagen der Prüfung seines Volks schilderte er den Deut-
schen Aufstieg 1750— 1914 (Gotha 1914) unter kulturgeschichtlichem
Gesichtspunkt als eine stetige und ebenmäßige, nie von schweren
Zeiten dauernd gehemmte Entwicklung, die in sich die Bürgschaft
trägt, daß die Zukunft ein weiteres Fortschreiten bringen wird: hinein
„in jenes höhere, größere, zur geistigen Führung der Welt mitberufene
Deutschland, dessen wir harren“ }).
Anfang März 1915 schloß er seine Vorlesung mit der wundervoll
tiefen Charakteristik Beethovens, den er als einen Geistesheros aufs
höchste verehrte. Am 4. März sprach er vor einer stattlichen Hörer-
schaft in Dresden über Belgiens Volk und Geschichte. Dann erfreute
und erholte er sich an der Niederschrift seiner „Jugenderinnerungen“.,
Noch erlebte er große Tage, als er nahe der Front im Westen mit
Kaiser und Kanzler Aussprache hielt. Da rief ihn der Tod von seinem
Lebenswerk ab.
Mitten in großen Entwürfen ist er dahingegangen; weitsichtiges
Planen blieb unausgeführt. Die Entwicklung der Menschheit in die
1) Ähnliche Gedanken enthält seine letzte Schrift: Krieg und Kultur. (Zwischen
Krieg und Frieden 7; Leipzig 1914.)
— 184 —
Form geschichtlicher Darstellung zu fassen, sein Volk bei dem Wieder-
aufbau der Kultur nach ehrenvollem Frieden zu beraten war ihm ver-
sagt. Unerbittlich wurden die gesponnenen Fäden abgerissen. Und
doch war es für ihn ein schöner Tod nach einem Leben voll Jugend-
gefühls, kein Hinsiechen nach Alters- und Krankheitserscheinungen,
die er mit der Schärfe des Seelenforschers, wie die Merkmale einer
Verfallskultur, an sich beobachtet haben würde. Und blieb ihm viel-
leicht die Erfahrung erspart, daß jetzt, da ein wuchtiges Schicksal in
die friedliche Kulturentwicklung langer Jahrzehnte hineingreift, die
ganze historische Größe des Ereignisses, der entscheidenden Tat, der
Zeitenwende durch einzigartige Volkserlebnisse offenbar wird und der
Entwicklungsgedanke in der Geschichte an werbender Kraft verliert?
Was ist Karl Lamprechts Bedeutung für die Geschichtswissen-
schaft, welche Stellung nimmt er ein im geistigen Leben seines Volkes
und seiner Zeit? Es wäre vermessen, auf solche Fragen schon heute
sichere Antwort geben zu wollen. Erst spätere Befreiung von Persön-
lichem, Allzupersönlichem, eine weitere Perspektive, als sie uns Nach-
lebenden möglich ist, wird dies erlauben. Indes den Eindruck seines
Wesens und Wirkens möglichst unbefangen aufgefaßt wiederzugeben
ist Recht und Pflicht; denn er trat in dies Leben so achtungheischend
hinein, daß alle Mitarbeitenden in verwandtem Beruf sich Rechenschaft
darüber geben mußten, wie sie zu L. standen.
Versucht man einmal, in der Weise des ihm eigenen Denkens
sein Bild festzuhalten, so würde man ihn als den Historiker der jüng-
sten Entwicklungszeit des Subjektivismus, der Reizsamkeit, im Über-
gang vom Impressionismus zu einem Neuidealismus bezeichnen. Es
war ihm eine Zeit der stärker in den Vorstellungsbereich gehobenen
untersten feinsten Regungen des Nervenlebens, wobei die seelischen
Reize verschiedener Art leicht ineinander überzugehen vermögen;
nachdem mit einem aufs schärfste empfindlichen Wirklichkeitssinn eine
naturalistische Erfassung der Umwelt und des Menschen gewonnen
war, trat auf solchem Grunde ein neuer Idealismus im Ringen um
Form und Gehalt ein. So ging nun L.s Bestreben darauf, bis zu dem
tiefsten gemeinsamen Grunde aller geschichtlichen Lebensvorgänge
vorzudringen, bis zu den innersten Änreizen seelischer Regungen, aus
denen alles geschichtliche Werden ausstrahlt; und wie durch Ver-
einigung verschiedener künstlerischer Ausdrucksweisen das Gesamt-
kunstwerk mit erhöhter Wirkung entstand, so wollte er eine Gesamt-
geschichte schaffen, in der mit der Ausdrucksmöglichkeit der histori-
— 185 —
schen Darstellungsform die dahingegangenen Geschlechter zu neuem
vollem Leben erstehen sollten. Denn nie haftete sein Blick an den
Einzelerscheinungen; dem ganzen Menschen war er zugewandt.
Bei solcher aus der seelischen Tiefe quellenden Empfänglichkeit
für alles Menschliche war L. ein Lehrer von ganz ungemeiner Wirk-
samkeit. Nicht wie ein gelehrter Vertreter seines Fachs erschien er
auf dem akademischen Katheder und in den Seminarübungen, son-
dern als Mann von universalem Wissen, geistvoll, von höchster All-
gemeinbildung, der seine ganze Persönlichkeit ausgab. Übersprudelnd
war die Art seines Vortrags; die reiche Mannigfaltigkeit des Gedan-
keninhalts sprengte leicht die geschlossene Form. Wie eine Erleuch-
tung ging es dem Hörer oft auf, wenn er in großzügigem Überblick
oder im Vergleichen entlegener Erscheinungen überraschende Be-
ziehungen, ungeahnte Zusammenhänge enthüllte; auch, wer sich nicht
gläubig, sondern kritisch zu ihm stellte, trug wertvolle Anregungen
davon. Dabei hatte L. sehr wohl Verständnis für das gründliche Aus-
schöpfen eines Problems. Aber er gab nicht nur, er forderte auch
viel. Selbstzucht und Hingabe an Stoff und Aufgabe in strenger
wissenschaftlicher Pflichterfüllung verlangte er in vollem Maße von
denen, die sich geschichtlichen Studien widmeten. Gern stand er
seinen Studenten beratend zur Seite und erwies sich ihnen und seinen
gereifteren Mitarbeitern fürsorglich und hilfsbereit.
In der Tiefe ruhende Einheit bei reicher Mannigfaltigkeit, ein
Vollmenschentum, das auch Widerspruchsvolles in sich beschloß, war
der Grundzug seines persönlichen Wesens. L.s ganze Art war: männ-
lich sich auf sich selbst stellen, der eigenen Überzeugung folgen,
ohne Hinblick auf Gunst oder Ungunst bei den Mächtigen oder der
Masse, in unerschütterlicher Tapferkeit den Weg gehen, der als der
rechte erkannt war. In dieser Gesinnung blieb er sich selbst treu,
handelte ehrlich und echt; und zäh hielt er fest an seinen höchsten
Zwecken. Freilich in der Wahl der Mittel wechselte er findig und
leicht und konnte unbeständig erscheinen, wie sich ihm auch, trotz
erstaunlich umfassenden Gedächtnisses, unmerklich die Erinnerungs-
bilder wandelten. Denn er sah nur auf das ihm Wesentliche; in dem,
was ihm klein galt, war er nicht aufs peinlichste genau. So tem-
peramentvoll und warmblütig er für seine Leitgedanken und Pläne
eintrat, stets stand ihm die Sache über der Person. In weitherzigem
Verständnis konnte er fremder Überzeugung gerecht werden, wenn
sie nur sachlich begründet war. Im Verkehr mit Menschen betätigte
er die Kraft beherrschenden Willens; aber wesenhafter war in ihm
— 186 —
die Tiefe und Zartheit des Gemüts. Bereitwillig kam er anderen mit
Vertrauen entgegen; erst wenn er dies getäuscht meinte, loderte sein
Zorn auf. Wo er sich gewürdigt wußte, erwiderte er froh Treue
mit Treue. Denn im Grunde war er einer freudigen Weltanschauung
und Lebensauffassung geneigt; er glaubte an das Gütige der Men-
schennatur und ehrte beim Einzelnen am höchsten nicht sein Tun,
sondern das im weitesten Begriff der Liebe aushallende Menschentum.
Über die Hemmungen rauher Wirklichkeit, über die drückende Schwere
widereinanderringender Lebensmächte erhob er sich in kräftigem
Humor, mit der inneren Sicherheit und Freiheit, die ihm die Weite
seines über Zeit und Raum aufstrebenden Denkens gewährte. Aber
nicht nur vernunftmäßig deutete er sich das Allgemeinste im Welten-
dasein. In Stunden höherer Weihe sprach er von Gott: als er den
grünen Kranz über der Eingangspforte seines Instituts am Einzugstag
aufhing, als er im Schmuck der Rektorwürde mit festem Schritt, das
schon weißumrahmte Haupt mit der mächtigen Denkerstirn leicht er-
hoben, leuchtenden Ernst in den Augen, verantwortungsvollen Tagen
entgegenging. Für die herbe Feierstunde an seiner Gruft bestimmte
er das ı3. Kapitel des ersten Korintherbriefs, den wundervollen Zu-
sammenklang, der auch aus den innersten Tiefen seines Wesens
herauftönt: „Nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;
aber die Liebe ist die größeste unter ihnen.“
Nun deckt die Erde im stillen Friedhof der Porta coeli inmitten
von Schülergräbern das, was an Karl Lamprecht zeitlich war. Aber
eine so lebensprühende Persönlichkeit kann der Tod nicht völlig in
die Vergänglichkeit hinabzwingen. In seinen Schöpfungen bleibt er
lebendig und wird reiner und größer erscheinen, wenn der Blick über
Leid und Streit des Augenblicks hinweg den ganzen Menschen um-
faßt: den jugendlichen Forscher, der mit erstaunlichem Fleiß neuen
Stoff zu geschichtlichem Wissen in den Schätzen der Überlieferung
schürfte, den reifen Denker, der von hoher überzeitlicher Warte Ge-
schichte und Leben betrachtete. Es wird reiche Frucht tragen, auch
künftig bei ihm Einkehr zu halten, Einzelbelehrung verschiedenster
Art und, was wesentlicher ist, eine Fülle von Anregung zu empfangen,
in Zustimmung und Gegenrede mit ihm sich auseinanderzusetzen über
alles, was in die Breite und die Höhe und die Tiefe führt. Denn er
wird bleiben müssen, was er nach seinem innersten Berufe war: ein
Lebenswecker von wahrhaft schöpferischer Seelenkraft.
— 187 —
Nachwort
Von
Armin Tille (Weimar)
Die vorstehenden Ausführungen über Lamprechts Persönlichkeit
und Arbeitsleistung stammen aus der Feder eines Mannes, der länger
als zwei Jahrzehnte in seiner nächsten Nähe, mit ihm durch mannig-
faltige berufliche Beziehungen und Freundschaft aufs engste verbunden,
gelebt und gearbeitet hat. Dabei hat Kötzschke Einblicke in Lam-
prechts Denken, Fühlen und Wollen und in seinen geistigen Ent-
wicklungsgang getan wie wenig andere, nicht nur den Menschen
aus tausend einzelnen Zügen kennen gelernt, sondern vor allem auch
manche Wandlungen in seinen wissenschaftlichen Anschauungen be-
obachtet, die demjenigen, der nur kürzere Zeit und weniger eng mit
ihm in Berührung stand, kaum zum Bewußtsein kommen mögen, Aber
eins ist Kötzschke versagt geblieben, da er das akademische Studium
schon hinter sich hatte, als Lamprecht 1891 nach Leipzig kam, den
Zauber mit zu empfinden, den jener als Lehrer in den
Vorlesungen und namentlich in den Seminarübungen auf
den jungen Studenten der Geschichte ausübte. Über
Lamprecht als akademischen Lehrer und das Verhältnis zu seinen
Schülern sollen deshalb hier noch einige ergänzende Worte folgen,
da mir das Glück beschieden war, in der ersten Zeit seiner Leipziger
Tätigkeit vorwiegend unter seiner Leitung (1891—1894) zu studieren,
bei ihm zu promovieren, dann eine Zeitlang unter seiner Direktion
die Verwaltungsgeschäfte des Historischen Seminars zu besorgen und
seitdem dauernd mit ihm in Fühlung zu bleiben.
Lamprecht legte auf den Seminarunterricht, den er im
Gegensatz zu den meisten anderen Lehrern meist vormittags abhielt,
das allergrößte Gewicht und bezweckte mit seinen Vorlesungen mehr
eine allgemeine Vorbereitung oder Ergänzung zu ersterem in methodi-
scher Hinsicht als eine Übermittlung von Stoff; für letzteren Zweck
empfahl er eindringlich immer wieder, Darstellungen der verschiedensten
Geschichtsschreiber zu lesen und warnte wie bei den Quellen auch
bei diesen davor, daß sich der Student auf das Nachschlagen einer
bestimmten Stelle beschränke, ohne das ganze Buch oder wenigstens
größere in sich geschlossene Teile durchzuarbeiten. Seminarübungen
wie Vorlesungen hat er nur ganz selten wiederholt, und dann immer
in ganz bestimmter Absicht; denn grundsätzlich behandelte er nament-
— 188 —
lich im Seminar jeweils Ausschnitte aus denjenigen Gebieten, die ihn
selbst innerlich am meisten beschäftigten und über die er selbst nach
Klarheit rang. Da sich aber das eigene Arbeitsfeld des Lehrers,
dessen Lehrauftrag das gesamte Gebiet der Geschichte ohne jede Ein-
schränkung umfaßte, immer verschob, so wandelten sich auch die
Gegenstände der Seminarübungen dauernd, so daß jede Generation
von Studenten einen etwas anderen Eindruck davon gewonnen hat,
wenn auch die Methode immer dieselbe blieb. Der Hauptvorteil für
den Lernenden bestand darin, daß der Lehrer sich nicht eben nur
für den besonderen Zweck vorbereitet hatte, sondern daß er in dem
gerade behandelten Stoffe vollständig lebte, Quellen und Literatur in
überreicher Fülle vorlegte und die Schüler zu positiver Mitarbeit
heranzog: sie taten so unwillkürlich einen tiefen Blick in eine wohl-
eingerichtete wissenschaftliche Arbeitswerkstatt. Meine Studienzeit fiel
in die Jahre, da das ausgehende Mittelalter im .Brennpunkt von
Lamprechts Interesse stand, und ich gedenke dankbar sowohl der
‚wirtschaftsgeschichtlichen Übungen über die Zustände des platten
Landes an der Hand der Weistümer und über das Wesen der kleinen
Landstädte als auch der Einführung in die Probleme der Verfassungs-
geschichte durch eine Vergleichung des Staatsrechts der Goldenen
Bulle mit den Forderungen der Reformschriften des XV. Jahrhunderts,
namentlich der Concordantia catholica des Nikolaus von Kues. Wer
je an einer derartigen vergleichenden Forschung teilgenommen hat,
dem ist auch die Wechselwirkung von Wirtschaft, Gesellschaftsordnung
und Recht eindringlich zu Gemüte geführt worden, der hat an einer
Fülle von Beispielen erkannt, daß die Denkform, die Logik der ver-
schiedenen Zeitalter von einander abweicht und daß in dieser Er-
kenntnis der Schlüssel für das Verständnis jedes hinter uns liegenden
Kulturzeitalters liegt.
Soviel der Schüler aus jeder dieser Seminarübungen an eigener
Errungenschaft nach Hause trug, dasjenige, was ihn immer stärker zu
dem Lehrer hinzog, war letzten Endes trotzdem nicht der Lehrerfolg,
sondern vielmehr die gütige Persönlichkeit, die am Leben und Arbeiten
jedes einzelnen Schülers warmen Anteil nahm und eines jeden Eigen-
art und Denkrichtung zu verstehen strebte. Deutlich erinnere ich
mich des ersten Besuchs, als ich mich Ostern 1892 zur Teilnahme
am Seminar anmeldete, und der Unterhaltung, die dabei gepflogen
wurde. Es war Lamprechts ernstes Bestreben, den Verkehr mit seinen
Schülern nicht auf den Unterricht zu beschränken, sondern sie auch
sonst sich näher zu bringen. Deshalb war er jederzeit zu sprechen
— 189 —
und lud seine Seminaristen oft in kleinen Gruppen als Gäste in scin
Haus. Ebenso begünstigte er in jeder Weise den Verkehr der Seminar-
mitglieder untereinander, damit sie sich gegenseitig besser fördern
könnten, und wenn sich sämtliche Seminarmitglieder (damals etwa 75)
“ zu einer gemütlichen Kneipe zusammenfanden, ließ er es sich nicht
nehmen, ebenfalls ein Stündchen zu erscheinen.
Aus dem Verhältnis zu den Schülern und seiner Auffassung des
Lehrberufs ergab sich von selbst Lamprechts Stellung zur Wahl des
Gegenstandes, dem die geschichtliche Erstlingsarbeit gelten sollte.
Da ihm die Erziehung zur Selbständigkeit in jeder Hinsicht als oberste
Pflicht erschien, so liebte er es nicht, eine fest umrissene Aufgabe
zu stellen, bei deren Lösung der Schüler aus mannigfachen Gründen
zu straucheln Gefahr läuft, sondern, um der Neigung und Begabung
des Einzelnen Rechnung zu tragen, machte er mitten in den Seminar-
übungen oder auch gelegentlich in den Vorlesungen auf Einzelgegen-
stände aufmerksam, die ihm einer gründlichen Behandlung würdig
schienen, und forderte allgemein zur Beschäftigung damit auf. Wenn
dann ein Schüler dieser Anregung folgte und nach Wochen über die
ersten Ergebnisse seiner Umschau Bericht erstattete, dann erst begann
auf Grund der vom Bearbeiter selbst gefundenen Fragestellung die
Herausschälung des eigentlichen Arbeitsgegenstandes, und der Titel,
den die Dissertation !) schließlich erhielt, pflegte erst dann festgestellt
zu werden, wenn sich ihre endgültige Gestalt dem Schüler und Lehrer
enthüllte. Selbst neue Erkenntnis durch die Arbeit des Schülers zu
‚gewinnen, das war dabei die Absicht, und das Urteil über die Leistung
war zu einem gewissen Teile abhängig von dem Maße, in dem sich
diese Absicht verwirklichte.
Der Stufenfolge im Geschichtsstudium hat Lamprecht von Beginn
seiner akademischen Tätigkeit an große Aufmerksamkeit geschenkt
und namentlich die Beschäftigung mit den Nachbarfächern, beson-
ders Kunstgeschichte, Nationalökonomie und Rechtsgeschichte, gefor-
dert. In Leipzig legte er alsbald die oft mündlich erteilten Ratschläge
schriftlich fest, um sie jedem angehenden Studenten der Geschichte
gedruckt einzuhändigen. Als auf der dritten Versammlung deutscher
1) Viele Dissertationen aus Lamprechts Schule sind enthalten in Leipziger Stu-
dien aus dem Gebiet der Geschichte (Leipzig 1895—1903, 9 Bde.), während in den
ersten Jahren auch manche gesondert erschienen ist, Später vereinte er Arbeiten seiner
Schüler in den beiden Reihen Geschichtliche Untersuchungen (Gotha, Friedrich Andreas
Perthes 1903—1909, 17 Hefte in 5 Bänden) und in den Beiträgen sur Kultur- und
Universalgeschichte (Leipzig, Voigtländer 1907—1915, 35 Hefte).
— 190 —
Historiker (Frankfurt a. M. Ostern 1895) über die Anlage des histori-
schen Studiums auf der Universität beraten wurde, da spielte das
„Leipziger Programm‘“‘!) eine große Rolle und fand als Ideal, das sich
nur leider an kleineren Universitäten nicht verwirklichen lasse, un-
geteilte Anerkennung. Es ist an dieses erste abgerundete geschicht-
liche Studienprogramm Lamprechts zu erinnern, wenn die ÄAusge-
staltung, die er ihm später in seinem Institut für Kultur- und Universal-
geschichte gab, ganz verstanden werden soll. Aus seinen praktischen
Erfahrungen beim Seminarunterricht in der Geschichte sind seine
Vorschläge zur Reform des Universitätsunterrichts überhaupt hervor-
gewachsen, und zwar gab den nächsten Anlaß dazu das von ihm oft
beklagte Mißverhältnis zwischen der namentlich seit 1900 dauernd
wachsenden Studentenzahl und den zur Verfügung stehenden Lehr-
kräften.
Trotz aller Hingabe an den Unterricht und trotz des Wunsches,
mit recht vielen seiner einstigen Schüler in Verbindung zu bleiben,
lag es Lamprecht fern, eine „Schule“ zu bilden. Das einfache un-
kritische Nachbeten seiner Lehren liebte er nicht, aber über alles
ging es ihm, wenn er sah, daß seine Grundgedanken auf fruchtbaren
Boden gefallen waren, mochte auch der Schüler zu anderen Ergeb-
nissen gelangen als er selbst. Als aus Anlaß der Einweihung des
Instituts für Kultur- und Universalgeschichte 1909 eine Anzahl ehe-
maliger Schüler Lamprecht eine wissenschaftliche Ehrengabe ?) dar-
brachte, da hob er in seinem Dankschreiben besonders seine Freude
über die inhaltliche Verschiedenheit der 22 Beiträge hervor, die sämt-
lich gewisse Berührungspunkte mit seinen eigenen Arbeiten aufwiesen
und dennoch in die allerverschiedensten Richtungen ausmündeten.
Lamprecht hinterläßt keine Schule, aber eine große Anzahl dank-
barer Schüler, die er zur Forscherarbeit erzogen hat und die in ihm
dauernd den Lehrer verehren werden.
Die rege Verbindung, die Lamprecht mit denjenigen seiner
Schüler unterhielt, deren spätere Tätigkeit eine geschichtlich- wissen-
schaftliche Färbung trug, brachte es mit sich, daß er sich noch oft
1) Abgedruckt als Ratschläge für das Studium der mittleren und neueren Ge-
schichte im Bericht über die dritte Versammlung deutscher Historiker (Leipzig 1895),
S. 37—41.
2) Studium Lipsiense. Ehrengabe, Karl Lamprecht dargebracht aus Anlaß der
Eröffnung des Kgl. Sächs. Instituts für Kultur- und Universalgeschichte bei der Universität
Leipzig von Schülern aus der Zeit seiner Leipziger Wirksamkeit (Berlin, Weidmann
1909, 409 S. 8°),
— 19 —
als Förderer und Helfer seiner Schüler betätigen konnte, sobald ihm
sachliche Bedürfnisse dies gestatteten; denn bei der großen Zahl seiner
Pläne brauchte er ausführende Kräfte, die, mit seinen Grundanschau-
ungen vertraut, auf. seine Absichten eingingen. Dabei aber hatte er
immer nur das jeweils bestimmte allgemeine Ziel im Auge, die Aus-
führung im einzelnen gern weitherzig der Eigenart und dem Taten-
drang seiner Arbeitsgenossen überlassend. Dafür sind die Deutschen
Geschichtsblätter, deren Titel schon er nicht vollkommen billigte, und
die Deutschen Landesgeschichien ein lebendiges Beispiel.
Die eigene Arbeit über die Kultur des Mosellandes hatte Lam-
precht überzeugt, daß ein Arbeiten auf dem Gebiete des Zuständlichen
immer nur bei räumlicher Beschränkung fruchtbar sei. Um zunächst
landesgeschichtliche Quellen zu veröffentlichen, war Lamprechts An-
regung entsprechend die Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde
gegründet worden, entstand die Kgl. Sächsische Kommission für Ge-
schichte und bildete sich als Gegenstück der Zusammenschluß der
wesentlichsten landesgeschichtlichen Publikationsinstitute. Anderseits
erwachte nach 1890 allenthalben das Interesse für die historisch-
geographische (Grundkarten!) und siedlungsgeschichtliche Forschung,
der Lamprecht alsbald 1899 in Leipzig in einem besonderen Seminar
eine Heimstätte schuf, und durch die steigende Zahl der selbständig
tätigen Ortsgeschichtsforscher kam ein gewaltiger Stoff ans Licht, der
unmöglich für die allgemeine deutsche Geschichte verloren gehen
durfte. Es galt also, zuerst eine Übersicht darüber zu gewinnen, was
in all den bezeichneten Richtungen tatsächlich geleistet wurde, die
Arbeit des Einzelforschers durch klare Umgrenzung bestimmter Auf-
gaben in gewisse Bahnen zu lenken und die Ergebnisse durch ein-
dringende Vergleichung zusammenzufassen. Nachhaltig ließ sich dieses
Ziel nur erreichen durch Gründung einer Zeitschrift, die sich vor-
wiegend diesen Aufgaben unterzog. Als die Deutsche Zeitschrift für
Geschichtswissenschaft 1896 eine neue Gestalt annahm, da hatte Lam-
precht sich bemüht, durch die als Teil derselben erscheinenden Mo-
natsbläiter das Bedürfnis zu befriedigen, aber mit dem Ende dieser
Beihefte (1898), die nur verhältnismäßig wenig derartige Beiträge ge-
bracht hatten, schwand die Hoffnung, auf diesem Wege weiter zu
kommen, und der Gedanke an ein neues Organ trat auf. Wenn
Lamprecht diesen Plan gerade mir entwickelte und mich zur Aus-
führung einlud, so hatte das mehrere Gründe. Mir war durch eigene
Arbeiten die landesgeschichtliche Forschung in Tirol und in der Rhein-
provinz vertraut geworden, und ich hatte bereits in mehreren Auf-
14
— 192 —
sätzen nebenbei versucht, die Studien über gewisse Arbeitsgebiete 1)
aus verschiedenen Landschaften vergleichend zusammenzustellen. An-
derseits hatte ich Lamprecht gegenüber einmal den Plan entwickelt,
in einem „Historischen Zentralblatt‘, das nicht als selbständiges Organ
gedacht war, einen dauernden Überblick über geschichtliche Arbeiten
aus dem Bereiche der verschiedensten Wissenszweige zu geben und
diese so der Kulturgeschichtsforschung im engeren Sinne leichter zu-
gänglich zu machen. Alle diese Gedanken flossen nun zusammen
und erhielten ihre Ausführung durch die Gründung der Deutschen Ge-
schichtsblätter, deren Verlag die Firma Friedrich Andreas Perthes,
A.-G., übernahm und die nun im sechzehnten Jahrgange stehen. Ihre
Begründung gehört zu Lamprechts Verdiensten, obwohl er die Aus-
führung in allen grundsätzlichen und praktischen Fragen in bewußter
Absicht von Anfang an mir vollständig überlassen hat.
Die landschaftliche Forschung durfte sich jedoch nach Lamprechtg
Auffassung nicht in Quellenveröffentlichung und Einzeluntersuchung
erschöpfen, sondern jede Landschaft brauche — so meinte er — eine
Darstellung ihrer Geschichte, die alle jene Errungenschaften in
künstlerischer Form verarbeite. Als er nun 1901 daranging, die seit
1894 unter seiner Leitung stehende Geschichte der europäischen Staaten
zu einer Allgemeinen Staatengeschichte zu erweitern, indem er gemäß
seinen universalgeschichtlichen Bestrebungen die außereuropäischen
Staaten einbezog, da führte er zugleich den ersteren Plan aus und
faßte in einer dritten Abteilung Deutsche Landesgeschichten Werke der
bezeichneten Art zusammen. Es kam dabei zustatten, daß schon
früher im Verlag von Friedrich Andreas Perthes in losem Zusammen-
hange mit der Geschichte der europäischen Staaten Geschichten von
Schlesien, Braunschweig-Hannover, Provinz Sachsen sowie Ost- und
Westpreußen ?) erschienen waren, die nun als der Anfang der Reihe
gezählt wurden. Auch die Leitung dieser Abteilung übertrug der
Verlag, der gern auf Lamprechts Pläne einging, mir, so daß neben
dem inneren ein persönlicher Zusammenhang zwischen den Deutschen
Geschichtsblättern und den Deutschen Landesgeschichten entstand. Beide
Unternehmungen stehen nebeneinander, gefördert von demselben Ver-
1) Entscheidend waren die wenigen Bemerkungen über den Stand der Kirchenbuch-
forschung, mit denen ich eigene Mitteilungen über Tauf-, Trau- und Sterberegister am
Niederrhein (Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein, Heft 63 [1896],
S. 177—196) eingeleitet hatte.
2) Neu sind inzwischen, wenn auch zum Teil noch unvollendet, hinzugekommen:
Pommern, Livland, Salzburg, Nieder- und Oberösterreich, Hamburg und die Karpathenländer,
— 193 —
lag, und zeugen davon, daß Lamprecht auch in den Jahren, in denen
ihn schon die universalgeschichtlichen und kulturpolitischen Aufgaben
vorwiegend beschäftigten, der eindringenden Durchforschung der deut-
schen Geschichte trotzdem unverwandt weiter seine Aufmerksamkeit
schenkte; denn in der Pflege der Landesgeschichte sah er neben
ihrem Werte für die betreffende Landschaft das beste Mittel, um die
Erforschung der gemeindeutschen Kulturentwicklung auf eine feste
Grundlage zu stellen. Das ist der Gedanke, der in dem seit 1912
für die Deutschen Geschichtsblätter gewählten Untertitel Monatsschrift
für Erforschung deutscher Vergangenheit auf landesgeschichtlicher Grund-
lage seinen Ausdruck findet.
Wie in den eben näher gekennzeichneten Fällen, so ist Lam-
precht auch noch in zahlreichen anderen der erfolgreiche Anreger
gewesen, ohne das äußerlich in Erscheinung treten zu lassen, aber
auch ohne je ein Hehl daraus zu machen. Gedanken, die von an-
derer Seite an ihn herangebracht wurden, nahm er hinwiederum stets
willig auf, sobald er ihre Bedeutung für die Kulturgeschichtsforschung
erkannte: es sei hier nur an die Genealogie erinnert, der er früher
keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, die er aber sofort zu fördern
und für seine Bestrebungen zu nutzen begann, als er von dieser
Wissenschaft 1906 durch die Leipziger Zentralstelle für deutsche Per-
sonen- und Familiengeschichte nähere Kenntnis erhalten hatte. So
wurde er allenthalben nicht nur zum Anreger, sondern auch zum
Organisator in dem vollen Bewußtsein, daß die eigene Kraft der
Ergänzung durch andere bedürfe und daß es nur auf diesem Wege
möglich sei, über das eigene Wirken hinaus dauernde Werte zu
schaffen.
Zweifellos ist ihm dies gelungen, und seinen Schülern fällt die
Aufgabe zu, dafür zu sorgen, daß diese dauernden Errungenschaften
nicht einfach bleiben, was sie sind, sondern sich jeweils den neuen
Anforderungen der Zeit anpassen und dementsprechend weiter ent-
wickeln. Darin allein kann die Sicherung des reichen Erbes bestehen,
das Lamprecht der deutschen Wissenschaft hinterlassen hat.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Weimar.
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.
Deutsche Geschichtsblätter
Monsatsschrift für Erforschung deutscher Ver-
gangenheit auf landesgeschichtlicher Grundlage
XVI. Band August 1915 | 8. Heft
nn nn en mn nen
Geschichte der Teehnik
Von
Hugo Theodor Horwitz (zur Zeit Leipzig)
In dieser Zeitschrift wurde schon einmal über die Geschichte
der Technik berichtet !). Seither hat die junge Wissenschaft viele
Fortschritte gemacht und manche neue Anhänger erworben; am
wenigsten vielleicht unter den Technikern selbst, die immer noch zu
stark mit den Aufgaben der Gegenwart beschäftigt sind, und deren
geistige Interessen in dem sich überhastenden Getriebe unseres In-
dustrielebens allzuschnell erdrückt werden. Dagegen haben die Ver-
treter der älteren Wissenszweige bald erkannt, welche Dienste ihnen
eine wirklich wissenschaftlich betriebene Technohistorik bieten könnte,
und namentlich die Geschichtsforscher und die Ethnographen haben
der Pflege der Grenzgebiete viel Interesse zugewandt. —
Hier sei vorerst ein kurzer Überblick über die neueren Erschei-
nungen auf dem Gebiete der Geschichte der Technik gegeben; dann
soll dargelegt werden, daß die Technobhistorik besonders beim tech-
nischen Unterricht, aber auch für die wirkliche, lebendige Praxis man-
cherlei Aufgaben zu erfüllen hat.
Die Beiträge sur Geschichte der Technik und Industrie (das Jahr-
buch des Vereines Deutscher Ingenieure) wurden weiter fortgesetzt.
Bisher erschienen fünf Bände; die Herausgabe des sechsten Bandes,
die im Herbst 1914 hätte erfolgen sollen, wurde des Krieges wegen
verschoben. Aus der Fülle der wertvollen Abhandlungen und Bei-
träge seien nur die bedeutendsten hier kurz angeführt: Die Einführung
der Panserung im Kriegsschiffbau und die Entwicklung der ersten Panzer-
flotten von Professor Rudloff; Philon von Byzanz von Professor Beck
in Darmstadt 3); Henri Victor Regnault [Biographie] von Professor
ı) Band XI (1910), S. 243—249.
2) Diese Arbeit bildet, ebenso wie die Abhandlung im ersten Bande der Bei-
träge sur Geschichte der Technik und Industrie über Heron von Alexandria eine
wertvolle Ergänzung zu Professor Becks Werk: Beiträge zur Geschichte des Ma-
15
— 196 —
Keller; Aus Bessemers Selbstbiographie von Ingenieur Hönigsberg.
Von firmengeschichtlichen Arbeiten sei die Abhandlung über das Unter-
nehmen der Gebrüder Sulzer in Winterthur und Ludwigshafen a. RA.
von Professor Matschoß und die Geschichte der Gutehoffnungshülte von
Dr. Reichert hervorgehoben. Aus dem dritten Bande erwähnen
wir: Der aligriechische und altrömische Geschütsbau von Professor Beck,
Gustav Adolf Hirm [Biographie] von Professor Keller, Die Maschine
von Marly [das berühmte Wasserhebewerk aus der Zeit Ludwigs XTV.]
von Dr. Ergang und die groß angelegte Arbeit über die Geschichte
der Königlich Preußischen Technischen Deputation für Gewerbe von
Professor Matschoß. Die wichtigsten Werke des vierten Bandes
sind: Die Geschichte der mittelamerikanischen Kanalunternehmungen von
Dr. Hennig; Die Förderung der Textilindustrie durch Friedrich den
Großen von Professor Matschoß und Aus der Werkstatt deutscher
Kunstmeister im Anfang des XIX. Jahrhunderts von demselben Autor.
Außerdem bringt Professor Matsch oß noch eine industriegeschichtliche
Arbeit über die Entwicklung der Maschinenfabrik R. Wolf in Magde-
burg-Buckau. Technisch besonders interessant ist: Die Entwicklung
der Zahnräder von Professor Kammerer und: Das Materialprüfungs-
wesen und die Erweiterung der Erkenntnisse auf dem Gebiet der Elasti-
zität und Festigkeit in Deutschland während der leisten vier Jahrzehnte
von Professor Baumann. Dann folgen zwei Biographien: Benoit Four-
neyron von Professor Keller und Paul v. Sirobach von Dr. Fuchs.
Aus dem fünften Bande heben wir hervor: Die Mühle im Rechte der
Völker von Professor Koehne; Die prinzipielle Entwicklung des mittel-
europäischen technischen Baurechtes aus dem römischen Rechte von
Dr. Stur; von biographischen Arbeiten seien angeführt: Johann An-
dreas Segner von Professor Keller, John Haswell von Dr. Sanzin,
Ferdinand von Miller von Professor Matschoß und Christopher Polhem
von Ing. Vogel. Professor Matschoß hat außerdem wieder eine
firmengeschichtliche Arbeit über die Entwicklung der Maschinenfabrik
Nürnberg verfaßt.
Von demselben Autor erschien in den letzten Jahren noch eine
Anzahl kleinerer Abhandlungen: Die Berliner Industrie einst und
jetzt (Berlin 1906) und: Der Einfluß der Technik auf die Entwicklung
Berlins im ersten Jahrhundert der preußischen Städteordnung (Berlin
1909). In der Einleitung zu dem großen Werk: Die Technik im
schinenbaues (Berlin 1899), das eine Anzahl von früher in verschiedenen Zeitschriften
veröffentlichten Aufsätzen gesammelt enthält, und zu dem als Fortsetzung noch einige
Arbeiten in der Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure erschienen.
— 19 —
swansigsten Jahrhundert, herausgegeben von Miethe (Braunschweig
1911), gibt Matschoß einen kurzen Überblick über die Entwicklung
der Technik von ihrem Uranfang bis zur Gegenwart und über ihren
Einfluß auf die kulturellen Fortschritte der Menschheit. Außerdem
hat er die Abfassung des Bandes: Vorgeschichte der Technik des groß
angelegten Werkes: Die Kultur der Gegenwart übernommen.
Feldhaus hat auf sein Lexikon von 1904 eine große Reihe von
Werken technohistorischen Inhalts folgen lassen: 1910 erschienen die
Ruhmesblätier der Technik, eine Sammlung von Zeitschriftaufsätzen,
die teilweise außerordentlich wertvolles Material bringen und sich be-
sonders durch reiche Quellenangaben auszeichnen. 1912 veröffentlichte
er ein Bändchen: Deutsche Techniker und Ingenieure (Sammlung Kösel,
Kempten und München), das zum ersten Male eine Bibliographie der
die Technik behandelnden Handschriften und älteren Druckwerke zu
geben versucht. Dadurch allerdings, daß sich der Autor auf Bücher
deutscher Sprache beschränken mußte, konnte die Bibliographie nicht
vollständig ausgestaltet werden. Ein anderes von Feldhaus heraus-
gegebenes Werk ist: Leonardo der Techniker und Erfinder (Jena 1913).
In dem Buche wird eine große Anzahl von Erfindungen Leonardos
an Hand von Reproduktionen nach den Originalzeichnungen besprochen.
Die Wiedergabe der Entwürfe dürfte für mancherlei Studien sehr wert-
voll sein, weil Professor Beck in seinen schon früher herausgegebenen
Abhandlungen über Leonardo dessen Skizzen stets schematisch um-
gezeichnet hat.
Eine für die technohistorische Forschung höchst bedeutsame Tat
vollbrachte Feldhaus endlich durch die Herausgabe seines lexi-
kalisch geordneten Nachschlagewerkes: Die Technik der Vorseit, der
geschichtlichen Zeit und der Naturvölker (Leipzig und Berlin 1914).
Das Buch enthält, nach Stichworten geordnet, ein außerordentlich
reiches Material, das durch eine, viele Jahre währende Forschungs-
arbeit allmählich gesammelt wurde; hervorgehoben sei die Aus-
stattung des 1400 Spalten starken Werkes mit 873 Abbildungen
und die stets durchgeführte Angabe der Quellen zu jedem histori-
schen Datum. Das Werk ist ein Auszug aus Feldhaus’ großer Karto-
thek zur Geschichte der Technik und der Naturwissenschaften, und
an dieser Stelle sei es gestattet, einiges Weitere darüber zu sagen:
Nach der Herausgabe der zweiten Auflage von Darmstädters Hand-
buch fand eine Vereinigung von Professor Darmstädter mit Feld-
haus statt; das Material von beiden wurde zusammengelegt und in
Kartothekform geordnet. Das ganze Unternehmen erhielt den Namen:
15*
— 198 —
Quellenforschungen zur Geschichte der Naturwissenschaften und der
Technik und wurde von Feldhaus, der es später allein übernahm,
durch äußerst fleißige Arbeit großartig erweitert. Die Kartothek um-
faßt heute etwa 40000 Sach- und 21000 Personenkarten; bei jedem
Datum sind die Quellen und etwaige Irrtümer ersichtlich gemacht ?).
Bevor wir auf andere kleinere Arbeiten übergehen, die in letzter
Zeit erschienen sind und die die Geschichte der Technik behandeln,
soll noch ein Buch erwähnt werden, das in wahrhaft großartiger Weise
die Entwicklung sämtlicher Naturwissenschaften, einschließlich der
Technik in der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts, behandelt. Es
ist der von Dr. Otto Bryk verfaßte erste Band der: Entwicklungs-
geschichte der reinen und angewandien Naturwissenschaften im XIX.
Jahrhundert (Leipzig 1909). In dem Buch, das eine ganz einzigartige
Beherrschung sämtlicher Zweige der Naturwissenschaften durch einen
einzelnen zeigt, wird in einem eigenen Kapitel auch die Geschichte
der Technik dargestellt, und zwar, dem Charakter des Buches ent-
sprechend, besonders deren Zusammenhänge mit den Naturwissen-
schaften und der Kulturgeschichte. Es enthält den ersten Versuch,
eine Geschichte der technischen Wissenschaften abzufassen, und
als besonders interessant mag es gelten, daß auch dabei die Teilung
in eine romantisch-naturphilosophische und in eine klassisch-positive
Periode durchgeführt wurde.
Von den in letzter Zeit erschienenen Büchern heben wir noch
hervor: eine neue Ausgabe von Blümners Technologie und Termino-
logie der Gewerbe und Künste bei Griechen und Römern (Leipzig und
Berlin 1912) und Antike Technik von Professor Diels (Leipzig und
Berlin 1914), dessen Abhandlungen jedoch teilweise bis ins Mittelalter
hinaufreichen. Professor Daub in Wien gab ıgıı ein Buch: Die
Vergangenheit des Hochbaues und 1913: Die Bauenden des Altertums
heraus. Im Verlag des Deutschen Museums in München erschien eine
prächtig ausgestattete Biographie von Georg von Reichenbach von Pro-
fessor v. Dyck. Anderen Aufgaben dient wieder der großartige
Katalog der historischen Abteilung der „Ila“ (der internationalen Luft-
schiffahrts - Ausstellung), herausgegeben von Dr. Liebmann und
Dr. Wahl (Frankfurt a. M. 1912).
Reiches Quellenmaterial ist in den Urkunden sur Geschichte des
Sueskanals von Dr. Georgi und Dufour-Feronce (Leipzig 1913)
1) Weitere Angaben über die Anordnung der Kartothek und der Karten möge man
in der Einleitung zu obigem Buche: Die Technik der Vorseit, der geschichtlichen
Zeit und der Naturvölker nachlesen.
— 199 —
zusammengestellt. Sie zeigen, wie sehr die Tätigkeit Lesseps’ bisher
überschätzt wurde und wie groß der Anteil deutscher und österreichi-
scher Ingenieure am Bau dieser Wasserstraße war. Prächtig aus-
gestattet ist die von der Stadt Nürnberg herausgegebene Festschrift
sur Eröffnung der Wasserleitung von Ranna (Nürnberg 1912), die eine
durch vieles Bildermaterial unterstützte Geschichte der Wasserversor-
gung von Nürnberg bringt, wobei wir als besonders wertvoll eine
Rekonstruktion des Rohrnetzplanes zur Trinkwasserversorgung der
Reichsstadt zu Beginn des XIX. Jahrhunderts hervorheben. Es muß
bemerkt werden, daß der historische Teil dieser Festschrift leider
nicht von einem Techniker, sondern von einem Juristen verfaßt wurde,
was immerhin als ein Zeichen für das geringe Interesse, das die In-
genieure für die Geschichte ihres Faches bisher zeigen, gelten mag.
Auch in der Sammlung Göschen erschienen einige Bändchen, die
sich mit der Geschichte der Technik (vorwiegend der Kriegstechnik)
befassen. Wir heben daraus die kurze, aber klar geschriebene Ge-
schichtliche Entwicklung des Befestigungswesens von Major Reuleaux
hervor. Auch die Quellenbücher von Voigtländer bringen einige Bei-
träge zur Geschichte der Technik, von denen jedoch Band 41: Der
Kraftwagen, sein Wesen und Werden von Dr. Albert Neuburger
als ziemlich leichtfertige und unkritische Arbeit bezeichnet werden
muß. Interessant ist, daß das Buch: Deutsche Kultur des Mittelalters
im Bild und Wort von Professor Paul Herre (Leipzig 1912) eine der
ersten Kulturgeschichten ist, die auch der Technik ein eigenes, selb-
ständiges Kapitel gewidmet hat.
Wie schwierig eine wahre, auf Quellenforschung beruhende Dar-
stellung der Geschichte der Technik ist, zeigt der Fall Diesel. Der
um die Entwicklung des Gasmaschinenbaues jedenfalls sehr verdiente
Konstrukteur wurde in den letzten Jahren seines Lebens von ver-
schiedenen Seiten heftig angegriffen, indem man ihm seinen Anteil
an der Erfindung und Ausgestaltung des „Dieselmotors‘ mehr oder
weniger zu schmälern suchte. In der letzten Zeit erschienen gleich
vier Arbeiten, die sich mit der Angelegenheit befassen, und von denen
fast jede einen anderen Standpunkt einnimmt: Die Entstehung des
Dieselmotors von R. Diesel (Berlin 1913), Der Dieselmythus von Pro-
fessor Lüders (Berlin 1913), Beiträge sur Geschichte des Dieselmotors
von P. Meyer (Berlin 1913) und Dieselmotoren von Professor Riedler
(Berlin, Wien, London 1914).
Es sei noch auf die bei Diederichs in Jena erscheinende Samm-
lung: Klassiker der Naturwissenschaft und Technik, herausgegeben
— 200 —
von Graf Carl v. Klinckowstroem und Prof. Dr. Franz Strunz,
hingewiesen; von den zwölf in Aussicht genommenen Bänden der
ersten Serie sind vier der Geschichte der Technik gewidmet.
Das Ausland hat auf dem Gebiete der Technohistorik sehr wenig
geleistet. Eine Arbeit: Steamboilers, their history and development von
Powles (London 1905) wurde durch das Matschoßsche Werk: Die
Entwicklung der Dampfmaschine, weit überboten. Eine andere Arbeit:
Engineering of Antiquiy von George Frederick Zimmer (London
[1913]) ist als ganz minderwertig zu bezeichnen.
Sehr schön ihrem Inhalt und ihrer Form nach erweist sich da-
gegen die, seit 1913 in Wondelgem-lez-Gand und Bern erscheinende
Zeitschrift: Isis, revue consacrée à Vhistoire et à Vorganisation de la
science, herausgegeben von George Sarton. Sie hat der Geschichte
der Technik einen eigenen Abschnitt in ihrem Referatenteile gewidmet.
Seit 1909 erscheint auch das Archiv für die Geschichte der Natur-
wissenschaften und der Technik, herausgegeben von K. von Buchka
u. a. (Leipzig).
Endlich wurde im Jahre 1914 auch eine eigene Zeitschrift für
die Geschichte der Technik gegründet; es sind die von Graf Carl
v. Klinckowstroem und F. M. Feldhaus herausgegebenen Ge-
schichtsblätter für Technik, Industrie und Gewerbe (Berlin). Die Zeit-
schrift bringt Originalabhandlungen und enthält außerdem einen be-
sonderen Teil für Referate, Anfragen und Notizen !).
Einen großen Raum in der Literatur nehmen natürlich die Werke
ein, die das Grenzgebiet zwischen Geschichte der Technik und Wirt-
schaftslehre behandeln. Wir erwähnen hiervon nur die ausgezeichnete,
von Prof. Sinzheimer herausgegebene Sammlung: Technisch - volks-
wirtschaftliche Monographien (Klinkhardt, Leipzig), deren Bände auch
für den Technohistoriker manches Interessante bieten. Gerade bei
der Behandlung solcher Grenzgebietsthemen macht sich anderseits
der große Mangel fühlbar, der durch die Vernachlässigung der tech-
nischen Wissenschaften an den Universitäten entstanden ist. Da die
nationalökonomischen Lehrkanzeln dieser Anstalten aber öfters Ar-
ı) Vielleicht darf an dieser Stelle noch erwähnt werden, daß der Verfasser dieser
Abhandlung seit etwa zwei Jahren über die Entwicklung der primitiven und der außer-
europäischen Technik arbeitet. Za diesem Zweck hat er eine Kartothek, die ähnlich wie
die Feldhaus’sche angeordnet ist, angelegt; die Zahl der Karten beträgt gegenwärtig etwa
3000. Mit der Geschichte der Elektrotechnik befaßt sich Ing. Egon Herbert Schwarz
in Wien. Auch er hat die Ergebnisse seiner Stadien in Kartothekform geordnet und
verfügt gegenwärtig fiber etwa 7000 Karten.
— 201 —
beiten aus solchen Grenzgebieten als Dissertationen angenommen ha-
ben, so muß hier auf die, bei strengen wissenschaftlichen Anforderungen
unbedingte Unzulässigkeit hingewiesen werden, auch die technische
Entwicklung von Industriezweigen ohne genügende technische Vor-
bildung behandeln zu wollen. Als ein Beispiel sei die Dissertation
(Staatswissenschaftliche Fakultät, Tübingen) von Erhard Vollmer:
Die deutsche Gewehrindustrie (Düsseldorf 1913) erwähnt. Eine ein-
gehende kritische Besprechung dieser Arbeit, die auch die mannig-
faltigen Ungenauigkeiten und Uhnrichtigkeiten aufdeckte, erschien in
der Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure, Nr. 37 vom 12. Sept.
1914 (Seite 1391—93).
Ein anderes Grenzgebiet stellt die Prähistorik und die Ethno-
graphie dar. Beide Wissenszweige beschäftigen sich seit jeher schon
mit der Geschichte der Technik. Die Prähistoriker entwickelten sich
dabei zu ausgezeichneten Kennern der einfachen technischen Arbeits-
weisen und der Urformen der technischen Gebilde, vor allem der
Waffen und Werkzeuge. Die Ethnographen zeigten weniger Vorliebe
für die Technik, weil ihr Gebiet ihnen nebenbei noch viele andere
Probleme darbot und weil anderseits manche der fremden Völker
bereits eine so hoch entwickelte Technik besitzen, daß deren Be-
herrschung nur auf Grundlage wirklich technischer Studien möglich
wäre (dies gilt vor allem für die Kulturvölker Asiens und Amerikas).
Dieser Teil der Völkerkunde ist bisher noch wenig behandelt wor-
den; wir dürfen aber vielleicht aus dem Zusammenarbeiten des Ethno-
graphen mit dem Technohistoriker noch manche fruchtbare Ergeb-
nisse erwarten. Ä
Über die Fortschritte der technischen Museen ist wenig zu be-
richten. Das Conservatoir des arts et métiers in Paris und das South
Kensington Museum in London scheinen sich auch weiterhin nur mit
der Erhaltung des Bestehenden zu befassen. An der Fertigstellung der
Inneneinrichtung des neuen Deutschen Museums in München wird eifrig
gearbeitet, und das Wiener Technische Museum für Industrie und Ge-
werbe dürfte bald eröffnet werden können. Bisher haben diese Museen
allerdings mit der Sammlung und Aufstellung der Schaustücke voll-
auf zu tun gehabt; in der Zukunft wird es aber ihre Aufgabe sein,
einen wissenschaftlich geordneten musealen Betrieb durchzuführen.
Auf die Entwicklung der kleineren Spezialmuseen soll hier nicht
näher eingegangen werden. Es ist übrigens wahrscheinlich, daß in
nächster Zeit noch eine Anzahl weiterer technischer Sammlungen, ent-
weder mit lokalem Charakter oder für bestimmte begrenzte Gebiete,
— 202 —
entstehen dürften. Als Aufgabe aller kulturgeschichtlichen Museen
muß es aber gelten, ihrem Bestande auch technische Objekte ein-
zuverleiben und diese damit für die Nachwelt zu erhalten t). Kleinere
Maschinen und Geräte können leicht als Originale aufgestellt werden ;
bei größeren Gegenständen wird man sich wohl meistens mit einem
Modell in verjüngtem Maßstabe begnügen. Nur wird man hierbei
darauf achten müssen, daß die Einzelheiten, auf die es bei technischen
Gebilden häufig ankommt, auch möglichst genau ausgeführt werden.
(In dieser Richtung lassen unsere ethnographischen Museen oft sehr
viel zu wünschen übrig.)
Besonders zu begrüßen ist es allerdings, wenn es manchmal
möglich gemacht wird, auch größere technische Objekte von histori-
schem Wert als Ganzes in ein Museum zu übertragen oder sie an
ihrem Standort als Denkmal alter Technik zu erhalten. Ein Beispiel
dieser Art bildet der Frohnauer Hammer bei ÄAnhaberg im Erz-
gebirge, eine aus dem XV. Jahrhundert stammende Schmiedewerkstatt,
die zeitweilig auch als Münzstätte benutzt wurde. Als 1907 diesem
Überbleibsel alter Technik der Untergang drohte, wurde es durch
Gründung eines Vereines, der die bedeutenden Mittel zu seiner Er-
haltung flüssig machte, für alle Zukunft gesichert, und es bildet seit-
dem ein viel besichtigtes Schaustück. (Vgl.: Flugschrift zur Erhaltung
des Alten Hammers zu Frohnau bei Annaberg i. E.)
Nach diesem ungefähren Überblick über das, was auf techno-
historischem Gebiete in den letzten Jahren geleistet wurde, sei es ge-
stattet, die Aufgaben unserer jungen Wissenschaft kurz zu erläutern
und auch ihre weitere Entwicklung und Ausbreitung etwas zu beleuchten.
Wie wir sahen, ist der größte Teil der bisher geleisteten Arbeit
registrierende und referierende Sammeltätigkeit. Dies ist bei dem
bis jetzt vorliegenden spärlichen und teilweise sogar fehlerhaften
Quellenmaterial äußerst notwendig und unerläßlich. Hier ist die Tätig-
keit von Feidhaus hervorzuheben; sein neues Lexikon stellt in dieser
Beziehung, aber auch in der Anordnung des Stoffes, einen großen
Fortschritt gegen alle früheren Leistungen dar. Wie ergiebig freilich
bei wirklich historisch geschultem Arbeiten plötzlich die Quellen, von
denen man früher wenig wußte, fließen können, dafür bietet der Auf-
satz von Johannsen über die Quellen zur Geschichte des Eisengusses
bis 1530 (Archiv f. d. Gesch. der Naturwissensch. und der Techn.,
1) In größerem Umfange ist die Aufnahme solcher Stücke in ortsgeschichtliche
Museen bisher nur in Saarbrücken und Essen erfolgt.
— 203 —
Bd. 3, 1912, S. 365) ein Beispiel, wobei mit der Aufzählung und ganz
kurzen Besprechung dieser Angaben 27 Druckseiten angefüllt werden.
Es erscheint aber anderseits das Material immerhin so weit ge-
sammelt und nachgeprüft, daß man nunmehr wenigstens den Versuch
seiner Verarbeitung unternehmen könnte. Und hier genügt die re-
ferierende Methode, die bisher fast allein nur Anwendung fand,
nicht mehr, und auch die Technohistoriker werden sich daran ge-
wöhnen müssen, zur genetischen überzugehen.
Freilich, die Technik in ihrer merkwürdigen Zwitterstellung zwi-
schen Kunst und Wissenschaft macht dies besonders schwer. Beginnen
wir mit der primitiven Technik: der Zusammenhang mit der Prähistorik
und der Ethnographie, aber auch mit der Wirtschaftswissenschaft und
mit der Kulturgeschichte ist sofort gegeben. Wir wenden nun — in
vollkommen ökonomischer Weise — die von diesen Wissenschaften
gebildeten Methoden auf unsere Disziplin an und erhalten auf diese
Art eine zweidimensionale Entwicklung der Technik (nämlich nach
Raum und Zeit). Für pädagogische Zwecke wird eine solche Dar-
stellung freilich nicht genügend sein, und wir werden in diesem Falle
wohl zeitlich oder räumlich weit entfernt auftretende Erscheinungs-
formen vergleichen und aneinanderreihen müssen, um ein anschauliches
Entwicklungsbild geben zu können.
Die Technik‘, die aber stets wirkliche, reale Gegenstände schafft
(Dr. Bryk in Wien hat für diese das Wort „Technismen‘ vorge-
schlagen), läßt sogar eine Anlehnung an eine gleichsam noch pri-
märere Wissenschaft zu: an die Biologie. In diesem Falle betrachten
wir die uns entgegentretenden Technismen als Erscheinungsformen an
sich, lassen deren Urheber, den Menschen, hierbei völlig aus dem
Spiele und konstatieren im Laufe der Zeiten eine allmähliche Ver-
vollkommnung und Entwicklung der Artefakte. Wir können direkte
Stammbäume aufstellen, sehen weit zurückreichende, sich manchmal
reich verzweigende oder gelegentlich auch absterbende Linien und
einen kurzen Schritt bedeutet es nur noch, biologische Begriffe, wie
Survivals, Atavismen, ja auch die Auslese des Geeigneten und den
Kampf ums Dasein auf dieses Gebiet zu übertragen. Aber eine Aus-
nahme tritt dabei hervor: während die Evolution der lebenden Or-
ganismen immer stetig verläuft, gilt dies bei den Technismen nur
für den Anfang der Entwicklung. Dann aber macht sich der indessen
erlangte geistige Fortschritt der Schöpfer der Technismen geltend, und
manche Verbesserungsphase verwirklicht sich nur im Gehirn des in
räumlichen Phantasievorstellungen und in der Beherrschung der Natur-
— 204 —
gesetze geschulten Menschen, so daß das fertige Werk — oft sogar
schon der Entwurf dazu — einen merklichen Sprung gegen die letzte
Entwicklungsstufe aufweist. Hierauf wird bei einer genetischen Dar-
stellung der Technohistorik besonders zu achten sein.
Zwischen den Gebilden der Kunst und denen der Technik be-
steht ein wesentlicher Gegensatz. Wenn auch beide nicht unmittelbar
von der Natur gegeben sind, sondern erst durch den Menschen ge-
schaffen werden mußten, und wenn uns auch beide in dem von den
einfachsten Formen ausgehenden allmählichen Anstieg ein Bild stetiger
Entwicklung bieten, so arbeitet der Mensch bei der Schaffung der
technischen Gebilde nicht wie bei der künstlerischen Tätigkeit rein
intuitiv und teilweise sogar im Unterbewußtsein, sondern stets rationell
im Hinblick auf den zu erreichenden Effekt. In letzter Zeit hat der
Techniker seine Arbeitsweise sogar nach wissenschaftlichen Methoden
ausgebaut und systematisch geordnet. Dadurch erfährt der Aufbau
und die Zusammensetzung der technischen Gebilde eine weit tiefere
Begründung als die des künstlerischen Schaffens, weil der Mensch
durch das Studium der technischen Wissenschaften einen genauen
Einblick in die Größe und die Anordnung der mechanischen und
physikalischen Kräfte erhält. Der Technohistoriker kann heute aller-
dings erst bei einem kleinen Gebiete der Technik eine solche wissen-
schaftliche Durchdringung feststellen. Die Ausübung des größten
Teiles geschieht auch . gegenwärtig noch rein empirisch in ähnlicher
Weise, wie die Schaffung künstlerischer Objekte, Der allmähliche
Übergang von der empirischen zur wissenschaftlichen, auf theoretischen
Überlegungen und exakt durchgeführten Experimenten basierenden
Methode muß bei technisch-geschichtlichen Untersuchungen stets ge-
nau beachtet und hervorgehoben werden. Denn erst im Augenblick,
wo ein Zweig der Technik nicht mehr erfahrungsgemäß, sondern
wissenschaftlich begründet betrieben wird, erfährt er eine solche Aus-
gestaltung, daß er stärkeren Einfluß auf die Art unserer Lebensführung
gewinnt und deshalb auch kulturgeschichtlich berücksichtigt wer-
den muß!!),
Die Geschichte der technischen Wissenschaften wird ebenso
wie die Geschichte jeder anderen Wissenschaft dargestellt. Nament-
1) Dies gilt natürlich nicht für die ganz großen technischen Errungenschaften; die
Dienstbarmachung des Feuers durch die Menschheit, der Übergang zum Ackerbau, die
Einführung der Pulvergeschütze und die Erfindung des Buchdruckes haben auf unsere
Kultar sicher gewaltige Einflüsse ausgeübt. Aber für die allgemeine und technische Ent-
wicklung der letzten Jahrhunderte hat obiger Satz wohl Geltang.
— 205 —
lich die Methoden, die bei der Geschichtschreibung der übrigen ex-
akten Wissenschaften ausgebildet wurden, finden auf sie Anwendung.
Dem Kulturhistoriker dürfte deren Verfolgung allerdings manchmal
Schwierigkeiten bereiten, weil sie meistens nur durch eingehendes
Fachstudium möglich ist. Im allgemeinen braucht er sich aber damit
wohl nicht zu befassen.
Die Beschäftigung mit der Technohistorik hat es bereits mit sich
gebracht, daß man dem Begriffe des Erfinders sehr kritisch gegen-
übersteht. Tatsächlich nimmt jede der bedeutenderen Nationen bei
allen großen technischen Errungenschaften einen Erfinder für sich in
Anspruch, und man kann ihnen nur in den seltensten Fällen unrecht
geben. Kritische technisch -geschichtliche Untersuchungen, die auf
den Ideengehalt einer jeden Verbesserung eingehen, zeigen aber,
daß der Grundgedanke einer Erfindung oft Jahrhunderte zurückliegt,
und daß es sogar schwer zu sagen ist, wann die Idee zum ersten
Male praktische Form angenommen hat. Meistens finden sich schon
zur Zeit, da der Erfindungsgedanke nur als Idee in Büchern auf-
gezeichnet ist, allmähliche Verbesserungen und Vervollkommnungen
. durchgeführt; und die erste praktische Ausführung ist in den selten-
sten Fällen von Glück begünstigt und endet meistens mit Mißerfolg.
Dann erst setzt eine große Reihe von Versuchen ein, bei denen jeder
Konstrukteur geringe kleine Verbesserungen durchführt, wobei er
stets die seiner Vorgänger benutzt, bis die Summe aller endlich so
groß wird, daß sich die neue Erfindung als lebensfähig erweist und
sich eine Stelle in der praktischen Betriebstechnik erringt. Nun be-
ginnt endlich der Kampf um die wirtschaftliche Ausbeutung und es
dauert wieder einige Zeit, bis das Objekt die Konkurrenz mit früheren,
durch lange Jahre geübten Methoden überwindet, und bis seine öko-
nomische, fakrikmäßige Herstellung durchgeführt werden kann.
Dadurch ist eine ganze Reihe von Menschen an jeder großen
Erfindung beteiligt; wir werden nicht mehr von dem Erfinder, son-
dern von den Erfindern eines neuen technischen Gebildes sprechen
dürfen, und Aufgabe der Technohistorik wird es sein, durch genaue
Forschungen den quantitativen Anteil jedes einzelnen an einer neuen
Konstruktion festzustellen 1).
1) Wie notwendig dies oftmals ist, dafür bieten die oben angeführten vier Ar-
beiten über die Dieselsche Erfindung das beste Beispiel. Sehr richtig formuliert ist
dagegen der Titel einer Abhandlung von Lorenz und Höchberg (Archiv f. d. Gesch.
der Naturwissensch. und der Techn., Bd. 4, S. 323), lautend: Die Stellung Goethes in
der Geschichte der Entdeckung des photographischen Effekts.
— 206 —
So ergibt sich für die Geschichte der Technik eine etwas andere
Aufgabe, als sie den übrigen historischen Wissenschaften beschieden
ist, und zwar durch den unmittelbaren Zusammenhang der Technik mit
der Praxis.
Vorerst ist die Geschichte der Technik rein als Wissenschaft zu
betrachten, ebenso wie jede andere Disziplin, die ihr Gebiet nach Mög-
lichkeit zu vertiefen und auszubauen sucht. Sie wird sich allerdings
stets dessen bewußt bleiben müssen, daß sie ein Zweig einer großen
Universalgeschichtschreibung ist, und als solche niemals die Zu-
sammenhänge mit der Kulturgeschichte außer acht lassen darf. Für
den Techniker wird es sich als vorteilhaft erweisen, wenn jeder ein-
zelne Zweig genau durchgearbeitet wird, und wenn ihm für jedes Teil-
gebiet seines Studiums eine exakte geschichtliche Entwicklung von
der ältesten Zeit bis in die unmittelbare Gegenwart geboten wird.
Eigene Probleme ergeben sich durch den innigen Zusammenhang
der Technohistorik mit der Industrie- und Wirtschaftsgeschichte.
Dadurch fällt auch die Darstellung der Entwicklung einzelner Unter-
nehmungen und ganzer Gewerbe- und Industriezweige der Geschichte
der Technik zu.
Eine weitere Aufgabe der Technohistorik bildet die Registrierung
sämtlicher vorkommenden Neuerungen, der patentierten und nicht-
patentierten Erfindungen, der Ideen und der durchgeführten Versuche.
Es ist in der Industrie heute üblich, daß die Ergebnisse von kost-
spieligen Experimenten auch dann, wenn sie keinen Erfolg zeigen,
geheimgehalten werden, und dadurch ergibt sich die Notwendigkeit,
daß jeder, der auf einem bestimmten Gebiete weiterarbeiten will,
wieder von vorne beginnen muß. Das Unwirtschaftliche dieses Vor-
ganges ist einleuchtend, und viele begabte Erfinder, denen die großen
Mittel fehlen, welche für die lange Reihe von Versuchen nötig sind,
bevor man endlich zu halbwegs praktisch brauchbaren Ergebnissen
kommt, werden unter diesen Umständen von vornherein von dem
Wettbewerb ausgeschaltet. Neben der Registrierung dieser Versuche
wird es sich daher als notwendig erweisen, die Experimente verglei-
chend und kritisch zu bearbeiten, den augenblicklichen Stand der
Probleme festzulegen und den in der Praxis stehenden Fachleuten
auf Anfragen entsprechende Auskunft zu erteilen.
Eine weitere Ausgestaltung erfährt die Geschichte der Technik
durch die Aufwerfung psychologischer Probleme. Wie schwierig die
Abgrenzung des Anteiles der einzelnen Persönlichkeiten bei einer
Erfindung ist, wurde oben schon dargelegt. Dazu kommt noch die
— 207 —
gleichzeitige Mitarbeit mehrerer bei einer Verbesserung, wie es
heute bei den „Fabrikserfindungen‘“‘ genannten Neuerungen üblich
ist, Hier wird es notwendig sein, den Anteil jedes einzelnen durch
genaue Analyse seiner Mitarbeit, durch Studium seiner Skizzenbücher
und Entwürfe, ergänzt durch eventuelle persönliche Mitteilungen fest-
zustellen. Dadurch werden wir zu der Untersuchung der psycho-
logischen Tätigkeit bei einer Erfindung hinübergeleitet.
Diese Forschungen stehen heute erst im Anfang ihrer Entwick-
lung. Einigermaßen hat Ostwald dieses Problem in großen Zügen
bereits bei seinen Untersuchungen über den Erfinder behandelt t).
Aufgabe der Geschichte der Technik wird es aber sein, durch genaue
analytische Untersuchung der psychischen Vorgänge bei der Durch-
führung einer Erfindung oder einer Verbesserung, durch stete Be-
rücksichtigung des systematischen und des phantasievollen Arbeitens,
durch Zergliederung in rein kombinierende und intuitiv Neues schaffende
Tätigkeit die Arbeitsweise des Erfinders aufzudecken und damit eine
neue Lehre: die Erfindungsanalyse zu begründen.
III NL LEN EL NL IT UNTEN
Mitteilungen
Museen. — Vom niederösterreichischen Landesmuseum).
Das niederösterreichische Landesmuseum, eröffnet Ende 1911, ist das jüngste
unter den Wiener Museen. Wenn man erfährt, daß das steiermärkische
Landesmuseum in Graz, das berühmte Joanneum, genau roo Jahre früher
gegründet wurde und daß fast alle anderen österreichischen Landesmuseen
in der Zeit zwischen 1817 und 1844 entstanden sind, so wird man dies
gewiß sehr verwunderlich finden. Die Erscheinung hängt aufs engste mit
dem Wandel des Begriffes „Landesmuseum “ im Laufe der Zeiten zusammen.
Ursprünglich war ein Landesmuseum ein Museum ganz allgemeiner Natur,
das sich ein Land, eine Provinz in seiner Hauptstadt ins Leben rief, etwa
1) Wilhelm Ostwald, Große Männer. Stadien zur Biologie des Genies. (Leipzig
1910). Ä l
2) Um sich ein Bild des Werdeganges des Museums machen zu können, vgl. man:
die Mitteilung in dieser Zeitschrift 4. Bd. (1903), S. 131—132; Stenographisches Pro-
tokoll über die am ı2. November 1902 ...... abgehaltene a. o. Generalversamm-
lung des Vereins f. Landesk. von Niederösterreich (Monatsblatt des Vereins I, 1902,
Nr. 11); Vancsa, Über die Gründung eines n. ö. Landesmuseums in Wien (Vortrag ;
Sonderabdruck aus dem Monatsbl. des Wissenschaftl. Klub 1904); Vancsa, Die Vor-
arbeiten zur Gründung eines n.ö. Landesmusenms in Wien (Museumskunde 1907); Die
erste öffentl, Versammlung zur Förderung des n.ö. Landesmuseums in Wien und die erste
Konferenz n.ö. Museen (mit Referaten von Dr. Vancsa, Prof. Dr. von Wettstein
und Prof. Dr. Neuwirth). Wien 1907. — Ferner über die Schausammlung und ihre
Einrichtung: Walcher von Molthein in Kunst und Kunsthandwerk 1912, 461 und
Vancsa in der Museumskunde 1913, IX, ı.
— 208 —
wie eine höhere Lehranstalt oder dergleichen, und nur bei der praktischen
Durchführung bildete es sich gleichsam von selbst heraus, daß man das
Sammelgebiet im wesentlichen auf das Land beschränkte. Wo ohnedies
bereits Museen oder Sammlungen bestanden, wie eben in Wien, da schien
eine Neugründung nach dieser Auffassung kein Bedürfnis mehr. Erst als
man mit der zunehmenden Vertiefung der landeskundlichen Forschung den
Wert eines Museums, das der Veranschaulichung und Erforschung der Ver-
gangenheit und Gegenwart eines Landes in Natur und Kultur zu dienen hat,
erkannte, wurde es auch allmählich klar, daß ein Landesmuseum eine ganz
besondere, wichtige Aufgabe zu erfüllen habe. Unter diesem geänderten
Gesichtspunkt konnte nunmehr neben den vielen anderen Wiener Museen
auch ein niederösterreichisches Landesmuseum gegründet werden und sich
allen Einwänden und Schwierigkeiten zum Trotz tatsächlich durchsetzen. Die
klarere Fassung des Begriffes brachte auch eine für die Lösung der Aufgabe
nur höchst wünschenswerte scharf umrissene Beschränkung. Man konnte in
unserem Falle sogar noch einen Schritt weiter gehen und auch Wien, das
zwar die Hauptstadt des Landes ist, aber als Reichshaupt- und Residenz-
stadt seit langem eine exterritoriale Stellung einnimmt, ausschalten, denn Wien
verfügt ja bereits über ein reiches Stadtmuseum, mit dem in Wettbewerb zu
treten keinen Sinn hätte. |
Ich wies schon darauf hin, daß die neue Auffassung von dem Wesen
eines Landesmuseums der Vertiefung der landeskundlichen Forschung zu danken
ist, und so ist denn auch die Anregung zur Gründung des niederösterreichischen
Landesmuseums naturgemäß aus dem Vereine für Landeskunde von Nieder-
österreich hervorgegangen (1902), dem sich dann in der Folge zehn weitere
wissenschaftliche Vereine und Gesellschaften Wiens, teils von der historischen,
teils von der naturwissenschaftlichen Richtung, anschlossen.
Das niederösterreichische Landesmuseum war demnach eigentlich eine Ge-
lehrtengründung mit all ihren Vorzügen und Schwächen: sie wurde still, ohne
Reklame, frei von den Namen, ohne die man in Wien kein Unternehmen ins Leben
rufen zu können glaubt, mit gediegener Gründlichkeit, aber doch wohl auch
ein wenig langsam und unpraktisch ins Werk gesetzt. Es wäre jedoch ver-
fehlt daraus schließen zu wollen, daß der Gründung ein Zug trockener Ge-
lehrsamkeit anhaftet. Ganz im Gegenteil! Gerade dadurch, daß der Ge-
danke der Gründung einer modernen Auffassung der landeskundlichen
Forschung entsprang, war damit zugleich auch die Betonung des erziehlichen
Wertes gegeben. Die modernen landeskundlichen Bestrebungen sind ja nicht nur
auf antiquarische oder streng wissenschaftliche Ziele gerichtet, sondern sie
wollen, indem sie die Erkenntnis des Seins und Werdens des Landes ver-
tiefen und verbreiten, in dem Volke und in der heranwachsenden Jugend
die Liebe zum Heimatlande wecken und nähren, und welch bedeutender
Faktor diese ist, das zeigt ja aufs neue gerade der große Krieg, den wir
jetzt erleben. Der Soldat, der mit vollem Bewußtsein für seine Scholle
kämpft, ist den Söldlingen und den aus fernen Ländern zusammengetriebenen
Horden ganz bedeutend überlegen !
Indem also das niederösterreichische Landesmuseum die volkstümliche,
erziehliche Absicht in den Vordergrund stellte, gewann es von Anfang an
unter den Wiener Museen seine ganz besondere Eigenart. Wie die Auf-
— 209 —
stellung der historischen und kulturhistorischen Abteilung nach entwicklungs-
geschichtlichen Gesichtspunkten erfolgt, so die der naturwissenschaftllichen
nach biologischen. Reiche belehrende Aufschriften suchen auch den nicht
vorgeschulten Beschauer über das Wesen und die Bedeutung der Objekte
zu unterrichten; bloße gelehrte Bezeichnungen sind nach Möglichkeit ver-
mieden oder erläutert. In diesem Sinne bietet auch der Katalog keine
trockene Aufzählung der ausgestellten Objekte, sondern leicht faßliche Dar-
stellungen einzelner landeskundlicher Zweige, zu denen die ausgestellten Ob-
jekte gewissermaßen die Illustration bilden !). Tatsächlich fielen die Ab-
sichten der Gründer auf fruchtbaren Boden, denn den Hauptteil der Be-
sucher stellen die Lehrerkreise einerseits, Schulen und höhere Lehranstalten
anderseits, und zahlreiche Besichtigungen unter wissenschaftlicher Führung der
Beamten des Museums suchen diese Absichten noch mehr zu vertiefen und
lebendiger zu gestalten.
Neben dieser volkstümlich -erzieherischen Aufgabe wurde jedoch die
wissenschaftliche in keiner Weise vernachlässigt, wofür ja schon die hervor-
ragende Stellung der gründenden Vereine und Gesellschaften bürgt. Alles
Gebotene steht auf gesicherter wissenschaftlicher Grundlage, alles Dilettantische,
Kitschige, aller Raritätenkram ist aus dem Museum auf das strengste ver-
bannt. Es wurden aber auch außer den Schausammlungen rein wissenschaft-
liche und Studiensammlungen angelegt, die ja überhaupt der moderne Mu-
sealbetrieb mehr und mehr von den Schausammlungen trennt. Nach dem
Gedanken der Gründer soll eben das Landesmuseum nicht nur Kultur und
Natur des Landes veranschaulichen, sondern es soll auch zu ihrer Er-
forschung dienen und womöglich allmählich der Mittelpunkt der landes-
kundlichen Forschung in Niederösterreich überhaupt werden. Auch in dieser
Richtung hat das Landesmuseum trotz der Kürze seines Bestandes bereits
hübsche Erfolge aufzuweisen. Seine Bestände wurden bereits von einer statt-
lichen Reihe von Forschern benutzt, und nicht gering sind die wissenschaft-
lichen Arbeiten, die aus diesen Forschungen und aus denen seiner Beamten
hervorgegangen sind.
Der Inhalt des Museums war durch die Definition seiner Aufgabe ge-
geben, wie sie von den Anregern, dem Nestor der Urgeschichtsforschung
in Österreich Dr. Matthäus Much und den Universitätsprofessoren Dr. Oswald
Redlich und Dr. Wilhelm Kubitschek, in der denkwürdigen außer-
ordentlichen Generalversammlung des Vereins für Landeskunde von Nieder-
österreich am 12. November 1902 ausgesprochen wurde: Gegenwart und
Vergangenheit des Landes in Natur und Kultur zu veranschaulichen und zu
erforschen.. Darnach war es klar, daß das Museum sowohl geographische,
als auch archäologische, historische, kunst- und kulturhistorische oder volks-
kundliche Sammlungen ebenso wie naturwissenschaftliche umfassen mußte,
und die Unterabteilungen oder Sondersammlungen ergaben sich von selbst.
Tatsächlich ist es der Museumsleitung gelungen, bereits in den Be-
ständen der Schausammlung, mit denen das Museum vor etwa drei Jahren
eröffnet wurde, für alle diese Abteilungen verheißungsvolle Anfänge zu zeigen
ı) Vancsa, Führer durch die Schausammlungen des n.ö. Landesmuseums
(Wien 1911).
— 210 —
und damit die Richtlinien, nach denen sich das Museum in Zukunft ent-
wickeln soll, klarzulegen.
Es war keine leichte Aufgabe, denn im Besitze des Landes befanden
sich nur einige wenige Spezialsammlungen, wie eine Sammlung topographischer
Ansichten und eine Porträtsammlung, das meiste andere Musealgut des Landes
war bereits im Besitze von Ortsmuseen und Privatsammlern, und Geld war
anfangs so gut wie keines vorhanden. Erst als im Jahre 1907 das k. k.
Ministerium für Kultus und Unterricht eine angemessene Jahressubvention
bewilligte, konnte an systematische Erwerbungen und Ausgestaltungen ge-
schritten werden. So stellt die gegenwärtige Schausammlung im ganzen und
großen das Ergebnis einer nur vierjährigen Sammeltätigkeit dar und es zeugt
für den Reichtum, tiber den das Land Niederösterreich trotz starker Aus-
beutung an musealen Schätzen noch immer verfügt, daß doch noch eine
stattliche und wertvolle Sammlung zustande kam, die sich übrigens seitdem
— also in weiteren drei Jahren — mehr als verdreifacht hat!
Die Landesvertretung Niederösterreichs förderte das junge Unternehmen
nicht sowohl durch bares Geld, als vielmehr ganz insbesondere durch die
Überlassung von Räumen in dem im Jahre 1904 von ihr angekauften ehe-
maligen Palais Geymüller. Dadurch war das Museum nicht nur einer der
größten Sorgen, mit denen sonst neugegründete Museen zu kämpfen haben,
ledig, sondern es hatte sogar das denkbar passendste Heim gewonnen, denn
nicht in frostige neue Räume hatten sich die Sammlungen einzugewöhnen,
sondern die traulichen alten Innenräume dieses Alt-Wiener Palais, die selbst
eine Sehenswürdigkeit bilden, sind wohl der schönste Rahmen für ein
Heimatmuseum.
Freilich erlegte die Art der Räume und ihre Ausschmückung mancherlei
Beschränkung in der Aufstellung der Sammlungen auf; namentlich Objekte
mit starker Wanderfordernis, wie Abbildungen, Karten, Pläne u. dgl., konnten
vorläufig nur wenig verwendet werden, aber dafür steht zu hoffen, daß in
dem Maße, als die Landesvertretung für die in dem Gebäude noch unter-
gebrachten Ämter anderweitig Raum schafft, dem Museum neue Räumlich-
keiten zuwachsen, so daß vielleicht die Erwartung nicht allzu vermessen er-
scheint, einmal diesen ganzen reizvollen Palast für das Landesmuseum zu
gewinnen. Würden dann vieleicht auch noch das niederösterreichische
Landesarchiv und die Landesbibliothek, die ohnehin in dem alten Landhause
bei den stets wachsenden Ansprüchen der Landesvertretung nicht lange mehr
daselbst ihres Bleibens haben dürften, in dieses Gebäude verlegt, so würde
dadurch ein Zentralpalast der landeskundlichen Wissenschaft geschaffen wer-
den, wie er des Landes Niederösterreich wahrlich nicht unwürdig wäre!
Das Landesarchiv und die Bibliothek stehen ja bereits mit dem Museum
im engsten Zusammenhange, denn ihnen ist nach einem Beschlusse des
Landtages die unmittelbare und wissenschaftliche Verwaltung des Museums
übertragen, der Landesarchivar ist zugleich Direktor des Landesmuseums,
aber auch die wertvollsten Bestände an Urkunden, Handschriften, Landkarten,
Ansichten, Porträts, Medaillen wurden für die entsprechenden Abteilungen
des Museums verwendet, und die Landesbibliothek kann zugleich als Hand-
bibliothek des Museums gelten. Im übrigen untersteht das Museum aller-
dings vorläufig nicht der Landesverwaltung, sondern einem Kuratorium, das
— 211 —
aus Vertretern des Unterrichtsministeriums, des Landtags und des Landes-
ausschusses, sowie aus Vertretern der zur Gründung des Museums vereinigten
wissenschaftlichen Gesellschaften und Vereine zusammengesetzt ist. Es
dürfte aber doch wohl kaum ein Zweifel bestehen, daß man es hier nur mit
einem Übergangszustand zu tun hat, denn eine folgerichtige Entwicklung
muß wohl früher oder später dazu führen, daß das Landesmuseum auch
Landesanstalt im vollen Sinne des Wortes wird; nur als solche kann es
die nötige Autorität erlangen, um sich im Wettbewerbe mit den anderen Mu-
seen behaupten und sich zu einem wirklich großzügigen Unternehmen ent-
falten zu können.
Im übrigen denke ich mir diesen Wettbewerb als einen durchweg fried-
lichen. Anfangs wurde der neue „Konkurrent“ wohl von allen Seiten mit
‚scheelen Blicken angesehen, aber seit man sich überzeugte, daß die Absicht
der Konkurrenz ferne liegt, schwand das Mißtrauen, und es haben sich fast
zu allen großen Wiener Museen freundliche Beziehungen hergestellt. Ein-
sichtige begrüßen sogar die Neugründung, denn fast alle unsere großen
Museen, insbesondere die Hofmuseen, sind heute bereits an einem gewissen
Punkte der Sättigung angelangt, an dem es ihnen nur erwünscht sein kann,
wenn sie eine neue Schwesteranstalt entlastet. Die Hofmuseen, das Öster-
reichische Museum für Kunst und Industrie, das Museum für österreichische
Volkskunde haben ganz andere, universellere Aufgaben und brauchen nun
nicht mehr sich mit jenen kleineren Einzelheiten zu beschweren, die für die
Entwicklung des Landes von Bedeutung sind.
Einigermaßen anders, aber keineswegs schlechter steht die Sache in
bezug auf die Ortsmuseen. Der natürliche Gang der Entwicklung wäre es
ja allerdings gewesen, daß die Ortsmuseen als kleinere Einheit erst begründet
worden wären, nachdem das Landesmuseum seine Hauptaufgabe bereits er-
füllt gehabt hätte; so war es in den meisten deutschen Territorien und öster-
reichischen Kronländern. In Niederösterreich ist bekanntlich das Umgekehrte
der Fall gewesen: weil es kein Landesmuseum gab, sind Ortsmuseen gegründet
worden, und sie haben sich vielfach der Aufgaben eines Landesmuseums
bemächtigt. Ohne System, ohne Programm, ohne Kontrolle sind die meisten
von ihnen wie die Wildlinge emporgeschossen. Gewiß, sie haben sich als
lokale Rettungsstationen vielfache Verdienste erworben, und manche von
ihnen erfreuen sich einer rührigen und tüchtigen Leitung. Es wäre aber
doch an der Zeit, hier System und Ordnung hineinzubringen, um auch die
Ortsmuseen den allgemeinen wissenschaftlichen Ansprüchen dienst- und nutz-
bar zu machen, und dies kann nur durch eine einheitliche Organisation er-
zielt werden. Ohne sich dabei gerade die führende Rolle anmaßen zu wollen,
dürfte sie dem Landesmuseum naturgemäß zufallen, und es betrachtet das
Zustandekommen dieser Organisation geradezu als eine seiner Aufgaben. Es
hat ja nach dieser Richtung hin sich bemüht !) und hat darin bei einem
Teile der Ortsmuseen Verständnis und Entgegenkommen gefunden. Man
muß eben aufklärend dahin wirken, sie von den ihre Mittel weit überstei-
ı) Siehe die eingangs zitierte Veröffentlichung: Die erste öffentliche Versammlung
zur Förderung des n.ö. Landesmuseums und die erste Konferenz n.ö. Museen; außerdem
Monatsbl, d. Ver. f. Landesk. von Niederösterreich 1911, S. 222.
16
— 212 —
genden Versuchen, sich zum Landes- oder Universalmuseum aufzuspielen,
abzubringen und sie zu überzeugen, welche wichtigen Aufgaben ihnen zu-
fallen, wenn sie alle Anforderungen, die man heutzutage an ein Orts- oder
Bezirksmuseum zu stellen berechtigt ist, erfüllen.
Um hier richtunggebend zu wirken, müßte das Landesmuseum wohl
auch selbst helfend eingreifen und die Ortsmuseen bei der Ordnung und
wissenschaftlichen Bestimmung ihrer Sammlungen unterstützen !). Vorläufig
verfügt es allerdings zu solcher Betätigung noch über zu wenig Arbeitskräfte.
Das ist wohl auch ein Grund dafür, daß die gut eingeleitete Aktion bis jetzt
noch nicht weiter gediehen ist. DE:
Jetzt hat der Krieg, der für so viele Werke des Friedens, namentlich
für künstlerische und wissenschaftliche Unternehmungen, eine Katastrophe
heraufbeschwor und der auch die öffentlichen Unterstützungen des Landes-
museums auf ein Mindestmaß verringerte, die schöne Entwicklung der jungen
Gründung gelähmt. Aber es steht zu hoffen,‘ daß sich nach errungenem
Frieden das Verständnis für die hohen Aufgaben, die, wie ich zu zeigen
versucht habe, des niederösterreichischen Landesmuseums harren, in den
berufenen Kreisen Bahn brechen wird, und daß dann auch die Mittel ge-
schaffen werden, um diese hohen Aufgaben voll und ganz zu erfüllen.
Direktor Max Vancsa (Wien)
Archive. — Schon bald nach 1890 hat die Württembergische
Kommission für Landesgeschichte begonnen, durch die von ihr
bestellten Pfleger die Archivalien im Besitze der Pfarrämter, Gemeinden und
Körperschaften verzeichnen zu lassen, und es ist wiederholt über den Fortgang
der Arbeit in den einzelnen Oberamtsbezirken berichtet worden. Schon 1905
wurde eine Übersicht über die bearbeiteten Orte veröffentlicht 2), und ıgıı
folgte der Beschluß, nachdem die Registrierung abgeschlossen war, die Be-
richte zum Druck zu befördern, und zwar dachte man daran, je drei be-
nachbarte Ämter in einem Hefte zu erledigen, so daß 21r Hefte für das
ganze Land erforderlich gewesen wären. Tatsächlich hat ıgız die Druck-
legung begonnen, und es liegt nun schon eine stattliche Reihe von Heften
vor. Der Titel lautet: Die Pfarr- und Gemeinderegistraturen der Ober-
Amer u, ne , und zwar bilden die Hefte Teile der 1907 mit
Heft ı eröffneten Württembergischen Archivinventare?). In zehn Heften
— Heft 2 bis ıı der Archivinventare (Stuttgart, W. Kohlhammer 1912 bis
1914) — sind die Inventare der Archive folgender 14 Oberämter bearbeitet :
Ravensburg, Saulgau, Künzelsau, Backnang, Besigheim, Cannstatt, Mergentheim,
Marbach, Brackenheim, Maulbronn, Rottenburg, Biberach, Waldsee und Tü-
bingen. Es ergibt sich hieraus, daß man wesentlich mehr als 21 Hefte
brauchen wird, um die sämtlichen Inventare zu veröffentlichen. Die nach-
trägliche Drucklegung in einem Zuge ist eine Besonderheit, da in den übrigen
Landschaften (Baden, Rheinprovinz, Westfalen, Schlesien, Hannover, Pommern,
1) Es begegnet sich da mit den Absichten der k. k. Zentralkommission für Denk-
malpflege, die auf Veranlassung Max Dvoraks bereits die wissenschaftliche Ordnung
des Kremser Stadtmuseums in ähnlicher Weise durchführen ließ.
2) Vgl. diese Zeitschrift, Bd. 7, S. 187.
3) Vgl. die Anzeige in dieser Zeitschrift Bd. 9 (1908), S. 244— 245.
— 213 —
Provinz Sachsen) der Bearbeitung eines Verwaltungsbezirks die Veröffentlichung
immer anf dem Fuße gefolgt ist, aber es läßt sich nicht verkennen, daß das
württembergische Verfahren große Vorzüge besitzt, insofern eine größere Ein-
heitlichkeit gewährleistet ist und sich die an einer Stelle gewonnenen Er-
fahrungen leicht auch an anderen noch verwerten lassen.
Über die Anlage der Veröffentlichung sagt das Vorwort in Heft 2
folgendes: „Der Zweck dieser Inventare ist kein unmittelbar wissenschaftlicher.
Sie sollen in erster Linie dem Schutz der in ihnen enthaltenen Dokumente
dienen, indem durch sie eine ernstliche Nachprüfung ihres Zustandes und
Umfanges ermöglicht wird. Sie geben deshalb auch nicht den ganzen, sondern
nur den wesentlichen Inhalt der Stücke an, doch in einer Weise, daß der
Forscher erkennen kann, ob eine Registratur für seine Studien in Betracht
kommt. Diesem Zwecke entsprechend und um eine Veröffentlichung der In-
ventare der kleineren, von keinem Sachverständigen verwalteten Registraturen
in absehbarer Zeit zu ermöglichen, wird vorläufig vom Druck der Inventare
größerer Stadtarchive abgesehen. Vielleicht können sie später an die Reihe
kommen.“ Für die Fassung der Berichte sind die Vordrucke maßgebend
gewesen, die bei Beginn der Verzeichnung den Pflegern übergeben wurden.
Deren Angaben liegen der Veröffentlichung zugrunde, aber die endgültige Ge-
stalt des Textes haben besondere Bearbeiter geschaffen, da nur so die wün-
schenswerte Gleichmäßigkeit zu erzielen war; als solche werden genannt .
Gustav Merk, Stadtpfarrer Duncker in Neckarsulm, Pfarrer Hirsch in
Satteldorf, Prof. Kolb in Ulm und Pfarrer Baßler in Derdingen. Der
Druck ist in Fraktur erfolgt, nur für lateinische Worte dient Antiqua; in den
vergleichsweise seltenen Fällen, in denen bestimmte Ausdrücke der Vorlagen
genau wiedergegeben werden sollen, dienen Anführungszeichen dazu, so II, S. 61
bei Hundbißwald (1555), III, S. ı bei dem Flurnamen in der dieffen klingen
(1347) oder VIII, S. 122 bei dem Hippenhölsle (1737). Bezüglich der Auf-
lösung der mittelalterlichen Datierungen besteht eine Ungleichheit. Während
bei den Urkunden der Gemeinde Künzelsau (II, S. 1—7) der Jahreszahl nur
das Datum in der Originalfassung, und zwar in Klammern, beigegeben ist,
z. B. dienstag vor St. Urban, wird bei Ingelfingen in demselben Hefte
(II, S. 41) das Datum ohne Klammern neben die Jahreszahl gesetzt. Dagegen
wird bei den Ravensburger Urkunden (II, 27 ff.) das Datum aufgelöst und
in Klammern die Originalfassung beigefügt, in Rottenburg (VII, S. 25)
wiederum die Originalfassung voran und die Auflösung in Klammern daneben
gestellt. Bisweilen wird die Origivalform der Datierung angeführt, bisweilen
auch die moderne Umschreibung (z. B. VIIL S. 42). Das sind Ungleichmäßig-
keiten, die sich nicht allzu schwer hätten vermeiden lassen, wenn von vorn-
herein die Originaldatierung in jedem Falle angegeben und die Auflösung
dem Bearbeiter überlassen worden wäre. Daß die Auflösung in zahlreichen
Fällen fehlt, ist entschieden ein Mangel, der sich noch beim Drucke hätte
beseitigen lassen. Nicht möglich war dies ohne neue Arbeit bei der näheren
zeitlichen Bestimmung undatierter Stücke: in vielen Fällen (z. B. II, S. 22)
wäre die Angabe des Jahrhunderts nach der Schrift oder eines sonstigen An-
haltspunktes recht notwendig gewesen. Dasselbe gilt für Kopien: namentlich
bei denen alter Stücke ist es doch recht erheblich, ob eine alte Kopie des
XIV. oder XV. Jahrhunderts vorliegt oder eine moderne, die vielleicht nur
16°
— 214 —
auf einem neueren Druck beruht. Die große Masse der behandelten Archive
sind solche der Gemeinden und Pfarrämter !), von denen viele nur vergleichs-
weise wenige Stücke enthalten, aber es finden sich auch Archive, die man
schon zu den größeren rechnen könnte, so das Stadtarchiv Waldsee (X,
S. 14—144), das Archiv des Spitals zu Rottenburg (VIII, S. 25—87), zu
Tübingen (XI, S. 22—91) oder das der Kirche (IX, S. 4—64) und des
Spitals zu Biberach (IX, S. 64—134). Die ältesten Originale entstammen
dem Ende des XIII. Jahrhunderts: so finden sich solche von 1263 in Rotten-
burg (VIII, S. 25), 1278 in Weingarten (II, S. 58), 1280 in Mergentheim
(V, S. 1) 1282 und 1287 in Biberach (IX, S. 4 und 64), 1298 in Waldsee
(X, S. 14). Die große Masse der Urkunden mit vorwiegend örtlicher Be-
deutung gehört dagegen dem XIV. und XV. Jahrhundert an, und die ver-
schieden ausführlich gehaltenen (für Tübingen XI, S. 22 ff. sind sie recht
ausführlich) Regesten erschließen naturgemäß der örtlichen Forschung einen
reichen Quellenstoff wie sie anderseits den Bearbeitern von Urkundenbüchern
und andern Quellenveröffentlichungen ihre Arbeit wesentlich erleichtern.
Zweck und Entstehung der Veröffentlichung bringen es mit sich, daß
die rein geschichtliche Ausbeute, namentlich die unmittelbare, geringer
ist als etwa bei der rheinischen ?) oder der hessischen 3) Archivinventarisation.
Namentlich verrät die Art, wie die Akten, die hinter den Urkunden allzu
sehr zurücktreten, bearbeitet sind, daß die geschichtliche Bedeutung derselben
nicht genügend gewürdigt worden ist. Es fehlen Andeutungen über den Um-
fang der Akten, der für die geschichtliche Ausbeutung doch recht wesentlich
ist, dann aber auch Worterklärungen, die den tatsächlichen Inhalt einiger-
maßen umschreiben. Auch in Württemberg wird es manchen geben, der
sich unter dem Ausdruck Zehntmarkungs-Untergang (I, S. 93) oder dem
sehr oft begegnenden Worte Landgarbe (z. B. VII, S. 53 und 71) nichts
rechtes denken kann. Bei waid denkt der Leser zunächst an die alte Farb-
pflanze, aber die Verbindung, in der das Wort steht, z. B. II, S. 96 und 97,
läßt vermuten, daß dabei an die Weide für das Vieh zu denken ist. Trotz
alledem bieten die Verzeichnisse der Kulturgeschichtsforschung einen reichen
Quellenstoff und verdienen auch außerhalb des Landes ihrer Entstehung
herangezogen zu werden. Um die Lust dazu zu wecken, seien hier verschiedene
Einzelheiten herausgehoben, die vielleicht für manchen Leser wertvoll sind.
Zunächst einige Versehen, die mir aufgestoßen sind. X, S. 109 oben
ist die Jahreszahl verdruckt, und es läßt sich nicht entscheiden, wie sie
richtig heißen muß. IX, S. xro ist statt 1469, Okt. 21 zu lesen Okt. 31.
IX, S. 84 muß es natürlich statt montag nach exalt. cruz. heißen crucis.
An s. Johannes ze sungenden (II, S. 137) ist wohl ein Lesefehler für sws-
wenden; sollte das nicht zutreffen, dann handelt es sich um eine sonst
nicht belegte mundartliche Nebenform. Verhängnisvoller, weil gleich zwei-
mal dicht hinter einander vorkommend, ist der Fehler Valentiustag statt
Valentinstag (X, S. 121, 122). Auch mietsfasten (III, S. 44) möchte
ich als Lese- oder Druckfehler betrachten. VII, S. 44 ist die Datierung
I1) Aber auch einige Adelsarchive sind mit aufgenommen, so VII, S. 17—35 das
Freiherrlich von Massenbachsche, wenn auch nur nach den Repertorien.
2) Vgl. diese Zeitschrift 11. Bd., S. 103—106.
3) Ebenda 15. Bd., S. 310—318.
— 215 —
St. Peter (1454) offenbar unvollständig, und der Zusatz durfte nicht weg-
bleiben, denn von ihm hängt es ab, ob die Auflösung richtig ist. Völlig
unrichtig, sei es in der Auflösung, sei es in der Originaldatierung, ist III, S. 57
Sept. 6 (Martinstag). Während Walpurgis sonst immer richtig mit Mai ı
gleichgesetzt ist (z. B. IX, S. 66, 75), erscheint dieses Fest auffallender-
weise X, S. 98 und ıo5 (Stadtarchiv Waldsee) als Febr. 25, obwohl es
nur in Salzburg und Genf so gefeiert wurde. Der schwäbische Ausdruck
aftermontag = Dienstag kommt oft vor, ebenso sind Datierungen nach
. Othmar, Konrad und Verena ziemlich häufig; letzterer Name ist 1428
(VIII, S. 101) auch als Vorname bezeugt. 1463 findet sich für Mittwoch
die Form mikten (X, S. 56). Liegt bei gutamtag (lI, S. 120) kein Lese-
fehler vor, dann ist es eine Nebenform zu gudenstag (Mittwoch), dagegen `
bedeutet guttag (VIIL, S. 61) Montag, und auffallend ist dabei der Mangel
der Deklination. Dunstag (II, S. 68) ist als Dienstag aufzufassen, dagegen
donstag (X, S. 5) als Donnerstag, und da die Form immerhin häufig vor-
kommt, wird man nicht gut an ein irrig ausgelassenes r oder den Haken
dafür denken können, sondern eine Nebenform annehmen müssen. Mit der
Datierung den fünften seintetag Decembris (XI, S. 100) weiß ich nichts an-
zufangen, verstehe aber auch nicht, wie sich Dez. 30 ergeben soll. Bei zwei
Urkunden König Albrechts I. von 1298 (X, S. 14) und 1300 (II, S. 122)
für Waldsee und Saulgau ist die Namensform Albert gewählt, so daß der
Leser einen Augenblick stutzt.
Erfreulich ist die erneute Aufnahme der Kirchenbücher, die jedoch
auch in vielen Fällen noch genauer hätte sein können. Wie gewöhnlich
sind auch in Württemberg die Taufbücher zumeist am ältesten, und da
zeichnet sich Creglingen mit 1533 als Anfang vor allen anderen Orten aus
(V, S. 44). Wir begegnen dann den Anfangsjahren 1556 in Gemmrigheim
(IV, S. 29) und Weikersheim (V, S. 91) und 1558 oder 1559 in mehr als
zwanzig Orten (z. B. VIL, S. 1, 7, 8, 9, 38, 69), so daß schon aus dem
Befund zu erkennen ist, daß man damals allgemein die Führung von Kirchen-
büchern angeordnet hat. Bemerkenswert ist, daß in Ochsenbach (VII, S. 38)
Tauf-, Ehe- und Totenbuch gleichzeitig 1558 beginnen. Leider ist bei den
Pfarrämtern nicht ohne weiteres zu erkennen, ob man es im einzelnen Fall
mit einem katholischen oder einem evangelischen zu tun hat. Kirchliche
Verordnungen über die Kirchenbuchführung 1784—1799 liegen in Erolzheim
(IX, S. 135), und 1773 verfügte die geistliche Regierung in Würzburg, daß
auch der Geschlechtsname der Mutter und deren Geburtsort durchgängig
anzugeben sei. Verhältnismäßig häufig sind auf Grund der Kirchenbücher
Familienregister für die einzelnen Gemeinden bearbeitet worden (II, S. 2, 8
9, 60; II, S. 15; VII, S. 117), und diese Einrichtung geht voraussicht-
lich auch auf behördliche Anordnung oder wenigstens Anregung zurück.
Die für die Familienkunde so wichtigen Geburtsbriefe sind in vielen einzelnen
Stücken (z. B. mehrere X, S. 137 oder V, S. 62—64), aber in Mergent-
heim (V, S. 7) auch in einer ganzen Sammlung 1509—1756 vertreten.
Schulordnungen werden erwähnt von 1596 (III, S. 53), 1664 (IL, S. 135)
und 179t (Il, S. 10). Die Gemeinde Herbertingen erhielt 1682 von Kaiser
Leopold einen Wappenbrief (II, S. 97). Die Stadt Schwaigern traf 1512
Vorkehrungen, daß ihr erst 15sıı in Erz gegrabenes, aber verloren gegangenes
— 216 —
Gemeindesiegel nicht mißbräuchlich verwendet würde (II, S. 42). Stadt-
bücher oder wenigstens Stadtordnungen finden sich in Weikersheim (V,
S. 90) von 1314/1416, in Waldsee (X, S. 24, 144) seit dem XIV. Jahrh.,
in Scheer (II, S. 129) von 1418, in Murrhardt (IV, S. 8) von 1471, in
Kirchheim a. N. (IV, S. 34) von 1477, in Großbottwar (VI, S. 32) aus
dem XV. Jahrh., in Mergentheim (V, S. 12) von 1513, in Bönnigheim (IV,
S. 22) von 1525 und in Großingersheim (IV, S. 30) von 1537. Kaiser
Rudolf verlieh 1289 Freiburger Stadtrecht an Scheer (II, S. 128), und die
Reichsstadt Wimpfen als Oberhof für Mergentheim wies für letztere Stadt
1529 das Erbrecht (V, S. 3). Königliche Marktverleihungen sind bezeugt
für Mergentheim 1340 (V, S. ı), für Schwaigern 1486 (VII, S. 41), für
Scheer 1489 (II, S. 128), für Ingelfingen 1510 (III, S. 42) und für Gelchsheim
(V, S. 5). Der Landesherr dagegen verlegte 1413 die Märkte zu Cannstatt
(IV, S. 41). Dorfordnungen und Weistümer werden in ziemlicher
Menge nachgewiesen, so für Althausen 1411 (V, S. 36), Edelfingen 1481
und 1506 (V, S. 45—46), Neunkirchen - Althausen 1484 (V, S. 66).
Ochsenburg 1484 (VIIL, S. 39), Ennetach XV. Jahrh. (U, S. 89). Dörzbach
1535 (III, S. 35), Pftzingen 1554 (V, S. 68), Kaltenwesten 1571r (IV,
S. 39), Braunsbach 1576 (III, S. 28), Berlichingen 1579 (III, S. 24), Hohe-
bach 1584 (III, S. 40), Münster 1584 (V, S. 62), Wachbach ı585 (V,
S. 78), Ailringen XVI. Jahrh. (III, S. 17), Belsenberg 1614 (III, S. 24),
Döttingen 1707 (IH, S. 36), Fleischwangen 1736 (IH, S. 93) und Rengers-
hausen 1748 (V, S. 70). Für den Allmandwald am Stromberg bestehen
Waldordnungen von 1461, 1536, 1555 und 1560 (VII, S. 56), für Kün-
zelsau eine Markungsbeschreibung von 1488 (III, S. 4). Das Wort kirch-
herr im Sinne von Pfarrer kommt 1472 (VII, S. 46) und 1588 (II, S. 78)
vor. Als Umschlag zu einem Aktenstück dient ein Blatt aus einer hebräi-
schen Handschrift (VII, S. 16). Eine Walkmühle wird 1398 bei Rottenburg
(VII, S. 35), eine Schleifmühle 1485 (VIII, S. 50) ebendort erwähnt: mög-
licherweise ist es dieselbe Mühle, die verschiedenen Zwecken gedient hat.
Durch Testament stiftet ein Geistlicher 1409 eine Bibliothek für die Kapläne
zu Biberach (IX, S. 80). Die Satzungen des Landkapitels Ravensburg be-
stätigt der Bischof von Konstanz 1443 (II, S. 28). Ein Reliquienverzeichnis
von 1471 findet sich in Ennetach (II, S. 91), Nachricht über die spenne
zwischen Erzherzog Sigismund von Österreich und der Ritterschaft und Adel
im Höhgau 1490 in Altshausen (I, S. 72). Die von Maximilian 1516 er-
richtete und 1530 von König Ferdinand erneuerte Judenordnung in der
Herrschaft Hohenberg (VII, S. 17) liegt in Rottenburg. Das Rabbinat in
Mergentheim besitzt die Akten der Juden an der Tauber (V, S. 32—36).
Ein papierer ist 1509 in Urach bezeugt (VIII, S. 56). Ein städtischer Auf-
ruhr hat sich ı517 in Bönnigheim ereignet (IV, S. 21) Ein kaiserlicher
Notar datiert 1586 nach dem neuen Stile (IH, S. 7). Ein Diplom der
Universität Dillingen für einen magister artium (1619) wird in Ravens-
burg verwahrt. Hexenakten (1581—1645) enthält das Stadtarchiv Waldsee
(X, S. 127—ı28). Akten der Waldensergemeinden liegen vor in Nieder-
hofen (VII, S. 37), Dürrmenz (VII, S. 52) und Großvillars (VII, S. 55).
Durch Waldenser sind. 1702 aus Piemont Kartoffeln eingeführt worden
(VO, S. 37). Gegen die „französische Kontagion“ erging im XVIII.
— 217 —
Jahrhundert ein gedrucktes Mandat (III, S. 12). Die Einrichtung, die
Pferde neben einander zu spannen, anstatt des „Fahrens mit der Gabel,
Entz oder Lamen‘“ wurde 1710 getroffen (X, S. 19). Akten über die
Kuhpockenimpfung 1717 — 1726 gibt es in Mergentheim (V, S. 12). Ebenda
und im benachbarten Löffelstelzen wurde 1776 und 1777 eine geometrische
Vermessung der Gemarkung vorgenommen (V, S. 12, 59). Volkszählungs-
listen aus der Landvogtei Schwaben XVII. Jahrhunderts ruhen in Ravens-
burg (II, S. 26), die „Punktation zu einem Defensionalverein zwischen Für-
sten und Ständen des Reichs zur Aufrechterhaltung der Reichsverfassung,
Mörspurg 1797“ (IX, S. 136) in Gutenzell. In Mergentheim wurde 1803
und 1804 die bis dahin übliche sinnliche Darstellung der Geburt und
Himmelfahrt Christi sowie der Herabkunft des Heiligen Geistes abgeschafft
(V, S. 30). Ä
Diese kleine Blütenlese brauchbarer geschichtlicher Nachrichten aus der
Fülle des Inhalts dieser Archivinventare mag genügen, um die Aufmerksam-
keit weiterer Kreise darauf zu lenken und zu ihrer planmäßigen Ausnutzung
für verschiedenste Zwecke anzuregen. T.
Kommissionen. — Die Württembergische Kommission für
Landesgeschichte!l) hat ihre 22., 23. und 24. Sitzung im Frühjahr
1913, 1914 und 1915 abgehalten, und aus den bei diesen Gelegenheiten
erstatteten Berichten ergibt sich folgendes Bild vom Stande ihrer Arbeiten.
Im Druck erschienen sind Urkundenbuch der Stadt Stuttgart, bearbeitet
von Adolf Rapp (1912); Geschichte des humanistischen Schulwesens in Würt-
temberg 1. Bd. (bis 1559), bearbeitet von Weller, Diehl, Wagner und
Ziemssen (1912); das Schlußheft der Geschichtlichen Lieder und Sprüche
Württembergs, herausgegeben von Steiff und Mehring (1912); Würt-
tembergische Müns- und Medaillenkunde, Neubearbeitung von Julius Ebner,
Bd. 2, Heft ı (1912); Die württembergischen Abgeordneten in der kon-
stituierenden deutschen Nationalversammlung von Schnurre und Niebour
(1912); Die Kirchenpolitik der Grafen von Württemberg bis 1495 von
Wülk und Funk (1912); Urkundenbuch der Stadt Heilbronn, Zweiter Band,
bearbeitet von M. v. Rauch (1913); Württembergische Landtagsakten 1498
bis ı5ı5 (I, 1), bearbeitet von Ohr und Kober (1913); Urkundenbuch
des Klosters Heiligkreustal, Zweiter Band, bearbeitet von M. v. Rauch
(1913); Das Gebiet der Reichsabtei Elwangen von O. Hutter (1914);
Bilderatlas zur württembergischen Geschichte von Schneider und Gößler
(Eßlingen 1913); Alte und neue Stadtpläne der oberschwäbischen Reichs-
städte von Karl Otto Müller (1914); Gerwig Blarer, Abt von Wein-
garten 1520—1567 : Briefe und Akten, 1. Bd. (1518—1547), bearbeitet
von Heinrich Günter (1914); Die älteren Stadtrechte von Leutkirch und
Isny (== Oberschwäbische Stadtrechte I), bearbeitet von Karl Otto Müller
(1914); Badenfahrt, Württembergische Mineralbäder und Sauer brunnen
vom Mittelalter bis zum Beginn des XIX. Jahrhunderts von G. Mehring
(1914); Die Triaspolitik des Freiherrn Karl August von Wangenheim von
Curt Albrecht (1914); Die Entwicklung des Territoriums der Grafen
1) Vgl. über die vorhergehende Sitzung diese Zeitschrift Bd. 13, S. 309.
— 218 —
von Hohenberg 1170—1482 von K. J. Hagen (1914); Die Stellung der
Schwaben zu Goethe von Frank Thieß (1915). — Neu wurde beschlossen
die Fortsetzung des Briefwechsels des Herzogs Christoph über ı559 hinaus
in einem 5. und 6. Bande, die Herausgabe der Gadnerschen Forstkarten,
der Lagerbücher des XIV. Jahrhunderts und der Politischen Korrespondenz
des Königs Friedrich, die Bearbeitung eines Werks über die Minoriten in
Württemberg, einer Geschichte des württembergischen Volksschulwesens, eines
Verzeichnisses der Kirchenheiligen Württembergs mit Angabe des ersten Vor-
kommens sowie Württembergischer Nekrologe von 1913 ab. Die verschie-
denen seit Jahren vorbereiteten Veröffentlichungen sind gut fortgeschritten
und manches liegt fertig vor, so daß auch im laufenden Jahre trotz des
Krieges die Drucklegung mehrerer Bände zu erwarten ist. Von den erfreu-
lichen Fortschritten der Württembergischen Archivinventare ist bereits oben
S. 212— 217 die Rede gewesen.
Zu ordentlichen Mitgliedern der Kommission wurden berufen Prof.
v. Heck, Prof. Haller, Generalvikar Sproll und Bibliothekar Leuze.
Zum geschäftsführenden Mitgliede wurde 1913 auf weitere fünf Jahre Archiv-
direktor v. Schneider ernannt. Der Haushalt der Kommission hielt im
Geschäftsjahr 1912 mit 17440 A, 1913 mit 18738 und ı1914 mit
14485 Æ das Gleichgewicht.
Eingegangene Bücher.
Kracauer, J.: Die Namen der Frankfurter Juden bis zum Jahre 1400
[= Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, Dritte Folge, Band ıı
(1913), S. 213—237].
Meurer, Franz: Der mittelalterliche Stadtgrundriß im nördlichen Deutsch-
land in seiner Entwicklung zur Regelmäßigkeit auf der Grundlage der
Marktgestaltung. Berlin W., Paul Franke (Paul Franke & Rudolph
Hengel, G. m. b. H.) [1915]. 98 S. 8°.
Mummenhoff, E.: Die Pillenreuter Weiher und die Dutzenteiche, eine
orts- und wirtschaftsgeschichtliche Untersuchung [= Mitteilungen des
Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg, 19. Heft (1911), S. 159
bis 234, und 20. Heft (1913), S. 175—233].
Neubauer, Th.: Zur Geschichte der mittelalterlichen Stadt Erfurt [=
Sonderabdruck aus Heft 35 der Mitteilungen des Vereins für die Ge-
schichte uhd Altertumskunde von Erfurt]. 95 S. 8°.
Radlach, T. O.: Die Worte „Scherf“ und „Scherflein“ und ihr Gebrauch
in den Bibelübersetzungen mit besonderer Beziehung auf die Erfurter
Scherfe und die Lutherbibel [= Sonderabdruck aus der Zeitschrift
für Kirchengeschichte in der Proving Sachsen, ı1. Jahrg. (1914)].
‚24 S. 8°.
Rübsam, Josef und Freytag, Rudolf: Postgeschichtliche Dokumente des
Fürstlich Thurn und Taxisschen Zentralarchivs in Regensburg (1504 bis
1909) auf der Internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik
zu Leipzig 1914. Als Manuskript gedruckt. 48 S. 8°.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Weimar.
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.
Deutsche Geschichtsblätter
Monsatsschrift für Erforschung deutscher Ver-
gangenheit auf landesgeschichtlicher Grundlage
XVI. Band :September/Oktober 1915 9.[10. Heft
Die Bildung slawiseher Ortsnamen
Von
Gustav Boerner (Fürstenwalde)
Unternimmt es ein deutscher Historiker, sich mit der slawischen
Ortsnamenforschung auf deutschem Gebiete bekannt zu machen, so
wird er jedenfalls betroffen sein über die nahezu vollständige Ein-
mütigkeit, mit welcher große und kleine Forscher die Mehrzahl aller
slawischen Ortsnamen, etwa 60 Prozent, von Personen-
namen ableiten !). Diese merkwürdige Übereinstimmung, mit welcher
notwendigerweise auch die Wahrheit verbunden zu sein scheint, beruht
aber keineswegs auf voraussetzungsloser, unbeeinflußter Arbeit der
einzelnen, sondern vielmehr haben sie — schwerlich mit Ausnahmen —
die Personaltheorie von einem einzigen entlehnt, von Mi-
klosich, dem Begründer und Großmeister der neueren slawischen
I) G. Hey, Die slaw. Sudlungen im Kgr. Sachsen (Dresden 1893) S. 313 be-
zeichnet ?/, der untersucıten Ortsnamen als personal, '/, als appellativ. Er hat auch
Lauenburg u. Anhalt behandelt [Archiv f. d. Gesch, des Herzgt. Lauenburg II, 2 S. 1—36,
1888 u. G. Hey und K. Schulze, die Siedelungen in Anhalt (Halle a. S. 1905)],
Gegen die Ortsnamenforschg. Hey’s wendet sich in dieser Zeitschrift H. Wäschke,
Bd. I, S. 253—270; Hey’s Erwidrg. B. II, S. 121—131. Über Hey auch e. Kritik v.
E. Koch, Bd. X, S. 177 f. — Von den Hauptarbeiten über deutsches Gebiet seien noch
genannt A ex. Brückner, Die slaw. Ansıedig. in d. Altmark (Leipz. 1879), P. Kühnel,
Die slaw. Ortsnamen i. Mecklenbg. (Jhrbch. d. Ver. f. meckl. Gesch. Bd. 46, Schwerin
1881); desgl. f. Mecklbg.- trelitz (2 Progr. v. Neubrandenburg 1881r u. 1883) u. f. die
Oberlausitz (Neues lausitzisches Magazin Bd. 66 ff. 1890—1899) — E. Mucke, Die
slaw. ON. der Neumark (Schriften d. Ver. f. Gesch. der Neumark VII, S. 51 ffi, 1898,
dazu XXII, S. 77—100, 1908). — Beyersdorf, Über d. slaw. Städtenamen Pommerns
(Baltische Studien, Jhg. 25, Stettin 1874 == II, desgl. Stawische Streifen (Balt. Studien
1878. 1881—1883 = I). — Paul Rost, Die Sprachreste der Draväno- Polaben
(Lpz. 1907, S. 181 — 356). — Drzazdzyhski, Die slaw. ON. Schlesiens (in einzeluen
Stücken). — Über den letzten Verf. sowie über die sonstige Literatur siehe die sehr
dienliche Zusammenstellung bei Wilh. Ohnesorge, Die Deutung des Namens Lübeck
(Festschr. z. XVII, deutsch. Geographentag. Lübeck 1909).
17
— 220 —
Philologie !), unter dessen schwerwiegender Autorität sie diese Lehre,
wenn auch oft ohne Bekennung des Ursprungs und mit einzelnen
Abweichungen, als den Hauptgrundsatz der slawischen Ortsnamen-
forschung seit einem halben Jahrhundert vortragen.
Auf seiten der Historiker hat trotz alledem die Personaltheorie
der fast allein den Sprachfächern angehörenden Verfasser bis jetzt
wenig Zutrauen gefunden ?); auch die slawische Sprachwissenschaft
selbst setzt ihr offenbar Zweifel entgegen ?2). Schon auf rein sprach-
lichem Gebiete haben andere Aufstellungen Miklosichs verschiedent-
lich berichtigt werden können t); ich hebe hier seine ungeheuer-
liche Behauptung hervor, daß das die Existenz anzeigende Verbum
„Sein“ (esse lat.) ursprünglich transitive Bedeutung gehabt habe
und daher mit dem Akkusativ verbunden worden sei, wofür er
teils verdorbenen, teils gänzlich belanglosen Sprachgebrauch vieler
Völker herbeizieht 5). In einer der Hauptfragen der Slawistik, wo
nämlıch die Heimat des Kirchen- oder Altslawischen, in welchem die
Bibelübersetzung aus der 2. Hälfte des IX. Jahrhunderts verfaßt ist,
zu suchen sei, in dieser sprachgeschichtlichen Frage ist seine Ab-
fertigung auch kürzlich erfolgt; er hat sich eingesetzt für den Hinweis
auf das Land der heutigen Slowenen in Österreich und hat deshalb
für diese Sprachstufe beständig den Namen „Altslowenisch“ an-
gewendet °), wie auch die erwähnten Ortsnamenforscher seines Gefolges
tun, während jetzt nach jahrzehntelangen Untersuchungen der Slawisten
festgestellt ist, daß diese Mundart zu den bulgarischen der Balkanhalb-
insel gehört und am richtigsten „Altbulgarisch‘“ genannt wird 7). Es
1) Die bezüglichen Werke von F. v. Miklosich sind Bildung der slaw. Orts-
namen aus Personennamen (Abhandl. d. Wiener Akad. Wien 1865 == Mik. I), desgi,
Bildung der slaw. ON. aus Appellativen (Abhdl. d. Wien. Akad. Bd. 21 (1872),
Bd. 23 (1874) = Mık. ID).
3) Aufs entschiedenste widerspricht ihr W. Ohnesorge a.a.O. S. 285 Anm. 246.
3) Das im Erscheinen begriffene Stawische eiymol. Wörterbuch (j. bis M) von
E. Bernecker (Heidelberg 1908 ff.) nimmt die Orts, P. rsonen- u. Völkernamen wegen
des gegenwärtigen Standes der Forschung nicht systematisch auf, s. daselbst
S. 1. Ich benutze dies neuere Werk nach Möglichkeit anstatt des älteren + tymol.
Wörterbch. d. slaw. Sprachen von F. v. Miklosich (Wien 1886).
4) Vgl. Berneckers slaw. Wörtbch.
5) Siebe Abbandl. der Wien. Akad., Band 14, S 216—220. Miklosich schr-ibt
deutsch.
6) Abhdig. d. Wien. Akad., Bd 21, S. 2—3.
7) Leskien, Grammatik der altbulgmischen Sprache (Heidelberg 1909),
Einltg. IX—XXVII (deutsch).
— 3221 —
fehlt also viel, daß eine Aufstellung wie die Personaltheorie bloß um
der Autorität ihres Erfinders willen unfehlbar richtig sein müßte,
Deshalb ist es wohl an der Zeit, in eine Prüfung dieser Personal-
theorie einzutreten und zu untersuchen, ob und in welchem Umfange
sich die Ableitung der Ortsnamen von Personennamen
aufrecht erhalten läßt.
LI. Der sprachliche Nachweis
Von einem System der Ableitung der slawischen Ortsnamen,
das der gewaltige Sprachbeherrscher aufgestellt hat, ist natürlich zu
erwarten, daß es die Möglichkeit der Richtigkeit in rein
sprachlicher Hinsicht haben wird. Miklosich lehrt!), daß die
slawischen Ortsnamen (ON) größtenteils aus Personennamen (PN) ge-
bildet seien, die übrigen aus Appellativen (Gemeinnamen) ?), und gibt
die Endungen (Suffixe) an, welche zur Bildung beider Gruppen ver-
wendet sein sollen, z. B. -tce, -ow, -in, -j sowohl als Ansatz an Per-
sonennamen wie zu Appellativen ®. Der ON Radotin entstand also
aus dem PN Radota und der Endg. -in ^). |
Es ist hervorzuheben, daß die slawischen Sufixe an sich eine
Bedeutung nicht haben ®), auch nicht einmal diese oder jene Endung
immer zum Ausdruck der gleichen Beziehung gebraucht ist, daß sich
demnach aus dem Suffix allen ein Schluß auf die Art des
voraufgehenden Wurzelwortes, ob dies ein PN oder ein Appella-
tivum (Sachname == SN) sei, gar nicht ziehen läßt. Miklosich
selbst hat auch diesen Fehlschluß nicht vorgetragen, die Unwissen-
schaftlichkeit würde zu offenbar gewesen sein, aber weil er die ON
1) Mik. I, S. ı (s. oben die Anführung seiner Werke).
2) Mik. versteht unter Appellativen allgemein andere Wörter außer den Personen-
namen, sowohl dingliche als abstrakte Begriffe, Adjektiva nicht minder als Substantiva,
sogar Verbalformen. Ich will dafür „Sachnamen“‘ (SN) sagen, worunter in diesem Falle
auch Tiernamen mitbegriffen sind.
3) Die Endungen zu PN aufgestellt bei Mik. I, S. 2—12, zu Appell. Mik. H,
S. 90-96 (37 Suffixe für Appell., die aber bis zu dreien und vieren zusammengesetzt
werden können, wie die angehängten Beisp. Mik.’s zeigen), die 4 aufgeführten in I, S. 2.
9—ıo und in II, S. 91 u. S. 95 unter Nr. 22, 2, 36, 32.
4) Mik. IL, S. r.
$) Über diesen unbestreitbaren Punkt führe ich nur die Erklärung eines polnischen
Verfassers an. Wojciechowski (Chrobracya I (Krakau 1873) S. 150 sagt, daß die
Bedeutung der Suffixe noch nicht entdeckt sei, mit den Worten: „es kann sein, daß die
slawische Forschung einst die Bedeutung der Suffixe entdecken wird“ może by6, łe
slowiahstwo wykryje kiedyś snacsenie suffixów.
17°
— 222 —
auf -ice gern für Patronymica erklärte !) und diejenigen auf -ow, -in
und j (die letzte Endung meist schon verschwunden) inbezug auf Per-
sonen als adjectiva possessiva („Besitz oder Besitzer anzeigende‘“ Adj.
nach dem Ausdruck der slawischen Grammatik) nahm ?), so entstand
daraus bei scinen Nachfolgern der Grundsatz, daß die ON auf -ice,
-ow, -in möglichst oder ausschließlich von PN abzuleiten seien.
Kühnel, Hey und Mucke sind so verfahren, Beyersdorf weist
dem PN den „Dienst der Leitmuschel“ zu $). So stamme z. B. nach
letzterem der ON Ücker-itz vom PN Ukor (wobei der Pl. -ice durch
den Singular -ic vertreten ist), Zecher-in vom PN Sekira, Dömite-ow
vom PN Domec, Semper (Gutshof) sei der PN Sambor $). Diese Ab-
leitungen sind sämtlich leicht hingeworfene Behauptungen, ausgehend
von der nichtssagenden — bzw. verschwundenen — Endung, wodurch
aber nach der Annahme des Erklärers eine Person bezeichnet sein
soll. Aber schon im Altbulgarischen, der ältesten überlieferten S, rach-
stufe des Slawischen (IX. Jhd.) 5), bildet die dem westslawischen -ic
entsprechende Endung auch Deminutiva, sogar von Tiernamen, und
also nicht bloß Patronymika, und die adj. poss. auf -j und -in werden
außer von PN auch von Tiernamen, die auf -ow auch von Stoffnamen
und vielerlei anderen Begriffen hergestellt, z. B. irn -ow „dornig“,
golab -in „zu Tauben gehörig“ €). Aus diesen vier Suffixen -ice, -ow,
-ån und -j kann die genaue sprachliche Betrachtung also eine zwingende
Ableitung.eines ON aus einem PN nicht rechtfertigen, über
die Setzung einer bloßen Möglichkeit kommt sie dabei nicht hinaus.
Miklosich glaubt nun auch, die Gewißheit hierüber auf einem
andern ‚Wege zu erreichen, nämlich durch Erkennung des PN, den
die ganze Form des ON in sich schließt; er erklärt: „aus der Nach-
weisung der zugrunde liegenden Personennamen in den
Ortsnamen ergibt sich das zur Bildung angewandte Suffix 7). Schon
ı) Mik. I, S. 2. Sie sollen „den von den Nachkommen der so benannten
Personen bewohnten Ort“ bezeichnen. Dobesovice sei der von den Nachkommen
des Dobeš bewohnte Ort. Ebd.
2) Mik. L, S. 9.
` 3) Baltische Studien 1881. Anlage S. 36. — Bei Schwund der possessiven Endg.
-ġ wurde dann der ON für einen unveränderten PN erklärt.
4) Balt. Stud. 1881/2. Anlagen S. 27. 73. 108. Die Dörfer Ü. u. Z. im pomm.
Kreis Usedom-Wollin, Df.: D. im Kr. Grimmen, der Hof Semper i. Kreis Rügen.
5) Vgl. oben S. 220. i
6) Leskien, Grammatik der altbulgarischen Sprache (Heidelberg 1909),
S. 79. 91—92.
7) Mik. LS. ı.
— 223 —
vor Behandlung der ON (1865) hatte er nämlich die slawischen PN
gedeutet (1860) 1) und mußte eine sehr große Bekanntschaft mit ihnen
besitzen. Diese Nachweisung der PN besteht aber nur darin, daß er
einen Teil des ON, gewöhnlich den ersten, von meistens 1—3 Silben
als denjenigen PN ansetzt, den er in seinem Werk über die PN
(Mik. III) als einen vorgefundenen, belegten schon aufgezählt und aus-
gelegt hat, oder oft auch von Stämmen ohne überlieferten PN ableitet.
So groß auch das Vertrauen zu der Richtigkeit seiner 373 „nach-
gewiesenen‘“‘ PN oder Stämme von PN dieser Art bei Miklosich selbst
gewesen sein mag und bei seinen Anhängern noch ist, nicht minder
groß wird ihre Unsicherheit bei genauerer Untersuchung. Von dem
PN Bor (pugna) werden z. B. die ON Bor-owo, Borg -ym -ów, Bor-ise
hergeleitet 2), von dem PN-Stamm Gor- (Brand, incendium) die ON
Gor-ovie, Gors-ów 8}), von Grab- (rauben, rapere) die ON Grab-ics,
Grab-kov $). Genau so zutreffend könnten als Herkunft dieser ON die
gleichlautenden Appellativa bor (Fichte, Fichtenwald), gora (Berg) und
grab (Weißbuche) genommen sein 5), da die slawischen Suffixe be-
deutungslos sind, und ein Unbefangener würde wahrscheinlich den
Deutungen als „Fichtenort, Bergdorf, Buchenstätte‘“ viel eher zu-
stimmen, aber — Miklosich wollte so nicht ableiten, wegen seines
Prinzips der besitzanzeigenden Suffixe (-ice, -ow, ee mußten PN in
diesen ON enthalten sein. |
Viele Wortstämme erscheinen bei ihm in beiden Listen der ON,
das eine Mal werden sie auf PN bezogen, das andere Mal auf SN
(Sachnamen), z. B. mal (klein) soll von PN herkommen in Mal-öw,
Mal-ovice, Mal-enin, aber von SN in Mala Gora (gora = Berg) °);
1) Die Bildung der slaw. Personennamen (Abhdl. d. Wien. Akad., 10. Band,
S. 215—330), 1860 = Mik. II.
2) Mik. I, Liste Nr. 22. Den Lautwert der mit Punkten, Strichen und Haken ver-
sehenen slawischen Buchstaben werde ich nur erörtern, wenn es zum Verständnis des
Vorgetragenen nötig erscheint rz (Lautwert des französ. j) ist in polnischen Wörtern
Erweichung aus ursprüngl. r. — Die Bedeutung der altbulgarischen (abg.) Buchstaben;
mit welchen Mik. in I die Wortstämme ausdrückt, läßt sich darch Vergleichung mit den
betreffenden gleichen Wörtern in Mik. III erkennen, wo er die Umschrift durch lat. Buch-
staben anwendet, z. B. Mik. I, Nr. 22 (bor) verweist auf Mik. III, Nr. 16. — Sonst s.
Leskien, Grammatik, S. XXVIII. — Ich bezeichne für meinen Zweck abg. b durch Y
(wie Mikl.), abg. gar nicht (welches im Russ. heute keinen Lautwert mehr hat),
3) Ebd. Nr. 77.
4) Ebd. Nr. 80.
5) Diese Wurzelwörter sind verwendet in Mik. U, Nr. 19. 319. 221.
6) Mik. I, Nr. 186 u. U, Nr. 335.
— 224 —
glawa (Kopf) bezieht sich angeblich auf PN in Hlav-in, Glav-inci,
Glow-ceyn, dagegen auf SN in Glow-e!); such (trocken) wird ver-
wertet für PN (z. T. selbst schon verlängert) in Suchor-owice, Suchors-ów,
Suchan-y, Suse-ice, für SN in Suš-ica, Suha röka (röka = Bach),
Bucha ?). Bei dieser Verteilung der Ableitungen aus demselben Grund-
wort auf PN oder SN geht Mik. offenbar nicht mehr von der „Nach-
weisung der PN“ aus, aus welchen er auf das Sufâx schlösse, sondern
umgekehrt wegen der Endungen (-ice, -ow, -in besds.) erklärt er die
vorangehenden Silben für PN, denn die Begriffe „klein, Kopf, trocken “
wiesen an sich keineswegs auf PN (da er „Kopf“ auch als „Hügel“
versteht) $), weit mehr auf sachliche Eigenschaften der Orte, er hat
unter der Hand sein Prinzip in eine Form geändert,
deren Richtigkeit von ihm nicht bewiesen ist und nicht
bewiesen werden kann; aus den slawischen bedeutungslosen Endungen
kann eben nichts für den Inhalt der ON gefolgert werden. Aber
gerade diese gänzlich falsche Formel Miklosichs haben sich die Orts-
namenerklärer insonderheit zu eigen gemacht und darauf ihre Ergeb-
nisse gegründet.
Ia andern Fällen wiederum sind von ihm dieselben Endungen
-ice, -ow, -în mit SN verbunden und damit für bedeutungslos erklärt,
so z. B. verwendet er trn (Dom) nur für SN in Trn-ovo, Trm-ova,
Trn-ov&, Trn-ovci *) u. a., wahrscheinlich deshalb, weil er den Begriff
„Dorn“ nicht mit einer Person verbinden mochte; andernfalls konnte
er, selbst wenn ein Personenname dieses Stammes in seiner Über-
lieferung nicht vorhanden war, den Stamm für PN ansetzen und rüstig
ableiten, er hat ja so viele PN bei seinen Ableitungen als fehlend
t) Mik, 1, Nr. 66 u, II, 105 (wo zur Ableitung serbisch o-glavak = collis, Hügel
beigebracht wird).
3) Mik. I, Nr. 306 a. IL, Nr. 640 (su3- wird hierbei auf such zurückgeführt nach
slawischer Lautregel, nämlich über Einwirkg. des bzw. ausgefallenen Suff. -j auf den vorher-
gehenden Konsonanten; eine Zusammenstellung dieser Art von Konsonantenreränderungen,
die für die Ableitung sehr wichtig sind, s. bei Mik. I, S. 10—ıı unter Suffix -5, dsg.
bei Wojciechowski a. O., Bd. I, S. 159/60. — Die Endung -any (in Such-any)
soll die Bewohner des Ortes bezeichnen Mik. I, S. 3. — Andere mit doppelter Beziehung
(auf PN u. SN) verwendete Stämme s.z.B. noch dobr (gut) Mik. I, Nr. 100 a. II, Nr. 8ı,
gol (nackt) I, Nr. 75 u. IL Nr. 116, nowy (neu) I, Nr. 214 u I, Nr. 376, slawa (Rahm)
L Nr, 278 u. I, Nr. 586 (aber bei SN für dunkel erklärt, wie in Slava Gora (gora =
Berg) u. Slawka (Name eines Baches), -
3) Vgl. eben Anm. 1.
4) Mik. II, Nr. 696. Die Endungen -owa u. owo sind fem. u. neutr. zu dem masc.
-0w Ohne Unterschied der Bedeutg.
— 225 —
bezeichnet !). Die Endung -in fügt er an SN z. B. in Zwer-in, jetzt
Schwerin, von zveri (wildes Tier) 2).
Auch sonst verfährt er in der Zuteilung der ON auf die getrennten
beiden Gruppen mit sichtlicher Willkür; ich greife heraus die Gattung
der Baumnamen. Von buk (Rotbuche) 3) und klen (Ahorn) €) bezieht
er den einen Teil der Bildungen auf PN, den andern auf den Sach-
begriff der Bäume, aber dąb (Eiche) in älterer Sprache auch „Baum“ 5),
und dr&vo (Baum, Holz) ®), drên (Hartriegel, It. cornus) ”), grab (Weiß-
buche) ®) u. a verwertet er nur als SN, obgleich an diesen Baum-
arten kein Grund für die Unterscheidung von den ersteren hervortritt
und die besitzanzeigenden Endungen reichlich an ihnen vertreten sind
(in Dub-ojce ®?), Dub-en-ie, Drew-en-itze, Dfen-ow, Dion-ow 19)).
I) In Mik. I sind bei den ersten 15 Stämmen die betreffenden PN in 9 Fällen als
fehlend bezeichnet (Nr 2. 4. 5. 6. 7. 8. II. 12. 15). Schon durch diese Anknüpfung
an gar nicht bekannte PN leidet Mik.’s System schwere Einbuße an Glaubwürdigkeit,
Diese gedachten Personen sind für die Forschang glattweg Phantome, Gespenster. —
Dasselbe gilt von den PN, die in einer Kurz- oder Koseform in die ON auf-
genommen sein sollen, z. B. Büt-ow von Byt, Kzf. v. Drago-byt, oder Buttsch-ow von
Božo, Kıf. von Bozy-slaw (Mucke, Neumk., S. 70. 71). Die Anwendung solcher ge-
kürsten Formen, deren Vorhandenhein in alter Zeit wohl nirgends erwiesen ist, wider-
spricht auch der Gewichtigkeit des Zweckes des ON, ein öffentliches Sprachdenkmal zu
sein, der Besitzer wäre unter der verstiimmelten Namensform schlecht oder gar nicht
erkannt worden. Außerdem zeigt sich umgekehrt in den PN das Bestreben, ihnen gerade
durch Verlängerung mehr Nachdruck zu geben, so wird ein Edler aus dem fürstl. Hause
Putbus auf Rügen in d. J. 1286—1302 genannt Thes, Tese, Tetzo, Thiste, Thesisse
(Fabricius, Ukd. des Fürstt, Rügen, Bd, II, S. 147 == Fab.).
2) Mik. II, Nr. 775; hierzu hat Mik. aber auch Ableitungen von PN, s. Mik. I, .
Nr. 125, und nach Belieben hätte er kraft der Endg. -in auch einen Edien Zwer zum
Gründer von Schwerin machen können, um so mehr noch, als die Endg. -n nur an
Stämme auf a a. I treten soll (Mik. I, S. 10 unter Saff, -in),
3) Mik. I, Nr. 32 u. II, Nr. 42.
4) Ebd. I, Nr. 139 u. I, Nr. 212.
5) Ebd. IL Nr. 74.
6) Ebd. II, Nr. 88.
7) Ebd. IL, Nr. 87.
8) Ebd. UI, Nr. 121. Für diese Beschränkung wirkte bei M. wahrscheinlich auch
die Gleichheit mit dem Stamm grab- (rauben), s. o.
9) Entstanden aus Dub-owice.
10) Der ON Grab-ow (== Grabau) findet sich zu Dutzenden, er ist einer der aller-
häufigsten. Wegen des reichen Vorkommens allein schon ist er mit größter Wahrschein-
lichkeit von dem SN (=æ Buchenort) abzuleiten, nicht immer von einem slaw. Edien
Grab, dessen Leibes- und Namensverwandtschaft durch unglaublichen Zufall in allen sla-
wischen Ländern zu hervorragenden Personen und Ortsgründern geworden wäre. — Aus
demselben Grunde kann auch das sehr oft sich findende Krakow (such Krakau i. Galiz.,
— 226 —
Eigenmächtige Sprachbeschränkung liegt z. B. vor, wenn er aus
ljub (lieb) !) und mil (lieb) ?) nur PN gelten läßt und die Worte als
SN für seine Aufzählung verwirft. Es ist sprachlich völlig unberech-
tigt, mil in ON nur als misericors (barmherzig) zu verstehen und Zub
nur als amatus (geliebter Mensch) ?), beide Stämme bedeuten ebenso
sehr „lieblich, angenehm“ 4) und sind damit hervorragend geeignete
SN, um die Eigentümlichkeit einer Gegend in dem ON auszudrücken,
nicht minder wie das beiderseitig (für PN und SN) von Mik. ver-
wendete dobr (gut); die Sufixe, die er nach seinem Bedarf bald als
persönliche, bald als dıngliche angehängt sein läßt, hätten ihn bei
der Beziehung der beiden Begriffe auf die Örtlichkeit keineswegs
gehindert.
Über die Unsicherheit vieler angesetzten Wortstämme
infolge der während langer Zeit eingetretenen Lautveränderungen hat
sich Mik. mit leichtem Sinn hinweggetäuscht, indem nach seinen
Worten „Vergleichungen dartun, daß sich die slawischen ON im Laufe
von Jahrhunderten nur selten verändert haben“ 5). Schon nach den
von ihm selbst angeführten zahlreichen Beispielen deutscher Um-
gestaltung für slawische ON mußte er eigentlich ein anderes Urteil
aussprechen (wo sich gegenüberstehen Dvorce: Wurzen, Mrocna:
Bretschen, Ołobok: Mühlbock) 6), jedes Namenverzeichnis größerer
bezüglicher Landgebiete oder Urkundensammlungen leitet zu gehäuften
Formen von verschiedenem Lautstand derselben ON bis zu schreiender
poln. Kraków) nicht von einem Vornehmen Krak ausgegangen sein. (Von PN bei
. Mik. I, Nr. 148 abgeleitet.) Ich sehe darin nur eine veränderte Form für Grab-kow
(z. B. Dorf im Kreis Crossen, Prov. Brandbg.) durch Wirkung von Lautverschiebung
(g : k) und Lautschwund (b: 10: —). Die Endung ist doppelt: k-ow, das Grundwort grab
(so auch poln.) = Weißbuche, Nach Wojciechowski a. a. O., S. 295 Anm. ist Kraków
unzweifelhat von e. PN herrührend, in der Elbgegend sollen 14 Orte Krakow sein, dazu
noch 16 andere mit der Wurzel Krak.)
1) Mik. I, Nr. 181.
2) Mik. L Nr. 192.
3) Diesen Sinn soll jedenfalls die Übersetzung des Yub durch amatus in Mik. III,
Nr. 207 haben; mi = misericors gesetzt ebd. Nr. 220.
4) S. Berneckers slaw. Wörtb,
5) Mik. I, S. 79. Dieselbe Meinung wiederholt A. Brückner, Altmark, a. O.,
S. 61. P. Kühnel, Mecklbg., a. O., S. 20, § 40. Nach Wojciechowski, Chrobacya,
a. O., S. 166 aber „ist es bekannt, daß die Volkssprache unablässig in phonetischer
Hinsicht verhunzt wird“ (wiadomo, że mowa ludzka .. psuje się nieustannie pod
wegigadem fonetycsnym) u. gerade an ON gibt er Beispiele ebd. S. 167—169. Vgl
dazu die Äußerungen Borchlings in dieser Zeitschrift; Bd. ı2 (1910), S. 92—93.
6) Mik. I, S. 90—102, die drei Beisp. auf S. 100. 101. 102.
— 227 —
Unähnlichkeit (Wolobuz: Almosen, Bobo3ojee: Bahns-dorf, Lubochol:
Leibchel, Poztupimi i. J. 993: Potsdam, Bandargowe 1220: Mandelkow
1237, Cosawits 1257: Consages) 1), auch außer den regelmäßigen , Er-
weichungen“ oder Wandlungen der Konsonanten, die er als Folge
des Suffixes j hinstellt 2). Ein o des Stammes geht oft in a und e
über, obersorbisch (obs.) Bor-owi$6a: deutsch (d.) Bar-utsche ®), Bor-
mim: Bar-nim t), Bor-lin und Bar-lin urkd.: Berlin 5. Auf den
Stamm bor („Kampf“ oder „Fichtenwald‘‘) ließen sich deshalb auch
die Stämme bar- und ber-®) auf Grund eines angenommenen Laut-
wandels zurückführen, der bei Ableitung von bor (Fichtenwald) noch
viel wahrscheinlicher würde. Der St. ljub (lieb) kann den Vokal u
in jeden andern kurzen umsetzen; Lübben (Spree), niedersorbisch (nsb.)
Lubin, lautet urkundlich auch Loben, Laban ’); das 1181 als Lubin
bezeichnete Dorf (auf der Insel Wollin) heißt heute Lebbin 8); das b
ist zu w verschoben in poln. Lowitz für Lobitz°), sodaß ljub mit
Berechtigung auch als Grundlage für die aufgestellten Personalstämme
lob, lov- und lév (wo bei Mik. Lewin erwähnt ist) genommen werden
könnte 1°). Mit ähnlicher Vagewisheit der Herkunft müßte bei vielen
PN gerechnet werden.
Nach uneingeschränktem Belieben kann der Erklärer auch bei der
Loslösung der von Mik. angesetzten PN von den Suffixen verfahren,
besonders bei Häufung derselben. Er kann als PN ableiten entweder
Lubl-in (1 Suff) oder Lub-lin (2 Suff.), Luban-ow oder Lub-anów,
Lubom-in oder Lub-omin !!); ist eine hierbei abgesonderte Form des
1) Die Orte Alm., Ba. u. Lei. (in der Niederlausitz) bei E. Mucke, Sorbisches
geogr. Wörterbuch (serbski zemjepisny slownitk, obersorbischer Titel u. Einltg.), Bautzen
(Budyšin) 1895, S. 21 u. 27; Po. bei Riedel, codex dipl. Brandenburgensis, s. Index;
Ma. (Kr. Randow, Pomm.) im Pommersch. Urkdbch. von Klempin u. Prümers, Bd. 1I,
Nr. 199 u. 350 = P. U.; Cons. (Kr. Greifswald) bei Fabricius, Rügen, II, S. 95.
2) S. o. S. 22; Anm. 2.
3) Mucke, Sorb. Wbch., S. 6.
4) Dorf b. Potsdam, s. Riedel a. O. Index.
. 5) A. d. Spree, s. Riedel a, O.
6) Mik. II, Nr. 4 u. 10.
7) Riedel a. O. u, Bergau, Ban- u. Kunstdenkmäler der Prov. Brandb, (alpha-
betisch).
8) Hasselbach u. Kosegarten, Codex Pomeraniae diplom. (Greifswald 1862)
[= Kos.], s. Index.
9) Dorf i. Kr. Deutsch-Krone, Westpreuß. S. Kętrzyński, Die poln. ON der
Prov. Preuß. u. Pomm. u. ihre deutschen Benennungen. (Lemberg 1879.) Spale 133.
10) Mik. I, Nr. 171. 172. 178.
11) Diese ON bei Mik. I, Nr. 18r.
— 228 —
PN nicht urkundlich belegt, so „erschließt“ er ihn kraft seines Trean-
striches. Solche zufällige und verschiebbare Zerlegung der ON ist
in den meisten Fällen möglich, die „Nachweisung‘“ der PN läßt sich
auf diesem Wege gar nicht erreichen.
Aber wenn statt bloßer Suffixe ein zweiter Stamm, dessen Begriff
nur mit einer Person vereinbar ist, dem vorhergehenden folgt, müßte
wohl notwendigerweise das Vorhandensein eines PN in dem ON zu-
gestanden werden, wie bei den ziemlich häufigen Ausgängen -göast,
-mysl und -slaw mit den angenommenen Bedeutungen Gast, Sinn,
Ruhm !), Doch selbst derartige ON sind nicht unfehlbar an PN an-
zuknüpfen. Bromberg (Prov. Pos.) heißt ukd. Bidgost 1254, Bude-
gosta ?); ich leite hier -gost von slaw. gora (Berg) ab (poln. góra).
Polnische kennt die sogen. „Erweichung“ des r zu rg, rs nachweislich
seit dem XIII. Jahrhundert, z. B. naraz wird narsas 8), dementsprechend
gor- zu gors-; t ist Sufix 4), sodaß gorst entsteht. Dies erweichte r
== (rs) rs ging dann über in £ (unser gemildertes sch = franz. j; wie
heute ebenfalls poln. rs gesprochen wird), welches aber in lat. Urkd.
durch & oder s wiedergegeben wird. Dieselbe Entwicklung des r in
gora zeigt Pogore 1245, Pogorze 1249, Pogose 1253 5), und gorst erscheint
demnach als -gost, hinweisend auf Bergnähe. Die erste Silbe Bid-
oder Bude- in dem Stadtnamen kommt von p. bloto (Sumpf, Morast),
dessen 1 hinter dem Konsonanten schwinden kann ®), die Färbung des
1) Mik. I, Nr. 79. 202. 278; die Bedeutungen in Mik, IH (Bildg. d. PN), Nr. 83.
232. 346 als hospes, cogitatio od. mens, gloria od. nomen bezeichnet. Beisp. v. erklärt.
PN: Dobro-gost = bonum hospitem habens, Miro-slav = na pace nomen habens,
Proyby-lau = a crescendo nomen habens, Dobro-mysi = bonum animum habens
(Mik. IIL, S 238—239). — Auch an diesen zweiten Teil des ON können noch Baden.
treten, -ow u. besds. -ice, z. B Mal-host-ice (Mik. I, Nr. 186).
2) Peribach, Pomerellisches Ukdbch. (Danzig 1882; bis ı315 reichend);
s. Index. B. de Courtenay, Über die altpoln. Sprache bis zum XIV. Jhdt. (Russisch,
Leipz. 1870), Tel II, S.4. Poln. Name heute Bydgoszcz. Nach Mik. (HI, Nr. 30)
würde Bude- gehören zu bud (= vigilare). Bydgost als PN bezeichnet uch bei
Wojciechowski a. O., S. 178.
3) S. Courtenay L S. 44—46. Die Erweichung hängt in Eigennamen nicht nur
von folgendem # u. e ab; naraz ist eine Abgabe von Schlachtvieh an den Fürsten.
4) Vgl. von poln. dobr-y (gut) das Subst. dobro-t-a (Güte), oder Damme-chore
1225, Damgur 1258 = Damgart-en Stdt. i. Pomm. Vgl. Gust. Kratz, D. Städte
d. Prov. Pommern (Berlin 1865), S 105.
5) Dorf Pogorsz (po ist poln. Präpos. „an“) bei Oxhöft im Kr. Putzig, Wprß,
Perlbach (= Pb) a. O. s. Index. Andere Belege für rs:s sind häufig, z. B. bei
Kühnel, Meckl. a. O, unter Schossin, Schwass, Wessin, Pasenow u. lünf folgd.
Namen bis Pastin.
6) Vgl. kassub. Głlabjné = Gambin, Glöbjno = Gambin (ohne 3) 2 Df. i. Kr.
— 229 —
o zu « und die Verschiebung des ¢ zu d sind sehr gewöhnliche Er-
scheinungen in den Ukd.!). Diese Lösung von Bidgost, Budegosta
als Ort mit „Berg“ und „Sumpf“ wird nun gerade durch die Ver-
hältnisse bestätigt, denn nahe der Stadt beginnt eine hervortretende
(etwa 30 m hohe) Bergkette nach der Weichsel hin, und das Gelände
des Bromberger Kanals (von der Netze bis zur Brahe, an welcher
Bromberg liegt) ist vor dieser Anlage versumpft gewesen ?). Es wird
nicht geraten sein, bei diesem Ortsbefund in der Benennung die Ver-
kündigung eines PN mit -gost zu sehen, ebenso wenig wie bei vielen
andern auf -gost und -gast ®).
Die Bestandteile mysl und slaw brauchen gar nicht eigene Wörter
zu sein, es kann der erste Buchstabe zum voraufgehenden Wortstamm
gehören und das andere je eine doppelte Endung (-ie-I u. -l-aw) aus-
machen. Dargum-is 1234 lautet Dargum-sle 1262, h. Darrm-ietzel 4);
der See Seren-is 1235, Scren-is 1240 ist heute der Scharm-ütsedl =
See 5). — Zu Prenzlau (Uckermark), 1183 Prenslaw, 1240 Prenslawe,
1250 Prinslawe, sind auch Formen mit -ow überliefert (Premsslow,
Premislow) ®%), welche durch ihre Abweichung schon der Herleitung
Stolp (Pomm.), s. Cenova, Skörb usw. d. i. Schats der kassubisch-slawischen Sprache
(Schwetz 1866), S.41. Im Niedersorbischen (nsb. in der Niederlausitz) stehen die Formen
bloto u. boto nebeneinander, s. Zwahr, Niederlausitsisches Handwörtbch. (Spremberg
1846). Poln. ł wie kurzes % zu sprechen.
1) Für o: % s. ob. S. 228 Anm, 4; für t:d vgl. Postupimi 993, später Pots-
damb == Potsdam s. Riedel, vgl. ob. S. 237 Anm. 1. — Bei Hinweis auf Sammig.
v. Urkd., die gewöhnlich einen Anzeiger haben, ist der Beleg meistens durch solcnes
Verzeichnis der ON unschwer zu finden; auf diese Indices verweise ich nicht mehr
besonders,
2) Die Ortslage nach freundl. Mitteilg. des Herrn Oberbürgermstrs. Mitzlaff da-
selbst. Aach die Barg lag auf einem Hügel dicht an der Brahe (nach ders Mittlg.).
3) Es wechselt -gost mit -gast z. B. in Wolgast (St. i. Pomm.), 1180 Wolgost,
s. Kratz, Städte d. Prov. Pomm. a. O., S. 541. Auch Wolgast liegt auf bergigem
Anstieg an der Peene. Für die Richtigkeit der Érklärang des -gost zeugt ferner die
bergige Lage anderer Orte i. Pomm.: Velgast, Kr. Franzbg. (běl „weiß “), 1242 Vile-
gust (Kos.; wohl mit Form Nigas (See 1231, Kos.) nicht hierher gehörig Negast
ebd.), Negast auf Rügen, 1314 Nigatze (Fabr. IV, Bd. 2, S. 38); Bietegast, Gut auf
Rügen, 1314 Bitgast (Fab. Nr. 703), tg ist erweichtes g, vgi. drawenisch tgöra (Berg),
Präpos. g0 = „an“, draw. pi, s. P. Rost, Drawänisch a. O. Für die hierbei an-
genommenen Lautwandelnngen verweise ich auch auf den späteren Teil B
4) Df. Kr. Königsberg (Neumark). Kosegarten, cod. Pom. a, O., S. 476 u. 477
Anm. Die Buchstaben $ u. y wechseln in Ukd. regellos, z. B. Pere-myssl ON (Mik. I,
Nr. 202) gegen Pre-miszil PN (Kosg. a. O., Nr. 204).
- 5) Bei Greifenhagen, Prov. Pomm., s. P. U. Nr. 312. 373.
6) Bergau, Baudenkmäler a. O. u. Riedel, Cod. Brand.
— 230 —
des Namens von einem ÖObotritenfürsten Primislaw !) widersprechen.
Ich trenne Prens-law (letzteres als zweifache Endg. l-aw, low) und
nehme den ersten Teil für nasaliertes bröga (Birke) ?) = brengs oder
prens 3). Die Schreibung Prüslavia (ohne n) für Prenzlau t), sowie
die Formen Preselau 1240 und Priszlave 1278 (ohne n), Prinzlave
1243 und Prinzlawa nach 1278 (mit n) für das Df. Pritslow (s. v.
Stettin 5) werden durch die Gleichheit beider Namen bestätigen, daß
die Anfügung von -slaw in ON nicht einen PN zu offenbaren braucht ®).
Neben den gemachten Einwänden muß es recht befremdlich
wirken, daß Mikl. verschiedentlich dieselben ON einmal auf PN, das
andere Mal auf SN zurückführt, die meisten Fälle unter PN ?reb : SN
treb-ii „roden“ 7), so: Třebín (= Tfebin), Trebovec, T3ebel, Trebelevo,
Treebun (= Treboun) ®). Die Wahl der Ableitung hat er nicht offen
gelassen, sondern die Deutung gegeben aus der „Nachweisung der
zugrunde liegenden PN“ 9). Was er daher unter den PN angesetzt
hat, ist wertlos unter den SN und schädlich der Glaubhaftigkeit der
vorgetragenen Lehre, denn die innere Wabrheit scheint einem System
zu fehlen, dessen sein eigener Meister nicht mächtig bleibt. Diese
Personaltheorie Mik.s, die aus den mittels des Inhalts und der
Gesetze der slawischen Sprachen angeblich erkannten PN die ON
erklären will, dabei aber umgekehrt oft genug die PN aus den
1) So in Prov. Brandbg. in Wort u. Bild (hsg. vom Pestalozzi-Verein) unter
„Prenzlau“. Meine Erklärung von Pr. schon in „Prenzlauer Zeitg.“ v. 25. 2. 1912,
Beilage der „Uckermärker “,
2) Mik. II, Nr. 29. Die Verschiebung des b:p ist sehr häufig, z. B. Bris-anche
1314 = h, Presenske Kr. Rügen, Fabricius, Ukd. IV, 2.
3) Die Nasalierung ist nicht selten, vor 8-Lant z. B. Dretzel (Altmark) = Drensile
973 bei Brückner a. O., S. 29. Blas-ewitz = 1480 Blans-inwicz, Basch-itz und
Ransch-wits 1480 Hey, Sachsen a. O., S. 44 u. S. 158; poln. Kliss-y«o = dtsch.
Klens-in, Df. i. Kr. Stolp (Pommern), s. Kętrzyński, Preuß. u. Pomm. a. O.,
Spalte 231.
4) Bei Riedel, cod. Brdb.
5) Kosegarten u. P. U. Auch die Wiese (pratum) Pringlowe 1225 (an Mündg.
der Havel in die Elbe) jedenfalls nicht von einem PN abzuleiten, dazu ein castrum
Prizlava (ohne n) erwähnt (Brückner a. O. in der alphab. Reihe der ON).
6) Sehr häufig ist als ein zweiter Stamm in solchen ON auch mir (Friede) gesetzt
(Mik. I, Nr. 193 u. DI, Nr. 221) oder mer (= nomen) ebd. IL, Nr. 221.
7) Mik. L, Nr. 323, I, Nr. 692.
8) Ebenso Klonów bei Mik. I, Nt. 139 (aus PN) u. I, Nr. 212 (aus SN) von
klen „Ahorn“; Turovosto ebd. I, Nr. 324 (aus PN) u. II, Nr. 698 (aus SN) von tur
(Auerochs). Vielleicht siod noch mehr Beisp. vorhanden.
9) S. o. a. Mik I, S. ı.
— 231 —
Endungen festsetzt, aus denen nichts bewiesen werden kann, leidet
zufolge den gemachten Ausführungen so sehr an Wahngestalten, Un-
sicherheiten und Willkürlichkeiten, daß sie ihr Ziel nicht erreicht und
als allgemeiner Grundsatz und Äbleitungsregel der ON nichtig
ist. Mit der Möglichkeit aber der Überlieferung von PN in den ON
ist schon lange vor Mikl. gerechnet worden !), er führt darüber nicht
hinaus.
IT. Der geschichtliche Nachweis
Gegenüber den Miklosich’schen Aufstellungen konnte mit Recht
der Zweifel entstehen, ob überhaupt jemals in alter Zeit ein ON aus
einem PN hervorgegangen sei 2), denn M. selbst hat einen offenbaren
historischen Beleg nicht beigebracht, obgleich einige seiner Beispiele,
allerdings mit entlehnten PN, für Beweise gelten könnten; in den ON
Abraham-owice, Albrecht-ice?) sind die beiden uns bekannten PN
schwerlich zu verkennen. T. Wojciechowskit) hat nun aus zuver-
lässigen Quellen die Tatsache festgestellt, daß nach lebenden oder
gelebt habenden Personen bestimmte slawische Wohnorte genannt
worden sind 5). Zwei Dörfer geistlicher Schenkung sind nach den
1) Viel genannt die ungemessen fabelhaften Ableitungen Boguphals, Bischofs von
Posen um 1250 (in seinem Chronicon Poloniae, hsg. v. Sommersberg, Silesiacarum rer.
Scriptores, Tom. II, Leipz. 1730). Auch in Koseg., cod. Pomer., kurz (1862) vor Mik.’s
Werk erschienen, wird z, T. von PN abgeleitet. — Das umfangreiche tschechische Werk
von Szafafik, Slawische Altertümer (auch übersetzt) einzusehen habe ich für nutzlos
gehalten, da Mikl, seine Ergebnisse anerkannt und verwertet hat.
2) So verlangt W. Ohnesorge a. a. O., S. 285, Anm, 246 für die Glaubwlrdig-
keit solcher Ableitgn.. daß die histor. Existenz des angebl. Namenträgers einwandfrei
nachgewiesen sei, und zwar für den betreffenden Ort zurzeit der Gründung.
3) Mik. I, S. 12.
4) In dem ob. bezeichneten Werk Chrobacya (= Landgebiet, entsprechend dem
Umfang der Krakauer Diözese), Bd. I, Krakau 1873 (vorhanden in d. Bresl. Bibliothek).
5) Wojciechowski, ein tätiger Beipflichter Mik.’s, hat dessen System in der Weise
verschärft, daß er regelmäßig in ON auf -ow, -in, -j (letzteres verschwunden, aber
noch in der „Erweichung‘‘ des vorhergegangenen Konsonanten wirksam) PN erkennen
will, während -ice auch an SN getreten sei. Nicht die Sprachwissenschaft, sondern
„Übung“ und „Gehör“ (wprawa u. słuch S. 151) haben ihm diesen Aufschluß
gegeben, danach ist eingestandenermaßen auch bei ihm die grundsätzliche Beziehung des
-ow, -in, -j und noch mehr des -ice auf PN nur eine persönliche, individuelle
Meinung ohne überzeugende Begründung. (Hierüber s. Wojc. I, S. 150—163, besds.
S. 151—158.)
Gebern, den Grafen Soislaw (lat. -aus) und Wost genannt: 1145
(1155) comes Stoislaus contulit („verlieh“ der Kirche zu T.) villam suo
nomine vocitatam Stoislave, comes Wilost contulit vilam suo nomine
vocitatam W lostowo !).. Die Erben des Dorfes Prandocin (Nos heredes
de Prandocin) und zugleich ihres Vorfahren Prandota geben in einer
= Ukd. v. 1231 an, daß dieser dem Dorf seinen eigenen Namen auf-
erlegt habe: Prandota (qui et) nomen suum ville imposuit vocans ceam
Prandocin ?). Desgleichen wird in einer Verleihungsurkd. (v. 1252)
des Erbgutes Raczonovici an den Grafen Raczon und seine Nach-
kommen gesagt, daß es seinen Namen von diesem erhalten habe:
hereditatem, quae a nomine Raczon memorati comitis sumpsit (Wojc.:
sumit) hoc vocabulum Raczonovicsii (Wojc.: vici) 3). In diesen vier
Fällen ist unbestreitbar ein PN die Grundlage für den ON gewesen
(sowohl auf -ow, -in als auch auf -ici oder ice) t), und Wojc. gibt
noch viel mehr Belege 5).
Trotzdem bleibt die Ungültigkeit der Personaltheorie unverändert.
Ich brauche nicht einmal darauf hinzuweisen, daß die Besitzsuffiixe den
PN und den SN gemeinsam sind ù}, und daß daher, wenn einige Dutzend
PN diese Endungen in ebenso vielen ON angenommen haben, doch
nicht umgekehrt in anderen Tausenden von Fällen dieselben An-
hängsel immer wieder nur Zeugnis für das Vorhandensein eines PN
— und nicht eines SN — abgeben müssen. Es stellt sich heraus,
daß in den Beispielen Wojc.’s nicht ursprüngliche, aus der ersten Zeit
1) Wojc. I, S. 232 aus Rzyszczewski u. Muczkowski, Codex diplom.
Poloniae, Bd. II, 589.
2) Wojc. 1, S. 254. Auch bei Courtenay a. O. IL S. 35.
3) Wojc. S. 251/52 (Bd. I fortan gemeint) aus Raczyński, Cod dipl maioris
Poloniae (1840), S. 257. |
4) Das Suff. -ici od. -ice ist als Nom. Plur. anzusehen und nur von verschiedenem
Ausgang. Mik, nebst seinen Anhängern sieht hierin einen ursprünglichen Acc. Pl, der
nach einem Gesetz der Grammatik in den Nom, Plur. eingesetzt sei. (Mik. I, S. 2 u. 6.)
Dies finde zwar sonst nur bei leblosen Gegenständen statt, und bei den PN datiere
der Gebrauch des Acc. für den Nom. von jener Zeit, wo bei den plaralischen ON nicht
mehr an Personen, sondern an den von ihnen bewohnten Ort gedacht wurde. Die Be-
gründung ist hinfällig, Denn als der Graf Stoislaw das nach seinem Namen genannte
Dorf Stoislawe verschenkte, konnte weder er selbst noch die zuerst angeblich als Stois-
lawe bezeichneten Dorfeinwohner vergessen sein. Ich halte -sce, die jüngere Form, nur
für lautliche Abschwächung des älteren -ici neben den vielen Lautveränderangen der ON
in den Ukd. Schon im Altbulg. hat dazu der Nom. Pi. masc. gen. neben i auch die
Endg. e (Leskien, Grammatik, S. 111—121).
5) Wojc. S. 186—254
6) S. o. S. 221 Anm, 4.
— 233 —
der slawischen Niederlassung herrührende ON vorliegen, sondern neue,
eben erst oder wenigstens vor nicht langer Zeit gegebene auftreten,
Umbenennungen alter Ortschaften !) mit Beseitigung der früheren
Namen und meist mit Bezeichnung des gegenwärtigen neuen Be-
sitzers ?); anderswo war damals, im XII. und XIII. Jahrhundert, diese
Hineinlegung des PN in den ON noch fast gar nicht in Übung, was
ich weiter unten zeigen werde. Um einen neuen Namen handelt es
sich, wenn (1239) ein Graf Sudo das Dorf Vroeisir verschenkt, welches
Sud-owic genannt wird ®), es ist also nach ihm. selbst damals neu be-
nannt worden; ein Graf Obeczan hatte ein Dorf mit Namen Glynky
(1221), welches nach seinem Tode Obyecsan-ovo hieß $); der Krakauer
Propst Viitus vergab das Dorf Wythkowice, welches den alten Namen
Prandnyk hatte und nach dem Geber denselben änderte 5); ein Ni-
colaus macht (1218) einen Tausch betrefis seines Dorfes Nicolay-ovo,
welches er selbst gekauft hatte 6). Dementsprechend werden die Dorf-
namen (1155, Breslauer Ukd.) Gneomir-ovici, Paul-ovici, Nemir-ovici,
Fitoslav-ici, Diugomil-ovici, Vratielav-tei, die aus ihrer Länge (4—6
I) Vereinzelt sind Neugründungen und ihre Benennung nach PN. (Wojakowa)
quam Woyak miles ... fundaverat Wojc. S. 234. — Quetico, primo recedens cum
awis heredibus de magno dicio prato, locavit vilam .., unde locus ille dicebatur ..
Queticowitz Wojc. S. 222 aus Stenzel, Gründungsbuch des Klosters Heinrichau
(in Schlesien) (Breslau 1854), S. 41. (Das Gründgbch, fängt an mit d. J. 1227.) Die
ON dieser Gründungen sind auch neuzeitige und gehören in die Zeit der Umbenennungen,
In der zweiten Stelle gehören die Worte cum suis heredibus nur zu recedens, nicht zu
Tocavit, was bei einer späteren Frage, s. unten S. 235 Anm. 3 in Betracht kommen
könnte.
3) In den 4 schon mitgeteilten Beisp. ist zu beachten, daß nur von der Anknüpfung
des ON an einen PN berichtet wird, nicht von einer etwaigen Gründung dieses Ortes
durch die betreffende Person, was man leicht voraussetzen könnte. — Auch andere Ver-
hältnisse kommen manchmal in den neuen Namen zum Ausdruck, so Budivogij oder
swintar-owo „Df. der Schweinehirten‘“, wola (,„Freidorf‘) od. Grrochowisko, s. Wojc.,
S. 188
3} Wojc. S. 188: villam Vrocisir, que Sudovic vocatur. Courtenay, a. a. O.
I, S. 45.
4) Wojc. S. 233. Eine Aufschrift in der Ukd. lautet: Obyecsanovo alias Glinky;
heute Obiecandw im Paltuskischen (ebd), Aus Rzyszce. u. Muczk. a. a. O. I, 24.
Nochmals Wojc. S. 245. Bei der Verschenkung durch den Grafen Ob. hieß das Dorf
noch Glynky.
5) Wojc. S. 253. Ausdrücklich: Villam Wythkow cse .. prisco et vetusto nomine
Prandnyk .. coniulit ecclesie Oracoviensi Vittus prepositus, a quo, priori nomine
: derogato et ob donationem Wythkowicze nomen sortita est.
6) Emerat. Wojc. S. 233. — Die Doppelnamen, die alten neben den nenen, sind
noch öfter mitgeteilt, z. B. Wesolbinge = nunc Ostrowo (1257), Lutovich = nunc
Climuntow (1259), aus späterer Zeit (1534) Glogowek = nunc Pomorsany, eb. S. 189.
— 234 —
Silben) und den gleichmäßigen Ausgängen, sowie aus dem Brauch
der damaligen polnischen Namengebung die voranstehenden bekannten
slawischen PN !) erkennen lassen, auch nur Ersatz für verdrängte an-
dere sein ?) können und nicht der Urzeit der Ansiedlungen angehören.
Aber gerade auf die älteste Zeit der Ansässigkeit beziehen sich
die Schlüsse, welche nun die Forscher aus den Endungen der ON über
die frühesten Verfassungszustände ziehen. Miklosich selbst gab auch
hier die Grundlage so: die ON auf ice oder ici „bezeichnen den von
den Nachkommen der so genannten Personen bewohnten Ort“ 3).
Dann werden von Wojc. die Ansiedlungen dieses Suffixes zu den
ältesten gemacht „unter allen Örtlichkeiten, deren Namen sich er-
halten haben bis auf den heutigen Tag“ 4). Man will wissen, daß
diese Geschlechtsdörfer „umfaßten eine nicht eben große Zahl von
blutsverwandten Familien mit gemeinschaftlichem Hab und
Gut unter der patriarchalischen Leitung eines Geschlechtsältesten,
dessen Name zugleich zur Bezeichnung des Dorfes verwendet wurde ®).
Diesen Ausspinnungen halte ich entgegen, daß solche ON auf
-ice oder -ici (und -ic) ù) sich gar nicht auf eine Mehrheit von
Personen, sondern auf eine Einzelperson beziehen, obgleich
die Form grammatisch vielfach die pluralische ist 7). Nach den oben 8)
eingesetzten Beispielen erhielt der Ort Racsonovici seinen Namen
a nomine Raczon, aber nicht von dem Namen seiner Söhne und Nach-
kommen, welche sogar neben dem Bezeichneten erwähnt werden °);
der Aussteller der Verleihungsurkunde war doch wohl über den Sinn
des eben geschaffenen Namens urteilsfähig. Wythkowice ist genannt
nach dem Propst Vittus !) und deshalb zweifelsohne nicht in Rück-
1) Paul ist Lehnwort, Nemir mitaufgezählt in der Ukd. v. 1136 (Raczyński, cod.
Pol. a. o. S. 3, Z. 20).
2) Nach Wojc. selbst (S. 192) konnte der Besitzername bei jeder Veränderung der
Personen wieder verändert werden (zmieniano ja d. h. nazwę, za każdą zmianą osób),
und zwar cinige Jhdte. hindurch (przez kilka wieków).
3) Mik. 1, S. 2 (oben erwähnt),
4) Wojc. S. 307; dazu S. 162. 310.
5) Hey a. a. O., S. 4. Vgl. Mucke a. a. O., S. 64. Beyersdorf, Streifen,
S. 26. (Diese ON der Geschlechtssitze stammen noch „aus der Vorzeit der kommuni-
stischen Agrarverfassung ‘“.)
6) Die Endg. -ic ist der Sing., in Ukd. gew. -ig od. -itz, vgl. Mik. L, S, 2.
7) Vgl. lat. Tarquinii, Athenae; griech. Bovpsol, 49H war.
8) S. o S. 232.
9) Raczononis ..., eidem predicto comiti, filiis et posteris eius, ebd.
10) S. 0, S. 233.
— 235 —
sicht auf Nachkommen; ähnliches gilt von dem ON Jazsite, welcher
auf seinen Besitzer Jaxa allein zurückgehen kann, denn dieser Ritter
hatte nur zwei Söhne, der eine aber war Kleriker (clericus) !), so daß
für einen Nachkommen die Endung in der vermeintlichen Bedeu-
tung nicht paßt. Daß Negoslavic; (1210) nur „Dorf des Negoslaw ‘
bedeutet, zeigt der dafür gesetzte lateinische Ausdruck villa Negoslas
(Gen. v. -aus, latinisiert) 2. Auch ein Wald, in welchem ein Bauer
Glambo eine Rodung ausgeführt hatte, hieß von altersher Glambowitg
„nach dem Namen des genannten Bauern“). Unwidersprechlich
ist Botyzowce (Suff.: -ow-ice) nach keinem Blutsverwandten des Botyz
genannt, sondern nach ihm allein, da er die Gründung dieses
Dorfes in einem Walde den Deutschen in Pacht ausgab *), wodurch
die Ansiedlung entstand.
Bei der Unmöglichkeit, gegen solche ihn widerlegende Tatsachen
die Beziehung des -ice auf mehrere „Nachkommen“ aufrecht zu er-
halten, gebraucht Wojc. die Ausflucht, daß dies Suffix alsdann
„die Untertanen“) der betreffenden Person bezeichnen solle.
Diese sprachliche Erfindung hat sich nicht einmal Mik. erlaubt ®). Die
Endung (ov)-ici bezeichnet zwar in selbständigen PN (nicht in ON) 7)
1) Wojc, S. 252. Aus Stenzel, Heinrichau a. a. O.
2) Wojc. S. 251.
3) Wojc. S. 221 (aus Stenzel, a. o. S. 40/41), rusticus Glambo .. exstirpabat
¿llum locum ... Unde totus huius silve circuitus [nomine dicti rustici] antiquitus
vocabatur Glambowitz. Nach Wojc. natürlich sollen die Nachkommen des Glambo in
dem Namen bezeichnet sein, seine Söhne und Enkel werden bei ihm ausdrücklich als
Glabowice genannt. Aber die direkte Widerlegung seiner Theorie (daß -sce, oder hier
-witz, auf mehr Personen gehe) durch den Text selbst umgeht er, indem er die ihm
entgegenstehenden 3 Worte: nomine dicti rustici (aus Stenzels Ausgabe von
mir hier eingesetzt) in seirem Zitat unterdrückt. In gleichartiger Weise werden aus
der Stelle (Stenzel S. 45, Z. 3): sors (Grundstückteil) ¿Hla . . vocatur Glambovicz
ratione (rücksichtlich, wegen) heredum illius antiqui rustici [qui hoc nomine appella-
batur], quia (etc. Wojc. S. 223).. die 4 eingeklammerten Wörter und damit die aus-
gesprochene Beziehung auf eine Person als Unterlage des ON von Wojc entfernt, sodaß
vach dieser Ausschaltung allerdings Glambovicz „rücksichtlich der Erben“ so genannt
zu sein scheint. Der antigus rusticus ist Glumbo, s. Stenzel S. 42, Z. 14 u. S. 40,
Z. 15. — Mit diesen Handgriffen an dem überlieferten Text ist Wojc.s Theorie von
selbst verurteilt.
4) Wojc. S. 252. Ihnen wurden (1279) 17 Freijahre (ohne Abgaben an den Grafen
Botyz) gewährt, s. ebd.
5) Poddaní, Gen. = Acc. Pl. poddanych Wojc. S. 252 betrefis Raczonovici,
Jaxsits, S. 251 betrefis Negoslavich (wo dafür das Gesinde -cgeladZ- gesetzt wird).
6) Sein deutscher Ausdruck ist „Nachkommen“, Mik. I, 2 (schon erwähnt‘,
7) Wie eben nachgewiesen.
18
— 236 —
die Nachkommen, z. B. eine Gruppe von Bauern heißt Pyros-ovisch
nach ihrem gemeinsamen Großvater Pyros !), aber nicht blutsfremde
Untergebene, denn jenem Dorf Withkowice ?), früher Prandnyk, wurde
sein neuer Name inbezug auf den Propst Vittus beigelegt, jedoch
wegen der von diesem an seine Kirche gemachten Schenkung (ob
donationem), so daß der Name Wythkowice erst aufkam, als Vittus das
Dorf gar nicht mehr besaß, und demgemäß die Insassen nicht mehr
seine Untertanen waren®). Ich will hinzufügen, daß niedersorb.
Hartman-ojce (Endg. = owice, Kr. Lübben) *) und Richart-ojce (ebd.) 5)
weder auf die Sippe Hartmanns oder Richards weisen kann ô), da die
1) Pyrosovizci . .. dixerunt: (Gen.) avi nostri Pyrosonis, Wojc. S. 222 aus
Stenzel a. a. O., S. 42.
2) S. S. 233 Anm, 5.
3) Eine Anzahl von Stellen, in welchen Wojc. gerade den „klassischen Beweis“
(dowód klasyczny S. 212) für die Verwendung von pluralischen Verwandtschafisnamen als
ON sieht (dieselb. Stellen z. T. hervorgehoben bei Courtenay a. a. O., S. 88, Anm. ı,
Brückner a. a. O., S. 61, Hey, Sachs. S. 33 u. Lauenbg. S. 4) unterliegen bei ihm u.
den andern nur falscher Auffassung. a) Kostonowice cum villa eorum (1136) und
b) Jurewice cum villa eorum (Wojc. S. 213 aus Raczyfiski a. a. O., S. 2 u. 4, auch
bei Kosegarten, cod. Pomer. S. 29 u. 30). Der wiederholte Ausdruck „mit dem Dorf
derselben“ setzt durchaus nicht voraus, daß die Dörfer wie die Bewohner hießen, son-
dern der Dorfname ist nicht angegeben, mag er nun noch gefehlt haben oder nicht aus-
drücklich bezeichnet sein, denn unmittelbar vor Kostonowice steht die Wendung omnes
servi cum villis eorum, u. dahinter bis zur Erwähnung von Jurewice die zwei Hinweise
cum piscatoribus et villis eorum, cum rusticis et villis eorum, wobei stets die Dorf-
namen auch übergangen sind. — c) Dle Stelle: homines Belejevici (1241, Wojc. S. 214
aus Rzyszcz a, o. II, 31) bedeutet: Die Bewohner von dem Dorfe B., heute Bielewice,
auch nach der Anm. des Hsgebers = incolae villae Bielewice. Der ON steht im Gen.,
aber als polnischer Name im lat. Text undekliniert, wie es Regel ist. Seltene Ausn,,
s. bei Courtenay a. a. O. I, S. 94/95. Ganz ähnlich 1354 heredes de Povolovicze und
gleichbedeutend hereditas Povolovicze (Dorf) bei Rzyszcz. Il, S. 300. d) Bei 4 Dörfern
(Wojc. S. 216 aus 3 Urkd. des XII. Jhd.) folgt hinter den ON Unoch-ovici, Croth-ovici,
Silche, Grogess-evici als erster Name der aufgezählten Bauern: Unoch, Oroth, Silca,
Grogess. Wenn nicht bei der sehr großen Zahl anderer Fälle dieser Ukd. nur ein zu-
fälliges Zusammentreffen vorliegt (denn PN wiederholen sich aus unterschiedenen Dörfern,
z. B. Miley 4 mal innerhalb ı0 Zeilen. Raczyński a. a. O., S. 2, Z. 9—ı8, Radost
6 mal in ders. Ukd.), so könnte der ON höchstens auf einen Unoch, Croth usw. be-
zogen werden, entweder der vorangegangenen Zeit oder der Gegenwart, und zwar etwa
auf den bedeutendsten der Bauern. Später sind Dörfer auch nach dem Schulzen benannt
worden (s. Wojc. S. 235). Auf keinen Fall ist entgegen dem obigen festgegründeten
Beweis nun aus diesen letzten unsicheren Beisp. auf eine Herleitung der ON aus Familien-
oder Sippennamen zu schließen,
4) Deutsch „Hartmannsdorf“, Mucke, Sorb. Wbch. S. 9.
5) Deutsch ‚Reicherskreuz“, Zwahr, Wend. Wbch. S. 289.
6) Mucke teilt die Ansicht Wojc.'s von den Sippen- oder Verwandtschafts-
— 237 —
Unternehmer deutscher Neugründungen im Slawenlande Leute sogar
von allerlei Volksstämmen herbeizogen, noch bei der Freiheit solcher
deutschen Dörfer auf die Untertanen der Genannten.
Wie nun aus den ON auf -ice jene Enthüllungen über die An-
fänge slawischer Siedlung gemacht worden sind, so erhalten sie ihre
Fortsetzung aus denen auf -ow, -in und -j t) Die von Osten vor-
dringenden Slawen hatten schätzungsweise bis zum Jahre 600 die Elbe
und Saale erreicht ?). Seit dem X. Jahrhundert, so wird verkündet,
sei an Stelle des Kollektivbesitzes der Sippe der Einzelbesitz
der Person getreten und eine neue Schicht von Ortschaften, die Be-
sitzdörfer oder Rittersitze, entstanden, gekennzeichnet durch jene be-
sitzanzeigenden Suffixe (-ow, -in, -j))®). Die jüngste Schicht der sla-
wischen Ansiedlungen seien die Abbauorte, Abzweigungen sowohl
der Geschlechtssitze (1. Schicht) als der Besitzdörfer (2. Schicht), be-
stehend aus Einzelhäusern, Vorwerken u. dgl. und benannt nach Merk-
malen der Umgebung (Fluß, Berg, Wald, Feld) oder anderen Ver-
hältrissen des neuen Wohnsitzes 4). Diese sämtlichen Aufstellungen
mit geschichtlichem Inhalt über die Urzeit der slawischen Ansied-
gründungen der ON auf -owice, niedersorb. -ojce, obersorb. -ecy, s. E. Mucke, Nieder-
sorb. Grammatik (Lpz. 1891), S. 374. Schmaler, Die slawischen ON in der
Oberlausitz (Bautzen 1867), S. 6, hält es ebenso. Von obersorb. ON mit deutsch. PN
vgl. Herman-ecy = Hermsdorf, Hendrich-ecy = Hennersdorf (d. i. Heinrichsdorf),
ebd. S. 7. 8.
1) Da das angenommene Suff. -j in keinem Beleg der ON mehr vorhanden ist und
sich nur noch in der Erweichung des vorhergehenden Konsonanten zeigen soll (Mik. I,
S. 10. Wojc. S. 159, s. 0. S. 224), diese ’Erweichung aber durch andere Suffixe oder
willkürlich gemacht sein kann (worüber unten im Teil B), und da dies -j sogar oft
spurlos verschwunden sein soll (Beyersdorf IL Städtenamen, S. 92/93. 99), so kann
man dies Suffix überhaupt außer Rechnung setzen; ich halte die gedachte Anwendung
für irrig.
2) Die Zabl nach Quandt, Die Herkunft der baltischen Wenden (Baltische
Studien, Jbg. 24, S. 58— 59). |
3) Mucke, Neumk. S.64/65. Beyersdf. I, Streifen, S. 29. Wojc.S. 306 bis
307 u. a.
4) Beyersdf. I, S 35. Mucke, Neumk. S. 64. Beide trennen noch die von
ihnen vermeintlich herausgefundenen alten Burgorte, Festungen, als die ,, Garde“ ab
(poln. gród = Burg, mit Metathesis meist -gard in baltischer Küstengegend) und han-
deln ab nach dem festen Schema: 1. Garde, 2. Geschlechtssitze, 3. Besitzdörfer (oder
Ritt: rsitze), 4. Abbauorte (oder Neudörfer,, Fast ebenso die Einteilg. bei Hey,
Sachsen S. 4 u. Hey u. Schulze, Anhalt S. 3—5. Bei Wojc. s. S. 306/7. Eine
kleine Kulturgeschichte liefert aus seinen Deutungen der ON Mucke, Neumk. S. 90—92.
18*
— 238 —
lungen (VII. bis XI. Jhd.) !) auch in Ost- und Norddeutschland be-
ruhen auf weiter nichts als auf den Schlüssen aus den unsicheren,
nichtsverbürgenden Besitzsuffixen der ON und auf einigen ebenso un-
sicheren Annahmen der slawischen Rechtsgeschichtsforschung über die
slawische Urzeit. Über die ältesten Verfassungszustände nämlich bei
den Polen und den Slawen überhaupt fehlt jede direkte Quelle ?), aber
trotzdem hat sich, am meisten auf Grund gewisser Bestimmungen des
polnischen Erbrechts (des Rechts zu Rückkauf eines Besitztums auch
durch die entferntesten Verwandten bei seinem Verkauf u. a.) und der
serbisch-kroatischen Hauskommunionen (Gütergemeinschaft mehrerer
verwandter Haushaltungen unter einem Vorsteher) 8) die Ansicht
festgesetzt, daß „die slawischen Völker bei sich bis zum Ende
des X. und Anfang. des XI. Jahrhunderts kein Privat-
eigentum hatten; daß sie hingegen vordem nur Familieneigentum
(Geschlechtseigentum) in Gestalt des gemeinsamen Eigentums
kannten “ 4),
Dieser geschichtlichen Auffassung entsprechen aber in Pommern,
das zu Beginn der Urkundenzeit (um 1150) noch vollständig slawisch
ist, und in den slawischen Nachbarländern die Verhältnisse ganz und
gar nicht. Hier ist der Fürst (kneg) 5) in übertriebenstem Sinne , der
Staat selbst“, der nicht nur Ödland samt Wäldern und Flüssen ®),
sondern beliebige Dörfer mit allem Grund und Boden, samt Ge-
1) Erst nach 1100 werden die Ukd. reichlich, für Polen ist eine der ältesten die
oben S. 234 Anm. 1 erwähnte von 1136.
2) Roepell, Gesch. Polens I, S. 82. „Über die erste Gesch. (der Polen) nach
Einwandrg. gibt weder Gesch, noch Sage Nachricht, alles beruht auf Schlüssen aus spä-
terer Zeit und von andern slawischen Stämmen.“
3) Roepell ebd. S. 82—85, über die Hauskommunionen auch Schmaler,
Oberlaus. S. 6 (nach H. Jireček, Slaw. Recht in Böhmen u. Mähren, tschechisch,
auch übers.).
4) Wojc. S. 322: „Unsere Rechtskenner (prawozwawcey nasi) behaupten, daß
narody stowianskie nie mialy u siebie wlasnosci indiwidualnej az do końca 10° 5
początku 11° wieku; że zaś preediem znały tylko własność rodową w kstalcie
wlasnosci wspólnej.“ — Vgl. M. Wehrmann, Gesch. v. Pommern (1904) I, 33 („als
der Gemeinbesitz sich in Privateigentum verwandelte‘) u. vorher S, 31 über Familien-
genossenschaften “ und „Geschlechtsverband “,
5) Der einheimische Name ist überliefert 1174 in dem Wort kneze-granisa d. i.
Fürsten-grenze, Kosg. a. a. O., Nr. 36 (poln. książę, niedersorb. kněz, Lehnwort == abd,
kuning (König), s. Bernecker, Wbch,, a. a. O. I, S. 663).
6) Z. B. Schenkg. an das Kloster Dargun i. Meckl, (w. v. Demmin i. Pomm.)
1174 darch Kasimir I., Herz. v. Pomm., s. Kos. a. a. O., Nr. 36.
— 239 —
bäuden, Vieh und angesessenen Menschen verschenkt !) und sogar
schon Verschenktes zurücknimmt und anderswie darüber bestimmt ?).
Eine Anzahl von Dörfern ist schon Eigentum von Edelleuten geworden,
offenbar durch solche Verleihungen aus fürstlicher Allgewalt für irgend-
welche Verdienste 3), aber seine Oberhoheit und bleibendes Herrscher-
recht drückt sich aus in seiner Bestätigung bei Weitervergebungen 4).
Wenn nun alles pommersche Land 5) seit etwa 600 zuerst Gemein-
oder Geschlechterbesitz der eingewanderten Slawen, dann seit 1000
Einzelbesitz der Großen oder Sonderbesitz der Bauern gewesen wäre
(nach den Darbietungen der slawischen Sprach- und Geschichts-
forscher) —, wie konnte dann schon im XII. Jahrhundert ein Fürst
unumschränkt über jeden lebenden und toten Besitz €) seines Gebietes
verfügen? Nicht einmal der Einbruch eines fremden Volkes und
Fürsten in Pommern, wie etwa der Ostgoten in Italien oder der
Franken in Gallien, würde diesen schnellen Wechsel der Zustände,
die Aneignung alles Eigentums durch einen Herrscher im Laufe etwa
nur eines Jahrhunderts, crklären können. Es gibt keine begründete
Erklärung dafür, wie aus dem etwaigen Gemeinbesitz der Geschlechter
(kenntlich an den ON auf -ice) und dann dem Sonderbesitz der Großen
(ON auf -ow, -in) und der Bauern (in den „Abbauten‘“) so unvermit-
telt, so jählings und so allgemein der tatsächliche Allbesitz des Fürsten
hätte enıistehen können; daher muß die Voraussetzung dieser Besitz-
arten und ihrer Entwicklung sowie die darauf mitgestützte Erklärung
I) Ders. Kasimir I. schenkt 1170 dem Kloster Broda (bei d. späteren Neubranden-
burg i. Meckl.-Strel.) villas cum areis, edificiis, pascuis, mancipiis, Kos. S. 72. —
Wizlaw I. v. Rügen überweist der Kapelle zu Garz auf Rügen 1232 des Dorf Gagern
(Gawarne) cum hominibus et omni servicio...cum agris, pratis et silvis adjacenti-
bus, ebd. Nr. 196. — Dieselbe Verschenkung der Bewohner in Polen s. Wojc. S. 225.
2) Der Herzog Mestwin v. Pomerellen entzieht Güter (1290) wegen Hochverrats,
Perlbach Ukdbch. a, a. O. Die Schenkung eines Dorfes widerrufen vom Herzog Premi-
slaus II, v. Polen 1284 (dictos Lagenarios „Flaschenmacher“ . , haereditate . . pri-
vantes, und Donationem ejusdem villae . . penitus revocantes) Raczyhski a. a. O.,
Nr. 66.
3) Bei Hofe, im Kriege; für eine gute Nachricht das Dorf Drausnitz geschenkt v.
Hzg. Mestwin v. Pommerellen 1288, Perlb. a. a. O.
4) Z. B. bei Verkauf des Df. Bralin bei Dargun (Mecklb.) 1226 oder 1227, Kos.
S. 379, des Df. Dargebant (jetzt Darbein bei Dargun) 1241, Kos, S. 631/2.
5) Pommern zerfiel seit Anfg. der Überliefrg. in mehrere Herrschaftsgebiete.
6) Der slawische Bauer ist nur Inventar, er konnte auch an einen andern Ort ver-
setzt oder verpflanzt werden, wie es z, T. um deutscher Ansiedlungen willen geschah,
s. Kos, S. 313.
— 240 —
der ON der Besitzdörfer !) — als allgemeine Regel für die slawische
Vorzeit ?) — falsch sein ?).
In Pommern machen sich nun auch auffallende und grundsätzliche
Unterschiede der Namengebung gegen die bisher aus Polen mit-
geteilten Fälle geltend. Sind schon für Einzelpersonen die Geschlechts-
namen (auf -owic, -ic) verhältnismäßig selten $) (jeder Nachkomme trug
gewöhnlich einen neuen, besonderen Namen und nur einen 5), so
I) Miklosich (u. seine Anhänger) unterscheiden -sce als patronymisches Suff., -ow,
-in, -j als besitzanzeigende (s. o. S. 222). Auch -sce bezieht sich aber nur auf eine
Person (s. o.), ich nenne deshalb -ice, -ow, -in (-j) auch zusammen die Besitzsuffixe.
2) Die erwiesene Benennung der Orte nach Einzelpersonen aus den mitgeteilten
Beisp. des XIL/XII. Jhdts. (s. ob. S. 234) hat nur Gültigkeit für eine neuere Zeit, wie
ich im flgd. dartun werde.
3) Einen besseren Schluß auf die ersten Besitzverhältnisse in den slawischen Sied-
lungen scheinen mir die Abgaben und Lasten der Bauern an den Landesherrn zu
ermöglichen (Aufzählung bei Roepell a. a. O. S. 312—321, oft in Ukd., z.B. i.J. 1145
bei Rzyszcz, a. a. O. I, S. 2), und zwar die Naturallieferungen wie naraz (Abgabe in
Schlachtvieh) a. ossep (desgl. in Getreide). Diese müssen eine sehr alte Einrichtung sein,
weil der Fürst sie zu seinem persönlichen Unterhalt (und dem seines Hofes usw.) von
Anfang an brauchte, und weil sie früh in den Ukd. der Westslawen wenigstens, außer
Polen für Pommern, Elbland (Land der Polaben), Böhmen erwähnt werden (s. z. B. bei
Brückner S. 17, Anm. 37) die polabische Form -oz(z)op für 1135 u. 1164, Anm 38
fur Böhmen i. J. 1220). Diese weite Verbreitung weist auf uranfängliches Bestehen,
Solche Abgaben, deren Stetigkeit in Zahl und Maß Bedingung für das fürstliche Aus-
kommen war, waren nur möglich bei bestimmt und dauernd, nicht wechselnd zugeteilter
Nutznießang eines Landstückes (wobei Weiden und Wald sehr wohl gemeinsam sein
konnten). Nach Wojc, (S. 228 Anm.) gilt bei den poln. Archäologen u. Rechtsgelehrten
der Baner (kmieć) für eine uralte Sache (za prastarg rzecz) u. für einen freien Insassen
(za wolnego obywatela). Frei mögen die einwandernden Slawen bei ihrer Ankunft ge-
wesen sein, denn der Auszug eines ganzen Volkes von Geknechteten unter despotischen
Führern scheint wenig glaublich, aber wenn den freien Angesiedelten Einzel- oder Sonder-
höfe unter Auferlegung von Abgaben an den Fürsten und unter der Bestimmung der Un-
veräußerlichkeit überwiesen worden sind, so wären hiermit die ausreichenden Bedingungen
für die Ausbildung der schwersten, menschenunwürdigen Unfreiheit und Knechtschaft
gegeben, in der sich die slawischen Untertanen nachher befinden.
4) Man sehe die Indices bei Kosegarten a. a O. u. Perlbach a. a. O. für Pome-
rellen. Der ukd. Name Pomerania gilt zuerst für das Land zwischen der Weichsel und
der Leba, und ist erst später auf die heutige Prov. Pomm. übertragen. — Ein Pantinus
1235 (Kos. S. 491) heißt auch Pantinus Stephaniwiz „Sohn des Stephan “ 1237 (Kos.
S. 535). — Die Endg. -ic od. -ovic (-evic) bezeichnet sonst oft den Sohn eines Beamten
oder einer Person anderen Standes, z. B. poln. kröl-ewic Königssohn, kasztelan-ic Sohn
des Kastellans; Zusammenstellg. v. B. bei Courtenay a. a. O. I, S. 91.
5) 1136 Bauer Radost, cui primogenitus Rpis Kos. S. 29). Noch um 1300
(1306) werden die Söhne des: mächtigen Palatins (Kriegsobersten) Swenso von Danzig
nur bezeichnet als Petrus filius Swence u. Laurentius filius Swence (Perlb S. 573),
wie sie sich auch selbst nur nennen (1308 mit dem 3. Sohn Jasco, Pb, S. 581 u. 1313
— 241 —
bildet die Gesamtbezeichnung einer ganzen Verwandtschaft wie Wol-
tamwitz !), Zetislavici ?) eine derartige Ausnahme, daß der auch an-
gewendete Zusatz dicti „die sogenannten‘ das Neue und Ungewöhn-
liche dieses Sprachgebrauchs anzeigt 8). Beobachten wir einige Ge-
legenheiten zur Namenverleihung in Pommern! Da ist ein Edler Ma-
lach im Besitz eines Dorfes *), in Polen hätte er es wohl leicht Ma-
lach-ow oder Malach-in oder Malach-ice (itz) nach sich genannt, aber
in Pommern hapert die Sache, zur Bezeichnung seines Sitzes braucht
man 1174 die umständliche Angabe: villa, in qua habitabat Malach 5),
während 1173 die harte Verbindung villam Malach (der PN als Gen.) ®)
gesetzt war. Das „Dorf Sambor’s“, 1240 Samborii villa!) hat eine
slawische Endung — (für einen Polen hätte nahe gelegen Sambor-iz,
Sambor-owis) — nicht erlangen können, im Deutschen wurde es Som-
mers-dorf®). Der villa Sumeke (Df. d. S.) 1242, die dem in derselben
bei Pb. S. 618). Die Bezeichnung dieses berühmten Geschlechts als der „Swenzitzen‘*
.od. „Swenzonen‘“ stammt nicht von ihnen selbst oder den Zeitgenossen. Sogar der
Sohn des Laurentius heißt nur iunior Zwentse (1313, Pb. S. 618) ohne patronymische
Endg., aber nach dem Namen seines Großvaters. Diese Namenerinnerung kommt auch
sonst vor.
1) 1292 flid Woltami (Gen.) Miloslaus, Domko et Conradus, u. nach 3 Zeilen:
predicti fratres Woltamwitz (Pb. S. 441). |
2) 1240 heredum, qui vocantur Zetrslavici, Kos. S. 597, berichtigt in Zetizlavict
PU I, Nr. 253 (Pomm. Ukdbch.); auch Barchil et Johannes fratres dicti Sabekevic
1282 sprechen von ihrem Vater Sabik (Kos. S. 662). — Diese Patronymika dienen nicht
zur Verherrlichung des Geschlechts, sondern zur Unterscheidung von Gleichbenannten, so
aufgezählt die Zeugen Nicolaus Wolcowis ... Nicolaus Trebezlavitz 1240 (Kos Nr. 279).
3) Noch deutlicher tritt die Neuheit der Bildung mit dem sg. dietus hervor, so
Cesslaus dictus Wirsnoviz (Pb. 1288), Bugislaus dictus Dummeradewitz (Pb. S. 381).
Domazlai (Gen.) dicti (Gen.) Chrozlig (1304, Pb. S. 555) u. ö. Über die Bedeutung
des dictus vgl. 1320 domina dicta Hogheward-esche, d.i. die Hoghewa:d-ische in dem
Sinne von „Fran des Hogheward“, was eine so ungewöhnliche, hier deutsche Ausdrucks-
weise ist, daß darauf durch „die sogenannte“ (dicta) hingewiesen wird (Fabric., Rüg.
Nr. 808a, Bd. IV, S. sı B).
4) Oder eines Einzelhofes (Gutes), da villa auch von solchen Besitzungen gebraucht
wird Die slawischen village waren oft sehr klein, manchmal dann nur mit 2 Besitzern,
5) Kos. S. 92. Im Text steht villa im Gen, (ville). Ebenso nochmals 1219 (Kos.
S. 293) ville, in qua habitabat Malach.
6) Ebd. S. 87. Daß Malach als Gen. zu nehmen ist, ergibt sich aus Dorfbezeich-
nungen wie villa Craconis, villa Batwardi, villa Wiferi 1231 (Kos. S. 426) mit
latinisierten PN. Polnische Formen bleiben undekliniert, s. o. S. 236 Anm. 3.
7) Kos. S. 620 u. Anm.
8) Bei der Stadt Penkun, Kr. Randow i. Pomm. — Die versuchte lateinische Bil-
dung Sambur-ia 1258 für Pelplin (Kloster i. Westpreuß., Kr. Dirschau, Marktflecken,
s. Perlb.) nach einem Herzog Sambor v. Pomm. erhielt sich nicht.
— 42 —
Urkunde genannten Zeugen gleichen Namens gehört haben wird !),
bleibt auch ein slawisches Suffix versagt, nachher (1284) hilft ein
deutscher Zusatz zu der Form Sumekendorp ?). Die leichtverwendbaren
slawischen Besitzsufixe müssen den Beteiligten für ihren Zweck nicht
passend erschienen sein. Sogar slawische Gründer von Ortschaften
gebrauchen diese Sprachmittel nicht und geraten auf deutsche Zusätze
zu PN, besonders auf -hagen $). Die Edlen Gobelo und Keding, sogar
der dem rügenschen Fürstenhause angehörige Borante schaffen sich die
ON Gobelen-hagen, Kedinghe-hagen, Boranten-hagen t). Dies geschieht
zu einer Zvit, da die Volkssprache der pommerschen Slawen trotz der
niederdeutschen Zuzüge noch das Slawische war) und auch andere
neuentstandene Dörfer einen Namen mit slawischer Bildungsweise er-
halten. So nennt eine Urkunde von 1255 die novas villas Recow,
Reptowe, . . Siliglawe .. Gardina .. Belitz, im ganzen 15 mit slawischen,
nur 2 mit deutschen Namen ê), obgleich insgesamt der größte Anteil
I) Kos. S. 660: Martinus et Sumeke fratres. Der Name Sumeke (ein Deminu-
tivum) ist slaw., vgl. PN Sluweke, filius Tessemari (Fabricius, Rügen, a. O. Nr. 808 a);
dazu Ritter Sume (ebd. Nr. 499).
2) PU I. Bd., j. Zimkendorf, Kr. Franzburg (Rittergut).
3) Auf dem Gebiet des Klosters Hilda (j. Eidena b. Greifswald) werden 1248
eine Reihe deutscher Gründungen auf -hagen aufgezählt, darunter Johanneshagen (j. Hans-
hagen), Henrikeshagen (j. Hinrichshagen), s. Kos. S. 826/28.
4) Gobelo 1281 als Zeuge des Herzogs Bogislaw IV. PU II, Nr. 1220), Gobelen-
hagen 1281 (ebd. Nr. 1222); Lodwicus Keding in dems. Verhältnis 1282 (PU Nr. 1227),
Kedinghehaghene 1265 (Fabricius, Rügen, Nr. 125); Borante de Borantenhagen (j.
Brandshagen b. Stralsund) 1249 (Kos. S. 857).
5) S. Kos. S 753 für d. J. 1246. — Die einheimische Sprache hat nur allgemein
die slawische geheißen ohne Zweignamen, z. B. stagnum (See), quod sclavice dicitur
Dambnio (ein Eigenname) 1174 in Ukd. v. Dargun (h. i. Mecklbg.) s. Kos. S. 91. Auf
Rügen erwähnt villa, que sclavica lingwa Cyzeradiz nuncupatur 1306, Fab., Rüg.,
Nr. 559. (Die Zählung der Regesten-Nr, ist bei Fabricius fortlaufend durch alle 4 Bde.)
6) PU U, Nr. 608, Besitzungen des Klosters Colbatz. Die ı7 ON sind voll-
ständig: Recow, Reptowe, Doberpul, Oruch, Sicznowe, Damne, Jazinza, Glina,
Sılizlawe, Bynowe, Kulowe, Piascenza, Clebowe, Gardina, Schoneveli, Woltersdorp,
Belitz. (Diese Dörfer, von welchen einige eingegangen sind, liegen um Colbatz herum,
meist nach Greifenhagen hin); das zweit- und drittletzte Df. haben deutsche Namen,
Woltersdorp hieß ırüher slaw. Zipberese PU Nr. 666, schon 1243 erwähnt (PU L, S. 181).
Ein PN ist Silizlawe, die andern kommen von SN, leicht erkennbar Dober-pul = Gnt-
feld) (b. Dobberphul). dann Sicznowe == Fichtenort (vergg., z. poln. sosna), Damne =
Eichen-ort (h. Hofdamm), Jazinga zu poln. jasion „Esche“ (vgg.), Glina (Lehm-ort
(b. Glien), Kulowe Heide-ort zu niedersorb. göla (= Heide) (h. Kolow), Piascenza
z. poln. piasek (= Sand) (vgg.), Gardina z. p. góra (= Berg) (Endg. -d-in-a), h.
Garden (in einer Schlucht, also zu Füßen von Bergzügen, nach gefi. Mittlg. des Herrn
P. Schewe in Sinzlow). Belitz z. poln. biały, nsb. běły „weiß“ (vom Erdboden, h.
— 243 —
an diesen Sitzen den Deutschen zugefallen sein mag. Sämtliche er-
kennbaren Besitzsuffixe (-ına als fem.) sind in diesen neuen ON ver-
wertet, aber irgendeine Beziehung der Grundwörter derselben auf einen
in den damaligen Urkunden der pommerschen Fürsten genannten sla-
wischen Ritter ist nicht nachgewiesen und schwerlich nachweisbar,
ausgenommen in Silislawe (h. Sinzlow), welches den PN Sulislaw !)
enthält. Für die Anhängung des Suffixes -ice an PN sind erst Spuren
und Anfänge in dieser Zeit vorhanden, z.B. in Miroslav-ece 1180 ?) aus
PN Miroslaw 8), auch für Sinzlow selbst, von welchem die ältesten
Formen Zelislav-iz (um 1180) und [ZJiliselav-ie (1187) lauten, später
ohne -ie, aber dafür mit -e 4), welcher Ausgang hinter PN auf -slaw
(ON -slawe) zur Eigentümlichkeit wurde 5). Die vorgeführten Fälle er-
geben m. E., daß in dieser ersten Urkundenzeit Pommerns der Ge-
brauch der patronymischen PN sowohl für den einzelnen als für Ge-
schlechtsgemeinschaften noch die Ungewöhnlichkeit für diese Zeit verrät,
und daß in der Art der Verknüpfungen von slaw. PN mit ON noch
Unbeholfenheit und Hilflosigkeit gegenüber den slawischen Sprach-
mitteln liegt, weshalb nicht nur die Anwendung der Patronymika für
sich, sondern auch die Bildung der ON aus PN in Pommern erst
einer neueren Zeit, nicht der Urzeit der dortigen Ansiedlungen an-
gehören kann 6).
Beelitz); Zipberese z. poln. dobry (= gut) drawenisch (bannöversches Wendland) dibber
mit Erweichg. des Anlauts. Auch die übrigen dieser 17 ON erklären sich aus Laut-
wandelungen, worüber der spätere positive Teil näheres bringen wird.
1) So als ON angeführt bei Mik. I, Nr. 305. Der latinisierte PN Sulislaus bei
Kos. (Index) von 10 Pers.
2) Kos. S. 70.
3) Bei Kos. (Index) 3 Pers. dieses Namens,
4) Die Belege für Sinzlow in PU Nr. 80. 110 u. später, 1235 Cilizlowe, 1236
Silizlave. — Aus der frühen Nennung von Sinzlow um 1180 ist zu ersehen, daß die
„neuen“ Dörfer v. 1255 einem längeren Zeitraum der Neugründungen angehören.
5) Ein Df. Sulislawe auch b. Zuckau, Wprß. (vergg.), s. Kos. S. 215; Gustislawe
1226 zu PN Gustizlaw (Kos,); Thetzlawe 1245 (Kos. S. 729, Df. bei Treptow a. T.);
Stoislawe 1305 (Kos. S. 217), vgl. oben S. 232 u. a. — Grammatisch ist die Endg. -e
als pluralisch zu nehmen (vgl. Mikl. I, S. 6/7 u. o. S. 232 Anm. 4) zur Bildung eines
Plurale tantum.
6) Daß die slawische Sprache damals noch Gestaltungskraft besaß und nicbt schon
von der deutschen unterdrückt war, geht auch aus den nachweisbaren Neubildungen
rügischer ON auf -itze in späterer Zeit hervor, z. B. Ubechel 1294 (PN), 1314 Übechl-
evitze ON (Roeskilder Matrikel, bei Dähnert, Pommersche Bibliothek, Bd. IV (S. 55),
1755, u. Fabric., Rügen, Nr. 672, Bd. IV, S. 40 A, der Name ist vergg.); Zlaweke 1320
PN (Fabr. Nr. 808a Bd. IV, S. 50) u. Slawek-evig 1307 ON (Fabr. Nr. 569). Auf
Rügen gerade scheint die Benennung von Gehöften nach dem Namen des Besitzers mittels
— 244 —
Eine auffallende Bestätigung dieser Ansicht findet sich in Polen,
wo bei den Kurpiern, die ein bedeutendes Stück Masowiens ein-
nehmen !), nach Wojciechowski unter 45 8 Dörfern nur 3 patronymische
sind ?); also gerade jene Gruppe der aus PN gebildeten ON, die er
für die allerälteste ansieht ?), fehlt hier, und zwar gänzlich bei anderer
Erklärung der drei Ausnahmen, so daß auch bei den Kurpiern anfangs
(bis zum X./XI. Jhd.) 4) keine ON von PN abgeleitet zu sein scheinen.
Ähnlich sei es in ganz Masowien und Podlachien 5), und überhaupt
seien „die patronymischen Namen, (obgleich) so dicht in einigen
Gegenden des Slawenlandes, gänzlich unbekannt in anderen“ 6). Man
wird diese allgemeinen Angaben Wojc.s gelten lassen dürfen, die mit
den anderen genaueren Befunden übereinstimmen, und feststellen
können, daß die Herrichtung von ON aus PN in unterschiedenen
Gegenden des slawischen Sprachgebiets sich zu gleicher Zeit auf ver-
schiedenen Stufen der Entwicklung befindet, daß im XIL/XIII. Jahr-
hundert diese Ableitung in Polen im allgemeinen in ziemlicher Blüte
steht 7), in Pommern erst im Keim und Anfang steckt, bei den Kur-
piern aber, einem besonderen Teil Polens, sowie in Masowien und
Podlachien überhaupt, dazu auch in anderen slawischen Bezirken noch
nicht zum Leben gekommen ist. Wenn nun beachtet wird, daß jene
polnische Namengebung (abgesehen von äußerst spärlichen Fällen der
Neugründungen ®)) durch die neuen Personalnamen der Orte deren
der Suf. -itze oder -evitze später in Schwang gekommen zu sein, diese Gehöftnamen
sind aber nur z, T. erhalten; z. B. Clementovitse 1321 (Fab. Nr. 827) = h. Clementel-
vitz, Vorwerk bei Lancken, dazu PN Razlaf Clementevitz 1316 (Fab. Nr. 703), doch schon
ein Patronymikon; in dieser Zeit kommen schon bleibende Familiennamen auf, zu denen
ein Vorname gesetzt wird.
1) Wojc. S. 271 u Kurpiow, którzy zajmują znaceny kawał Mazowssa.
2) Ebd. S. 269. Die 3 Df. sind: Ploszyce, Dąbrowice, Knurowice, von welchen
mindestens die beiden ersten leicht aus Sachnamen (poln. bloto = Sumpf), dąbrowa
(= Eichwald) sich erklären, mit nachweisbarem Lautwandel auch das dritte.
3) S. o. S. 234.
4) Als die Rittersitze auf -ow u. -in angeblich entstanden, s. o. S. 237.
5) Wojc. S. 269: na calem Mazowszu i Podlasiu (Podlachien ö. Warschau jen-
seits vom Bug, Masowien n. vom untern Bug u. westlich anschließender Weichselstrecke,
6) Wojc. S. 320: nazwy patronymiczne, tak gęste w jednych stronach sło-
wiańszczyzny, 84 calkiem nieznane w innych (wo weder jetzt noch vordem es jemals
welche gab), gdzie ani teraz ani przedtem nigdy ich nie było. Im folgdn. (S. 321 f.)
sucht sich Wojc. mit diesem Widerspruch abzufinden, aber unwirksam.
7) S. o. S. 232 ff.
8) S. 0, S. 233 Anm, ı,
— 245 —
ältere Bezeichnungen einer ganz anderen Art!) beseitigt, so kann
m. E. der Schluß nicht umgangen werden, daß ursprünglich die ON
der slawischen Siedlungen überhaupt nicht von PN gebildet wurden,
und daß die Benutzung von PN zu diesem Zweck erst später, und
zwar sehr stark in Polen, aufgekommen ist. Unter diesen Umständen
wird der Sprachbestand des Altbulgarischen zu einer schlagenden Be-
stätigung. Während schon in dem pommerschen Slawisch des XII. und
XIII. Jahrhunderts sich die aus Eigennamen hergestellten Patronymika
(auf -i2) als etwas Neuartiges kundtun ?2), so fehlen sie im Altbul-
garischen (seit Mitte des IX. Jhd.) noch vollständig ë), obgleich das
entsprechende patronymische Suffix für Appellativa schon verwendet
wird 4) und Gelegenheit zu solchen Bildungen aus Eigennamen bei
den Übersetzungen selbst nur des Neuen Testaments reichlich war.
Sind die Patronymika von -individuellen PN somit als eine Neuheit
der slawischen Sprachformen anzusehen, so fällt dadurch jede Mög-
lichkeit weg, aus ihnen schon im Anfang der slawischen Siedlungen
eine Unterlage für ON zu machen. Der Grund aber für jene polnische
Eigentümlichkeit der vielfachen Verflechtung der PN mit den ON
scheint mir nicht fern zu liegen. Durch die Thronstreitigkeiten schon
des XI. und XII. Jahrhunderts und die ununterbrochenen Kriegszüge
nach Osten und Westen waren die polnischen Adligen übermächtig
geworden, so daß sie neben dem Fürsten und der Kirche die ein-
zigen Herren von allem Grund und Boden 5), der ihnen vielfach auch
für geleistete Dienste verliehen wurde, gegenüber der unfreien Volks-
masse waren. Das Recht ihres Besitzes drückte sich stetig und kräftig
dadurch aus, daß ihr persönlicher Name statt des bisherigen volks-
tümlichen der Ortschaft „auferlegt‘“ war 6). Auch das benutzte Vor-
bild für den sich weiter verbreitenden Gebrauch dürfte kenntlich ge-
I) Soweit nicht auch der eben abgelöste Besitzer schon seinen Namen dem Dorf
aufgezwungen hatte; so ist der Dorfname Domslavicz, hersıammend von seinem Besitzer
Domislaus, durch den ersten Nachfolger, dessen eigenen Sohn Lr.cas, geändert in
Lucaschovicz. Aus d. J. 1306, bei Wojc. S. 216/17. (Heute schles. Df. Donslau, Kr.
Breslau, mit Wiedereinsetzung des früheren Namens.) Der alte Name Glynky für
Obyeczanovo (s. o. S. 233) leitet sich deutlich ab von poln, glina (= Lehm).
2) S. o. S. 241 fl.
3) Diese zusammenfassende Kenntnis und Beobachtung, die wohl aus keinem Buche
zu erlangen war, danke ich der liebenswürdigen briefl, Mitteilg. des Herrn Prof, Le-
skien-Leipzig, Verfassers der altbulgarischen Grammatik.
4) Leskien a, a. O., S. 79. Vgl. o. S. 222.
5) Roepell a. a. O. L S. 305 - 307 u. vorher.
6) S. o. S. 232. (Prandota) nomen suum ville imposuit.
— 246 —
nug sein, nämlich das deutsche; die westliche Berührung von der Elbe
und der Saale her bestand von jeher sowohl durch friedlichen Ver-
kehr als durch Kriege, dann durch deutsche Kolonien im Slawen-
lande, auch in Polen !), Das Verhältnis von ON zueinander wie Hen-
rikes-hagen und Henryk-ow (Heinrich-ow) ?) oder Albreckis-dorp und
Albrecht-ice 3), Albrecht-ovo $) erscheint als offenbare Nachahmung; in
deutsch Hartmanns-dorf und nsb. Hartman-ojce, deutsch Henners- oder
Heinrichs-dorf und obs. Hendrich-ecy 5) liegt unmittelbare Einsetzung
des slawischen Suffixes für den deutschen Ausgang (Ortsbegriff) vor.
Bei Annahme dieser Abhängigkeit wäre die Einführung der PN in
slawische ON als etwa gleichzeitig der deutschen Kolonisation zu
setzen ®).
Auch abgesehen von der wahrscheinlichen Entlehnung der Bil-
dungsweise ist zufolge dieser Ausführungen die Hauptmenge der ON
auf -0w, -in, -ice als alt und ursprünglich, als lange vor dem XII. und
XIII. Jahrhundert entstanden anzusehen und ihnen die Beziehung auf
PN abzusprechen. Die Zahl der personalen ON, welche nur
Umbenennungen der alten Namen oder Neubezeichnungen der jüngeren
und jüngsten Zeit sind, wird schätzungsweise von den vermeintlichen
60 Prozent auf einige Prozent oder noch darunter sinken, so in
Pommern und Mecklenburg, und in der Mark Brandenburg wenigstens
wird noch nicht ein Prozent bleiben ”). Zum augenscheinlichen Be-
1) Roepell I, S. 570-- 585. Der poln. Adel ist an der neuen Besiedlung äußerst
wenig beteiligt (S. 584/5), für ı Df. s. oben S. 233 Anm. 1 u. S. 235, er belegt aber
alte Dörfer mit neuen PN seiner Mitglieder.
2) S o. 5.242 Anm. 3 u. Wojc. 5. 219 (Name des Klosters Heinrichau i. Schles.).
3) Riedel, cod. Brdb. und „Albrechtsdorf‘‘ (Index) u. o. S. 231.
4) Wojc. S. 245, J. 1234.
5) S. o. S. 236 Anm. 6.
6) Zu unterscheiden sind hiervon diejenigen ON, welche nicht den Ein. elnamen
einer Person, sondern die Standes- oder Berufsbezeichnung der Angesiedelten im
Plaral enthalten. z. B. Conare ,„Pferdebüter“ v. poln. koń (= Pferd) (Woje S 263
villam Tropisov.. de qua homines nostros, qui Cona. e dicuntur, .. educentes partim
in villam super Rabam, que dicitur Conare . . transtulimus, Ukd. v. 1243). Diese
„Dienstansiedlungen“ (osady służebne, Wojc. S. 257—267) sind ein eigentümlicher
Ausdruck der polnischen Dienstbarkeit. — Auf Rügen werden Aneg-itze „fürstliche
Dienstleute‘‘ 1319 im Df. Bessin erwähnt (Fabr., Rügen IV, Nr. 790) u. ebenso 1294
in dem vergg. Df. Gnysitze in der Vogtei Patzig (Roeskilder Matrikel S. 48, s. o. S. 243
Anm. 6), welches deshalb auch ein solches vereinzeltes Berufsdorf gewesen sein wird.
7) Die genannten Gebiete habe ich untersucht. Stellenweise kann der Prozentsatz
höher sein, z. B. auf Rügen infolge einer Flut von neuen Gehöftnsmen um 1300, vgl.
o. S. 243 Anm. 6. — Ein äußerliches Kennzeichen der enthaltenen PN ist die große
Länge der ON (4—6 Silben meist), denn die PN an sich haben gewöhnlich schon 2—4
— 247 —
weis, wie wenig Wahrheit in der Personaltheorie enthalten sein muß,
hebe ich noch aus dem cod. Pomer. (Kos.) diejenigen pommerschen
ON auf -ig (ice), -ow und -in heraus, die sich von gora (= Berg) un-
mittelbar oder durch Ablaut (0: a und e)!) und Lautverschiebung
(g: k [e] und ch) ?) ableiten lassen. Trotz der patronymischen und
der besitzanzeigenden Endungen stimmt die örtliche Lage zufolge der
Landkarte 3) durchweg zu dem SN „Berg“, und es ist auf Grund der
gegenwärtigen Anschauung von jeder Beziehung auf eine Person mit
dem Namensstamm gor- abzusehen, mag dieser vermeintliche Personal-
stamm nun als gora (= Berg) oder, wie Miklosich will 4), als gor
(= Brand) genommen werden 5).
Silben, dagegen sind die Stämme der SN fast nur einsilbig, sodaß auch mit Doppelsuffix
und (häufiger) Präposition die ON fast nur 2— 3, auch I Silbe zeigen. (Die Liste der
SN in Mik. II bedarf weitgehender Kürzung, worüber s. unten B). Bei der Neuheit der
personalen ON liegt die Möglichkeit und die Aufgabe vor, die bestimmte einzelne Person
oder das Vorkommen des Namens in der betreffenden Gegend und Zeit nachzuweisen
(unter den vielen Zeugen der reichen Urkd., in Namenregistern), vgl. Ohnesorges For-
derung oben S. 231 Anm. 2. Für Pommern lassen sich bis jetzt von PN keine andern
Neubildungen als die auf -ice (-itze, ece) und die auf -e von PN auf -slaw (also -slawe)
nachweisen; für alle Ableitungen von PN durch die Saff. -ow u. -in oder gar ohne Suffix
besteht daher hier von vornherein größter Zweifel der Richtigkeit, für Mecklenburg gilt
dasselbe, weil damals die slawische Sprache in den baltischen Gebieten jedenfalls noch
die gleiche war (nach Adam von Bremen II, 18, um 1075).
1) Für das Ablautsverhältnis s. z, B. 1248 Goreden u. Gordin, 1301 Gardyn,
jetzt Df. Gerdin bei Dirschau, Wprß. (Pb).
2) Z. B. 1281 Garin, 1294 Charino, jetzt Df. Kargin bei Stolp (Stadt in
Pomm.) (Pb)
3) Die Orte sind: Carnin 1242, ebs. jetzt (Kr. Franzbg ); Caruwa b. Stettin um
1190, wahrschein]. j. Kurow a./O.; Kartlow 1243, j. Cartlow (Kr. Kammin, mit mehr-
teiliger Endg.; mit gleicher Lage Cartlow, Kr. Demmin, u. Kar low, Kr. Schivelbein);
Charnetiz [1186], j. wohl Karzig auf Ins. Wollin; Charua od. Carow 1193, j. Carow
auf Rügen; Gartsin = j. Garchen (Kr. Kolberg-Körlin); Gardne 1235 u. Gardina
1255, j. Garden (Kr. Greitenhg., s. v. S. 242 Anm. 6), Gharin um 1220, j. Garrin (Kr.
Kolb.-Körl.,, Jorewino 1224, j. Gervin (im selb. Kr), Gorne 1185 u. Gorin 1187, j.
Gornow (Kr. Greifhg.). — Ich benutzte besds. die einzelnen Blätter der „topographisch.
Spezialkarte von Mittel-Europa““ der Kgl. Preuß. Landesaufnahme, Verlag von R. Eisen-
schmidt, Berlin.
4) S o. S. 223.
5) Nachdem in dieser Abhandlung, wie ich hoffe, überzeugend nachgewiesen ist,
daß die Ableitung der slawischen Ortsnamen von Personennamen als Regel nicht hin-
gestellt werden darf, bin ich den Lesern den positiven Beweis schuldig, wie die sla-
wischen Ortsnamen gewöhnlich gebildet sind. Diese Darlegungen sind einem späteren
Aufsatze vorbehalten, wenn sich auch über den Zeitpunkt des Erscheinens jetzt keine
bestimmte Angabe machen läßt.
— 248 —
Zum Itinerar Kaiser Gratians im Jahre
379 n. Chr.
Von
Ludwig Steinberger (München)
Für die Feststellung des Weges, auf welchem Kaiser Gratian im
Jahre 379 von Sirmium, dem heutigen Mitrovica in Slavonien !), nach
Trier gereist ist?), stehen als Quellen nur die in den Codex Theo-
dosianus aufgenommenen Erlasse des Kaisers und die weihrauchduftende
Dankrede, welche der Rhetor Ausonius bei Niederlegung des Kon-
sulates in Trier an Gratian gerichtet hat, der Forschung zu Gebote.
Wenn dieselbe in der bewußten Hinsicht zu widersprechenden Ergeb-
nissen gelangte, so trägt daran die verschiedene Art und Weise die
Schuld, wie man drei offenkundige Überlieferungsfehler des Codex
Theodosianus zu heilen trachtete: Gratian soll Non. Apr. = April 5
in Trevfiris), prid. Non. Aug. = August 4 in Triverim, XIII Kal.
Sept. = August 19 in Bauxare geweilt haben. Es verlohnt sich viel-
leicht, den Komplex von Fragen, die hierin beschlossen liegen, noch
einmal zu überprüfen.
Den Anlaß zur Reise des Kaisers bot nach den übereinstimmen-
den Berichten 3) des Sokrates, Sozomenos und Zosimost) ein Einfall
1) Vgl. F.Lübker, Reallexikon des klassischen Altertums® ed. J. Geficken und
E. Ziebarth (Leipzig Berlin 1914), S. 954.
2) Th.Mommsen in Theodosiani libri X VI, Bd. 1, ı (Berolini 1905), S. CCLV f. —
O. Seeck bei Pauly-Kroll, Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissen-
schaft VII, 2 (Stuttgart 1912) Sp. 1837f. und ders., Geschichte des Untergangs der
antiken Welt V (Berlin 1913), S. 480. — O. Menghin, Zum Itinerar Kaiser Gra-
tians im Jahre 379, in den Deutschen Geschichtsblättern XIV (Gotha 1913), S. 301 ff,
3) Teilweise Zusammenstellung derselben bei A, Riese, Das rheinische Germanien
in der antiken Literatur (Leipzig 1892), S. 326f. (XI, 16), — Vgl. auch Seeck
a. a. O. V, 480,
4) Sokrates, Historia ecclesiastica V, 6 (Migne, Patr. graec. LXVII, 572). —
Sozomenos, Hist. eccles. VIL, 2. u. 4 (Migne a. a. O. 1420, 1422). — Zosimos,
Historia nova IV, 24, 4 (ed. L. Mendelssohn, Lipsiae 1897, S. 179 f.). Wenn Sozomenos
und Zosimos von doneea Tałatrðv bezw. von Taldras ol čanéotoi reden, so geschieht
das nur, um diese westlichen Taldras, die Gallier Galliens, von den östlichen Taldras,
den Galatern des kleinasiatischen Galatien, der Tularla ġ &u,a (Appian. Bell. civ. I, 49
in Appiani Historia Romana rec. L. Mendelssohn, ed. altera curante P. Viereck II,
Lipsiae 1905, S. 185, angeführt von Bürchner bei Pauly-Wissowa-Kroll, Real-
enzyklopädie VII, 1, Stuttgart 1910, Sp. 520) zu unterscheiden. Später geriet dieser Sinn
des Zusatzes „westlich“ in Vergessenheit: bei Otto v. Freising, Gesta Friderici I, 39
(nicht 40) und II, 3 (ed. R. Wilmans in Mon. Germ, SS, XX, 372 Z. 12 u. 391 Z. 46;
— 249 —
alamannischer Scharen in Gallien!). Fraglich bleibt dabei zunächst
nur, ob und inwieweit der Kaiser selbst an den dadurch hervorgerufenen
kriegerischen Operationen beteiligt war. Da schreibt dann nun der
Kirchenhistoriker Sozomenos: Öri de Todrov tòv xodvov Igarıavöc
uèv ètre tõv noös Eorıegav Talarav Önd Ahauavvõðv Taparrousvam Erri
TÀ nareyar Av&orgews uoigav ... narwosoüro ÖÈ xarà yraunvy atto
Ta sceög Tovrovg?).. Die Rückkehr in den väterlichen Anteil, d. h. in
den aus Gallien, Spanien, Britannien, Italien, Illyricum und Afrika be-
stehenden Westen des Reiches, welchen Gratians Vater Valentinian I.
(t 375 Nov. 17) beherrscht hatte®), war spätestens am 2. Juli, wo wir
den Kaiser in Aquileia antreffen*), oder falls es gelingen sollte, das
Trev(iris) vom 5. April5) im Westreiche, jedoch an einem anderen
Orte als in Trier unterzubringen, schon an diesem Datum vollendet.
Sie braucht ihn daher ebensowenig mit Notwendigkeit bis auf den
römisch-alamannischen Kriegsschauplatz geführt zu haben, als sich aus
dem ziemlich farblosen xarwesodro de xarà yrwunm att Ta rreg
tovrovg ein persönliches Eingreifen des Kaisers in die dortigen Kämpfe
zwingend erschließen läßt. Und wenn Sokrates erzählt‘): x«i Iga-
zuavög usv eüFög èni ts Talhiaç &ywgsı, Alauavðv xatatrgeyóvtwv
tv xel xweav, so haben wir keinerlei Recht das söIög auf etwas
weiteres als den Zeitpunkt des Aufbruches (von Sirmium) zu be-
ziehen. Die Entscheidung gibt Ausonius. Der hätte sich gewiß die
Gelegenheit nicht entgehen lassen, eine irgendwie geartete persönliche
Teilnahme des Kaisers an den kriegerischen Operationen in den aller-
höchsten Tönen zu feiern. Statt dessen lesen wir bei ihm 7): possum
ire per ommes appellationes tuas, quas olim virtus dedit, quas proxime
? rec. G. Waitz in Scriptores reram Germanicarum, 1884, S. 47 u. 84) ist Gallia occi-
dentalis unzutreffenderweise zu orientale Francorum regnum in Gegensatz gestellt, vgl.
J. Starm, Der Ligurinus (Freiburg i. B. 1911) S. 62°.
1) Wenn L. Schmidt, Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgange
der Völkerwanderung Il, 2 [= Quellen und Forschungen zur alten Geschichte und Geo-
graphie herausg. von W. Sieglin Heft 29, Berlin 1915] S. 287 meint, daß es sich wahr-
scheinlich um einen Einfall in die Schweiz handle, so steht er da anscheinend unter
dem Einfluß der Ausführungen Menghins a. a. O. 308.
2) Sozomenos, Hist. eccles. VII, 4 (Migne a. a. O. LXVII, 1422).
3) Zosimos, Hist. nova IV, 19 (ed Mendelssohn 173f.).
4) Theodosiani libri XVI, 18, 2 (ed. Th. Mommsen I, 2, Berolini 1905, S. 344).
5) A. a O. XI, 36, 26 (ed. Mommsen I, 2, S. 653f.).
6) Socrates, Hist. eccles. V, 6 (Migne a. a. O. LXVII, 572).
7) Ausonius, Gratiarum actio UL, 8 (rec. C. Schenkl in Mon. Germ Auct. anti-
quiss. V, 2, 1883) S. 20f., rec. R. Peiper in Ausonii opuscula (Lipsiae 1886), S. 355.
— 250 —
fortuna concessit, quas adhuc indulgentia divina meditatur, vocare Ger-
manicum deditione gentilium, Alamannicum traductione captorum, vin-
cendo et ignoscendo Sarmaticum, und später 1): Tu, Gratiane, tot Ro-
mani imperii limites, tot flumina et lacus, tot veterum intersaepta regnorum
ab usque Thracia per totum, quam longum est, latus Illyrici, Venetiam
Liguriamque et Galliam veterem, insuperabilia Raetiae, Rheni accolas,
Sequanorum invia, porrecta Germaniae celeriore transcursu, quam est
properatio nostri sermonis, evolvis, nulla reguie otii, ne somni quidem aut cibi
munere liberali, ut Gallias tuas inopinatus illustres, ut consulem tuum,
quamvis desideratus, anticipes, ut illam ipsam, quae auras praecedere
solet, famam facias tardiorem. Unter der deditio gentilium ist der Ver-
trag zu verstehen, welchen Gratian im .Vorjahre 378 nach der Schlacht
bei Argentaria mittels eines Vorstoßes über den Oberrhein den lenti-
ensischen Alamannen aufgezwungen hatte ?). Sie hatte, wie aus unserer
Stelle erhellt, dem Kaiser den allgemeiner gehaltenen Triumphaltitel
Germanicus? eingetragen +). Leichter war der spezielle Titel Ala-
mannicus verdient, den ihm „das Geschick erst in jüngster Zeit
(proxime) vergönnt hatte“: Gratian hatte den Vorbeimarsch der ala-
mannischen Gefangenen vom Einfalle des Jahres 379 abgenommen,
und die ganze Reise lief schließlich darauf hinaus, daß der Kaiser
1) A. a. O. XVII, 82 (rec. Schenkl a. a. O. 29f., rec. Peiper a. a. O. 375).
2) Ammianus Marcellinus XXXI, 10, 17 (ed. V. Gardthausen II, Lipsiae 1875,
S. 258): ... Lentienses ... post deditionem, quam inpetravere supplici prece ...
ad genitales terras innoxii ire permissi sunt. Aus dieser Stelle ergibt sich, daß dıe
Gebirgsgegend, ın der sich die Lentienser vorher gegen Gratian verteidigt hatten (Am-
mian. Marcell. XXXI, 10, 12 ff.) nicht in ihrer Heimat lag; damit scheitert der Versuch
F. L. Baumanns, Schwaben und Alamannen (in Baumanns Forschungen zur schwä-
bischen Geschichte, Kempten 1899, S. 531), den bisher angenommenen Zusammenhang
zwischen den Lentiensern und dem Linzgau am Bodensee auseinanderzureißen: beide
verdanken vielmehr ihren Namen dem Flüßchen Lentia = Linz (vgl. K. Weller, Die
Besiedelung des Alemanmenlandes, in den Württembergischen Vierteljahrsheften für
Landesgeschichte N F. VII, Stuttgart 1898, S. 309 '), welches, jetzt meist als [Seefelder]
Aach bezeichnet (vgl. G. Tumbült, Die Grafschaft des Linzgaus, in Schriften des
Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung XXXVII, Lindau i. B. 1908,
S. 23), zwischen Seefelden und Unteruhldingen in den Überlinger See mündet (vgl.
A. Krieger, Topographisches Wörterbuch des Großherzogtums Baden I, Heidelberg
1904, Sp. I).
3) Vgl. Seeck bei Pauly-Wissowa I, r (Stuttgart 1894), Sp. 1280 s. v. Ala-
mannicas u, Stein bei Pauly-Wissowa-Kroll VII, ı (Stuttgart 1910), Sp. 1254 f.
4) Daß dem Gratian bereits eine Inschrift vom Jahre 369/370 (Corp. inscript.
lat. VI, 1, 1876, No 1175 bezw. H. Dessau, Inscript. lat. sel. I, 1892, No. 771) die
Titel Germanicus und Alamannicus beigelegt hatte, scheint demnach in Vergessenheit
geraten zu sein,
— 251 —
„sein Gallien unvermutet mit seiner Gegenwart beehrte“ und dem
Konsul Ausonius „zuvorkam‘“, d. h. ihm keine Zeit ließ seinereits
dem Gebieter entgegenzureisen. l
Nach alledem dürfte soviel sicher sein, daß Gratian an der kriege-
rischen Auseinandersetzung mit den in Gallien eingebrochenen Ala-
mannenscharen nicht beteiligt war. Dafür gäbe es eine doppelte
Erklärung: entweder ist der Kaiser zum Schlagen zu spät gekommen,
oder er hat unterwegs den glücklichen Ausgang des Kampfes erfahren
und infolgedessen das Tempo seiner Reise durch Aufenthalte und
Umwege verlangsamt. Es fragt sich nun, ob Umstände vorliegen,
welche uns berechtigen, zu Gunsten der einen dieser zwei Möglichkeiten
eine mehr oder minder bestimmte Entscheidung zu treffen.
Der für den 5. April 379 beurkundete Aufenthalt des Kaisers in
Trev(iris) ist im Codex Theodosianus zwischen solche in Sirmium,
Februar 24, und in Aquileia, Juli 2, eingeschlossen !). Die erkleckliche
Spanne Zeit, welche die beiden letzterwähnten Daten voneinander
trennt, läßt mit aller wünschenswerten Deutlichkeit erkennen, daß
= Gratian keine besondere Eile hatte 2). Wir werden also kaum mit
der Annahme fehlgehen, daß zwischen dem 24. Februar und dem
2. Juli eine beruhigende Nachricht vom Kriegsschauplatze bei ihm
eingelangt war. Dann steht aber auch nichts mehr im Wege, den
Aufenthalt in Aquileia als das Ergebnis einer rückläufigen Bewegung
zu betrachten, deren Ausgangs- bezw. Durchgangspunkt gefunden sein
dürfte, sobald wir das Trevfiris) vom 5. April auf ein ursprüngliches
Tarvisi zurückleiten und folglich darunter das heutige Treviso ®)
verstehen.
Am 30. Juli‘) und am 3. August 5) urkundet Gratian in Mailand,
am 4. August (pridie Non. Aug.) in Triverim °), am 19. August (XIII.
Kal. Sept.) in Bauxare 7). Gothofred, der erste Erläuterer des Codex
Theodosianus, glaubte in Bauxare das heutige Bozen wiederzuerkennen,
während er hinsichtlich des Triverim — wenn auch nur vorübergehend —
1) Theodosiani libri XVI 30, 1, (ed. Mommsen I 2 S. 296) u. oben S. 249.
2) Gegen Seeck, Geschichte des Unterganges V 480.
3) Vgl. A. Holder, Altceltischer Sprachschatz Il (Leipzig 1906) Sp. 1762.
4) Cod. Iust. VI 32, 6 (Corp. iur. civ. * II ed. P. Krueger, Berolini 1888, S. 266).
5) Theodosiani libri XVI 5, 5 (ed. Mommsen I 2 S. 856).
6) A. a. O. VI 28, ı (ed. Mommsen I 2 S. 288.)
7) A. a. O. VI 30, 3 (ed. Mommsen I 2 S. 294). Der für 13. August vermerkte
Aufenthaltsort Vico Augusti scheidet aus; Mommsen in Theodos, libri XVI Bd. I ı
S. CCLV, vgl. Menghin in den Deutschen Geschichtsblättern XIV 305 f.
| 19
— 252 —
der Meinung war, daß sich dahinter das jetzige Trient verberge !). In
der Tat liegt eine Entstellung der abgekürzten Form Trid. = Tridenti
in Zriv. 2), woraus dann Triverim wurde, ebensosehr im Bereich der
Möglichkeit wie eine Verschreibung von Bausano (vgl. Paul. Diac.
Hist. Lang. V, 36)°) zu Bauxare. Was speziell die Gleichung Bau-
xare = Bauzano betrifft, so ist paläographisch nichts so leicht möglich
wie eine Vertauschung zwischen dem Buchstaben r oder der Buch-
stabenverbindung ri einerseits und dem Buchstaben n andererseits.
Die Porahtans in Arbeos Vita Heimhrammi c 37 4) stellen sich,
sobald wir das n in r abändern, als Porahtari mühelos zu den Borthari
des Papstes Gregor Ill. 5) und zu den Boruciuari Bedas ©) und
entpuppen sich damit als die Bewohner des alten Bruktererlandes °);
und wenn die einzige Handschrift des Hildebrandsliedes den alten
1) Codex Theodosianus cum perpetuis commentariis Jac. Gothofred (Lugduni
1665) I S. CI, I 211 u. 243 (Lipsiae 1736), I S. CV, II 208 u. 239. VgL J. Resch,
Annales ecclesiae Sabionensis nunc Brixinensis I (Augustae Vindelicoram 1769) S. 164
a. 197°°®; A. Holder, Altceltischer Sprachschatz I (Leipzig 1896) Sp. 362 (von
einem anderen Bauxare, welches Holder a. a. O. III, Lief. 20 (Leipzig 1911), Sp. 819
aus „Codex Theodos.“ XIII 3, 12°‘ anführt, ist dort keine Spur zu finden); Ihm bei Pauly-
Wissowa III ı (Stuttgart 1897) Sp. 176; K. Atz und A. Schatz, Der deutsche
Antheil des Bisthums Trient I (Bozen 1903) S. 2°,
2) Vgl. Seeck, Geschichte des Unterganges V 480.
3) Mon. Germ., SS. rer. Langob. et Ital. (1878), S. 156 Z. 19.
4) Mon. Germ. SS. rer. Meroving. IV, 1902, S. 513 Sp. A. Z. 12f. Sp. B. Z. ıı
nebst Z. 31f. Vgl. Arnoldus de sancto Emmerammo I 3 Mon. Germ, SS. IV
5o00 Z. 19.
5) Mon. Germ. Epist. II, 1892, S. 291 Z. 6. Vitae sancti Bonifatii archiepiscopi
Moguntini recogn. W. Levison (1905) S. 163 Z. 18.
6) Venerabilis Baedae opera historica, recogn. C. Plummer (Oxonii 1896) I 296
u. 302, II 286. König Alfreds Übersetzung von Bedas Kirchengeschichte, herausgegeben
von J. Schipper [== Bibliothek der angelsächsischen Poesie IV 1, Leipzig 1897] S. 590
und 608.
7) L. Wirtz, Franken und Alemannen in den Rheinlanden bis zum Jahre 496,
in den Bonner Jahrbüchern Heft 122 (Bonn 1912) S. 191. Vgl. auch K. Zeuß, Die
Deutschen und die Nachbarstämme (München 1837) S. 352 und R. Much bei
J. Hoops, Reallexikon der germanischen Altertumskunde 1 (Straßburg 1911—13)
S. 334f. Andere denken dagegen an die Barden des Bardengaues an der Unterelbe, so
W. C. C. Freih. v. Hammerstein-Loxten, Der Bardengau (Hannover 1869) S. 4
(mit leisem Zweifel), H. Böttger, Diöcesan- und Gaugrenzen Norddeutschlands I
(Hannover 1876) S. 236 (mit irreführendem Zitat und B. Sepp, Arbeonis episcopi
Frisingensis vita s. Emmerammi authentica, in Analecta Bollandiana VIII (Paris
Bruxelles 1889) S. 249 °.
— 253 —
Hildebrand zu seinem Sohne sagen läßt: chüd ist min al irmindeot '),
so springt ohne weiteres in die Augen, daß statt min gelesen werden
muß mir ?). Diese Beispiele mögen hier genügen °), um die Möglich-
keit zu erhärten, daß in Bauxare statt des r ursprünglich ein n stand,
Bei so bewandten Dingen wird sich der geneigte Leser — um der
Leichtigkeit einer Vertauschung von e durch o ganz zu geschweigen —
auch mit dem Gedanken einer Verschreibung eines g zu x abfinden,
wenngleich ich augenblicklich nicht in der Lage bin, ein Seitenstück
beizubringen 4). Mit anderen Worten: in formeller Hinsicht steht
nichts der Annahme im Wege, daß die Vorlage des Theodosianus
statt Baurare das Wort Bausano bot.
Die Gleichsetzung des Baurare vom 19. August mit Bozen zieht
die Gleichsetzung des Triverim vom 4. August mit Trient notwendig
nach sich, wenn man nicht gerade in Triverim einen sonst unbekannten
Ort Liguriens oder Raetiens erblicken will 5). Wie ist es nun um die
Bedenken bestellt, welche vom sachlichen Gesichtspunkte aus gegen
besagte zwei Gleichsetzungen erhoben worden sind?
Da lesen wir zunächst bei Otto Seeck folgendes ®): ,... erstens
ist es sehr unwahrscheinlich, daß Gratian, wenn er Eile hatte, nach
Gallien zu kommen, den weiten Umweg über die Brennerstraße wählte,
und zweitens lassen sich die 175 Millien von Mailand nach Trient
auch nicht in zwei Tagen zurücklegen. Ich glaube daher, daß Tar-
1) K. Müllenhoff und W. Scherer, Denkmäler deutscher Poesie und Prosa °’
ed. E. Steinmeyer I (Berlin 1892) S. 3 Z. 12 (statt mê zu lesen mór).
2) S. jedoch gegen den auf K. Roth (Kleine Beiträge sur deutschen Sprach.
Geschichts- und Ortsforschung I Heft ı, München 1850, S. 43) zurückgehenden Vor-
schlag, im ersten Merseburger Spruch statt eiris zu lesen einis, Müllenhoff u. Scherer
a. a. O. II (Berlin 1892) S. 43.
3) Vgl. noch L. Steinberger, Zu Arbeos Vita Corbiniani, im Neuen Archiv
der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde XL, 1915, S. 247f. Daza trage ich
hier nach, daß sich gegen die Gleichsetzung des bei Paulus Diaconus Hist. Lango-
bard. IV 38 (Mon. Germ. SS. rer. Langobard et Ital, 1878, S. 132 Z. 22) erwähnten
Medaria mit Windisch-Matrei auch A, Unterforcher, Zur tirolischen Namens-
forschung, in Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg III 5o (Innsbruck
1906) S. 233 ff. ausspricht.
4) Wenn bei Mela und Plinius d. ä. das Volk der Búčņosç in der Form Buxers
begegnet (Tomaschek bei Pauly-Wissowa III 1, Stuttgart 1899, Sp. 2159), so geht
das auf eine Verwechslung der griechischen Buchstaben ¢ und £ zurück.
5) Vgl. Codex Theodosianus cum commentariis Gothofredi (Lugduni 1665) U
185 u. 263 (Lipsiae 1737) I 186 u. 239. Vgl. Menghin in den Deutschen Geschichts-
blättern XIV 302f.
6) Geschichte des Unterganges der antiken Welt V 430.
19*
— 254 —
vesedi zu schreiben sein wird, der Name einer Poststation, die zwischen
Chiavenna und Bregenz liegt (Itin. Ant. 278) 1). Dieser Ort ist von
Mailand zwar auch 103 Millien entfernt, davon aber fallen 60 auf die
Überfahrt über den Comersee, die der Kaiser im Schiffe schlafend
machen konnte, und die Abkürzung Triv. oder Trev. kann ebensogut
aus Tarv. wie aus Trid. entstellt sein. Dazu kommt, daß nach Ausonius
grat. act. 18, 82 (insuperabilia Raetiae) Gratian einen hohen und
steilen Gebirgspaß überschritten haben muß, was gut auf den Splügen,
nicht aber auf den Brenner paßt.“ Hier kreuzen sich unrichtige und
richtige Voraussetzungen. Nichts berechtigt uns zu der Annahme,
daß der Kaiser „Eile hatte nach Gallien zu kommen“ ?), und noch
weniger angängig ist es, bei einem Panegyriker Ausdrücke wie in-
superabilia Raetiae in der von Seeck beliebten Weise zu pressen,
zumal wenn, wie hier, die gegen Basel hin streichenden Ausläufer des
Schweizer Jura als Sequanorum invia bezeichnet werden. Dagegen
ist Seeck entweder durch Nichtberücksichtigung oder durch eine
unausgesprochene richtige Auffassung des von Ausonius gebrauchten
Ausdruckes Gallia vetus vor dem Abwege bewahrt worden, auf den
hier Oswald Menghin geraten ist °’).
Menghin schwankt nämlich betreffs der Gallia vetus zwischen
einer Gleichsetzung mit Gallia Narbonensis und „der Möglichkeit, daß
vetus nur als schmückendes Beiwort aufzufassen ist und Gallia gleichwie
früher Thracia und latus Illycici im weiteren Sinn verstanden werden
muß‘. Beide Annahmen schließen gleichermaßen die Notwendigkeit
ein, daß Gratian „einen mehr im Westen gelegenen Alpenpaß‘ über-
schritt, der den Kaiser gleich mitten in das bedrohte Gebiet hinein-
I1) Auch in der Peutingertafel (ich benutze die Ausgabe von K. Miller, Weltkarte
des Castorius, Ravensburg 1888, segm. IV, 1) als Tarvessedo erwähnt. Zur Sache
A. Forbiger, Handbuch der alten Geographie III (Leipzig 1848) S. 445%;
H. Meyer, Die römischen Alpenstraßen in der Schweis, in Mitteilungen der anti-
quarischen Gesellschaft in Zürich XII (Zürich 1861) S. 136; Th. Mommsen im
Oprp. inscript. lat. V 2 (Berolini 1877) S. 558; F. Berger, Die Septimer-Straße,
im Jahrbuch für schweizerische Geschichte XV (Zürich 1890) S. 13f., 64f., 69;
H. Nissen, Italische Landeskunde II 2 (Berlin 1902) S. 998; A. Holder, Alt-
celtischer Sprachschatz II (Leipzig 1906), Sp. 1761; Geographisches Lexikon der
Schweiz V (Neuenburg 1908) S. 328 u. 657; P. H. Scheffel, Verkehrsgeschichte der
Alpen ı (Berlin 19:8) S. 89. Eine Gleichsetzung von Tarvesede mit der s. Savognin
an der Septimer-Straße gelegenen Alpweide Tarviesch (Geograph. Lex. der Schweiz
V 763) verbietet sich, so nahe sie vielleicht vom sprachlichen Gesichtspunkte aus liegen
möchte, durch die soeben gekennzeichnete Lage dieser Alpenweide.
2) Vgl. oben S. 251.
3) Deutsche Geschichtsblätter XIV 308.
— 255 —
führte“; das passe zu den Lobeshymnen, die Ausonius (grat. act. 18,
81 u. 82) auf die Schnelligkeit der kaiserlichen Reise anstimme. Was
zunächst die Schnelligkeit betrifft, so nahm sie sich, wie sich jeder
aus dem Itinerar Gratians selbst überzeugen kann, im Munde des
Panegyrikers weit größer aus als in der Wirklichkeit, ganz abgesehen
davon, daß der Kaiser zum allermindesten seit dem 2. Juli überhaupt
keinen Grund mehr zur Eile hatte!). Wieso ferner vetus zu der
Funktion eines „schmückenden Beiworts‘‘ kommen soll, ist schlechter-
dings nicht abzusehen. Mehr anzufangen ist mit dem , weiteren Sinn“,
in welchem Menghin den Begriff Gallia fassen möchte: die diokletianische
Organisation hatte die bis zum Rhoneursprung hinaufreichende vallis
Poenina der gallischen Diözese zugeteilt ?). Als der „mehr im Westen
gelegene Alpenpaß‘ käme dann der große St. Bernhard, vielleicht
auch der Simplon in Betracht 3). Über beide Pässe konnte der Kaiser
an den Genfer See hinausgelangen; von dort aus standen dann für
die Weiterreise nach Trier zunächt zwei Straßen zur Verfügung ?),
deren eine von Viviscus (Vevey) ) aus über Aventicum (Avenches,
deutsch Wiflisburg) nach Vindonissa (Windisch im Aargau) strich, um
dort in die linksrheinische Uferstraße der Römer einzumünden, deren
andere von Lousonna (Lausanne) nach Vesontio (Besançon) führte und
sich von da aus rechts nach Cambete (Kembs), einem zweiten
Kreuzungspunkte mit jener Uferstraße, links aber über Andematunnuns
(Langres), Tullum (Toul) und Divodurum (Metz) nach Treviris (Trier)
verzweigte. Besonders verlockend erscheint auf den ersten Blick die
Annahme, daß Gratian den Weg Lousonna— Vesontio— Tullum — Divo-
durum— Treviris gewählt habe: zwischen Tullum und Divodurum,
nördlich des heutigen Nancy weist die Karte ein Bouxieres-aux-Dames
und nordöstlich von letzterem ein Bouxieres-aux-Chenes aus; ein
weiteres Bouxieres mit dem Beinamen aux-Bois liegt weiter im
Süden, nordwestlich von Épinal. Als alte Namensformen von
Bouzieres erscheinen — gleichviel auf welchen der drei Orte bezüg-
lich — 709 und 915 Buxeriae ù); Bouxières-aux- Dames ist jenes
1) Vgl. S. 251. ;
2) Weiß bei Pauly-Wissowa-Kroll VII r (Stuttgart 1910) Sp. 662.
3) Vgl. Partsch bei Pauly-Wissowa I 2 (Stuttgart 1896) Sp. 1608; Scheffel
a. a. O. 82 ff.
4) Vgl. H. Kiepert, Formae orbis antiqui ergänzt und herausgegeben von
R. Kiepert Taf. XXIII (1902) und XXV (1912).
5) Diese und die folgenden Ortsbestimmungen nach A. Holder, Altceltischer
Sprachschatz, uud nach Pauly-Wissowa-Kroll, Realencyklopädie.
6) J. M. Pardessus, Diplomata etc. II (Lutetiae Parisiorum 1849) S. 282
— 256 —
Buxeria (so zu lesen statt Brureria), wo Bischof Gauzlin von Toul
935 ein F rauen kloster gründete !)}. Entweder Bouxitres-aux-Dames
oder Bouxieres-aux-Chenes ist unter dem ,Bouxières bei (!) Mardigny
(in Deutsch-Lothringen sw. Metz)" zu verstehen, welches Alfred Holder
sprachlich mit Bauxare zusammenbringt ?). Sollte das zutreffen, so
wäre damit Oswald Menghins Behauptung bestätigt, daß das Bauzare
des Codex Theodosianus, wenn überhaupt im Abendlande gelegen, am
ehesten in Gallien gesucht werden müsse ?).
Die Frage ist nur bloß die, ob und inwieweit eine Verlegung
des Bauzxare nach , Gallien“ mit der Reihenfolge des von Gratian
durchreisten Gebiets, wie sie uns Ausonius darbietet*), in Einklang
gesetzt werden kann. Die Art und Weise, wie der Panegyriker die-
selben benennt, atmet die reinste Willkür). Bald begegnen wir da
vordiokletianischen Provinznamen, welchen Diokletian diese Funktion
abnahm, um dieselben fortan zur Bezeichnung der neu geschaffenen
größeren Verwaltungseinheiten (Diözesen) zu verwenden (Ilyricum),
bald solchen, die er in ihrer ursprünglicheu Eigenschaft fortbestehen
ließ (Thracia, Venetia, Liguria, Raetia, Germania); bald erfolgt eine
Anlehnung an solche, die er erst neu bildete (Seguanorum invia —
Maxima Sequanorum), bald handelt es sich um eigene Schöpfungen
des Ausonius (Gallia vetus, Rheni accolae). Von den letzteren schließt
der Ausdruck Rheni accolae insofern bis zu einem gewissen Grade
eine Tautologie in sich, als die Rheni accolae unter den gegebenen
Verhältnissen entweder der Provinz Raetia (prima), der Provinz Maxima
Sequanorum oder beiden gemeinsam zugewiesen werden müssen. Da-
gegen bedeutet Menghins Annahme, daß der Bericht des Ausonius
wenigstens bis insuperabilia Raetiae wörtlich genommen werden dürfe,
daß aber von da an von einer itinerarmäßigen Aufzählung der Land-
schaften wohl keine Rede mehr sei‘), eine gelinde Mißhandlung des
Nr, 475; Recueil des historiens des Gaules et de la France IX (Paris 1757)
S. 525 E.
I) Calmet, Histoire de Lorraine, nouv. éd. II (Nancy 1745) S. CLXXIX. Vgl.
A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands II * * (Leipzig 1906) S. 363 f., 365, 1033.
2) Altceltischer Sprachschatz II, Lief. 20 (Leipzig 1911) Sp. 819.
3) Deutsche Geschichtsblätter XIV 309.
4) S. 250.
5) Zum folgenden s. J. Marquardt, Römische Staatsverwaltung 1° [= J. Mar-
quardt u. Th.Mommsen, Handbuch der römischen Alterthümer IV” (Leipzig 1881)]
S. 216ff, passim sowie die einschlägigen Artikel bei Pauly-Wissowa-Kroll-Witte
und bei Lübker-Geffcken-Ziebarth.
6) Deutsche Gesckichtsblätter XIV, 308.
— 257 —
Quellentextes, durch die noch obendrein der beabsichtigte Zweck
nicht einmal erreicht wird. Selbst wenn sich nämlich Raetien in der
Tat mit seinem westlichsten Zipfel fast bis zum Ostende des Genfer-
sees erstreckt haben sollte!), so konnte der Kaiser, sei es nun daß
er über den großen St. Bernhard oder über den Simplon gegangen
war?), auf der Weiterreise die Provinz Raetia nur um den Preis einer
zweiten Paßüberquerung berühren. Für eine solche könnte aller-
höchstens die Furka in Betracht kommen 3), während die heutigen Pässe
der Berner Alpen von vornherein außer Spiel zu bleiben haben +), man
müßte denn gerade den Ausdruck insuperabilia Raetiae in dem Sinne
pressen, daß Gratian den touristischen Ehrgeiz besessen hätte, einen
bisher noch unbegangenen Alpenpaß einzuweihen. Warum hätte indes
der Kaiser sich den Luxus zweier Paßüberschreitungen erlauben sollen,
wo mit einer ebensogut zum Ziele zu gelangen war? So bleiben,
wenn man ihn schon über den großen St. Bernhard oder den Simplon
schicken will, für die Weiterreise nach Norden schlechterdings nur die
Straßen Viviscus — Aventicum — Vindonissa und Lousonna — Vesontio
übrig. Damit fallen aber die insuperabilia Raetiae des Ausonius völlig
unter den Tisch, und der Widerspruch mit der Angabe des Rhetors
ist fertig. Und zwar ein Widerspruch, der auch dann nicht aus der
Welt geschafft ist, wenn man die Reihenfolge umdreht, in welcher
Ausonius den Kaiser das Gebiet der Rheni accolae und die Sequa-
norum invia durcheilen läßt.
Alle diese Unzuträglichkeiten schwinden, sobald wir den Ausdruck
Gallia vetus in dem einzig möglichen Sinne fassen. Von allen
„Galliae“ stand am längsten die Gallia cisalpina im Verbande des
römischen Reiches); sie allein kann also vom Standpunkte des Römers
in Betracht kommen, wenn er von einem „Altgallien“ redet. Nun
fiel in den Umkreis der alten Gallia cisalpina, welche im Jahre 42/41
v. Chr. als Provinz zu bestehen aufgehört hatte®), von den bei Au-
sonius erwähnten diokletianischen Provinzen nicht nur Venetia”), son-
dern auch jener Teil von Liguria, welcher durch die Vereinigung der
ı) So H. Kiepert, Formae orbis antiquis Taf. XXIU. Dagegen Haug bei
Pauly-Kroll-Witte s. v. Raetia Sp. 48.
2) Vgl. S. 255.
3) Vgl. Scheffel a. a. O. I 55 u, 86; Haug a. a. O. Sp. 49.
4) Vgl. Partsch bei Pauly-Wissowa I, 2, Sp. 1608.
5) Vgl Niese bei Pauly-Wissowa-Kroll VII, ı (Stuttgart 1910) Sp. 622 fl.
und Lübker® 399. Ä
6) Lübker® a. a. O.
7) Lübker°® 1096.
— 258 —
Regio XI Transpadana mit der Regio IX Liguria dem ursprünglichen
Geltungsbereiche des Namens Liguria zugewachsen war!). Es schließt
also die Verbindung Liguriam Galliamque veterem eine ähnliche
Tautologie in sich, wie wir sie oben zwischen Rheni accolae einerseits,
insuperabilia Raetiae bzw. Sequanorum invia anderseits beobachteten 2).
Doch greift nunmehr in der Länderaufzählung des Ausonius von Thracia
an bis zu den porrecta Germaniae, unter denen im Gegensatz zu den
Sequanorum invia das offene Gelände der elsässischen Rheinebene
zu verstehen ist’), wie an einer wohlgefügten Kette ein Glied ins
andere, ganz gleichgültig ob man mit Seeck den Kaiser über den
Splügen hinaus schon beim heutigen Thusis +t) oder ob man ihn über
Brenner - Seefelder Sattel bzw. über Reschenscheideck-Fernpaß°) erst
bei Brigantium (Bregenz) zu den Rheni accolae gelangen läßt.
Wenn es nun zu guter Letzt gilt, zwischen diesen drei Annahmen
eine Wahl zu treffen, so fällt zu Gunsten der zweiten und dritten ent-
schieden der Umstand ins Gewicht, daß sie im Gegensatz zur ersten
eine Unterbringung nicht bloß des Triverim vom 4. August, sondern
auch des Bauzare vom 19. August gestatten. Um die Raschheit der
Reise von Mailand nach Trient verständlich zu finden, braucht man
sich nur gegenwärtig zu halten, daß der Kaiser hier ebensogut wie
auf einer etwaigen Reise von Mailand nach Tarvesede eine große
Strecke des Weges schlafend auf dem Schiffe zurüklegen konnte, nur
daß es sich dabei statt des Comersees um den Tessin und Po (etwa
ı) Lübker® 608. Nachmals wurde der Name Liguria auf dieses Neuligurien
beschränkt, während Altligurien ihn einbüßte (Nissen, Italische Landeskunde IL, ı,
Berlin 1902, S. 132), so daß hier eine ähnliche Entwicklung vorliegt wie bei dem Namen
Calabria (vgl. Hülsen bei Pauly-Wissowa II, 1, Stuttgart 1899, Sp. 1326). S.
auch J. Sturm, Der Ligurinus 77 fl.
2) S. 254.
3) Gegen Menghin, Deutsche Geschichtsblätter XIV, 308.
4) S. 254.
5) Vgl. O. Wanka v. Rodlow, Die Brennerstraße im Alterthum und Mittel-
alter [= Prager Studien aus dem Gebiete der Geschichtswissenschaft VIL, Prag 1900]
S. 24fl. — P. H Scheffel a. a. O. I, g4fl., nicht ohne Entgleisungen: Töll — Teleo-
num, Nocturnum — Naturns (aus dem verballhornten Nocturnes dreier Papsturkunden
von 1178, 1181 und 1220, Tirolische Geschichtsquellen II, Innsbruck 1880, S. 47. 171
u. 175 abgeleitet!), hl. Severin ia Schlanders, Glurns — gloria, Perfas (Verwechslung
mit Perfuchs!) — per flumen, Perjen — per Oenum.: Chr. Frank, Via Claudia
Augusta, insonderheit die römische Lech - Weststraße, Deutsche Gaye, Sonderheft
78, S. ı8f. = Zeitschrift des hist. Vereins für Schwaben und Neuburg XXXV
(Augsburg 1909), S. 157 ff.
— 259 —
von Ticinum-Pavia bis hinab nach Hostilia-Ostiglia)1) handeln würde.
‘ Im übrigen muß immerhin auch mit der Möglichkeit gerechnet werden,
daß in dem einen oder dem anderen der beiden Daten III Non. Aug.
(August 3) und prid. Non. Aug. (August 4) irgend ein Fehler steckt,
etwa in dem Sinn, daß statt prid. Non. Aug. zu lesen wäre prid. Id.
Aug. (Aug. 12); dann würde jedes Bedürfnis, in der eben angegebenen
Weise eine Wasserfahrt Gratians anzunehmen, von selber wegfallen
und der Aufenthalt des Kaisers zu Trient (Aug. 12) sich aufs passendste
zwischen die Aufenthalte zu \ailand (Aug. 3) und Bozen (Aug. 19)
einfügen.
Ich bilde mir keineswegs ein mit vorstehenden Ausführungen die
Identität des Bauxare mit Bozen und weiterhin die des Triverim vom
4. August 379 mit Trient über allen Zweifel sichergestellt zu haben.
Doch darf wenigstens, meine ich, die Annahme dieser Identität nach
wie vor als diejenige Lösung des Problemes gelten, welche verhältnis-
mäßig die meiste Wahrscheinlichkeit für sich hat. Dagegen muß die
Frage, ob der Kaiser von Bozen aus die Richtung Reschenscheideck-
Fernpaß oder Brenner- Seefelder Sattel eingeschlagen hat, bis auf
weiteres offen bleiben. |
a a d a i d N
Mitteilungen
Archive. — Von den Archivalien sur neueren Geschichte Österreichs,
verzeichnet im Auftrage der Kommission für neuere Geschichte
Österreichs, ist das in dieser Zeitschrift Bd. 10 (1909), S. 152 als noch
ausstehend bezeichnete Schlußheft des ersten Bandes erschienen, und damit
ist der erste Band (Wien, Adolf Holzhausen 1913. 772 S. 8°) vollständig
geworden. Die an der angezogenen Stelle bereits besprochenen beiden ersten
Lieferungen (Heft ı und 2/3) führten bis S. 321, und das Schlußheft hat
nun zu den dort beschriebenen ıg Privatarchiven auf S. 323—577 Mittei-
lungen über weitere 12 Archive gebracht, und zwar sind das die folgenden:
Gräflich Harrachsches Archiv in Wien (.erd. Menčík), Reichsgräflich Des-
fours-Walderodesches Archiv in Groß-Rehozec (Karl R. Fischer), Fürst-
lich Schwarzenbergsches Archiv in Lobositz (H. Opočenský), Gräflich
Kinskysches Archiv in Chlumetz an der Cidlina (J. Novák), Fürstlich
Trauttmansdorfisches Familienarchiv, aufbewahrt ım k. u. k. Haus-, Hof- und
Staatsarchiv in Wien (V. Kratochvfl), Fürstlich Kinskysches Familienarchiv
in Wien (V. Kratochvíl), Fürstlich Lobkowitzsches Archiv in Prag (Boro-
vicka), Fürstenbergsches Archiv in Pürglitz (Joh. Paukert), Fürstlich Thun-
Hohensteinsches Archiv in Tetschen an der Elbe (Edmund Philipp und
Rudolf Rich), Gräflich Clam-Martinicsches Archiv in S mečna (Franz Šváb),
1) Vgl. H.Kiepert, Formae orbis antiqui Taf. XXIII.
— 260 —
Schloßarchiv in Groß-Ullersdorf, Nordmähren (Joh. Paukert), Gräflich
Berchtoldsches Archiv auf der Burg Buchlau (Leopold Nopp). Dazu kommt
noch der Bericht des Landesarchivdirektors Bretholz über ıı kleinere mäh-
rische Schloßarchive (S. 526— 558), nämlich diejenigen zu Austerlitz (Gräflich
Kaunitzisch, 1912 hinterlegt im Landesarchiv zu Brünn), Biskupitz (Fürstlich
Thurn und Taxisisch), Blauda (Gräflich Zierotinisch), Holleschau (Gräflich
Wrbnaisch), Jarmeritz (Gräflich Wrbnaisch, seit 1912 ebenfalls im Landes-
archiv hinterlegt), Namiest a. d. Oder (Gräflich Haugwitzisch), Groß-Oppa-
towitz (Gräflich Herbersteinisch), Selowitz (Erzherzoglich), Straßnitz (Gräflich
Magnisisch), Teltsch (Gräflich Liechtensteinisch), Teschen (Erzherzoglich). Es
liegen also in diesem Bande Berichte über 42 verschiedene über ein großes Ge-
biet verstreute und bisher nur ganz selten benutzte Archive vor, deren Reich-
tum nach Masse und Wert natürlich recht verschieden ist, — eine auch für
die Dauer eines Jahrzehnts, die dafür erforderlich war, recht ansehnliche
Leistung.
Die bei der Anzeige der ersten Hefte ausgesprochene Hoffnung, daß
ein gutes Register den Inhalt des Bandes erschließen möge, ist in Erfüllung
gegangen; denn das mit Benutzung der Vorarbeiten von E. Frieß von
Karl Goll bearbeitete zweispaltig gedruckte Register füllt die Seiten 578 bis
772, obwohl es sich auf Namen beschränkt und nur bei Stichworten, wie
Bayern, Österreich, Türkei, Ungarn, Venedig in Unterabteilungen Sach-
betreffe einreiht, um den bei diesen Worten überreichen Stoff übersichtlich
zu gliedern. Das Register ist, wie zahlreiche Stichproben erweisen, sehr
sorgfältig bearbeitet, so daß es tatsächlich, soweit dies überhaupt möglich
ist, den Inhalt der massenhaften Angaben erschöpft. Es wird, worauf be-
sonderer Wert zu legen ist, erforderlichen Falles dieselbe Sache mehrmals
aufgeführt: so wird z. B. unter Rußland: Spionenwesen (1830/31) auf die-
selbe Stelle hingewiesen, die unter Ungarn: Spionenwesen, russisches an-
geführt ist.
Daß Archive, in denen die Akten und Briefe des XVII. und XVIII. Jahr-
hunderts die Hauptmasse bilden, wesentlich anders bearbeitet werden müssen
als solche mit vorwiegend mittelalterlichen Beständen, ist selbstverständlich.
An eine auch nur andeutende Erschließung des Jnhalts des einzelnen Schrift-
stücks wie bei jenen läßt sich gar nicht denken und würde sogar im ganzen
eine Kraftverschwendung bedeuten. Vielmehr liegt der Nachdruck darauf, dem
Forscher den Weg zu ebnen, ihn darauf aufmerksam zu machen, daß er da
oder dort unter Umständen wichtigen Stoff für seine Aufgabe finden kann.
Die Arbeit des Verzeichners wird sich grundsätzlich auf eine möglichst ge-
naue formale Bestimmung der Aktenfaszikel beschränken müssen. Die
Grenze, bis zu der der Bearbeiter eines solchen zur Drucklegung bestimmten
Inventars vernünftigerweise bezüglich der Einzelheiten gehen kann, hat Menčík
ın der Beschreibung des reichhaltigen Gräflich Harrachschen Archivs in Wien
(S. 323—445) erreicht: während er noch für das XVI. Jahrhundert manche
Einzelheiten anführt, erweist sich dies schon bei den politischen Korrespon-
denzen aus dem Ende des XVI. Jahrhunderts als unmöglich, und wird es
immer mehr, je weiter die Zeit fortschreitet. Die einzelnen Glieder der
gräflichen Familie, über deren hinterlassene Papiere sich heute die Forscher
freuen, werden ganz kurz hinsichtlich ihres öffentlichen Wirkens geschildert,
— 261 —
und schon diese Angabe besagt für den Kundigen viel, ob er Aussicht hat,
für seine besonderen Zwecke etwas zu finden. So erfahren wir z. B. S. 375
von dem am 7. November 1742 gestorbenen Grafen Thomas Alois Raimund
von Harrach, dem Sohne des Grafen Ferdinand Bonaventura von H. (1636
bis 1706; behandelt S. 352—374), daß er 1694/95 Gesandter am kur-
sächsischen Hofe, 1696—1700 aber außerordentlicher Botschafter in Madrid
war, seit 1711 diplomatisch bei Kursachsen, Brandenburg und Braunschweig-
Lüneburg wirkte, 1715 Landmarschall von Niederösterreich wurde, 1723 in
Abwesenheit des Kaisers Karl VI. der Deputation präsidierte, 1728—1733
Vizekönig in Neapel war und nach seiner Rückkehr Mitglied des Geheimen
Konferenzrates wurde. Daran schließt sich das Verzeichnis der Personen,
von denen in der „kleinen Korrespondenz“ (10 Faszikel) und in der „deut-
schen Korrespondenz“ (34 Faszikel) Briefe vorliegen: in ersterer finden sich
Schreiben von ı12 (meist mit italienischen Namen), in letzterer von 549
namentlich aufgeführten Personen, und deren Verzeichnung wird S. 377 mit
folgenden Worten begründet: „Wohl findet man unter den berühmten Namen
auch Personen, die unbekannt geblieben sind, nichtsdestoweniger wegen der
Vollständigkeit haben wir sie alle aufgezählt, um den künftigen Forschern
nichts vorzuenthalten, da man nicht wissen kann, ob auch bescheidene Männer
nicht in mancher Beziehung berlihmt sind.‘ Das ist ein verständiger nach-
ahmenswerter Standpunkt, den jeder einnehmen sollte, welcher derartigen
archivalischen Stoff zu bearbeiten hat. Es hat ja wohl jeder Forscher, die
Vertreter der Literatur-, Kunst- usw. Geschichte eingeschlossen, einmal er-
fahren müssen, mit welcher Mühe der für bestimmte Zwecke unerläßliche
Nachweis einer sonst ziemlich gleichgültigen Person und ihres Wirkungskreises
im XVII. und XVIII. Jahrhundert verbunden ist, um von den familien-
geschichtlichen Nachspürungen, die in solch einem Nachgraben fast auf-
gehen, ganz zu geschweigen! Ist bei den Trägern berühmter Namen und
einflußreichen Personen der Inhalt ihrer Briefe das zunächst Wichtige, so
gewinnen wir bei durchschnittlichen Briefschreibern aus dem Beiwerk viel-
fach erst die Erkenntnis, mit wem wir es eigentlich zu tun haben, d. h. also
personengeschichtliche Aufschlüsse.
Je mehr man sich mit dem Bande beschäftigt, um so mehr leuchtet
es ein, daß es richtig war, wenn die Kommission für neuere Geschichte Öster-
reichs, der Anregung des unvergeßlichen Hans Zwiedineck von Süden-
horst folgend, von Anfang an darauf ausging, die Privatarchive des öster-
reichischen Adels der Forschung zu öffnen. Lag dem zunächst die Absicht
zugrunde, den Stoff für die geplanten Veröffentlichungen der Kommission in
möglichster Vollständigkeit aufzuspüren, so ist das Ergebnis dieser mühsamen
Registrierarbeit doch ein wesentlich umfassenderes geworden. Es ist nun nur
noch erforderlich, daß das Buch, das in keiner geschichtlichen Bücherei fehlen
sollte, auch fleißig benutzt wird: wer sich mit dem XVII. und XVII. Jahr-
hundert beschäftigt, möge das Forschungsgebiet und die Landschaft sein,
welche sie wolle, der wird es mit Nutzen zu Rate ziehen.
Nachdem das gute Register vorliegt, hat es nicht mehr viel Zweck,
Einzelheiten herauszugreifen. Es seien deshalb nur einige wenige Archivalien
erwähnt, die für die Forschung in weit abliegenden deutschen Landschaften
von Wert sein werden. Im Fürstlich Metternichschen Archiv in Plaß (S. 147
— 262 —
bis 148) finden sich unter Briefen von geistigen Größen auch solche von
Goethe, A. und W. v. Humboldt, Haydn, Jean Paul, Kotzebue, Liszt, Lesseps,
Schleiermacher und Schwanthaler. Die Markgräfin Maria Magdalena von
Baden, geborene Gräfin von Öttingen, hatte eine Schwester Margareta Anna,
die mit einem Grafen Thun verheiratet war: im Archiv zu Tetschen (Elbe)
ruhen 479 Briefe der Markgräfin an ihre Schwester 1658—1684, die einen
äußerst interessanten Einblick in das Leben am badischen Hofe gewähren
(S. 515). Der schon genannte Graf Harrach hat seine Berichte vom kur-
sächsischen Hofe 1694—1695 in Buchform zusammengefaßt hinterlassen
(S. 397). Konzepte zu Gesandtschaftsberichten des Norbert von Kolowrat
aus Berlin vom 19. Dezember 1693 bis 23. Januar 1695 ruhen im Archiv
lzu Reichenau (S. 201). Von der Besitzergreifung der Grafschaft Ostfries-
land durch die Familie von Kaunitz 1744 berichten Akten aus Jarmeritz
(S. 539). ' Tille.
Kommissionen. — Die Historische Kommission für die Pro-
vinz Sachsen und das Herzogtum Anhalt!) hat über ihre 39. und
40. Sitzung (Mai 1913 in Bernburg und 1914 in Naumburg a S.) sowie über
die im Mai 1915 abgehaltene Vorstandssitzung Berichte veröffentlicht, aus denen
sich über den Stand der Arbeiten folgendes ergibt. Als Neujahrsblatt für
1913 ist Die Edelen Herren von Querfurt und ihre Burg von Prof. Voigt
(Halle), für 1914 die Schrift 1813 von Lindner und für 1915 Die Stadt
Mühlhausen in Thüringen im späteren Mittelalter von Bemmann erschienen.
Von den @eschichtsquellen liegt fertig vor Urkundenbuch des Kloster Pforta,
Zweiter Band, zweiter Teil, bearbeitet von Böhme (1915), sowie Band 5
der von Pallas herausgegebenen Kirchenvisitationsprotokolle des Kurkreises
(1914), der die Ephorien Liebenwerda und Elsterwerda umfaßt. Im Druck
befinden sich die Pa.rgedinge nebst anderen Quellen der Stadiverfassung
von Quedlinburg (Oberrealschuldirektor Lorenz), das Urkundenbuch des
Mansfelder Saigerhandels (Staatsarchivar Möllenberg) und das : r-
kundenbuch des Stifts Naumburg (Staatsarchivar Rosenfeld). Die Arbeiten
am Urkundenbuch der Stadt Goslar, Band 5 (1366—1400), führt an Stelle
des verstorbenen Prof Hölscher Oberlehrer Bahn (Halle) zu Ende; für
den ebenfalls verstorbenen Bearbeiter des Halleschen Urkundenbuchs, Prof.
Kohlmann, ist Oberlehrer Bierbach (Halle) eingetreten. Nach wie vor
arbeitet am Urkundenbuch des Stiftes Merseburg, Bd. 2 Archivar Heine-
mann (Magdeburg), an den Stadtbüchern von Neuhaldensleben Prof. Sorgen-
frey (Leipzig), an der Erfurter Studentenmatrikel 1635—1816 Prof. Stange
(Erfurt), am Ergänzungsband zum Urkundenbuch der Stadt Erfurt Prof.
Overmann (Erfurt), an den Regesten der Wittenberger Kurfürsten Anhal-
tischen Geschlechtes Oberlehrer Hinze (Naumburg), am Urkundenbuch d s
Erebistums Magdeburg Archivassistent Israel (Magdeburg) und an den
Kirchenvisitationsprotokollen von Anhalt Diakonus Heine. Neu wurde
Archivdirektor Friedensburg (Magdeburg) mit der Herausgabe eines Ur-
kundenbuchs zur Geschichte der Universität Wittenberg betraut. Von der
1) Vgl. über die 38. Sitzung diese Zeitschrift 13. Bd., S. 231 — 232.
— 263 —
Beschreibenden Darstellung der Bau- und Kunstdenkmäler sind erschienen
die Kreise Wolmirstedt, Wanzleben und Grafschaft Wernigerode; beinahe
fertig zum Druck sind die Kreise Quedlinburg und Worbis. Jedem Kreise
wird eine geschichtliche Karte beigegeben, und zwar im Neunfarben-
druck mit Höhenschichten. Ferner ist eine Karte der Wüstungen in den
Kreisen Bitterfeld und Delitzsch mit zugehörigem Text fertiggestellt. Von
den Grundkarten liegen vor die Abschnitte Gardelegen | Wolmirstedt,
Stendal/ Burg, Magdeburg / Bernburg, Loburg/Dessau, Belzig / Wittenberg,
Ballenstedt / Sondershausen, Eisleben /Querfurt, Halle / Merseburg, Düben /Eilen-
burg, Torgau/Oschatz, Finsterwalde / Großenhain, Sömmerda /Erfurt, Eckarts-
berga / Jena, Zeitz / Gera, während der Vollendung entgegengehen Wolfenbüttel]
Goslar und Oschersleben / Halberstadt. Für die Sammlung der Flurnamen
besteht seit 1913 ein besonderer Ausschuß, dessen Vorschläge genehmigt
wurden, und in Ausführung derselben hat die Ausbeutung von Originalkarten
im Staatsarchiv Magdeburg und gedruckter Karten begonnen. Eirleichtert
wird diese Arbeit durch die schon seit 1882 durch Oberbürgermeister Brecht
(Quedlinburg) emsig geförderte Sammlung der Flurkarten, da in den
zu ihnen gehörenden Feldwannenbüchern die ermittelten Flurnamen
sämtlich verzeichnet sind.
Nachdem die Inventarisation der nichtstaatlichen Archive 1913
unter die Aufgaben der Kommission aufgenommen und der Arbeitsplan von
einem fünfgliedrigen Ausschuß durchberaten worden war, bereiste Staats-
archivar Möllenberg den Kreis Neuhaldensleben und erstattete darüber in
einer gedruckt vorliegenden Denkschrift Bericht. In die Kosten der Inven-
tarisation, die von Beamten des Staatsarchivs Magdeburg ausgeführt wird,
und der Drucklegung der Inventave teilen sich die Kommission und die
Direktion der Königlichen Staatsarchive. |
Nachdem das Provinzialmuseum ein neues stattliches Gebäude
erhalten hat, hat der Provinziallandtag das Museum dem Geschäftsbereich
der Historischen Kommission entzogen, aber letztere hat im Museumsgebäude
einen eigenen Raum angewiesen erhalten, in dem ihre Kartensammlungen, Kli-
schees und Bücher aufgestellt werden.
Beachtung auch außerhalb der Provinz und seitens eines jeden, der
Quellen veröffentlichen will, verdient die Neubearbeitung der Bestimmungen
... über die Herausgabe der Geschichtsquellen der Proving Suchsen und
angrensender Gebiete, die Prof. Heldmann (Halle a. d. S., Otto Hendel
1913, 18 S. 80°, M. 0,50) besorgt hat. Die hier aufgestellten Regeln fassen
alle die praktischen Erfahrungen zusammen, die bei der Veröffentlichung
mittelalterlicher Urkunden und Akten gemacht worden sind.
Neu sind in die Kommission eingetreten Archivdirektor Friedensburg
(Magdeburg), Staatsarchivar Heinemann (Magdeburg), Prof. Waetzoldt
(Halle), Museumsdirektor Hahne (Halle) und Prof. Werminghoff (Halle);
den Altmärkischen Museumsverein vertritt Gewerberat Kuchenbuch (Stendal)
und den Magdeburger Geschichts- und Altertumsverein Stadtarchivar Neu-
bauer (Magdeburg). Der Haushaltsvoranschlag der Kommission hielt 1913
einschließlich des Provinzialmuseums mit 44460 Æ, 1914 ohne Provinzial-
museum mit 42050 Æ und 1915 mit 40900 .# das Gleichgewicht. Da
sich die Kosten für das Provinzialmuseum auf 14000 # beliefen, bedeutet
— 264 —
die Neuregelung zugleich eine bedeutende Vermehrung der Mittel für die
Zwecke der Kommission, insofern der Provinziallandtag ihr 8000 Æ und der
Anhaltische Landtag 525 «Ææ mehr zur Verfügung stellt als ehedem.
In Wien tagte am 31. Oktober 1913 und sı. November 1914 die
Kommission für neuere Geschichte Österreichs !). Es ist er-
erschienen der zweite Band der Österreichischen Staatsverträge mit England,
der die Zeit 1748—1813 umfaßt und in einem Anhang bis 1912 reicht,
bearbeitet von Prof. Pribram (Wien, Holzhausen 1912), sowie der dritte
Band des Chronologischen Verseichnisses der österreichischen S aatsverträge,
die Jahre 1848—1911 umfassend, herausgegeben von Ludwig Bittner (Wien,
Holzhausen 1914). Das Manuskript zu dem Sachregister für alle drei Bände
geht seinem Abschluß entgegen. Gearbeitet wird gegenwärtig besonders an
den Staatsverträgen mit der Türkei (Roderich Gooß), mit Frankreich (Ernst
Molden) und den Niederlanden (Paul Heigl). Für den zweiten Band
der Familienkorrespondens Ferdinands I. ist Wilhelm Bauer eifrig tätig,
während Viktor Bibl das Manuskript für den ersten Band der Briefe Maxi-
milians II. fertiggestellt hat. Auch die zweite Abteilung der Geschichte aer
österreichischen Zentralverwaltung hat Prof. Kretschmayr wesentlich ge-
fördert. Nachdem der erste Band der Archivalien zur neueren Gesch.chte
Österreichs, der den böhmisch-mährischen bochadeligen Privatarchiven ge-
widmet ist, einschließlich des Registers vorliegt ?2), wird unter Leitung von Prof.
Dopsch ein zweiter Band vorbereitet, der Archivalien aus Nieder- und
Oberösterreich bieten soll.
Eingegangene Bücher.
Schlecht, Joseph: Pius UL und die deutsche Nation. Kempten und
München, Jos. Kösel 1914. 60 S. 8°.
Schulte, Aloys: Von der Neutralität Belgiens [== Deutsche Kriegsschriften,
3. Heft]. Bonn, A. Marcus und E. Weber 1915. 128 S. 80%. Æ 2,40.
Schwennicke, Friedrich: Die holsteinischen Elbmarschen vor und nach
dem Dreißigjährigen Kriege [= Quellen und Forschungen zur Ge-
schichte Schleswig - Holsteins, herausgegeben von der Gesellschaft für
Schleswig-Holsteinische Geschichte, Erster Band]. Leipzig, H. Haessel
1914. 123 S. 8°,
Thiel, Viktor: Zur Geschichte der innerösterreichischen Kriegsverwaltung
im 16. Jahrhunderte [= Zeitschrift des Historischen Vereins für
Steiermark, 12. Jahrgang (1914), S. 159—170].
Traunfels, Hans von: Brünner Vornamen vom 14. bis zum ı1ọ9. Jahr-
hundert. 2. Auflage. Olmütz, Laurenz Kulil. 37 S. 8°.
Vetter, Ferdinand: Das Tegernseer Spiel vom Deutschen Kaisertum und
vom Antichrist [= Münchner Museum für Philologie des Mittelalters
und der Renaissance, hggb. von Friedrich Wilhelm, Bd. 2, S. 279—333].
Werner, E.: Elbe und Elbschiffahrt in Anhalt [= Zerbster Jahrbuch,
8. Jahrg. (1912), S. 1—11].
1) Über die vorhergehende Sitzung vgl. diese Zeitschrift Bd. 14, S. 226— 227.
2) Vgl. darüber oben S. 259—262.
— 265 —
-y
Anthes, Eduard: Georg Friedrich Lucius, Drangsale des Dorfes Jugenheim
bei Mainz im ersten Revolutionskriege [= Hessische Volksbücher, heraus-
gegeben von Wilhelm Diehl, 8j. Darmstadt, H. L. Schlapp 1910.
93 S. 8%. M 0,60.
Berdrow, Wilhelm: Friedrich Krupp, der Gründer der Gußstahlfabrik in
Briefen und Urkunden, herausgegeben im Auftrage der Firma Fried.
Krupp A.-G. Essen a. d. Ruhr, G. D. Baedeker ıgı5. 335 S. 8°,
AM 4,00.
Borchling, Conrad: Das belgische Problem [= Deutsche Vorträge Ham-
burgisch r Professuren 4|. Hamburg, L. Friederichsen & Co. 1914.
28 S. 8. M 0,50.
Breßlau, Harry: Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien.
Zweiter Band, Erste Abteilung. Zweite Auflage. Leipzig, Veit & Comp.
1915. 392 S. 8. M 8.25.
Crull, Georg: Geistliche Brüderschaften in Rostock [= Beiträge sur Ge-
schichte der Stadt Rostock, hggb. vom Verein für Rostocks Altertümer,
9. Bd. (Jahrgang 1915), S. 33—45].
Daverkosen, Hubert: Die Reichsabtei Cornelimünster, ihre Gründung und
ihre wirtschaftliche Lage. Aachen, Albert Jacobi & Cie. 1915. 75 S. 8°,
Diehl, Wilhelm: Philipp, Landgraf von Hessen-Butzbach, eine Festgabe zur
Dreihundertjahrfeier der. Begründung der Landgrafschaft Hessen-Butzbach
[= Hessische Volksbücher, herausgegeben von Wilhelm Diehl, 5].
Darmstadt, H. L. Schlapp 1909. 87 S. 8. M 0.50.
Dransfeld, Friedrich Wilhelm: Solinger Industrieverhältnisse im XVIII. Jahr-
hundert, ein Beitrag zum Kapitel Kampf zwischen Kapital und Arbeit.
Solingen, Schmitz & Olbertz 1914 6r S. 8°.
Esselborn, Karl: Darmstadt und sein Hof zur Zopfzeit in zeitgenössischen
Schilderungen [= Hessische Volksbücher, herausgegeben von Wilhelm
nn 21 und 22]. Darmstadt, H. L. Schlapp 1915. 236 S. 8°.
1,70.
Florenz, Karl: Deutschland und Japan [= Deutsche Vorträge Hamburgischer
zn 6]. Hamburg, L. Friederichsen & Co. 1914. 21 S. 8°.
0,50
Frieß, Edmund: Das erste landesfürstliche Lehenallodifikationsprojekt in den
Erzherzogtümern Österreich unter und ob der Enns 1642 [== Festschrift
des —- Vereins deutscher Historiker m Wien (1914),
S. 111—127|.
Haufe, Richard: Der deutsche Nationalstaat in den Flugschriften von
1848/49. Leipzig, K. F. Koehler 1915. 199 S. 8°. M 5,00.
Hermberg, Edzard: Zur Geschichte des älteren holsteinischen Adels.
Kieler Dissertation 1914. 132 S. 8°.
Heß von Wichdorff: Masuren, Skizzen und Bilder von Land und Leuten.
Mit 67 Originalabbildungen und einer Übersichtskarte. Berlin, Union
Deutsche Verlagsgesellschaft 1915. 108 S. 8°.
Hintze, Otto: Die Hohenzollern und ihr Werk. Fünfhundert Jahre vater-
ländischer Geschichte. Dritte Auflage. Berlin, Paul Parey 1915.
704 S. 80. Geb. # 5,00.
— 266 —
Huizinga, J.: Hoe verloren de Groningsche Ommelanden hun oorspron-
kelijk Friesch karakter? !== Overdruk uit de Driemaandelijksche Bladen,
veertiende jaargang]. Uithuizen, H. H. Fongers 1914. 77 S. 8è.
Jordan, Ench: Die Entstehung der konservativen Partei und die preußischen
Agrarverhältnisse von 1848. München und Leipzig, Duncker & Humblot
1914. 370 S. 8. «æ 10,00.
Jung, Rudolf: Frankfurter Hochschulpläne 1384—1868 [= Frankfurter
Historische Forschungen, Neue Folge, Heft 1, hggb. von Georg Küntzel
und Fritz Kern]. Leipzig, K. F. Koehler 1915. 153 S. 80. Æ 5,00.
Kriegserlebnisse ostpreußiseher Pfarrer, gesammelt und herausgegeben
von Pfarrer C. Moszeik in Stallupönen. ı. Band. Dritte unver-
änderte Auflage. Berlin-Lichterfelde, Edwin Runge [1915]. 251 S. 8°,
M 3,00. — 2. Band. Ebenda. 246 S. 8°. Ææ 3,00.
Matthias, Adolf: Bismarck, sein Leben und sein Werk. Mit 4 Bildnissen.
Erstes bis sechstes Tausend. München, C. H. Becksche Verlagsbuch-
handlung Oskar Beck ıgı5. VII und 458 S. 8%. Geb. Æ 5.00.
Meinhof, Carl: Deutsche Erziehung [= Deutsche Vorträge Hamburgischer
Professoren 9]. Hamburg, L. Friederichsen & Co. 1914. 21r S. 8°.
0,50.
Merbach, Paul Alfred: Literaturgeschichtliche Entwicklung der Provinz
Brandenburg [== Sonderabdruck aus Brandenburgische Landeskunde,
Bd. IV. (1915), S. 193—367].
Meyer, Erich: Staatstheorien Papst Innocenz’ III. Jenaer Dissertation 1914.
29 S. 8°.
Neefe, Fritz: Geschichte der Leipziger Allgemeinen Zeitung 1837—1843,
ein Beitrag zur Geschichte des Zeitungswesens in der Zeit des Kampfes
um die Preßfreiheit [= Beiträge sur Kultur- und Universalgeschichte,
hggb. von Karl Lamprecht, 32. Heft]. Leipzig, R. Voigtländer 1914.
192 S. 8°. Æ 6,80.
Pflugk-Harttung, Julius v.: Leipzig 1813. Aus den Akten des Kriegs-
archivs des Großen Generalstabes, des. Geheimen Staatsarchivs in Berlin,
des Staatsarchivs in Breslau und des Ministeriums der auswärtigen An-
gelegenheiten in London. Mit vier Schlachtenplänen und einer Abbil-
dung. Gotha, Friedrich Andreas Perthes, A.-G. 1913. 448 S. 8°.
M 9,00.
Potthoff, Heinz: Volk oder Staat? [= Deutsche Kriegsschriften, 10. Heft].
Bonn, A. Marcus und E. Weber [1915]. 49 S. 8. AM 1,00.
Rein, Adolf: Sir John Robert Seeley, eine Studie über den Historiker.
Mit einer Bibliographie. Langensalza, Hermann Beyer & Söhne
(Beyer & Mann) 1912. 112 S. 8°,
Roemer, Hans: Die Baumwollspinnerei in Schlesien bis zum preußischen
Zollgesetz von 1818 [= Darstellungen und Quellen zur schlesischen
Geschichte, hggb. vom Verein für Geschichte Schlesiens, rg. Band].
Breslau, Ferdinand Hirt 1914. 8r S. 8%, Æ 3,00.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Armin Tille in Weimar.
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.
Deutsche Geschichtsblätter
Monsatsschrift für Erforschung deutscher Ver-
gangenheit auf landesgeschichtlicher Grundlage
XVI. Band November | Dezember 1915 ı1./12. Heft
Register zu landes- und ortsgeschichtlicehen
Zeitsehriften
Von
Johann Dorn (München)
Bereits zweimal ergriff vorliegende Zeitschrift zu diesem Gegen-
stande das Wort. Im ıo. Band unterzog der Herausgeber Armin
Tille eine Anzahl in neuerer Zeit erschienener Register einer kritischen
Würdigung 1). Sodann handelte im 12. Band unter Verwertung der
Erfahrungen, die er bei Fertigung des Inhaltsverzeichnisses zur Zeit-
schrift des Vereins für hessische Geschichte machen konnte, Hans
Legband in einem längeren Aufsatz über die zweckmäßigste Anlage
derartiger Register ?). In beiden Aufsätzen ist für künftige Arbeiten
dieser Art eine Reihe wertvoller Winke enthalten, wenn auch nicht
gerade jeder Satz Legbands uneingeschränkte Zustimmung finden
dürfte.
In einem sehr wichtigen Punkt allerdings gehen die Ansichten
der Verfasser stark auseinander. Tille erblickt in einem Inhalts-
verzeichnis von der Art des von Karl Sopp zu der Zeitschrift für Ge-
schichte des Oberrheins verfaßten die beste Lösung der Aufgabe; ihm
erscheint das Ersprießlichste „eine systematische Bearbeitung mit er-
klärenden Zusätzen, die [bei unvollständigen oder nicht genügend
klaren Titeln] wiederum durch ein alphabetisches Register dem Be-
nützer zugänglich gemacht wird“. Legband hingegen entscheidet
sich für ein Ideal, das, soweit ich sehe, bisher nirgends, merkwürdiger-
weise auch nicht in dem von ihm selbst bearbeiteten Inhaltsverzeichnis
1) A.[rmin] T.[ille]: Register landesgeschichtlicher Zeitschriften, Deutsche Ge-
schichtsblätter Bd. ro (1908—1909), S. 158—162. Ebenda, Bd. 2 (1900—1901),
S. 17—23 war bereits in dem Aufsatz Bibliographie der historischen Zeitschriften-
literatur zu den einschlägigen Fragen Stellung genommen worden.
3) Hans Legband: Register landesgeschichtlicher Zeitschriften, a. a. O. Bd. 12
(1910/1911), S. 129—145.
20
— 268 —
zu der Zeitschrift für hessische Geschichte verwirklicht ist: ein doppel-
teiliges Register, dessen ersten Hauptteil ein systematisch geordnetes
Verzeichnis der Abhandlungen mit reichlich eingestreuten Verweisen,
dessen anderen ein ausführliches, den Inhalt der Aufsätze wissen-
schaftlich erschöpfendes alphabetisches Register der Orts- und Per-
sonennamen !) bilden soll.
Die Frage, die Legband in den Vordergrund rückt, läßt sich
kurz in die Worte fassen: verdient das „abgekürzte‘ Register, das
ist ein nötigenfalls durch erläuternde Bemerkungen erweitertes Ver-
zeichnis der in der Zeitschrift enthaltenen Aufsätze nach ihren Titeln,
oder das „ausführliche“ Register, das ist eine alphabetische Auf-
führung aller in den Aufsätzen selbst vorkommenden Orts-, Personen-
und Sachnamen, oder schließlich, wofür, wie wir gesehen haben,
Legband eintritt, eine Vereinigung dieser beiden Registertypen den
Vorzug?
Es sei mir gestattet, hier ein Verzeichnis jener deutschsprachigen
geschichtlichen Zeitschriften einzufügen, von denen mir Register der
einen oder andern Art bisher bekannt geworden sind.
I. Zeitschriften, die „abgekürzte“, d. h. sich nur auf die Titel der
Abhandlungen erstreckende Inhaltsverzeichnisse besitzen ?).
Annalen des Vereins für nassauische Altertumskunde und Geschichts-
forschung. Inhaltsverzeichnis nebst alphabetischem Titel- und Sachregister
zu Annalen Bd. 1—38 (1827— 1908), Mitteilungen 1897/98 — 1908/09
(Jahrg. 1—12) und den 1851—67 erschienenen Mitteilungen und perio-
dischen Blättern (Wiesbaden 1910). — Älteres Verzeichnis in Bd. 15 (1879).
Anzeiger für schweizerische Geschichte.
a) Systematisches Inhaltsverzeichnis zu den 20 Jahrgängen 1870—1889.
Zusammengestellt von Josef Leop. Brandstetter.
b) Systematisches Inbaltsverzeichnis zu den 20 Jahrgängen 1890—1909.
Zusammengestellt von August Plüß.
ı) Warum nicht auch sachlicher Schlagworte?
2) Die Anlage der einzelnen Register ist sehr verschieden. Viele sind systematisch
geordnet, mit oder ohne Beigabe eines Verfasserregisters. Schr häufig liegt ferner das
Alphabet der Verfasser zugrunde, oder das der sachlichen Schlagworte. Öfters finden
sich auch Verfasser und Schlagworte in einem Alphabet. Vielfach ist ein alphabetisches
Verzeichnis der besprochenen Bücher und ein chronologisches der in der Zeitschrift ab-
gedruckten Urkunden beigegeben. Am besten dürfte sich systematische Anordnung mit
alphabetischem Verzeichnis der Verfasser [unter Einschluß der Schlagworte anonymer Ar-
tikel. Zwecklos ist es, diese wie es in manchen der angeführten Register geschehen ist,
unter ungenannt, unbekannt, anonym aufzuführen] und Sachschlagworte empfehlen.
— 269 —
Archiv für österreichische Geschichte.
a) Register zu den Bänden 1—50. Von Fr. Ser. Scharler (Wien 1874).
b) Register zu den Bänden sı—80. Von Josef Kaller (Wien 1897).
c) Generalregister der Bände 1— 100 einschließlich der Bände 1—ọ des
„Notizenblattes“. Von Victor Junk (Wien 1912).
Archiv für Sächsische Geschichte
s. Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde.
Archiv für Geschichte und Altertumskunde Tirols
s. Zeitschrift des Ferdinandeums.
Archiv für Geschichte und Altertumskunde Westfalens.
Verzeichnis der in Wiegands Archiv und in der westf. Zeitschrift bis 1885
veröffentlichten Aufsätze und Mitteilungen. Von Wilhelm Diekamp. —
Verzeichnis der in den bis jetzt erschienenen 35 Bänden... erschienenen
Abhandlungen in Bd. 35 (1877) der Zeitschrift für vaterl. Geschichte
und Altertumskunde, S. UI—XXXVL
Archiv für Kunde österreichischer Geschichts Quellen.
Register zu Band 1—33 (Wien 1866). |
Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde.
Inhaltsverzeichnis zu Band ı — 12. Herausgegeben von Hubert Ermisch.
(Dresden 1891; auch in Band 12, S. 341— 352.)
Gesamt-Inhaltsverzeichnis zum Neuen Archiv für Sächsische Geschichte
und Altertumskunde (Band ı—25) nebst seinen Vorgängern. Bearbeitet
von Viktor Hantzsch (Dresden 1904).
Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde.
a) Gesammtregister von Band ı — ıo nach den Verfassern und nach dem
Inhalte der Abhandlungen. Von C. Rodenberg = Bd. 10 (1885),
S. 619—636.
b) Gesammtregister von Band ı1— 20 nach den Verfassern und nach
dem Inhalte der Abha::diungen. Von Hermann Bloch und Martin
Meyer = Bd. 20 (1895), S. 695— 717.
c) Gesammtregister von Band 21—30 = Bd. 30 (1905), S. 823—840.
Vaterländisches Archiv,
Neues vaterländisches Archiv,
Vaterländisches Archivf. Hannoverisch-Braunschweigische Geschichte,
(Vaterländisches) Archiv des hist. Vereins für Niedersachsen
s. Zeit chrift des hist. Vereins für Niedersachsen.
Archiv des historischen Vereins von Unterfranken und Aschaffenburg.
Register zu den 16 ersten Bänden (Würzburg 1864).
Wigands Archiv
s. Archiv für Geschichte und Altertumskunde Westfalens.
Beiträge zur Anthropologie und Urgeschichte Bayerns. Inhalt [der
Bände] 1—13 = Bd. 13 (1899), S. 2 5— 216.
Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark. Register
zu Band ı—23 und den sonstigen Veröffentlichungen zur Geschichte
Dortmunds. Bearbeitet von Karl Schütter (Dortmund 1914).
Beiträge zur Geschichte, Topographie und Statistik des Erzbistums
München und Freising. Inhalt der ersten 6 Bände == 7. Bd. (N. F.
ı. Bd., 1901), am Schluß.
20*
— 270 —
Beiträge zur Geschichte, Statistik, Naturkunde und Kunst von Tirol und
Vorarlberg
s. Zeitschrift des Ferdinandeums.
Beiträge zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquellen
s. Mitteilungen des historischen Vereins für Steiermark.
Bericht und Jahrbuch des Historischen Vereins für die Pflege der Geschichte
des ehemaligen Fürstbistums Bamberg zu Bamberg 69. Bericht (1911),
S. 75—106: Die in Bericht 1—68 des Historischen Vereins Bamberg
gedruckten Abhandlungen bibliographisch zusammengestellt . . . von
M. Müller. (Eine ältere Zusammenstellung über Bericht 1ı—28 von
A. Rudel im 29. Bericht.) — Ausführliches Sachregister geplant.
Periodische Blätter für die Mitglieder der beiden historischen Vereine des
Kurfürstentums und des Großherzogtums Hessen. (Titel öfters wechselnd;
später Per. Blätter der Geschichtsver. zu Kassel, Darmstadt, Frankfurt,
Mainz und Wiesbaden. — Das Register von Karl Esselborn für
1846—1860 war mir nicht zugänglich.)
s. Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte.
Freiburger Diöcesan-Archiv. Verzeichnis der bisherigen Mitarbeiter
und ihrer in Bd. 1—25 veröffentlichten Beiträge. (Als interimistischer
Ersatz für das Register) In Bd. 25 (1896).
Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte.
Register A. zu den Märkischen Forschungen Bd. 1—20. B. zu den
Forschungen der Brandenburgischen und Preußischen Ge-
schichte Bd. 1—10 (von F. Wissowa) = Bd. ı0 (1898), S. 485 — 619.
Forschungen zur Deutschen Geschichte. Sachregister zu Band I—20.
Von Gustav Buchholz (Göttingen 1880).
Märkische Forschungen
s. Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte.
Deutsche Geschichtsblätter. Sonderheft: Inhaltsverzeichnis der ersten
13 Jahrgänge (1899/1900 bis 1911/1912).
Magdeburger Geschichtsblätter.
Register zu Jahrgang 1—20 (1866—1885). Von G. Hertel.
Jahrbuch der Gesellschaft für lothringische Geschichte und Altertums-
kunde. Register zu den ersten 25 Bänden 1889—1913. Zusammen-
gestellt von A. Ruppel = Bd. 25 (1913), S. 500—543.
Historisches Jahrbuch. Ergänzungsheft. Inhaltsübersicht über Band 1 — 34
mit alphabetischen Registern (München 1914).
Jahrbuch des historischen Vereins Dillingen [an der Donau]. Jahrgang
1ı—25). A. Autorenregister, B. Namen- und Sachregister. = Bd. 25
(1912), S. 226— 246.
Jahresbericht des Voigtländischen Altertumsforschenden Vereins. Register
zu den bis jetzt erschienenen Vereinsschriften der Variscia (Bd. r —5)
und der Jahresberichte Im 33. Jahresbericht (über 1861), S. 44—70.
Neuburger [an der Donau] Kollektaneenblatt.
Inhaltsverzeichnis zu den bis jetzt erschienenen 50 Jahrgängen. Neu-
burg a. D. 1886. (Ein älteres „Hauptregister‘‘ zu den Jahrgängen 1—31
im Jahresbericht für 1865).
— 271 —
Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde.
a) Inhaltsverzeichnis zu den ersten 20 Bänden. Von E. Richter. Bd. 20
(1880), S. 253—277.
b) Verzeichnis der in Band 21—30 enthaltenen Aufsätze, geordnet nach
den Namen der Verfasser. — Bd. 30 (1890), S. 306—320.
c) Verzeichnis der in Band 31—40 (1891—1900) enthaltenen Aufsätze,
geordnet nach den Namen der Verfasser. Von Christian Greinz.
Bd. 40 '1900), S. 321—339.
d) Inhaltsverzeichnis der in den Jahrgängen 1901— ı910 (Band 41—50)
enthaltenen Aufsätze und Beiträge. Von Chr. Greinz. Bd. 50
(1910), S. 106—129.
Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung.
a) Inhaltsverzeichnis [zu] Band s—ıo [und] Ergänzungsband 1, 2. Be-
arbeitet von S. M Prem. In Bd. ı0 (18389).
b) Inhaltsverzeichnis [zu] Band ı ı—20 [und] Ergänzungsband 3, 4, 5 1.2.
Bearbeitet von Kaspar Schwarz. In Bd. 20 (1899).
c) Inhaltsverzeichnis [zu] Band 21—30 [und] Ergänzungsband 53, 6, 7, 81
1900- 1909. Bearbeitet von Kaspar Schwarz. In Bd. 30 (1909).
Mitteilungen aus der historischen Literatur.
a) Ergänzungsheftl. Register über Jahrgang ı— 20 (1873 — 1892).
Berlin 1893. | |
b) 2. Ergänzungsheft. Register über Jahrgang 21—30 (1893—1902).
Berlin 1903.
c) Register über Jahrgang 31—40 (1903—1912).
Mitteilungen an die Mitglieder des Vereins für nassauische Alter-
tumskunde ...
s. Annalen des Vereins f. nass. Altertumsk.
Mitteilungen an die Mitglieder des Vereins für hessische Geschichte
und Landeskunde
s. Zeitschrift des Vereins füs hessische Geschichte u. L.
Mitteilungen an die Mitglieder des Vereins für hessische Geschichte
s. Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte.
Mitteilungen des Vereins für nassauische Altertumskunde und Ge-
schichtsforschung an seine Mitglieder
s. Annalen des Vereins f. nass. Altertumsk.
Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von
Erfurt. Register zu den in Heft 1—33 enthaltenen Abhandlungen, nach
den Namen der Verfasser alphabetisch geordnet. (Von P. Zschiesche)
34. Heft (1913), S. 55—63.
Mitteilungen des Vereins für Hamburgische Geschichte
s. Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte.
Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osna-
brück („Historischer Verein“). Inhaltsverzeichnis zu den Bänden 1—12.
Bd. 13 (1886), S. 400—404.
Mitteilungen des Museumsvereins in Hamburg
s. Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte.
Mitteilungen des Vereins für Lübeckische Geschichte
s. Zeitschrift des Vereins für Lübeck. Geschichte.
— 272 —
Mitteilungen des historischen Vereins für Steiermark: Übersicht der
in den periodischen Schriften des historischen Vereines für Steiermark
bis einschließlich 1892 veröffentlichten Aufsätze, ferner der historischen
oder die Steiermark betreffenden Artikel in der Steiermärkischen Zeit-
schrift. (Von Arnold Luschin von Ebengreuth.) Graz 1894.
Ein früheres Verzeichnis von demselben Verfasser erschien 1873.
Mitteilungen des K. Sächsischen Vereins für Erforschung und Erhaltung
der vaterländ. Altertümer (später: vaterl. Geschichts- und Kunst-Denkmale),
Mitteilungen des K. Sächsichen Altertums-Vereins
s. Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde.
Monatsblätter. Herausgegeben von der Gesellschaft für Pommersche
Geschichte und Altertumskunde. Register zu den ersten 20 Jahrgängen
1887—1906 von P. Magunna (Stettin 1907).
Historische Monatsblätter für die Provinz Posen. Register zu Jahrgang
ı—ıo (1900—1909). (Posen 1911).
Altpreußische Monatsschrift. Inhaltsverzeichnis von Band ı—40. Be-
arbeitet von Max Perlbach (Königsberg 1905).
Notizenblatt. Beilage zum Archiv für Kunde österreichischer Ge-
schichtsquellen
s. Archiv für österreichische Geschichte.
Revue d’Alsace. (1850— 1899.) Table des matières (alphabétique, ana-
lytique, bibliographique). Par H. Weisgerber. Prec&dee d’une notice
historique de Rod. Reuß (Mulhouse 1901).
Sammler für Geschichte und Statistik von Tirol
s. Zeitschrift des Ferdinandeums.
Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Um-
gebung. ı1.—42. Heft. Gesamt-Inhaltsverzeichnis. Von Fritz Kuhn.
= 43. Heft (1914), S. 81—109.
Schriften des historischen Vereins für Innerösterreich
s. Mitteilungen des historischen Vereins für Steiermark.
Das historische Taschenbuch s. Historische Zeitschrift.
Variscia s. Jahresbericht des Voigtländischen Altertumsforschenden
Vereins.
Verhandlungen des historischen Vereins von Oberpfalz und Regens-
burg (früher des Regenkreises). Verzeichnis über die Schriftsteller und
Abhandlungen im Allgemeinen zu Band ı— 30. Von Gustav Seyler.
Fortgesetzt von Hugo Graf von Walderdorff (Stadtamhof 1874).
Unsere Zeit s. Historische Zeitschrift.
Archivalische Zeitschrift.
Alphabetischer Wegweiser durch den Hauptinhalt der Bände 1—13.
Von Ludwig von Rockinger. == Neue Folge Band ı (1890),
S. 5—35.
Alphabetischer Wegweiser durch die Bände r—ıo der Neuen Folge ==
NF. ıı (1904), S. 274—293.
Inhaltsverzeichnis zu Band 1—20 der Neuen Folge, bearbeitet von Jo-
seph Deml = NF. 20 (1913), S. 309—327.
Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg. Register
zu den Zeitschriften: Sammler für Geschichte und Statistik von Tirol,
— 273 —
Archiv für Geschichte und Altertumskunde Tirols, Zeitschrift des Fer-
dinandeums (bis einschließlich Bd. 40 der 3. Folge). Innsbruck 1897.
Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins.
a) Alte Folge. Band ı—39. Inhaltsverzeichnis. Bearbeitet von Karl
Sopp. Heidelberg 1908. (Ältere Verzeichnisse in Band 21, 31
und 39.) Ein ausführliches Personen-, Orts-, Sachregister war geplant,
kam aber nicht zustande.
b) Neue Folge. Band ı—ıo. Inhaltsverzeichnis. Bearbeitet von Joseph
Stumpf. Beigegeben eine Übersicht über die in Nr. 1—ı7 der
„ Mitteilungen der Badischen Historischen Kommission “ veröffentlichten
Archivinventare.
c) Neue Folge. Band ı— 20 (1885—1904). Inhaltsverzeichnis. Be-
arbeitet von A. Kaiser.
Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde. Verzeichnis
der in den 20 Jahrgängen dieser Zeitschrift enthaltenen Artikel [a] nach
der alphabetischen Ordnung der Verfasser [b] nach der alphabetischen
Ordnung der Gegenstände = Bd. 20 (1883), S. 717—744-
Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde (Westfalen)
s. Archiv für Geschichte und Altertumskunde Westfalens.
Zeitschrift der Gesellschaft für Beförderung der Geschichts-, Altertums-
und Volkskunde von Freiburg, dem Breisgau und den angrenzenden
Landschaften. Inhaltsverzeichnis über ... Band 1—30. Bearbeitet von
Friedrich Hefele, in Band 30 (1914), S. 225—248.
Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde. Sachlich
geordnetes Inhaltsverzeichnis der Veröffentlichungen ... von 1868 bis
1879. Bd. ı2 (1879), S. 685—731.
Historische Zeitschrift.
a) Register zu Band ı— 20 von C. Varrentrapp (München 1869).
b) Register zu Band ı—36. Unter Zugrundelegung des Registers von
C. Varrentrapp bearbeitet von Max Posner (München 1878).
c) Register zu Band ı—36 und Neue Folge Band 1—20 (= Band
ı—56) unter Zugrundelegung des Registers von M. Posner bearb.
von R. Arnold (München 1888).
d) Register zu Band 57—96 (Neue Folge Band 21—60) bearb. von
Paul Wentzcke (München 1906).
e) Generalautor- und Sachregister zu Zeitschriften meist historischen
Inhalts und zwar: Die historische Zeitschrift, Unsere Zeit, Das
historische Taschenbuch. Von W: [= Wilhelm] M. Griswold
(Bangor 1882).
Neue Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg
s. Zeitschrift des Ferdinandeums.
Steiermärkische Zeitschrift
s. Mitteilungen des historischen Vereins für Steiermark.
Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte: Gesamtregister
über die Veröffentlichungen des Vereins für Hamburgische Geschichte
und des Museumsvereins in Hamburg. 1839 bis 1899. Zusammen-
gestellt von G. Kowalewski. Hamburg 1900. (Älteres Verzeichnis
von Koppmann im 8. Band der Zeitschrift.)
— 2744 —
Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde.
a) Inhaltsverzeichnisse zu den ersten 1o Bänden nebst den ro Sup-
plementbänden. Aufgestellt von C. Neuber (Kassel 1866).
b) Systematisches Inhaltsverzeichnis zu den vom Verein für hessische
Geschichte und Landeskunde herausgegebenen ersten 24 Bänden der
Zeitschrift nebst den 20 Supplementbänden, sowie zu den in den
Periodischen Blättern und Mitteilungen enthaltenen Aufsätzen. Auf-
gestellt von W. Rogge-Ludwig (Kassel 1890).
c) Systematisches Inhaltsverzeichnis zu Band ı—45. Bearbeitet von
Hans Legband (Kassel 1912).
Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde
Inhaltsverzeichnis der vom Verein für Lübeckische Geschichte und Alter-
tumskunde veröffentlichten Zeitschrift Band ı—9 und der vom Verein
herausgegebenen Mitteilungen Heft 1—ız, bearbeitet von Eduard Hach.
ı. Teil. (Lübeck ıgıo). Ausführliches Orts-, Personen- und Sach-
Register folgt vielleicht. |
Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Altertum Sehlesiens.
Autorenregister zu Band ı—30 (Breslau 1897).
Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen. Systematisches
Inhaltsverzeichnis zu den Jahrgängen 1ı819—ı9ıo des Vaterländischen
Archivs sowie des Archivs und der Zeitschrift des Historischen Vereins
für Niedersachsen. Herausgegeben von Karl Kunze (Hannover ı911r).
Ein älteres „Systematisches Repertorium der im Vaterländischen Archiv
enthaltenen Abhandlungen“ erschien 1880, alphabetische Register in den
Bänden 1856 und 1871.
II. Zeitschriften, die „ausführliche“ d. h. den Inhalt der einzelnen
Aufsätze erschlielsende Register haben !).
Abhandlungen des Historischen Vereins des Kantons Bern
s. Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern.
Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein, insbesondere die
alte Erzdiöcese Köln,
a) Register zu den Annalen Heft 1—39. Bearbeitet von Carl Bone.
(Köln 1888) = Heft 40.
b) Register zu den Annalen Heft 41—59. Bearbeitet von Carl Bone.
(Köln 1896) = Heft 60.
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Generalregister zu Band 1—30
der neuen Folge (von H. Bösch).
Archiv für Hessische Geschichte und Altertumskunde.
a) Register zu den fünf ersten Bänden. Von Carl Friedrich Günther.
(Darmstadt 1850).
b) Register zu den ı2 ersten Bänden sowie zu den von den verbundenen
Geschichtsvereinen Cassel, Darmstadt, Mainz, Frankfurt und Wiesbaden
1) Auch die Anlage der hier aufgeführten Register zeigt ziemlich starke Abweichungen,
So bringen viele Register Personennamen, Ortsnamen, Worte und sachliche Begriffe in
einem Alphabet, andere in getrennten Alphabeten. Verzeichnisse der Verfasser, der be-
sprochenen Werke, der abgedruckten Urkunden sind häufig beigegeben,
— 275 —
in den Jahren 1ı852—ı861 herausgegebenen Periodischen Blättern
und den Quartalblättern des historischen Vereins für das Großherzog-
tum Hessen von den Jahren 1861— 1870, bearbeitet von Fr. Ritsert.
(Darmstadt 1873).
Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte, Alphabetisches
Register über die Bände 1—10, 11— 20, 21—30, 31—40 in Band 10
(1849/50), 20 (1859/61), 30 (1870/71), 40 (1881/84).
Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern. Register zu den
20 ersten Bänden der „Abhandlungen“, später Archiv des Historischen
Vereins des Kantons Bern und Verzeichnis der einzelnen Arbeiten. Zu-
sammengestellt von Jakob Sterchi (Bern 1913).
Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen. Register zu Heft ı
bis 25. Bearbeitet von Franz Gescher (Essen 1912).
Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte.
Inhaltsverzeichnis von Band 1—10 = Bd. ı0 (1904), S. 229 ff.
Beiträge zur sächsischen Kirchengeschichte. Gesamtregister zu
Heft 1—25. Bearbeitet von Klotzsch = Band 25 (1911), S. 137—183.
Blätter für Landeskunde von Niederösterreich
s. Blätter des Vereines für Landeskunde v. N.
Blätter des Vereines für Landeskunde von Niederösterreich.
a) Jahrgänge 1865—1880. Register (Wien 1882).
b) Jahrgänge 1881—1885. Register (Wien 1883).
Freiburger Diöcesan-Archiv. Register zu Band ı— 27. Bearbeitet
und von Heinrich Klenz. (Freiburg i. Br. 1902.) Das ältere „Namen-
Sachregister zu den vier ersten Bänden“ Bd. 4 (1869), S. 347—362
ist dadurch überflüssig geworden.
Geschichtsfreund. Herausgegeben vom historischen Vereine der fünf
Orte.
a) Register oder Verzeichnisse zu Band ı bis und mit 20. Bearbeitet
von Joseph Leopold Brandstetter (Einsiedeln 1865).
b) Register oder Verzeichnisse zu Band 21 bis und mit 30. Bearbeitet
von Joseph Leopold Brandstetter (Einsiedeln 1877).
c) Register zu Band 31 bis 40. Bearbeitet von Joseph Leopold Brand-
stetter (Einsiedeln 1889).
d) Register zu Band 41—50. Bearbeitet von Joseph Leopold Brand-
stetter (Stans 1901).
e) Register zu Band 5r—60. Bearbeitet von Joseph Leopold Brand-
stetter (Stans ıgı1).
Bonner Jahrbücher = Jahrbücher des Vereins von Altertumsfreunden
im Rheinlande.
a) Sach- und Namenregister zu Heft 1—23. Jahrgang ı—ı2., 1.
(Bonn 1857).
b) Register zu den Jahrbüchern ı—60 und den zu Winckelmann’s Ge-
burtstage ausgegebenen Festschriften. Verfaßt von Bone. (Bonn 1879)
= Heft 65.
c) Register zu den Jahrbüchern 61—90 und den 1885 und 1888 zu
Winckelmann’s Geburtstage ausgegebenen Festschriften. ‚Verfaßt von
Bone. (Bonn 1892) = Heft 91.
— 276 —
d) Register zu den Jahrbüchern 92—120, den Berichten der Provinzial-
kommission für die Denkmalpflege und der Festschrift zum 50 jährigen
Jubiläum des Vereins von Altertumsfreunden 1891 von Karl Bone.
(Bonn 1914) = Heft 121.
Jahrbücher und Jahresberichte des Vereins für mecklenburgische
Geschichte und Altertumskunde.
a) Register über die ersten 5 Jahrgänge, angefertigt von J. G. C. Ritter
(Schwerin 1844).
b) Register über den 6. bis 10. Jahrgang, angefertigt von J. G. C. Ritter
(Schwerin 1848).
c) Register über den ıı. bis 20. Jahrgang angefertigt von J. G. C. Ritter
(Schwerin 1856). |
d) [a)— c) mit umfassend] Register über die ersten 30 Jahrgänge, ange-
fertigt von J. G. C. Ritter (Schwerin 1866).
e) Register über die Jahrgänge 31 bis 40, angefertigt von L. Fromm
(Schwerin 1887).
f) Register über die Jahrgänge 4ı bis 50, angefertigt von E. Jahr und
F. Rusch (Schwerin 1904).
g) Register über die Jahrgänge 5ı bis 60, angefertigt von F. Rusch
(Schwerin 1907).
Württembergische Jahrbücher für vaterländische Geschichte, Geographie,
Statistik und Topographie ==
Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde. Jahrgang 1886.
Supplementband. Übersicht des Inhalts; Personen-, Sach- und Ortsregister
der Württembergischen Jahrbücher 1818— 1885 (Stuttgart 1886). Ältere
Register in den Jahrgängen 1827, 1838, 1849 und 1865.
Mitteilungen des Vereins für Hamburgische Geschichte.
Register am Ende jedes 3. Jahrganges für 1—3, 4—6, 7—9 usw.
Jahresbericht des historischen Vereins für Mittelfranken. Index über
die ersten 30 Jahrgänge (Ansbach 1871).
Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde (Historischen
Vereins) von Osnabrück.
a) Inhaltsverzeichnis und Alphabetisches Sachregister zu Band 1—ı6
(Osnabrück 1894).
b) Register zu Band 17—32 (Osnabrück 1910).
Mitteilungen der K. K. Zentral-Kommission für Kunst- und historische
Denkmale. Register zum Jahrbuch 1856— 1861 und zu den Mitteilungen
1856—1902. I. Autorenregister, II. Ortsregister (Wien 1909).
Ein systematisch geordnetes Verzeichnis der Abbildungen und Tafeln
soll folgen.
Quartalblätter des historischen Vereins für das Großherzogtum Hessen
s. Archiv für Hessische Geschichte.
Sammelblätter des Historischen Vereins Eichstätt. Register zu den
ersten 24 Jahrgängen (Eichstätt 1912).
Baltische Studien. Herausgegeben von der Gesellschaft für Pommersche
Geschichte und Altertumskunde. Register zu den Bänden 1—46 (Alte
Folge) (1832—1896) von P. Magunna. (Stettin 1912).
— 277 —
Verhandlungen des historischen Vereines von Niederbayern. Band
1ı—6. Alphabetisches Register = Band 16 (1871/72) S. 1 — 174.
Band 7—14. Alphabetisches Register = Bd. 18 (1873/74), S. 147—406.
Band 15—20. Alphabetisches Register = Bd. 25 (1888), S. 233—397.
Verhandlungen des hist. Vereins von Oberpfalz und Regensburg
(Regenkreis). Register zu Band ı — 40 (1832 — ı886). (Regensburg
1892).
Verhandlungen des historischen Vereines im Unterdonau-Kreise
s. Verhandlungen des historischen Vereines von Niederbayern.
Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands. Register
zu Band 1—5. Von Korioth. In Band 5 (1870—1874).
Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde. Heraus-
gegeben von dem Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens.
Historisch - geographisches Register zu Band 1— 50 bearbeitet von
A. Bömer (Münster 1903— 1906). 3 Bände.
Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins.
a) Register zu Band ı—7, bearbeitet von Hermann Keußen
(Aachen 1887)
b) Register zu Band 8— ı5, bearbeitet von Philipp Nottbrock
(Aachen 1895).
c) Register zu Band 16—30, bearbeitet unter Benutzung einer Vorarbeit
von Johannes Krudewig zu Band 16—28 von Moritz Müller
(Aachen 1914).
Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins. Register zu Band ı bis
30. Verfaßt von (Otto R.) Redlich (Elberfeld 1900).
Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Hollsteinische Geschichte
a) Register zu Band 1—20, angefertigt von Karl Friese (Kiel 1899).
b) Register zu Band 21—30, angefertigt von Karl Friese (Kiel 1904).
Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen. Namen-
und Sachregister zu Jahrgang ı—ıo0. Bearbeitet von Otto Heinemann
(Posen 1899).
Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde.
a) Register über die ersten 12 Jahrgänge, angefertigt von C. Böttger
(Wernigerode 1882).
b) Register über die Jahrgänge 13—24 (1880—1891). (Wernigerode
1898).
c) Register über die Jahrgänge 25—30 (1892—1897) einschließlich der
Festschrift zur 25jährigen Gedenkfeier des Vereins, angefertigt von
Johannes Moser. 2 Bände. (Wernigerode 1904—1906).
Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Altertum Schlesiens.
a) Register zu Band ı—5 (Breslau 1864).
b) Register zu Band 6—ıo (Breslau 1871).
c) Register zu Band ır—ı5 (Breslau 18832).
d) Register zu Band 16—25 (Breslau 1894).
e) [Register zu Band 26—35 war mir unzugänglich.]
f) Register zu Band 36—47. Bearbeitet von A. Heyer (Breslau 1914).
— 278 —
Zeitschrift des Historischen Vereins für das württembergische
Franken. Register über Band ı bis 9, oder die Jahrgänge 1847 bis
1873 (Stuttgart 1877) ').
Aus dieser Liste, die auf Vollständigkeit keinen Anspruch machen
will, aber doch wohl die überwiegende Mehrzahl der wirklich erschienenen
Registerbände umfaßt, ersehen wir, daß die Zahl der abgekürzten Re-
gister die der ausführlichen übertrifft). Wohl kaum, weil die Her-
ausgeber der betreffenden Zeitschriften, wofern sie überhaupt die Vor-
züge und Nachteile der einen oder andern Art ernstlich erwogen
haben, das abgekürzte für das bessere und wertvollere gehalten hätten,
sondern vor allem deswegen, weil die Bearbeitung ausführlicher Re-
gister an die Anstalten und Vereine, von denen die Zeitschriften her-
ausgegeben werden, unverhältnismäßig hohe finanzielle Anforderungen
gestellt hätten, zum Teil vielleicht auch deswegen, weil keine ge-
eigneten Kräfte vorhanden waren, die sich der äußerst mühevollen
und entsagungsreichen, nicht selten sehr niedrig eingeschätzten Arbeit
unterziehen wollten.
Man wird Legband zustimmen und mit ihm das ausführliche
Register als das empfehlenswertere und nützlichere bezeichnen müssen,
„weil es erschöpfender oder richtiger allein erschöpfend ist ... zu-
gleich praktischer, weil es ein schnelles Finden ermöglicht“ 3). Es
ist darum dringend zu wünschen, daß Zeitschriften, die bereits auf
eine längere Reihe von Bänden zurückblicken können und über die
notwendigen Mittel verfügen, ihren Inhalt durch sorgfältig gearbeitete
1) Folgende Register blieben mir unzugänglich und konnten deshalb ia vorstehende
Listen nicht eingereiht werden:
Bulletin de la société pour la conservation des monuments historiques d’Alsace.
Repertoire des Travaux de la société . . . par E. Eissen. (Paris 1862.)
Jahresbericht des altmärkischen Vereins für vaterländische Geschichte und
Industrie (zu Salzwedel). Abteilung für Geschichte. Inhalt der Jahresberichte
ı bis 20 vom Jahre 1837—1884 ... in Jahresbericht 20 (1885).
Mitteilungen des Nordböhmischen Exkursionsklubs. Jahrgang 1—25. Haupt-
register, zusammengestellt von F. Hantschel,
Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins. Register zu den Jahrgängen
1884—1908. Von R, von Schoeler (Berlin 1909).
Baltische Studien (Jahrgang ı bis 12). Geordnetes Inhaltsverzeichnis. Entworfen
von Ernst Zober (Stettin 1847).
2) Dasselbe Ergebnis lieferte die Durchsicht von einigen Dutzend Registern ita-
lienischer, französischer, belgischer, niederländischer, englischer und nordischer Zeit-
schriften. In ihrer Anlage sind sie unter sich ebenso verschieden wie die deutschen
Arbeiten.
3) Legband S. 137.
— 279 —
ausführliche Register der allgemeingeschichtlichen, wie der landes-
und ortsgeschichtlichen Forschung erschließen.
Für die Anlage ausführlicher Register möchte ich folgendes vor-
schlagen:
1. alphabetisches Verzeichnis der Mitarbeiter und ihrer Beiträge,
2. Personen-, Orts- und Sachregister in einem Alphabet, 3. Verzeichnis
der besprochenen Schriften; ferner vielleicht 4. systematische Über-
sicht über die sachlichen Schlagworte. Das in einigen Registern ver-
tretene Verzeichnis der Abbildungen wird wohl passender mit dem
alphabetischen Hauptregister (unter Schlagworten wie Glocken, Grab-
steine, Stadttore usw.) verschmolzen. |
Jene Zeitschriften aber, die dazu nicht imstande sind, mögen
immerhin bei geeigneten Anlässen ein abgekürztes Inhaltsverzeichnis
herausgeben. Auch dieses kann, wenn ihm auch nicht die vielseitige
Verwendbarkeit des ausführlichen eignet, so lange es nicht durch das
im folgenden zu besprechende Register ersetzt ist, manchem gute
Dienste tun.
Jedoch von einem sehr großen Teil der landes- und ortsgeschicht-
lichen Zeitschriften wird auch nicht einmal ein abgekürztes Inhalts-
verzeichnis erscheinen. Und selbst wenn, was natürlich nie eintreten
wird, jede dieser Zeitschriften !) wenigstens ein abgekürztes Register
besäße, wäre noch nicht allen geholfen. Dann stünde wohl dem-
jenigen, der sich mit der Geschichte eines örtlich beschränkten Ge-
bietes beschäftigt, in drei oder sechs oder zehn Registerbändchen
der einschlägigen Zeitschriften ein recht brauchbares Hilfsmittel zur
Verfügung. Aber der Gelehrte, dessen Forschungen von allgemeineren
Gesichtspunkten ausgehen, der Bibliothekar, der feststellen will, wo
dieser oder jener geschichtliche Aufsatz erschienen ist, und mancher
andere noch, sähe sich einer ganzen Bibliothek von Registerbänden
gegenüber. Wer Arbeiten über die Geschichte von Köln oder Re-
gensburg oder Stettin sucht, weiß ja (im allgemeinen), in welchen
. Zeitschriften er diese finden kann. Schwieriger und zeitraubender wird
die Arbeit schon, wenn es gilt aus solchen Zeitschriften die Literatur
1) Es sind deren mehrere hundert. Vgl. die Zusammenstellungen bei Johannes
Müller, Die wissenschaftlichen Vereine und Gesellschaften Deutschlands im 19.
Jahrhundert (Berlin 1883—1887) und in August Hettlers Jahrbuch der deutschen
historischen Kommissionen, Institute und Vereine. 1. Jahrgang (Halle 1904), vor
allem aber die nach Ländern und Provinzen geordnete wertvolle Zusammenstellung: K.
Bibliothek zu Berlin, Systematisches Verzeichnis der laufenden Zeitschriften
(Berlin 1908), S. 265—278 (Deutschland), 286—290 (Österreich), 291—293 (Schweiz),
59 f. (Kirchengeschichte).
— 280 —
über eine Mehrbeit oder Vielheit von Orten zusammenzusuchen, eine
Notwendigkeit, in die der Forscher auf dem Gebiete der Rechts-,
Verfassungs-, Kirchengeschichte recht häufig versetzt wird. Am schlimm-
sten aber ist es, wenn jeder örtliche Anhaltspunkt fehlt. Wer über
alte Klosterbibliotheken oder die Geschichte eines bestimmten Ge-
werbes, über Funde aus der Hallstattzeit, über befestigte Friedhöfe
oder abgegangene Orte, über Epidemien vergangener Jahrhunderte
oder die Geschichte des Dorfschulwesens arbeitet und dafür die in
ortsgeschichtlichen Zeitschriften veröffentlichten Aufsätze benützen will,
muß entweder sämtliche Registerbände, von denen jeder zweite nach
einem andern System gearbeitet ist, und wo es solche nicht gibt, die
Zeitschriftenbände selbst durchsehen — oder sich mit dem begnügen,
was er zufällig aus anderen Quellen kennt. In der Regel wird er
das letzte tun }).
Und doch ist ein Handinhandgehen der allgemeingeschichtlichen
Forschung und der ortsgeschichtlichen Arbeit, ein innigeres Verhältnis
zwischen den „Königen und Kärrnern“ der Wissenschaft dringend zu
wünschen und für beide Teile von größtem Nutzen. Gewiß, es hat
sich in dieser Hinsicht seit den 1880er Jahren, da Gustav Bossert
sein noch heute lesenswertes Schriftichen über die historischen Ver-
eine ?) veröffentlichte, sehr viel gebessert. Einerseits ist die von ihm
mit Recht bedauerte Abschließung der Fachgelehrten gewichen, an-
derseits ist ein Fortschritt im Inhalt der meisten ortsgeschichtlichen
Zeitschriften unverkennbar. Und es wäre ungerecht, wenn man heute
die weit zurückliegenden Klagen von Georg Waitz, daß alle Ver-
suche, ein mehr wissenschaftliches Leben in den Vereinen zu wecken,
ohne rechten Erfolg geblieben seien, und daß sich in ihnen nur das
Übel des Dilettantismus breit mache, ohne jede Einschränkung wieder-
holen wollte. Und wenn auch noch heute gelegentlich Arbeiten er-
scheinen, die einigermaßen an Rabeners Geschichte des Dörfchens
1) Die in vieler Hinsicht recht nützliche allgemeine Bibliographie der deutschen
Zeitschriftenliteratur (seit 1896) erfordert, da seit 1899 immer ein Band nur ein halbes
Jahr umf«ßt, sehr viel Zeit, wenn 30 und mehr Bände nachgeschlagen werden sollen.
Auch ist die Verzeichnu g der Titel nur ganz mechanisch.
2) Gustav Bossert: Die historischen Vereine vor dem Tribunal der W ssen-
schaft (Heilbronn 1883). Das Schriftchen ist hervorgerufen durch die Broschüre von
Georg Haag: Die Territorial- Geschichte und ihre Berechtigung (Gotha 1882). —
Vgl. auch Kurt Breysig: Territorsalgeschichte, Deutsche Geschichtsblätter ı (1899
bis 1900), S. 1—12 und Armin Tille, Organisation und Publikationen der deut-
schen Geschichtscereine, Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts-
und Altertumsvereine 54. Jahrg. (1908), S. 170—178.
— 281 —
Querlequitsch !) erinnern, so dürfen wir doch hoffen, daß der erfreu-
liche Fortschritt der letzten Jahrzehnte auch ferner andauert und alle
landes- und ortsgeschichtlichen Zeitschriften befähigt, der Wissenschaft
die Dienste zu leisten, die zu leisten sie imstande sind und die billiger-
weise von ihnen gefordert werden können.
Und wir dürfen diese Dienste nicht gering einschätzen. Die un-
scheinbarsten und trockensten ortsgeschichtlichen Einzeluntersuchungen
können der Forschung wichtige Fingerzeige geben; der Nachweis, wo
ein paar in einer mittelalterlichen Hofzinsliste erwähnte Häuser ge-
legen haben, oder welchen Lauf die Mauer einer Stadt um 1106 und
welchen sie um 1180 nahm, ist für die Beantwortung wichtiger histo-
rischer Fragen vielleicht sehr bedeutsam. Es sei, um nur auf ein
paar Beispiele hinzuweisen, daran erinnert, welchen Wert die ein-
gehenden Untersuchungen von Hermann Keussen zur Topographie
des mittelalterlichen Köln für die Rechts-, Verfassungs- und Kirchen-
rechtsgeschichte besitzen, oder wieviel Siegfried Rietschel aus
Stadtplänen und ortsgeschichtlicher Literatur für die Geschichte des
mittelalterlichen Städtewesens geschöpft hat, oder welchen Wert eine
unbeachtete genealogische Untersuchung nach Entdeckung der stän-
dischen Zusammensetzung mittelalterlicher Stifte, welche Bedeutung
ein Ablaßbrief oder ein Band Kirchenrechnungen für die Kunst-
geschichte besitzen kann.
Allein es fehlt ein Wegweiser durch die unübersehbare Menge
ortsgeschichtlicher Arbeiten, die teils selbständig erschienen, zum
weitaus größten Teil aber in den Abhandlungen, Archiven, Berichten,
Forschungen, Jahrbüchern, Mitteilungen, Verhandlungen, Zeitschriften
von mehreren hundert historischen Vereinen niedergelegt sind. Ab-
gesehen von jenen kleineren Gebieten, für die es gute historische
Bibliographien gibt ?2), ist das vollständigste bibliographische Hilfs-
1) Gottlieb Wilhelm Rabener, Satiren: Ein Auszug aus der Chronike des
Dörfleins Querlequitsch, an der Elbe gelegen.
2) Die wichtigsten: Wilhelm Heyd: Bibliographie der Württembergischen Ge-
schichte (Stuttgart 1895—1908); Badische Bibliothek II. Literatur der Landes- und
Volkskunde des Großherzogtums Baden. Bearbeitet von Otto Kienitz und Karl Wagner
(Karlsruhe 1901) [I. Staats- und Rechtskunde (Karlsruhe 1897 — 1898) umfaßt nur selb-
ständig erschienene Werke]; Paul Emil Richter: Literatur der Landes- und Volks-
kunde des Königreichs Sachsen (Dresden 1889—1903); F. Witt: Quellen und Bear-
beitungen der schleswig-holsteinischen Kirchengeschichte (Kiel 1899); Anton Schlossar:
Die Literatur der Steiermark in bezug auf Geschichte, Landes- und Volkskunde,
2. Aufl. (Graz 1914). Im übrigen vgl. Landesgeschichtliche Bibliographie in den
Deutschen Geschichtsblättern Bd. 3 (1901—1902), S. 178—182. — Nur selbständig
— 232 —
mittel der deutschen Landes- und Ortsgeschichte immer noch des
Franzosen Ulysse Chevalier Répertoire des sources historiques du
moyen-âge. Topo-bibliographie. 2 Bände (Montbéliard 1894— 1903).
Andere Länder befinden sich in günstigerer Lage. Die Nieder-
länder besitzen bereits seit einem halben Jahrhundert ein Repertorium
der verhandelingen en bydragen, betreffende de geschiedenis des vader-
lands, in mengelwerken en tydschriften, tot op 1860 verschenen (Leiden
1863), das zunächst in Supplementen weitergeführt, 1907 in neuer
Bearbeitung erschienen ist!) und 1913 einen die in den Jahren 1901
bis 1910 veröffentlichten Aufsätze umfassenden Nachtrag erhalten hat 3).
Es zählt in übersichtlicher, systematischer Gliederung mehr als 46 300
Abhandlungen 8) auf; bedauerlicherweise fehlt ein Autorenregister.
In Frankreich nahm Robert de Lasteyrie eine Bibliographie
generale des travaux historiques et archéologiques in Angriff. Während
das zuvor genannte niederländische Werk, wie erwähnt, systematisch
angelegt ist, liegt dem französischen die alphabetische Reihenfolge der
Départements zugrunde und innerhalb dieser die der Städte, in denen
die Gesellschaften ihren Sitz haben. Die Veröffentlichungen der einzelnen
Gesellschaften aber werden chronologisch nach dem Erscheinen auf-
geführt, Band für Band und Aufsatz für Aufsatz. Die einzelnen Auf-
sätze sind fortlaufend numeriert. So erschienen zunächst von 1888 bis
1904 vier stattliche, gut ausgestattete Quartbände, die den Inhalt der
erschienene Literatur, also keine Zeitschriftenaufsätze führt auf: Katalog der Kaiser-
lichen Universitäts- und Landesbibliothek Straßburg, Katalog der Elsaß-Lothringischen
Abteilung. Bearbeitet von Ernst Markwald, Ferdinand Mentz und Ludwig Wilhelm.
Verwiesen sei noch auf folgende Zusammenstellungen deutscher Landes- und Ortsgeschichten:
Robert F. Arnold: Deutsche Territorialgeschichte in den Deutschen Geschichts-
blättern Bd. 13 (1911/1912), S. 239—261 und Katalog der Bibliothek des Reichs-
tags, 3 (Berlin 1896), S. 432—706 (und die seither erschienenen Nachträge),. — Nur
Zeitschriftenaufsätze verzeichnet: Eduard Alberti: Register über die Zeitschriften und
Sammelwerke für Schlesw.-Holst.- Lauenburg. Geschichte (Kiel 1873). — Gute Zu-
sammenstellungen ortsgeschichtlicher Literatur enthalten vielfach auch die jetzt allent-
halben erscheinenden Inventare der Bau- und Kunstdenkmäler; eine Übersicht über sie:
Kunsthandbuch für das Deutsche Reich (° Berlin 1904), S. 22—29 oder Heinrich
Bergner, Handbuch der kirchlichen Kunstaliertümer in Deutschland (Leipzig
1905), S. 4—6.
1) Repertorium der verhandelingen ... in tydschriften en mengelwerken tot
op 1900 verschenen. Bewerkt door Louis D. Petit.
2) Repertorium der verhandelingen ... in tydschriften en mengelwerken tot
op 1910 verschenen. Bewerkt door Louis D. Petit (Leiden 1913).
3) Davon etwa 15000 ortsgeschichtliche Artikel, über Utrecht allein 912, über
- Amsterdam 1220, über Maastricht 520, davon 72 über die dortige Servatiuskirche,
— 283 —
bis 1885 erschienenen Vereinsschriften (insgesamt 83818 Nummern)
verzeichneten, sodann 1911 ein Ergänzungsband, der die Jahre 1886
bis 1900 umfaßt (Nr. 83819— 106781). Diesem ersten Teil der Biblio-
graphie sollte als zweiter ein alphabetisches Verzeichnis der Autoren
und als dritter ein alphabetisches Sachregister folgen, beide mit Ver-
weisen auf die Nummern, die dem ersten Teil beigegeben sind, doch
sind diese beiden Teile bisher nicht erschienen, wodurch die Be-
nützung des ersten Teiles natürlich stark beeinträchtigt wird. Dieser
wird in gleich angelegten und gleich ausgestatteten Heften, die sich
immer auf die Veröffentlichungen eines Jahres erstrecken, weitergeführt !).
Wiederum systematisch angelegt ist das von der allgemeinen
geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz herausgegebene und
in deren Auftrag von Joseph Leopold Brandstetter bearbeitete
Repertorium über die in Zeit- und Sammelschriften der Jahre 1812 —
1890 enthaltenen Aufsätze und Mitteilungen schweiszer-geschichtlichen In-
haltes (Basel 1892). Eine Fortsetzung fand es in dem von Hans Barth
bearbeiteten Repertorium über die in Zeit- und Sammelschriften der
Jahre 1891—1900 enthaltenen Aufsätze und Mitteilungen schweizer-
geschichtlichen Inhaltes (Basel 1906), und auch ferner soll es in Nach-
trägen, die sich über je 10 Jahre erstrecken, weiter geführt werden ?).
Vor dem niederländischen Werk hat es ein alphabetisches Verfasser-
register voraus. Dagegen verzichtet es leider auf Verweise, was be-
sonders in dem Abschnitt Ortsgeschichte sehr bedauerlich ist. So muß
man sich z. B. die Literatur über Basel aus den Abschnitten Römische
F unde, Ortsgeschichte, Kirchengeschichte im allgemeinen, Bistümer,
Urkundenabdrücke und Regesten inbezug auf die Ortsgeschichte,
Chroniken, Heraldik, Münzkunde, Verfassungs- und Rechtsgeschichte,
Malerkunst und Gemälde überhaupt, Glasmalerei, Wand- und Decken-
malerei, Schulwesen, Buchdruckerei usw. zusammensuchen! 3)
1) Bibliographie annuelle des travaux historiques et archéologiques publiés par
les sociétés savantes de la France dressée sous les auspices du ministère de l'instruc-
tion publique par Robert de Lasteyrie avec la collaboration d’Alexandre Vidier,
(Paris 1904 ss.) Die Hefte 1901/2 bis 1908/9 verzeichnen insgesamt 36719 Titel.
2) Als Ergänzung dieser beiden Repertorien ist gedacht: Hans Barth; Bibliographie
der Schweizer Geschichte, enthaltend die selbständig erschienenen Druckwerke zur
Geschichte der Schweis. Bis Ende 1912. (Basel 1914 fi.)
3) Darum wird man gegebenenfalls außer Brandstetters Repertorium noch die
einschlägigen Bändchen der vielleicht etwas zu systematisch angelegten, aber mit guten
Registern versehenen Bibliographie der schweiserischen Landeskunde zu Rate ziehen.
In Frage kommen für geschichtliche Forschungen vor allem die Abteilungen V 3, ferner
Os Ob, Ic, Od, V2, Ve Vs, Vıoe.
21
— 284 —
Zuletzt erhielt Schottland eine ähnliche Bibliographie: Charles San-
ford Terry: A Catalogue of the Publications of Scottish Historical and
Kindred Clubs and Societies. And of the volumes relative to Scottish
History issued by His Majesty’s Stationery Office. 1780—1908. With
a Subject-Index (Glasgow 1909). Den ersten Teil des vornehm aus-
gestatteten Werkes bildet ähnlich wie in dem französischen Unter-
nehmen eine übersichtliche Aufzählung der einzelnen Gesellschaften und
ihrer Veröffentlichungen. Die zweite Hälfte besteht in einem alpha-
betischen Schlagwort- und Autorenverzeichnis,.
Deutschland besitzt derartige Nachschlagewerke nicht, wenigstens
nicht für die neuere Zeit. Dagegen hat es mehrere Vorläufer und
wohl auch Vorbilder der genannten Werke aufzuweisen. Abgesehen
von dem alten, Reuß’schen Repertorium, das praktisch kaum mehr in
Frage kommt !), verdienen hier zwei um die Mitte des vergangenen
Jahrhunderts erschienene und heute noch oft mit Nutzen zu Rate ge-
zogene Bücher rühmende Erwähnung: Ph. A. F. Walther: Systema-
tisches Repertorium über die Schriften sämtlicher historischer Gesell-
schaften Deutschlands. Auf Veranlassung des historischen Vereins für
das Großherzogtum Hessen bearbeitet (Darmstadt 1845) und W. Koner,
Repertorium über die vom Jahre 1801 bis zum Jahre 1850 in Aka-
demischen Abhandlungen, Gesellschaftsschriften und wissenschaftlichen
Journalen auf dem Gebiete der Geschichte und ihrer Hilfswissenschaften
erschienenen Aufsätze (Berlin 1852) ?).. Leider sind diese brauchbaren
Werke bis heute nicht- fortgeführt worden. Wir besitzen eine Reihe
wertvoller, ausführlicher und abgekürzter Register zu landesgeschicht-
lichen Zeitschriften, aber das für die Wissenschaft mindestens ebenso
wichtige Gesamtregister der geschichtlichen Zeitschriften Deutschlands
fehlt bislang. Walthers Repertorium gibt uns einen Überblick über
die Tätigkeit unserer historischen Vereine in ihren Jugendjahren. Sollten
die Arbeiten ihres reiferen Alters nicht wert sein, durch ein ähnliches,
umfassendes, bibliographisches Hilfsmittel erschlossen zu werden? Ich
verkenne die Schwierigkeiten, mit denen die Ausführung eines solchen
Unternehmens verbunden ist, keineswegs. Die Größe der Aufgabe,
die entsagungsreiche und eintönige Tätigkeit des Exzerpierens von
vielen Tausenden von Zeitschriftenbänden, die mühselige Arbeit mehr
1) J. D. Reuß: Repertorium commentationum a societatibus litterariis editarum
secundum disciplinarum ordinem. Tom. VIII: Historia. (Gottingae 1810.) (Syste-
matisch mit Autorenregister). Vgl. darüber Deutsche Geschichtsblätter Bd. 3 (1900 bis
1901), S. 17.
2) Vgl. über ihre Anlage a. a. O. S. 18.
— 285 —
als ein halbes Hunderttausend von Titeln möglichst zweckmäßig einzu-
ordnen, das alles wird für jeden, der nicht gerade zu zehnjähriger
Festungshaft verurteilt ist, etwas Abschreckendes an sich haben. Indes
der Nutzen, den ein solches Gesamtverzeichnis der in deutschen ge-
schichtlichen Zeitschriften erschienenen Abhandlungen schüfe, würde
dıe Mühe, die mit der Ausarbeitung dieser wie jeder andern großen
Bibliographie verbunden ist, reichlich lohnen und ohne andere Biblio-
graphien irgendwie herabsetzen zu wollen, darf man doch wohl be-
haupten, daß unter den hunderten, die alljährlich erscheinen, manche
ist, die weit weniger vermißt würde, als diese.
Die Herausgabe des Walther’schen Repertoriums ist ein Ver-
dienst des historischen Vereins für das Großherzogtum Hessen, der
dadurch sein Verständnis für die engen Beziehungen zwischen allgemein-
und ortsgeschichtlicher Forschung bewiesen hat zu einer Zeit, da sehr
viele historische Vereine noch in einer kurzsichtigen wissenschaftlichen
Kirchturmpolitik befangen waren. Die Fortführung jenes Werkes über
die seither verflossenen 70 Jahre übersteigt die Kräfte eines einzelnen
Vereins. Noch weniger wird ein Privatmann auf eigene Faust die
Herstellung eines solchen Gesamtregisters wagen. Deshalb könnte
hier nur eine wissenschaftliche Organisation helfen.
Dieser Gedanke ist natürlich auch schon anderen gekommen, und
zwar war es besonders Prof. Köcher (Hannover), der 1895, als in
Verbindung mit den Versammlungen deutscher Historiker die Konferenz
von Vertretern landesgeschichtlicher Publikationsinstitute ins Leben
trat, die letztere für eine „sachliche und finanzielle Vor-
bereitung einer Ergänzung der Walther-Konerschen
Repertorien von 1850 bis zur Gegenwart‘ zu gewinnen
suchte !). Aber dieser Plan wurde bereits bei der Nürnberger Tagung
1898 wegen der sich erg benden Schwicrigkeiten einstweilen vertagt ?)
und ist seitdem von der Tagesordnung dieser Konferenzen verschwunden.
Schon 1900 griff Prof. v. Zwiedineck-Südenhorst (Graz) den Ge-
danken im Kıeise des Gesamtvereins der deutschen Geschichts-
und Altertumsvereine bei dessen Dresdener Tagung wieder auf ?)
und versuchte diese ihm für den Zweck besonders geeignet erscheinende
1) Vgl. Bericht über die vierte Versammlung deutscher Historiker zu Inns-
bruck 11. bis 14. September 1896 (Leipzig 1897), S. 64.
2) Bericht über die fünfte Versammlung deutscher Historiker su Nürnberg
12 bis 15. April 1898 (Leipzig 1898). S. 58
3) Vl. Korrespondensblatt «es Gesamtvereins der deutschen Geschichte und
Altertumsvereine, 48. Jahrgang (1900), S. 180.
21”
— 286 —
Körperschaft für das Unternehmen zu gewinnen. Ein dreigliedriger
Ausschuß (Köcher, Tille, Zwiedineck) sollte die Angelegenheit weiter
verfolgen, aber der 1901 in Freiburg von Tille im Auftrag des drei-
gliedrigen Ausschusses erstattete Bericht !) ermutigte nicht zur Fort-
setzung der Bemühungen. Da es in den nächsten Jahren dem Ge-
samtverein nicht einmal gelang, das geplante Register zu seinem
eigenen Organ, dem Korrespondensblatt, zustande zu bringen ?), so
mußte der so viel weiter greifende Plan eines Gesamtregisters zu allen
geschichtlichen Zeitschriften, dessen Ausführung ganz erhebliche Ge-
ldmittel erfordert hätte, erst recht zurücktreten. ' Die finanzielle
Stützung des Unternehmens bleibt die Hauptsache, aber wenn man
bedenkt, daß sich schon für Walthers Repertorium seinerzeit
500 Subskribenten gefunden haben ®), so sollte man meinen, daß
sich in unseren Tagen wenigstens 1000 feste Abnehmer gewinnen
lassen müßten.
Eine ausführliche Erörterung registertechnischer Einzelheiten, die
der tatsächlichen Inangriffnahme der Bibliographie natürlich voraus-
1) Korrespondensblatt 5o. Jahrgang (1902), S. 28—30. Dort ist ein bis ins ein-
zelne gehender Plan entwickelt, der sowohl die finanzielle Grundlage als auch die ma-
terielle Arbeit berücksichtigt, und zwar wurde zuerst die Behandlung des Jahrzehnts
1891—1900 empfohlen. — Es sei hier auch an den Gedanken erinnert, der Gesamtverein
solle jährlich ein Verzeichnis aller Veröffentlichungen der im Gesamtverein verbundenen
Geschichtsvereine herausgeben. Vgl. Korrespondensblait 49. Jahrg. (1901), S. 8—9.
Tille.
Dazu seien mir folgende Bemerkungen gestattet. Sollte zunächst nur ein Jabrzehnt
bearbeitet werden, so dürfte man sich heute für das jüngstverflossene Jahrzehnt entschei-
den, 1, weil die. neueste Literatur erfahrungsgemäß am meisten verlangt und benutzt
wird, 2. weil sie (im allgemeinen) ältere Arbeiten an methodischer Durchführung und
wissenschaftlichem Wert übertrifft, 3. weil die Arbeiten der letzten Jahre vielfach noch
nicht in andere Nachschlagewerke: übergegangen sind, hingegen selbst auf die ältere Li-
teratur verweisen. — Ein jährlich erscheinendes Verzeichnis würde geringen Nutzen
schaffen. In die Jahresberichte der Geschichtswissenschaft finden die Titel ohnehin
Aufnahme. In verhältnismäßig kurzer Zeit würde sich eine große Anzahl Bände an-
sammeln, deren Durchsicht umständlich und sehr zeitraubend wäre. Eine Übersicht über
die Arbeit größerer Zeiträume, ein „Dahlmann-Waitz‘, ein „Chevalier‘‘ ist Bedürfnis,
kein „Jahresbericht “,
Dem Herrn Herausgeber, der die große Liebenswürdigkeit hatte, den obenstehen-
den Absatz samt Noten beizufügen (die Berichte über die Innsbrucker und Nürnberger
Versammlung waren mir unzugänglich gewesen, der Aufsatz im Korrespondenzblatt un-
bekannt geblieben), möchte ich hier meinen verbindlichsten Dank aussprechen,
Dorn,
2) Ebenda so, Jahrgang (1902), S. 54.
3) Zeitschrift für die Archive Deutschlands, Bd. ı (1846), S. 81.
— 287 —
gehen muß, würde hier, wo erst einmal die Frage nach deren Not-
wendigkeit und Nützlichkeit aufgeworfen werden sollte, verfrüht sein).
Nur auf ein paar Punkte, die auch bei Anlage „abgekürzter‘“
Register zu einzelnen Zeitschriftenreihen in Betracht kommen, sei
noch kurz hingewiesen. Gegenüber der rein chronologischen An-
einanderreihung der Inhaltsverzeichnisse nach Bänden, wie sie z. B.
dem großen französischen Werk von Lasteyrie zugrunde liegt,
verdient doch wohl die allerdings weit mühevollere systematische
Anordnung den Vorzug. Vor allem bietet sie in den meisten Fällen
sämtliche einschlägige Aufsätze an einer Stelle, während sie
andernfalls erst mit Hilfe des bei chronologischer Anordnung schlecht-
hin unentbehrlichen Schlagwortverzeichnisses zusammengesucht werden
müssen. Ferner gibt das Nebeneinanderstehen verwandter Gegenstände
in systematisch angelegten Bibliographien dem Suchenden oft recht
wertvolle Hinweise auf Arbeiten allgemeineren oder spezielleren Inhalts,
die ihm sonst in der Regel unbekannt bleiben würden. — Eine
‚ Schwierigkeit liegt darin, daß sich zahlreiche Aufsätze unter ver-
schiedenen Gesichtspunkten einordnen lassen. Wiederholte Aufführung
der vollständigen Titel wäre Raumverschwendung. Hier kann durch
reichlich eingestreute Hinweise geholfen werden. Bei jenen, gerade
in ortsgeschichtlichen Zeitschriften sehr oft vorkommenden Titeln, die
sowohl von sachlichen als von örtlichen Gesichtspunkten aus eingeordnet
werden können, muß selbstverständlich konsequent verfahren werden ?).
Die Einordnung nach Ortsnamen dürfte vorzuziehen sein. Ausgaben
mittelalterlicher Stadtrechte kämen also unter dem Namen der Stadt
zu stehen, mit einem entsprechenden Hinweis im Abschnitt Rechts-
geschichte; Aufsätze über ein einzelnes Domkapitel würden unter dem
Namen des Bistums eingereiht, im Abschnitt Kirchenverfassung hingegen
ein Rückweis: Augsburg, Leuze; Culm, Hoelge; Meißen, v. Brunn.
Diesem systematischen Verzeichnis müßte ein doppeltes Register bei-
gegeben werden, ein alphabetisches der Verfassernamen, — hierfür
I1) Wenn man an die Ausführung des Gedankens herantreten wollte, würde es die
erste Aufgabe sein, ein wirklich vollständiges Verzeichnis der im deut-
schen Sprachgebiet bestehenden Geschichtsvereine (auch der wieder ein-
gegangenen!) und der von ihnen herausgegebenen Veröffentlichungen
mit den Erscheinungsjahren zu bearbeiten. Aber ein solches Verzeichnis, für das es be-
reits umfangreiche Vorarbeiten gibt, ist eine sachliche Notwendigkeit auch dann, wenn
aus dem Gesamtregister der Zeitschriftenaufsätze nichts werden sollte, und auf die als-
baldige Bearbeitung eines solchen müßte deshalb zunächst gedrungen werden. Tille.
3) Vgl. das oben S. 283 zu Brandstetters Repertorium Gesagte!
— 288 —
kann das Register der Quellenkunde von Dahlmann-Waitz als Muster
hingestellt werden —, und ein gleichfalls alphabetisches der sachlichen
Stichworte, trotz der systematischen Ordnung oder gerade als Schlüssel
zu dieser. Es ist durchaus nicht einfach, einen bestimmten Gegenstand
in einer systematisch angelegten Bibliographie zu suchen. Man sehe
nur, wie verschieden ein und dieselbe Sache in verschiedenen biblio-
graphischen Systemen, ein und dasselbe Buch in mehreren nach
verschiedenen Systemen aufgestellten Bibliotheken eingereiht ist.
Auch ist jedes System dem Veralten ausgesetzt; der Gesichtspunkt,
unter dem die Gegenstände betrachtet werden, wechselt oft sehr rasch.
Eine Bibliographie dagegen muß viele Jahrzehnte hindurch Dienste
tun. Ferner soll sie vor allem auch rasch Aufschluß geben. Nicht
nur der Bibliothekar, der einen unter ungenauem Titel verlangten
Aufsatz feststellen muß und nicht Zeit hat, lange in einer systematisch
geordneten Bibliographie zu suchen, auch der Fachgelehrte wird, um
einen Gegenstand rasch zu finden, nicht zum systematischen Inhalts-
verzeichnis, sondern zum alphabetischen Schlagwortregister greifen.
Genug der Einzelheiten! Ihrer Erörterung muß die Beantwortung
der Hauptfrage vorausgehen: Was für Register sollen geschaffen
werden: Und die Antwort auf diese Frage lautet m. E.: möglichst
viele „ausführliche“ zu einzelnen Zeitschriftenreihen und ein
„abgekürztes“ für alle deutschen geschichtlichen Zeitschriften.
Dadurch wird am besten erreicht werden, was schon Koner als Ziel
bezeichnet hat: „dieses gleichsam tot daliegende Kapital den histo-
rischen Forschungen zinsbringend zu machen “ 3).
Dynasten und Dienstmannen
Von
Kurd v. Strantz (Berlin)
In dem Aufsatze Nobilis und Ministerialis im Miütelalier hat sich
. Schnettler?) mit der Edelherrenfrage besonders am Beispiel der frag-
I) Unter den S. 368 — 274 aufgeführten Zeitschriften mit abgekürzten Inhaltsver-
zeichnissen sind noch die Mitteilungen der Geschichts- und Altertumsforschenden
Gesellschaft des Osterlandes (Altenburg) nachzutragen, und zwar findet sich das Ver-
zeichnis der in Bd. ı bis ro enthaltenen Abhandlungen in Bd. ıı (1907), S. 83—100.
2) In der Monatsschriit Der deutsche Herold, 45. Jahrg. (1914), S. 144 ff. Mit
den Darlegungen von Rudolf His: Zur Rechtsgeschichte des thüringischen Adels
— 289 —
los Ministerialen von Volmarstein beschäftigt. Der Wiener Genealoge
Forst!) hat im Anschluß daran die Zugehörigkeit dieses Geschlechts
zum Stande der Ministerialen einwandfrei nachgewiesen. Die noch
immer herrschende Unsicherheit in der Beurteilung des klar umrissenen
Begriffs des Herrenstandes als des eigentlichen alten Volksadels
veranlaßte mich von neuem, den Gegenstand zu erörtern. Wenn im
Titel dieses Aufsatzes das Wort „Dynasten‘“ gebraucht wird, so ge-
schieht es, um mit einem kurzen Ausdruck diejenigen Edelfreien zu
bezeichnen, die als Freie auf freiem Eigen saßen.
Schnettler führt von Alois Schulte den Satz an: „Der Stand
der freien Herren nahm seit etwa 1350 einige wenige dienstmännische
Geschlechter in sich auf, und diese gehörten fast alle der alten Reichs-
ministerialität an.“ Es ist bezeichnend, daß der größte Fachgelehrte
auf diesem Gebiete, der aber auch viel zu wenig Kenner der Adels-
geschichte ist, als daß er unfehlbar wäre, einen solchen Ausspruch
tun konnte. Es ist nirgends nachzuweisen, daß wirkliche Ministeriale
in den Herrenstand aufgestiegen sind. Dagegen war bereits um 1350
der scharfe Unterschied zwischen den Dynasten als dem wirklichen
Adel und dem neuen, dem späteren niederen, Adel schon etwas ver-
blaßt, obwohl durchaus noch lebendig. Aber aus dem alten Herren-
stande bildete sich zusammen mit emporgekommenen ministerialen
Familien die spätere Reichsstandschaft des sogenannten hohen
Adels. Ich sage ausdrücklich sogenannter hoher Adel, da sich
eben aus der Zugehörigkeit ministerialer oder später sogar bürger-
licher Familien zum heutigen hohen Adel dessen Verschiedenheit
vom alten Herrenstande ergibt. Zum hohen Adel als Herrenstand
würden alle Dynasten gehören, auch solche, die die Reichsstandschaft
nicht erlangt oder im Laufe der Zeiten wieder verloren haben. Noch
im XVIII. Jahrhundert waren die Dohna fraglos hoher Adel, während
sie im XIX. Jahrhundert und in der Gegenwart durchaus ungerecht-
fertigter Weise zum niederen Adel gerechnet werden. Dasselbe gilt
von den wenigen übrigen Dynastengeschlechtern, die durch den frühen
Übertritt in den landsässigen Adel infolge Verlustes ihres edelfreien
Allods die Reichsstandschaft nicht gewonnen haben.
Zum Begriff des dynastischen Herrentums gehört die edelfreie
Geburt und der Besitz eines Allods. Ein königliches und geistliches
(Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte N. F. Bd. 14 [1904], S. 1—35)
werde ich mich später besonders auseinandersetzen.
1) Zur Genealogie der Volmarstein in derselben Monatsschrift, 45. Jahrg. (1914),
S. 184,
— 290 —
Lehen, auch des kleinsten Klosters oder der kleinsten Kirche, be-
einträchtigen, sofern nur der Belehnte auch ein Allod hat, den Herren-
stand nicht. Persönlich blieb der Dynast sogar auch noch nach Ver-
lust seines Allods edelfrei. Nur nach dem alten Rechtsgrundsatz:
„Das Kind folgt der ärgeren Hand“ konnte eine Standesminderung
dadurch eintreten, daß die Mutter nicht ebenbürtig war. Dieser Grund-
satz, der in anderen germanischen Ländern wie Frankreich und Eng-
land frühzeitig erlosch, ist auch in Deutschland durch das Eindringen
der Ministerialen in den heutigen hohen Adel veraltet. Erst durch
seine Privatautonomie hat sich der heutige hohe Adel gegen die
Nichtebenbürtigkeit geschützt; doch ist selbst bei der Forderung 32
ebenbürtiger Ahnen das Eindringen der bürgerlichen Fugger oder
Rosenberg-Orsini nicht zu verhindern gewesen. Der Grad der ge-
forderten Ebenbürtigkeit ist willkürlich, damit aber ist der Grundsatz
der Ebenbürtigkeit überhaupt verlassen. Die Ahnentafeln unserer
größten souveränen Häuser ergeben, daß selbst bei geringer Ahnen-
forderung die Ebenbürtigkeit nicht erreicht sein würde !. Das auch
sittlich und gesellschaftlich nicht ganz einwandfreie Fräulein v. Olbreuse
(gest. 1722) ist die Stammutter der meisten und ersten unserer re-
gierenden Familien, wie der Welfen und Hohenzollern.
Es läßt sich jedoch auch für das Mittelalter mit voller Genauig-
keit urkundlich feststellen, ob eine Familie dynastischen Ursprungs
ist oder nicht. Es ist freilich Tatsache, daß gefällige Klosterschreiber
öfters das Beiwort nobilis bei hervorragenden Dienstmannen gebraucht
haben, um dem betreffenden Zeugen eine besondere Ehre zu erweisen.
Ein solches gelegentliches Vorkommen des Prädikats nobilis, nament-
lich nach 1350, ist natürlich nicht beweiskräftig, sofern nicht andere
Umstände erhärten, daß der Träger wirklich ein Dynast war. Bei
eingehenden Forschungen im Interesse meiner eigenen Familien-
geschichte habe ich wenigstens an der Hand der Urkunden stets
feststellen können, ob ein Geschlecht wirklich edelfrei war oder nicht.
Ein einmaliges Vorkommen des Beiworts nobilis genügt, wie gesagt,
nicht: außerdem muß in allen Fällen das Vorhandensein eines Allods
(titulo proprietatis) nachgewiesen sein.
Der Irrglaube, daß Dienstmannengeschlechter in den Herrenstand
aufgestiegen seien, ist dadurch entstanden, daß solche Geschlechter
wie fast alle Dynasten auch königliche und kirchliche Lehen besessen
I) Am besten veranschaulicht diese Verhältnisse ein Blick in den Ahnentafel-
Atlas. Ahnentafeln su 32 Ahnen der Regenten Europas und ihrer Gemahlinnen
von Kekule von Stradonitz (Berlin 1898—1904). |
e
a e
ren
die
Ja
jer
ge-
atz
rer
el-
uch
‚use
Te”
ug-
ngs
ber
cht
lere
— 291 —
haben. Wenn man besonders von dem Aufstiege von Reichsmini-
sterialen-Familien in den Herrenstand redet, so vergißt man, daß
diese gelegentlichen Reichsministerialen sehr wohl zugleich Dynasten
sein können, nämlich solche, die eben ein königliches Lehen neben
ihrem Allod besaßen.
Wirkliche Reichsministeriale, die nie ein Allod besessen haben,
sind nie in den Herrenstand aufgestiegen, selbst nicht die großen
mittelrheinischen reichsministerialen Geschlechter, wie die Bolanden
` oder Münzenberg, obwohl sie in dynastische Familien geheiratet haben
und gesellschaftlich an Ansehen den Dynastengeschlechtern nicht
nachstanden. Die Voraussetzung für die Möglichkeit dieses Auf-
stiegs war aber, daß sie frei waren; denn das freie Herrentum war
ursprünglich kein Stand, wie überhaupt der alte Volksadel keine ab-
geschlossene Kaste bildete. Das alte Recht kennt bloß Freie, Minder-
freie und Knechte; zu den Vollfreien gehören auch die Dynasten.
Erst später schloß sich der Volksadel, zuerst auf romanischem Boden,
von den übrigen Freien als besonderer Stand ab, und dieser Zustand
übertrug sich in der fränkischen Zeit, jedenfalls aber im karolingischen
Abschnitt, auf das heutige Deutschland.
Es ist auch falsch, die Ministerialen, wie es mit Vorliebe
geschieht, schlechthin als Unfreie zu bezeichnen. Unsere liberale
adelsfeindliche Geschichtschreibung, und gerade die sonst so vor-
urteilsfreie Wissenschaft hat in dieser Beziehung schlimm gesündigt.
Die Dienstmannen haben sich mutmaßlich sogar hauptsächlich aus
dem Stande der Freien, d. h. der freien Bauern ergänzt: es waren
Gutsbesitzer, die ihren Besitz den mächtigeren Dynasten oder Kirchen
zu Lehen auftrugen und dafür neben ihrem einstigen Eigengut von
jenen anderes Lehengut dazu empfingen. Nur selten wird ein unfreier
Knecht durch persönliche Tüchtigkeit Gutsbesitzer geworden sein.
Der besitzlose Reiter oder sonstige Knappe erhielt kein Lehn, son-
dern gehörte eben zum Gesinde und wurde vom Herrn ausgerüstet;
er war nur ein bewaffneter Knecht. Wir müssen den Begriff des
Gutsbesitzers, den wir ja in der Gegenwart genau kennen, auf die
alte Zeit übertragen, obgleich die Eigenwirtschaft gering und das
meiste Land an Zinsbauern ausgetan war !). Im Dienstmannentum er-
blicken wir die Blüte des freien Großbauerntums, das sich durch Auf-
I) Das war für jene Zeit, die einen landwirtschaftlichen Großbetrieb technisch
noch nicht bewältigen konnte, die zweckmäßigste Form, um einen größeren Grundbesitz
wirtschaftlich auszunutzen, Vgl. Tille: Zur Geschichte der Unternehmung in Stiu-
dium Lipsiense, Ehrengabe für Karl Lamprecht (Berlin 1909), S. 403.
— 23932 —
tragung seinen Besitz erhielt, ja ihn mehrte, während das Klein-
bauerntum mit seinem Besitze die persönliche Vollfreiheit verlor.
Übrigens hat sich auch die Kleinbauernschaft bis zum Ausgang des
Mittelalters in vielen Gegenden erhalten; erst die völlige Herrschaft
des römischen Rechtes hat den Bauer schollenpflichtig gemacht, ja
den Begriff des Sklaven haben gerade bürgerliche Juristen auf den
freien Bauern übertragen. Aber auch der sogenannte „leibeigene “
Bauer war keineswegs persönlich unfrei, sondern nur schollenpflichtig.
Der übliche Ausdruck „unfrei“ ist daher staats- und privatrecht-
lich falsch.
Um zum Ausgangspunkt wieder zurückzukommen, möchte ich
daher feststellen, daß leider die Rechtswissenschaft, aber auch die
Geschlechterkunde, den klaren Begriff des deutschen Herrertums
immer wieder verwischt hat. Ich bin so unbescheiden, für den Ge-
nealogen Grafen Oeynhausen!) und mich ?) in Anspruch zu nehmen,
daß’wir beide und vielleicht zuerst den ganz einfachen juristischen
Begriff festgelegt haben, wie er sich aus den Urkunden ergibt. Erst
Schulte?) und Frhr. v. Dungern 4) können als fachgelehrte Sach-
kundige gelten. Die deutschrechtlichen Gelehrten waren zu wenig
Kenner der Adelsgeschichte, und selbst Schulte als gegenwärtig füh-
render Forscher sucht immer nach Ausnahmen, die es tatsächlich
gar nicht gibt, was Frhr. von Dungern mit Recht gerügt hat. Da
aber die natürliche Entwicklung auch die festesten Grenzen selbst
der juristischen Begriffsbestimmung lockert, so daß diese fließend
werden, so hat auch das alte Herrentum sich zum heutigen hohen
Adel gemausert, indem es die doppelte Zahl ministerialer und selbst
bürgerlicher Familien in seinen Schoß aufnahm. Ja, es ist sogar
ein weiterer Zuwachs, selbst nach dem Ende des alten Deutschen
Reiches, das den Kreis des hohen Adels grundsätzlich abschloß, zu
verzeichnen, indem zwei dem niederen Landadel angehörende Fa-
milien, die Grafen von Bentinck und v. Schlitz genannt v. Görtz
durch einfache landesherrliche Anerkennung in den hohen Adel auf-
genommen wurden, zu dem sie nie gehört haben. Beide Familien
haben weder jemals die Reichsstandschaft besessen, noch sind sie
I1) Vgl. unten S. 295.
2) Dynastische Torunia am Beispiel der Strantschen Geschlechtskunde
in der Vierteljahrschnift für Wappen-, Siegel- und Familienkunde 23. Jahrg. (1905),
S. 81—144. .
3) Über seine und seiner Schüler einschlägige Arbeiten vgl. diese Zeitschrift
9. Bd. (1908), S. 251 f,
4) Der Herrenstand im Mittelalter, Bd. ı (Papiermühle 1908).
— 293 —
dynastischer Herkunft. Sie sind daher staatsrechtlich gar nicht hoher
Adel, wohl aber durch rechtsgültige, obschon ungerechtfertigte An-
erkennung fast sämtlicher deutscher Landesherren.
Schließlich möchte ich noch auf eine Sache zu sprechen kommen,
die eine gewisse Unsicherheit der Anschauung hervorgerufen hat. Aus
Eitelkeit hegen häufig gute alte Familien, Dienstmannengeschlechter,
die Hoffnung, daß auch sie dynastischer Herkunft seien. Selbstver-
ständlich ist es keineswegs ausgeschlossen, daß durch Auffinden oder
bessere Erklärung von Urkunden noch manche alte ministeriale Fa-
milie den Beweis dynastischer Abkunft erbringen kann. Aber wo
diese Urkunden versagen, ist eben an dem ministerialen Ursprunge
nicht zu zweifeln. Der für den thüringisch-sächsischen Adel sach-
kundigste Genealoge v. Mülverstedt!) hat den Begriff des „nach
dem Herrenstande aspirierenden “ ministerialen Adels aufgebracht. Er
würde aber vermutlich jetzt selbst zugeben, daß die Geschlechter,
von denen er dieses behauptet hat, entweder wirkliche Dynasten ge-
wesen sind, wie die Strantz v. Tüllstedt, oder Dienstmannen, wie die
© v. Wangenheim. Die genaue Forschung hat ergeben, daß das Stre-
ben nach dem Herrentum entweder das gerechtfertigte Verlangen nach
Anerkennung der tatsächlich bestehenden Zugehörigkeit zum Herren-
stande war, oder daß die Gefälligkeit mönchischer Schreiber dienst-
männischen Zeugen — nach 1350 ist die Bezeichnung nobilis für sie
gar nicht selten — ein unrechtmäßiges Prädikat beigelegt hat.
Unser deutscher dynastischer und ministerialer Uradel sind ur-
kundlich der beste und älteste der europäischen Welt. Es ist äußerst
beschämend, daß die bedauerliche Fremdenliebe und Auslandssucht
uns immer in Ehrfurcht vor englischen Lords ersterben läßt, deren
Geschlecht sich in keiner Weise mit unserem alten Adel messen
kann. Die Mehrzahl der englischen Peers, die vom Brauhause, der
Bankstube, der Spinnerei oder aus der Zeitung stammen, ist bürger-
licher Herkunft; vielleicht zwanzig Geschlechter gehören dem wirk-
lichen Uradel an, kein einziges aber ist dynastischer Abkunft. Folge-
richtig und echt englisch gilt daher selbst im Königshause die Eben-
bürtigkeit nicht. Die gegenwärtige Königin von England gehört
trotz ihrer fürstlichen Herkunft dem niederen deutschen Adel an. In
Frankreich ist die Zahl der Uradelsfamilien größer, doch auch hier
gibt es seit dem Aussterben der Montmorency keine Dynasten mehr.
Freilich sind die Bourbons und Orléans als echte Kapetinger der
1) Vgl. diese Zeitschrift 16. Bd., S. 99—101.
— 29% —
älteste Adel der germanischen Welt, älter als die Welfen, welche die
ältesten deutschen Dynasten sind, wenn auch langobardischer Abkunft.
Dieser Überblick möge genügen, um die Fragestellung zu be-
leuchten, die über den folgenden Ausführungen schwebt. Um der
Übersichtlichkeit willen wird hier auf die verschiedenen umstrittenen
verfassungs- und rechtsgeschichtlichen Nebenfragen nicht eingegangen,
vielmehr deshalb auf Schröders Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte
(5. Aufl. Leipzig 1907) verwiesen.
I. Der Rechtsbegriff des Herrentums.
Aus der Bezeichnung liber vel nobilis (wie im mittelalterlichen
Latein oft ist vel mit „und“ zu übersetzen) ergibt sich, daß Besitz
und Geburtsstand die bestimmenden Merkmale dynastischen Daseins
sind: kiber bezieht sich auf das Allod, da nobilis nur der Vollfreie
sein konnte. Der Ministerialadel ist erst das Erzeugnis einer späteren
Entwicklung, und zwar flossen bei ihm ebenfalls zwei standbildende
Eigenschaften zusammen: der Dienst und das Lehn. Die Geburt
spielte bei der Zugehörigkeit zu diesem neuen Stande keine Rolle.
Die Dynasten sind der alte Volksadel, der in der gemein - germani-
schen Vorzeit keinen besonderen Stand bildete und deshalb auch
rechtlich keinen Vorzug genoß; das Ansehen, das Besitz und Ge-
schlecht verliehen, erhob ihn lediglich gesellschaftlich über die Ge-
meinfreien. Erst in den auf altrömischem Boden errichteten germani-
schen Reichen hob sich mit der Stellung der Könige und Herzöge
als der Volksführer auch die ihrer Standesgenossen, aus denen beide
allein hervorgehen konnten. Die Edelinge dankten die Achtung, die
sie in der Volksgemeinde genossen, nicht der Gnade eines Königs,
sondern ihrem Stammbaum, dessen aristokratische Wertschätzung bei
den Germanen besonders charakteristisch ist. Die Abkunft von den
Göttern, die das Christentum herabgesetzt hatte, Ungeheuern (Mero-
winger!) oder Sagenhelden war etwas anderes, gemütlicheres und doch
leibhaftigeres als die gleiche Neigung zur Annahme göttlichen Ur-
sprungs bei andern Völkern. Daher waren auch die Antrustionen, die
reisigen Gefolgsleute der fränkischen Könige, keine Dienstmannen im
späteren Sinne, sondern jüngere Söhne aus dem Volksadel.
Im fränkischen Ostreiche, dem heutigen Westdeutschland, blieb
dieser alte Volksadel erhalten und bildete den eigentlichen Hochadel,
der sich in die titulierten Herzöge, Markgrafen, Gaugrafen, Pfalzgrafen,
Landgrafen und Burggrafen und die übrigen titellosen Dynasten glie-
derte. Die Titel waren ursprünglich Ämter, die erst allmählich erb-
— 29 —
lich wurden, aber als Gegenstand königlicher Verleihung auch oft
von einem Geschlecht auf ein anderes übergegangen sind. Daher ist
der gesamte alte Hochadel unter sich standesgleich, und nur durch
die Titulierung ist der Unterschied zwischen Fürstentum und einfachem
Herrentum entstanden. Bis zu den Tagen Heinrichs V., in denen
diese Entwicklung abschloß, waren beide Gruppen staats- und privat-
rechtlich noch nicht gesondert, wohl aber bereits politisch durch den
verschiedenen Umfang ihrer Landherrschaft. Heinrich VI. schloß dann
noch durch seine Konstitution von 1196 einen beträchtlichen Teil des
altgräflichen Herrentums vom Reichsfürstentum aus. Aus letzterem
hob sich endgültig seit dem Kurverein von Rhense (1338) eine be-
schränkte Zahl der Reichsfürsten, die sich zu Königswählern be-
rufen fühlten, als die sieben Kurfürsten ohne jede rechtliche Grund-
lage heraus: die Macht und die staatliche Notwendigkeit, im Falle
einer Thronerledigung schnell zur Neuwahl zu schreiten, haben dann
diese Absonderung auch gesetzlich bestätigt. Diese Teilung oder
Zersetzung des alten Volks- und Hochadels, der ja auch frischer
- Blutzufuhr bedurfte, begünstigte das dem alten Standesbewußtsein,
Eigentums- und Blutsbegriff widersprechende Aufsteigen einer neuen
Schicht in diese höchste und blutreinste Volksgemeinschaft, wenn es
sich auch um erlesene Glieder handelte: der Ministerialadel und selbst
bürgerliche Geschlechter, wie die Fugger, Rosenberg-Orsini, Thurn
und Taxis, drängten sich in den Hochadel, gestützt auf die Tatsache
ihrer Reichsstandschaft, da’ der Sinn für die Abkunft verloren ge-
gangen war und der Besitz einer bestimmten Stellung im Reichs-
organismus ohne Rücksicht auf die Art des Erwerbes als alleinige
Voraussetzung der Standeszugehörigkeit angesehen wurde.
Damit war der alte Begriff des hohen und Volksadels hinfällig
geworden. Ehe wir aber die staats- und privatrechtliche Stellung des
Volksadels kennzeichnen, bedarf es eines Wortes über den Ur-
sprung des neuen Adels, der schließlich im Volksadel aufging.
Ihm ist dann seit Karl IV. der Briefadel gefolgt.
Aus dem reisigen Aufgebot des Reichsheerbannes ging ein be-
sonderer Ritterstand !) hervor. König Heinrich I. war sein Schöpfer,
um im Kampfe gegen die Magyaren den Grenzschutz mit der erfor-
derlichen Schnelligkeit in Kriegsberejtschaft setzen zu können; denn
1) Vgl. Graf Oeynhausen: Nobiles, vasalli, ministeriales usw. in der Monats-
schrift Der deutsche Herold 4. Jahrg. (1873), S. 69, 94, 104, 121, I[31, 145 und
5. Jahrg. (1874), S. 87; Frhr. v. Ledebur: Ministeriale in den Märkischen For-
schungen 3. Bd. (1851), S. ı fl.
— 296 —
das allgemeine Volksaufgebot mit seiner Schwerfälligkeit und seinen
nur langsam zu bewegenden Fußkämpfern taugte dazu nicht. Nur
eine Reiterschar, die sich ständig bereit hielt, um im Augenblicke der
Gefahr sofort unter die Fahne zu eilen, eignete sich zur Abwehr der
Magyareneinfälle. Diese Reisigen mußten natürlich für ihre über die
allgemeine Kriegspflicht hinausgehende Marsch- und Kampfbereit-
schaft eine Vergütung erhalten, und diese konnte in jener natural-
wirtschaftlichen Zeit nur in Grund und Boden bestehen, dessen Ertrag
gewissermaßen den Sold für die Dienstleistung darstellte. So ent-
stand das Lehnswesen. Die edlen Gefolgsleute des Königs aus
dem alten Volksadel bedurften dagegen einer solchen Begabung mit
Land nicht; denn sie waren selbst Großgrundbesitzer.
Das Riıterheer ergänzte sich zunächst aus den Gemeinfreien. Die
Übermacht des Herrentums und die drückende Kriegslast hatten jedoch
schon in karolingischer Zeit viele Gemeinfreie gezwungen, sich in
den besonderen Schutz eines stärkern Nachbarn, naturgemäß des
Herrenstandes, zu begeben, und dadurch hatten sie zwar nicht ihre
persönliche Freiheit, aber wohl die unbeschränkte Verfügung über
ihr Grundeigentum verloren: sie näherten sich ihrer wirtschaftlichen
Lage nach den angesiedelten Unfreien und verschmolzen allmählich
mit letzteren, die sich gesellschaftlich hoben, zu der Klasse der
Grundholden. Wer Reiterdienst tat, trat in ganz ähnlicher Weise
in den Schutz eines Herrn, stieg aber durch seinen größeren Besitz
und seinen Beruf gesellschaftlich höher und wurde selbst Grundherr
über die wenigen Zinsbauern, die seinen Acker mit bewirtschafteten.
Ritter und Vasall wurden im Laufe dieser Veränderungen identische
Begriffe, und die’ Ritterschaft bildete zugleich den Wehrstand, da die
freie an sich heerespflichtige Bauernschaft eben wegen dieser Last
sich in immer zahlreicheren Fällen in Abhängigkeit begab und da-
durch als Stand zusammenschmolz. Es ist unrichtig, wenn landläufig
behauptet wird, daß der sich durch den Ritterdienst bildende Mini-
sterialadel hauptsächlich unfreien Standes gewesen sei. So sicher
einzelne angesiedelte Unfreie in ihn aufgenommen worden sind, so
wird nach der gesamten Lage doch wohl die überwiegende Mehrzahl
der neuen Ritter die freie Bauernschaft gestellt haben. Für Grund-
holde und Ministeriale gilt in gleicher Weise der Satz, daß die An-
nahme fremden Bodens (Grundunfreiheit) an sich die persönliche Frei-
heit nicht minderte; die Schollenpflichtigkeit hat sich vielmehr erst
unter dem Einfluß des römischen Rechtes entwickelt.
Es ist kaum anzunehmen, daß wirklich bloße Knechte durch
— 297 —
Verleihung von Lehen zu Rittern geworden und damit in den Neu-
adel eingetreten sind. Dazu war der Grundbesitz des einzelnen Ritters,
so weit wir diese Dinge verfolgen können, gleich anfangs zu groß.
Als besitzende Bauern treten uns aber nur ausnahmsweise Hörige, in
der Regel jedoch Gemeinfreie entgegen, die erst die wirtschaftliche
Not in die Abhängigkeit eines Herrn, dem sie nun Zins zahlten, ge-
zwungen hatte. Der Vasall hatte nur Heeresfolge zu leisten; empfing
er ein Lehn, so wurde er dem Lehnsherrn als Spender persönlich
dienstpflichtig (im Gegensatz zur bäuerlichen Zinspflichtigkeit), und
die Ministerialen heißen darum in ihrer Gesamtheit Dienstmannen,
Aus der Verschmelzung der persönlich freien Vasallen mit den grund-
herrlich gebundenen Ministerialen zu einem neuen Berufsstand erwuchs
der Dienstadel, der folgerichtig im Anfang kein Geburtsadel war.
Indes die enge persönliche Beziehung zwischen Lehnsherren und Lehns-
trägern, die beide im Kriegsdienste aufgingen, kettete beide eng an-
einander: wie der Ritterschlag später sogar für Fürsten und den König
als eine Auszeichnung galt, so übertrug sich vom Herrentum die Vor-
stellung von der Erblichkeit des Adels rasch auf die Dienstmannen.
Darin prägte sich die Eigenschaft der Ministerialität als eines neuen
Adels aus. Trotzdem galt noch in der ersten Hälfte des XIV. Jahr-
hunderts der Ministeriale nicht ohne weiteres als adlig, so daß bis dahin
nur selten selbst ein recht angesehener Ritter als nobilis (das Wort ist
dann eben nur eine auszeichnende Floskel) bezeichnet wird !). Eine
Verschmelzung beider Stände fand bis 1350 nicht statt; das titellose
Herrentum blieb dem Fürstentum standesgleich und wurde kein Binde-
glied zwischen letzterem und dem Vasallentum. Selbst im XIII, Jahr-
hundert wagte ein „freier“ Vasall, geschweige denn ein Ministeriale,
nicht, sich nobilis zu nennen. Dagegen wird noch 1312 der erste ge-
fürstete Graf von Henneberg, Berthold VII., von seinem Neffen vor
seinem Grafentitel als nobilis vir bezeichnet, und der Fürstentitel wird
ganz weggelassen: so bedeutsam erschien dem Geschlechte das an-
geborene Herrentum selbst gegenüber dem verliehenen Reichsfürsten-
ı) Vgl. Friedrich Hermann Albert von Wangenheim: Beiträge zu einer
Familiengeschichte der Freiherren von Wangenheim beider Stämme Wangenheim
und Winterstein (Als Manuskript gedruckt, Göttingen 1874). In den als Grundlage für
dieses Werk dienenden Regesten und Urkunden sur Geschichte des Geschlechts von
Wangenheim, 1. Sammlung (Hannover 1857), S. 100 Nr. 102 findet sich der Beleg
dafür, daß eia Vertreter des Geschlechts zue st 1351 und dann öfter (staatsrechtlich zu
Unrecht) das Prädikat nobilis führt. In Zeugenreihen ist es nicht immer ganz deutlich,
auf welche der genannten Personen sich das Wort nobiles oder edele bezieht.
— 2983 —
stande !). Aber der Lehnsbegriff wandelte sich; selbst der König
scheute sich nicht, seit Friedrich I. damit begonnen hatte, Bischofs-
und Klostergut zu Lehn zu nehmen, wenn auch geistliche Lehen
niemals den Herrenstand beeinträchtigt hatten. Die unterscheidenden
Merkmale des wirklichen alten hohen und Volksadels vom neuen
Lehnsadel bildeten lediglich der Besitz eines Allods und die freie
Geburt; „freier und edler Herr“ lautete der Titel eines solchen
echten Adligen. |
Als das Lehn seinen privatrechtlichen Charakter immer me
einbüßte und in wachsendem Maße eine landesherrliche, staatsrecht-
liche Färbung erhielt, verwischte sich der Unterschied zwischen altem
und neuem Adel zusehends. Man erfand im XIV. Jahrhundert den
Begriff der „Reichsunmittelbarkeit‘?) und seit dem Ende des XV. Jahr-
hunderts den der ‚„Reichsstandschaft‘“. Damit war aber das reine
Herrentum zu Grabe getragen, da durch ein erworbenes, nicht ange-
borenes Herrentum (eben die nunmehrige Reichsstandschaft) auch ein
nicht „edel“ geborener, indem er ein reichsunmittelbares Allod (li-
berum proprium) erwarb, in den neuen hohen Adel aufsteigen konnte.
Vorher schon war im Laufe des XIV. Jahrhunderts der Stand der
Ministerialen zum Landadel geworden, zumal da auch manche
schwächere Mitglieder des Herrenstandes durch Auswanderung auf
deutschen Kolonialboden die Lehnshoheit der neuen staatlichen Ge-
bilde und ihrer Herrscher anerkannten und sich so dem Landadel
eingliederten. So erging es den zwei burggräflichen Geschlechtern
der Dohna und der Strantz von Tüllstedt (jetzt Döllstädt,
nördöstlich Gotha); letztere waren zwar Thüringer, aber als Burggrafen
von Leisnig °) (1210) gehörten sie gleich den Dohna auch Meißen an.
Ebenso unterlagen die ostfriesischen Knyphausen, Häuptlinge gleich
den Cirksena, den späteren Fürsten dieses Landes, ihren Genossen, noch
ehe Ostfriesland preußisch wurde. Auch die schweizerischen Bon-
stetten verloren naturgemäß ihre allodiale Rechtsunmittelbarkeit, als
die Eidgenossenschaft selbst diese ausschließlich in Anspruch nahm
und das damals noch vorhandene freie Herrentum unter ihre Staats-
gewalt beugte*). Mit dem Ausscheiden der Schweiz aus dem Reichs-
1) Hennebergisches Urkundenbuch ı. Teil (1842), Nr. 95, S. 52.
2) Vgl. diese Zeitschrift 14. Bd. (1913—1914) S. 175.
3) Codex diplomaticus Saxoniae regiae. I. Hauptteil, 3. Bd. (1898), S. 123,
Nr. 156 sowie Posse: Die Siegel des Adels der Wettiner Lande bis sum Jahre
1500. 4. Bd. (1911), S. 78f.
4) Vgl. Schaffner: Geschichte der schweiserischen Eidgenossenschaft (Stutt-
gart 1915). |
— 299 —
‚ verband verlor hier die Reichsstandschaft überhaupt ihren tatsächlichen
Inhalt. Daher gehören diese Geschlechter adelsgeschichtlich und
adelsrechtlich noch zum hohen Adel im Sinne des alten Volksadels
und seiner Auslese, aber nicht zu dem heutigen, lediglich staatsrecht-
lichen hohen Adel mit seiner ministerialen und bürgerlichen Mehrheit
unter seinen nichtregierenden Familien.
Das harte Rechtssprichwort: „Das Kind folgt der ärgeren Hand“,
das zunächst auch eine unübersteigbare Scheidewand zwischen Herren-
stand und Ministerialadel errichtete, wurde immer weniger beachtet,
indem zuerst die Inhaber der Erbhofämter, um von den Reichs-
ministerialen ganz zu geschweigen, die Ebenbürtigkeit mit dem alten
hohen Adel erreichten, um sich schließlich auf dem Wege der Reichs-
standschaft unter Umständen selbst in diesen einzuschleichen; in ein-
zelnen Fällen ist dies gelungen. Schließlich hat der Kaiser hervor-
ragende Glieder seines österreichischen Landadels in Menge als Per-
sonalisten ohne Stimme, aber mit Reichsstandschaft in den Reichstag
und damit in den hohen Adel aufgenommen — der Adelsgeschichte
und dem Adelsrecht zum Trotz, aber mit gesetzlicher staatsrechtlicher
Wirkung, die sich noch jetzt im geltenden Privatfürstenrecht erhalten
hat. Die kaiserliche Gnade und ein neues Staatsrecht siegten über
den alten Begriff des hohen Adels, der vor der Zerstörung nicht
mehr stand hielt. Wie der sogenannte niedere Adel sich aus dem
Briefadel ergänzte, der ja auch in den drei erwähnten Familien schon
in den heutigen hohen Adel eingedrungen ist, so mußte der ver-
engerte und aussterbende Kreis des alten Volksadels wohl oder übel
neue Kräfte aus den höheren Volksschichten gewinnen. Es war kein
Geldadel, da selbst die Fugger immerhin des großen Zuges nicht
entbehrten, wenn sie auch Luther als die rechten Vertreter des
Wuchers gescholten hat; jedenfalls steht der heutige Geldadel des
neuen Briefadels wesentlich unter den damaligen geldstolzen Ein-
dringlingen.
II. Der heutige hohe Adel.
Zum alten Herrentum gehören nicht einmal sämtliche souveräne
in den Bundesstaaten des neuen Deutschen Reiches herrschende Ge-
schlechter; denn die Reuß, die alten Vögte von Weida, sind ihrer
Herkunft nach echte Reichsministeriale und daher nicht dynastischen
Ursprungs. Dem Stande der Freien Herren entstammen die Herr-
scherfamilien: Anhalt, Baden, Brabant-Hessen, Braunschweig, Hohen-
zollern, Lippe, Mecklenburg, Oldenburg-Schleswig-Holstein, Schwarz-
22
— 300 —
burg, Waldeck, Wettin, Wittelsbach und Württemberg. Dazu kommen
von jetzigen außerhalb des Reiches regierenden Herrscherhäusern
Liechtenstein, Lothringen-Habsburg und Nassau-Luxemburg. Wenn
auch einige dieser Häuser reiche Verästelungen aufweisen, so handelt
es sich doch im ganzen nur um sechzehn Häuser.
Von den mediatisierten Familien blühen auch nur siebzehn, die
dem Herrenstande entsprossen sind: Kastell, Croy !), Erbach ?), Fürsten-
berg, Hohenlohe, Isenburg, Leiningen aus dem Hause der Grafen von
Saarbrücken, Leiningen aus dem Hause der Dynasten von Wester-
burg (eines Stammes mit Wied-Runkel), Öttingen, Ortenburg aus dem
Hause Sponheim (Niederbayern), Rechberg ?), Salm aus dem Hause
der Wild- und Rheingrafen, Salm aus dem Hause der Edelherren von
Reifferscheid, Sayn-Wittgenstein aus dem Hause der Gaugrafen Spon-
heim (Nahe), Schönburg, Solms, Stolberg. Bei dreien dieser Ge-
schlechter ist der Herrenstand übrigens nicht völlig einwandfrei nach-
gewiesen. Alle übrigen Geschlechter des staatsrechtlichen hohen
Adels sind lediglich uradlig. Von den 39 Familien sind 33 deutschen
Geblüts, auch die Colloredo-Mansfeld, die schwäbischer Herkunft sind
und dann nach Friaul, das in seinen oberen Schichten auch zumeist
langobardisch-bajuvarisch war, einwanderten. Die ausländischen Fa-
milien sind ziemlich minderwertiger Herkunft: die Ahnherren waren
meist Reisläufer in kaiserlichen Diensten, die den sonst so stolzen
deutschen Fürstenhut einbrachten. Gemeingermanischer Hochadel
besteht nur noch in den Bourbonen und in dem reichlich entarteten
deutschen Hause Savoyen; die Welfen sind Langobarden (sprachlich
hochdeutsch trotz ihrer alten Sitze an der Unterelbe).
Der sogenannte hohe Adel der Gegenwart setzt sich also aus
drei adelsrechtlich verschiedenen Teilen zusammen: zuerst kommen
die sechzehn souveränen regierenden Häuser, dann die sogenannten
Standesherren (an Zahl siebzehn, oder auch nur vierzehn) und schließ-
lich die in den Landesadel übergetretenen vier Geschlechter burg-
gräflicher und einfacher dynastischer Herkunft, die Dohna, die Strantz
von Tüllstedt, die Knyphausen und Bonstetten.
Die Mitwirkung des alten Herrentums an der Regierung im ehe-
maligen Reiche war nicht nur hinsichtlich obiger Scheidung recht
ı) Angeblich Dynasten der Pikardie, aber früh in Flandern und Hennegau beglitert ;
ihr Herrentum ist zweifelhaft, falls sie nicht eingewanderte Flamen sind.
2) Frhr. v. Dungern: Der Herrenstand im Mittelalter, Bd. ı (1908) bezweifelt
deren Herrenstand, doch halte ich seıne Gründe nicht für durchschlagend, ohne damit die
dynastische Herkunft als ganz einwandfrei hinstellen zu wollen.
— 301 —
verschieden. An oberster Stelle standen seit dem XIV. Jahrhundert
die Kurfürsten als die Königswähler und maßgebenden Gewalthaber,
darunter drei geistliche, die in älterer Zeit fast immer dem Herren-
stande, seltener dem bloßen Uradel angehörten. Das Reichsfürsten-
tum bildete sodann die eigentlich regierende Schicht im Reiche, das
man deswegen als „Fürstenrepublik “ bezeichnet hat. Obwohl die
Reichsstädte ihrer wirtschaftlichen Bedeutung entsprechend seit dem
Ende des XV. Jahrhunderts auch eine besondere Gruppe innerhalb
der Reichsversammlung bildeten, drängte doch vor allem das ganze
Herrentum in Erinnerung an die gemeinsame hochfreie Abkunft
zur Regierung und rang deshalb um die Reichstandschaft. Die
Eifersucht der bereits reichsständischen Häuser schob der Vermehrung
der Stände im XVII. Jahrhundert insofern einen Riegel vor, als nur
noch die schon auf dem Reichstag von 1582 vertretenen Häuser als
vollberechtigt galten, während neuerhöhte Häuser nur mit Zustimmung
der Mitstände Stimmen erhielten; deswegen bildet das Jahr 1582 die
Grenze für die Unterscheidung von alt- und neufürstlichen Häusern.
Nur sieben edelfreie Geschlechter aus dem Kreise der heute nicht
regierenden besaßen bei der Auflösung des alten Reiches die Reichs-
standschaft mit Sitz und Stimme auf den Reichstagen. Es waren das
die Fürstenberg, Hohenlohe-Öhringen, beide Leiningen, Öttingen,
Salm und Solms 1). Waldeck entbehrte des Rechtes, während die heute
souveränen Reuß, die überhaupt nicht dem Herrenstande angehören,
in ihrer älteren (die jüngere wurde erst 1806 gefürstet) Line crst
1778 in den Reichsfürstenstand eingetreten sind. Anderseits erlangten
die Reichstandsc aft sieben ministeriale und sogar das briefadlige Ge-
schlecht Thurn und Taxis, dessen deutsche Herkunft ebenso unsicher
ist wie die angeblich italienische. Die übrigen hochadligen Reichs-
stände mußten sich mit Kuriatstimmen begnügen: deren gab es vier,
je eine für die fränkische, schwäbische, westfälische uud wetterauische
Grafenbank.
Die Reichsritterschaft enthielt kein freiedies Geschlecht. Auch
die Bömelburg waren nicht Dynasten, ebenso wenig wie die heutigen
Boyneburgk, die ein Burgmannengeschlecht der alten Reichsburg,
aber nicht die alten Edelherren dieses Namens sind Nachdem sich
die Reichsritterschaft durch ihre Stellungnahme zu den Reichsreform-
plänen Maximilians I. die Aussicht auf die Reichsstandschaft (1495)
1) Vgl. Genealogisches Reichs- und Staatshandbuch auf das Jahr 1804.
Frankfurt a. M. — Rehm: Modernes Fürstenrecht (München 1904).
23%
— 302 —
verscherzt hatte!), blieben alle Versuche zum Aufstieg vergeblich,
und die Gliederung in den schwäbischen, fränkischen und rheinischen
Reichsritterkreis?) bot praktisch nur wenig Handhaben, um sich zur
Geltung zu bringen.
Mit dem Begriff des alten ferenn hat der seit dem Ende
des XV. Jahrhunderts eingeführte Begriff der Reichsstandschaft nichts
zu tun. Sie war im Gruude etwas ungesetzliches, wenn auch übungs-
gemäß Gegenstand kaiserlicher Verleihung oder gar käuflichen Er-
werbes durch Aneignung oder auch Ererbung irgendeiner bisher
reichsständischen, dynastisch- allodialen Grundherrschaft. Damit war
das Hauptmerkmal dynastischen Wesens, das auf die freie hochadlige
Geburt gegründete Recht, in Vergessenheit geraten; denn nur der
Dynast konnte fremdes Allod rechtsgültig unter Wahrung der Eigen-
schaft als Allod erwerben. Fiel das Allod in ministeriale Hand, so
wurde es nach alter Anschauung dadurch ebenfalls Lehngut.
Die auf solchen Rechtsgedanken aufgebaute Entwicklung unter-
brach die neue Reichsstandschaft, obwohl sie aus der Beteiligung des
Herrentums an der Reichsregierung hervorgegangen ist. Herrenstand
und Uradel beruhen auf dem Geburtsrecht; das Geblüt kann kein
landesherrlicher Gnadenbeweis ersetzen, und deswegen hat die Blüte
des Herrentums, die souveränen Geschlechter, die Forderung der
Ebenbürtigkeit immer mehr verschärft. Selbst die Reuß haben ihr
Hausgesetz jüngst dahin ergänzt, daß die Glieder ihres Geschlechts nur
in den hohen Adel heiraten sollen. Nur im Notfall, zur Vermeidung
des Aussterbens, ist in einigen Fällen dieser Grundsatz des Blutrechts
durchbrochen worden: so vor allem in Baden, wo die unebenbürtigen
Grafen von Hochberg den Mannesstamm der Zähringer fortgesetzt
haben, und in Schwarzburg, wo Fürsten und Land den Prinzen von
Leutenberg aus gleichem Grunde als Prinzen von Schwarzburg an-
erkannt haben. Beide unebenbürtigen Zweige dieser uralten Geschlechter
stammen übrigens aus gutem Uradel, so daß auch vom Standpunkte
des Geblütsrechtes aus sich diese Abweichungen wohl rechtfertigen.
In Anhalt haben zwei bürgerliche Stammütter junges Reis auf den
ehrwürdigen askanischen Stamm gepfropft; auch da handelt es sich
um eine natürliche Entwicklung, weil eine kastenmäßige Absperrung
zum Erlöschen der alten Stämme führen müßte.
Bei der Bildung des modernen deutschen Hochadels dagegen hat
nicht ein solcher Gesichtspunkt vorgewaltet. Der Grundsatz der Eben-
—
I) Vgl diese Zeitschrift 14. Bd. (1912—1913), S. 180.
2) Ebenda, S. 224.
— 303 —
bürtigkeit ist in diesen Geschlechtern allzu oft durchbrochen und kraft
willkürlicher Einmischungen der sonst machtlosen kaiserlichen Gewalt
als bloßer Titelspenderin unter Verleihung wesentlicher Vorrechte,
deren Art gar nicht zu den Befugnissen des Kaisers gehörte, standes-
widrig mißachtet worden. Das alte regierende Herrentum schützte sich
selbst öffentlichrechtlich und hausgesetzlich gegen das Eindringen
dieser neuen uradligen und bürgerlichen (briefadligen) Schicht, indem
es die althergebrachte und gesetzliche Standesgleichheit nicht mehr
für den neuen Hochadel anerkannte: staatsrechtlich kam das an der
schon erwähnten !) Unterscheidung von alt- und neufürstlichen
Häusern seit dem XVII. Jahrhundert zum Ausdruck. Das preußische
Königshaus hat stillschweigend stets Heirat aus souveränem Hause
verlangt, ohne freilich an der jüngsten Einheirat einer Hohenlohe
(Ratibor) Anstoß zu nehmen, obwohl deren Mutter (Gräfin Bräuner) brief-
adliger Herkunft ist. Anderseits ist erst 1845 das Haus Bentinck in den
hohen Adel aufgenommen worden, der doch 1815 für abgeschlossen
erklärt worden war, und zwar geschah das durch Ererbung einer Herr-
schaft, die wohl dynastisch-allodial war, aber schon illegitim und da-
her unrechtmäßig diese Eigenschaft noch besaß ?). |
Bedeutete die reichsrechtliche Reichsstandschaft schon eine Be-
griffisverwirrung, so schuf die Bundesakte von 1815 eine völlige Un-
gesetzmäßigkeit; denn die Geburt als wesentliches Merkmal in Ver-
bindung mit dem Allod wurde vollständig vergessen. Nur in der
Hand des Dynasten bleibt aber die Eigenschaft des Allods als solchen
erhalten, und in der Sprache des modernen Staatsrechts müssen wir
diese Eigenschaft als „souverän“ bezeichnen. Der Westfälische Friede
hatte die „Libertät‘‘ der Reichsstände ausgesprochen; aber aus tat-
sächlichen Gründen der Macht konnte allein das Reichsfürstentum
von seiner Souveränität Gebrauch machen. Die bis 1806 noch gel-
tenden Voraussetzungen sind im gegenwärtigen Staatsleben bis auf
die Abstammung erloschen, und der Grundsatz der Ebenbürtigkeit im
strengen Sinne des Herrentums ist bei allen diesen Geschlechtern
durchbrochen, so daß er gar nicht mehr gelten kann. Die hausgesetz-
liche Regelung ist zudem noch fortwährend im Flusse. Zu den Ahnen
unserer Kaiserin gehört ein ehrenwerter Pfarrer Johannsen, und in
den vornehmsten Geschlechtern wird sich bei strenger Prüfung ähn-
liches beobachten lassen.
1) Vgl. oben S. 301.
2) Die Bentinck beerbten die durch uneheliche Geburt aus dem Hause Oldenburg
hervorgegangenen Grafen von Aldenburg.
— 304 —
Bezüglich des Allods zeigte sich schon vor Ausgang des Mittel-
alters der gleiche Verfall. Der schwächere Teil des Herrenstandes
konnte sich gegenüber den reichsfürstlichen Genossen nicht behaupten;
notgedrungen wurde dynastisches Allod mächtigeren Standesgenossen
zu Lehen aufgetragen, jedoch ohne daß dadurch der Besitzer eine
Standesminderung erfahren hätte !). So erkannten die Schwarzburger
in dem Jahrhundert, in dem ihr Haus dem Deutschen Reiche einen König
schenkte, die Lehnshoheit der Wettiner an. So handelten auch ohne Be-
einträchtigung ihres Herrenstandes die Hohenlohe, Büdingen, Isenburg,
Hiltenburg, Langenburg, Trimberg, Endsee und Rauheneck, ja selbst
die stolzen, machtvollen Henneberger. Eine solche Lehnsauftragung
war häufig nur vorübergehend, manchmal auch war sie ein Entgelt
für einen geleisteten Dienst, dessen Vergeltung die Möglichkeit gab,
von dem peinlichen Lehnsverhältnis loszukommen, das sich ja all-
mählich landesherrlich umgebildet hatte. Aus dem privatrechtlichen
Verhältnis wurde ein staatsrechtliches ?), aus dem Dynasten oder Lehns-
mann entweder ein unmittelbarer Reichsangehöriger, der nur den
König über sich anerkannte, oder ein Untertan des mehr oder we-
niger absoluten Staates, der mit dem Selbstherrscher begrifflich zu-
sammenfiel. Trotzdem blieben das Allod und das Lehn noch bis zur
Auflösung der Lehnsverfassung (zwischen 1815 und 1850) rechsgültige
Einrichtungen, deren Einzelbestimmungen sogar noch teilweise jetzt
Rechtsbestand haben. Das Fideikommiß beruht trotz spanischen Ur-
sprungs auf dem Lehnswesen und ist deutschrechtlicher Natur. Das
freie Erbe und Eigen, das dynastische Allod lebt noch in der Privat-
autonomie und selbständigen Hausgesetzgebung des hohen Adels fort,
deren internationale Gültigkeit die Wiener Bundesakte von 1815 ge-
sichert hat. Die Mitglieder des hohen Adels sind heute im Deutschen
Reiche (d. h. jedem seiner Bundesstaaten) und Österreich mit voller
Staatsangehörigkeit gemeinsam heimatsberechtigt und genießen die
heimischen Staatsbürgerrechte als sujets mixtes, die es sonst nur so
lange gibt, wie streitende Staaten sich über die doppelte Staats-
angehörigkeit eines Menschen nicht geeinigt haben. Der Präsi-
dent des österreichischen Herrenhauses ist z. B. Standesherr für den
viel wertvolleren alten schwäbischen Stammsitz der Fürstenberg in
Donaueschingen und somit badischer Staatsangehöriger; zugleich aber
ist er Oberstmarschall des Deutschen Kaisers, und dieses oberste Hof-
1) Vgl Frhr. v. Dungern: Die Grenzen des Fürstenrechts (München 1906), S. 12.
2) Vgl. Beseler: System des gemeinen deutschen Privatrechts 4. Aufl. (Berlin
1885).
— 305 —
amt kann keinem Ausländer anvertraut werden, zumal da solche Hof-
ämter gleich den Staatsämtern die betreffende Staatsangehörigkeit be-
gründen. Noch gibt es in Dänemark — also bis 1864 auch in
Schleswig-Holstein — Lehnsgrafen und Lehnsbarone, denen besondere
Vorrechte zustehen, so den Lehnsgrafen Fürstenrang. Der sonst ver-
altete Lehnsbegriff bedeutet dort noch eine besondere gesellschaftliche
Auszeichnung mit eigenem höfischen Range, und das im demokra-
tischsten germanischen Staate mit Frauenstimmrecht und sozialistischem
Ministerium.
III. Dienstmannen und Lehn.
Die rechtliche und tatsächliche Festlegung des Begriffs des freien
Edelherrn, der in karolingischer und sächsischer Zeit noch als princeps
also als Fürst, bezeichnet wurde, umreißt zugleich druch den Gegensatz
zum Dienstmann, der besitzlich unfrei ist, dessen Begriffsbestimmung.
Der Personenstand des Lehnsmanns trat hinter der Eigenschaft als
Lehnsinhaber zurück, und selbst persönliche Unfreiheit schloß von dem
Lehnsgenuß nicht aus. Jedoch ist kaum anzunehmen, daß ein bewaff-
neter Kuhknecht je plötzlich zum Gutsbesitzer aufgestiegen ist !, um
einen modernen, aber sinnfälligen Ausdruck zu wählen. Ein reisiger
Knecht war kein Reitknecht, und aus dem Edelknecht wurde durch
den Ritterschlag, den selbst der König empfing, der Ritter. Erst der
Kriegsdienst als geharnischter Reiter, dann der festgefügte und erb-
liche Ritterstand bildeten das Bindeglied zwischen dem echten V olks-
adel und dem neuen Dienstadel, der allmählich zum Geburtsstand
wurde. In dem heutigen durch Verleihung entstandenen Offziers-
und Beamtenadel erleben wir dieselbe Entwicklung, und daher über-
ragt auch dieser neue Dienstadel den bloßen Geldadel, der durch
Wohltätigkeit mit nicht immer sauber erworbenem Reichtum gewonnen
worden ist, an sittlicher Kraft.
Indes der Dienst war schließlich nur die Ursache für die Bil-
dung der neuen gesellschaftlichen Schicht; denn der Nachdruck liegt
darauf, daß der Dienst genau so wie das Amt bei den beamteten
Herrengeschlechtern, den Fürstengeschlechtern, erblich wurde. Die
Dienstpflicht war gewissermaßen eine Steuer, die nur nicht in Natu-
ralien oder Geld geleistet wurde, sondern in ritterlicher Betätigung,
der Stellung von Ritterpferden nebst Troß unter persönlicher Führung
des Lehnsinhabers, bestand. Es ist deshalb grundfalsch, von einer
ı) Vgl. dazu oben S. 291.
— 306 —
„Steuerfreiheit‘‘ des Lehnsadels zu reden, da er im Gegenteil oft
dem Landesherrn als Lehnsherrn selbst noch im XIV. und XV. Jahr-
hundert größere materielle Opfer brachte als der Bürger und Bauer.
Mit der Umbildung der Heere (zu Fuß kämpfende Söldner mit Feuer-
waffen) verlor die Ritterpflicht ihren persönlichen Charakter, und nahm
schon im XVI. Jahrhundert die Gestalt einer Abgabe vom ritter-
lichen Besitz für Kriegszwecke ohne Rücksicht auf den Inhaber
an. Aus dem Lehnsadel wurde der Güteradel, wie er sich überall
findet. Auch der Geldadel sucht sich ja bekanntlich baldigst anzu-
kaufen, und in England ist die Peerschaft sogar staatsrechtlich an den
Grundbesitz gebunden, so daß jeder Bank- oder Zeitungslord erst für
teures Geld einen estate erwerben muß, ehe er mit einem geschicht-
lichen Titel ohne jeden Blutszusammenhang !) prunken kann.
Auch innerhalb des Lehnsadels gab es erhebliche Unterschiede,
namentlich in älterer Zeit. Die Reichsministerialen hatten nur
den König über sich geradeso wie die jenem standesgleichen Dy-
nasten. Gesellschaftlich standen daher die großen Reichsministerialen,
besonders die des Mittelrheins, dem Herrentum sehr nahe, und Hei-
raten zwischen beiden Ständen sind schon früh vorgekommen, ohne
daß immer eine königliche „Befreiung“ für erforderlich gehalten wurde,
um den niederen Stand des unebenbürtigen Gatten auszugleichen.
So erklärt sich das frühe Aufsteigen der Reuß in den regierenden
Stand, obwohl sie nur Reichsvögte des thüringischen Osterlandes
waren. Ja es ist nicht unwahrscheinlich, daß Friedrich von Büren,
der Stammvater der Hohenstaufen, ministerialer Herkunft gewesen ist.
Die Entwicklung des Lehnswesens über das rein privatrechtliche
Fideikommiß hinweg hat die staatsrechtlich gewordene Gliederung
wieder zum wirtschaftlichen Ausgang zurückgeführt, und es bedeutet
daher in seinen Überresten nur noch eine Besitzbefestigung, ragt aber
immer noch in unser Rechts- und Wirtschaftsleben hinein. Ander-
seits lebt das freie Herrentum noch in den Souveränitätsrechten des
regierenden hohen Adels und in dem Privatfürstenrecht des übrigen
hohen Adels. Es handelt sich also um Gegenwartserscheinungen, die
in uraltem Recht wurzeln, aber leider ist die Kenntnis dieser Dinge
selbst bei Rechtsgelehrten und Geschichtskennern wenig verbreitet.
Daher rühren die vielen irrigen Vorstellungen über alle mit Fürstentum
und Adel zusammenhängenden Verhältnisse, die überdies politisch
1) Auch in Deutschland gibt es leider einige Geschlechter, denen der Name alter
ausgestorbener Familien irreführender Weise verliehen worden ist, so die Ries von Scheuern-
schloß und Lucius von Ballhausen (letztere vorher fuldaische Schutzjuden Hecht).
— 307 —
stark beeinflußt sind. Hierzu gehören auch die Schauermären von
den Raubrittern und die landläufigen Urteile über den Kampf zwischen
dem Adel und dem Landesfürstentum. Hätten z. B. die Quitzows in
der Mark gegenüber dem kapitalkräftigern Burggrafen von Nürnberg
gesiegt, so wäre dies politisch gewiß bedauerlich gewesen, aber ihr
Recht war nicht geringer als dasjenige des ersten hohenzollernschen
Kurfürsten. Nicht allein seiner Kraft, sondern hauptsächlich dem
Zwiespalt des Landesadels dankte er seinen Erfolg. Die Strantz von
Tüllstedt, die schon den Wittelsbachern in der Mark mit ihren sechs
thüringischen Burgen Rückhalt gewährten, traten mit dem größeren
Teile ihrer adligen Genossen auf die Seite des Nürnbergers, so daß
sich schon Kurfürst Friedrich II. gegen die Städte auf den Adel
stützen konnte. Wie er waren die älteren märkischen Hohenzollern
alle viel weniger Kriegshelden als kluge Politiker, die ein langsamer
aber sicherer Erfolg belohnte. Der Vermehrung der Hausmacht diente
nach habsburgischem Muster vor allem auch die Heiratspolitik. Erst
der Große Kurfürst und der große König traten als Eroberer auf.
Wie in Thüringen die Wettiner das übrige Herrentum unter-
drückten — selbst die „frei“ gebliebenen Schwarzburger und Reuß
wurden zeitweilig lehnspflichtig —, so verfuhren die Hohenzollern in
der Mark, wo außer den Strantz von Tüllstedt nur noch die Grafen
von Lindow und Neuruppin dynastischer Herkunft waren. Die thü-
ringischen Dynasten besaßen jedoch im Lande Lebus kein Allod,
waren also trotz ihres Eigenbesitzes in Thüringen in der Mark kur-
fürstliche Lehnsleute und Schloßgesessene wie viele andere Geschlechter.
Die Grafen von Lindow und Neuruppin aber starben schon im XIV. Jahr-
hundert aus. Die Plotho und Putlitz, die jetzt beide das Prädikat
„Freie und Edle Herren“ führen, tun dies auf Grund einer landesherr-
lichen grundlosen Verleihung, wie sie auch in Österreich geübt worden
ist. Mag es auch nicht ausgeschlossen sein, daß diese beiden Ge-
schlechter als deutsche Adelsfamilien eingewandert und in ihrer Stamm-
heimat Dynasten gewesen sind, so gründet sich doch der Titel nicht
auf eine solche Voraussetzung. Vielmehr halten sie selbst fälschlicher-
weise ihre Ahnen für wendische Häuptlinge. Tatsächlich war die adlige
Grundherrschaft der Mark völlig deutsch, wie ich auch die Bauern-
schaft des Landes für vorwiegend deutsch halte; denn nur in den
Fischerdörfern, den „Kietzen‘“, sind die Wenden vom deutschen
Schwerte verschont geblieben. Nur die slawischen Ortsnamen haben
die Deutschen bestehen lassen und teilweise eingedeutscht, und nach
diesen haben sich dann die Geschlechter benannt.
— 308 —
IV. Urkundliche Belege für ein dynastisches Geschlecht.
Vor 1000. Immo tradidit bona sua in duabus vilis Tullenestat
et Tunnahe!), Tunnahe = Gräfentonna erhielten die Grafen von
Gleichen von der Kirche Fulda zu Lehen, faßten dadurch in Thü-
ringen Fuß und wurden als Nachbarn der Strantz von Tüllstedt, auf
deren altem Eigen sie vermutlich saßen, ihre gefährlichen Widersacher.
Balderich tradidit bona sua, que habuit in Tullenstat ?).
In Tullenestat tradidit Eisprecht S. Bonifatio iugera 42 post annos 30°).
In Tullenestat tradiderunt quidam fideles S. Bonifatio jugera 2301).
Angesichts des Umfangs dieser beiden letzten Schenkungen läßt sich
nicht wohl an bäuerlichen Besitz denken; es muß sich schon um
Ackerland eines Grundherrn handeln. Auch der Ausdruck bona sua
in den beiden ersten deutet auf ansehnliches Gut hin. Dasselbe gilt
für die Tradition: Megenbolt tradidit bona sua in Tullenestat. Isleiben 5).
Diese den älteren Quellen des Klosters Fulda entnommenen Stellen
sind leider ohne Zeitangabe überliefert, und der Wunsch, Zeitbestim-
mungen auf kritischem Wege zu ermitteln, rollt zugleich die Frage
nach der Zuverlässigkeit der von Eberhard zwischen 1152 und 1165
bearbeiteten Auszüge aus den Traditionsurkunden und älteren Zusammen-
stellungen aus solchen auf. Hielt Dronke die Überlieferung für gut,
so hat sich die Ansicht später recht beträchtlich geändert, und Heyden-
reich ®), der die Urteile der maßgeblichen Forscher zusammenfaßt
und ergänzt, kommt zu folgenden Ergebnissen. Es ist nach ihm „klar
erwiesen, daß Eberhard in vielen Fällen nicht nur seine Vorlagen
stilistisch umgearbeitet, sondern daß er auch zahlreiche Zusätze und
Interpolationen vorgenommen, Privaturkunden in Königsurkunden um-
gewandelt und ganz neue Urkunden willkürlich erfunden hat“ (S. 7—8).
„Die Namen gab er meist in der Form des XII. Jahrhunderts, viele
las er falsch oder gab sie ganz verkehrt wieder. Tauschurkunden
machte er zu Schenkungsurkunden. Privaturkunden kehren bei ihm
in zwei oder drei Auszügen wieder, die auf einer Vorlage beruhen.
Die geschenkten Objekte zählte er nicht vollständig auf und verschmolz
1) Dronke: Traditiones et antiquitates Fuldenses (Fulda 1844), S. 69, Nr. 12
sowie Schannat: Corpus traditionum Fuldensium (Lipsiae 1724), S. 289.
2) Dronke, S. 12, Nr. 15; Schannat, S. 289.
3) Dronke, S. 53, Nr. 25; Schannat, S. 294.
4) Dronke, S. 133; Schannat, S. 292, Nr. 121.
5) Dronke, S. 71, Nr. 75. Isleiben == Eischleben,
6) Heydenreich: Das älteste Fuldaer Cartular im Staatsarchive su Marburg
(Leipzig 1899).
— 309 —
Schenkungen aus verschiedener Zeit und von verschiedenen Personen “
(S. 13). Auch Dobenecker, der in den Regesta diplomatica necnon
epistolaria historiae Thuringiae, ı. Bd. (1896) die bei Eberhard vor-
kommenden thüringischen Ortsnamen als „vor 900‘ belegt aufführt,
würde vermutlich gegenwärtig diese Zeitgrenze mindestens nicht unter-
schiedslos gelten lassen. Trotzdem muß uns vorläufig, solange das
neue Fuldaer Urkundenbuch nicht weiter vorgeschritten ist, die Ver-
öffentlichung Dronkes genügen. Mögen die Namen vielleicht auch
nicht richtig überliefert, mag eine Schenkung irrig in mehrere zerlegt
oder mögen zwei in eine zusammengezogen sein, so viel bleibt dennoch
übrig, daß dem Kloster Fulda von einem in Döllstädt ansässigen Grund-
herrngeschlecht bedeutender Landbesitz geschenkt worden ist. Da
namentlich in der ersten Zeit Fulda besonders reiche Schenkungen
zufielen, kann sehr wohl eine oder die andere Schenkung schon vor
900 erfolgt sein, aber aus naheliegenden Gründen wird man annehmen
müssen, daß die vier namentlich genannten Personen, wenn sie einer
Familie angehören, verschiedenen Generationen entstammen. In
den 230 tugera können auch sehr wohl die anderen Schenkungen mit
inbegriffen sein.
1120, Oktober 16. Erfurt. Erzbischof Adalbert von Mainz be-
stätigt dem Stift der Heiligen Maria zu Erfurt eine Schenkung zu
Elxleben. Weltliche Zeugen: Ecckehart de Tullestede, Ritant de Cuse-
leibe, Eltwin de Gotaha, Sigefridus sculthetus, Gezo, Eber, Adelbrach,
Rudeger, Recher, Guthere, Hildebrach t). Die Zeugen sind sämtlich
als virs Wlustres bezeichnet.
1170. Ohrdruf. Abt Willibald von Hersfeld nimmt einen Wald
zu Ohrdruf nebst einigen Dörfern zur Verbesserung der Pfründen
seiner Konventualen als Schenkung an. Weltliche Zeugen: Comes
Erwimus et advocatus ibidem eius Eggehardus, Widelo villicus noster
in Ordorf. Liberi homines: Lodevicus et frater eius Sigebodo de
Frankenstein, Meinhardus de Muleburc, Otto de Walchesleibin, Hart-
mut et Giselherus de Tullestete. Ministeriales imperii: Heinricus
de Boumeneburc, Windoldus èt frater eius Cunratus. Darauf folgen
7 ministeriales Fuldensis ecclesiae und endlich 13 ministeriales nostrae
(Hersfeld) ecclesiae ?).
1186. Göllingen. Abt Siegfried von Hersfeld beurkundet, daß
1) Beyer: Urkundenbuch der Stadt Erfurt. ı. Teil (Halle 1889), S. 5 Nr. 12.
2) Regesten und Urkunden sur Geschichte des Geschlechts Wangenheim,
I. Sammlung (1857), S. 17, Nr. 19; Dobenecker, Regesta diplomatica necnon
epistolaria historiae Thuringiae, 2. Bd. (1900), S. 77 Nr. 415.
— 310 —
Ludeger, custos in Göllingen, seiner Kirche mehrere in Hachelbach
und Göllingen erkaufte Güter geschenkt habe. Weltliche Zeugen:
liberi homines: Ludewicus de Frankenstein, Rentwicus de Hohen-
berc, Hartmutus de Tullestete, homines nostri; ministeriales nostri:
Ludewicus dapifer, Edelherus pincerna noster de Wassenburg, Wigan-
dus marscalcus, Heinricus et Folbertus de Lengesfet, Dudo et Elbrinus
de Hersfelt, Meginwart de Geisaha, Sigefridus de Fisebrunnen. De
familia Fuldensis ecclesiae: Warmundus de Trubenbeche, Berch-
toldus et frater eius Heinricus de Sleitaha, Godefridus de Wegeforte 1).
1192, November 11. Erfurt. Erzbischof Konrad von Mainz be-
stätigt dem Peterskloster zu Erfurt den Besitz einiger Güter, die es
vom Grafen Erwin von Gleichen als Entgelt für Reliquien erhalten
hat. Weltliche Zeugen: comite Erwino, advocato eiusdem ecclesie cum
duobus filiis suis, comite Lamperto et comite Ernesto, duobus etiam
generis ipsius, Boppone de Wasungen et comite Dietherico de Berka.
Liberis: Barthone et fratre eius Volrado, Conrado de Tutelstete.
Ministerialibus: Embrichone vicedomino de Maguntia, Bertholdo
vicedomino de Erphordia ...., Dietherico de Blankenberg et fratribus
eius Gunthero et Sigeboldo, Dietherico de Buseleybin, Wernhero de
Porta ?) etc.
Um 1200. Henricus Stranso canonicus obiit, qui dedit mansum
in Hunleve (Holleben) 10 solidos solventem 8).
Hinricus canonicus obiit die Nicomedis: 6 denarios $).
Aus diesen zuverlässigen Zeugnissen ist zu entnehmen, daß an-
fangs, da man nur einen einheitlichen Volksadel kennt, eine be-
sondere Standesbezeichnung für die freien Herren folgerichtig
fehlt; die in Masse überlieferten Güterschenkungen für das in jener
Zeit allenthalben, und namentlich auch in Thüringen, Besitz erwer-
bende Kloster Fulda lassen die Standesunterschiede ganz deutlich er-
kennen, während hinsichtlich der Zugehörigkeit zu einer bestimmten
I) Dobenecker a. a, O., S. 144 Nr. 758; H. B. Wenck: Hessische Landes-
geschichte, 3. Bd. (1803); Urkundenbuch S. 86 Nr. 87.
2) de Gudenus: Codex diplomaticus exhibens REN .... Moguntiaca,
Tom. I (Göttingen 1743), S. 315—317, Nr. 115.
3) Kehr: Urkundenbuch des Ersstifts Merseburg. ı. Teil (Halle 1899), S. 989.
4) Ebenda, S. 1038. Leider fehlt jeder Anhaltspunkt für das Jahr, in dem'jener
Heinrich gestorben ist: das Kalendarium, dem die erste Angabe entstammt, und das
Güterverzeichnis, in deren sich die zweite findet, sind beide unter Benutzung älterer Vor-
lagen spätestens 1330 geschrieben, Da 1210 der Name Strans anderweitig belegt ist
(siehe S. 312), so wird man auch diesen Träger desselben für diese Zeit in Anspruch
nehmen dürfen,
— 31 —
Familie unmittelbare Angaben fehlen, so daß aus dem Güterbesitz
auf Familienzusammenhang geschlossen werden muß. Auch der Dom-
herr Stranso, der vielleicht um 1200 anzusetzen ist, wird noch nicht
irgendwie besonders als Dynast gekennzeichnet, aber die Zugehörig-
keit zum Domkapitel setzte diese Herkunft voraus; denn Merseburg
war damals noch Reichsstift und der Bischof Reichsfürst. Im XII. Jahr-
hundert wird jedoch im weltlichen Leben schon scharf zwischen liberi
und ministeriales unterschieden, da nunmehr letztere als eine beson-
dere Art Adliger erscheinen: die Bezeichnung vir illuster gebührt
nur dem Dynasten. Auch die Ministerialen werden genau nach ihren
Lehnsherren in solche des Reichs und solche der Kirchen getrennt.
Diese genauen Unterscheidungen lassen auf eine verschiedene gesell-
schaftliche Wertschätzung und bei jeder Gruppe auf einen bewußten
Standesstolz schließen. Aber seit 1300 fallen die Unterscheidungen
mehr und mehr fort, und daraus folgt eine Minderung des Standes-
bewußtseins, die schließlich zur Ausgleichung der Standesunterschiede
innerhalb des Adels führte.
In den Reichsstädten besaß der Bürger Reichsfreiheit, und die
regierenden Geschlechter bildeten einen dem Landadel ebenbürtigen
Stadtade. Deshalb erscheint der Dynast Konrad II. (Kurd) von `
Tüllstedt unbeschadet seines freien Herrentums als Bürgermeister der
Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen. 1262. Mühlhausen. Rat und
Bürger zu Mühlhausen verkaufen dem dortigen Deutschordenshause
ein Stück Land. Huius facti testes sumus consules, quibus liquet
plenius de hoc facto, quorum nomina sunt: Conradus de Tullestede,
Bruno Gerwardi filius, Gerlacus juvenis, Wederoldus, Coreas Mar-
garete filius et Conradus de Urbeke 1).
Seltener findet sich für einen Dynasten die Bezeichnung nobilis,
aber ungebräuchlich ist sie nicht, wie eine andere, zwar gefälschte,
aber gegen 1239 entstandene Urkunde beweist. 1196, Februar 4.
Eisenach. Landgraf Hermann I. von Thüringen bestätigt die dem
Nikolauskloster zu Eisenach von Ulrich von Northof zugewendete
Schenkung in Wiegleben. Zeugen: Bertoldus de Silbernhusen, Ber-
toldus de Kindehusen, Uhricus de Tullestet, nobiles. Ludowicus et
Siboto fratres de Wrankenstein, Guntherus dapifer. Hinricus de Mil-
denstein. Hinricus marschaleus. Nortmannus et Burchardus de Cruse-
burc. Hermannus de Pesnike, Cirstanus de Girbuch ?).
I) Herquet: Urkundenbuch der ehemals freien Reichsstadt Mühlhausen in Thü-
ringen (Halle 1874), S. 60, Nr. 165. Hier ist irrig Cullestede statt Tullestede gelesen.
2) Codex diplomaticus Saxoniae regiae I. Hauptteil, Bd. 3 (1898), S. 4 Nr. 3.
— 312 —
Der hier genannte Ulrich von Tüllstedt war der machtvollste
Vertreter seines Stammes, und eben deshalb ist sein Name in die ge-
fälschte Zeugenreihe eingefügt worden; die meisten Zeugen sind 1211
bis 1216 nachweisbar. Wie aus der folgenden Urkunde hervorgeht,
benachrichtigte der Kaiser ihn allein von den thüringischen Grafen
und Herren von der Belehnung des Erzstifts Mainz mit dem Juden-
regal in Mainz und Erfurt; außer ihm nur den zuständigen Beamten,
den Erbstatthalter, den vicedominus Heinrich von Rusteberg. Auch
dieser war mutmaßlich dynastischen Geblüts, da es sich bei seinem
Erfurter Erbamt um das Lehen einer Reichskirche handelte. Übrigens
stand Erfurt den Reichsstädten an Unabhängigkeit nahe, wenn es auch
rechtlich nie Reichsstadt geworden ist, und die Strantz von Tüllstedt
waren concives (Ehrenbürger) in Erfurt und besaßen einen Stadthof
daselbst.
1212, Juni 10. Keverlingenburg. Kaiser Otto IV. belehnt das
Erzstift Mainz mit dem Judenregal in Mainz und Erfurt und setzt den
Erbstatthalter Heinrich von Rusteberg sowie Ulrich von Tüllstedt da-
von in Kenntnis. Dei gratia Otto Romanorum imperator et semper au-
gustus. Insinuatione presentium innotescat vicedomino de Rusteberc et
Ulrico de Tullenstede, quod eam formam compositionis, que, antequam
consecraremur in imperatorem, fuit inter nos et archiepiscopum Mogun-
tinum, integram servare volumus et firmam, et ei feodaliter concedere
peticiones ad Judeos in cwitate Moguntina et Erfurt et in aliis civita-
tibus suis, que sub iurisdictione sunt, nisi cum bona voluntate ipsius
archiepiscopi possimus ex his aliqua commutare. Preterea omni pro-
motioni sue et ministerialium tocius archiepiscopatus cum honore et pro-
fectu semper intendemus affectuali diligentia !).
Der Bruder des eben genannten Ulrich war Hermann II. Strantz
von Tüllstedt, der erste seines Geschlechts, dem in einer datierten
Quelle ebenso wie dem oben erwähnten Merseburger Domherrn der
Beiname Strang beigelegt wird. Nunmehr bleibt er dem Geschlecht
erblich. 1210. Der Markgraf Dietrich von Meißen tauscht mit dem
Bischof Engelbert von Naumburg gewisse Güter an der Elbe, darunter
beneficium Hermanni Strang burcravis de Liznik ?). Trotz seines Burg-
grafenamtes in Leisnig blieb Hermann Mitbesitzer des Stammallods in
Döllstädt, war Vogt des Hochstifts Meißen und besaß auch Liegen-
schaften bei Halle; von der Mulde, Elbe und Saale reichten sein Eigen
und seine Lehen bis an die Werra.
1) Beyer: Urkundenbuch der Stadt Erfurt, 1. Teil (Halle 1889), S. 34, Nr. 71.
2) Codex diplomaticus Saxoniae regiae I. Hauptteil, Bd. 3 (1898), S. 123, Nr. 156,
— 313 —
1214. Vergleich zwischen dem Hochstift Meißen und dem Kloster
Riesa über gewisse zwischen den Pröpsten beider Kirchen streitige
Zehnten. Zeugen: Abbas de Doberlov, praepositus Novi Operis in Hallis,
saepedictus praepositus in Risowe, Hermannus Strans advocatus,
Aloldus parrochianus in Scorens. Canonici Misnenses: saepedictus prae-
positus Misnensis, Bertrammus praepositus Worsinensis, Ulricus custos,
Gunselinus, Albertus de Lubene, Geroldus, Wipertus scolasticus ete. 1).
Aus den mitgeteilten Zeugnissen ergibt sich unzweifelhaft das
Herrentum eines kleinen thüringischen Dynastengeschlechts, das den
ausgestorbenen Grafenfamilien — beispielsweise den Beichlingen und
Kirchberg — völlig gleichstand, ebenso dem Seitenzweig der mächtigen
Henneberg, den Frankensteinern, dessen Glieder bäufig unmittelbar
mit den Tüllstedt zusammen genannt werden. Albrecht der Entartete
(gest. 1314) suchte im Kampfe gegen seine Söhne die Gunst der Tüll-
stedter, was für deren Macht spricht. Indes die Verbindung mit diesem
Landgrafen brachte Unglück über das Geschlecht, zumal da das Recht
auf der Seite der Söhne stand. Einer von diesen, Friedrich der Frei-
dige (gest. 1323), wurde zwar schließlich der Erneuerer des Wettinischen
Hauses, zeitweise aber ging es den Söhnen schlecht, und der Stern
der Tüllstedter stieg hoch. Ganz gewiß jedoch war die erneute Be-
festigung der Wettiner in Thüringen der Anlaß dazu, daß der Haupt-
zweig der Tüllstedter mit dem Zunamen Strantz die Heimat verließ.
Er folgte dem Schwarzburger, der als Vormund über Friedrichs des
Freidigen Sohn, Friedrich den Ernsthaften (geb. 1310), den Wittels-
bachern in die Mark Brandenburg zu Hilfe eilte; denn Friedrich der
Ernsthafte war der Schwiegersohn des Kaisers Ludwig. Die Unter-
stützung der Strantz von Tüllstedt erstreckte sich dabei nicht nur auf
den Waffenbeistand, sondern auch auf die vielleicht noch wichtigere
Rückendeckung im Reiche selbst. Darüber gibt wiederum eine lehr-
reiche Urkunde Auskunft.
1335, Febr. 18. Spandau. Ich Hermann Strang bechenne offin-
lich an disem breve, das ich mit dem hochgebornen fursten marggrave
Ludevig van Brandenburg geteidinget han und im en truwen gelobit
han an disem brief, das ich im getruwlich mit minen vesten dienen soll,
die im auch offen sin sullin in allin sinen notin. Neme aber er oder sin
haupiman meiner vesten eine in, so scole er mir fur skaden stan der vesten
und anders gutes. Auch sol min vorgenanter her marggrav Ludevig
‚van Brandenburg mich miner rechten vorstan als andere sin man gegin
ı) Ebenda II. Hauptteil, Bd. ı (1864), S. 79, Nr. 83..
— 3l4 —
allirmengelich. Und des su emir geugnisse so gib ich im disen brief
versiegelt mit minem insigel, der geben ist su Spandawe 1335 an sunabind
nach sant Valentinsdaghe +).
Der thüringische Edelherr trug zwar Oderzölle und die Hälfte der
Burg Lebus (die andere Hälfte hatte er vom Bischof zu Lebus) vom
Markgrafen zu Lehen, aber hier spricht er von seinen in Thüringen
gelegenen Festen. Er bekennt sich auch nicht als markgräflicher
Lehnsmann, sondern. fordert für die Verleihungen und seine Opfer
lediglich deren Rechte; er hat mit dem Landesherrn, nicht mit
dem Lehnsherrn „geteidingt“, d. h. auf gleichem Fuße verhandelt.
Dieser Hermann V., dem wir 1309 in Thüringen begegnen, wanderte
zwischen 1318 und 1325 in die Mark mit dem gedachten reisigen
Zuge aus, da die Polen wieder einen Einfall auch gerade ins Land
Lebus unternommen hatten. Der dankbare Markgraf belehnte ihn
dafür mit Einkünften aus dem Frankfurter Oderzolle, seiner wertvollsten
Einnahmequelle ?), bis die Gilde der Gewandschneider 1335 den Zoll
erwarb 8).
Die Stellung, welche die untitulierten Dynasten von Tüllstedt ein-
“nahmen, erhellt aus der Zeugenreihe einer Urkunde von 1218, in der
Uodalrich von T. sogar vor den Grafen aufgeführt wird. Freilich sein
Bruder, Hermann Strantz, war Burggraf von Leisnig, aber diese Burg
liegt in Meißen, und damals herrschten in Thüringen noch die älteren
Landgrafen, nicht die Wettiner. 1218. Landgraf Ludwig von Thü-
singen bestätigt den Tausch gewisser Güter zu Löbstedt zwischen dem
Kloster Lausnitz und Agathe von Balgstedt. Zeugen: Sifridus Mo-
guntinensis archiepiscopus, Conradus prepositus S. Marie, et Gervicus
prepositus S. Severi, Gisilbertus cantor, Fridericus custos in Erfort,
Ulricus de Tullenstete (andere Lesart: Tulestete), comes Gun-
therus, Henricus frater eius de Swartzburg, Theodericus de Kirchberg
(aus dem Burggrafengeschlecht), Reinfrid, Irnfridus de novo castro,
Otto de Crummesfeld, Henricus marschalcus, Conradus, Rudolfus pin-
cerna, Titricus frater eius, Johannes Numburgensis canonicus 4). Grund-
sätzlich werden die Dynasten scharf von den Ministerialen geschieden,
wie wir schon aus den oben 5) angeführten Beispielen ersahen. Es sei
I) Gercken: Codex diplomaticus Brandenburgeusis 1. Bd. (1769) S. 264, Nr. 157.
Das im Geh. Staatsarchiv in Berlin befindliche Originaal warde verglichen,
2) Riedel: Codex diplomaticus Brandenburgensis A Bd. 23, Nr. 22.
3) Riedel a, a. O., A Bd. 28, U, Nr. 96.
4) Martin: Drkundanbuch der Stadt Jena, ı. Bd. ijéna 1888), S. 6, Nr. 3.
5) Vgl. S. 309—310.
— 31 —
hier noch auf eine weitere Urkunde hingewiesen. 1231, November ı.
Wartburg. Landgraf Heinrich Raspe und sein Bruder Konrad schenken
dem Deutschorden Güter in Möllrich. Zeugen: Comes Heinricus de
Swarsburc, comes Theodericus de Berca, Cunradus de Tannenrode, Fri-
dericus de Tannenrode, Ulricus de Tullestete (bis hierher Dynasten),
Rudolfus pincerna de Vargela, Fridericus de Drivurte, camerarius de
Vanre et frater suus, Eckehardus de Sumeringen (letztere Ministerialen) !).
Die Schenken von Vargula und von Tautenburg, und nicht minder
die Kämmerer von Fahner gehörten zu den mächtigsten thüringischen
Geschlechtern jener Zeit, aber sie waren Ministerialen und trugen ihre
Erbämter geradeso zu Lehen wie die Kurfürsten die ihrigen von der
Reichsgewalt.
Für die Beurteilung der rechtlichen und gesellschaftlichen Lage
der kleineren Dynasten bieten die Schilderungen Gustav Freytags
lehrreiche Anhaltspunkte. Für das „Nest der Zaunkönige‘ hat er die
Urkunden des Frauenklosters Döllstädt planmäßig ausgebeutet, und
man begegnet daher auf den Urkunden im Staatsarchive zu Gotha
noch heute seinen handschriftlichen Bemerkungen. Freytags Schilde-
rungen sind nicht nur lebenswarm, sondern auch geschichtlich beglau-
bigt, und das Treiben des thüringischen Herrentums auf seinen Burgen
am Waldeshang ist durch ihn auch in weiteren Kreisen des deutschen
Volkes bekannt geworden. Es liegt darin ein Stück lebendiger Ge-
schichtserinnerung vor, ohne daß der Leser sich der gelehrten ur-
kundenmäßigen Grundlage bewußt würde.
Eingegangene Bücher.
Schwemer, Richard: Geschichte der Freien Stadt Frankfurt a. M. (1814—
1866). Im Auftrage der Städtischen Historischen Kommission. Dritter
Band, ı. Teil. Frankfurt a. M., Joseph Baer & Co. r915. 420 S.
80. AM 6,00.
Skowronnek, Fritz: Du mein Masuren! Geschichten und Gestalten. Berlin,
Otto Janke 1914. 184 S. 16%. M 1,00.
Stimming, Manfred: Die Entstehung des weltlichen Territoriums des Erzbistums
Mainz [== Quellen und Forschungen gur Hessischen Geschichte, hggb. von
der Historischen Kommission für das Großherzogtum Hessen, IHI]. Darm-
stadt, Großherzogl. Hessischer Staatsverlag 1915. 166 S. 8°. Æ 5,50.
Traversa, Eduard: Patriarch Gaston della Torre (31. Dezember 1316 —
20. August 1318), eine quellenmäßige Studie zur Geschichte des
Patriarchats von Aquileia im XIV. Jahrhundert. Czernowitz, Selbstverlag
des Verfassers 1914. Buchdruckerei J. Balan & Co. 92 S. 8°.
1) Codex diplomaticus Saxoniae regiae, I. Hauptteil, Bd. 3 (1898), S. 313, Nr. 448.
28
— 316 —
Trietsch, D.: Die Welt nach dem Kriege. Berlin, Puttkammer & Mühl-
brecht 1915. 46 S. 8. Æ 1,00.
Tschudi, Rudolf: Der Islam und der Krieg [= Deutsche Vorträge Ham-
burgischer Professoren 1|. Hamburg, L. Friederichsen & Co. 1914.
18 S. 8%. -M 0,50.
Wolff, W.: Inwieweit sind wir imstande, den Besitz, Ertrag und Geldwert
der im XVI. Jahrhundert in Hessen-Kassel säkularisierten Stifts- und
Klostergüter auf Grund der vorhandenen Urkunden festzustellen?
[= Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde,
48. Band, Neue Folge 38. Band (Kassel, Georg Dufayel 1915),
S. 188—202].
Bader, Karl: Hessische Sagen. 1. Reihe [= Hessische Volksbücher, hggb.
von Wilhelm Diehl, 2]. Darmstədt, H. L. Schlapp 1908. 78. S. 8°.
M 0,50. 2. Reihe [= H. V. 12]. Ebenda 1912. 107S. 8%. æ 0,60.
Belée, Hans: Polen und die römische Kurie in den Jahren 1414— 1424
[>= Osteuropäische Forschungen, im Auftrage der Deutschen Gesell-
schaft zum Studium Rußlands herausgegeben von Otto Hoetzsch,
Otto Auhagen, Erich Berneker, Heft 2]. Berlin nnd Leipzig,
G. J. Göschen 1914. 134 S. 8%. M 3,60.
Bitterauf, Th.: Friedrich der Große |= Aus Natur und Geisteswelt,
Sammlung wissenschaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen, 246. Bänd-
chen]. Zweite, veränderte Auflage. Mit 2 Bildnissen. Leipzig und
Berlin, B. G. Teubner 1914. 95 S. 8%. Geb. A 1,25.
Blau, Josef: Der Lehrer als Heimatforscher, eine Anleitung zu heimat-
kundlicher Arbeit [= Schriften zur Lehrerfortbildung, bggb. von
A. Herget, Nr. 67]. Prag, Wien, Leipzig, A. Haase 1915. 174 S.
80, Geb. Æ 4,00.
Bretholz, Bertold: Zur Geschichte der kais. Akademie der Wissenschaften
in Wien. Ein Gutachten des Grafen Kaspar von Sternberg, Präsidenten
der böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften in Prag, über den
Gründungsplan vom 18. März 1837 [== Sitzungsberichte der Kais. Aka-
demie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse,
176. Band, 8 Abhandlung]. Wien, Alfred Hölder 1914. ı9 S. 8°,
Chroust, Anton: Das Würzburger Land vor hundert Jahren, eine statistisch-
ökonomische Darstellung in amtlichen Berichten und Tabellen |= Fer-
öffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte: Festschrift
zur Jahrhundertfeier der Vereinigung Würzburgs mit dem Königreich
Bayern]. Würzburg, H. Stürtz 1914. 446 S. 8°. HM 16,00.
Berichtigung.
In den Aufsatz Zum Itinerar Kaiser Gratians im Jahre 379 n. Chr. von
Ludwig Steinberger in Heft 9/10 haben sich leider einige Druckfehler eingeschlichen:
S. 248 Anm, 4, Zeile 2 'st statt: 1422 zu lesen: 1421.
» 248 „ 4 »„» 4 ist statt: éonéoa Talarav zu lesen: of ngos doneyav Taldra.
„ 249 Zeile 3 v. o. ist statt: dann zu lesen: denn.
» 249 » 4» „ ist statt: dm) zu lesen: uno.
» 258 Anm. 5 muß nach per Oenum statt einem Doppelpunkt ein Semikolon stehen.
Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. A:min Tille in Weimar.
Verlag und Druck von Friedrich Andreas Perthes, Aktiengesellschaft, Gotha.
University of California
SOUTHERN REGIONAL LIBRARY FACILITY
305 De Neve Drive - Parking Lot 17 ° Box 951388
LOS ANGELES, CALIFORNIA 90095-1388
Return this material to the library from which it was borrowed.